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Top oder Flop?

Klettersteige bieten eine großartige Möglichkeit eines unvergesslichen Bergabenteuers für die ganze Familie. Damit aus dem gemeinsamen Klettersteigausflug in den steilen Fels aber ein Top-Erlebnis und kein Flop-Erlebnis wird, gilt es einige Dinge zu beachten.

von Gerhard Mössmer

Ab wann macht es Sinn, mit Kindern Klettersteige zu begehen? Hierfür ist weniger das Alter als vielmehr die Entwicklungsstufe des Kindes entscheidend. Das Schöne am Klettersteiggehen ist, dass die meisten Kinder die dafür erforderlichen Voraussetzungen wie Beweglichkeit und die Freude an der kletternden Fortbewegung mit Armen und Beinen von Haus aus mitbringen. Zusätzlich sind ein gewisses Maß an Kraft, Kondition und Trittsicherheit sowie Schwindelfreiheit notwendig. In der Regel bringen Kinder diese Fähigkeiten ab ca. sechs Jahren mit, um mit ihren Eltern gemeinsam einfache (Übungs-)Klettersteige zu begehen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass die meisten Klettersteige nicht explizit für Kinder gebaut wurden. Dies kann an manchen Stellen – besonders ungut sind dann Quergänge – dazu führen, dass Kinder das Stahlseil bzw. die Trittklammern gar nicht oder nur schwerlich erreichen.

Welche Ausrüstung ist notwendig?

Die 2017 novellierte EN 958 für Klettersteigsets bietet leichten Personen ab 40 kg einen deutlich besseren Schutz vor schwersten Verletzungen durch einen geringeren Fangstoß (1). Können Kinder ihr Klettersteigset bereits selbstständig und zuverlässig bedienen und sind sie sicher genug am Klettersteig unterwegs, dass sie nicht mehr mit einem Kletterseil hintersichert werden müssen, ist es wichtig, dass sie auch ein Set der „neuen“ Norm entsprechend verwenden (… und nicht das „alte“ von Mama oder Papa). Zudem muss auf eine gute Bedienbarkeit der Verschlusskarabiner geachtet werden. Für kleine Kinderhände eignen sich dafür Karabiner mit sogenannter Ballen-Daumen-Öffnung besonders gut.

Sind die Kinder noch zu klein, um selbst ein Klettersteigset zu bedienen, und zudem zu leicht (also unter 40 kg), dass wir davon ausgehen müssen, dass das Klettersteigset auch nach der neuen Norm seine volle Dämpfungsfunktion nicht entfalten kann, müssen wir sie permanent mit einem Kletterseil gegen Absturz sichern. In diesem Fall hängt das Kind dann nur einen Lastarm des Klettersteigsets in das Stahlseil ein, da die eigentliche Sicherung über das Kletterseil erfolgt. Der zweite Lastarm wird in der Materialschlaufe versorgt.

Wie beim Klettern auch eignen sich für kleine Kinder spezielle Kinderklettergurte mit Hüft-Brustgurt-Kombi sehr gut. Sind die Kinder größer, reicht ein einfacher Kinderklettergurt ohne Brustgeschirr. Wichtig ist, dass der Gurt gut über der Hüfte sitzt. Den Helm betreffend verwenden wir bitte Steinschlaghelme und keine Radhelme – weder für uns noch für unsere Kinder.

Klettersteigkarabiner mit „Ballen-Daumen-Öffnung“ eignen sich für Kinder besonders gut: Sie sind leicht zu bedienen und die Finger sind beim Einhängen ins Stahlseil nicht im Weg.
Foto: Markus Schwaiger

Die Tourenplanung ist der Schlüsselfaktor.

Kindergerechte Klettersteige mit moderatem Zu- und Abstieg vermeiden Überforderung. Ist es der erste Klettersteig für die Kinder, darf dieser auf keinen Fall zu schwer und/oder zu lange sein. Überforderung muss unbedingt vermieden und der eigene Ehrgeiz hintenangestellt werden, denn sonst ist das Thema Klettersteig für die nächsten Jahre bei den Kids ad acta gelegt.

Ausgezeichnet geeignet für den Beginn der Klettersteigkarriere – vor allem für die Kleineren – sind spezielle Kinderund Übungsklettersteige. Sie sind meist leicht erreichbar im Tal, im Bereich von Hütten oder von Seilbahnstationen angesiedelt. Zudem verlaufen sie oft wenig exponiert in Bodennähe oder an großen Blöcken, von wo aus man die Kinder gut betreuen und den Klettersteig auch jederzeit abbrechen kann. Gespickt mit Erlebniselementen wie geschnitzten Tieren, Holzplattformen und Brücken etc. erlernen die Kinder spielerisch den Umgang mit der Materie Klettersteig.

Für etwas größere Kinder gibt es inzwischen eine gute Auswahl an „richtigen“, aber kindergerecht gebauten Klettersteigen, bei denen Trittstufen und Sicherungsseile in entsprechend nahen Abständen angebracht sind. Zusätzlich steigern Seilbrücken über Wasserfälle oder Seilrollen über Schluchten etc. Begeisterung und Erlebnisfaktor.

Zustieg und Klettersteig sollen eine überschaubare Länge haben, möglichst frei von objektiven Gefahren wie Steinschlag sein und eventuell auch Ausweich- oder Abbruchmöglichkeiten bieten, denn Kinder ermüden schneller und können von einer Minute auf die andere die Lust verlieren. Im Idealfall wartet am Ende des Klettersteiges eine „Belohnung“ wie die Knödelsuppe auf der Hütte oder die Jause an einem gemütlichen Platzerl, wo die Kinder gefahrlos rasten bzw. herumsausen können. Da bei Kindern die Konzentration mit Fortdauer der Zeit nachlässt, ist es wichtig, dass wir auch Augenmerk auf den Abstieg legen: Dieser soll möglichst einfach und nicht absturzgefährdet sein und wiederum eine überschaubare Länge haben.

Da man mit Kindern immer mehr Zeit braucht, ist auf Wetterbericht und Wetterentwicklung im Tagesverlauf besonders zu achten. Drohen am Nachmittag Gewitter, verzichten wir von vornherein auf die Tour. Im Hochsommer sind kühle, schattige Ziele – z. B. Klettersteige in Schluchten – jenen in prallen Südwänden vorzuziehen. Kinder haben zudem einen höheren Flüssigkeitsbedarf als Erwachsene und dehydrieren in der Hitze schneller, weshalb wir auch ausreichend zu trinken mit dabeihaben.

Ausdauer, Kraft, Koordination und Beweglichkeit sowie Schwindelfreiheit und Mut sind ausschlaggebend, ob und welche Klettersteige man mit seinen Kindern begehen kann.
Foto: Markus Schwaiger

Unterwegs am Klettersteig

Bei Kindern, die selbst noch kein Klettersteigset bedienen können, ist der Betreuungsschlüssel „eins zu eins“, das heißt, auf ein Elternteil kommt ein Kind. Sind wir mit zwei Kindern unterwegs, muss eines der beiden Kinder ein Klettersteigset sicher selbst bedienen können. Dass das Eigenkönnen des betreuenden Elternteils weit über den Anforderungen des Klettersteigs steht, versteht sich von selbst.

Bevor der ganze Spaß losgeht, zeigen wir den Kindern kurz anhand des Topos und des Geländes, wo’s langgeht, wie lange die Gaudi in etwa dauert und dass sie darauf achten, keine Steine loszutreten. Trinken, Pinkelpause und Einschmieren am Start ist zwar nicht elementar, erleichtert uns das Leben am Klettersteig aber ungemein. Viel wichtiger hingegen ist ein steinschlag- und absturzsicherer Ort, an dem wir die Klettersteigausrüstung anlegen und abschließend bei den Kids noch einmal im Sinne eines Partnerchecks Gurt, Klettersteigset, Helm und Seil checken. Zu guter Letzt instruieren wir die Kinder noch am Einstieg, wie sie mit dem Klettersteigset umgehen.

Autor: Gerhard Mössmer ist Mitarbeiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein.

Nachweis:

(1) Der Fangstoß darf lt. Norm bei einem Normsturz aus 5 m Höhe mit 40 kg Masse 3,5 kN nicht überschreiten.

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