Franche Comté: Kind und Käse - traveller 2013 12

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F R A N K R E I C H

Kind und Käse in der Franche-ComtĂŠ Los ging es mit einer einfachen Frage am sonntäglichen FrĂźhstĂźckstisch. „Woher kommt der Käse?“, will Samiran wissen. Ich parliere Ăźber Milch, Wiederkäuer und Fermentierung. Ergebnis: Unbefriedigend. „Da der Käse!“, unterbricht der Junior meinen väterlichen Redefluss. Mein Unwissen kaschiere ich elegant mit einem „Das schauen wir doch gleich mal nach!“. Wir lernen gemeinsam, dass der ComtĂŠ aus dem Juragebirge im Osten Frankreichs stammt, aus der historischen Freigrafschaft Burgund. Wer kann’s einem Sechsjährigen verdenken, dass Bilder stärker anziehen als Lexikalisches. Der Sohnemann zeigt auf das Foto mit dem autoreifengroĂ&#x;en Käselaib und verkĂźndet: „Da will ich mal hinfahren!“ Kulinarische Begeisterung darf man pädagogisch ausschlachten, denke ich mir, und begebe mich mit meinem Junior auf Entdeckungsreise in die Franche-ComtĂŠ. Der Region, dem der Käse seinen Namen verdankt. Die neue Schnellzugstrecke Rhein-Rhone gleicht auf franzĂśsischer Seite einer Furche. Nur in der Ferne finden die Augen bei 300 Stundenkilometern Haltepunkte in der weiten Landschaft. Weniger als vier Stunden nach unserer Abfahrt in Frankfurt erreichen wir den TGV-Bahnhof von Besancon, der - jede Minute zählt - als architektonisches Kunstwerk vor den Toren der Stadt behutsam aber markant in die grĂźne Wiese gegraben wurde.

und GroĂ&#x;artiges wie die prunkvollen BĂźrgerhäuser und die Ăœberreste des rĂśmischen Theaters. Oder eher unscheinbare MerkwĂźrdigkeiten im Gewirr der Gassen: Pawlatschen-InnenhĂśfe, die lebensgroĂ&#x;e Plastikkuh vor’m Regionalsupermarkt Doubs direct, Plakate, die zum Kaugummi-Tic-Tac-Toe auffordern. Nicht zu vergessen das besondere Flair, das Frankreichs grĂźnste Stadt zu einem sehr lebenswerten Flecken Welt macht.

Besancon - die grĂźne Festung

So ein Käse

Wie ein Omega umflieĂ&#x;t der Doubs die Altstadt der Metropole der Franche-ComtĂŠ. Der natĂźrliche Schutz durch den Fluss wurde vom genialen Baumeister Vauban gekrĂśnt durch den Ausbau der Festung zu einer perfekten Verteidigungsanlage. Mächtig thront die von der UNESCO ins Welterbe der Menschheit aufgenommene Zitadelle auf einem HĂźgel, der die Stadt im SĂźden begrenzt. Heute beherbergt sie verschiedene Museen, darunter auch das Museum des Widerstandes und der Deportation, und einen Zoo, dessen Spezialisierung auf bedrohten Arten liegt. Der Vormittag ist eine Reise durch Zeit und Raum: Der Kopf zwischen den Kiefern ĂźberlebensgroĂ&#x;er Insektenmodelle, sechsbeiniges Gewusel in der MĂźslipackung, Einblicke in die traditionellen Erwerbsquellen der LandbevĂślkerung, Welterbe-Puzzle, mit plattgedrĂźckter Nase am Panoramaglas des Tigergeheges und beidhändig gesicherte Kletterpartien Ăźber die Treppenstufen der Festungsmauer. Langeweile stellt sich selbst bei einem ungeduldigen VorschĂźler nicht ein. Ăœber die kĂśnnte man im Museum der Zeit mehr erfahren, wenn nicht so viel anderes zu entdecken wäre: GroĂ&#x;es

Wo Fruitiere draufsteht, ist in der FrancheComtĂŠ Käse drin. Der etwas irrefĂźhrende Name rĂźhrt keineswegs von einem Fruchthandel, vielmehr ist es ein Ort, an dem die FrĂźchte des Bodens weiterverarbeitet werden. Wir werden begrĂźĂ&#x;t vom Käsemeister der Fromagerie Coteaux de Seille im Dorf Lavigny. In Plastikkitteln gekleidet betreten wir den Produktionsraum, in dem in groĂ&#x;en Edelstahlwannen aus Milch Käse wird. Wir erfahren Ăźber Molke, Käseharfen, Bruch und Lab, während der Maitre gewaltige Käselaibe mit flinken Handgriffen aus dem Salzbad wuchtet. Ab da wird es Schritt fĂźr Schritt gemächlicher. Das Salzen gleicht einem gefĂźhlvollen

Einmassieren in die halbfeste Masse, ab da ist vor allem Ruhe angesagt. Mindestens vier Monate lagert der Käse in Kellern, bevor er auf den Markt kommt. Richtig gemĂźtlich wird es dann - befreit vom Schutzanzug - bei der Verkostung der Hausmarken: Dem ComtĂŠ und seinem weicheren kleinen Bruder Morbier, markant gezeichnet mit einem Aschestreifen in der Mitte. Der rĂźhrt angeblich daher, dass die Milchproduktion vom Morgen nicht fĂźr einen ganzen Käse reichte, sodass Kräuterasche als Deckel auf die erste Käseschicht kam, bis die Abendmilch gekäst werden konnte. Zu erzählen gäbe es sicherlich noch viel, aber nach Dutzenden WĂźrfeln versteht man leicht, wieso es heiĂ&#x;t: „Käse schlieĂ&#x;t den Magen!“ Den Meister ruft die Arbeit in die KäsekĂźche und wir verabschieden uns zu einem Verdauungsspaziergang durch das

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