Das S Magazin #13

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8 € (AUT), 11 € (D), 14 CHF (SUI) Steirereck Wien GROSSES MECKERN, SCHARFE SACHEN UND EIN AUSFLUG MIT DEM TEAM. EIN SATZ IM GLAS, EIN UMWEG AUF DEM HEIMWEG, SIEBEN HÜGEL GENUSS UND EINE DIVA MIT GUTEM GESCHMACK. Ausgabe 13

Hier also ist sie, die 13. Ausgabe des S Magazins. Und ja, sie ist eine ganz besondere für uns. Einerseits deshalb, da im Jahr 2020 aus so bekannten wie wenig erfreulichen Gründen kein Exemplar erschienen ist und auch heuer nur dieses eine, andererseits wegen des Umstands, dass dank der Wiedereröffnung der Restaurants, der Wirtshäuser und der Beisln das Bewusstsein für die Einzigartigkeit der Gastronomie augenblicklich wahrscheinlich so groß ist wie niemals zuvor. Ein Umstand, den wir als Chance sehen. Jetzt nämlich gilt es, für die nachfolgenden Generationen, für unsere Kinder und Kindeskinder, einen gesunden Nährboden zu schaffen, auf dem wieder ein wertschätzender Umgang mit unseren Lebensmitteln blühen und gedeihen kann.

Unsere eigene kleine Welt basierte allzu oft auf Selbstverständlichkeiten in unserem Tun und beruhte häufig auf der Motivation, das nächste Etappenziel zu erreichen. Vielleicht hatten wir auch zwischenzeitlich vergessen, dass selbst die einfachsten Dinge nicht selbstverständlich sind. Viele haben wieder erkannt, wie wichtig Gemeinschaft ist, wie sehr uns kulturelle und geschmackliche Vielfalt fehlen und gefehlt haben und wie wir alle voneinander und zueinander abhängig sind.

Das S Magazin gibt uns die Möglichkeit, Sie in diese unsere kleine Welt zu entführen, Ihnen zu zeigen, wie wir – und zwar wir alle – basierend auf der Art unserer Ernährung und der Wahl unserer Lebensmittel unser gesamtes Landschaftsbild prägen können. Denn eines hat sich sicherlich nicht verändert: Eine vielfaltsorientierte Landwirtschaft und eine ebensolche Küche können Motor einer kulturellen, einer zentralen Revolution werden.

Apropos „Revolution“. Mit großer Freude können wir berichten, dass die Um- und Ausbauarbeiten in unserer „Außenstelle“, dem Wirtshaus Steirereck am steirischen Pogusch, so gut wie abgeschlossen sind. Wir haben die Zeit des gastronomischen Stillstandes also gut genützt und bald schon werden wir in diesem Magazin auch aus dem Wirtshaus berichten.

BIRGIT UND HEINZ REITBAUER

Bis dahin wünschen wir viel Freude mit der Nummer 13, möge sie uns allen Glück bringen.

EDITORIAL
S Magazin, Ausgabe 13
5 S MAGAZIN VOR-SÄTZE

INHALT

8 DER WO-SOLLEN-WIRESSEN-GEHEN-KATALOG Über die Qual der Lokalwahl.

Von Christian Seiler

10 FUND-STÜCKE

Edles, Schönes, Schmackhaftes –Tipps für ein genussvolles Sein.

1 Wer & warum

32 BOCK AUF ZIEGE

Wenn bei Höllerers die Hölle los ist, haben sie alles richtig gemacht.

Von Johannes Stühlinger

40 DER HERR DER KLINGE

Florian Stockinger – der Mann, der sich gerne die Schneid abkaufen lässt …

Von Tobias Müller

50 DAS HUHN STEHT AM BEGINN

Im Schnitt essen wir täglich ein Ei, und so ein Ei erzählt viele Geschichten.

Von Ute Woltron

60 DIE HÜBSCHE STANGE VOM FELD

Ein klassisches Gemüse, das sich gerne als Obst ausgibt - eine Liebeserklärung an den Rhabarber in 26 Kapiteln.

Von Katharina Seiser

66 VON SINNEN

Kochen und essen je nach Saison und die Zutaten mit allen Sinnen erleben.

Von Katharina Seiser

2 Wie & für wen

68 BILDUNGSREISE

Wenn das Team des Steirereck mit den Chefs einen gemeinsamen Ausflug macht.

Von Ursula Macher

74 WIEN BRAUCHT DIE „WIENER GARNITUR“

Von einem österreichischen Klassiker, der zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Von Tobias Müller

76 EIN FEST FÜR FÜNF

Das Steirereck für Daheim –neun Rezepte von Heinz Reitbauer zum Nachkochen.

96 ERMISCHT

Wiener und andere Gemischte Sätze – das Comeback der unberechenbaren Sorte.

Von Sebastian Hofer

6 S MAGAZIN INHALT / IMPRESSUM

3 Wovon & wie viel

106

KLEINES GLÜCK IM HANDUMDREH ’ N

Von Sirup über Essig bis hin zu Knäckebrot. Samen und Blüten und was man in der Küche alles mit ihnen machen kann.

4 Wohin & zurück

112

AUF UMWEGEN NACH HAUSE

Reitbauers Reisen. Diesmal genießen Birgit und Heinz im Weyerhof im Salzburger Land.

Von Achim Schneyder

120

SIEBEN HÜGEL HERLICHKEIT

Ein köstlicher kulinarischer Streifzug durch Lissabon, wo nicht nur die Früchte des Meeres perfekt in Szene gesetzt werden.

Von Severin Corti

128 ECHTE PILZE UND FALSCHE PRINZEN

Natalia Ushakova schwärmt von gutem Essen und erzählt Geschichten vom Kaviar.

Von Ursula Macher

130 ANDERSWO RESERVIERT

Birgit und Heinz Reitbauer verraten, wo es ihnen besonders gefällt.

Impressum

MEDIENINHABER:

ALBA Communications GmbH

GESCHÄFTSFÜHRENDE

GESELLSCHAFTER:

Alexandra Seyer-Gmeinbauer, Reinhold Gmeinbauer

Seilerstätte 7, 1010 Wien, www.albacommunications.at

HERAUSGEBER:

Birgit und Heinz Reitbauer

CHEFREDAKTION:

Achim Schneyder

CHEFIN VOM DIENST:

Rebecca Wiederstein

AUTORINNEN, AUTOREN:

Severin Corti

Sebastian Hofer

Ursula Macher

Tobias Müller

Achim Schneyder

Christian Seiler

Katharina Seiser

Johannes Stühlinger

Ute Woltron

FOTOGRAFEN:

Klaus Fritsch

Philipp Horak

Thomas Schauer

Mirco Taliercio

BILDNACHWEIS:

Seite 60, Shutterstock

DESIGN:

brand unit – network for branding, design and content, brand-unit.com

KREATIVDIREKTION:

Albert Handler

ARTDIREKTION:

Sabine Kunzmann

ANZEIGEN:

Reinhold Gmeinbauer

Angela Kindermann, kindermannprojektagentur.at

LEKTORAT:

Romana Gillesberger

LITHOGRAFIE:

Mario Rott

DRUCK:

Print Alliance

HAV Produktions GmbH

Druckhausstraße 1, A-2540 Bad Vöslau

FN 426711t – LG Wr. Neustadt www.printalliance.at

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DER WO-SOLLENWIR-ESSENGEHEN-KATALOG

Regelmäßig stehe ich vor der Frage, deren Beantwortung mir eigentlich leicht fallen müsste. Sonst würden mich ja nicht so viele Leute fragen: „Wo sollen wir essen gehen?“ Tja. Wo denn?

Welche Funktion haben eigentlich Restaurants? Restaurants, danke für den Hinweis, sind Orte, wo wir unseren Hunger und Durst stillen.

Aber sie sind noch viel mehr. Restaurants sind Sehnsuchtsorte. Sie versprechen Erlebnisse, die anderswo nicht zu haben sind, Genüsse, Unterhaltung, manchmal auch Aufklärung oder Überwindung alter Vorurteile. Zum Beispiel, wenn das Beuschel, das man woanders niemals anrühren würde, im Restaurant eine Delikatesse ist. Oder dieser vom Sommelier ausgewählte Wein aus Kalifornien: Führt er nicht mit seiner kargen Eleganz alle meine Vorurteile über kalifornische Marmeladenweine ad absurdum?

Restaurants sind also kulinarische Versuchsanstalten. Aufklärungsinstitute. Unterhaltungseinrichtungen. Das kann man mehr oder weniger objektiv so sagen. Daneben haben sie aber auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Sie sind Visitenkarten des öffentlichen, aber auch des eigenen Lebens, vielleicht auch des persönlichen Einfühlungsvermögens. Regelmäßig stehe ich vor der Frage, deren Beantwortung mir eigentlich leicht fallen müsste, sonst würden mich ja nicht so viele Leute fragen: „Wo sollen wir essen gehen? Du kennst doch so viele Lokale.“

Stimmt, ich kenne viele Lokale. Aber ich kenne auch die Herausforderung, welche die Empfehlung des einen oder anderen Lokals darstellt. Schließlich verlässt sich jemand auf meinen Rat, marschiert mit großen Erwartungen ans Ziel meiner Empfehlung, reist womöglich oder investiert einen besonderen Abend mit wertgeschätzter Begleitung – und erkennt in dem, was dort geboten wird, etwas ganz und gar anderes, als ich ihm versprochen habe.

Kann sein, dass ich einen Ort ausgewählt habe, dessen Speisekarte zu anspruchsvoll war und die wenig erprobten Esser überforderte. Kann sein, dass sie darauf gefasst waren, etwas ganz Besonderes zu erleben und ich habe sie nur zu einem völlig normalen Italiener geschickt, weil ich in ihrem Namen auf Nummer sicher gehen wollte.

Ganz oft ist Geld ein Thema: „Es hat uns ja sehr gut gefallen, aber als die Rechnung kam, dachte ich, mich trifft der Schlag …“

8 S MAGAZIN STAND-PUNKT

Stimmt, kann vorkommen. Als geübter Esser ist man mit der Tatsache vertraut, dass gutes Essen auch gutes Geld kostet – und da hat man noch nicht einmal den Wein eines außergewöhnlichen Jahrgangs bestellt.

Aber auch umgekehrt, wenn es zum Beispiel darum geht, einen Bekannten oder Geschäftspartner zum Essen einzuladen: Wenn das Restaurant zu „glitzy“ und die Rechnung zu hoch ist, dann brüskiere ich den Gast selbst dann, wenn ich die Rechnung übernehme. Klingt irgendwie komisch, aber ich erzeuge, selbst wenn ich nicht im Traum daran gedacht habe, auf diese Weise eine Schuld, von der mein Gegenüber das Gefühl hat, sie irgendwann begleichen zu müssen. Unangenehm, für meinen Gast und daher auch für mich.

Ich habe mir deshalb Restaurants in Kategorien zusammengefasst, die ein bisschen Ordnung in diesen Dschungel bringen.

1. DAS KÖNNTE-DIRGEFALLEN-RESTAURANT.

Der Konjunktiv im Titel ist natürlich mit Bedacht gewählt. Es handelt sich um ein Restaurant mit starkem Eigenwillen und Eigenarten, die man so oder so interpretieren kann: Foodsharing, Naturweine, keine fixen Menüfolgen, also Dinge, denen man mit einer gewissen Offenheit begegnen muss. Sollte man lieber niemandem empfehlen, der zum Beispiel altmodische Restaurantführer für eine verlässliche Quelle hält.

2. DAS MUSST-DU-GESEHENHABEN-RESTAURANT.

Eher etwas für Menschen, die gern dort sind, wo alle sind. Für den Empfehlenden relativ risikolos, weil überschwängliches Lob oder abgrundtiefer Tadel Kehrseiten derselben Medaille sind. Hauptsache, hier gewesen. Betrifft angesagte, gerade von Michelin aufgewertete oder in der Presse hymnisch besprochene Lokale, bei denen es schwieriger sein kann, einen Tisch zu bekommen, als an diesem dann etwas Interessantes zu erleben.

3. DAS NO-BULLSHIT-LOKAL.

Damit sind Orte gemeint, die sich jeder Mode entziehen und völlig kompromisslos an der Qualität des Essens arbeiten. Design und Atmosphäre des Lokals werden vom Essen völlig in den Schatten gestellt, so sehen die Hütten manchmal auch aus. Darf man nur Menschen empfehlen, die von der Schönheit eines perfekten Tellers so verzaubert sind, dass sie nichts anderes sehen. Meine persönliche Lieblingskategorie.

4. DAS KANNST-DU-NICHTSFALSCH-MACHEN-LOKAL.

Eine begehrte, aber rare Spezies. Kann eine gute Pizzeria sein oder eine Kneipe mit regionaler Küche, wo das Essen sehr gut, aber nicht entsprechend teuer ist, niemand durch die äußere Form des Lokals überfordert wird und der Service in der Regel so herzlich ist, dass selbst unroutinierte Auswärtsesser sich willkommen fühlen, aber auch abgebrühte Routiniers.

5. DAS JA-DA-WEISS-ICH-ETWASGANZ-SPEZIELLES-RESTAURANT.

Zielt einerseits, bei besserer Kenntnis des Fragestellers, auf dessen spezifische Vorlieben. Wenn er zum Beispiel Sushi mag, kriegt er ein lustiges Running-Sushi-Lokal, wenn er Innereien liebt, schickt man ihn in eine Kneipe, die weiß, wie man Kalbsnieren richtig zart hinbekommt. Die Kategorie, die am Schluss jedenfalls auf dich als Absender des Tipps zurückfällt, positiv oder negativ. Daher nur mit Bedacht zu wählen.

6. DAS WO-WIR-DAMALS-SCHONHINGEGANGEN-SIND-RESTAURANT.

Konserviert Erlebnisse und ruft sie zurück in Erinnerung. Wir haben damals Spaß gehabt, also werden wir auch diesmal Spaß haben. Und weißt du was: Diesmal probieren wir das Beuschel und den Wein aus Kalifornien.

Wenn Sie mich also das nächste Mal fragen, wohin Sie essen gehen sollen: Geben Sie doch bitte die Kategorie an, aus welcher Sie Ihre Empfehlung wünschen.

CHRISTIAN SEILER, Jahrgang 1961, ist ein mehrfach ausgezeichneter Autor und Kolumnist. 2019 veröffentlichte er seinen kulinarischen Bestseller „Alles Gute. Die Welt als Speisekarte“ (Echtzeit Verlag).

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VOM ZAUBER DES ZWEIGELT

IN PAMHAGEN IM SEEWINKEL, AM ÖSTLICHEN ENDE DES NEUSIEDLER SEES, LASSEN ERICH UND MICHAEL ANDERT IHRE WEINE MÖGLICHST FREI VON JEGLICHEN EINFLÜSSEN REIFEN. EINER DAVON IST DER ZWEIGELT „SÜSS“.

Zwei Brüder, eine Mission: Es war im Jahr 2003, als Erich und Michael Andert den Entschluss fassten, ihr 4,7 Hektar großes Weingut nahe der Grenze zu Ungarn auf eine biodynamische Bewirtschaftung umzustellen. Zehn Jahre später, 2013, wurden ebendort Zweigelttrauben für eine sehr spezielle „Beerenauslese“ geerntet, die simpel als Zweigelt „Süss“ firmiert. Der Wein ist nicht als Beerenauslese deklariert, weil beim Ausbau eine für die Anderts typische Herangehensweise in puncto Vinifikation gewählt wurde. Die Botrytistrauben wurden, wie sie es nennen, „ohne alles“ in drei kleinen Barriques ausgebaut. Das

letzte von diesen Fässern mit oxidativem Ausbau gibt es jetzt im Steirereck und bringt Sommelier René Antrag regelrecht ins Schwärmen: „Ein unfassbarer Wein, der – entgegen dem klassischen Stil von österreichischem Süßwein – an Madeira erinnert und mit Aromen von gebrannten Mandeln, Brioche, Nougat sowie einer ansprechenden Säurestruktur für Trinkfreude sorgt.“ Wohl bekomm’s.

2013 Zweigelt „Süss“, Andert / Pamhagen, erhältlich im Steirereck-Shop.

10 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

SAUNA À LA CARTE

DER STEIRISCHE FAMILIENBETRIEB DEISL HAT SICH AUF DIE PLANUNG UND UMSETZUNG MASSGESCHNEIDERTER SAUNA- UND WELLNESSPROJEKTE SPEZIALISIERT.

Relaxen, aber bitte mit Stil! Schließlich sollte keiner, der bei Bau und Ausstattung seines Eigenheims viel Wert auf Qualität und Individualität setzt, im Wellnessbereich auf Produkte von der Stange zurückgreifen müssen. Und da kommt die Firma Deisl ins Spiel. Das Familienunternehmen aus Liezen beschäftigt sich seit 1520 mit dem Thema Holz, seit drei Generationen mit der Herstellung von Maß-Saunen. Im Wiener Formdepot zeigt der Saunapionier auch, was hinter dem Credo „Individuellness“ steckt. Eigentümer Josef Deisl: „Wir schaffen Orte, die Menschen aus ihrem stressigen Alltag holen. Orte, an

denen sie für sich innehalten, entschleunigen und zur Ruhe kommen können. Das ist etwas sehr Persönliches. Darum ist es uns so wichtig, dass sich Design und Ausstattung der Sauna an den Bedürfnissen und dem individuellen Stil des Kunden und seinem Lebensraum orientieren.“ Auch das Thema Nachhaltigkeit wird bei Deisl großgeschrieben: Für jede gefertigte Saunakabine werden im Naturpark Sölktäler zehn Jungbäume nachgesetzt.

Kontaktinfos: Termine nach Vereinbarung unter anfrage@deisl.com

12 S MAGAZIN FUND-STÜCKE
kein hin und her. www.die3.eu eindeutig Euram Bank AG Palais Schottenring Schottenring 18 1010 Wien T: +43 1 512 38 80 0 F: +43 1 512 38 80 888 office@eurambank.com www.eurambank.com

KUNST-STÜCK

DIE SKULPTUREN DES KÜNSTLERS MARIO DALPRA ÜBERZEUGEN DURCH

EINE UNGEWÖHNLICHE FORMENSPRACHE UND STARKE RAUMPRÄSENZ. INSPIRIEREN

LÄSST SICH DER GEBÜRTIGE VORARLBERGER MITUNTER VON SEINEN REISEN NACH AUSTRALIEN, INDONESIEN UND INDIEN.

Zur Kunst kam er über Umwege. Denn eigentlich hatte Mario Dalpra, Jahrgang 1960, eine Ausbildung zum Koch gemacht, ehe er sich nach einem zweijährigen Aufenthalt in einem Wiener Jesuitenkloster für die Akademie der bildenden Künste bewarb. 1982 landete er in der Meisterklasse von Arnulf Rainer und entwickelte im Laufe der Jahre ein vielschichtiges Werk aus den Bereichen Malerei, Skulptur und Plastik, das heute unter anderem in

Italien, der Schweiz und demnächst in der Galerie Kristine Hamann in Wismar in Deutschland ausgestellt wird. Einem seiner jüngsten Werke, einer 75 Zentimeter großen Skulptur, gab er den Namen „Swallen Thoughts“ (Bronze patiniert und lackiert, Unikat, 2019).

Weitere Informationen unter dalpra.at

14 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

Menü zur Zeit

Wir bieten eine erlesene Auswahl an feinen Zeitmessern für Freunde der Uhrmacherkunst. Geschmackvolle Kompositionen und edle Zutaten zubereitet von den besten Uhren-Manufakturen der Welt. Ein Fest für Auge und Handgelenk. Als ausgewiesener Uhrenspezialist und als Familienunternehmen sind wir mit unserem Team und unseren Uhrmachern mit Leidenschaft für alle Horlogerie-Feinschmecker da - seit über 100 Jahren.

WIEN · GRABEN 28 LINZ · KLOSTERSTRASSE 2 WELS · SCHMIDTGASSE 16 01 / 533 80 65 0732 / 77 33 60 07242 / 21 17 17
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Piaget Polo S Chronograph Franck Muller Color Dreams A. Lange & Söhne Saxonia Ulysse Nardin Torpilleur

HAUT-SACHE

ZAHLREICHE EXPERIMENTE AN DER ÄUSSEREN HÜLLE SEINER KUNSTWERKE HABEN MARIO DALPRA 2016 ZU TÄTOWIERTEN SKULPTUREN GEFÜHRT.

Es ist die Doppeldeutigkeit, die ihn fasziniert. Während die einen ein Tattoo als ästhetisch empfinden, erkennen andere eine Rebellion in ihm, eine Ausgrenzung gegenüber der Norm. Für Mario Dalpra, der sich seit nunmehr vier Jahren mit dem „Versuch, die Perfektion der Oberfläche aufzubrechen“ beschäftigt, war ein längerer Aufenthalt in Australien ausschlaggebend, sich dieser Form der Kunst zu widmen. Mitunter inspiriert von der Kultur der Maori, entstehen die handbemalten Bronzen in langwierigen

Prozessen: Nach der sorgfältigen Herstellung der Oberflächen werden die Tattoos zeichnerisch aufgetragen, anschließend wird das Muster mit einem Stencil-Messer abgetragen, die freien Stellen werden mit Farbe versehen. (Green Movement, Bronze lackiert und handbemalt, 40x25x20, Unikat, 2019).

Weitere Informationen unter dalpra.at

16 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

MEISTERWERKE IN ÖL

Zur gleichen Zeit, als Wassily Kandinsky am Bauhaus in Weimar über „ Punkt und Linie zu Fläche“ philosophierte, begannen wir in Pöllau mit Entschiedenheit und Sorgfalt feinste Öle zu pressen.

Heute hängen Kandinskys Meisterwerke in den bedeutendsten Sammlungen der Welt, während unsere Öle an den besten Adressen köstliche kulinarische Verbindungen eingehen. Sammeln lassen sich unsere mehr als 40 herausragend guten Ölsorten natürlich auch.

Ö LMÜH L E F AND L ER | PÖLLAU | WW W F A NDL ER.AT
WASSILY KANDINSKY | WEISSES OVAL

SCHÜRZE MIT WÜRZE

SICH EINMAL WIE EIN SPITZENKOCH FÜHLEN?

GEHT! AM EINFACHSTEN MIT DER PASSENDEN BEKLEIDUNG.

Was nützen einem die besten Zutaten, die tollsten Arbeitsutensilien oder die feinste Adresse, wenn es überall zwackt und zwickt? Eben. Im Steirereck wird deshalb mindestens genauso viel Wert auf bestmögliche Bekleidung gelegt, um das Wohlgefühl der MitarbeiterInnen zu sichern. Eines der wichtigsten Tools – sowohl in der Küche als auch im Service – ist dabei die Schürze. Neben den optischen Aspekten (die Steirereck-Schürze ist in elegantem Braun mit

blauem Druck gehalten) stehen die Qualität und Strapazierfähigkeit im Vordergrund. „Schließlich muss eine Schürze ja auch viel aushalten“, sagt Steirereck-Chefin Birgit Reitbauer. Die Schürzen sind zu hundert Prozent aus Baumwolle und bei 90 Grad waschbar, so haben auch hartnäckige (Fett-)Flecken am Ende doch keine Chance.

Erhältlich im Steirereck-Shop.

18 S MAGAZIN FUND-STÜCKE
BIG BANG ONE CLICK Gehäuse aus 18K King Gold, besetzt mit Diamanten. Automatikwerk. Auswechselbares Armband mit patentiertem One-Click-System.

SÜNDHAFT GUT

VON WEGEN GEFÄHRLICH, DIE VOGELBEERE … WENN MAN SIE NUR RICHTIG BEHANDELT, KANN SIE EIN GERADEZU IDEALER BEGLEITER SEIN.

Was wurde – und wird – über die Vogelbeere nicht alles verbreitet: Hochgiftig sei sie, ungenießbar. Vogelfutter, im besten Fall. Dabei hat die Vogelbeere, auch Eberesche genannt, eine nicht enden wollende Liste an Vorzügen, so man diese nur hervorzuheben vermag. Denn die rote Frucht ist im Rohzustand zwar bitter und nicht wirklich köstlich, verwandelt sich durch Erhitzen (dabei wird die bittere Parasorbinsäure in Sorbinsäure umgewandelt) jedoch in eine wahre Köstlichkeit, reich an Vitamin C und

Provitamin A. Im Steirereck wird die geputzte Vogelbeere, die von Juli bis Ende Oktober geerntet wird, mit Läuterzucker, Ingwer, Zitronenabrieb und 40-prozentigem Vogelbeerbrand übergossen und anschließend bei 100 Grad gesteamt. Und so zum perfekten Gefährten für Wild, Geflügel, Innereien, Käse oder Süßspeisen.

Eingelegte Vogelbeeren im 156-ml-Glas, erhältlich im Steirereck-Shop.

20 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

GARTEN IM GLAS

AM RANDE DER HAUPTSTADT, IM 22. WIENER GEMEINDEBEZIRK, PFLEGEN EVELINE UND MARIO BACH EIN GARTEN-PARADIES DER BESONDEREN ART. EIN STÜCK DAVON GIBT ES AUCH FÜR ZU HAUSE.

Lassen wir die Zahlen sprechen: Seit nunmehr 122 Jahren gibt es die Gärtnerei Bach in Hirschstetten, geführt wird sie in vierter Generation vom namensgleichen Ehepaar Eveline und Mario. Genauso wie die Leidenschaft ist auch das Sortiment mit der Zeit gewachsen: Mehr als 60 verschiedene Paradeiser- und rund 60 Chilisorten gedeihen auf der gut sechs Hektar großen Anbaufläche, dazu circa 200 Kräuterraritäten. Der Anbau erfolgt auf traditionelle Art in Erde, das fördert einerseits die Robustheit, andererseits

den Geschmack. Von Letzterem kann man sich auch beim Genuss des sogenannten Bach-Salats überzeugen, den es auch im Steirereck-Shop gibt. Die Auswahl variiert von Woche zu Woche und wird – je nach Saison – aus rund vierzig unterschiedlichen Produkten zusammengestellt: vom Ampfer bis zur wilden Rauke, von der Kapuzinerkresse bis zum Portulak.

950-ml-Glas für 1–2 Personen, erhältlich im Steirereck-Shop.

22 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

Das Wasser zum Essen.

nachhaltig #jungbleiben

FÜR IMMER UND EWIG

GEHEIMNISVOLL, EDEL UND HEISS BEGEHRT: DER DIAMANT GILT WELTWEIT ALS DER SCHÖNSTE EDELSTEIN. DER WIENER JUWELIER WAGNER HAT IHN

DESHALB ZUM HAUPTDARSTELLER SEINER „COLLECTION SOLITAIRE“ GEMACHT.

Es ist eine Beziehung, die inzwischen schon mehr als 100 Jahre hält: der Wiener Juwelier Wagner (gegründet 1917) und die „Collection Solitaire“. So unvergänglich wie der Diamant an sich ist auch die Liebe zu dieser einzigartigen Kollektion, die man im Laufe der Zeit immer wieder neu erfand und die sich heute in verschiedenen Varianten präsentiert. Die Kollektion umfasst neben Ohrringen und Halsketten natürlich auch die berühmten Ringe. Ein ganz besonderer ist jener aus der Collection Solitaire № 14:

Durch die Krappenfassung kann der Diamant das Licht optimal reflektieren und setzt sich somit perfekt in Szene. Neben dem Hauptstein funkeln an beiden Seiten sieben weitere kleinere Diamanten, die diesen Ring – seit 1990 signiert mit dem blauen Wagner-Saphir – zu einem besonderen Juwel machen.

18 Kt Weißgold, 1,71 ct Diamanten, erhältlich bei Juwelier Wagner, 1010 Wien.

24 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

KNACKIGE FRÜCHTCHEN

DIE KLEINEN, UNREIFEN RINGLOTTEN SIND QUASI GEMACHT FÜRS EINLEGEN UND EINSALZEN. ERST DADURCH ENTWICKELN SIE IHREN VOLLEN GESCHMACK.

Sommer, Sonne, Sonnenbad! Was für uns gilt, tut es auch für die Ringlotte, nur dass die kleine, säuerlich-knackige Frucht das ihre an einem ganz besonderen Ort genießt – nämlich auf dem Dach des Steirereck. Nach der Ernte werden die aus Niederösterreich kommenden Früchte mit Salz abgemischt, vakuumiert und möglichst flach aufgelegt, um das Maximum an Sonnenstrahlen abzubekommen. Je nach Witterung können sie ebendort zwischen fünf Tagen und drei Wochen im Freien reifen, um dann weiterverarbeitet zu werden. So entwickeln die

Ringlotten einen intensiv-aromatischen Geschmack, der sich in weiterer Folge perfekt für die Herstellung von Würzpasten, zum Konservieren von Kräutern und Blüten sowie zur Herstellung ebenjener Marinade eignet, die – angereichert mit Rindsuppe, weißem Balsamessig und Traubenkern-Knoblauchöl – jedem Salat das gewisse Etwas verleiht.

Fruchtig-salzige Marinade aus der Steirereck-Speis, 100 ml für 2 Personen, erhältlich im Steirereck-Shop.

26 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

SEELENWÄRMER

KEIN GERICHT VERFÜGT ÜBER DERMASSEN VIELE VARIANTEN WIE DAS GULASCH. GRUND GENUG FÜR DAS STEIRERECK, EINE GANZ BESONDERE IM GLAS ABZUFÜLLEN.

Ursprünglich als einfache Suppe mit Fleisch und Zwiebeln erfunden, machte das heutige Gulasch im Laufe der Jahrhunderte eine beachtliche Verwandlung durch. Mit der Einführung des Paprikas in Ungarn, der den damals teuren Pfeffer ersetzte, war der erste Schritt getan, und auch in puncto Fleischauswahl zeigte man sich stets flexibel. Der Wiener griff erst auf den zarten Rindslungenbraten zurück, ehe sich der billigere und besser bindende Wadschunken durchsetzte. Eine ganz besondereVariante des

Gulaschs hievt nun Heinz Reitbauer ins Glas – das legendäre Gulasch des Steirereck. Dabei wird der Wadschunken durch die weniger grobfasrigen Rindsbackerln ersetzt, was dem Geschmackserlebnis durchaus zuträglich ist. Für den ultimativen Touch sorgt neben Paprikapulver frisches Spitzpaprikamark.

550-g-Glas für 1–2 Personen, erhältlich im Steirereck-Shop.

28 S MAGAZIN FUND-STÜCKE

Frühling. Zeit des Erwachens, neues Leben erblüht. Im Stall meckert das Ziegenkitz, auf dem Feld sprießt der Rhabarber und schießt bis zu zwei Meter in für ihn luftige Höh’. Da hat er quasi den Überblick, und auch wir blicken vergnügt in die Welt. Die Hühner laufen und gackern wieder im Freien herum und legen uns das Ei, das dann am Morgen schmeckt. Eine wahrlich gute Zeit ist das, und dann, dann kommt der Sommer. Und auch auf den freuen wir uns.

Wer &  warum

S.

S.

32 BOCK AUF ZIEGE
60 DIE HÜBSCHE STANGE VOM FELD S. 66 VON SINNEN S. 40 DER HERR DER KLINGE S. 50 DAS HUHN STEHT AM BEGINN
31 S MAGAZIN MENSCH & TIER
1

TEXT: JOHANNES STÜHLINGER

FOTOS: PHILIPP HORAK

BOCK AUF ZIEGE

32 S MAGAZIN STALL-GESCHICHTEN

IMMER WENN DIE WARME JAHRESZEIT

INS LAND ZIEHT, IST IM STALL VON EVELINE UND JOSEF HÖLLERER DIE HÖLLE

LOS: VIELE ZIEGENKITZLEIN KOMMEN

AUF DIE WELT. UND DAMIT WIRD OFFEN -

SICHTLICH, DASS DIE BEIDEN BIOBAUERN

MEHR RICHTIG MACHEN, ALS IHNEN

VIELE ZUGETRAUT HABEN.

33

01–02 „Carlos gilt als der sanfteste Liebhaber am Hof“, sagt Biobäuerin Eveline Höllerer, während sie diese Mutterziege bei der Geburt von Drillingen tatkräftig unterstützt.

Obwohl der Mond noch milchig über dem Stall schimmert, ist Bärli schon voll bei der Sache. Aufmüpfig hüpft sie von einem Huf auf den anderen, steckt die feuchte Schnauze in jeden Heuhaufen, der ihr nicht ganz geheuer ist. „Sie ist die neugierigste Ziege von allen“, sagt Eveline Höllerer, schmunzelt und deutet mit ihrem Blick auf eine besonders geschützte Ecke im großräumigen Stall. Dort, im Halbschatten des aufkommenden Tages und von den anderen 90 Ziegen nahezu unbemerkt, bahnt sich bei einer anderen Ziege offensichtlich Großes an …

Aber drehen wir die Zeit ein paar Monate zurück. Zu den vergangenen Heldentaten von Carlos, dem vielleicht weltbesten Ziegenliebhaber zwischen Texas und Rastenfeld im Waldviertel, wo der Bioziegenhof der Höllerers steht. Gemeinsam mit seinem noch wesentlich jüngeren Bock-Kumpel David hat er Ende des vergangenen Jahres ganze Arbeit geleistet: Gut 60 Muttertiere sind seither mit Zwillingen oder gar Drillingen trächtig und stehen nun – kurz bevor der Sommer richtig heiß wird – vor ihrer Niederkunft. „Jetzt kommen dann eben alle Ziegenbabys fast gleichzeitig auf die Welt“, sagt die Biobäuerin mit einer Stimme, die gleichermaßen Vorfreude, Sorge und Anstrengung verrät. Jedenfalls sieht es so aus, als würde der Geburtenreigen ausgerechnet heute seinen Anfang nehmen, wo wir als Zaungäste zu Besuch sein dürfen.

Fest steht offenbar: Für die Bauernfamilie bricht an diesem Tag die besondere Zeit des Jahres an. In den kommenden zwei Wochen entscheidet sich das Glück der nächsten Monate. Denn die Rechnung der Biobauern geht so: Je gesünder ein Muttertier die Geburt übersteht, umso eher wird es bald wieder gute Milch geben. Und weiter: Je gesünder eine Jungziege das Licht der Welt erblickt, umso eher wird sie in den Reigen der hofeigenen Milchziegen aufgenommen. Um Milch zu geben. Oder aber, umso besser wird ihr gesundes und zartes Fleisch in wenigen Wochen all jenen schmecken, die auf nachhaltiges Biofleisch besonders großen Wert legen.

Denn ein Umstand ist nun mal naturgegeben –„und das bedenken die Menschen oft nicht“, sagt Josef Höllerer, „dass es nur dann feine Ziegenmilch geben kann, wenn auch Jungtiere geboren werden.“ Zumal eine Ziege erst dann Milch gibt, wenn sie schon einmal trächtig war. Und das bedeutet weitergedacht, dass es überall dort, wo es Milch gibt, auch Fleisch geben muss. Aber dazu später – jetzt reden wir erst einmal über das Hauptbusiness am Höllererhof: die Milchproduktion. Schließlich verkauft man hier nicht nur Milch an Molkereien, sondern stellt vor allem aus der hochwertigen Heuziegenmilch besonders feinen Ziegenkäse her. Der wird auf den Bauernmärkten der Region verkauft. Und findet längst reißend Absatz. Doch bis der Ruf des Höllerer’schen Hofkäses dermaßen gereift war, mussten Eveline und Josef Höllerer einige Umwege gehen …

„Es kann nur feine Ziegenmilch geben, wenn Jungtiere geboren werden.“
34 S MAGAZIN STALL-GESCHICHTEN
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36 S MAGAZIN STALL-GESCHICHTEN

03–04 Während die Ziegenmutter ihr Zweitgeborenes liebevoll beschnuppert, ist schon das dritte Kitz auf dem Weg Richtung Licht der Welt. Das macht Bauer Josef Höllerer glücklich.

Alles begann vor ziemlich genau 20 Jahren, als Josef den Hof von seinen Eltern überschrieben bekam. Damals war weder von Ziegen noch von Bio die Rede. Stattdessen standen acht Milchkühe und eine Handvoll Masttiere im Stall und sorgten dafür, dass man eher schlecht als recht über die Runden kam. Also ging Josef nebenbei seinem erlernten Beruf als KFZ-Mechaniker nach. Bis der junge Mann 2006 plötzlich die ob des in ihrer Welt omnipräsenten Chauvinismus etwas orientierungslose Installateurin Eveline kennenlernte. Auf einmal wurde für beide alles anders. Gemeinsam erwuchsen Träume. Und aus den Träumen entstanden eines Tages Ideen: „Wir erkannten, dass mit den 15 Hektar Grund und Boden, die wir bewirtschaften konnten, zwar keine Bio-Rinderzucht möglich war, ein Betrieb mit ungefähr 100 Ziegen aber schon“, erinnern sie sich. Denn beiden war klar geworden: wenn schon Bauern, dann Biobauern. Und wenn schon Biobauern, dann echte. Das heißt halt auch, dass das gesamte Futter für die Tiere auf den hofeigenen Feldern gedeihen sollte.

Als Zünglein an der Waage entpuppte sich schlussendlich die Frage, was man denn mit den vielen Kitzlein anfangen sollte, die aus der Logik der natürlichen Milchproduktion heraus eben entstehen mussten. Schließlich würde sonst der eigens neu und richtig modern gebaute Ziegenstall rasch aus allen Nähten platzen und die 100-Tier-Grenze zwangsläufig im Nu überschritten. Doch das Paar – damals noch blutjunge 20 beziehungsweise 30 Jahre alt – vertraute darauf, Käufer für ihr Kitzfleisch zu finden. „Uns war klar: Die Tiere dürfen niemals Angst haben und müssen bei uns am Hof so unkompliziert wie möglich geschlachtet und verarbeitet werden“, erinnert sich Josef Höllerer. Schließlich wollte man von Beginn an neben exklusiven Küchen auch kritisch denkende Flexitarier als Kunden gewinnen.

Gesagt, getan, packten der Mechaniker und die Installateurin zusammen kräftig an – und bauten flugs ihren eigenen Schlachtraum – inklusive aller EU-Zertifikate versteht sich. So war es ihnen jedenfalls von Anfang an möglich, ihren Tieren das zu bieten, wovon sie stets redeten: „Schön leben und schön sterben“, wie man ihr Hofmotto zusammenfassen kann. Ein Motto, das man freilich auch schmeckt. Sonst würde das zarte Kitzfleisch nicht auf den Tellern (mit)denkender Fleischkonsumenten oder hochwertiger Küchen wie jener des Steirereck landen. Und als Basis kulinarischer Hochgenüsse dienen.

Doch heute ist nicht Zeit zu sterben. Heute ist Zeit für Leben. „Geh, Josef, bring mir die Handschuhe und nimm das lästige Bärli weg“, ruft Eveline jetzt mit aufgeregter Stimme. Noch bevor die junge Bäuerin die armlangen Handschuhe überzieht, ist auch jedem völlig Ahnungslosen klar: Hier geht’s nun zur Sache! Ein kurzes Meckern. Das Muttertier in der dunklen Ecke atmet ein. Und aus. Und ein. Schnaubt. Schon sieht man einen kleinen Huf in die Welt ragen. Da, noch einer. Während Eveline der werdenden Mutterziege gut zuredet und ihren Bauch sanft streichelt, ist Zufriedenheit in Josefs Gesicht geschrieben.

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05–06 Knapp 100 Ziegen liefern täglich feinste Ziegenmilch. Aus dieser machen die Höllerers Käse, den sie auf den umliegenden Märkten verkaufen.

Seine Frau und er haben auch allerhand Grund, mit sich selbst und ihrer kleinen, aber richtig feinen Bauernwelt zufrieden zu sein. Schließlich ist es ihnen nicht nur gelungen, allen Unkenrufen zum Trotz einen Bioziegenhof erfolgreich zu bewirtschaften. Vielmehr konnten sie sich sogar von den Fesseln des offiziellen Zuchtverbands befreien. Denn diese seien für Bauern genauso beklemmend wie für Tiere zu enge Ställe, meint das Bauernpaar. Das heißt im Klartext: Der Zuchtverband sieht es als seine Aufgabe, Tiere schlicht nach deren Lebensleistung zu bewerten. Das klingt jetzt nicht nur sehr technisch, es wird auch so gelebt. Das Tier wird somit ausschließlich nach der sogenannten Milchleistung beurteilt. Doch während dank immer größerer Ziegeneuter die Milchproduktion nach oben geschraubt würde, ginge es mit der Gesundheit der Tiere rasant bergab, sind die Höllerers sicher.

Zum Vergleich: Auf ihrem Hof liefert eine Ziege ungefähr 900 Liter Biomilch pro Jahr. Doch der Zuchtverband fordert eigentlich die doppelte Menge! Außerdem dürften auf dem Bioziegenhof bloß Tiere mit der Rassebezeichnung Saanenziege leben. Reinrassig, das wird großgeschrieben. Doch die Höllerers wollen lieber Tiere, die gute Milch geben und außerdem gesunde Babyziegen auf die Welt bringen. Allerdings kommt es gerade bei immer intensiver aufs Milchgeben gezüchteten Ziegen häufiger zu schlimmeren Komplikationen während der Trächtigkeit. Das hat die Hof-Expertise der Höllerers ergeben: „Deshalb möchten wir nun mit anderen Arten kreuzen, um besonders gesunde Ziegen zu züchten.“ Das Beste aus beiden Welten, möchte man fast sagen.

„Frisches Heu, schnell!“ Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Und schon hält Eveline ein klitschnasses, verschmiertes und felliges Klappergestell in Händen. Sofort legt sie es der Ziegenmama vor die Nase, die sogleich anfängt, das Neugeborene abzulecken. „Das ist wichtig, um die Mutterinstinkte zu stärken und schlussendlich den Saugtrieb beim Jungtier zu wecken“, erläutert Ziegen-Hebamme Eveline. Während die Ziegenmama noch Tochter eins mit ihrer Zunge bearbeitet, flutscht bereits Nummer zwei, dicht gefolgt von Nummer drei, Richtung Licht und Welt. So, als wäre es das Normalste der Welt. Was es aber eben auch ist.

Und weil die Erstgeborenen immer besonders sind, bekommt dieses nun, genauso wie das neugierige Bärli seinerzeit auch, einen Namen: Sabine; ja, nach dem vorherrschenden Sturmtief. Määähhhää, kommt’s aus der Miniziege. Mähähähäh. Dabei hat Sabine echt nichts zu meckern – schließlich ist sie eine der wenigen Auserwählten, die nicht unter Josefs Messer landen. Sondern bestens gefüttert im warmen Stall und auf der saftigen Weide ihr Leben genießen darf. Um uns mit feinster Heumilch und herrlichem Ziegenkäse zu versorgen.

„Hier geht es für die Ziegen nicht nur um Milchleistung in Litern pro Tag. Hier geht es auch ums Glücklichsein.“
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DER HERR DER KLINGE

TEXT: TOBIAS MÜLLER

FOTOS: MIRCO TALIERCIO

WENN FLORIAN STOCKINGER MIT SEINER ARBEIT FERTIG IST, DANN IST AUS STAHL, HITZE UND KRAFT EINE FEINE KLINGE FÜR FILIGRANE SCHNITTE GEWORDEN.

DIE GESCHICHTE EINER ERSTAUNLICHEN VERWANDLUNG, VON VIEL SCHWEISS, JAPANISCHEN TRADITIONEN UND DEN HÄRTESTEN HÖLZERN DER WELT.

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01 Auch in modernen Schmieden lodert noch das Feuer: Auf 1200 Grad erhitzt Stockinger seinen Stahl, bevor er gehämmert werden kann. 42 S MAGAZIN SCHARF-MACHER

Die Welt des Messerschmieds ist eine Welt der Extreme. Auf der einen Seite, der großen, groben, steht die Metallpresse: ein gut vier Meter hohes Ungetüm aus Eisen, mattgrün lackiert, ölverschmiert, mit wagenradgroßen Drehscheiben und oberschenkeldicken Hydraulik-Stangen, zusammengehalten von Schrauben mit Köpfen groß wie eine Faust. 250 Tonnen Druck bringt sie zusammen, in etwa so viel wie 40 afrikanische Elefantenmännchen wiegen und gute 50 Tonnen mehr als der schwerste Blauwal.

Auf der anderen Seite, der kleinen, feinen, steht die Messerschneide. Bei einem gut geschliffenen Damastmesser ist sie ein Tausendstel eines Millimeters schmal, 800-mal dünner als ein Büroklammerndraht, 50-mal dünner als ein menschliches Haar und zehnmal feiner als Feinstaub. Klingt nach sehr wenig und darf keinesfalls dicker sein: Ein Tausendstel eines Millimeters gilt als rasiermesserscharf. Mit vier Tausendstel kann man nur mehr Butter schneiden.

Dazwischen steht der Messerschmied. Seine Aufgabe ist es, diese beiden Welten nicht nur zusammenzubringen, sondern die eine mit und aus der anderen zu schöpfen: Er verwandelt rohe Gewalt, harten Stahl und Glut in feine Klingen. Es gibt wenige Berufe, die ein so schönes Sinnbild für menschliche Kultur abgeben und für die bemerkenswerte Meisterung der Elemente.

Aller symbolischen Attraktivität zum Trotz sind Messerschmiede selten geworden. Fünf bis acht, schätzt Florian Stockinger, gibt es noch in Österreich, und solche wie ihn, die sich auf Kochmesser

spezialisiert haben, gibt es nur noch zwei. Stockinger ist 28 Jahre jung, mittelgroß, braune Haare, mit freundlichem Gesicht, breitem Lächeln und ebensolchem Kinn. Zwar kann man seine Statur schon als kräftig beschreiben, dank ein wenig moderner Technik muss er aber kein solcher Muskelprotz mehr sein wie jene Schmiede, die in Mittelalterfilmen auf Schwerter dreschen.

In seiner Schmiede in Ernstbrunn im Weinviertel stehen außer der oben genannten Presse drei motorbetriebene Schmiedehämmer, große, gußeiserne Maschinen, die bedeckt sind von feinen Metallspänen

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02 Der Eingang zu Stockingers Schmiede in Ernstbrunn in Niederösterreich.
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03 Die meisten von Stockingers Messerformen sind von Japan inspiriert, jenem Land, das die Schmiedekunst auf die Spitze getrieben hat.
04 Wo geschmiedet wird, da sprühen Funken: Stockinger schneidet seinen selbst cuvéetierten Stahl zurecht. 45

wie von einer Schicht aus frisch gefallenem pechschwarzen Schnee. Die Feuerstelle mit ihrem glühenden Kohlehaufen und der alte Amboss (ganz wie man sich das vorstellt, steht er auf einem alten Baumstamm) verraten dann auch dem Laien, was hier gemacht wird: Stockinger stellt hier etwa 200 Messer pro Jahr her – für ein Messer aus Damaszenerstahl, seiner Spezialität, braucht er ungefähr einen Arbeitstag.

Der Prozess läuft immer ähnlich ab: Zunächst werden verschiedene Stähle mit verschiedenen Eigenschaften zusammengeschweißt. Manche sind weicher und damit mehr elastischer, andere sehr hart und damit ideal, um später möglichst scharf geschliffen zu werden – so soll am Ende das perfekte Material entstehen. Das System entspricht in etwa dem Cuvéetieren beim Wein. Diese Stahlmischung wird dann erhitzt, flach geklopft, gefaltet und wieder

geklopft, bis sie etwa 500 Schichten hat – ganz ähnlich, wie Bäcker das mit ihrem Blätterteig machen. Das sorgt dafür, dass sich die verschiedenen Stähle mischen und zu einem harmonischen Ganzen werden.

Stockinger bei der Arbeit zuzuschauen, fühlt sich ein wenig an wie eine Zeitreise aus dem Mittelalter in die Zukunft: Die Feuerstelle mit ihrem Kohlehaufen sieht noch ziemlich so aus wie vor 1000 Jahren. Der Schmied steckt den Stahl, an einer langen Metallstange festgeschweißt, in die Glut und bläst Luft in die Kohlen, bis es in deren Mitte etwa 2000 Grad hat. Nach etwa 20 Minuten beginnt der Metallklotz

zu leuchten, erst schwach violett, dann dunkelrot und schließlich gleißend gelb. Stockinger schätzt die Temperatur des Metalls nach seiner Farbe: „Wir wollen auf hellgelb“, sagt er. Dann hat es etwa 1200 Grad – und ist bereit zum Schmieden.

Stotternd springt der motorbetriebene Hammer an und beginnt zu stampfen, erst langsam, dann immer schneller, bis er schnauft wie eine Dampflock –auf Hochtouren schafft er drei Schläge pro Sekunde. Stockinger legt das glühende Metall unter den schlagenden Hammer, er dreht und wendet es und springt von links nach rechts, um es von allen Sei -

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05 Stockingers Messer sind von der Spitze bis zum Schaft aus einem Stück gefertigt.
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06 Bevor das Messer einen Griff bekommt, wird die Klinge –nicht zu sehen, aber auf der Stange eingespannt – noch ordentlich poliert.

ten zu bearbeiten. Der Schweiß rinnt ihm dabei in Strömen übers Gesicht, an guten Tagen trinkt er während der Arbeit leicht fünf Liter Wasser.

Es ist faszinierend zu sehen, wie sich der Klotz auf einmal vom Hammer wie Knetmasse formen lässt. Jedes Mal, wenn der Hammer das Metall trifft, leuchtet es auf und kleine Flammen züngeln wie auf NASA-Aufnahmen eines Sonnensturms. Nach einigen Minuten ist aus dem Klotz eine hauchdünne, armlange, rot leuchtende Klinge geworden, die aussieht wie das Laserschwert eines Jediritters. Die letzten Schläge für die perfekte Form führt Stockinger nun händisch auf dem Amboss aus. Einmal ausgekühlt, wird der fertige Rohling auf drei verschiedenen Schleifmaschinen zur Klinge geschliffen.

Weil dieser ganze Prozess sehr aufwendig ist, sind Damastmesser teuer – Stockinger verlangt für seine von 1000 Euro aufwärts. Günstiger sind sogenannte Drei-Lagen-Stahl-Messer: Dafür wird eine Lage harten Stahls mit je einer Lage weichen Stahls ummantelt. Die Schnittfläche dieser Messer besteht dann nur aus einer einzigen Art Stahl, nicht aus vielen verschiedenen, und sieht weniger spektakulär aus. Auch die stellt Stockinger in Handarbeit in der Schmiede her – für vergleichsweise günstige 400 Euro pro Stück.

Was das Ergebnis von Industriemessern unterscheidet? „Der Industrie geht es vor allem darum, dass die Messer pflegeleicht sind“, sagt Stockinger. „Mir geht es darum, für jeden das perfekte Messer zu machen.“ Der Stahl für seine Messer ist von ihm persönlich ausgesucht und zusammengestellt – drei Jahre hat er nach der idealen Mischung aus Schärfe, Elastizität und Haltbarkeit gesucht. Sie sind von der Klingenspitze bis zum Schaft aus einem Stück geschmiedet; und sie sind härter als Industriemesser und können daher schärfer geschliffen werden. Um diese Schärfe zu erhalten, braucht es aber Pflege: Stockinger empfiehlt, die Klingen regelmäßig mit einem Lederriemen abzuziehen.

Das Damast-Machen hat Stockinger von einem seiner Lehrer während seiner Maschinenbau-Ausbildung gelernt. Einen Gutteil des restlichen Handwerks hat er sich über viele Jahre selbst beigebracht. Seine Leidenschaft begann als Teenager mit Campingmessern und mit der Frage, warum sie immer so verdammt stumpf waren. Es folgten viele Bücher, Youtube-Videos und Selbstversuche. Seine ersten Auftragsmesser fertigte er für befreundete Jäger. Als die Aufträge zahlreicher und die alte Eisengießerei im Ort frei wurde, schlug er zu und sperrte seine eigene Schmiede auf. Der Name – Lilienstahl – und das Logo leiten sich von einem alten Familienwappen ab.

Stockingers Messerformen sind inspiriert von jener Kultur, die die Kunst des Messerschmiedens wohl auf den Gipfel getrieben hat: Japan. Er schmiedet Sujihikis, lange Klingen mit leicht konvexer Form wie ein Säbel, die besonders gut geeignet sind, um Fisch zu filetieren oder die Silberhaut von einem Rehschlögel zu lösen. Oder Santokus, etwas kürzere, breitere Messer, die eher zum Hacken taugen. Gleichzeitig versucht er, das Beste aus der europäischen Tradition miteinfließen zu lassen: Die Form der Griffe, die er ebenfalls selbst macht, ist europäisch geprägt, genauso wie die Art, wie die Klingen am Griff befestigt sind.

Wer all diese Feinheiten zu schätzen wissen will, muss mitunter ganz genau hinsehen. Das perfekte Beispiel dafür ist das Gyuto 210, jenes Messer, mit dem Heinz Reitbauer arbeitet, der Patron und Chefkoch des Steirereck. Schon die Form ist eine Art Crossover: Sie wurde zwar in Japan entwickelt, war aber von europäischen Allrounder-Kochmessern inspiriert. Das spiegelt sich auch im Namen wider. Übersetzt heißt es in etwa „Rinderschwert“ – das Rind wurde in Japan traditionell nicht gegessen.

Stockingers Messerformen sind inspiriert von jener Kultur, die die Kunst des Messerschmiedens wohl auf den Gipfel getrieben hat: Japan.
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Anders als viele europäische Messer hat es am Ende der Klinge, unmittelbar vor dem Griff, keinen Schaft, der das Schärfen erschweren würde. Dafür ist die Klinge nicht, wie bei japanischen Messern üblich, am Ende flach und dünn und einfach in den Griff gesteckt, sondern verdickt sich vor dem Handteil nochmals – das verhindert, dass mit der Zeit Speisereste in die Zwischenräume gelangen können.

Der Griff von Reitbauers Gyuto ist aus PadoukHolz, einem afrikanischen, besonders halt- und belastbaren Holz. Daneben verwendet Stockinger etwa österreichische Mooreiche, Holz, das 2000 Jahre im

Moor gelegen und daher äußerst resistent gegen so ziemlich alles ist, oder das sogenannte „Ringed Gidgee“ aus Australien. Es stammt von Bäumen, die in der westaustralischen Wüste wachsen und deren totes Holz vor der Verwendung mehrere Jahrzehnte im Wüstensand reifen darf. Es gilt als eines der härtesten Hölzer der Welt. Perfekt für eine Welt der Extreme eben.

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07 Die letzten Handgriffe – der finale Schliff und das Anbringen des Griffs – erfolgen in der Werkstatt neben der Schmiede.
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Zwar isst jeder von uns im Schnitt fast jeden Tag ein Ei, doch vom braven Huhn, das die Delikatesse liefert, wissen wir kaum etwas. Früher war es eine Selbstverständlichkeit im Garten, heute ist es aus dem Alltag verschwunden. Das Ei ist beliebter denn je, doch die Delikatesse muss nicht immer von Hühnern stammen.

KUNSTVOLL

Farbe und Beschaffenheit der Schale von Vogeleiern sichern das Gelege vor Fressfeinden und Klimaeinflüssen. Die Farbe variiert von Weiß bis Schokobraun, von Grün bis gesprenkelt. Selbst kohlrabenschwarze Eier kommen im Vogelreich vor. Die Eierschale muss einerseits für das Gedeihen des Nachwuchses einmal mehr, einmal weniger lichtdurchlässig sein, andererseits muss sie vor Überhitzung oder dem Auskühlen schützen, je nachdem, wo sich das Nest befindet.

Das Huhn steht am Beginn

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FOTOS: KLAUS FRITSCH
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Zuerst eine Frage an Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser: Wer von Ihnen beherrscht noch die in modernen Zeiten weitgehend untergegangene Kunst des Hühnerhypnotisierens? Wer kann ein Huhn so verzaubern, dass es bis zu einer halben Minute reglos auf dem Rücken liegt? Wenn Sie jetzt wissen, wovon die Rede ist, sind Sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Land aufgewachsen. Denn wie und wo begegnet der Mensch in der Stadt schon einem lebendigen Huhn, an dem man üben könnte? Das Hühnerhypnotisieren ist tatsächlich eine einfache Übung, doch es gibt eine beträchtliche Schwierigkeit dabei: Es setzt das Einfangen des Huhnes voraus, und das ist die bei weitem anspruchsvollere Kunst. Auch wird man, sobald man des Vogels habhaft ist, erstaunt sein, welche Kräfte in einem ausgewachsenen Hendl stecken und wie wehrhaft es mit Schwingen, Krallen und Schnabel sein kann.

Doch abgesehen davon funktioniert die Hühnerhypnose folgendermaßen: Die Flügel gut gesichert und im Griff, dreht man das Tier sanft auf den Rücken, hält es mit einer Hand fest und vollführt mit der anderen Handfläche langsam kreisende Bewegungen über dem Hühnerkopf. Weiterkreisen, nach einer Weile das Huhn vorsichtig auslassen – und voila, da liegt es, bis es nach einem Weilchen aus seiner Betäubung erwacht, aufhüpft, das Gefieder beutelt und sich gackernd und sogleich wieder nach Futter pickend auf den Weg macht, als ob nichts gewesen wäre. Funktioniert übrigens auch mit Ihrem Wellensittich oder Kanarienvogel.

Diese Geschichte steht am Beginn, um zu verdeutlichen, dass wir, die wir so gerne Hühnereier essen, kaum noch Kontakt haben zu dem wunderbaren Tier, das sie liefert und an das wir uns in einer kommerzialisierten, arbeitsteiligen und synthetisch gewordenen Welt kaum Gedanken machen. 240 Eier isst jeder Österreicher, jede Österreicherin im Schnitt pro Jahr. Trotzdem ist das Huhn selbst aus dem Alltag so gut wie verschwunden. Dabei steht es geradezu exemplarisch für ein domestiziertes Tier, das die Menschheit über Jahrtausende begleitete. Auch für die meisten Menschen, die weder Schweine noch Kühe hielten, waren zumindest ein paar Hendln die längste Zeit eine völlige Selbstverständlichkeit im Garten.

Doch auch auf dem sogenannten Land ist der Anblick des freilaufenden Huhns zur Seltenheit geworden. Dabei war noch unsere Großelterngeneration mit dem Huhn sozusagen auf Du und Du. Sie wusste beispielsweise, dass das Huhn nicht vom Getreidekorn allein satt wird, sondern auf der steten Suche nach proteinhaltiger Nahrung durch den Garten schreitet. Der berühmte Wurm ist eine davon, gesetzt den Fall, das Hendl befindet sich in der privilegierten Situation, sein Dasein unter freiem Himmel und auf der Wiese verbringen zu dürfen. Wer fast jeden Tag ein Ei legt, muss mächtig viel fressen, idealerweise nur vom Besten, denn die Qualität des Eis

FARBENFROH

Unterschiedliche Hühnerrassen liefern unterschiedliche Eierfarben. So legt beispielsweise das im 19. Jahrhundert in Frankreich gezüchtete Maran, ein kompaktes, schweres, meist schwarzkupferfarbenes Huhn, vor allem in seinen Jugendtagen schokobraune Eier. Mit fortschreitendem Hühneralter werden die Eier zwar etwas blasser, doch die für die Rasse charakteristische, auffällig dicke Schale bleibt, und das macht diese Eier besonders lang haltbar.

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steht und fällt mit dem Futter. Das klassische Hühnerei ist fünf bis sechs Zentimeter lang und wiegt bis zu 75 Gramm. In seinem Inneren befindet sich bekanntlich der vom Eiklar umhüllte Dotter, all das geschützt von einer hauptsächlich aus Kalk gebildeten Schale, die etwa einen halben Millimeter dick ist. Dementsprechend braucht das Huhn Kraftnahrung, viel Protein und Kalk.

Wer nun meint, weiße Hühner würden weiße Eier legen und braune Hühner eben braune, der irrt. Nicht die Federfarbe bestimmt die Eierschale. Es sind vielmehr die sogenannten Ohrscheiben, die verlässlich Auskunft darüber erteilen. Die Färbung der kahlen Stellen rund um das Hühnerohr gibt den Ton der Eierfarbe an, und der reicht von reinem Weiß über Cremefarben bis zu Schokobraun und einem zarten Mintgrün. Die Farbe des Dotters wiederum wird dann satt und dunkel, wenn das Huhn Grünzeug samt dem darin enthaltenen Chlorophyll zu sich nimmt.

Auch Theo Lingen irrte, wenn er meinte, er wolle ein Huhn sein, weil er dann nicht mehr zu tun hätte, als täglich ein Ei zu legen. Selbst die auf Turboproduktion gezüchteten „modernen“ Legehühner kommen auf höchstens 300 Eier pro Jahr, womit wir bei der nächsten oft gestellten Frage wären. Nein, ein Huhn braucht keinen Hahn, um Eier zu legen, sehr wohl aber einen geschützten Platz, auf den es sich zurückziehen kann, um ungestört an seinem Gelege zu arbeiten. Denn erst wenn sich etwa zehn bis zwölf Eier im Nest befinden, wird die Henne zu glucken beginnen, sprich, sie wird etwa drei Wochen auf dem Nest sitzen, mit in dieser Zeit erhöhter Brusttemperatur die Eierchen ausbrüten und das Nest zwischendurch stets nur kurz zur Nahrungsaufnahme verlassen. Nie dürfen sie auskühlen, die Eier.

Archäologische Funde bestätigen, dass in China bereits vor rund 8000 Jahren domestizierte Hühner den Menschen erfreuten. Man nimmt an, dass das Haushuhn aus Auslesen und Züchtungen des asiatischen Bankivahuhns entstanden ist. Dieses wilde Ur-Huhn, wenn man so sagen will, existiert noch und es ist vergleichsweise klein. Eine ausgewachsene Bankivahenne bringt höchstens ein Kilo auf die Waage, während die auf Masse gezüchteten Poularden heutzutage bereits nach sieben bis zwölf Wochen mit einem Gewicht von bis zu drei Kilo geschlachtet werden. Denn Huhn ist nicht gleich Huhn. Die Genealogie ist weit komplizierter, als man denkt. Die modernen Züchtungen haben im vergangenen Jahrhundert Legehennen und Fleischhennen hervorgebracht, während alte, traditionelle Hühnerrassen meist sogenannte Zwiehühner sind. Sie legen einerseits recht brav Eier, wenn auch lang nicht so viele wie Turbohühner, und sie setzen zudem auch gut Fleisch an. Sie sind also Eier- und Bratenlieferanten in einem.

GETARNT

Wachteln beispielsweise legen ihre Eier in eine mit Gras und Federn ausgepolsterte Mulde am Boden, und dementsprechend gut getarnt müssen die sieben bis zwölf Eierchen des Geleges sein. Die lustige Sprenkelung ist also keine Laune der Natur, sondern Überlebensstrategie für den Nachwuchs. Forscher fanden heraus, dass alle Eierschalenfarben auf lediglich zwei Pigmenten basieren, die jede Vogelart für sich kombiniert.

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Doch noch einmal zurück zu unserer geduldigen Glucke auf dem Nest. Sie gehört mit größter Wahrscheinlichkeit einer der alten Hühnerrassen an, denn moderne Hühner kommen gar nicht mehr auf die Idee, sich auf ein Nest zu setzen. Man hat ihnen den Bruttrieb weggezüchtet. Nach etwa drei Wochen steten Wärmens und täglich mehrfachen Eierwendens durch die Glucke, was unerlässlich ist, sollen sich die Kleinen rundum gut entwickeln, schlüpfen die Küken und sie leisten Schwerstarbeit dabei. Zwei, drei Tage vor dem Schlüpfen kann man die „Wuserl“ durch die Schale übrigens schon piepsen hören. Die Henne und ihre Kinder verständigen sich durch die Eierschale miteinander und sie werden auch die nächsten vier bis sechs Wochen in enger Verbundenheit verbringen. Eine Glucke „führt“ ihre Kinderschar mit größter Fürsorge und droht Gefahr, taucht etwa der Schatten eines Raubvogels auf, warnt sie und die Kleinen schlüpfen sofort unter ihr Gefieder. Von wegen „dummes Huhn“.

Das Hühnerei ist also bei näherer Betrachtung das Produkt eines hochinteressanten Tiers, doch es ist nicht das einzige Vogelei, das der Mensch als Speise zu schätzen gelernt hat. Hierzulande noch weniger im kulinarischen Bewusstsein verankert, dem Gourmet jedoch vertraut, ist das deutlich größere Entenei. Es stammt, so es in unseren Breiten überhaupt aufzutreiben ist, von der Moschusente oder der Pekingente – beides eher gewichtige, gravitätische Rassen. Im Steirereck pflegt man insbesondere zur Trüffelzeit daraus besonders cremige Eierspeisen zuzubereiten, die auch optisch was hermachen, was der intensiven Färbung des Dotters geschuldet ist. Enteneier schmecken kräftiger und reichhaltiger als Hühnereier, man könnte sagen, sie sind in kulinarischer Hinsicht das Hühnerei zum Quadrat.

Abgesehen von den üblichen Eierspeisen und dem kniffligen und stets umstrittenen idealen weichen Ei bietet das weite Feld der Eierkochkunst durchaus noch Raffinierteres. Berühmt sind etwa die tausendjährigen Eier Chinas, die traditionell übrigens ebenfalls Enten- und kaum je Hühnereier sind. Sie werden roh für fünf Monate oder länger in einen kompakten Würzteig gehüllt, bestehend aus einer Vielzahl von Gewürzen, Teeblättern, Salz und anderen Zutaten wie Asche oder Kalk. Das Ergebnis gilt in Asien als Delikatesse ersten Ranges, mag aber optisch auf den ersten Blick nicht jedermanns Sache sein: Die Dotter verfärben sich zu einem sehr dunklen, fast schwarzen Grün und erlangen eine gallertige Konsistenz. Das Klar hingegen wird wunderschön und wirkt wie dunkelbraunes, durchscheinendes Bernstein.

UNTERSCHÄTZT

In Asien eine Selbstverständlichkeit, hierzulande noch weniger bekannt und auch kaum aufzutreiben sind Enteneier samt deren besonderen kulinarischen Qualitäten. Die Ernährungswissenschaft hat dem Ei bekanntlich Unrecht getan, was die negativen Auswirkungen auf den CholesterinSpiegel anlangt, denn dass Eier sogar ausgesprochen gesund sind, ist heute allseits anerkannt.

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Geläufiger als Enteneier, wenn auch nicht alltäglich, sind beispielsweise auch die kleinen, lustig gesprenkelten Eier der Wachtel. Sie wiegen etwa ein Fünftel eines Hühnereis, schmecken dafür deutlich intensiver. Das größte Ei der Vogelwelt verantwortet der Afrikanische Strauß. Mit bis zu zwanzig Zentimetern Länge und einem Gewicht von bis zu 1,6 Kilo entspricht es an die einundzwanzig Hühnereiern und kann selbst eine Großfamilie mit Eierspeise sättigen. Das winzigste Vogelei hingegen gibt es lediglich in Kuba, denn nur dort lebt der kleinste Vogel der Welt: Die Bienenelfe, eine Kolibri-Art, legt 0,25 Gramm leichte Eierchen in allerhöchstens filigraner Erbsengröße. Die möglicherweise aufregendste Schalenfarbe wiederum tragen die ebenfalls fast straußeneigroßen, doch kohlrabenschwarzen Eier des südamerikanischen Nandus und des australischen Emus. Letztere wurden traditionell von Aborigines als Festmahl hoch geschätzt.

Der Mensch, das sei zu guter Letzt noch gesagt, nascht jedoch beileibe nicht nur an den Gelegen von Vögeln aller Art. Auch Fischeier stehen seit jeher hoch im Kurs, ob als echter Kaviar von unterschiedlichen Stör-Arten oder von Lachs, Forelle oder Seehase. In Japan gelten zudem die knallorangen Eier von Seeigeln als Delikatesse, in Teilen der Südsee sind sogar die Eier einer bestimmten Wurmart eine gern verspeiste Köstlichkeit. In Mittelamerika verzehrt man – leider – immer noch die Eier der mittlerweile bedrohten Meeresschildkröten.

Die für europäische Gaumen wohl absonderlichste und gewöhnungsbedürftigste Eiervariante stammt aus der Küche Mexikos und erfreut sich einer uralten, weit in die prähispanische Epoche zurückreichenden Tradition. Sie lässt sich bis zu den Hochkulturen der Azteken zurückverfolgen und die Ernte dieser Spezialität erfolgt heute noch genau so wie zu Montezumas Zeiten: Knapp unter der Oberfläche von Seen werden zu bestimmten Zeiten feinmaschige Netze gespannt, und zwar dann, wenn eine gewisse Wasserwanzenart ihre Eier legt. Das mit der hierzulande heimischen Ruderwanze verwandte Insekt nimmt die Netze dafür gern in Anspruch und klebt die nur etwa zwei Millimeter kleinen Eier in großer Menge an die Fäden. Die Netze werden zuletzt mitsamt den Insekteneiern an Land gezogen, in der Sonne getrocknet und ausgebeutelt. Der „Mexikanische Kaviar“ ist winzig. Die Eierkörnchen schmecken dem Vernehmen nach wie getrocknete Minishrimps. Erfahrene Köchinnen und Köche verwenden sie beispielsweise, um Tortillas und Salate zu würzen sowie – und das ist kein Witz – Eierspeisen.

EXTRAVAGANT

Zumindest eine Vogelart legt kohlrabenschwarze Eier. Der Große Emu, der Nationalvogel Australiens, ist nach dem Afrikanischen Strauß der zweitgrößte Laufvogel. Wer bis zu 45 Kilo schwer ist, legt auch recht stattliche Eier. Die schwarzen Emu-Eier erreichen denn fast die Größe von Straußen-Eiern. Erst seit 1987 werden Emus auch kommerziell gezüchtet, doch auf diese Eier müssen wir wohl noch warten.

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Die hübsche Stange VOM FELD

KANN MAN EINEM GEMÜSE, DAS SICH ALS OBST AUSGIBT, IN GROSSBRITANNIEN ZUR PERFEKTION GEZÜCHTET WURDE UND DORT KULTISCH VEREHRT WIRD, TRAUEN? EINE LIEBESERKLÄRUNG AN DEN RHABARBER IN 26 KAPITELN.

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AAbziehen muss man Rhabarber nicht zwingend. Die Fasern sind bei Frührhabarber kaum zu spüren, bei Freilandrhabarber je nach Sorte zart oder störrisch. Je grüner, desto gröber. Allerdings enthält die Schale mehr Oxalsäure als das Fruchtfleisch, daher sollten ihn Empfindliche lieber schälen.

BBlätter

dürfen vom Rhabarber keinesfalls gegessen werden, sie enthalten sehr viel Oxalsäure und womöglich weitere, noch nicht zur Gänze identifizierte Giftstoffe.

CChina

Der Medizinalrhabarber stammt aus China und wird seit Jahrtausenden für die abführende Wirkung seiner Wurzeln bzw. Rhizome genützt und geschätzt. Seine Stängel werden nicht als Gemüse/ Obst gegessen. Die russische Regierung hatte lange das Handelsmonopol auf die getrocknete Droge, auf illegalen Handel stand sogar die Todesstrafe.

Karamell und Kuchen, Kardamom und Kokos passen zu Rhabarber, womit sich unendliche Kombinationsmöglichkeiten ergeben.

DDuft

Das Besondere am unverwechselbar frisch-fruchtig-blumigen Duft von Rhabarber ist, dass dieser nicht nur beim Schälen und Verarbeiten verzaubert, sondern beim Garen erhalten bleibt.

EEngland Rhabarbernation Nr. 1. Was bei uns der Spargel auslöst, tut dort der Rhabarber. Ab Jahresbeginn, wenn der erste Früh- oder Treibrhabarber auf Märkten und in Geschäften eintrifft, gehen die sozialen Netzwerke über vor Lobpreisungen und Freude über den Frühlingsboten.

FFool

Nicht der Idiot ist hier gemeint, sondern die englische Nachspeise: Ausgekühltes Rhabarberpüree oder -kompott wird in Englische Creme (mehr Vanillesauce als -pudding) und/oder Schlagobers gerührt. Ob schlampig oder homogen, ist eine Glaubensfrage, schmecken tut’s so oder so. Geschichtet mit in Alkohol getränktem Shortbread oder Biskuit wird Trifle daraus.

GGrapefruits passen ebenso erstaunlich gut zu Rhabarber wie Orangen – besonders Blutorangen, deren Saison sich mit dem Beginn des Freilandrhabarbers netterweise überschneidet. Man würde meinen, das wäre dann zu viel der Säure, aber: ausprobieren, z. B. Rhabarber mit frisch gepresstem Tarocco-Orangensaft pochieren.

HHimbeeren und Hollerblüten sind wie gemacht für Rhabarber. Erstere haben nur dann gemeinsam mit dem Stängelgemüse Saison, wenn sie vom Vorjahr im Tiefkühler warten. Dann wird aber das beste Rhabarberkompott daraus. Hollerblüten passen frisch oder noch besser in Form von Sirup zu Rhabarber, in pikanten Zubereitungen, z. B. als Pickles, auch hervorragend als Hollerblütenessig.

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Ingwer versteht sich mit seiner durchdringenden, aber fruchtig-frischen Schärfe bestens mit Rhabarber, ganz egal ob altmodisch in getrockneter, gemahlener Form, kandiert (z. B. in Streusel), als Kekse im Trifle oder frisch als Scheibchen in süßen wie pikanten Zubereitungen mitgegart. Besonders gut auch in Getränken.

JJoghurt

Dickcremiges, bloß nicht zu mageres Schafjoghurt, am Vorabend mit Himbeeren und Vanille pochierter oder im Ofen mit Orange und Gewürzen geschmorter Rhabarber und dazu hausgemachtes Granola (oder einfach ein paar geröstete Mandeln): So schön kann Frühstück sein.

KKuchen

ist die neben Kompott häufigste Verwandlung von Rhabarber. Und nicht die schlechteste. Egal ob als Tarte oder Galette mit Mürbteig und Frangipane oder geriebenen Nüssen, rustikal mit Polenta, im Rührteig, Strudel oder auf Germteig mit knusprig-duftenden Streuseln. Karamell, Kardamom und Kokos passen auch hierher, womit sich unendliche Kombinationsmöglichkeiten im Topf und auf dem Blech ergeben.

LLamm

zu Rhabarber ist eines der ältesten Rezepte mit den in diesem Fall wirklich wie Gemüse verwendeten Stangen. Khoresh Rivas heißt das Ragout aus der traditionellen persischen Küche mit viel Rhabarber und Unmengen Kräutern, sauer, duftig und auf irritierend intensive Weise anziehend. Der Basmatireis dazu befriedet Gaumen wie Gemüt.

MMakrele

gehört zu den besten Freunden von Rhabarber. Der intensive, fette Fisch verträgt ordentlich fruchtigsaures Kontra, worum sich die Stangen in Form von Chutney oder auch Schmorgemüse nicht lange bitten lassen. Eine gute Alternative zum Meeresfisch ist Aal oder Lachsforelle.

NNigella Lawson & Nigel Slater seien stellvertretend für jene Generation britischer Kochbuchautorinnen und -autoren genannt, die dem Rhabarber seitenweise huldigen und ihn in durchaus ungewöhnlichen Kombinationen verwenden. Sie sind mit ein Grund für die Popularität der neuen englischen Küche.

OOxalsäure ist der gefürchtete Inhaltsstoff, der in allen Pflanzenteilen des Rhabarbers vorkommt, vor allem aber in den Blättern und in den Schalen. Der Gehalt in den Blättern (die nicht zum Verzehr geeignet sind) nimmt im Jahresverlauf zu. Gemeinsam mit Äpfel- und Zitronensäure ist sie aber auch für das unwiderstehliche Geschmacksspektrum der Stangen verantwortlich. Oxalsäure – die z. B. auch in Spinat, Mangold, Sauerampfer, Tee und Kakao enthalten ist – sollte bei Nierenerkrankungen bzw. -steinen vermieden werden, ebenso Vorsicht gilt bei Kindern. Sie bindet nämlich Kalzium. Darum wird auch häufig empfohlen, Rhabarber zu kochen, mit kalziumreichen Lebensmitteln (wie Milchprodukten) zu kombinieren und grundsätzlich nicht zu oft zu essen. Wegen der Oxalsäure darf Rhabarber keinesfalls mit Aluminium (in Kochgeschirr, -werkzeug oder Folie) in Berührung kommen.

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PPelzig oder stumpf werden die Zähne beim Genuss von Rhabarber, vor allem jenem aus dem Freiland und ungeschält. Das hat mit der Oxalsäure zu tun, die in ihm enthalten ist und die mit Kalzium gemeinsam zu einem Salz ausfällt, das sich auf den Zähnen ablegt. Das Gefühl verschwindet von selbst wieder, Zähneputzen sollte man nicht, weil das Salz sonst den Zahnschmelz beschädigen kann.

QQuelle

Mittlerweile bekommt man Rhabarber zur Freilandsaison von April bis Juni (zugleich mit Spargel) in jedem Supermarkt, am besten aus Bio-Anbau. In Österreich wird Rhabarber in einer Größenordnung von ca. 1000 Tonnen pro Jahr – überwiegend in Niederösterreich, Oberösterreich und Tirol –angebaut. Das entspricht ungefähr den Erntemengen von heimischem Fenchel oder Melanzani.

Himbeeren und Rhabarber pflegen nicht nur eine oberflächlich, weil farblich harmonische Beziehung, sondern auch aromatisch. Ob im Kompott, Sirup oder Kuchen.
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Aufgelegt, aber meist trotzdem wahr:

Was zugleich Saison hat, passt zusammen.

Hollerblüten mit ihrem exotisch-verführerischen Duft und Rhabarber mit seiner ausgeprägten Säure zum Beispiel.

RRosarot

Seine Farbe macht Rhabarber so begehrt im Frühling, weil all die leuchtend gelben und roten Sommerfrüchte noch lange auf sich warten lassen. Je nach Sorte sind Schale und/oder Fleisch hellrosa, pink, kräftig rot, gefleckt oder grün. Je röter, desto fruchtiger und milder. Je grüner, desto mehr Oxalsäure. Je weniger Flüssigkeit beim Garen, desto intensiver bleibt die Farbe erhalten.

SSellerie

Back to the roots: Im Steirereck wird Rhabarber nicht nur in Desserts, sondern auch als Gemüse, das er ja ist, eingesetzt. Heinz Reitbauer kocht ihn dafür in Selleriesucco kurz auf. Für den Succo entsaftet er Knollensellerie, salzt, schmeckt mit warmen Gewürzen wie Piment, Koriander, Nelken und Ingwer ab und gart den Rhabarber kurz darin. So aromatisiert hat er seinen großen Auftritt zu z. B. Schwein oder Geflügel.

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TTreibrhabarber oder Frührhabarber heißt auf Englisch „forced rhubarb“ und ist angeblich zufällig vor 200 Jahren in Chelsea, London entdeckt worden. Seit 1880 wird er in Yorkshire gebleicht und deshalb besonders mild und zart ab Jänner bis zum Saisonbeginn der Freilandware angeboten. Bei uns ist Frührhabarber noch kaum ein Thema, erst wenige Betriebe haben sich darauf spezialisiert. Selbst diesen gibt es meist erst ab März.

UUnter Bäumen gedeihen die oft sehr ausladenden Rhabarberpflanzen besonders gut, weil sie nicht gern in der direkten Sonne stehen. Wer also Zwetschken- oder andere Obstbäume sein Eigen nennt, könnte in ihren Schatten die eine oder andere Rhabarbersorte pflanzen und für viele Jahre Freude damit haben.

VVanille

Auf das Naheliegende sollte man nicht leichtfertig verzichten. Während Rhabarber zunehmend auch in salzigen Speisen verwendet wird, schmeckt er auch ganz klassisch als Kompott oder ofengeschmort hervorragend. Seine vorlaute Säure harmoniert bestens mit Vanille und Zucker. Mehr braucht es oft gar nicht für ein Schüsserl Frühlingsglück. Alternativ zur Vanille können auch Anis und Sternanis bestens mit Rhabarber.

WWeich

Die Konsistenz von Rhabarber spaltet die Geschmäcker. Als ob er als zerkochter Gatsch auf die Welt gekommen wäre. Roher Rhabarber – den man in kleinen Mengen auch so essen darf – ist superknackig und -saftig. Gegart kann er Biss haben (z. B. scharf angebraten oder nur ganz kurz pochiert), weich, aber intakt sein (besonders gut ofengeschmort im eigenen Saft oder als kurz gegartes Kompott, das beim Auskühlen noch weicher wird) oder ganz zerfallen. Dafür sollte er aber entweder vorher kleiner geschnitten oder nachher püriert oder passiert werden, weil die langen Fäden beim Essen keine Freude machen. Darin sind sich alle einig.

XX XL

Manche Rhabarbersorten wie Goliath werden als Pflanze mannshoch, nämlich fast zwei Meter, die Stiele erreichen eine beeindruckende Länge von bis zu einem Meter. Da reicht dann einer für einen ganzen Kuchen.

YYorkshire

Einmal nicht als Pudding, sondern als Dreieck. In der nordenglischen Region, genauer dem „Rhubarb Triangle“, wird nämlich seit 140 Jahren Frührhabarber kultiviert und so perfektioniert, dass er mittlerweile eine geschützte Herkunftsbezeichnung der EU bekommen hat.

ZZimt & Zucker passen zu erstaunlich vielen Süßspeisen, egal ob Butterbrösel für Topfen- oder Marillenknödel, Grießkoch oder Kuchenteige aller Art. Bei genauerem Hinsehen ist immer auch Butter im Bunde. Besonders gut harmonieren die drei auch mit Rhabarber, vor allem als ebenso klassischer wie köstlicher Crumble oder Germteig-Streuselkuchen.

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VON SINNEN

Über die Saison der Lieblingszutaten Bescheid zu wissen, ist das Eine. Sie dann mit allen Sinnen zu erleben, das Schöne.

Auf einer Packung Grüntee, den mir mein Mann aus Südkorea mitgebracht hatte, fiel mir erst vor Kurzem folgende Formulierung auf: „Picked around Gokwoo (one of the 24 seasonal divisions around April 20th)“. Dass das Konzept Saison bei uns vergleichsweise vorsintflutlich ausgeprägt ist und sich das Erntejahr scheinbar nur in die vier Jahreszeiten Bärlauch, Spargel, Schwammerl und Kürbis unterteilen lässt, ist nichts Neues. Dass es in Japans feinster Kochtradition in Kyoto gleich 36 davon geben soll, also alle rund zehn Tage eine neue Saison beginnt, ist das andere Extrem. Und dass selbst das koreanische Teejahr in 24 Abschnitte unterteilt wird, war auch mir neu. So begann ich anlässlich des Rhabarber-ABCs auf den vorigen Seiten nachzudenken, was denn meine Saisonen wären, nach denen ich das kulinarische Jahr einteilen, welche Zutaten ich alle paar Wochen höchst erfreut willkommen heißen würde:

RHABARBER

feste, prall mit Feuchtigkeit volle Stangen, der so erhebende, frischsäuerlich-blumige Duft beim ersten Schnitt in die erste Stange des Jahres; 1. Gericht der Saison: Kompott mit Himbeeren, Weißwein und Vanille

SPARGEL

quietschende, harte, knackfrische Stangen, der Duft und die Saftigkeit beim Schälen, das ungeduldige Knabbern auf den süßlich-aromatischen Abschnitten; Weißer Spargel mit Sauce béarnaise und Erdäpfeln

ESTRAGON, KERBEL & CO. das Staunen über die winterharten Kräuter, die selbst aus dem städtischen Fensterbankkisterl wieder hellgrün und zart hervorsprießen, das Aroma beim gedankenverlorenen Beißen auf die abgezupften Triebspitzen beim Gießen; Frankfurter Grüne Sauce mit speckigen Erdäpfeln

DARJEELING FIRST FLUSH

die Vergleichsverkostung von den ihrer Beschreibung nach verheißungsvollsten neuen Ernten der Lieblingsgärten, das unvergleichliche Aroma, der erfrischende Gerbstoff; Kanne Tee, Sofa, Frühlingssonne, Narrenkastl HOLLERBLÜTEN

die Kindheitserinnerungen beim Riechen an den Blüten, der gelbe Blütenstaub auf der Nase, die Vorfreude auf frischen Hollerblütenessig und -sirup; Grüner Spargel mit Hollerblütenvinaigrette

FRISCHE ERBSEN

die Sorge, zu wenig zu haben, die Sorge, dass sie mehlig sein könnten, die Ungeduld, bis sie nur kurz in Salzwasser blanchiert sind, die Freude, wenn sie süß und aromatisch und knackig-saftig schmecken; Linguine mit Erbsen, Zitrone und Ziegenfrischkäse

WALDERDBEEREN

In meiner Kindheit durfte ich jeden Frühsommermorgen mit meiner Oma barfuß im Garten Walderdbeeren brocken und direkt in den Mund befördern, ein Aroma, das keinen Vergleich kennt; Früchtetopfen nach Art meiner Oma

GERMAN GOLD-PARADEISER anhimmeln, bewundern, immer wieder angreifen und über die glatte Schale streichen, die Vorahnung auf Süße und langes Aroma, den Zeitpunkt des Anschneidens planen wie einen Staatsakt; aufgeschnitten, im Stehen in der Küche, ohne alles

WALDHEIDELBEEREN

dunkle Verheißung, die erst beim Erhitzen ihre Geheimnisse preisgibt, innerliches Kichern ob der blauen Zungen beim Essen; Schwiegermamas Moosbeernocken mit Kristallzucker UNGARISCHE BESTE-MARILLEN das Ritual des Durchtelefonierens bei den bewährten Biobetrieben zu Saisonbeginn, der Thrill, ob die Qualität gut ist und wie vieler perfekt reifer Kilo man habhaft wird; Buttersemmerl mit Marmelade am Tag nach dem Einkochen

HEIMISCHE ARTISCHOCKEN das Wiegen mit den Händen und Aussuchen der schweren, weil frischen Exemplare, das Putzen und dabei den erwachsenen Duft aufnehmen, Vorfreude auf die besondere Ess-Art; Artischocken mit Vinaigrette und Baguette RED HAVEN-PFIRSICHE genaue Planung (keine großen Reisen) zur Saison, das Gefühl des sonnenwarmen, festen, nur ganz leicht nachgebenden Pfirsichs, die Gewissheit, dass er in ein paar Tagen die perfekte Essreife erlangen wird, die schon vorgeschmeckte Wonne und der am Handgelenk hinuntertropfende süße Saft; PfirsichParadeiser-Salat mit Estragon und Ricotta al forno

Das war nicht einmal ein halbes Jahr. Was sind Ihre liebsten, heiß ersehnten Lebensmittel? Worauf freuen Sie sich dabei ganz besonders? Ist es der Duft? Die süße Reife? Die zarte Knackigkeit? Wie viele Saisonen kennt ihr kulinarisches Jahr?

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Sommer. Wir geben uns hitzefrei und sitzen im schattigen Gastgarten. Jetzt darf’s sehr gern ein trockener Weißwein sein, ein Gemischter Satz zum Beispiel, der entgegen der landläufigen Meinung keine alleinige Wiener Spezialität ist und gern auch mal ein „G’mischter Sotz“ sein darf, wenn er etwa von den Anderts aus dem Burgenland abgefüllt wird. Und was essen wir zum Wein? Ein Schnitzerl mit „Wiener Garnitur“. Was das ist? Tobias Müller verrät es Ihnen …

Wie &  für wen

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BILDUNGSREISE S.
ERMISCHT!
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WIEN BRAUCHT DIE „WIENER GARNITUR“
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01–02 Gemeinsam unterwegs: Seit rund zehn Jahren besuchen

Birgit und Heinz Reitbauer gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Produzenten in Österreich, um deren Philosophie und Produkte besser kennenzulernen und Beziehungen aufzubauen.

TEXT: URSULA MACHER, FOTOS: MIRCO TALIERCIO

BILDUNGSREISE

WIE VIEL WÜRZE VERTRÄGT GUTES ESSEN? UND WAS MACHT DAS PERFEKTE MESSER AUS? EIN AUSFLUG ZU ZWEI

PRODUZENTEN GIBT ANTWORTEN AUF DIESE FRAGEN.

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03–05 Vom Riechen, Schmecken und dem Miteinander: In der Manufaktur von Nathalie Pernstich tauchten die Steirereckianer in die Welt der Gewürze ein, ehe sie sich auf den Weg zur Messerschmiede in Ernstbrunn machten.

Am Samstagmorgen, da die Pforten des Steirereck geschlossen sind, biegen sich in der Meierei die Frühstücksbalken. 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sitzen aufgefädelt am Tresen und stimmen sich kulinarisch ein auf den Tag, ehe es aufgeht zu einem Ausflug, der für Birgit und Heinz Reitbauer längst zur liebgewonnenen Tradition geworden ist. Seit rund zehn Jahren besuchen die Wirtsleute mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Produzenten, ein- bis dreimal pro Jahr, um deren Philosophie und Produkte besser kennenzulernen und Beziehungen aufzubauen. Diesmal geht es ums Würzen und Wetzen, um es ein wenig salopp zu formulieren.

Die erste Station befindet sich im 15. Wiener Gemeindebezirk in einer ehemaligen Textilfabrik, in der heute „Babette’s“ beheimatet ist, die Gewürzmanufaktur von Nathalie Pernstich. Die Erfolgsgeschichte der ehemaligen IT-Beraterin begann im Jahr 2002, als sie in der Schleifmühlgasse, nicht weit vom Naschmarkt, ihren ersten Laden eröffnete und dort neben Kochbüchern und Kochkursen auch ein kleines Gewürzsortiment anbot. Vier, vielleicht fünf unterschiedliche Mixturen waren es, alle nach ihrem persönlichen Geschmack, ihrem Gefühl, und zubereitet in einer herkömmlichen HaushaltsKaffeemühle.

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Nathalie Pernstich selbst hat keine Ausbildung zur Gewürz-Mischerin, weil es eine solche schlichtweg nicht gibt. „Aber ich habe eine sensible Nase und mich sehr intensiv damit beschäftigt. Und das schon recht früh, und zwar in Indonesien, wo ich aufgewachsen bin. Viel habe ich auch meiner Mutter zu verdanken, die sehr experimentierfreudig war“, sagt Nathalie. Ausgezahlt hat es sich jedenfalls recht schnell. Inzwischen verfügt „Babette’s“ über zwei Geschäfte in Wien. Und weil alles, was gut ist und noch besser riecht, rasch zum Erfolg führen kann, kam 2006 eben auch jene Manufaktur hinzu, wo inzwischen aus über 250 Einzelzutaten verschiedenste Gewürzmischungen entstehen. Gut hundert an der Zahl, 2,5 Tonnen im Jahr. Heute sind im Betrieb fünf Mühlen im Einsatz, eine davon trägt den Namen „Terminator“, weil die alles schafft, woran andere scheitern. Wobei einige Mischungen, so die Chefin, nach wie vor nur von Hand gemacht würden.

Eine besonders beliebte bereiten im Zuge des Betriebsausfluges nun auch die rundum begeisterten Damen und Herren aus dem Steirereck zu. Wiener Dukkah, bestehend aus Haselnüssen, Mandeln, Bohnenkraut, Koriander, Majoran, Pfeffer, Thymian, Salz und Liebstöckel. Es wird – unter dem geschulten Auge von Produktionsleiter Josef Feitschinger, als gelernter Konditormeister ebenfalls Quereinsteiger –gemörsert und geröstet, der feine Duft zieht sich über beide Stockwerke des Hauses. „Gewürze“, sagt Michael Bauböck, der im Laufe seiner Karriere schon weit gereiste Sous Chef des Steirereck, „können jedem Gericht einen extra Kick geben und es untermalen – je nachdem, wie man es einsetzt.“ Im Steirereck selbst eher zurückhaltend, weil die elegante Küche nicht allzu viele Experimente zulässt. Dass jedes namhafte Haus über ein Repertoire an Basisgewürzen verfügt, versteht sich von selbst. Aber Mischungen verlangen freilich nach einem adäquaten Einsatzbereich. Wobei im Laufe der Zeit auch Kreationen entstanden sind, die dann und wann ein wenig modifiziert werden, aber doch den Beinamen Klassiker verdienen. „Unser Brotgewürz, das Geflügelgewürz und Five Spices mischen wir selbst“, sagt Bauböck, der für Bockshornklee, Zimt, Fenchelsamen, Kardamom & Co. schwärmt. „Unterm Strich muss natürlich jede Mischung in unsere Stilistik passen.“

So ist das im Steirereck. Und weil man immer auf der Suche nach Perfektion ist, geht die Reise nach einer kleinen Stärkung gleich weiter. Und zwar nach Ernstbrunn, einer 3200 Einwohner zählenden Gemeinde im Bezirk Korneuburg, wo die Lilienstahl-Messer handgefertigt werden (siehe auch Seite 40). In seiner Werkstatt führt Florian Stockinger den wissbegierigen Gästen die diversen Arbeitsschritte vor Augen, vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Küche saugen jede Information auf wie ein Schwamm. „Für uns“, sagt Manuel Weißenböck, als Chef de Partie für die Fleischbestellung und Gerichte-Entwicklung mit Fleisch im Steirereck zuständig, „ist es das essenzielle Werkzeug, das wir tagtäglich benützen.“ Im Durchschnitt besitzt ein Koch zehn bis 30 unterschiedliche Messer, jene für den häuslichen Gebrauch nicht mitgerechnet. Auf Qualität wird höchster Wert gelegt, je leichter, desto besser, weil das die Handhabung immens vereinfacht. Die Messer von Florian Stockinger vereinen freilich alles, das schwerste je gebaute wiegt gerade einmal 280 Gramm, auch bei den Griffen wird nicht gespart. „Europäische Hölzer wie Eiche, Nuss, Buche haben eine hohe Gerbsäure, daher wirken sie antibakteriell“, sagt der Autodidakt, der sich den Feinschliff seiner Handwerkskunst vor zwei Jahren in Japan geholt hat.

Wer eines seiner Kunstwerke kaufen möchte, braucht zwei Dinge jedenfalls: Geduld und Geld. Die Wartezeit auf ein individuell geschmiedetes Lilienstahl-Messer kann zwei bis acht Monate betragen. Und was nun den Preis betrifft: Um dieses Geld kann man schon mal einen Städteflug buchen, aber von dem hat man letzten Endes vermutlich nicht so viel. Zumindest nicht so lange.

Auch die Eindrücke von dem Ausflug werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch eine Zeit lang begleiten. Für einige wenige geht es direkt von Ernstbrunn ab ins Wochenende, die anderen kehren zurück zum Ausgangspunkt. Ins Steirereck. Ebendort verabschiedet Heinz die Truppe, wünscht einen schönen Sonntag. „Und am Montag dann in alter Frische ...“

„Im Durchschnitt besitzt ein Koch zehn bis 30 Messer, jene für den häuslichen Gebrauch nicht mitgerechnet. Es ist das essenzielle Werkzeug, das wir tagtäglich benützen.“
06 Messerscharf. Erinnerungsfotos vom Besuch der Messerschmiede von Florian Stockinger in Niederösterreich. 72 S MAGAZIN TEAM-GEIST
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WIEN BRAUCHT DIE „WIENER GARNITUR“

Das Auffälligste an der „Wiener Garnitur“ ist, dass sie in Wien fast völlig unbekannt ist. Höchste Zeit, das zu ändern!
Ein Plädoyer für mehr Sardellen, Kapern und Zitrone.

Wenn Skandinavier ein Wiener Schnitzel bestellen, dann gehen sie ganz selbstverständlich davon aus, dass es auch mit der sogenannten „Wiener Garnitur“ serviert wird: gehackten Kapern, Sardellen, Petersilie, Ei und Zitrone. Der große Larousse, das Standardwerk der französischen Küche, definiert ein Gericht dann als „à la Viennoise“, wenn es paniert, gebacken und mit ebendieser Mischung (plus gekochtem Ei) zu Tisch kommt, und auch die amerikanische Website Cooking Info sieht das so. Französische GastroWebsites verkaufen die „Garniture Viennoise“, breits zu einem adretten Haufen geschlichtet, für 80 Cent das Stück. Bloß in Wien hat kaum einer von der „Wiener Garnitur“ gehört.

Das Sacher Kochbuch kennt sie nicht, im Goldenen Plachutta ist nichts über sie zu finden, und wer Sardellen und Kapern aufs Schnitzel verlangt, riskiert soziale Ächtung wie die Tunken-Fraktion. Petersilie und Ei sind zwar nach wie vor in der Wiener Küche weit verbreitet – von Kapern, Sardellen und Zitronen aber fehlt allzu oft jede Spur.

Wie es dazu kommen konnte, dass ausgerechnet Wien seine Garnitur nicht kennt, ist nicht sicher geklärt: Der italienische Kulturhistoriker Alberto Capatti, der die Geschichte des Schnitzels erforscht hat, meint, dass die meisten Gerichte und Zutaten erstmals im Frankreich des 18. Jahrhunderts niedergeschrieben und kodifiziert wurden, von Köchen, die mitunter willkürliche Namen wählten –was die Welt als „Russischen Salat“ kennt, heißt etwa in Russland selbst „Salade Olivier“.

Wer aber näher hinsieht, merkt schnell, dass an der „Wiener Garnitur“ schon was dran ist. Bloß weil der Wiener sich die Mischung nicht aufs Schnitzel legt, heißt das nämlich nicht, dass er mit ihr gar nichts zu tun hätte. Im Gegenteil war sie einst so allgegenwärtig, dass sie einer der Grundakkorde der Wiener Küche war –ganz ähnlich wie das Triumvirat aus

Frühlingszwiebeln, Ingwer und Sojasauce in großen Teilen Chinas oder Tomaten, Parmesan und Knoblauch in Italien.

In Katharina Pratos Süddeutscher Küche, der Großmutter aller österreichischen Kochbücher, würzen Sardellen und Zitronen zahlreiche Fleischgerichte, von Köpfen und Füßen vom Hirschkalb (gesulzt) über Kapaun (in Eiersauce) bis hin zum Birk- und Auerhahn. Kapern landen etwa in Erdäpfelsalat mit Sardellen und Aal, Farce vom Hasen oder, ganz modern, Kalbfleischfrikadellen. Louise Seleskowitz, die Autorin eines der ersten Wiener Kochbücher, listet unter den Grundsaucen gleich zwei verschiedene Kapern- und Sardellensaucen. Marie von Rokitansky, deren Wiener Kochbuch ein paar Jahrzehnte später erscheint, mischt Sardellen in Beefsteak Wiener Art, Hirn au Gratin oder reicht sie zu gedünsteter Zunge.

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In allen drei Büchern werden die drei gern noch mit Sauerrahm zu einer Art altösterreichischem „Mar y Muntana“ verfeinert, jener Mischung aus Land und Meer, Fisch und Fleisch, die an so vielen Küsten dieser Welt höchst beliebt ist. Bis heute zeugt das Beuschel, dieses Ur-Wiener Gericht, noch von der Größe dieses aromatischen Wohlklangs.

Das ist nicht weiter verwunderlich: Sardellen sind natürliche Geschmacksverstärker, die fast alles besser machen, womit sie in Berührung kommen. Wer glaubt, sie nicht zu mögen, soll eine gute einmal auf etwas Brot mit flaumig geschlagener Butter legen – es gibt sehr wenig, das mit so wenig Aufwand dermaßen fantastisch schmeckt. Zitrusfrüchte sind die beste Möglichkeit, die Wintersonne zu schmecken: von der herrlich aromatischen Schale über das erfrischend saftige Fleisch bis hin zum betörend süß-sauren, mitunter fordernd bitteren Saft. Und Kapern? Schmecken so aufregend, dass es schwer vorstellbar ist, dass sie einfach so an Büschen wachsen – zart sauer, leicht süß und, wenn sie gut eingesalzen und gereift wurden, mit Noten von Veilchen und Himbeeren, die ins Meer getaucht wurden.

Viel verwunderlicher ist, dass sie heute so sehr in Vergessenheit geraten sind. Dabei können wir von der „Wiener Garnitur“ einiges lernen. Sie erinnert uns daran, dass die Wiener Küche einmal auf vielfältige Art sauer und salzig sein durfte und voll von Umami, lange bevor das Wort in der Stadt bekannt war. Neben Zitrone und Kapern säuerte sie Portulak

und Sauerampfer, außer Sardellen sorgten Liebstöckel, Bohnenkraut und Kresse für scharfe Würze. Neben Petersilie erfrischten Pimpinelle und Gundelrebe, Estragon und Kerbelkraut.

Sie zeigt uns die geschmackliche Kraft und Pracht des Konservierens, das seit der Verbreitung des Kühlschranks oft als bloßes Haltbarmachen missverstanden wird und nicht als jenes Veredeln, Verwandeln, Zu-neuenHöhen-Tragen gesehen wird, das es sein kann. Ölsardelle und eingesalzene Kapern sind keine Notlösungen, sondern verhalten sich zu ihren frischen Pendants wie rohes Schweinebein zu Prosciutto oder Milch zu Parmesan.

Sardellen, Kapern und Zitronen waren daher jahrhundertelang die beste Möglichkeit, die Geschmäcker des Mittelmeeres über die Alpen zu tragen. Und das ist die vielleicht wichtigste Lektion der „Wiener Garnitur“: dass Offenheit für Neues, Fremdes, das freudige Aufnehmen und Experimentieren mit anfangs vielleicht exotischen Aromen hier einst Tradition hatten. Was Regionalitäts-Taliban verteufeln, ist die kulinarische Definition einer Weltstadt.

New York, Schanghai, Tokio sind Fressparadiese, nicht weil ihr Umland ein Garten Eden wäre oder das Moos dort besser schmeckt, sondern weil Köstlichkeiten aus allen Winkeln der Erde dort zusammengetragen werden. Und manche Dinge, die einst fremd waren, werden mitunter heimisch: Die Zitrusfrüchte etwa, die im Steirereck verkocht werden, wachsen in der Orangerie in Schönbrunn. Wer

ein weniger exklusives Beispiel will: Melanzani galten in Wien noch im frühen 20. Jahrhundert als exotische Früchte.

Das Steirereck schneidet etwa das Weiße von Schönbrunner Zitronatzitronen fein, kombiniert es mit hauchdünnen Sardellenstreifen und eingelegten Kapernblättern aus Pantelleria. Die Mischung würzt dann Artischocken und ganz sanft gebratene Äschenfilets. So subtil, so zeitlos kann eine uralte Mischung sein.

Wenn die westliche Welt gerade die Würzkraft asiatischer Fischsauce entdeckt, Köche zwischen Brooklyn und Kopenhagen einsalzen und vergären, können die Wiener also ruhig selbstzufrieden sagen: „Haben wir immer schon gewusst“ – solange sie dann bitte freudig mithelfen, die „Wiener Garnitur“ endlich nach Wien und ins 21. Jahrhundert zu bringen. Sie muss ja nicht gleich auf dem Schnitzel landen.

TOBIAS MÜLLER kocht, isst, trinkt und schreibt darüber - wenn nicht in Wien, dann oft in Neapel. Seine Texte sind unter anderem im Standard, im SZ-Magazin und in der Zeit erschienen.

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EIN FEST

Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, das sind unsere KLASSISCHEN SINNE.

Und was ist der Gang ins Restaurant?

Ein Fest für alle fünf. Als Erstes isst das Auge mit, wenn Gerichte schön wie gemalt auf dem gedeckten Tisch die Teller zieren, und das Ohr lauscht dem melodischen Klingen der Gläser – wir stoßen an,

76 S MAGAZIN SINNES-LUST

REDAKTION: ACHIM SCHNEYDER FOTOS: THOMAS SCHAUER

FÜR FÜNF

auf uns, Freunde, zum Wohl! Dann nimmt die Nase die Fährte auf und sendet vorweg Signale an Zunge und Gaumen, und dann, endlich, der Griff zum Besteck, und das glänzende Silber fühlt sich gut an in unseren Händen. Mund auf, Augen zu, und ja, wir wollen uns hingeben. Nichts anderes haben wir jetzt im Sinn.

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Rezept

EINE REISE DURCH ÖSTERREICH UND DARÜBER HINAUS

1 Knuspriger Weizen mit Steinklee-Frischkäse & Bergamotte

2 Paradeiser-Brunnenkresse-Tarte

3 Rösti mit jungen Frühlingstrieben

4 Holzknecht-Nocken mit Apfel, Kren & Schnittlauch

5 Marinierte Mara des Bois-Erdbeeren mit Paradeiser, Wassermelone & Lavendel

6 Gegrillter junger Mais mit Schönbrunner Zitronatzitrone & Haselnüssen

ESSKULTUR:

Im Laufe von Jahrhunderten hat Österreich eine vielfältige kulinarische Identität entwickelt. Verwurzelt in der K.-u.-k.-Monarchie, ist sie ihrer Entwicklungsgeschichte nach durch die Einflüsse der Kronländer und Königreiche eine Vielvölkerküche mit eigenständigen regionalen Spezialitäten, welche sich nicht auf einige wenige Gerichte oder Regionen reduzieren lässt. Viele Geschmäcker, Produkte oder Zubereitungsarten können wir heute geografisch zuordnen. Diese verschiedenen Geschmäcker schaffen aber auch grenzübergreifende Verbindungen zu unseren Familien und zu unserer Geschichte und sind wiederum ein Spiegelbild unserer Lebenskultur. Eine Reise durch Österreich und darüber hinaus.

Im Übrigen: Die Wiener Küche ist die einzige weltweit, die einen Städtenamen trägt. Sie entstand vor mehr als 200 Jahren beim Wiener Kongress an den Wiener Herden, wo die verschiedensten Küchen in friedlicher Mission ihre Traditionen und Geschmäcker teilten und somit den Ruhm der Wiener Küche begründeten.

MARINIERTE MARA DES BOIS-ERDBEEREN MIT PARADEISER, WASSERMELONE & LAVENDEL, 4 PORTIONEN

ZUTATEN

- 500 g Paradeiser (vollreif)

- 250 g Wassermelone

- 250 g Paradeisersaft (Natursucco)

- 75 g Wassermelonensaft (Natursucco)

- 5 g Ingwer (fein gerieben)

- 5 g Karpatensalz

- 1 Msp. Chiliöl

- 250 g Mara de Bois Erdbeeren

- 16 Basilikumspitzen

- 16 Lavendelblüten

ZUBEREITUNG

Paradeiser-Wassermelonen-Marinade: Die Paradeiser waschen und den Strunk ausschneiden. Anschließend grob schneiden, mixen und durch ein Haarsieb passieren. Die Wassermelone schälen, entkernen und wie die Paradeiser verarbeiten. Für die weitere Zubereitung werden 250 g Paradeisersaft sowie 75 g Wassermelonensaft benötigt.

Alle Zutaten kalt verrühren und mit etwas Chiliöl abschmecken.

Tipp: Damit die Marinade ihre Frische nicht verliert, sollte diese bis zum Gebrauch gekühlt gelagert und rasch verbraucht werden.

Die Erdbeeren säubern und mit der Paradeiser-Wassermelonen-Marinade infudieren.

Infudieren: Die Erdbeeren mit der Marinade in einem offenen Behältnis gekühlt vakuumieren. Dabei wird, beim Öffnen der Vakuumkammer, die aus dem Produkt entzogene Luft durch die Marinade ersetzt.

Die infudierten Erdbeeren auf Eis mit reichlich Marinade anrichten und mit Basilikum & Lavendel bestreuen.

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Rezept

SONNENBLUME MIT MELANZANI, JOGHURT & ROSMARINBLÜTEN

1 Gedämpfter & gebackener Sonnenblumen-Blütenboden

2 Mit Verjus gedämpfte, gedörrte Rosa Bianca-Melanzani

3 Wiesen-Champignons

4 Geröstete Sonnenblumenkerne

5 Ringelblumen

6 Rosmarinblüten-Joghurt mit Dillöl

7 Mit Paradeiser-Gewürzsaft glaciertes Sonnenblumen-Stammherz

8 Sonnenblumenkern-Miso

9 Karamellisierte Sonnenblumenkerne

10 Holzkohle-gegrillte Sonnenblumenblätter Wein 2009 Vin Jaune, Domaine Pignier, Montaigu, Jura

SONNENBLUME:

Die gerösteten Kerne der Sonnenblume wurden im 17. Jahrhundert als Ersatz für Kaffee und Trinkschokolade verwendet. Erst seit dem 19. Jahrhundert wird die Sonnenblume als Ölpflanze genutzt. Von Adolf Figl/Puch.

ROSAMARIN-JOGHURT, 8 PORTIONEN

ZUTATEN

- 5 g Rosmarinblüten

- 50 ml Verjus Grüner Veltliner

- 600 ml Bio-Heumilch

- 40 g Vollmilchpulver

- 96 g Bio-Naturjoghurt

- 2 Zweige Rosmarin

- Karpatensalz

- 5 ml Rosmarinblüten-Verjus

ZUBEREITUNG

Rosmarinblüten-Verjus:

Gemeinsam vakuumieren und bei 75 °C 15 Minuten im Wasserbad garen. Für mindestens sechs Stunden gekühlt durchziehen lassen.

Rosmarin-Joghurt:

Die Heumilch mit dem Milchpulver und dem Rosmarin auf ca. 80 °C erhitzen. Vom Herd ziehen, auf 40 °C abkühlen, durch ein Spitzsieb passieren und anschließend das Joghurt einrühren. In 2–3 Einheiten abfüllen und luftdicht verschließen. Für zwölf Stunden bei 38 °C säuern lassen.

Anschließend durch ein Etamin und gekühlt für drei Stunden abhängen lassen. Das abgehangene Joghurt salzen, mit Rosmarinblüten-Verjus abschmecken und kurz cremig aufrühren. Bis zum Gebrauch gekühlt lagern.

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Rezept

WILDER LATTICH MIT JUDAS- & SCHWEINSOHREN

1 Judas- & Schweinsohren-Eintopf mit Hot Lemon-Chili & wildem Lattich

2 Eingelegter Wilder Lattich

3 Mit Zitronenbohnenkraut & schottischem Liebstöckel glacierte Kochsalatherzen

4 Knusprig gebackene Judasohren

5 Junge Lattichblätter

Wein 2016 Táganan Blanco, Bodega Envínate, Tenerife

WILDER LATTICH/SPARGELSALAT:

Diese alte chinesische Kulturpflanze, die erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Weg nach Europa fand, ist eine Varietät des Kopfsalates ohne Kopfbildung. Im Gegensatz zu anderen Salatpflanzen ist hier ein schnelles Höhenwachstum (Schießen) gewollt, denn es werden hauptsächlich die Stängel vor der Blüte (100–150 cm hoch) geerntet. Entblättert und geschält, um die Milchsaftkanäle zu entfernen, ist dieses spargelähnliche Stängelgemüse sowohl roh als Salat als auch gegart eine Delikatesse. Vorwiegend in Hausgärten kultiviert.

EINGELEGTER WILDER LATTICH, 1 EIN-LITER-GLAS

ZUTATEN

- 5 Stk. Wilder Lattich/ Spargelsalat/Chinesische Keule

- 400 ml Wasser

- 60 ml Weißweinessig (Bertolli)

- 17 g Kristallzucker

- 150 ml Essiggurken-Wasser

- 8 g Karpatensalz

- 1/2 EL Senfkörner

- 2 Zweige Dill

ZUBEREITUNG

Vom Lattichwurzel-Ansatz den holzigen Teil entfernen. Die Lattichblätter abtrennen und beiseitestellen. Anschließend den Lattich sorgfältig schälen, auf die Einkochglasgröße zuschneiden und dicht in ein steriles Einmachglas schlichten. Zwei Dillzweige zufügen. Die restlichen Zutaten aufkochen, in heißem Zustand über den Lattich gießen und die Gläser sofort verschließen. Für 23 Minuten bei 93 °C im Dampf garen, herausnehmen, rasch abkühlen und bis zum Gebrauch kühl und dunkel lagern.

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84 S MAGAZIN SINNES-LUST

Rezept

PERLFISCH MIT VOGERLSALAT, RADIESCHEN & KRESSEWURZEL

1 Knusprig gebratener Perlfisch

2 Mit Kressesaat, Earl Grey, Ingwer, Akazienhonig, Limette & Dill marinierte junge Radieschen

3 In Monarden-Verjus eingelegte Perlzwiebel

4 Knusprige Kressesaat

5 Radieschenblatt-Crème

6 Vogerlsalat-Spinat

7 Mit Karottensaft & Fenchelsaat geschmorte Kressewurzel

8 Geklärter Buttermilchsaft mit Dillöl

Wein 2010 Chardonnay „Pandkräftn“, Ernst Triebaumer, Rust, Neusiedler See-Hügelland

PERLFISCH:

Karpfenähnliche, seltene Delikatesse aus dem Attersee. Ein sogenannter Beifang, welcher statistisch zur Kontrolle der Population erfasst wird. Darf nur von lizenzierten Berufsfischern verkauft werden. Von Ulrike Huber/Attersee.

MIT KAROTTENSAFT & FENCHELSAAT GESCHMORTE KRESSEWURZEL, 8 PORTIONEN

ZUTATEN

- 100 g Schalotten (geschält & grob geschnitten)

- 1 TL Fenchelsaat

- 1/2 TL Koriandersaat

- 1,5 Stk. Zitronengras (geschnitten)

- 20 g Ingwer (geschält & geschnitten)

- 10 g Knoblauchzehen (angedrückt)

- 10 ml Pflanzenöl

- 1/4 Fenchel (gesäubert & grob geschnitten)

- 1 l Karottensaft

- Karpatensalz - 1/4 Limette (Saft)

- 4 Kapuziner-Kressewurzeln - Schmorfond

ZUBEREITUNG

Schmorfond:

Alle Zutaten in einer Kasserolle auf geringer Stufe für mindestens zehn Minuten ohne Farbe anschwitzen, sodass sich die ätherischen Öle der Gewürze lösen können.

Zufügen und für fünf Minuten mitschwitzen.

Aufgießen, aufkochen und auf kleinster Stufe auf die Hälfte einkochen lassen.

Durch ein Haarsieb passieren und mit Karpatensalz sowie Limettensaft abschmecken.

Kressewurzeln schmoren: Die Kressewurzeln schälen, der Länge nach halbieren bzw. vierteln und bei Bedarf der Wurzel eine schöne Form geben. Die Wurzeln in den kochenden Schmorfond einlegen und fünf Minuten kochen lassen. Anschließend von der Hitze ziehen, mit Frischhaltefolie bedecken und über Nacht durchbeizen lassen.

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86 S MAGAZIN SINNES-LUST

Rezept

BROKKOLI & JUNGE ERBSEN MIT MARILLE & CHUPETINHO

1 Mit Marille, Verjus, Ras el Hanout & Haselnussöl geschmorter, knusprig gebratener Brokkoli

2 Über Holzkohle gegrillte Brokkoli-Crème mit schwarzem Knoblauch & Limette

3 Eingelegter Knollensellerie

4 Brokkoli–Zuckererbsen-Gemüse mit Chupetinho, Haselnuss & Brunnenkresse

5 Erbsen-Succo mit Brokkoli-Stielen, jungen Erbsen & gedörrten Marillen

Wein 2014 Sancerre „La Grande Côte“, Pascal Cotat, Loire

CHUPETINHO:

Sie besitzen, wie alle Capsicum-Arten, ein delikates, einzigartig fruchtiges Aroma, welches allerdings nur bei rohen oder schonend zubereiteten Früchten erhalten bleibt.

Von Erich Stekovics/Frauenkirchen.

ÜBER HOLZKOHLE GEGRILLTE BROKKOLI-CRÈME MIT SCHWARZEM KNOBLAUCH & LIMETTE, 8 PORTIONEN

ZUTATEN

- 1 Brokkoli - Rapsöl - Karpatensalz

- 300 g Brokkoli (gegrillt)

- 12,5 g Knoblauch (fermentiert)

- 100 g Selleriesaft

- 100 g Crème frâiche

- 40 g Butter

- 25 g Chupetinhos (eingelegt, entstielt & gemixt – aus dem Steirereck-Shop)

- 20 g Limettensaft (gesiebt)

- Pfeffer ganz (schwarz)

- Cayennepfeffer - Karpatensalz

ZUBEREITUNG

Brokkoli grillen:

Den Brokkoli zuputzen, halbieren, mit Öl bestreichen und salzen. Über Holzkohle bei geschlossenem Deckel goldbraun grillen und anschließend im Backrohr bei 180 °C ca. 30 Minuten, mit Alufolie bedeckt, weich schmoren.

Crème fertigstellen:

Alle Zutaten im Thermomix bei 100 °C zuerst auf Stufe 4 ca. zwei Minuten und anschließend auf Stufe 10 fünf Minuten fein pürieren. Die Crème mit den Gewürzen abschmecken.

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88 S MAGAZIN SINNES-LUST

Rezept

REHBOCK MIT FENCHEL, PERILLA, MINZE & KIRSCHEN

1 Sanft gebratener Rehrücken

2 Gedämpfter, glacierter Fenchel

3 In Rehsuppe gegarte Stockschwämme

4 Glacierte Rote Rüben mit Minze & Perilla

5 Mit Perilla & Bouvier-Essig marinierte Kirschen

6 Leicht getrockneter Rote-Rüben-Wildkräuter-Saft

7 Rehnatursaft mit Pfefferminze

Wein 2009 Paradigma (BF, ME, ZW), Claus Preisinger, Gols, Neusiedler See

EUROPÄISCHES STOCKSCHWÄMMCHEN:

Es wächst hauptsächlich auf Buchen und Eichen und ist ein naher Verwandter des japanischen Stockschwämmchens. In Asien ist es ein beliebter Speisepilz und wird vor allem in Miso-Suppen gegessen. Die jungen Fruchtkörper weisen auf den Pilzhüten feuchte Stärkeabsonderungen auf, welche sich allerdings beim Kochen zersetzen. Das Stockschwämmchen hat einen würzigen, leicht nussigen Geschmack und eine feste, knackige Textur.

Gezüchtet von Florian Kogseder/Oberösterreich.

LEICHT GETROCKNETER ROTE-RÜBEN-WILDKRÄUTER-SAFT, 8 PORTIONEN

ZUTATEN

- 1 l Rote-Rüben-Saft - Wildkräuter & Blüten

- 3 g Agar

- 2 g Pektin NH

ZUBEREITUNG

Die Kräuter entstielen, die Stiele beiseitestellen und die Kräuter in kleine Elemente zupfen. Den Rote-Rüben-Saft um die Hälfte einkochen. Am Ende der Kochzeit die Stiele der Kräuter hinzufügen, kurz mitziehen lassen und anschließend passieren.

Den Roten-Rüben-Saft mit Pektin und Agar aufkochen und in tiefe, aber gerade Porzellanteller 2 mm hoch eingießen. Anschließend die gezupften Kräuter großzügig auf der Flüssigkeit verteilen. Nun im Dehydrator für 3–4 Stunden zu einem leicht lederartigen Gelee trocknen. Mit Folie bedecken und gekühlt für mindestens sechs Stunden leicht rehydrieren lassen.

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90 S MAGAZIN SINNES-LUST

Rezept

WABENHONIG MIT KOKOSWASSER, BUCHWEIZEN & BLÜTENPOLLEN

1 Kokoswasser-Sorbet

2 Wabenhonig aus dem Steirereck-Bienenwagen

3 In Haselnussöl gerösteter Buchweizen

4 In Bienenwachs gebeizter, gereifter Entenei-Dotter

5 Blütenpollen

Wein NV Junmai Daiginjo „Honryu“, Tedorigawa Yoshida, Ishikawa, Japan

BLÜTENPOLLEN:

Für die Honigbienen ist der Blütenstaub die Eiweißnahrung schlechthin. Die Bienen befliegen die Blüten und dabei heften sie an ihre Hinterbeine viele Tausend kleinste Pollenkörnchen, welche unter Zugabe von Nektar geknetet werden. Im Bienenstock dienen die Blütenpollen als unverzichtbare Hauptnahrung, die zur Aufzucht der Brut genutzt wird. Der Honig gilt in erster Linie als Energielieferant, der Pollen stellt jedoch für die Brutnahrung die Grundlage dar. Die Inhaltstoffe der Pollen variieren je nach Lage, Erntezeitpunkt und Herkunft.

IN BIENENWACHS GEBEIZTER, GEREIFTER ENTENEI-DOTTER, 12 PORTIONEN

ZUTATEN

- 5 Enteneier (Sallmanshofer)

- 250 ml Sojasauce

ZUBEREITUNG

Dotter und Eiweiß voneinander trennen. Die Dotter behutsam in die Sojasauce einlegen und 24 Stunden beizen lassen.

Mit Frischhaltefolie bedecken!

Tipp: Die Dotter müssen frei schwimmen und dürfen nicht zusammenkleben, ansonsten reißt die Haut beim Herausnehmen.

Die Dotter aus der Sojasauce heben und auf einer Dehydrator-Matte bei geringer Hitze 24–48 Stunden vollständig durchtrocknen lassen. Dabei öfters wenden, sodass eine gleichmäßige Haut entsteht.

Die rundum getrockneten Dotter mit einem kleinen Messer wieder in eine schöne rundliche Form bringen und ausgetrocknete Randstücke entfernen.

- 100 ml Bienenwachs

Das Bienenwachs sanft auf 80 °C erwärmen. Die getrockneten Dotter auf einen Schaschlik-Spieß aufspießen und 3–4 Mal in Bienenwachs tunken, bis eine rundum gleichmäßige Wachshülle entsteht.

Die Spieße in einen Steckschwamm oder ein Stück Styropor stecken und mindestens drei Tage gekühlt reifen lassen. Anschließend bis zum Gebrauch gekühlt lagern.

Haltbarkeit: ca. 4 Wochen.

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92 S MAGAZIN SINNES-LUST

Rezept

ERDBEER-VIELFALT MIT PFIRSICH, CALAMANSI & DUFTROSEN

1 Marinierte & infudierte Erdbeeren mit Rose, Calamansi & Pfirsich

2 Walderdbeeren

3 Eingelegter & gedörrter weißer Pfirsich

4 Argentinischer Minzstrauch

5 Eingelegte Schönbrunner Calamansi

6 Gedörrtes Limetten-Fruchtfleisch

7 Erdbeer–Pfirsich–Pistaziensauce

8 Topfennockerl mit Butterbröseln & gerösteten Pistazien

9 Duftrosen-Sorbet

Wein 2018 Merlot Spätlese, Hans Tschida, Illmitz, Neusiedler See

ARGENTINISCHER MINZSTRAUCH:

Der herrliche, leicht süßlich nach Minze duftende Strauch ist durch den hohen Anteil an ätherischen Ölen eine ausgezeichnete Teepflanze, die ihren Ursprung in Südamerika hat. Aus dem Steirereck-Garten.

Erdbeer-Vielfalt von Michael Bauer/Stetten NÖ:

Mara des Bois, Wädenswil No. 6, Charlotte, Praline, Baron Solemacher

EINGELEGTE CALAMANSI

ZUTATEN

- 300 ml Wasser

- 200 g Kristallzucker

- 500 g Calamansi

ZUBEREITUNG

Läuterzucker herstellen.

Die Calamansi waschen und kurz blanchieren. Anschließend mithilfe einer Spitzzange oder einer Pinzette die Früchte vom Stielansatz befreien. Dabei rasch den Stielansatz herausreißen, damit gleichzeitig auch etwas vom Mittelalbedo mitentfernt wird. Mit einer Pinzette die Kerne entfernen (1-3 Stück), dabei den Saft auffangen. Mit dem Läuterzucker auf Stufe 5 vakuumieren und im Wasserbad bei 80 °C 30 Minuten garen. Kühlen und 24 Stunden durchbeizen lassen.

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94 S MAGAZIN SINNES-LUST

Rezept

BLÜTEZEIT (MIT ROSE, VEILCHEN, ORANGENBLÜTE, FLIEDER & HOLUNDERBLÜTE)

1 Duftrose mit Süßerdäpfel & Karamellmalz

2 Orangenblüten-Gewürz-Amaranth-Krokant

3 Holunderblüten-Wiesenkerbel-Granité mit Mispeln & Pekannus

4 Veilchen-Mandel-Gebäck

5 Hausgemachtes Flieder-Gingerbeer

FLIEDER-GINGERBEER

ZUTATEN

- 50 g Flieder

- 1000 g Wasser

- 250 g Kristallzucker

- je 1 Orange, Zitrone, Limette

- 1 Vanilleschote

- 100 g Ingwer

- 2 Stk. Zitronengras

- 1 Stk. Sternanis

- 4 Stk. Kardamom (angedrückt)

- 4 Stk. Nelken

- 10 g Karpatensalz

- Flieder-Gingerbeer-Ansatz

- 1,2 g Germ, frisch

ZUBEREITUNG

Flieder-Gingerbeer-Ansatz:

Das Wasser und den Zucker zusammen aufkochen. In der Zwischenzeit alle Zutaten, bis auf den Flieder, grob schneiden und mit dem Flieder in einem tiefen Geschirr abmischen.

Den heißen 4:1-Läuterzucker über den Flieder-Ansatz gießen und auf Zimmertemperatur abkühlen lassen.

Flieder-Gingerbeer reifen:

Den Germ in den zimmertemperierten Gingerbeer-Ansatz einrühren und mit Frischhaltefolie abdecken. Den Ansatz für 24 Stunden bei Zimmertemperatur reifen und anschließend für weitere 24 Stunden im Kühlhaus nachreifen lassen. Nach den 48 Stunden Reifezeit den Gingerbeer-Ansatz durch ein belgisches Sieb passieren.

Gekühlt z. B. mit hausgemachten Rhabarber-Tonic-Eiswürfeln servieren.

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ER MISCHT!

DER GEMISCHTE

SATZ IST NICHT, WIE MAN GLAUBEN KÖNNTE, EINE WIENER SPEZIALITÄT. FRÜHER GAB ES IHN ÜBERALL.

HEUTE ENTDECKT MAN IHN WIEDER –ALS WUNDERBAR UNBERECHENBARE SORTE.

SEBASTIAN HOFER FOTOS: PHILIPP HORAK
96 S MAGAZIN SATZ-STELLUNG
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01–02 Steirereck-Sommelier René Antrag kommt ins Schwärmen: „Das ist authentisch, das ist regional, das ist eine super Geschichte.“
98 S MAGAZIN SATZ-STELLUNG

Viele Wege führen zum Gemischten Satz, die meisten davon natürlich über Wiener Heurige und Buschenschanken. Es gibt aber auch andere Routen, in Richtung Pamhagen zum Beispiel, alleröstlichstes Burgenland, unverbauter Ungarnblick. Am Lerchenfeld, einer blühenden Landschaft, auf der Wein wächst, Paprika und wilder Lauch, wo Ziegen weiden und Hühner gackern, steht ein Weingarten, dessen Geschichte nicht gerade typisch, aber doch irgendwie exemplarisch ist. Es war im Jahr 1974, als Rosemarie und Michael Andert, Landwirte in Pamhagen, dort einen Wein gepflanzt haben, Grünen Veltliner und Neuburger, nur dass damals nicht genug Edelreiser vom Neuburger vorhanden waren. Es gab noch keine kommerziellen Rebschulen wie heute, die Veredelungstechnik war von Handarbeit geprägt, die Unterlagsreben wurden in der Gegend meist aus Ungarn importiert, worauf man sich aber nicht zu hundert Prozent verlassen konnte. Im Winter 1974 also fragten Rosemarie und Michael Andert ihre Nachbarn und Bekannten, ob sie nicht vielleicht noch Reben übrighätten. Sie hatten, aber halt keinen Neuburger, oder nicht nur, weshalb am Lerchenfeld heute auch Frühroter Veltliner, Ruländer, Welschriesling, Gelber Muskateller, Weißer Burgunder, Müller Thurgau, Chardonnay und ein paar namenlose Sorten stehen, bunt gemischt, plus noch ein paar Tafeltrauben zum Naschen – „eine herrliche Vielfalt“, wie Erich Andert sagt, Sohn von Rosemarie und Michael und inzwischen – zusammen mit seinem Bruder Michael – Betreiber des Weinguts Andert.

„In der Mehrheit wird der Gemischte Satz als leichter, trockener Wein verkauft. Alles, was nicht diesem Geschmacksbild entspricht, sondern kräftiger, weiniger ist, musst du dem Gast schon erklären.“
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03–04 Der Gemischte Satz von Erich und Michael Andert ist das wundervolle Resultat einer Notlage, der rot-weiße Mischsatz der Domaine Matassa auch optisch ein Vergnügen.

„Das ist genau das, worum es geht“, sagt René Antrag, und seine Begeisterung ist dem Sommelier des Steirereck sehr gut anzumerken, er sprüht regelrecht: „Das ist authentisch, das ist regional, das ist eine super Geschichte.“ Das ist: der „ G’MISCHTE SOTZ “ VON ERICH UND MICHAEL ANDERT (nur echt in lokaler Mundart). Und worum geht es? Um einen Weinstil, der gerade eine ziemliche Erfolgsgeschichte hinlegt, wobei diese Geschichte aber noch lange nicht fertig erzählt ist. René Antrag hat im Weinkeller des Steirereck gegraben, um genau das nachzuholen. Der Gemischte Satz ist da, er ist stark, spannend – und entgegen der landläufigen Ansicht keine Wiener Erfindung. Auch wenn man den Wiener Winzern schon zugutehalten muss, dass sie ihr Erbe sehr klug gepflegt und vermarktet haben, federführend der Stammersdorfer FRITZ

WIENINGER Von ihm hat Antrag den WIENER GEMISCHTEN

SATZ AUS DER RIED „ ROSENGARTL “ mitgebracht, einer der besten Lagen am Nussberg, in der Grüner Veltliner, Weißburgunder, Neuburger, Traminer und Riesling wachsen – ein gehaltvoller, komplexer und insofern doch ein wenig untypischer Wiener Gemischter Satz. „In der überwiegenden Mehrheit wird der ja als leichter, trockener, knackiger Wein verkauft. Alles, was nicht diesem Geschmacksbild entspricht, sondern ein bisschen kräftiger, weiniger ist, musst du dem Gast schon erklären.“

Also, Herr Antrag, bitte erklären Sie: Was ist ein Gemischter Satz? „Ganz einfach: Es handelt sich um einen Wein aus verschiedenen Rebsorten, die zusammen in einem Weingarten wachsen und gemeinsam gelesen, gepresst und gekeltert werden.“ Womit auch schon der Unterschied zur Cuvée erklärt wäre, die zwar ebenfalls aus verschiedenen Rebsorten besteht, die allerdings zuerst einzeln vinifiziert und erst anschließend verschnitten werden. Wie so ein Mischsatz genau aussieht, ist von Weingut zu Weingut, von Region zu Region verschieden. Meistens wachsen die Rebsorten im Weingarten bunt durcheinander, manchmal aber auch zeilenweise, wieder anderswo parzellenweise angeordnet. Aus wie vielen und welchen Sorten ein Gemischter Satz besteht, bleibt weitgehend dem Winzer überlassen. Manchmal sind es nur drei, manchmal zwanzig. Es existiert keine Rebsortenbegrenzung. In aller Regel handelt es sich allerdings um Weißweine, wobei hie und da auch ein roter Gemischter Satz vorkommt, was aber immer noch ziemlich exotisch ist. „Kein Wunder“, meint René Antrag. „Wenn mehrere verschiedene Rebsorten gleichzeitig geerntet werden, ist immer eine reifer als die andere. Bei Rotweinen wirken sich die unreifen Teile aromatisch doch recht schnell negativ aus.“

Das Zusammenspiel verschiedener Sorten, die sich je nach den Bedingungen eines Jahrgangs unterschiedlich entwickeln, hat aber eben auch erwünschte Effekte. Der eine ist, ganz pragmatisch, eine natürliche Ausfallsversicherung: Wenn in einem Jahr eine bestimmte Sorte durch Witterung oder Schädlingseinfluss auslässt, stehen immer noch genug andere Reben im Weingarten, um eine halbwegs ertragreiche Ernte zu gewährleisten. Der zweite Effekt ist ein aromatischer: Der Gemischte Satz kombiniert, wenn er gut gemacht ist, die Frucht und den Ausdruck der hochreifen Sorten mit der Säure und Frische spätreifer Trauben. Großes Aber: „Sortenvielfalt garantiert nicht automatisch Facettenreichtum“, sagt René Antrag und öffnet den GEMISCHTEN SATZ „ VON DEN TERRASSEN 1958“ VON MARTIN ARNDORFER aus dem Kamptal, ein Wein, der schön zeigt, wie man es richtig macht. „Der stammt aus einem alten Weingarten, der 1958 gepflanzt wurde und so steile Terrassen hat, dass er nur händisch bewirtschaftet werden kann. Wirklich schwierig. Als Martin Arndorfer den gekauft hat, hat ihn sein Vater gefragt, ob er spinnt. Martin meint, und das finde ich eine schöne Einstellung, dass für ihn die Balance und die Ausgewogenheit im Gemischten Satz stärker sind als bei Cuvées. Im Gemischten Satz ist mehr Einheit.“

100 S MAGAZIN SATZ-STELLUNG

05 Historisch findet man den Gemischten Satz in fast allen europäischen Weinbauregionen, „aber Wien ist natürlich das Vorzeigemodell“, erklärt René Antrag.

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06 Viele Winzer haben ihre alten Mischsätze gerodet, als sie merkten, dass sich mit reinsortigen Weinen mehr Geld verdienen lässt. Umso wertvoller sind heute die, die geblieben sind.

102 S MAGAZIN SATZ-STELLUNG

Historisch findet man den Gemischten Satz in fast allen europäischen Weinbauregionen. Er war, vor der Reblausplage, die Norm. Reinsortige Weingärten kamen flächendeckend erst in den 1920er-Jahren auf, mancherorts noch wesentlich später. Antrag kostet den „ DREI-GENERATIONEN-WEIN “ VOM WEINGUT WERLITSCH in Glanz, südlichste Südsteiermark: Gelber Muskateller, Morillon, Sauvignon Blanc, Traminer und Welschriesling, in den 1960er-Jahren auf einem halben Hektar als Gemischter Satz ausgepflanzt, einigermaßen quer zum damaligen Zeitgeist. „Man hat diesen Wein für den Eigengebrauch gekeltert, das war gewissermaßen der Haustrunk. Der Hof wurde damals, wie viele andere auch, gerade erst von gemischter Landwirtschaft auf reinen Weinbau umgestellt. Viele Winzer haben in dieser Zeit ihre Mischsätze gerodet und reinsortige Weingärten angelegt. Weil sie gemerkt haben, dass sich damit mehr Geld verdienen lässt. Reinsortige Qualitätsweine machen einen wertigeren Eindruck, und man kann auch besser auf Kundenwünsche reagieren: Für jeden Geschmack gibt es den passenden Wein. Außerdem konnte man in der Weingartenarbeit professioneller arbeiten: Wenn du eine Rebsorte hast, kannst du deine Bewirtschaftung genau auf diese einstellen. Wie willst du das

bei zehn verschiedenen Sorten machen? Und dann ging es auch schon los mit der Betonung von Jahrgangstypizität oder Lagentypizität. Das ist beim reinsortigen Wein sehr viel leichter darzustellen als beim Gemischten Satz.“ Es gibt keine planbare Jahrgangs- und sehr wenig Lagentypizität beim Gemischten Satz, es gibt eine erfrischende Unberechenbarkeit: Es wird ein Wein sein – aber welcher genau, wird man erst am Ende des Jahres wissen.

Das macht den Gemischten Satz in der Vermarktung natürlich nicht einfacher. Umso bemerkenswerter die Leistung der Wiener Winzer, die ihn in den vergangenen Jahren zur lokalen Leitsorte und zum überregionalen Verkaufsschlager gemacht haben. „Wien ist natürlich das Vorzeigemodell“, sagt René Antrag beim Öffnen des WIENER GEMISCHTEN SATZ RIED PREUSSEN VOM WEINGUT ROTES HAUS , das, wie auch das Weingut von Fritz Wieninger, zur WienWein-Gruppe gehört, die sich besonders intensiv um den Gemischten Satz bemüht hat. Das Fundament dieser Mühen stand bereit: In Wien hat der Gemischte Satz dank der Heurigenkultur überlebt. Der Schankwein war beim Wiener Heurigen immer eher ein Gemischter Satz als ein Veltliner oder Riesling. Darum sehen die Weinberge in der Hauptstadt heute auch so aus, wie sie aussehen: schön vielfältig. Der Gemischte Satz ist nämlich auch, man darf das ruhig einmal

betonen, ein gutes Beispiel von erfolgreichem Multikulturalismus, von einem funktionierenden, bereichernden Miteinander. Dass es dafür Regeln braucht, ist klar. Konkret stehen diese im Bundesgesetzblatt Nr. 236/2013, „Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zur Festsetzung von Bedingungen für regionaltypische Qualitätsweine mit Herkunftsprofilen für den Wiener Gemischten Satz DAC“. Demnach hat ein regionaltypischer Wiener Gemischter Satz „aus einem Wiener Weingarten zu stammen, der mit zumindest drei Rebsorten bepflanzt ist, die gemeinsam gelesen und verarbeitet werden. Der größte Sortenanteil hat nicht höher als 50 Prozent zu sein, der drittgrößte Sortenanteil hat zumindest 10 Prozent zu umfassen.“

Ordnung muss sein. Ein bisschen Freestyle aber auch. Der kommt diesmal aus Calce, Weinbaugebiet Roussillon, wo Frankreich auf Spanien trifft und der südafrikanische Winzer Tom Lubbe seine DOMAINE MATASSA betreibt. GEMISCHTER SATZ ROMANISSA CASOT : 85 Prozent weiße, 15 Prozent rote Trauben, eine Pracht. „Schau dir diese Farbe an. Die ist mega, oder?“ René Antrag ist unverkennbar angetan: „Das ist natürlich ein Wein, den man dem Gast auch erklären muss,

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der hat eine gewisse Animalität, eine Würze, die durch den reduktiven Ausbau entsteht. Das ist schon superspannend. Sehr frisch, sehr elegant, ganz wenig Alkohol. Den würde ich zu leichtem Fleisch servieren oder kräftigen Fischgerichten, einem Wallergulasch vielleicht. Aber schau dir diese Farbe an!“ Es handelt sich übrigens nicht um ein neumodisches Experiment, sondern um einen wirklich alten Mischsatz. Und wenn im Roussillon etwas wirklich alt ist, dann ist es in Wirklichkeit uralt. „Dort reden sie bei einem fünfzigjährigen Weingarten noch von jungen Reben“, sagt Antrag und holt noch einen ausländischen Mischsatz aus der Kühlung, den „ BLACK LABEL “ des Weinguts 7RADKU aus dem kleinen mährischen Dorf Němčičky, das von Wien aus gesehen in der direkten Verlängerung des Weinviertels liegt (und mit diesem geologisch und weingeschichtlich auch eng verbunden ist). Der Name des Weinguts, im tschechischen Original „Sedm Radku“, bezieht sich auf den ersten Weingarten, den die Betreiber, damals noch Studenten an der Uni Brünn, bewirtschafteten: sieben Reihen, geerbt von der Großmutter, in deren Steinkeller auch produziert wird, ohne Kellertechnik, mit durch und durch naturnahen Mitteln, ohne Zusätze, ohne Filter, aber mit sehr viel Ambition und Gespür. Der Weingarten, in dem der Gemischte Satz für

den „Black Label“ steht, ist über 40 Jahre alt und enthält Grünen Veltliner, Welschriesling, Silvaner, Müller-Thurgau und Aurelius, eine lokale Kreuzung aus Neuburger und Riesling. „Superspannend“ findet René Antrag das, und man findet es auch.

Letzte Station, zurück ins Burgenland. René Antrag hat noch etwas Besonderes mitgebracht, nämlich einen Wein, den es nicht mehr gibt: GEMISCHTER SATZ 2010, WEINGUT ROSI SCHUSTER , St. Margarethen: 14 verschiedene Rebsorten, gewachsen in einem Weingarten, der fast 70 Jahre alt war, als er gerodet wurde. Sieben Jahre ist das jetzt her, der Zeitgeist wollte es leider so. Hannes Schuster hatte die Fläche nur gepachtet, aber immerhin vier Jahre lang diesen Wein daraus gemacht, jeweils knapp 300 Liter, damals ein Experiment nebenbei, heute „eine echte Rarität“, sagt René Antrag und riecht, kostet, strahlt: „Boah, bistudeppert. Super.“

„Sortenvielfalt garantiert nicht automatisch Facettenreichtum. Aber das hier ist schon superspannend. Und schau dir diese Farbe an!“
104 S MAGAZIN SATZ-STELLUNG

Herbst. Und – das zum Trost: Die Bäume verlieren ihr Laub nicht, sie blättern nur um, wie einst der viel zu früh verstorbene Dichter Günther Schatzdorfer schrieb. Was in den Küchen jetzt passiert, ist allen klar, die gerne kochen. Wild wird aufgetischt, Kürbis in allen Facetten und auch die Maronibrater haben Saison. Aber: Wir haben auch ein wenig Frühling und Sommer in den Herbst mitgenommen. In Form von Samen und Blüten. Veilchensirup zum Beispiel.

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106 KLEINES GLÜCK IM HANDUMDREH’N 105 S MAGAZIN BLÜTEN & SAMEN
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KLEINES GLÜCK IM HANDUMDREH ’ N

Es braucht wahrlich nicht rasend viel, um Großartiges zu kreieren. Ein paar Blüten, ein paar Samen und eine Handvoll Kleinigkeiten und schon knackt das Knäckebrot und der Essig geht runter wie Öl. Heinz Reitbauer zeigt vor, wie es geht, und nein, es ist wahrlich nicht kompliziert.

106 S MAGAZIN BLÜTEN-PRACHT

ZUTATEN

- 250 g Veilchenblüten

- 250 g Bio-Rohrzucker

- 2 g Vitamin C

TIPP

Wenn sich der Kristallzucker vollständig aufgelöst hat, kann der Sirup abpassiert werden.

VEILCHEN-SIRUP

ZUBEREITUNG

Die Veilchen von allen Gräsern, Blättern, Stielen und anderen Fremdkörpern befreien.

Alle Zutaten vermischen und auf Stufe 7 vakuumieren. Gekühlt für ca. 8 Wochen durchbeizen lassen.

TIPP

Die weißen Veilchen duften am verhaltensten.

Die sehr hellen Veilchen mit leicht violetter Färbung duften am intensivsten.

Anschließend durch ein belgisches Sieb pressen, in kleine Einheiten abfüllen und bis zum Gebrauch einfrieren.

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SAMENCRACKER / KNÄCKEBROT

8 PORTIONEN ODER 1000 g

ZUTATEN

- 250 g Roggen-Vollkornmehl

- 125 g Kürbiskerne

- 70 g Sonnenblumenkerne

- 187 g Leinsamen

- 62 g Sesam

- 55 g Hanfsamen (ungeschrotet)

- 12 g Karpatensalz

- 1 Msp. Bockshornklee (gemahlen)

- 1 Prise Kümmel (gemahlen)

- 1 TL Hesperidenessig

- 625 g Wasser

- 25 g Olivenöl

ZUBEREITUNG

Alle Zutaten in den Rührkessel einer Küchenmaschine geben.

TIPP

Damit die gröberen Kerne nicht brechen und somit die Samenstücke möglichst groß bleiben, vermengen wir die Masse nur kurz.

Aufkochen und im noch kochenden Zustand behutsam über die bereits abgewogene Mehl-/Samen-/Gewürz-Masse leeren und gleichzeitig die Maschine (Bischof-Aufsatz) laufen lassen.

Nur für wenige Sekunden laufen lassen, bis die Masse schön durchmischt ist und das Mehl angezogen hat.

Die noch warme Masse zwischen Backpapier hauchdünn mithilfe eines Nudelholzes ausrollen und anschließend mit Backpapier oben und unten im Ofen bei 160 °C 40 Minuten (Umluft) goldbraun backen.

Backpapier abziehen und Backrohr abkühlen lassen, bis die Cracker knusprig sind.

108 S MAGAZIN BLÜTEN-PRACHT

EINGELEGTE

KNOBLAUCH-BRUTZWIEBEL

ZUTATEN

- 300 g Knoblauch-Brutzwiebel (gesäubert)

- 450 g Traubenkernöl

- 3 Zweige Rosmarin - 5 Zweige Zitronenbohnen

TIPP

Gekühlt für mindestens 6 Monate haltbar.

ZUBEREITUNG

Von den Brutzwiebeln am Stiel sowie am Blütenansatz die trockenen Stellen abschneiden.

In einer Kasserolle die Brutzwiebeln mit dem Traubenkernöl auf ca. 100 °C erhitzen und bei dieser Temperatur für 10-15 Minuten weich konfieren. Kurz vor Ende der Garzeit die Kräuter hinzufügen, heiß in Einmachgläser abfüllen, sofort verschließen und für mindestens 3 Tage durchziehen lassen.

109

ANANASSALBEI-ESSIG

- 500 ml weißer Balsamessig (Gölles)

- 20 g Ananassalbei-Blüten (frisch)

Die gepflückten Blüten in ein sterilisiertes Einmachglas geben, Essig kurz aufkochen, Blüten damit übergießen und sofort mit dem Deckel verschließen.

Mindestens 24 Stunden ziehen lassen und anschließend bis zum Gebrach gekühlt lagern.

ZUTATEN ZUBEREITUNG
110 S MAGAZIN BLÜTEN-PRACHT

Winter. Viel Schnee und ein Wirtshaus im Pinzgau, der Weyerhof in Bramberg. Wahrlich einen Umweg wert, und auf einen solchen machten sich Wirtin und Wirt des Steirereck, denn: „Wer Rote Rüben surt und selcht, sprich quasi Speck aus ihnen macht, der macht sehr vieles sehr richtig“, wie Heinz Reitbauer schwärmt.

Gut, Schnee ist nicht jedermanns Sache, wie wär’s also mit einem etwas größeren Umweg? Lissabon vielleicht? Kulinarisch hoch im Kurs und auch im Winter gern frühlingshaft …

Wohin &  zurück

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AUF UMWEGEN NACH HAUSE
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128 ECHTE PILZE UND FALSCHE PRINZEN 4

AUF UMWEGEN NACH HAUSE

112 S MAGAZIN HAUS-BESUCH

VON HEIMKEHRERN UND EINEM WIEDERSEHEN. VON SPECK AUS ROTEN RÜBEN. VON EINEM GEBORENEN KOCH UND EINEM VERHINDERTEN ELEKTRIKER. VOM GEGLÜCKTEN SPAGAT ZWISCHEN GOURMET- UND WIRTSHAUSKÜCHE. UND VON BLIND DATES AUF DEM TELLER. KURZUM: VON FRANZ, VON ANDREAS UND VOM WEYERHOF.

TEXT: ACHIM SCHNEYDER, FOTOS: MIRCO TALIERCIO

01–02 Zwei Köche, ein Haustier und im Haus geräucherte Sellerieknollen. Seit Franz und Andreas gemeinsam am Werk sind, ist in der Küche nicht nur der Spaßfaktor ein großer.

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Dies ist die Geschichte zweier g’standener Salzburger Naturburschen, die sich schon seit Jugendtagen kennen und dennoch erst vor zwei Jahren so richtig zueinanderfanden. Dies ist aber auch die Geschichte eines freiwillig in Kauf genommenen Umwegs. Nein, in Wahrheit ist es sogar die Geschichte mehrerer Umwege, aber bleiben wir erst einmal bei dem einen. Und auf diesen machte sich die Familie Reitbauer.

Birgit und Heinz und die Kinder waren auf Skiurlaub in Südtirol. Als es schließlich an der Zeit war, die Koffer zu packen und wieder zurück nach Wien zu fahren, beschlossen die Patronin und der Patron

des Steirereck, den direkten Weg direkten Weg sein zu lassen und zwischenzeitlich abzubiegen. Und so landete die fünfköpfige Reisegruppe im Gasthof Weyerhof in Bramberg am Wildkogel im Salzburger Pinzgau, an dessen Stelle schon anno 1162 eine Taverne schriftlich erwähnt wird. Als „richtungsweisend“ sollte ein rundum begeisterter Heinz Reitbauer den Schlenkerer im Nachhinein bezeichnen. Als richtungsweisend, was die Wirtshauskultur im und auf dem Land betrifft. „Wer Rote Rüben surt und selcht, sprich quasi Speck aus ihnen macht, oder ein derart hervorragendes Lammherz serviert, der macht in der Küche sehr, sehr vieles sehr, sehr richtig.“

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Um ehrlich zu sein: Der Schlenkerer war natürlich sehr wohl geplant. Und das Ziel kein rein zufällig ausgewähltes. Aber nicht, weil dem Weyerhof, zu dem auch 14 prachtvolle Gästezimmer gehören, so ein guter Ruf vorauseilt, sondern weil’s ein schon länger ins Auge gefasstes Wiedersehen war. Ein Wiedersehen mit zwei Köchen, den eingangs erwähnten g’standenen Naturburschen, die nicht nur die Liebe zum Beruf und zum Freestyle-Skiing auf den umliegenden Pisten eint, sondern auch eine Vergangenheit im Steirereck. Wenn auch keine gemeinsame.

Franz Meilinger, ein 1983er-Jahrgang, ist der eine, Andreas Stotter, geboren 1987, der andere. Der Franz ist quasi der Weyerhof-Hausherr, befindet sich dieses einmalig schöne Gemäuer immerhin schon seit über 200 Jahren in Familienbesitz. Und das Wirtshauskind wollte eines schon immer werden, nämlich Koch. „Der Ritterschlag, wenn man so will, war, als ich als Bub erstmals nicht nur niedere Dienste wie Schnittlauch schneiden, Zwiebeln schälen oder Umrühren versah, sondern erstmals allein Kasnocken zubereiten durfte“, erinnert sich der zweifache Jungvater. Ella ist zwei, Luisa eins. Später dann besuchte er die Hotelfachschule in Bad Hofgastein, und nachdem er diese abgeschlossen hatte, zog es ihn in die große Stadt. „Das war im Oktober 2003, und ich habe auf Anhieb einen Job im alten Steirereck in der Rasumofskygasse gefunden.“

Im darauffolgenden Jahr ist er mitübersiedelt ins neue Steirereck in den Stadtpark, im Frühjahr 2005 nahm er Abschied von Heinz Reitbauer. „Ich wollte die Welt sehen“, sagt er heute, und so ging er zum Teil sehr weite (Um-)Wege, um ab 2009 doch wieder die Landluft im heimatlichen Bramberg zu atmen. „Die letzte Station war Singapur“, erzählt er. Dort hat ihn Mama Elisabeth gewissermaßen aufgespürt und flugs nach Hause beordert, weil das familiäre Wirtshaus den Bach runterzugehen drohte. „Es gab damals einfach kein g’scheites Personal“, erinnert sich die Frau Mama.

Ebenfalls im Jahre 2009 trug es sich zu, dass Andreas Stotter seinen Dienst im Steirereck antrat. Allerdings zum bereits zweiten Mal. Die Ära eins dauerte von 2007 bis 2008, und auch Andreas hatte seinerzeit das große Glück, unmittelbar nach der Ausbildung im Steirereck anheuern zu dürfen. „Dabei wollte ich, wie auch mein Vater und mein Bruder, Elektriker werden. Aber im Sommer vor der vierten Klasse Hauptschule hat mir der Papa einen Ferialjob in einem Hotel verschafft, und dort habe ich dann nach der Vierten auch gleich eine Kochlehre begonnen. Ob ich wirklich Koch werden wollte, wusste ich damals allerdings noch nicht so ganz genau.“

03–05 Da sitzen sie und fühlen sich sauwohl. Birgit und Heinz Reitbauer im Weyerhof bei ihren Ex-Mitarbeitern Andi und Franz. „Richtungsweisende Wirtshausküche“, sagt Heinz.

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06–07 Franz Meilinger (rechts) ist Hausherr und Küchenchef, Andi Stotter ein Freund aus Jugendtagen. Jetzt haben sie beruflich zueinandergefunden, Kreativität zum Quadrat quasi.

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Nach Ära eins ging Andreas nach London, traf dort bei einer Veranstaltung seinen Ex-Chef Heinz Reitbauer und ging 2009 von der Themse zurück an die Donau. Bis 2011. Dann zog es ihn in die Schweiz, später nach Kitzbühel. Dort lief ihm abermals Heinz über den Weg, und abermals folgte er dessen Ruf zurück nach Wien. 2013 war das, und 2017, damals längst zum Sous Chef aufgestiegen, verließ Andreas den Stadtpark zum dritten und letzten Mal. Nicht ganz leichten Herzens. Er hatte im Steirereck seine Frau Birgit kennengelernt, eine Kärntnerin, die in der Patisserie des Hauses tätig war. Ein Kind kam zur Welt, Tochter Alissa, und die beiden beschlossen, künftig zu dritt auf dem Lande leben zu wollen. Seit November 2019 tun sie das mit Sohn Adrian sogar zu viert.

Ein missglücktes Zwischenspiel später, als Andreas im Winter 2017/2018 ein Lokal in der Region zu führen versuchte, allerdings mit zu vielen einflussreichen Einflüsterern zu viele und zu große Probleme hatte, war es dann endlich so weit, und seither machen Franz und Andreas gemeinsame Sache. „Den letzten Umweg auf dem Heimweg hätte ich mir sparen können“, sagt Andreas, der aus Neukirchen stammt, einem Nachbarort von Bramberg.

Die beiden Köche aus Überzeugung und Leidenschaft sitzen jetzt in einer der fünf urigen, aber alles andere als kitschig-ländlichen Stuben und warten „nicht nervös, aber freudig erregt“ auf die Reitbauers. Ein mehrgängiges Überraschungsmenü haben sie vorbereitet. „Ich hatte den Andi ja schon längere Zeit auf dem Radar“, sagt Franz, „weil ich Wirtshaus- und Gourmetküche vereinen wollte. Und da schien mir der Andi, den ich seit ewigen Zeiten kenne, ob seiner langjährigen Steirereck-Erfahrung und seines Einfallsreichtums ein idealer Partner.“

Natürlich gibt’s im Weyerhof panierte Schweinsschnitzel und klassische Wiener Schnitzel vom Kalb. Freilich nicht aus der Fritteuse, sondern aus der Pfanne, herausgebacken in Butterschmalz. Auch dürfen Spinat- und Kaspressknödel in einem Salzburger Landgasthaus nicht fehlen, aber wer einmal die aus Franz’ und Andreas’ Küche genossen hat, rührt so schnell keine anderen mehr an. Kaspressknödel ist eben nicht gleich Kaspressknödel. Butterweich sind die Rinderfilets mit mariniertem Rucola, eine Sensation ist die geröstete Schweinsleber, unvergleichlich der Kalbsrücken mit Gnocchi und Schmorpaprika. Und dann wären da noch die fünf-, sieben-, bisweilen sogar zwölfgängigen Überraschungsmenüs auf Vorbestellung. „Da toben wir uns ein bisserl aus und lassen der Kreativität freien Lauf“, sagt Andreas. Das Prinzip ist denkbar einfach: Der Gast verrät im Vorfeld, was er und seine Begleiterinnen und Begleiter nicht mögen, aus allem anderen zaubern Andreas 08–11 Andreas Stotter und seine Frau Birgit. Die beiden fanden einst im Steirereck zueinander, und während sie freiberuflich Torten und andere süße Sünden auf Bestellung produziert, kocht er im Weyerhof die Gäste ein.

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und Franz nach ihrem Geschmack und ihrer Fantasie. Quasi Blind Dates auf dem Teller. „Vieles entsteht ganz plötzlich. Auch zufällig. Da sitzen wir beim Nachmittagskaffee, reden nix und schauen nur, und plötzlich sagt einer ‚Du, wir könnten doch aus dem und dem das und das machen …‘, und der andere sagt ‚Stimmt, und wenn man dann noch das und das dazugibt, könnt’s eine richtig runde Sache werden …‘ Und dann probieren wir es in der Praxis aus“, plaudert Franz aus der Kochschule.

„Grundsätzlich kommen bei uns – bis auf ganz wenige Ausnahmen – dabei nur Produkte aus der Gegend zum Einsatz. Gut, wenn einmal jemand beim Überraschungsmenü auf irgendwas mit Meeresfisch besteht, lassen wir mit uns reden. Aber sonst beliefern uns in Wahrheit nur Bauern und Jäger aus der Region“, sagt Andreas. Und vieles wird auch selbst gemacht. Brot etwa, Speck – nicht nur von Roten Rüben –, auch Marmeladen. Hinter dem Haus befindet sich zudem der eigene Kräuter- und Gemüsegarten, und wer zur Verdauung einen Zirbenschnaps urgiert, bekommt ebenfalls einen selbst angesetzten.

Andreas’ Telefon läutet, Heinz ist dran. „Wir sind in der Zielgeraden“, sagt er. „Wir freuen uns“, sagt Andreas. „Und wie wir uns freuen …“, sagt er wie zu sich selbst, als er aufgelegt hat. „Ich habe unendlich viel gelernt im Steirereck, aber zu den ganz wesentlichen Dingen zählt die Erfahrung, dass ein Chef auch ein netter Mensch sein kann. Nicht nur nach der Arbeit, auch während. Und diese Erfahrung habe ich wahrlich nicht überall gemacht.“ Franz pflichtet bei, „auch wenn’s bei mir nur vergleichsweise kurz war und lange her ist. Aber Heinz Reitbauer war ein ganz besonders feiner Mensch. Einer, der mir sehr früh Qualitätsdenken, Qualitätsanspruch und die Liebe zum Produkt vermittelt hat. Und durch ihn habe ich auch gelernt, dass man stolz sein kann, ein Koch zu sein.“

Dann geht die Türe auf. Ungemein herzlich ist die Begrüßung, und bald schon gesteht Heinz in freudiger kulinarischer Erwartung, großen Hunger zu haben. „Was gibt’s denn?“, fragt er und grinst. Und als hätten Franz und Andreas es einstudiert, antworten sie zeitgleich: „Lasst euch überraschen …“

„Bei den Überraschungsmenüs toben wir uns ein bisserl aus und lassen der Kreativität freien Lauf.“
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SIEBEN HÜGEL HERRLICHKEIT

01–02 Links: Superstar Nuno Mendes ist aus London retour in Lissabon. Unten: So groß sind die Entenmuscheln nur in der Bierhalle Ramiro!

TEXT: SEVERIN CORTI

FOTOS: PAULO BARATA

WER LISSABON ZU FUSS ERKUNDET, HAT ALLE RECHTE AUF AUSGIEBIGE MAHLZEITEN: DIE STADT IST AUF SIEBEN RICHTIG STEILEN HÜGELN GEBAUT. LOHNT SICH AUCH, IN DER GASTRONOMIESZENE KENNT DIE PORTUGIESISCHE METROPOLE DIESER TAGE NÄMLICH NUR EINE RICHTUNG: BERGAUF. IM WOCHENRHYTHMUS SPERREN JUNGE, WELTLÄUFIGE KÖCHINNEN UND KÖCHE NEUE RESTAURANTS AUF, UM DIE HERAUSRAGENDEN GRUNDPRODUKTE AUS LAND UND, VOR ALLEM, MEER SPEKTAKULÄR IN SZENE ZU SETZEN. BESSER – UND GÜNSTIGER –LÄSST SICH IN EUROPA DIESER TAGE KAUM WO ESSEN!

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Die Warteschlange vor der CERVEJARIA RAMIRO reicht an diesem Freitagabend bis um die nächste Häuserecke. Kenner holen sich ihren Meeresfrüchte-Mix deshalb immer schon zum Lunch, da bekommt man mit Glück gleich einen Tisch in der auf zwei Etagen etablierten Traditionsadresse. Die Cervejarias von Lissabon mögen zünftige, laute Bierhallen sein, wie wir sie auch aus dem Alpenraum kennen. Statt Schweinsbraten und Würsteln aber werden hier fangfrische Meeresfrüchte der kapitalen Art zum Bier gereicht. Und die Ramiro ist ohne Zweifel die erste Adresse dieser Art. In Lissabon genießt das Haus mit den beständig fließenden Zapfhähnen den Status eines Nationalheiligtums: Nirgends sind die Langusten mächtiger, die Meeresspinnen frischer, die Wildgarnelen aus den Tiefen der Algarve knackiger und die Venusmuscheln süßer. Ein Essen hier wächst sich, wenn man nicht sehr diszipliniert ist, fast unweigerlich zur orgiastischen Schlacht aus – zumindest sieht man nach dem köstlichen Ringen mit Krabben und Langusten, bewaffnet mit Hammer, Hummergabel und Löffel, schnell einmal so aus, als wäre man gerade in Kampfhandlungen verwickelt gewesen.

Die Qualität der Meeresfrüchte in Portugal ist tatsächlich unvergleichlich. Angesichts der schieren Menge und Größe von Garnelen, Kaisergranaten, Langusten und Seespinnen möchte man glauben, dass die Umwelt hier noch in Ordnung ist. Auch die verblüffend niedrige Preisgestaltung lässt die sonst angebrachte Zurückhaltung flugs vergessen. Der Service ist von einer Effizienz und Schnelligkeit, die man sich in alpinen Biergärten gern wünschen würde. Nur wer Wein statt Bier zu Hummer & Co. bestellt, outet sich unmissverständlich als gastronomisch vielleicht versierter, aber dennoch ahnungsloser Tourist. Wer darauf verzichtet, den intensiv meeresfrischen, aus purem, salzigem Wohlgeschmack bestehenden Saft aus den Köpfen der Algarve-Garnelen zu saugen, natürlich ebenso.

Für die besten Meeresfrüchte des Kontinents ist Lissabon nicht erst berühmt, seit der unvergessene Fressliterat Anthony Bourdain hier einst bei einer TV-Folge von „No Reservations“ in ekstatisches Grunzen verfiel. Dass Lissabon in den vergangenen drei, vier Jahren zum Kristallisationspunkt einer unglaublich dynamischen Szene junger, oft unabhängig finanzierter Restaurants mit grandioser Küche geworden ist, spricht sich aber erst langsam herum. Man kann in Lissabon mittlerweile jeden Abend in einem Kreativschuppen der Extraklasse dinieren, von perfekt disponiertem Personal und in allerhand Fremdsprachen parlierenden Köchen charmiert werden – und hätte nach 14 Tagen Aufenthalt noch keineswegs alle Adressen durch.

03–05 Unten: Im Bahr macht Nuno Mendes aus den Entenmuscheln (eigentlich eine Krebsart) delikate Crostini. Rechts: Portugiesisches Seafood in der Cervejaria Ramiro.

Zu allererst ist da natürlich der große Heimkehrer und nationale Superstar Nuno Mendes, ein Koch, der die Welt-Metropole London mit fantastisch direkter, stets auf wenigen ausgesuchten Zutaten fußender Küche seit Jahren (Viajante, Chiltern Firehouse, Mãos …) in Bann zu ziehen weiß. Für das neue, auf dem Dach des raffiniert-luxuriösen Bairro Alto Hotels gelegene RESTAURANTE BAHR ließ er sich nun erstmals zurück in die alte Heimat locken. Was leicht als müde Nummernrevue erprobter Klassiker enden hätte können, gerät zu einer beglückenden Auseinandersetzung mit den gastronomischen Schätzen seiner Heimat, die er nur hier vorfindet. Percebes (Entenmuscheln) etwa, die prähistorisch anmutenden, aber unbeschreiblich köstlichen Felsenkrebs-Geschöpfe aus der Brandung des Atlantiks, räuchert er ganz sanft und

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bettet sie auf zart knofeligen, saftigen Toast; Riesenkalmar von den Azoren schneidet er zu hauchfeinen Fettuccine, die er fast roh mit der Länge nach geteilten Fisolen und mineralisch scharfen Knospen vom Stängelkohl kombiniert. Eine himmlische Salsa aus Koriander, frischem Knoblauch und Olivenöl dazu, fertig ist eine meisterlich balancierte, mit den Texturen spielende Komposition von zwingender Eleganz.

Ungleich handfester, aber nicht minder virtuos geht es Leopoldo Garcia Calhau, ein Autodidakt, der (wie der große Fergus Henderson) eigentlich ausgebildeter Architekt ist, in seiner TABERNA DO CALHAU an. Das winzige Lokal ist mit Möbeln einer uralten Weinschenke aus dem Alentejo ausgestattet, auch die Produkte und Kochtraditionen hat Calhau sich in dieser aus bitterarmen, aber für die handwerkliche Qualität seiner Landwirtschaft legendären Region geholt. So sitzt man auf winzigen Holzschemeln und darf sich an Hirn mit Ei freuen – hier aber vom Lamm, im Ganzen in brauner Butter gebraten und erst bei Tisch mit cremig pochiertem Ei serviert –, an Wildspargel mit herrlich dichtem Püree von Pastinaken aus der Glut oder an rauchig auf den Punkt gegrillten Backerln vom schwarzen Eichelschwein, die Calhau in einer köstlich altmodischen (aber makellos abgeschmeckten) Sauce aus Wein und Brandy serviert. Zu aus der Vergangenheit geholten –aber nicht zuletzt der Nachhaltigkeit wegen hochaktuellen – Gerichten wie diesen trinkt man einige der besten Naturweine Portugals, zart im Alkohol, straff, von unwiderstehlichem Trinkfluss.

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06–07 Die Taberna do Calhau des kochenden Architekten Leopoldo Garcia Calhau steht für inspiriert ins Heute gebrachte Bauernküche aus dem Alentejo – und gekonnt dazu ausgesuchte Naturweine.

Die gibt es auch im FOGO, zu Deutsch Feuer, das Chef Alexandre Silva 2019 eröffnet hat. Der dunkel-schummrige Raum wird von den Holzstößen (verschiedene Sorten, für verschiedene Gerichte!) an der Wand, von den aus hauchdünnem, lichtdurchlässig orangem Marmor gefertigten Leuchten, die sich wie Flammen entlang der Decke durchs Lokal züngeln – und, natürlich, von der großen, offenen Küche bestimmt, in der eine massive Glutgrube und ein Holzofen die alles bestimmenden Elemente sind. Irgendwo weit über den Flammen liegt ein Spanferkel auf einem Gitter – „das soll ein wenig Rauch abbekommen, bevor wir es für den Abendservice in den Ofen schieben“ –, während die vielköpfige Küchenmannschaft sich dem Mittagsgeschäft widmet. Es gibt grandios cremige Polenta mit Herzmuscheln, zart rauchige Vongole mit Knoblauch und Koriander aus dem Ofen und fantastische Messermuscheln vom Grill – die Qualität der portugiesischen Meeresfrüchte ist in Europa immer noch unerreicht. Es gibt aber auch den Kopf eines riesenhaften Glattbutts, knusprig gegrillt und mit „Molho à Espanhola“, einer Salsa aus Paprika, Petersilie, Zitrone und süßem Gemüsezwiebel versehen, ein außerordentlich saftiges, fleischiges Vergnügen der vor Meeresfrische vibrierenden Sorte. Nacken vom Blauflossenthun wird am Knochen zu unanständig geilem Schmelz gegrillt, das Lamm mit im Ofen geschmortem (und wild angeknuspertem) Reis im gusseisernen Topf will man aber auch. Für Alexandre Silva ist das Fogo bereits das zweite Restaurant – in seinem anderen, dem radikal regional ausgerichteten Loco, hat er bereits einen Stern.

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08–09 Fogo heißt Feuer, und so sieht auch die Küche aus: Eine riesige Glutgrube, aus der Küchenchef Alexandre Silva ganz wunderbar finessenreiche Gerichte an die Tische schickt.
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Fisch und Meeresfrüchte nimmt sich auch André Fernandes vor, der sein extrem charmantes, kleines RESTAURANTE ATTLA gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Rita Chantre betreibt. Der junge Chef hat sein Herz aber mindestens so ans Gemüse verloren – und was er da zeigt, macht mindestens ebenso glücklich. Geschmorten Lauch mit Senfsamen-Salsa und knusprig frittiertem Lauch-Heu zum Beispiel, ein ebenso simpler wie zwingend köstlicher Einfall. Oder mit großer Achtsamkeit gegrillte gelbe und rote Rüben, die mit ein paar frittierten Rübenblättern und einer zum drin Versinken herrlichen Sauce Mornay mit reichlich lokalem Ziegenkäse serviert werden – schön, wenn man sich der Klassiker auf derart innovative Weise entsinnt!

In einem Klassiker ganz besonderer Art hat der junge Spitzenkoch Pedro Pena Bastos aufgeschlagen – nämlich im Restaurant CURA des spektakulären 1960er-RitzHotels. Das einst als kryptofaschistisches Statement der portugiesischen Diktatur eröffnete Staatshotel ist nämlich architektonisch sehr gelungen, hat eine fantastische Kunstkollektion und wird seit Jahrzehnten als Four-Seasons-Luxushotel betrieben. Es begeistert durch eine Servicequalität, die man anderswo nicht mehr zu erträumen wagt und war bislang mit seinem ultratraditionellen Luxusrestaurant Varanda vor allem bei Politikern, Wirtschaftskapitänen und der um Diskretion bemühten Bourgeoisie der Hauptstadt beliebt.

Das Cura ist ganz anders: Mit vergleichsweise leistbaren Preisen, ohne formellen Service und weiße Tischwäsche, dafür mit einer offenen Küche und einer dynamischen, alle paar Wochen wechselnden Speisekarte. Bastos kombiniert etwa rohen Kalmar mit einer fantastischen Sauce aus Nüssen und brauner Butter, ein Löffel Kaviar darf diskrete Umami-Noten beisteuern. Gegrillter Kürbis wird mit einer hinreißenden Liebstöckel-Emulsion, Kapuzinerkresse und den ersten Frühlingspilzen kombiniert, erfrischend und gehaltvoll zugleich. Dass solch kompromisslos zeitgemäße Küche an einem der traditionell bürgerlichsten Orte der portugiesischen Hauptstadt serviert wird, zeigt auch, in welch atemberaubendem Tempo sich die vor wenigen Jahren noch so verschlafen und rückwärtsgewandt wirkende Stadt entwickelt hat.

WEBHINWEISE

Cervejaria Ramiro: cervejariaramiro.com

Restaurante Bahr: bahr.pt/de

Taberna do Calhau: instagram.com/taberna_do_calhau

Restaurante Fogo: fogorestaurante.pt/en

Restaurante Attla: attlarestaurant.com

Restaurante Cura: fourseasons.com/lisbon/dining/restaurants/cura

10–12 Rita Chantre und André Fernandes (l.o.) haben sich im Attla (o.) vornehmlich dem Gemüse herausragend arbeitender Gärtner verschrieben. Im Cura hingegen serviert Pedro Pena Bastos Luxuriöses: Kalmar mit Kaviar und einer fantastischen Salsa aus Nüssen und Nussbutter (l.u.).

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Natalia Ushakova

ECHTE PILZE UND FALSCHE PRINZEN

GESCHMACKSERINNERUNGEN

Kein Fleisch, kein Brot, nur kleine Portionen. Kaum hatte Natalia Ushakova das Steirereck betreten, wo sie von Hausherr Heinz Reitbauer begrüßt wurde, erklärte die Opernsängerin auch schon mit Nachdruck, was an diesem Abend bitte nicht auf ihrem Teller landen dürfe. Zwölf Kilo in drei Wochen hatte sie bereits abgenommen, erzählte die Sopranistin stolz – wegen Dancing Stars.

Das war vor gut einem Jahr. Inzwischen ist viel passiert, Dancing Stars ist Geschichte, Ushakova belegte an der Seite von Profitänzer Dimitar Stefanin den vierten Platz. Das Gewicht hält sie übrigens noch heute („plus/ minus zwei Kilo“), insofern – das kann man schon so sagen – habe die TV-Show ihr Leben verändert. „Ich habe mich davor nicht wirklich wohl und schön gefühlt, das ist jetzt anders. Man könnte sagen: Aus einer Made ist ein Schmetterling geworden.“

Wenn Natalia Ushakova erzählt, lacht sie quasi ständig und erobert einen Raum binnen weniger Sekunden. Aber das war nicht immer so, denn als Kind war Natalia nicht nur leise, sondern auch schmächtig, schwach und blass. „Ich wollte einfach nichts essen, nichts hat geschmeckt.“ Kein Arzt

AUFGEZEICHNET VON URSULA MACHER

FOTO: PHILIPP HORAK

konnte helfen, nur die russische Oma, bei der sie aufgewachsen ist, wollte nicht und nicht aufgeben. Irgendwann kam dieser dann die zündende Idee, es einfach einmal mit Kaviar zu probieren, womit sie den Geschmacksnerv der Enkelin zu hundert Prozent getroffen hatte. Von da an aß die Ushakova täglich Weißbrot mit viel Butter und schwarzem Beluga, den die Oma der Haltbarkeit wegen im Tiefkühlfach aufbewahrte.

„Ich hab es geliebt – das ist der Geschmack meiner Kindheit“, schwärmt Natalia, die dazu Schwarztee mit Zitrone und „sehr viel Zucker“ trank und ihrer Großmutter Praskowja noch heute in tiefster Dankbarkeit gedenkt, weil es ja nicht selbstverständlich ist, einem Kind über Jahre hinweg einzig und allein das teure schwarze Gold zu kredenzen. Unterm Strich, sagt Ushakova, habe sie in diesen vier, fünf Jahren mit Sicherheit einen Kleinwagen in Form von Kaviar verputzt. Der Oma war’s egal, schließlich war das Projekt schnell von Erfolg gekrönt. „Ich habe zugenommen, rosa Wangerl bekommen und endlich sind auch die Haare wieder gewachsen – ich sah ja vorher aus wie ein verhungerter Bub!“ Noch heute, wenn sie Kaviar isst, den sie nach wie vor liebt, nur halt in Kombination mit

gekochten Eiern und Blinis, denkt Ushakova zurück an diese Zeit und den „Luxus, der mich zurück ins Leben gebracht hat“.

Aber Natalia, von Freunden Natascha genannt, kann auch anders. Dass sie singen will, wusste sie bereits mit vier. Aber einfach war er nicht, der Weg nach oben. Mit 17 meldete sie sich für ein Gesangsstudium in St. Petersburg an, ohne das Wissen der Oma, weil die immer sagte, „dass es kein Beruf für anständige Mädchen ist, auf der Bühne bärtige Männer zu küssen“. Ushakova hat sich trotzdem beworben, hat bestanden und landete erst einmal in einem Studentenheim. Das alltägliche Leben gestaltete sich bescheiden und wurde durch Nebenjobs als Putzfrau finanziert. „Schön essen zu gehen, war unmöglich, die Gesangsstudenten haben zusammengelegt und gemeinsam kochten wir so Sachen wie Spaghetti mit Ketchup.“ Erst als Studentenkinder reicher Eltern Natascha ihre gelieferten Packerl überantworteten, ging es bergauf. „Von da an habe ich für alle Suppen und Eintöpfe gekocht.“

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Gelernt hat sie das Zubereiten, wie fast alles im Leben, von ihrer Großmutter. Pelmeni, eine Art russische Ravioli, oder Wareniki, mit Kirschen, Topfen oder Sauerkraut gefüllte Teigtaschen, sind nur zwei Rezepte von mehreren, die sie aus dem Effeff beherrscht. Das Repertoire wurde erweitert, als sie das erste Mal als Studentin nach Österreich kam. Zwischen ihren Auftritten an der Metropolitan Opera in New York, der Mailänder Scala, dem Royal Opera House in Covent Garden in London und anderen großen Häusern kehrte sie immer wieder nach Österreich zurück, um schließlich 2007 ihr Debüt an der Wiener Staatsoper in „La traviata“ zu feiern. In Österreich hat Ushakova auch gleich zwei große Lieben gefunden: Zum einen ihren Mann, den sie nur eine Woche nach dem Kennenlernen heiratete, zum anderen die österreichische Küche, womit wir auch wieder bei Gastgeber Heinz Reitbauer wären, den sie als den „Karajan des Speisens“ bezeichnet, „weil er weiß, wie man ein Werk spannend inszeniert“.

Das tat er auch an diesem Abend, weshalb Natascha dann und wann ins Singen verfiel, während sie sich durch die verschiedenen Geschmackswelten kostete, die in Form von Küchengrüßen, rotem Chicorée mit Meyer-Zitrone und Bouchot-Muscheln, in Holzkohle gegrilltem Karpfen und anderen Köstlichkeiten auf dem Tisch landeten. Dass sie selbst über gute Geschmacksnerven verfügt, habe ihr nicht zuletzt ihr Ehemann bestätigt, der einmal, als sie ihm die Zunge rausgestreckt hat, eine Vielzahl an Rezeptoren erkannt haben will.

Was Ushakova anpackt, macht sie mit Leidenschaft. Und wenn sie etwas will, dann am besten sofort. Wie das Haus am Semmering, das sich das Paar von einer Sekunde auf die andere gekauft hat. Ebendort findet man Natascha vor allem am Herd und im Wald, wobei das eine mit dem anderen zu tun hat und in erster Linie ihrer Leidenschaft für Pilze geschuldet ist. „Ich liebe es, Pilze zu suchen“, sagt die

Sopranistin, wobei sie sich beim Wort „liebe“ stimmlich in andere Höhen aufschwingt. Ein besonders netter Mensch habe ihr einmal verraten, dass man aus Steinpilzen und nur wenigen weiteren Zutaten wie Olivenöl, Zitrone, gehobeltem Parmesan, Pfeffer und Salz ein wunderbares Carpaccio machen kann, welches jetzt fixer Bestandteil auf dem Speiseplan der Eheleute ist. „Weil das so wunderbar schmeckt, sind wir natürlich besonders oft im Wald. Und jeden Pilz, den ich finde, küsse ich.“

Prinzipiell sei sie eine, die gerne neue Sachen ausprobiert, nicht nur Schwammerl. Wann immer sie ein Engagement im Ausland hat, karrt sie Sachen heim, die sie bis dato noch nicht kannte oder die eine Spezialität des jeweiligen Landes sind. Wobei sie bei Fleisch eine Ausnahme macht, das isst sie seit nunmehr sieben Jahren nicht mehr. Daran ist auch ein Auftritt

in Roncole Verdi, dem Geburtsort Giuseppe Verdis, nicht ganz unschuldig, wo ihr statt einer Fischplatte eine Froschplatte serviert wurde, weil Ersteres gerade aus war. „Ich hab mir nicht viel dabei gedacht und trotzdem probiert, aber das hat sehr komisch geschmeckt.“ Der Satz ist zu Ende, und die Ushakova beginnt wieder herzhaft zu lachen. „Ha, vielleicht habe ich da meinen Prinzen gegessen ...“

Wohl kaum, weil mit dem ist sie ja verheiratet und mit ihm verließ sie nach diesem Abend auch das Steirereck. Bestens gelaunt und mit reicher Beute in Form von drei Papiersackerln, gefüllt mit Brot, Weichkäse und einer Biskuitroulade. Auf dem Speiseplan der Sopranistin eigentlich ein No-Go, aber ohne Ausnahmen gäb’s ja nicht mehr viel zu lachen im Leben. Und eine Ushakova ohne Lachen ist wie ein Vogel ohne Flügel.

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NATALIA USHAKOVA, Sopranistin von Weltformat, ist mit Kaviar aufgewachsen. Und zwar so viel, dass man sich davon auch einen Kleinwagen hätte kaufen können.

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EMPFEHLUNGEN VON BIRGIT UND HEINZ REITBAUER TEIL 13

Auch wenn die kulinarischen Genüsse in den vergangenen Monaten stark von Liefer- und Abholdiensten dominiert waren, so hatten wir in den Zwischenmonaten der Öffnung doch einige reale gastronomische Erlebnisse.

HAN AM STADTPARK

Wien Alsergrund

Ganz in unserer Nähe verwöhnen uns schon seit einigen Jahren Bora Höllermeier und ihre Mutter mit exzellenter koreanischer Küche. Und, und das kommt uns ganz besonders entgegen: Das HAN hat auch am Sonntag geöffnet. So lassen wir dort des Öfteren die Woche Revue passieren und stimmen uns ganz entspannt und in Sachen Essen und Service bestens aufgehoben gleich auf die darauffolgende ein.

KRAINER Langenwang

Ein gastronomischer Fixpunkt im wunderschönen Mürztal ist der Krainer in Langenwang. Astrid und Andreas Krainer haben hier, mit tatkräftiger Unterstützung der Elterngeneration, ein wahres Kleinod geschaffen. Im Restaurant wird man ganz außergewöhnlich bekocht und bewirtet und im Café genießt man nicht nur hervorragende Frühstücksgerichte, sondern auch exzellente Mehlspeisen und hausgemachtes Eis. Neben der kreativen Küche ist es vor allem die herzliche Gastfreundschaft, die uns immer wieder an diesen Ort zieht. Ein Familienbetrieb wie im gastronomischen Bilderbuch, der mit seiner besonderen Herzlichkeit die Stammgäste aus nah und fern anzieht.

DIE WEINBANK Ehrenhausen

Seit 2014 sind Gerhard Fuchs und Christian Zach fixer Anziehungspunkt für Genussreisende, die es in die wunderschöne Südsteiermark zieht. Mit dem Wirtshaus und dem Restaurant in der Weinbank sind zwei unterschiedliche Konzepte unter einem Dach, die trotzdem wunderbar miteinander harmonieren. Gerhard Fuchs weiß kulinarisch gekonnt zu verwöhnen und Christian Zach schenkt hierzu perfekt abgestimmt ein. Ob für den besonderen Anlass das Restaurant oder in Familien- und Freundesrunde das Wirtshaus, man verlässt glücklich und zufrieden das Haus und freut sich in diesem Moment schon wieder auf das nächste Ma(h)l.

HAN AM STADTPARK

Am Heumarkt 9 1030 Wien

+43 1 5355050 han-wien.at

ADRESSEN

KRAINER

Grazer Straße 12

8665 Langenwang

+43 3854 2022 hotel-krainer.com

DIE WEINBANK

Hauptstraße 44

8461 Ehrenhausen

+43 3453 22291 dieweinbank.at

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Ein schöner Garten ist eine office@begründer.at | www.begründer.at | T 02773/42 540 | 3033 Hochstraß 599 Schauraum Schottenring 31, 1010 Wien | Mo – Fr 13 –18 Uhr | T 01/310 19 18 Um Sie bestens betreuen zu können, bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung.
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