ACHTUNG : DIE VORFABRIKATION Die Göhner-Siedlung Sonnhalde, Adlikon-Regensdorf, 1973 «Göhner » gilt in der Deutschschweiz als Inbegriff des Bauwirtschafts-
heit von Autoverkehr innerhalb der Siedlung. Auf diese Weise entsteht ein weitläufiger Freiraum als Begegnungsort für die Erwachsenen und als geschützter Spielraum für die Kinder.
funktionalismus;«Adlikon» steht für den Versuch des Schweizerischen Werkbundes, ja einer ganzen Generation von Architekten, einen «besseren Göhner» zu machen – ein (fast) fiktiver Fotoroman.
Aus heutiger Perspektive interessieren vorwiegend zwei Themen: der bauliche Zustand der nunmehr 30 Jahre alten Siedlung und die Konsequenzen der weit greifenden sozioökonomischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Er-
Text: Reto Gadola, Klaus Spechtenhauser
staunliches ist in Bezug auf den Zustand der Bausubstanz
In der Deutschschweiz sind Plattenbau, Spekulation und Bauen
festzustellen: Die in schwerer Vorfabrikation gefertigten Be-
auf der «grünen Wiese» noch heute synonym mit dem Begriff
tonsandwichelemente sind auch nach 30 Jahren in einem
«Göhner». Während der Hochkonjunktur der Sechzigerjahre
tadellosen Zustand – und sogar die Fugen weisen keine nen-
wuchsen in zahlreichen Gemeinden des Mittellands die cha-
nenswerten Schäden auf. Die Schallschutz- und Wärme-
rakteristischen Wohnblöcke in Elementbauweise aus dem
dämmstandards der damaligen Zeit entsprechen freilich in kei-
Boden. Die Konsequenzen des industrialisierten Bauens mit
ner Weise den heutigen Anforderungen. Derzeit werden die
einem hohen Grad an Standardisierung und Typisierung sind
Wohnblöcke mit einer hinterlüfteten Fassade «eingepackt»,
bekannt: identische Wohngrundrisse, gleichförmige Baukör-
was zwar zu einer energetischen Verbesserung führt, ästhe-
per, wenig bis gar keine Anpassung an die lokale Topografie.
tisch jedoch äusserst fragwürdig ist. Weniger überraschend
Seit jeher bietet diese städtebauliche Langeweile genügend
sind die soziologischen Entwicklungen. Zu wesentlichen Ver-
Angriffsfläche für ausgedehnte Kritik. Monotonie, Ortsbild-
änderungen führte Mitte der Achtzigerjahre der Strukturwan-
und Landschaftsverschandelung, aber auch ausgemachtes
del innerhalb der Bewohnerschaft: Ein Grossteil der enga-
Profitdenken und sozialpolitisches Kalkül lauten die Vorwürfe.
gierten «Pioniergeneration» zog weg, meist in ein neu erwor-
Rationalisierung und Typisierung waren in der Zwischen-
benes Eigenheim. Parallel dazu wurde das Angebot des
kriegszeit programmatische Forderungen an zukünftiges
Einkaufszentrums als Folge geänderter Einkaufs- und Kon-
Bauen, doch erst im Bauboom der Sechzigerjahre wurden die
sumgewohnheiten stetig vermindert. Heute sind nur noch
Vorkriegsexperimente in grossem Stil umgesetzt. Industriali-
das Restaurant und die Poststelle in Betrieb; der vormalige
siertes Bauen wurde zur Grundlage für die Errichtung von
Ort der Begegnung ist von einer zunehmenden Verwahrlo-
Grosssiedlungen – auch in der Schweiz. Als die Firma Ernst
sung gezeichnet. Die Bemühungen des Werkbunds zeitigten
Göhner AG die Siedlung Sonnhalde in Regensdorf-Adlikon
schliesslich nur geringe Wirkung; vielleicht auch deshalb,
lancierte, wurde das Engagement des Schweizerischen Werk-
weil der Ansatz, mit architektonischen Mitteln gesellschaftli-
bunds (SWB ) konkret. Eine Arbeitsgruppe mit namhaften
che Reformen zu erzielen, seit jeher ein höchst problemati-
Vertretern wie Lucius Burckhardt, Jacques Schader und Wal-
scher ist. Die Architektur spielt dabei eine sekundäre Rolle.
ter M. Förderer definierten in einer umfangreichen Studie das
Von zentraler Bedeutung ist die grundlegende Bereitschaft
typologische, wirtschaftliche und soziologische Anforderungs-
des Menschen zu derartigen Reformen; auch in «schlechter»
profil an eine SWB-Siedlung «Typus Göhner». Die Positionen
Architektur kann «gut» gewohnt werden. – Die folgenden
waren somit abgesteckt: auf der einen Seite die idealistische
Aussagen zur Sonnhalde zeigen, dass Wohnqualität durchaus
Vorstellung von einem «besseren Göhner», auf der anderen
auch in Göhner-Siedlungen kein Fremdwort ist.
Seite die harte Realität der profitorientierten Bauwirtschaft. Ein Konsens schien nicht absehbar. Die Siedlung wurde schliesslich als rigorose Zeilenbebauung ausgeführt und war 1973 bezugsbereit. Die gesamte Anlage ist überzeugend in die Topografie des Geländes eingebettet. Wesentliche Charakteristika der einzelnen Wohnzeilen sind die Abtreppung der Baukörper und die auf der Westseite vorgesetzten Balkonelemente. Beides trägt mit der modulierten Geländegestaltung dazu bei, dass die Monotonie der Elementbauweise relativiert wird und aus der Perspektive praktisch nicht mehr wahrnehmbar ist. Prägend für das Gesamtbild der Anlage sind die grosszügigen Grünflächen mit künstlich aufgeschütteten Hügeln zwischen den Wohnblöcken und die völlige Abwesen-
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archithese 2.2003
Vorprojekt SWB-Siedlung, 1966 – 68: Arbeitsgruppe: Lucius Burckhardt, Basel, Walter M. Förderer, Basel, Emil Rütti, Zürich, Jacques Schader, Zürich, Peter Steiger, Zürich; Mitarbeit: Urs Hettich, Bern, Martin Steiger, Zürich, Willy Walter, Zürich, Max Lechner, Zürich, Alexander Henz (Metron AG ), Brugg Ausführungsprojekt, 1968 – 73: Bauherr und Generalunternehmer: Ernst Göhner AG; Architekten: Steiger Architekten und Planer, Zürich, Walter M. Förderer, Schaffhausen; Ingenieur: Walter Böhler, Rapperswil; Gartenarchitekt: Christian Stern, Zürich Autoren: Reto Gadola ist Architekt und führt ein eigenes Büro in Zürich. Klaus Spechtenhauser ist Kunsthistoriker. Beide sind Assistenten von Arthur Rüegg an der ETH Zürich.