5 minute read

Zwei Nationalparke feiern Geburtstag

Gedanken zur Genese der Kalkalpen und des Gesäuses. Und zur Neutralität.

von Liliana Dagostin

Gleich zwei Nationalparke feiern im Jahr 2022 Jubiläum. Grund genug für uns, auf Spurensuche zu gehen. Die Spur, die wir zunächst zurückverfolgen, ist eine behutsam gesetzte – denn Krallen sind im Trittsiegel keine zu lesen – ähnlich einem Luchs, dessen Antlitz Erkennungsmerkmal für den Luchs Trail geworden ist: Er verbindet den Nationalpark Kalkalpen mit dem Nationalpark Gesäuse und dem Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal. Zugleich verbindet er auch die Bergsteigerdörfer Johnsbach und Lunz am See. Der Weitwanderweg mit seinen elf Etappen verbindet die, die ihn gehen, Schritt für Schritt mit verschiedenen Lebensräumen, Bundesländern, Geschichten

und Gesichtern. Schutzgebiete wie sie erfüllen heute mit Stolz und sind nicht mehr wegzudenken, egal ob im Gesäuse, in den Kalkalpen oder in den Hohen Tauern. Doch das war nicht immer so. Die älteren Trittsiegel zeichnen sich deutlich ab. Denn wie so oft in der Geschichte der Schutzgebiete in Österreich, die heute von nationaler Bedeutung sind, waren den Ausweisungen Nutzungskonflikte vorangegangen.

25 Jahre Nationalpark Kalkalpen

Das ältere der beiden Schutzgebiete ist der Nationalpark in jenem Teil der oberösterreichischen Kalkalpen, der sich auf das Reichraminger Hintergebirge und das Sengsengebirge erstreckt. Er feiert heuer seinen 25. Geburtstag. 1997 hatten der Bund und das Land Oberösterreich vereinbart, den Nationalpark Kalkalpen zu errichten und zu erhalten. Die Proponenten von damals erzählen, man sei sich 1997 rasch einig gewesen, dass ein den Anforderungen der Internationalen Naturschutzorganisation IUCN entsprechendes Schutzgebiet eingerichtet werden sollte. Nur die Ausdehnung blieb strittig. Deshalb entschied man sich für eine zweistufige räumliche Ausweitung und sah in der Anfangsphase nur den erwähnten Teil vor. Dieser hätte – so steht es heute noch in der Vereinbarung – zu einem späteren Zeitpunkt um einen weiteren bedeutenden erweitert werden sollen.

Schutzgebiete wie sie erfüllen heute mit Stolz und sind nicht mehr wegzudenken, egal ob im Gesäuse, in den Kalkalpen oder in den Hohen Tauern. Doch das war nicht immer so.

Die Schutzbestrebungen waren die Antwort auf verschiedenartige Pläne zur Nutzung der Naturräume, die seit den 1980er-Jahren kursierten. Diese bezogen sich neben der Wasserkraft auf den Schotterabbau. Auch ein Kanonenschießplatz sollte eingerichtet werden. Letztlich waren es die energiewirtschaftlichen Pläne, die Alpin- und Naturschutzverbände sowie regionale Initiativen zusammenführten.

Sie schlossen sich zur „Arbeitsgemeinschaft Hintergebirge“ zusammen und forderten 1989 in der sogenannten „Mollner Erklärung“ die Schaffung eines Nationalparks nach internationalem Vorbild. Der Mollner Kreis war geboren, berichtet Herbert Jungwirth. Er war damals Vorsitzender der Sektion Molln/Steyrtal, UWD-Präsident Franz Maier sein Naturschutzreferent. Dem Mollner Kreis gehörten damals wie heute auch die Naturfreunde Ennstal, der Naturschutzbund Oberösterreich sowie der WWF an. Der Bereich, den die Verbände damals zu schützen trachteten, umfasste neben dem Reichraminger Hintergebirge und dem Sengsengebirge auch die Haller Mauern und das Tote Gebirge. Auch der in der jüngeren Vergangenheit von Nutzungsansprüchen durch die Skiindustrie bedrohte Warscheneckstock gehört dazu. Auf die Erweiterung warten die Naturschutzverbände weiterhin leise, bei der geplanten Skierschließung über das Warscheneck hingegen haben sie gezeigt, wie kraftvoll eine große Raubkatze zur Abwehr ansetzt.

Luchsin Kora im Nationalpark Kalkalpen.

Foto: Nationalpark Kalkalpen/Kronsteiner

20 Jahre Nationalpark Gesäuse

Vorher schon gebuckelt hatten der Österreichische Alpenverein und andere bergsteigerische und wissenschaftliche Verbände zum Schutz der frei fließenden Enns im heutigen Nationalpark Gesäuse, der dann am Nationalfeiertag vor 20 Jahren geschaffen wurde. Über Antrag der Sektion Admont und mit der Unterstützung aller steirischen Sektionen formulierte der Alpenverein in seiner Hauptversammlung 1949, dass „beim Ausbau der Wasserkräfte vom Gesäuse abgesehen werde“.

Nach dem Bericht des damaligen Vorsitzenden des wissenschaftlichen Unterausschusses und des späteren 1. Vorsitzenden Univ.-Prof. Dr. Hans Kinzl erneuerte der Verein ein Jahr später in Spittal an der Drau einhellig seine Resolution gegen die Wasserkraftnutzung im Gesäuse und der Krimmler Wasserfälle. Gleichzeitig erhob er die Forderung,

die technischen Eingriffe in die Natur des Hochgebirges auf ein Mindestmaß zu beschränken, unbedingt notwendige technische Anlagen mit möglichst geringer Verletzung der Landschaft zu errichten und gewisse naturkundlich besonders bemerkenswerte Gebiete oder landschaftliche Glanzstücke grundsätzlich im ursprünglichen Zustand zu belassen.

An dieser eindeutigen Haltung sollte sich nichts ändern, wenngleich sich der Alpenverein später anderen schutzbedürftigen Gebieten zuwandte, sodass sich vorrangig der Naturschutzbund, die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA sowie die 1986 gebildete Bürgerinitiative „Plattform Gesäuse“ gegen die energiewirtschaftlichen Begehrlichkeiten stemmten. Wie viel Ausdauer letztlich notwendig war, um im Naturschutz erfolgreich zu sein und Zugriffe auf naturkundliche und landschaftliche Glanzstücke dauerhaft abzuwehren, hat der Nationalpark anschaulich nacherzählt (1).

Klettern am Buchstein am Eingang des Gesäuses.

Foto: Nationalpark Gesäuse/Stefan Leitner

Glanzstücke, Stolz und Neutralität

Eine spannende Rolle spielt darin übrigens auch die Bezirkshauptmannschaft Liezen, die 1988 mit der Ausweisung der Enns am Eingang zum Gesäuse als Naturdenkmal – wie es in der historischen Aufbereitung heißt – eine „rechtliche Notbremse“ gezogen und damit den Kraftwerksbau endgültig verhindert hat. Von den ersten Bestrebungen der Naturschutzverbände bis zur Ausweisung als Schutzgebiet: Die Geschichte des Nationalparks ergreift die Leser*innen wie ein Krimi!

Kein Krimi, sondern wiederkehrende Gewissheit ist hingegen das, was die Österreicher*innen antworten, wenn sie rund um den Nationalfeiertag befragt werden, worauf sie stolz sind. Die Landschaft wird immer vor der Neutralität, der der Feiertag eigentlich gilt, genannt. Auch laut einer repräsentativen Studie 2 im Auftrag von Nationalparks Austria aus dem Jahr 2016 fühlen sich die Österreicher*innen tief verbunden mit der Natur. Gute, frische Luft (73,4 %), Ruhe (72,7 %) und schöne Natur (70,1 %) sind demnach die wichtigsten Faktoren für Erholung und Entspannung, das Kennenlernen der Schönheiten des eigenen Landes Grund für einen Urlaub (71,8 %). Das gilt nicht bloß für Nationalparke. Sie aber haben Einheimische, Bürgerinitiativen, Naturschutzverbände und die Wissenschaft gemeinsam vor einer energiewirtschaftlichen Inanspruchnahme bewahrt. Denn Natur- und Landschaftsschutz ist nicht neutral. Wir übrigens auch nicht. —

Die Buchenwälder im Nationalpark Kalkalpen.

Foto: Nationalpark Kalkalpen/Mayrhofer

Liliana Dagostin ist Leiterin der Abteilung für Raumplanung und Naturschutz im Österreichischen Alpenverein.

(1) t1p.de/zuwachs-steiermark

(2) Die Studie wurde im April 2016 im Auftrag von Nationalparks Austria von Marketagent.com durchgeführt. Insgesamt wurden mittels Online-Interviews 1.514 Österreicher*innen zwischen 14 und 69 Jahren befragt

This article is from: