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Requiem für Dr. Hans-Jochen Vogel

Besonnen und vorbereitet

Requiem für Dr. Hans-Jochen Vogel am 31. Juli 2020 in der Basilika St. Bonifaz

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Über viele Jahre war Hans-Jochen Vogel unserem Kloster eng verbunden. Nicht nur weil Benedikt Zenetti, Abt von St. Bonifaz von 1872 bis 1904, sein Urgroßonkel war. Vielmehr hat Hans-Jochen Vogel durch sein jahrelanges Engagement im Verein der Freunde von St. Bonifaz das Kloster mit vielen und wertvollen Anregungen begleitet. Die Predigt von Abt Johannes anlässlich des Requiems für Hans-Jochen Vogel am 31. Juli 2020 in der Basilika bringt unsere Dankbarkeit und Hochschätzung zum Ausdruck.

„Liebe Frau Vogel, lieber Herr Dr. Bernhard Vogel, liebe Familie und Verwandte unseres Verstorbenen, lieber Herr Oberbürgermeister Reiter mit Ihren Stellvertreterinnen, liebe Schwestern und Brüder,

als ich am Dienstag vor seinem Tod Hans-Jochen Vogel in der Klinik besuchte, meinte er nüchtern und besonnen: Er habe mit einer Ärztin gesprochen. Er müsse davon ausgehen, dass es mit ihm dem Ende zugehe und dann träte der Fall ein, worüber wir in den Jahren zuvor öfters gesprochen hätten, was ihm wichtig sei für den Trauergottesdienst, den wir nun feiern.

Dazu hatte Hans-Jochen Vogel das eben gehörte Evangelium vorgeschlagen, die sogenannte Gerichtsrede Jesu. Es ist die letzte Ansprache Jesu, die dieser vor seinem Tod hält. Angesichts seines Todes gibt Jesus seinen Jüngern eine letzte Weisung, gleichsam ein geistliches Testament mit auf den Weg: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“

Den Nächsten in seiner Not ernst nehmen Wer den Nächsten gerade in seiner Not ernst nimmt, ihm hilft, ihm Solidarität zeigt, indem er in ihm die Schwester bzw. den Bruder entdeckt, der geht den richtigen Weg durchs Leben, der macht es richtig, der ist ein Gerechter! Wer dagegen über den Nächsten in seiner Not hinwegsieht, der verfehlt sich und weicht vom richtigen

„Es genügt nicht, wenn du dich alleine um dein eigenes Fortkommen bemühst und dass es dir wieder einigermaßen erträglich geht. Du musst dich auch für das Gemeinwesen engagieren.“ (HANS-JOCHEN VOGEL))

Weg ab. Der Verstorbene meinte einmal dazu im Gespräch mit mir: „Daher ist es Aufgabe der Politik, die Strukturen der Gesellschaft so zu gestalten, dass das nicht vorkommt!“ Hans-Jochen Vogel wollte es Recht machen – oder wie er es in seiner realistischen und nüchternen Art formulierte: „Man hat sich bemüht!“ In die schwierige Zeit der NS-Diktatur hineingeboren und geprägt durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs hat Hans-Jochen Vogel schon als junger Mann leidvoll erleben müssen, was es bedeutet, wenn eine Ideologie und nicht der Mensch mit seiner unantastbaren Würde im Mittelpunkt politischen Handels steht. In den Jahren des Krieges hat er erlebt, wie Menschsein verkommt, menschliche Würde mit Füßen getreten wird, und er hat daraus für sich den Entschluss getroffen, sich für den Menschen und seine unantastbaren Rechte zu engagieren.

Engagiert für den Menschen und seine unantastbaren Rechte Hans-Jochen Vogel wollte es recht machen: Daher entschied sich der hochbegabte junge Jurist nicht für eine private Karriere – was ja nicht verwerflich ist – sondern ging in die Politik, um sich für den Wiederaufbau unseres Landes und seiner Bevölkerung zu engagieren. Sein Motiv hat er einmal so formuliert: „Es genügt nicht, wenn du dich alleine um dein eigenes Fortkommen bemühst und dass es dir wieder einigermaßen erträglich geht. Du musst dich auch für das Gemeinwesen engagieren.“ Und hier kommt der Lesungstext ins Spiel aus dem Buch der Könige, (…) die Lesung vom Traum des Königs Salomo und seiner Bitte um ein hörendes Herz. Es ist die Lesung, die am (…) Todestag von Hans-Jochen Vogel gelesen wurde. Der Verstorbene hat sich diesen Text also nicht ausgesucht, er wurde ihm zugewiesen, wie wir sagen könnten. Es hat mich eigenartig berührt, als ich am Sonntagvormittag kurz nach 9 – ich hatte gerade über die Lesung hier in der Basilika gepredigt – in die Sakristei kam und Sie, liebe Frau Vogel, mich angerufen haben und mir mitteilten, dass soeben Ihr lieber Mann verstorben ist. Bitte um ein hörendes Herz Salomo bittet um ein hörendes Herz, damit er Gut und Böse unterscheiden und sein Volk in rechter Weise lenken kann, und bekommt Ansehen und Ehre sowie ein langes Leben hinzugeschenkt – wie zutreffend auf das erfüllte Leben von Hans-Jochen Vogel. Die Lesung spricht vom hörenden Herzen. Das hörende Herz meint nicht so sehr ein gutes Herz, das mitfühlen kann, wie wir manchmal feststellen: Der hat ein gutes

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ EVANGELIUM NACH MATTHÄUS, KAPITEL 25, VERS 40)

Herz, wenn einer hilfsbereit ist. In der hebräischen Sprache ist das Herz der Sitz von Verstand und Vernunft, das hörende Herz meint also einen wachen Verstand zu haben, der zu vernünftigen und klugen Urteilen finden kann. Das hörende Herz meint damit auch ein sensibles Gewissen, das Gut und Böse, Richtig und Falsch unterscheiden kann, das wache Gewissen, dass das, was dem Leben dient, von dem abgrenzt, was dem Leben schadet, und so zu einem gerechten Handeln führt. Das hörende Herz schließt damit den Willen ein, die Beherztheit, dass ich das, was ich als gut und richtig erkannt habe, auch couragiert umsetze, um meiner Verantwortung gerecht zu werden.

Solidarität, Verantwortung und hoffnungsloser Optimismus

Dieses hörende Herz, um das Salomo bittet, begegnet uns immer wieder im Leben von Hans-Jochen Vogel:

Das hörende Herz in der Entscheidung, politisch Verantwortung zu übernehmen, sich zu engagieren für unsere Stadt, für unser Land, für seine Partei als „gutes Gewissen“, wie in vielen Nachrufen zu lesen ist.

Das hörende Herz, das weiß, dass es neben den Erfolgen auch das Scheitern gibt, und sich im wachen Bewusstsein zeigt, dass wir nicht schuldlos durchs Leben gehen – wenn wir etwa an seine Zeit als Justizminister während des RAF-Terrors denken.

Das hörende Herz, das sich seiner Begrenztheit und Unzulänglichkeit bewusst ist, dass es neben den vielen schönen Stunden in der Familie oft genug zu wenig Zeit für die Frau, für die Kinder gab, wo der Partner, der Vater fehlte.

Das hörende Herz, das mit manchen Lehren seiner Kirche ringt, dass mutig ökumenisch denkt und handelt, das immer wieder das Wesentliche sieht und den Menschen mit seiner unantastbaren Würde in die Mitte stellt.

Das hörende Herz, das bereit ist, nach einer Niederlage wieder aufzustehen in hoffnungslosem Optimismus, wie Sie es, liebe Frau Vogel, (…) formulierten, weiter(zu)arbeiten und nicht (zu) verzweifeln, wie es auf dem berühmten Zettel von Herbert Wehner stand.

Das hörende Herz, das couragiert und kämpferisch bis zuletzt sich einsetzt für den Menschen in Not, für Solidarität gegen ungerechte Entwicklungen, für notwendige Erneuerungen etwa für eine umfassende Bodenreform.

Das hörende Herz, das im Alter nach einigem Ringen erkennt, kürzer zu treten, manches aufzugeben, etwa das Refugium in Niederbayern, und Ihrem Rat, liebe Frau Vogel, folgend dann bereit war, ins Augustinum zu ziehen.

Das hörende Herz – wir könnten die Beispiele beliebig fortsetzen. Und ich denke, gerade Ihnen als Familie kommen viele Begebenheiten in den Sinn, wo Sie Ihren Mann, Ihren Bruder, Ihren Vater, Ihren Opa mit hörendem Herzen erleben durften. Begegnung mit dem Schöpfer Auch wenn es der Verstorbene mir gegenüber nie explizit ausgesprochen hat, aber wenn ich Ihnen beiden, liebe Frau Vogel, begegnet bin, dann spürte man es: Ihr Mann war Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie als seine Frau, dass Sie als seine Familie sein politisches Engagement mitgetragen haben, ihm oft genug den Rücken freihielten und für ihn da waren.

Hans-Jochen Vogel hat daran geglaubt, dass er nach seinem Tod seinem Schöpfer begegnen wird und dieser mit ihm ein ernstes Gespräch unter der Prämisse führen wird: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Wir wünschen ihm, dass es nicht nur ein ernstes Gespräch ist, sondern auch ein Gespräch voller Dankbarkeit, ja Herzlichkeit, dass der Schöpfer mit seinem hörenden Herzen all das vollendet, was fehlt, dass er von Schuld befreit, weil er eben unser Schöpfer, unser Erlöser und unser Vollender ist.

„Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht!“ (1. BUCH DER KÖNIGE, KAPITEL 3, VERS 9)

Bekenntnis zur Auferstehung Sich selbst treu bleibend hat sich HansJochen Vogel ein Leben lang auf dieses Gespräch vorbereitet – so habe ich ihn am Dienstag vor seinem Tod erlebt: Vorbereitet! Das bringt auch das Lied von Paul Gerhardt zum Ausdruck, dass der Verstorbene für die Feier vorgeschlagen hat: „Die Güldene Sonne!“ Dieses Morgenlied ist ein Osterlied, ein Bekenntnis zur Auferstehung, an die der Verstorbene geglaubt hat, ja, die er selbst immer wieder gelebt hat, wenn er aufgestanden und eingestanden ist für andere. Diese Auferstehung wünschen wir ihm auch jetzt, wenn es dort heißt:

Mein Haupt und Glieder, Die lagen darnieder, Aber nun steh ich, Bin munter und fröhlich: Schaue den Himmel mit meinem Gesicht. Amen.“

„Wer den Nächsten gerade in seiner Not ernst nimmt, ihm hilft, ihm Solidarität zeigt, indem er in ihm die Schwester bzw. den Bruder entdeckt, der geht den richtigen Weg durchs Leben, der macht es richtig, der ist ein Gerechter!“ – Abt Johannes in seiner Predigt

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