archithese 6.13 - Natur / Nature

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nen, für die er anschliessend ein kleines Wohnhaus realisie-

Person als Bauingenieur beschrieben wird. Aus dieser Zu-

ren konnte, das ebenfalls noch keine Konzessionen an die

sammenkunft entwickelte sich eine lose Folge von Treffen,

ideologisch begründete Formvorgabe des Satteldaches unter

von denen bis Mitte 1942 neun Protokolle erhalten blieben,

Dadurch

die einerseits Aufschluss über die Diskurse in der Gruppe

lernte Scharoun den Bornimer Kreis kennen, der sich um den

geben und anderseits die anwesenden Personen listen. 5

Staudengärtner Karl Foerster gebildet hatte. Foerster, Ham-

Während Lee und Häring an jedem Treffen teilnahmen,

merbacher und Mattern betrieben seit 1928 zusammen eine

kamen Hans Scharoun und Härings amerikanischer Assis-

Gartenbaufirma, die sich um eine Reform der Gartengestal-

tent, John Scott, ab Mitte November 1941 zu mindestens fünf

tung bemühte und deren Ideen bei Scharoun auf fruchtbaren

Zusammenkünften an der privaten Schule Kunst und Werk.

Boden fielen.

Zusätzlich verfasste Häring eine Denkschrift zur Gründung

der nationalsozialistischen Herrschaft zeigte.

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Die Satteldachvorgabe der nationalsozialistischen Behör-

eines chinesischen Werkbundes (2. Dezember 1941) und die

den führte Mitte der Dreissigerjahre bei Scharoun zu einer

undatierte Beschreibung der Stadt des CHIWEB (Abkürzung

Haltung, aus der zum Beispiel das Haus Baensch (1934/1935)

für Chinesischer Werkbund). Ein Reihe von Studien aus Hä-

und das Haus Mohrmann (1938) in Berlin hervorgingen, bei

rings Nachlass legen nahe, dass sie in diesem Kontext für ein

denen sich die biederen Strassenseiten gravierend von den

imaginiertes China entstanden und gleichzeitig dazu dien-

Gartenseiten unterscheiden. In beiden Fällen löst sich der

ten, die eigene Haltung unter nationalsozialistischem Druck

Grundriss des Hauses zum Garten hin auf, den jeweils die

mit exotischen Vorzeichen neu zu deuten.6 Nicht zuletzt re-

Gestaltung von Hermann Mattern prägte. Eine ganz beson-

feriert der erst 1947 veröffentlichte programmatische Text

ders schwierige Auseinandersetzung folgte für Scharoun

«Gespräch mit chen kuan li über einige dachprofile» über die

beim Haus für den Kunstsammler Ferdinand Möller

Anfang der Vierzigerjahre geführten Diskurse. Darin schrieb

(1937/1939) am brandenburgischen Zermützelsee – an einer

er: «Das ist das ganze haus: ein dach – alles andere ist nach-

1 Wohnlandschaft im Haus Straub, Knittlingen, 1956–57, Stahltreppe von Günter Ssymmank (Foto 1, 10+11: Archiv Eduard Kögel) 2+3 Haus Scharf, Oberstdorf, 1954, Gartengestaltung von Hermann Mattern (Foto 2–4: © Ernst Deyhle, Archiv Eduard Kögel)

Stelle, die durch den Bezug zur Landschaft in besonderem Mass das Augenmerk der nationalsozialistischen Behörden auf sich zog. 3 Genau in diesem Moment trat der junge Chinese Chen Kuen Lee 4 als Absolvent in das Büro von Scharoun ein und erfuhr so am Entwurfsprozess die Suche nach einer für alle Beteiligten vertretbaren Lösung. Auch hier wirkte Hermann Mattern als Landschaftsarchitekt, und im Resultat fand Scharoun eine unter politischen Vorgaben erzwungene Zwittergestalt, dessen Schauseite eine Lochfassade zeigt, während sich die Fassade zum See unter der verzogenen Form des Satteldaches aus der Topografie begründen lässt. Die Öffnung der Dachfläche mit einer asymmetrisch gesetzten Kreissegmentgaube erlaubt die Beziehung zur Landschaft aus dem zweigeschossig offenen Galeriegeschoss des Wohnraums. Chen Kuen Lee arbeitete bis 1943 im Büro von Scharoun und erlernte dort in vielen Diskursen den Umgang mit den nationalsozialistischen Vorgaben.

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Offensichtlich wollte man sich in diesen Auseinandersetzungen jedoch nicht von den braunen Ideologien treiben lassen und suchte nach eigenen Handlungsspielräumen, die sich mit selbstgewählten theoretischen Modellen untermauern liessen. Die chinesische Herkunft von Lee befruchtete für Scharoun – und offensichtlich noch mehr für seinen Kollegen Hugo Häring – die intensive Suche nach einer originellen Begründung für geneigte Dachformen und sich auflösende Grundrisse, die mit einer neuen Bedeutungsebene unterlegt werden mussten. Von der chinesischen Dachlandschaft zur Dächerei Hugo Häring traf sich Mitte Oktober 1941 mit drei jungen Chinesen in Berlin. Chen Kuen Lee und John Woo (auch Woo Shaoling) hatten Architektur studiert, während eine weitere

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