Bern, 22. Februar 2010
Herr Regierungsrat Philippe Perrenoud Rathausgasse 1 3011 Bern
Kein Arbeitsobligatorium vor Sozialhilfe Sehr geehrter Herr Regierungsrat Perrenoud Die Herren Grossräte Gasser und Messerli fordern in ihrer Motion M 182/2009 einen obligatorischen einmonatigen Arbeitseinsatz vor der Auszahlung von Sozialhilfe. Ihre Anliegen wurden als Postulat vom Kantonsparlament überwiesen. Der Berufsverband AvenirSocial Sektion Bern lehnt einen obligatorischen Arbeitseinsatz vor der ersten Auszahlung von wirtschaftlicher Sozialhilfe mit dem Ziel der Abschreckung klar ab. Arbeitseinsätze dieser Art werden auch als „Gate-Keeping“ bezeichnet. Eine solche Abschreckung widerspricht dem öffentlichen Auftrag zur Existenzsicherung und dem verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde. Das Vorgehen ist als Zwangsarbeit einzustufen, die menschenrechtlich nicht haltbar ist. Ein Arbeitsobligatorium gemäss Motion Messerli und Gasser ist wenig sinnvoll. Wir unterstützen nachhaltige Massnahmen zur Arbeitsintegration durch die Sozialhilfe. Heute bestehen in der Sozialhilfe zu wenige Plätze für Arbeitseinsätze und gezielte Förderung der Arbeitsfähigkeit. Dringend nötig ist eine Öffnung in Richtung Durchlässigkeit der Projekte zwischen IV, ALV und Sozialhilfe. Die Erfahrungen mit dem Projekt „Passage“ in Winterthur wurden durch die Motionäre einseitig dargestellt, wichtige Ergebnisse blieben unerwähnt. Bei einem Arbeitsobligatorium vor einem Antrag auf Sozialhilfe besteht die Gefahr, dass Menschen in existenziellen Notlagen abgehalten werden, sich zu melden. Von denjenigen Menschen, die nicht an Passage teilnahmen ist nicht bekannt, ob ihre Existenz gesichert ist. Sie konnten nicht befragt werden. Wieso sind wir gegen ein Arbeitsobligatorium vor dem Eintritt in die Sozialhilfe? 1.
Armutsbetroffene Menschen melden sich meist erst bei der Sozialhilfe, wenn sie grosse und brennende existenzielle Probleme haben und nicht mehr wissen, wie sie alleine zurecht kommen könnten. Oft bestehen Krisensituationen, welche zu eskalieren drohen, wenn nicht stabilisierend interveniert wird, beispielsweise: Wohnungsverlust, Leistungsstopp der Krankenkassen, weitere Folgen von akuter Verschuldung, Konflikte (mit Gewaltpotential) in der Familie oder akute gesundheitliche (z.B. psychische) Probleme. Damit eine Eskalation verhindert werden kann, braucht es ein Abklärungsverfahren, das der Sozialhilfe erlaubt, Krisensituationen rasch zu entschärfen.