Agrarforschung Schweiz, Heft 10, Oktober 2014

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AGRAR FORSCHUNG SCHWEIZ 2 0 1 4

|

H e f t

1 0

Agroscope | BLW | HAFL | AGRIDEA | ETH Z端rich | FiBL

O k t o b e r

Umwelt

Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Gr端nland der unteren Bergregion Seite 392

Pflanzenbau

Z端chtung feuerbrandrobuster Apfelsorten Seite 414

Kurzbericht

Bakterien aus dem Wurzelbereich wirken gegen die Kraut- und Knollenf辰ule Seite 430


Inhalt Oktober 2014 | Heft 10 Die Kraut- und Knollenfäule ist eine der weltweit bedeutendsten Kartoffelkrankheiten. Forschende von Agroscope untersuchten ­Bakterien aus der Kartoffelpflanze auf ihr ­mögliches Hemmpotenzial gegen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule für den schweizerischen Biokartoffelanbau. (Foto: Carole Parodi, Agroscope)

Impressum Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse ist die Zeitschrift der ­landwirtschaftlichen Forschung von Agroscope und ihren Partnern. Die Zeitschrift erscheint auf Deutsch und Französisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus Forschung, Industrie, Lehre, Beratung und Politik, an kantonale und eidgenös­sische Ämter und weitere Fachinteressierte. Herausgeberin Agroscope Partner b Agroscope (Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB; Institut für Nutztierwissen­schaften INT; Institut für Lebensmittelwissenschaften ILM; Institut für Nachhaltigkeits­wissenschaften INH), www.agroscope.ch b Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Bern, www.blw.ch b Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, Z­ ollikofen, www.hafl.ch b Beratungszentrale AGRIDEA, Lindau und Lausanne, www.agridea.ch b Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Departement für Umweltsystemwissenschaften, www.usys.ethz.ch b Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, www.fibl.org Redaktion Leitung und deutsche Redaktion Andrea Leuenberger-Minger, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 58 466 72 21, Fax +41 58 466 73 00

391 Editorial Umwelt 392 Tagfalter- und Widderchenvielfalt im

Grünland der unteren Bergregion Renate Heinzelmann, Gisela Lüscher und Thomas Walter Umwelt Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze 398

in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug Claudia Maurer et al. Umwelt Bewässerungsanlagen als Ursache für die 406

Nutzungsintensivierung von Grünland im Engadin Roman Graf, Pius Korner und Simon Birrer Pflanzenbau Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten 414 Markus Kellerhals et al.

Französische Redaktion Sibylle Willi, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 1012, 1260 Nyon 1, Tel. +41 58 460 41 57

Pflanzenbau Behangsprognose bei Äpfeln 422 Simon Schweizer et al.

Stellvertretung Judith Auer, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 1012, 1260 Nyon 1, Tel. +41 58 460 41 82

Kurzbericht Bakterien aus dem Wurzelbereich 430

E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch Redaktionsteam Vorsitz: Jean-Philippe Mayor (Leiter Corporate Communication Agroscope), Evelyne Fasnacht, Erika Meili und Sibylle Willi (Agroscope), Karin Bovigny-Ackermann (BLW), Beat Huber-Eicher (HAFL), Esther Weiss (AGRIDEA), ­Brigitte Dorn (ETH Zürich), Thomas Alföldi (FiBL). Abonnement Preise Zeitschrift: CHF 61.–* (Ausland + CHF 20.– Portokosten), inkl. MWSt. und Versandkosten, Online: CHF 61.–* * reduzierter Tarif siehe: www.agrarforschungschweiz.ch Adresse Nicole Boschung, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 64, 1725 Posieux E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch, Fax +41 58 466 73 00 Adressänderungen E-Mail: verkauf.zivil@bbl.admin.ch, Fax +41 31 325 50 58 Internet www.agrarforschungschweiz.ch www.rechercheagronomiquesuisse.ch ISSN infos ISSN 1663-7852 (Print) ISSN 1663-7909 (Internet) Schlüsseltitel: Agrarforschung Schweiz Abgekürzter Schlüsseltitel: Agrarforsch. Schweiz © Copyright Agroscope. Nachdruck von Artikeln gestattet, bei Quellenangabe und Zustellung eines Belegexemplars an die Redaktion. Erfasst in: Web of Science, CAB Abstracts, AGRIS

­hemmen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule Denise Bönisch, Lukas Hunziker und Laure Weisskopf 434 Interview 436 Aktuell 439 Veranstaltungen Sortenlisten Liste der empfohlenen Sorten von Beilage

­Futterpflanzen 2015–2016 Daniel Suter et al.


Editorial

Öffentlicher Druck – Katalysator für die Agrarforschung Liebe Leserin, lieber Leser

Eva Reinhard, Stellvertretende ­D irektorin des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW

In den letzten Monaten standen Pflanzenschutzmittel im Fokus von Umweltverbänden und Medien. Auch nach dem JA des Bundesrates zur Erarbeitung eines Aktionsplans zur Risikominimierung und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln geht die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema weiter. Rationale Argumente haben es jedoch schwer. Deshalb exponieren sich selbst Experten nur mehr zögerlich. Es droht die Gefahr, dass die Landwirtschaft ohne anerkannte wissenschaftliche Evidenz in der Wahl ihrer Produktionsmethoden und -mittel eingeschränkt wird. Dies ist schade, denn eine nachhaltige Landwirtschaft kann die Herausforderungen der Zukunft nur mittels Innovationen, insbesondere effizienteren Produktionsmethoden und wirksameren, aber ressourcen-schonenderen Produktionsmitteln meistern. Öffentlicher Druck kann Innovation und Nachhaltigkeit beschleunigen Öffentlicher Druck kann als Katalysator für Innovation und Nachhaltigkeit wirken. Ein Beispiel ist das im Herbst 2013 verfügte temporäre Anwendungsverbot für drei Neonikotinoide. Dieses führte zu grosser Sorge für den Maisund Rapsanbau. Denn ohne gebeiztes Saatgut befürchtete man, Schädlinge wie den Maiszünsler, den Rapserdfloh, die Kohlfliege oder den Drahtwurm nicht mehr wirksam bekämpfen zu können. Noch sind die Konsequenzen des Anwendungsverbots für die Produktion nicht absehbar. Es ist erstaunlich, wie schnell im Zusammenhang mit den genannten Schädlingen Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz thematisiert wurden. Im Zentrum stehen dabei die Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes, d.h. die gezielte Kombination von Massnahmen biologischer, biotechnologischer, chemischer, physikalischer, anbautechnischer oder pflanzenzüchterischer Art. Eine Produktionsmethode also, die erst als letzte Alternative auf chemische Pflanzenschutzmittel in der nötigen Menge und zum optimalen Zeitpunkt zugreift. Diese Vorgehensweise muss weiterentwickelt werden und mit kultur- und sektorspezifischen Leitlinien stärker in die geltenden Vorschriften einfliessen. Agroscope: Wegbereiter des Integrierten Pflanzenschutzes Agroscope kann beim Integrierten Pflanzenschutz auf langjährige Erfahrung und Know-how zurückgreifen. Es ist ermutigend, dass sich gleich mehrere Artikel in dieser Ausgabe direkt oder indirekt mit Aspekten und Möglichkeiten des integrierten Pflanzenschutzes auseinandersetzen. Dazu gehört die Züchtung resistenter Kultursorten, die Weiterentwicklung von Produktionsmethoden, die zu suboptimalen Bedingungen für Schädlinge führen, sowie die Erforschung und Entwicklung alternativer Pflanzenschutzmittelwirkstoffe. Die Schweizer Agrarpolitik kann zusammen mit Agroscope eine Vorreiterrolle im integrierten Pflanzenschutz für die internationale Land- und Ernährungswirtschaft übernehmen. Dazu bedarf es allerdings auf allen Ebenen noch viel innovativer, vorausschauender Arbeit und des konstanten Dialogs mit der Öffentlichkeit.

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U m w e l t

Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der unteren Bergregion Renate Heinzelmann, Gisela Lüscher und Thomas Walter Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8046 Zürich, Schweiz Auskünfte: Thomas Walter, E-Mail: thomas.walter@agroscope.admin.ch

Abb. 1 | Brauner Feuerfalter (Lycaena tityrus). (Foto: Yannick Chittaro, SZKF)

Einleitung Tagfalter und Widderchen sind auf eine reich strukturierte Landschaft mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Habitaten angewiesen. Die Intensivierung der Landwirtschaft während der letzten 100 Jahre führte dazu, dass viele für Falter geeignete Habitate wie Streuwiesen, magere Heuwiesen und extensive Weiden, Hecken, Sträucher und Büsche stark reduziert wurden. Dies und die stets intensiver werdende Nutzung der Produktionsflächen führten zu einem Rückgang der Faltervielfalt in der Kulturlandschaft (Walter et al. 2010). Heute gilt rund ein Drittel der 226 in der Schweiz einheimischen Arten der Tagfalter und Widderchen (Papilionoidea, Hesperioidea und Zygaenidae) als gefährdet, stark gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht (Wermeille et al. 2014). Besonders im intensiv genutzten Mittelland und im Jura ging die Faltervielfalt während der letzten Jahrzehnte sehr stark zurück (Walter et al. 2010).

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Um dem Verlust der Artenvielfalt in der Schweizer Kulturlandschaft entgegenzuwirken, fördert der Bund nicht nur die Anlage von Biodiversitätsförderflächen, sondern auch den Biolandbau mit Ökobeiträgen, der sich durch möglichst geschlossene Kreisläufe, umweltverträgliche Methoden und den Verzicht auf chemisch-synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel auszeichnet. Tatsächlich wurde in biologisch bewirtschafteten Äckern eine höhere Faltervielfalt gefunden als in nicht biologisch bewirtschaftetem Ackerland (z.B. Rundlöf et al. 2008). Die Auswirkungen des Biolandbaus auf die Artenvielfalt im Grünland hingegen, speziell in Berggebieten, sind bisher kaum untersucht worden, obwohl über die Hälfte der schweizerischen Bio-Landbaufläche (BLW 2013) in der Bergregion liegt. Die vorliegende Arbeit untersuchte im Rahmen einer Fallstudie, wie sich der Biolandbau im Grünland des unteren Berggebiets auf die Artenvielfalt und Häufigkeit von Faltern auswirkt. Sie war Teil des EU-Forschungsprojekts «BioBio», in dem ein Indikatorset für Biodiversität in der Landwirtschaft erarbeitet wurde, das Habitatvielfalt, Artenvielfalt und genetische Vielfalt miteinbezieht (Herzog et al. 2013).

Material und Methode Studiengebiet und Versuchsflächen Das Fallstudiengebiet befand sich in Stalden (OW). Die Landschaft ist stark geprägt durch die intensiv betriebene Milchwirtschaft. Gut ein Viertel der Betriebe wird nach biologischen Richtlinien bewirtschaftet. Insgesamt umfasst das Studiengebiet eine Fläche von 12 km² und reicht von 600 bis 1200 m ü. M. Aus den 66 Betrieben im Studiengebiet mit mindestens 80 % landwirtschaftlicher Nutzfläche in Bergzone 2, mit Rinder-, aber ohne Schweinebestand, wurden je zehn biologisch bewirtschaftete (mindestens seit fünf Jahren zertifizierte) und nicht biologisch bewirtschaftete Betriebe zufällig ausgewählt. Die gesamte Fläche dieser Betriebe wurde nach einer modifizierten Variante der BioHab-Methode (Dennis et


al. 2012) kartiert. Insgesamt wurden 25 Habitattypen unterschieden. Für die Falteraufnahmen wurden 13 Habitattypen ausgewählt, die den folgenden fünf übergeordneten Habitatgruppen zugeteilt wurden: nährstoffärmere Wiesen, nährstoffreiche Wiesen, lineare Wiesenelemente, Feuchtwiesen und Hecken. Je nach Verfügbarkeit und zu erwartender Faltervielfalt wurden für jeden der 13 ausgewählten Habitattypen zwischen zwei und acht Flächen zufällig als Probeflächen bestimmt. Die Hälfte der ausgewählten Flächen pro Habitattyp wurde biologisch bewirtschaftet, die andere nicht biologisch. Insgesamt wurden 57 Flächen untersucht. Alle Flächen waren südexponiert. Die Nutzungsintensität der Probeflächen wurde anhand von Interviews mit den einzelnen Bewirtschaftern ermittelt. Aus den Angaben der Landwirte bezüglich der Anzahl Schnitte pro Fläche und der Beweidungsintensität (GVE∙Weidetage/ha) wurde für jede Probefläche, ausser den zwölf als Hecken klassifizierten Flächen, die Nutzungsintensität geschätzt. Dabei wurde ein Schnitt mit 70 GVE∙Weidetage/ha gleichgesetzt, was einer extensiven Beweidung entspricht. Eine mit zwei bis drei Schnitten wenig bis mittel intensiv genutzte Wiese entspricht dann einer wenig bis mittel intensiv genutzten Weide mit 140 respektive 210 GVE∙Weidetage/ha. Damit ergibt sich eine gute Analogie der schnitt- und weidebedingten Nutzungsintensitäten mit ihren Folgen auf die Anzahl Tier- und Pflanzenarten (Walter et al. 2007). Für sieben Flächen wurde auf eine Schätzung der Nutzungsintensität verzichtet, weil die Angaben aus den Interviews bezüglich des Viehbesatzes zu ungenau waren. Aber auch für die anderen Flächen war die Weidenutzung oft mit grosser Unsicherheit behaftet.

Zusammenfassung

Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der unteren Bergregion | Umwelt

Gut ein Drittel der 226 Tagfalter- und Widderchenarten in der Schweiz ist gefährdet. Viele für Falter geeignete Lebensräume gingen durch die Intensivierung der Landwirtschaft verloren. Die biologische Landwirtschaft will dazu beitragen, die Artenvielfalt im Kulturland zu erhalten. In dieser Fallstudie wurde die Wirkung der biologischen Landwirtschaft auf die Faltervielfalt und -häufigkeit untersucht. Das Fallstudiengebiet umfasste Wiesen, Weiden und Hecken der unteren Bergregion. Mit durchschnittlich fünf Falterarten pro Fläche erwiesen sich die untersuchten Flächen als sehr artenarm. Die Anzahl Falterarten und -individuen unterschied sich nicht signifikant zwischen biologischer und nicht biologischer Bewirtschaftung. Mit zunehmender Nutzungsintensität nahm die Anzahl Falterarten ab. Zwischen den untersuchten Habitattypen variierte die Anzahl Falterarten stark. Auf nährstoffärmeren, eher trockenen Wiesen konnten deutlich mehr Tagfalter- und Widderchenarten gezählt werden als auf nährstoffreichen Wiesen oder bei Hecken. Von den nachgewiesenen 40 Arten scheint einzig der Braune Feuerfalter (Lycaena tityrus) von der biologischen Bewirtschaftung zu profitieren; er war auf deutlich mehr biologischen als nicht biologischen Flächen anzutreffen.

Falterkartierung Die Tagfalter und Widderchen wurden auf jeder Probefläche entlang eines 50-m-Transekts kartiert. Alle Falterarten und die Anzahl der Individuen pro Art, die sich maximal in 2,5 m seitlicher Entfernung des Transekts beziehungsweise 5 m vor oder über der Beobachterin aufhielten, wurden registriert. Jeder Transekt wurde zwischen dem 25. Mai und dem 26. August 2010 dreimal begangen und jeweils zehn Minuten beobachtet. Die Begehungen fanden zwischen 10 Uhr und 17 Uhr, bei sonnigem Wetter, wenig Wind und nur bei Temperaturen über 15 °C statt. Bei Transekten entlang einer Hecke wurden sowohl die Falter in der Hecke, als auch jene auf einem ca. 1 m breiten Vegetationsstreifen neben der Hecke kartiert. Um das Artenspektrum im Fallstudiengebiet möglichst gut zu erfassen, wurden zusätzlich Falter beobachtungen ausserhalb der Transekte notiert.

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Umwelt | Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der unteren Bergregion

a)

b) 14 Mittlere Anzahl Falterindividuen pro Transekt

Mittlere Anzahl Falterarten pro Transekt

6 5 4 3 2 1 0

12 10 8 6 4 2 0

biologisch

nicht biologisch

Bewirtschaftung

biologisch

nicht biologisch

Bewirtschaftung

Abb. 2 | Mittlere Anzahl Falterarten (a) und mittlere Anzahl Falterindividuen (b) pro Transekt auf biologisch (N = 29) bzw. nicht biologisch (N = 28) bewirtschafteten Flächen (± Standardfehler). Die Unterschiede sind statistisch nicht signifikant.

Für die statistischen Analysen wurden die Daten der drei Begehungen pro Transekt zusammengefasst.

Resultate und Diskussion Faltervielfalt im Studiengebiet Auf allen 57 Transekten wurden insgesamt 595 Falterindividuen und 35 Falterarten beobachtet. Ausserhalb der Transekte wurden zusätzlich 77 Falterindividuen und fünf Falterarten registriert. 36 der total 40 gefundenen Arten sind gemäss Roter Liste (Wermeille et al. 2014) gesamtschweizerisch nicht gefährdet. Die häufigsten Arten waren das Grosse Ochsenauge (Maniola jurtina), der Hauhechelbläuling (Polyommatus icarus), der Braune Waldvogel (Aphantopus hyperantus), das Kleine Wiesenvögelchen (Coenonympha pamphilus) und der Braune Feuerfalter (Lycaena tityrus). Zusammen machten diese fünf Arten 65 % aller beobachteten Falter aus. Fünf Arten sind gemäss Roter Liste (Wermeille et al. 2014) gefährdet, und eine Art ist stark gefährdet. Diese Arten waren nur mit wenigen Individuen vertreten. 14 Arten sind Leitarten zur Erreichung der Umweltziele Landwirtschaft (BAFU und BLW 2008). Die mit Abstand am häufigsten beobachtete Leitart war der Braune Feuerfalter (53 Individuen), gefolgt vom Schachbrettfalter (Melanargia galathea, 20 Individuen) und dem Braunkolbigen Braundickkopffalter (Thymelicus sylvestris, 14 Individuen). Faltervielfalt und Bewirtschaftung Die biologisch und nicht biologisch bewirtschafteten Flächen im Fallstudiengebiet unterschieden sich kaum bezüglich der Anzahl Falterarten und -individuen. Auf

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biologisch bewirtschafteten Flächen wurden 4,9 ± 0,5 Falterarten (Mittelwert ± Standardfehler) und 11,4 ± 1,5 Falterindividuen gefunden, auf nicht biologisch bewirtschafteten Flächen 4,8 ± 0,5 Arten und 9,6 ± 1,3 Individuen (Abb. 2). Mit durchschnittlich nur gerade fünf Falterarten pro Fläche, unabhängig von der Bewirtschaftungsart, sind die untersuchten Flächen als falterarm zu bezeichnen. Qualitativ gute Flächen an frischen Standorten beherbergen in der Regel 15 und mehr Falterarten (Schneider und Walter 2001). Auf Flächen an trockenen und feuchten Standorten ist die Anzahl Falterarten in der Regel noch höher. Von den untersuchten Flächen wiesen drei Flächen zehn und mehr Arten auf, und nur eine dieser Flächen erreichte mit 15 nachgewiesenen Arten die Qualitätskategorie «gut». Dieses Resultat überrascht nur bedingt, denn die meisten der untersuchten Flächen wurden mittel-intensiv genutzt. Gemittelt über die 38 Probeflächen mit bekannter Nutzungsintensität (Mahd und Beweidung kombiniert) betrug die durchschnittliche Nutzungsintensität 192 ± 14 GVE x Weidetage/ha. Walter et al. (2007) konnten für Weideland in der Schweiz (ohne Sömmerungsgebiete) zeigen, dass die Falter- und Heuschreckenvielfalt mit zunehmender Weideintensität deutlich abnimmt und ab ca. 200 GVE x Weidetage/ha meist auf ein tiefes Niveau sinkt. In der vorliegenden Studie nahm die Anzahl Falterarten mit zunehmender Nutzungsintensität signifikant ab (rSpearman = −0,42, p = 0,009, Abb. 3). Ähnlich wie bei Walter et al. (2007) war aber die Varianz sehr gross, und es gab einige Flächen, die trotz geringer Nutzung nur wenige Falterarten aufwiesen.


Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der unteren Bergregion | Umwelt

b)

a)

Anzahl Falterarten pro Transekt

rSpearman = −0,42 p = 0,009

14 12 10 8 6 4 2

Anzahl Falterindividuen pro Transekt

30

16

0

rSpearman = −0,28 p = 0,092

25 20 15 10 5 0

0

100

200

300

400

Nutzungsintensität [GVE*Weidetage/ha]

0

100

200

300

400

Nutzungsintensität [GVE*Weidetage/ha]

Abb. 3 | Anzahl Falterarten (a) und Anzahl Falterindividuen (b) pro Transekt auf biologisch (Punkte, N = 20) bzw. nicht biologisch (Kreuze, N = 18) bewirtschafteten Flächen, aufgetragen gegenüber der Nutzungsintensität (Kombination aus Schnitt und Beweidung).

Für die Anzahl Falterindividuen pro Fläche konnte keine signifikante Abnahme mit zunehmender Nutzung­ sintensität festgestellt werden (rSpearman = −0,28, p = 0,092). Neben der Nutzungsintensität wird die Faltervielfalt auf einer Fläche zusätzlich von vielen anderen Faktoren mitbestimmt, z.B. der Pflanzenvielfalt, der Exposition, der Hangneigung oder der Nähe zum Wald (Aviron et al. 2007). Die in dieser Studie gefundenen geringen Unterschiede zwischen biologisch und nicht biologisch bewirtschafteten Flächen einer Graslandregion stehen im Gegensatz zu den Erkenntnissen aus dem Ackerland (z.B. Rundlöf et al. 2008). Die Hauptursache dafür ist vermutlich auf die sehr ähnliche Nutzung des Graslands zurückzuführen. Der Bio-Landbau unterscheidet sich vom nicht biologischen Landbau hauptsächlich durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel. In der Fallstudienregion kamen Herbizide nur sehr lokal zur Bekämpfung von Problemunkräutern zum Einsatz. Pflanzenschutzmittel wurden höchstens in Hausgärten und vereinzelt zum Schutz von Obstbäumen eingesetzt, und sowohl biologisch wie auch nicht biologisch bewirtschaftete Flächen wurden mit Gülle und Mist gedüngt. Für Tagfalter und Widderchen wichtige Bewirtschaftungsaspekte sind Schnittzeitpunkt und -häufigkeit, sowie Weidezeitpunkt und -intensität (Oates 1995). Dafür gibt es im Bio-Landbau keine strengeren Vorschriften als im nicht biologischen Landbau. Biologisch bewirtschaftete Flächen wurden oft genauso früh und ebenso häufig geschnitten wie nicht biologisch bewirtschaftete. Einzig aus ideellen Gründen könnten Biobauern ihre Flächen etwas weniger intensiv nutzen (Kelemen et al. 2013).

Die Tierdichte auf Gesamtbetriebsebene war auf den biologischen Betrieben mit durchschnittlich 1,7 GVE/ha tendenziell geringer als auf den nicht biologischen Betrieben mit durchschnittlich 2 GVE/ha. Ähnlich präsentierte sich die Situation auf den 38 Flächen mit bekannter Nutzungsintensität (Mahd und Beweidung kombiniert). Diese betrug auf den biologischen Flächen 171 ± 20 GVE x Weidetage/ha (Mittelwert ± Standardfehler) und auf den nicht biologisch bewirtschafteten Flächen 216 ± 19 GVE x Weidetage/ha. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Deutliche Unterschiede zwischen den Habitaten Im Gegensatz zur Bewirtschaftungsart gab es zwischen den verschiedenen Habitaten deutliche Unterschiede bezüglich der Anzahl Falterarten (F = 4,987, p = 0,002). Mit 7,6 ± 0,9 Arten (Mittelwert ± Standardfehler) wurden auf den nährstoffärmeren Wiesen statistisch signifikant mehr Arten gefunden als auf nährstoffreichen Wiesen (4,4 ± 0,4 Arten) und bei Hecken (3,5 ± 0,7 Arten, Abb. 4). Auf den Feuchtwiesen (3,8 ± 1,1 Arten) und den linearen Wiesenelementen (4,9 ± 1,1 Arten) wurden zwar ähnlich viele Falterarten wie auf den nährstoffreichen Wiesen gefunden, trotzdem unterschieden sich diese Habitate bezüglich der Anzahl Falterarten nicht statistisch signifikant von den nährstoffärmeren Wiesen. Auf die Anzahl Individuen hingegen hatte das Habitat keinen signifikanten Effekt. Die nährstoffärmeren Wiesen, die in den meisten Fällen auch als Trockenstandorte klassiert waren, erwiesen sich mit durchschnittlich sieben bis acht Arten pro Fläche als fast doppelt so artenreich wie die nährstoffreichen Wiesen an frischen Stand- 

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Umwelt | Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der unteren Bergregion

Mittlere Anzahl Falterarten pro Transekt

9

a

8 7

ab

6

b

5

ab b

4 3 2 1 0

nährstoffärmere Wiesen

nährstoffreiche Wiesen

Feuchtwiesen

lineare Wiesenelemente

Hecken

Habitat Abb. 4 | Die mittlere Anzahl Falterarten pro Transekt (± Standardfehler) auf nährstoffärmeren Wiesen (N = 11), nährstoffreichen Wiesen (N = 22), Feuchtwiesen (N = 4), linearen Wiesenelementen (N = 8) und in Hecken (N = 12). Gruppen mit unterschiedlichen Buchstaben unterscheiden sich signifikant (p < 0,05, paarweise t-Tests mit Tukey’s HSD).

orten (durchschnittlich vier bis fünf Arten pro Fläche). Dies widerspiegelt die Tatsache, dass sich potenziell mehr Tagfalter- und Widderchenarten auf trockenen als auf frischen Standorten entwickeln können (Schneider und Walter 2001). Vorlieben des Braunen Feuerfalters Der Braune Feuerfalter (Lycaena tityrus) schien von der biologischen Bewirtschaftung zu profitieren. Er war mit einer absoluten Stetigkeit (Anteil der Flächen, auf denen die Art vertreten ist) von 44,8 % bei biologischer Bewirtschaftung gegenüber 14,3  % bei nicht biologischer Bewirtschaftung signifikant stetiger auf biologisch bewirtschafteten Flächen vertreten als auf nicht biologisch bewirtschafteten Flächen (χ2 = 4,974, p < 0,05). Von den anderen häufigen Arten waren das Kleine Wiesenvögelchen und die Falter des Colias-hyale-alfacariensis-Komplexes ebenfalls stetiger auf biologischen Flächen anzutreffen, aber die Unterschiede waren nicht statistisch signifikant. Umgekehrt war der Braune Waldvogel stetiger auf nicht biologisch bewirtschafteten Flächen vertreten, aber auch dieser Unterschied war nicht signifikant. Die höhere Stetigkeit des Braunen Feuerfalters auf biologisch bewirtschafteten Flächen lässt sich nicht damit erklären, dass eine der Wirtspflanzen der Raupen oder des Falters speziell durch die biologische Landwirtschaft gefördert wurde. Von den Raupenfutterpflanzen des Braunen Feuerfalters war einzig der Wiesensauerampfer (Rumex acetosa) zahlreich im Studiengebiet vertreten. Er kam auf fast drei Vierteln der biologisch, wie auch der nicht biologisch bewirtschafteten Flächen vor. Der Braune Feuerfalter ist eine typische Art von hochgrasigen, blütenreichen Wiesen mit Sauerampfer (Rumex sp.) und meidet stark gedüngte Wiesen (Schweizerischer

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Bund für Naturschutz 1987). Als Schutz- und Fördermassnahmen für den Braunen Feuerfalter wird empfohlen, besiedelte Wiesen höchstens zweimal zu mähen und nur wenig zu düngen (Bolzern-Tönz und Graf 2007). Möglicherweise profitiert der Braune Feuerfalter schon von einer geringfügig weniger intensiven Nutzung des Graslands, wie sie allenfalls auf biologischen Betrieben erfolgt. Ob der Braune Feuerfalter tatsächlich durch die biologische Bewirtschaftung von Grasland gefördert wird, müsste in weiteren Fallstudien geprüft werden.

Schlussfolgerungen Die untersuchten Flächen im Fallstudiengebiet erwiesen sich mehrheitlich als falterartenarm. Die Unterschiede zwischen biologisch und nicht biologisch bewirtschafteten Flächen bezüglich der Anzahl Arten und Individuen von Tagfaltern und Widderchen waren gering. Einzig der Braune Feuerfalter profitierte von der biologischen Bewirtschaftung. Nährstoffärmere, eher trockene Flächen beherbergten eine grössere Faltervielfalt als nährstoffreichere Flächen an frischen Standorten. Die Anzahl Falterarten nahm mit einer erhöhten Nutzungsintensität ab. Unsere Resultate ergänzen die Ergebnisse von Schneider et al. (2014), die im selben Fallstudiengebiet (sowie in anderen Fallstudiengebieten des BioBio-Projektes) zeigen konnten, dass die Artenvielfalt entscheidend von der Habitatvielfalt, vor allem von halbnatürlichen Strukturen, abhängt – sowohl auf biologisch als auch auf nicht biologisch bewirtschafteten Betrieben. n


Diversità di farfalle diurne e zigene nei prati della regione montana meridionale Circa un terzo delle 226 specie di farfalle diurne e di zigene della Svizzera è minacciato. Molti habitat favorevoli alle farfalle sono andati perduti a causa dell'intensivazione dell'agricoltura. L'agricoltura biologica vuole contribuire alla preservazione della diversità delle specie in terreni coltivi. Nel presente caso di studio è stato esaminato l'effetto dell'agricoltura biologica sulla diversità e sulla frequenza delle farfalle nei prati e pascoli. La regione studiata si trova nella zona di bassa montagna. Con una media di cinque specie di farfalle ciascuna, le superfici esaminate si sono rivelate molto povere di specie. Non si è osservata una differenza significativa nel numero delle specie di farfalle e degli individui tra la gestione biologica e non biologica. All'aumentare dell'intensità di utilizzazione diminuiva il numero di specie. Tra i vari tipi di habitat studiati variava notevolmente il numero di specie di farfalle. Sui prati più poveri di sostanze nutritive e alquanto secchi il numero di specie era decisamente superiore rispetto ai prati ricchi di sostanze nutritive o alle siepi. Delle 40 specie documentate sembra che solo la farfalla Titiro (Lycaena tityrus) tragga vantaggio dalla gestione biologica. La sua presenza è stata infatti registrata molto più spesso sulle superfici biologiche rispetto a quelle non biologiche.

Literatur ▪▪ Aviron S., Jeanneret P., Schüpbach B. & Herzog F., 2007. Effects of agrienvironmental measures, site and landscape conditions on butterfly ­d iversity of Swiss grassland. Agriculture, Ecosystems and Environment 122, 295–304. ▪▪ BAFU & BLW (Hrsg.), 2008. Umweltziele Landwirtschaft. Hergeleitet aus bestehenden rechtlichen Grundlagen. Umwelt-Wissen Nr. 0820. Bundesamt für Umwelt, Bern. ▪▪ Bolzern-Tönz H. & Graf R., 2007. Leitarten für die Lebensräume der 12 Landschaften des Kantons Luzern. Umwelt und Energie Kanton Luzern, Luzern. ▪▪ BLW, 2013. Agrarbericht 2013. Bundesamt für Landwirtschaft, Bern. ▪▪ Dennis P., Bogers M.M.B., Bunce R.G.H., Herzog, F. & Jeanneret P., 2012. Biodiversity in Organic and Low-input Farming Systems. Handbook for Recording Key Indicators. Alterra-Report 2308, Wageningen. ▪▪ Wermeille E., Chittaro Y. & Gonseth Y., 2014. Rote Liste der gefährdeten Tagfalter und Widderchen. Umwelt-Vollzug. Bundesamt für Umwelt, Bern und Schweizerisches Zentrum für die Kartografie der Fauna, Neuenburg. ▪▪ Herzog F. et al., 2013. Measuring farmland biodiversity. Solutions 4, 52–58. ▪▪ Kelemen E. et al., 2013. Farmers' perceptions of biodiversity: lessons from a discourse-based deliberative valuation study. Land Use Policy 35, 318–328.

Summary

Riassunto

Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der unteren Bergregion | Umwelt

Butterfly and moth diversity in lower-mountain region grassland habitats Around one third of the 226 butterfly and moth species in Switzerland are threatened owing to the loss of suitable habitats caused by agricultural intensification. Organic farming aims to contribute to the conservation of species diversity in farmland. This case study investigates the impact of organic farming on butterfly species richness and abundance. The study site was located in the lower-mountain zone of Switzerland and consisted mainly of grassland habitats. With an average of five species per habitat, butterfly species richness was very low on the investigated land, and there were no significant differences in species richness or abundance between organic and non-organic habitats. The number of butterfly species fell with increasing management intensity, and varied significantly between the different habitat types investigated. Considerably more butterfly and moth species were found on relatively dry, nutrient-poor (i.e. extensively managed) meadows than on nutrient-rich (i.e. intensively managed) meadows or alongside hedgerows. Of the 40 species identified, only the Sooty Copper (Lycaena tityrus) seems to benefit from organic agriculture, occurring significantly and consistently more often in organic than in non-organic habitats. Key words: grassland, organic farming, diurnal butterflies, sooty copper (Lycaena tityrus).

▪▪ Oates M.R., 1995. Butterfly conservation within the management of grassland habitats. In: Ecology and Conservation of Butterflies (Hrsg. A.S. Pullin). Chapman & Hall, London, 98–112. ▪▪ Rundlöf M., Bengtsson J. & Smith H.G., 2008. Local and landscape ­e ffects of organic farming on butterfly species richness and abundance. Journal of Applied Ecology 45, 813–820. ▪▪ Schneider K. & Walter T., 2001. Fauna artenreicher Wiesen: Zielarten, ­P otenzial und Realität am Beispiel der Tagfalter und Heuschrecken. Schriftenreihe der FAL 39, 34–44. ▪▪ Schneider M.K. et al., 2014. Gains to species diversity in organically farmed fields are not propagated at the farm level. Nature Communications 5, 1–9. ▪▪ Schweizerischer Bund für Naturschutz, 1987. Tagfalter und ihre Lebensräume. Arten, Gefährdung, Schutz. Band 1. Fotorotar AG, Egg. ▪▪ Walter T. et al., 2010. Landwirtschaft. In: Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900. Ist die Talsohle erreicht? (Hrsg. T. Lachat et al.). Bristol-Stiftung, Zürich, & Haupt-Verlag, Bern, Stuttgart, Wien. ▪▪ Walter T., Grünig A., Schüpbach B. & Schmid W., 2007. Indicators to predict biodiversity quality of low intensity grazing areas in Switzerland. Grassland Science in Europe 12, 271–274.

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 392–397, 2014

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U m w e l t

Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug Claudia Maurer1, Murielle Rüdy1, Andreas Chervet1, Wolfgang G. Sturny1, René Flisch2 und Fritz Oehl2 1 Fachstelle Bodenschutz des Kantons Bern, Rütti, 3052 Zollikofen, Schweiz 2 Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8046 Zürich, Schweiz Auskünfte: Claudia Maurer, E-Mail: claudia.maurer@vol.be.ch

Abb. 1 | Luftaufnahme der Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker» am Inforama Rütti in Zollikofen (BE) im Juni 2004. (Foto: Gabriela Brändle, Agroscope)

Einleitung Seit 1994 wird auf der Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker» am Inforama Rütti in Zollikofen (BE) das Ziel verfolgt, einen ökonomisch, ökologisch und sozial verträglichen Ackerbau unter Praxisbedingungen zu entwickeln (Sturny et al. 2007). Dabei sollen ein Direktsaat- und ein Pflugsystem im Hinblick auf Kulturwahl und -abfolge, Düngerart und -menge, Pflanzenschutzmittelwahl und -einsatz sowie Stroh- und Gründüngungsmanagement optimiert werden.

398

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 398–405, 2014

Die Bodenorganismen spielen insbesondere für den Erfolg des Anbausystems Direktsaat eine zentrale Rolle: Neben den Regenwürmern, welche die Bodenstrukturbildung und den Abbau organischer Substanzen wesentlich mitbestimmen (Maurer-Troxler et al. 2005), sind Bakterien und Pilze die «Drehscheibe» für Pflanzenernährung und -gesundheit. Rund 80 % aller Pflanzen nutzen die Vorteile einer Partnerschaft mit Wurzelpilzen (Smith und Read 2008): Diese so genannten Mykorrhizapilze bieten den Pflanzen leichteren Zugang zu Nährstoffen, insbesondere Phosphor, aber auch Stickstoff und Wasser,


indem sie den Boden mit ihren Hyphen bis in kleinste, von den Pflanzenwurzeln nicht mehr erreichbare Poren erschliessen. Im Gegenzug geben die Pflanzen den Pilzen einen Teil ihrer assimilierten Kohlenhydrate ab. Die meisten Acker- und Wiesenpflanzen leben in einer relativ unspezifischen Symbiose mit arbuskulären Mykorrhizapilzen (AM-Pilze). Weltweit sind ca. 270 AMPilzarten beschrieben. Ihr Vorkommen wird hauptsächlich von der Bodenbeschaffenheit und der Bewirtschaftungsform bestimmt. Deshalb eignen sie sich als Bioindikatoren in landwirtschaftlich genutzten Böden (Oehl et al. 2011a). Die Förderung spezifischer Mykorrhiza­ pilzgemeinschaften könnte einen wesentlichen Beitrag leisten für wasser- und nährstoffeffiziente Anbausysteme (Köhl et al. 2014). Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Diversität der Mykorrhizapilze in langjährigen Direktsaat- mit derjenigen von Pflugparzellen zu vergleichen, Kultureffekte zu bestimmen, Indikatorarten zu bezeichnen und die Ergebnisse mit bereits vorhandenem Wissen zu diskutieren.

Material und Methoden Versuchsanlage und Probenahme Die Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker» befindet sich auf einem tiefgründigen Braunerdeboden. Die sechs nebeneinander liegenden Parzellen (Abb. 1) werden je zur Hälfte direkt besät (Direktsaatsystem) beziehungsweise gepflügt (Pflugsystem). Die sechsjährige Fruchtfolge besteht aus Wintereiweisserbsen, Winterweizen, Ackerbohnen, Wintergerste, Zuckerrüben und Silomais. Im Februar 2011 wurden in allen zwölf Teilparzellen Bodenproben aus 0–10 cm Tiefe entnommen. Je Teilparzelle wurde eine Mischprobe aus 20 über die Parzelle verteilten Einstichen gebildet (ca. 1 kg). Beprobt wurden die Hauptkulturen Wintereiweisserbsen, Winterweizen und Wintergerste, zwei Parzellen mit einem abfrierenden, aus mehreren Pflanzenarten zusammengesetzten Gründüngungsgemenge nach den Vorkulturen Winterweizen und Wintergerste (Chervet und Sturny 2013), sowie eine Parzelle mit einer nicht abfrierenden, kaum etablierten Vorerntesaat aus Eiweisserbsen und Ackerbohnen nach Zuckerrüben.

Zusammenfassung

Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug | Umwelt

Auf der Dauerbeobachtungsfläche «Ober­ acker» am Inforama Rütti in Zollikofen (BE) werden seit 1994 ein Direktsaat- und ein Pflugsystem miteinander verglichen. In der vorliegenden Arbeit wurde der Einfluss beider Anbausysteme und verschiedener Ackerkulturen inklusive Gründüngungs­ gemengen auf die Vielfalt arbuskulärer Mykorrhizapilze (AM-Pilze) untersucht. Hierzu wurden Pilzsporen isoliert und morphologisch bestimmt. Rund zwei Drittel der insgesamt 39 identifizierten Arten waren in beiden Anbausystemen vorhanden. In allen Kulturen wurde bei Direktsaat ein höherer Artenreichtum (15–21 Arten) und eine höhere Diversität nach Shannon-Weaver (H = 2,12–2,86) festgestellt als im Pflugsystem (10–17 Arten bzw. H = 1,77–2,56). Beim Wintergetreide zeigten sich tendenziell niedrigere Artenzahlen als beim Anbau einer Gründüngungsmischung. Die Charakterart für das langjährige Direktsaatsystem ist Septoglomus constrictum, diejenige für die gepflügten Parzellen Funneliformis caledonius. Die Förderung spezifischer Mykorrhiza­pilzgemeinschaften könnte einen wesentlichen Beitrag für ein funktionierendes Direktsaatsystem leisten.

Bestimmung der AM-Pilze Die Sporen der AM-Pilze wurden mit Hilfe einer kombinierten Nasssiebung und Dichte-Gradient-Technik isoliert (Oehl et al. 2005) und unter dem Lichtmikroskop bei 400-facher Vergrösserung bestimmt (Błaszkowski 2012). Für die AM-Pilze wurde die Systematik nach Oehl et al. (2011b) verwendet. Glomus intraradices und Gl. irregu- 

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 398–405, 2014

399


Umwelt | Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug

Tab. 1 | Ausgewählte Bodenparameter, Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker», Rütti-Zollikofen Anbausystem Kultur (Teilparzelle)

Direktsaat WEE

WW

WG

1,46

1,40

1,56

Pflug

GD nach WW GD nach WG

VS nach ZR

WEE

WW

WG

GD nach WW

GD nach WG

VS nach ZR

1,73

1,37

1,33

1,48

1,38

1,58

1,30

Chemische Bodenparameter organischer Kohlenstoff Corg (%)

1,48

1,61

pH-Wert pH (H2O)

6,0

6,4

6,3

5,9

6,1

6,6

6,4

6,2

6,4

6,4

6,5

6,1

Phosphor P1

164

165

177

153

195

195

177

177

225

182

212

78

Phosphor P

2

Kalium K1 Magnesium Mg1 Calcium Ca

1

31

30

25

26

30

25

30

29

23

28

19

11

129

163

137

137

177

141

109

121

79

124

162

103

86

84

105

87

91

83

65

68

77

80

78

54

1715

1959

2246

1782

1994

2492

1906

1802

2997

2279

2409

1113

17

16

Physikalische Bodenparameter Ton (%)

19

18

19

18

19

16

17

18

18

18

Biologische Bodenparameter

Biomasse Regenwurmpopulation (g m-2)

Epigäische Arten

8

8

20

11

23

7

8

8

16

6

15

5

Endogäische Arten

66

86

84

80

111

109

71

89

110

72

29

131

Anözische Lumbricus terrestris

29

57

60

127

56

53

0

0

10

9

7

0

Anözische Nicodrilus spp

33

86

43

7

64

72

25

10

9

2

20

25

Mikrobielle Biomasse (mg C kg-1), Basalatmung (mg CO2-C kg-1 d-1)

Biomasse SIR

633

665

521

454

622

1007

388

290

346

400

494

320

Biomasse FEM

537

502

505

510

463

795

335

260

380

432

402

346

Basalatmung

80

83

81

85

84

126

39

26

40

61

49

24

Ammonium-Azetat-Extraktion (mg kg ) CO2-Extraktion P-Test Die Werte wurden – je nach Parameter – zwischen 2006 und 2010 erhoben (Oberboden 0–20 cm, ausgenommen Regenwurmpopulation). WEE: Wintereiweisserbsen, WW: Winterweizen, WG: Wintergerste, ZR: Zuckerrüben, GD: Gründüngungsgemenge, VS: Vorerntesaat SIR: Mikrobielle Biomasse mit substratinduzierter Respiration, FEM: Mikrobielle Biomasse mit Fumigations-Extraktionsmethode 1

-1

2

lare wurden dabei in eine Artengruppe zusammengefasst, weil deren Unterscheidung an älteren Sporen nicht immer zweifelsfrei möglich war. Die Sporendichte wurde für jede Art als Anzahl Sporen pro 100 g lufttrockener Boden bestimmt. Statistik Zur Charakterisierung der Diversität wurde für jede Kultur beziehungsweise jede Teilparzelle (Kultur x Anbausystem) der Diversitätsindex nach Shannon-Weaver mit der Formel H = –Σ (ni / N) ln (ni / N) errechnet, wobei ni die Sporendichte der Art i darstellt und N die Gesamtsporendichte aller Arten einer Probe. Mit Hilfe des Mittelwertvergleichs (t-Test) wurden eventuell signifikante Unterschiede zwischen den beiden Anbausystemen geprüft. Mit der Redundanzanalyse konnten die Einflüsse ausgewählter chemischer, physikalischer und biologischer Begleitparameter (Tab. 1) auf die AM-Pilzgemeinschaften und die daraus resultierende Parzellen- und Systemgruppierung beziehungsweise -separierung abgeklärt werden.

400

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 398–405, 2014

Resultate und Diskussion Direktsaat: Stabile Artenzahl und hohe Diversität Insgesamt wurden 39 AM-Pilzarten identifiziert, davon 38 Arten beim Direktsaat- und 25 Arten beim Pflugsystem (Tab. 2 und 3). Die Anzahl identifizierter Arten in den verschiedenen Kulturen (= Teilparzellen) schwankte bei Direktsaat zwischen 15 und 21, bei Pflug zwischen 10 und 17. Auch der Mittelwertvergleich zeigte, dass bei Direktsaat (Mittelwert 18,5) signifikant höhere AMArtenzahlen zu finden waren als im Pflugsystem (Mittelwert: 13,2; t-Test: p < 0,01). In beiden Anbausystemen konnten bei Wintereiweisserbsen mehr Arten (21/17) nachgewiesen werden als bei Winterweizen (17/15), Gründüngungsgemenge nach Winterweizen (17/14) und bei Wintergerste (15/11). Beim Gründüngungsgemenge nach Wintergerste und bei der Vorerntesaat nach Zuckerrüben konnten im Direktsaatsystem so hohe Artenzahlen identifiziert werden wie bei Wintereiweisserbsen, nämlich 21 respektive 20 Arten, im Pflugsystem dagegen nur 12 beziehungsweise 10. Bei der Vorerntesaat nach Zucker-


Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug | Umwelt

Tab. 2 | Anzahl identifizierter AM-Pilzarten und Diversitätsindex (H) nach Shannon-Weaver, Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker», RüttiZollikofen.

Anbausystem

Anzahl

Shannon-Weaver

AM-Pilzarten

Diversitäts-Index (H)

Direktsaat

Pflug

Direktsaat

Pflug

21

17

2,86

2,56

Winterweizen (WW)

17

15

2,46

2,51

Wintergerste (WG)

15

11

2,12

2,05

Kultur (Teilparzelle) Wintereiweisserbsen

Gründüngungsgemenge nach WW

17

14

2,56

2,24

Gründüngungsgemenge nach WG

21

12

2,45

1,91

Vorerntesaat nach Zuckerrüben

20

10

2,49

1,77

Total aus allen Kulturen Mittelwert über alle Kulturen

P (T-Test)

37

25

18,5 a

13,2 b 0,005

1

2,49 a

2,17 b 0,080

2

Signifikanzniveau p < 0,01; Signifikanzniveau p < 0,1.

1 2

rüben könnte die Erklärung darin liegen, dass die Zuckerrübe eine nicht mykorrhizierfähige Kulturpflanze ist, und dass bei der Zuckerrübenernte der Boden in den obersten 10 cm stark bewegt wird. Dieser Eingriff scheint sich aber nur in den regelmässig für die Saat der Hauptkultur gepflügten Parzellen negativ auszuwirken. Bei Direktsaat blieb die Artenzahl hoch, die Interaktion PilzPflanze scheint stabiler zu sein. Neben der Anzahl Arten ist auch deren Häufigkeit beziehungsweise die Sporendichte zur Beschreibung der Diversität wichtig (Tab. 3). Der Vergleich der Mittelwerte über alle Kulturen (sechs Teilparzellen) zeigt einen höheren Diversitätsindex bei Direktsaat (H = 2,49) als bei Pflug (H = 2,17, Tab. 2), allerdings mit einer geringen Signifikanz (p < 0,10). Beim Direktsaatsystem lagen die kulturspezifischen Werte zwischen 2,12 und 2,86, beim Pflugsystem zwischen 1,77 und 2,56. Die H-Werte für die Direktsaat sind vergleichbar mit Werten, wie sie aus früheren Studien in Mitteleuropa für biologische Anbauverfahren oder Graslandstandorte vorliegen (Oehl et al. 2004, 2005, 2010b). Charakterarten bei Direktsaat und Pflug Die Artenliste zeigt, dass etwa ein Drittel der Arten regelmässig in beiden Anbausystemen nachgewiesen werden konnte (Tab. 3, Gruppe A mit 13 Arten beziehungsweise 12 Artengruppen, grauer Hintergrund). Die Mehrheit der Arten, nämlich 24, wurde vornehmlich oder ausschliesslich bei Direktsaat gefunden, davon 11 Arten mit relativ

hoher Sporendichte (Gruppe B, blauer Hintergrund) und 13 Arten mit relativ geringer Sporendichte (Gruppe C, gelber Hintergrund). In letztgenannter Gruppe finden sich mehrheitlich Arten, die für eine extensive Bewirtschaftung und konservierende Bodenbearbeitung oder vor allem für Graslandstandorte typisch sind (Jansa et al. 2002, 2003; Oehl et al. 2005, 2010a, 2010b, 2011a; Wetzel et al. 2014). Von allen 39 identifizierten Arten respektive Artengruppen wurden nur zwei hauptsächlich oder ausschliesslich in den gepflügten Parzellen gefunden (Gruppe D, roter Hintergrund). Die multivariaten Analysen trennten die Sporengemeinschaften der beiden Anbausysteme Direktsaat und Pflug deutlich voneinander (Abb. 2). Als Einzel-Variablen betrachtet zeigten der organische Kohlenstoff im Boden (Corg), das Anbausystem (Variable «Bodenbearbeitung», Abb. 2A) und die mikrobielle Biomasse (erhoben mittels substratinduzierter Respiration [SIR] und FumigationExtraktions-Methode [FEM], Abb. 2B) den grössten Einfluss auf die Zusammensetzung der AM-Pilzgemeinschaften. Signifikant waren Corg (P = 0,016) und pH (P = 0,034) bei den chemischen sowie die mit SIR erhobene Biomasse (P = 0,026) bei den biologischen Parametern. Der Einfluss des Anbausystems auf die AM-Pilzgemeinschaft zeigt sich somit indirekt über diese Parameter, insbesondere über den höheren Gehalt an organischem Kohlenstoff in der obersten Bodenschicht (0–10 cm) bei Direktsaat (Müller et al. 2007). Eine höhere AM-Pilz­ 

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Umwelt | Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug

Tab. 3 | Artenliste und Sporendichte der identifizierten AM-Pilzarten (Anzahl Sporen pro 100 g lufttrockener Boden), Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker», Rütti-Zollikofen. Anbausystem Kultur (Teilparzelle)

Direktsaat WEE

WW

WG

GD nach WW

Pflug WG

GD nach WW

GD nach WG

VS nach ZR

GD nach WG

VS nach ZR

WEE

WW

2

4

6

6

20

14

10

6

14

2

2

14

6

10

14

32

34

18

6

2

2

2

Gruppe A: in beiden Anbausystemen häufig identifizierte AM-Pilzarten Archaeospora myriocarpa

14

14

4

Archaeospora trappei

6

10

2

Claroideoglomus claroideum

12

8

16

Claroideoglomus luteum

2

4

Funneliformis geosporus

22

34

38

16

74

36

22

16

12

30

40

16

Funneliformis mosseae

22

6

28

4

4

40

14

14

24

14

4

54

10

16

6

6

4

10

18

8

18

4

Glomus aureum

4

6

4

8

26

2

4

Glomus diaphanum

10

6

64

6

16

28

2

12

30

Glomus intraradices & Gl. irregulare

4

4

10

4

2

10

6

6

4

6

2

8

2

4

4

Paraglomus occultum

8

10

6

18

32

4

6

10

10

6

Paraglomus sp BE10

14

30

4

26

12

4

4

16

54

2

Paraglomus lacteum

2

4

6

Gruppe B: vornehmlich oder ausschliesslich in Direktsaat identifizierte AM-Pilzarten mit relativ hoher Sporendichte Acaulospora longula

4

Acaulospora paulinae

14

Acaulospora sieverdingii

12

Ambispora gerdemannii

10

Ambispora reticulata

22

2

6 16

4

20

2

8 24 22

Glomus microcarpum

2 6

Septoglomus constrictum

4

2

22

4

8

Glomus invermaium Scutellospora calospora

8

6

Ambispora sp BE14 Claroideoglomus etunicatum

2

2

2

2

2

10

12 24

30

8

4

2

80

4

4 2

Gruppe C: vornehmlich oder ausschliesslich in Direktsaat identifizierte AM-Pilzarten mit geringer Sporendichte Cetraspora armeniaca

8

Cetraspora helvetica Cetraspora pellucida

2

2

2 2

Diversispora celata

4

Entrophospora infrequens

4

Funneliformis verruculosus

4

2

2 2

Gigaspora margarita

2

Glomus badium

4

Glomus fasciculatum

2

4

2

Glomus heterosporum

4

Glomus macrocarpum

6

Glomus sp BR11 Glomus sp BE13

4

2 8

4

Gruppe D: vornehmlich oder ausschliesslich im Pflugsystem identifizierte AM-Pilzarten Funneliformis caledonius

2

2

2

Paraglomus sp BE12 WEE: Wintereiweisserbsen, WW: Winterweizen, WG: Wintergerste, ZR: Zuckerrüben, GD: Gründüngungsgemenge, VS: Vorerntesaat

402

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8 2

16

18 6


Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug | Umwelt

DS=Direktsaat PF=Pflug

Abb. 2 | Redundanzanalyse der Sporendichte der 39 identifizierten AM-Pilzarten unter Einbezug der chemischen und physikalischen Bodenparameter (A) bzw. der biologischen Bodenparameter (B) in der Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker», Rütti-Zollikofen ­( Bodenparameter siehe Tab. 1). Abkürzungen der AM-Pilzarten: Ac.lon = Acaulospora longula, Ac.pau = Ac. paulinae, Ac.sie = Ac. sieverdingii, Am.ger = Ambispora gerdemannii, Am.ret = Am. reticulata, Am.BE14 = Am. sp BE14, Ar.myr = Archaeospora myriocarpa, Ar.tra = Ar. trappei, Ce.arm = Cetraspora armeniaca, Ce.hel = Ce. helvetica, Ce.pel = Ce. pellucida, Cl.cla = Claroideoglomus claroideum, Cl.etu = Cl. etunicatum, Cl.lut = Cl. luteum, Di.cel = Diversispora celata, En.inf = Entrophospora infrequens, Fu.cal = Funneliformis caledonius, Fu.geo = Fu. geosporus, Fu.mos = Fu. mosseae, Fu.ver = Fu. verruculosus, Gi.mar = Gigaspora margarita, Gl.aur = Glomus aureum, Gl.bad = Gl. badium, Gl.dia = Gl. diaphanum, Gl.fas = Gl. fasciculatum, Gl.het = Gl. heterosporum, Gl.int = Gl. intraradices & Gl. irregulare, Gl.inv = Gl. invermaium, Gl.mac = Gl. macrocarpum, Gl.mic = Gl. microcarpum, Gl.BR11 = Glomus sp BR11, Gl.BE13 = Glomus sp. BE13, Pa.lac = Paraglomus lacteum, Pa.occ = Pa. occultum, Pa.BE12 = Paraglomus sp BE12, Pa.BE10 = Paraglomus sp BE10, Sc.cal = Scutellospora calospora, Se.con = Septoglomus constrictum. Abkürzungen der Begleitparameter: A Bearbeitung = Pflug, Corg = organischer Kohlenstoff, K = Kalium, pH = pH H 2O, Ca = Calcium, P1 = Phosphor Ammonium-Azetat-­ Extraktion, P2 = Phosphor CO2-Extraktion, Ton = Tongehalt. Das Diagramm erklärt 82,2 % der Varianz der Daten (x-Achse: 21,2 %; y-Achse: 17,8 %). B Epi = Bio­m asse epigäische Regenwurmarten, Endo = Biomasse endogäische Regenwurmarten, LUM = Biomasse Lumbricus terrestris, NIC = Biomasse Anözische Nicodrilus spp, SIR = Mikrobielle Biomasse mit substratinduzierter Respiration, FEM = Mikrobielle Biomasse mit Fumigations-Extraktionsmethode. Das Diagramm erklärt 70,9 % der Varianz der Daten (x-Achse: 19,2 %; y-Achse: 16,4 %).

diversität bei Direktsaat kann sich positiv auf die Nährstoffaufnahme der Pflanzen, insbesondere von Phosphor, auswirken (Köhl et al. 2014). Einige der aus Tabelle 3 formulierten Beobachtungen wurden mit der Redundanzanalyse bestätigt: Funneliformis caledonius und Paraglomus sp. BE12 gruppierten sich nahe den Pflug-Parzellen, während die Mehrheit der AM-Pilze den Direktsaat-Parzellen deutlich näher stand. Andere Arten, die gemäss Tabelle 3 überall auftraten, zeigten eine mehr oder weniger deutliche Zuordnung zur Direktsaat (z.B. Fu. geosporus oder Glomus aureum) beziehungsweise zum Pflug (z.B. Fu. mosseae und Claroideoglomus claroideum). Diese Beobachtungen decken sich weitgehend mit anderen Studien aus Mitteleuropa (Jansa et al. 2003; Oehl et al. 2005; Wetzel et al. 2014).

Als Charakterarten in der Dauerbeobachtungsfläche «Oberacker» können für die langjährig direkt besäten Parzellen Septoglomus constrictum, für die gepflügten Felder Funneliformis caledonius ausgewiesen werden (Abb. 3).

Schlussfolgerungen Nutzungsart und Bewirtschaftungsintensität haben einen grossen Einfluss auf die AM-Pilzgemeinschaften in Landwirtschaftsböden: Wiesen haben generell eine höhere Vielfalt an AM-Pilzen als Äcker, extensive Bewirtschaftung erhöht die Artenzahl, intensive reduziert sie, und in nicht oder wenig bearbeiteten Ackerböden finden sich mehr AM-Pilzarten als in häufig bearbeiteten (Oehl et al. 2011a). Letzteres bestätigen die vorliegenden Untersuchungen auf der Dauerbeobachtungsfläche 

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Umwelt | Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug

Abb. 3 | AM-Pilzsporen ausgewählter Arten. (Fotos: Fritz Oehl, Agroscope) A: Archaeospora trappei findet sich in allen Landwirtschaftsböden der Schweiz. Seine Sporen sind klein, weiss und doppelwandig (Aussenwand AW, Innenwand IW). B: Entrophospora infrequens kommt in fast allen eher extensiv bearbeiteten ­B öden vor. Die Sporen sind doppelwandig mit unzähligen kleinen Ringen auf der braunen Oberfläche. C: Scutellospora ­c alospora reagiert wie Entrophospora infrequens empfindlich auf intensive Bodenbearbeitung. Sie bildet dreiwandige Sporen (mit Mittelwand MW) an Vorzellen und besitzt helle, ovale Keimscheiben. D: Septoglomus constrictum ist im «Oberacker» die Charakterart in den Direktsaatparzellen. Die dunklen Sporen sind erkennbar am verengten Hyphenansatz ­(Kondensator). E: Funneliformis mosseae (mit Trichter-Hyphenansatz) ist häufiger in den bearbeiteten Parzellen (SW=Sporenwand). F: Funneliformis caledonius besitzt grosse Sporen mit mehreren markanten Wandschichten (SWS1-4) und ist die Charakterart der gepflügten Parzellen.

«Oberacker»: Hier hat sich seit dem Pflugverzicht 1994 in den Direktsaatparzellen ein höherer Artenreichtum und eine höhere Diversität von AM-Pilzen gebildet. Mehrere Arten sind charakteristisch für den pfluglosen Anbau und manche sind sogar auch typisch für Wiesenstandorte. Septoglomus constrictum kann auf dem «Ober­ acker» als Indikatorart für die langjährige Direktsaat bezeichnet werden. Die Charakterart für die gepflügten Parzellen ist Funneliformis caledonius. Bei den Kulturen

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zeigten sich tendenziell niedrigere Artenzahlen von AMPilzen in den Wintergetreidefeldern (Wintergerste, Winterweizen) als in den zwischenbegrünten Parzellen (Gründüngungsgemenge, Vorerntesaat). Ein funktionierendes Direktsaatsystem ist auf einen fruchtbaren, belebten Boden angewiesen. Die Förderung von AMPilzen respektive spezifischer AM-Pilzarten(-gruppen) könnte einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. n


Diversità delle micorrize arbuscolari nelle colture campicole: semina diretta e aratro a confronto Dal 1994 sulla superficie di osservazione sul lungo periodo «Oberacker», presso il centro Inforama Rütti a Zollikofen (BE), vengono confrontate una tecnica di semina diretta e una tecnica di lavorazione convenzionale con aratro. Nel presente lavoro è stata studiata l'influenza di entrambi i sistemi di coltivazione e di diverse colture campicole, incluse le miscele da sovescio, sulla diversità delle micorrize arbuscolari (funghi AM). A questo scopo sono state isolate e determinate morfologicamente le spore dei funghi. Approssimativamente due terzi delle 39 specie identificate in totale erano presenti in entrambi i sistemi di coltivazione. In tutte le colture, nel caso della semina diretta sono state rilevate una maggiore ricchezza di specie (15–21 specie) e una maggiore diversità secondo Shannon-Weaver (H = 2,12–2,86) rispetto al sistema convenzionale (10–17 specie e H = 1,77–2,56). Per i cereali invernali sono state individuate tendenzialmente quantità inferiori di specie rispetto alla coltivazione di una miscela da sovescio. La specie caratteristica del sistema di semina diretta pluriennale è il Septoglomus constrictum, mentre quella dei lotti lavorati con aratro è il Funneliformis caledonius. La promozione di specifiche comunità di micorrize potrebbe apportare un contributo fondamentale a un sistema di semina diretta efficiente.

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Summary

Riassunto

Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Ackerkulturen bei Direktsaat und Pflug | Umwelt

Diversity of arbuscular mycorrhizal fungi in field crops using no-till and conventional tillage practices Since 1994, a comparison of no-till and conventional tillage systems has been underway on the Oberacker long-term field trial site at the Inforama Rütti education and extension centre in Zollikofen, Berne canton. The present paper investigates the influence of the two cropping systems and various field crops, including catch crop mixtures, on the diversity of arbuscular mycorrhizal fungi (AM fungi). For this, fungal spores were isolated and morphologically classified. Around two-thirds of the 39 species identified were present in both cropping systems. All crops were found to have greater biodiversity and greater diversity according to the Shannon-Weaver index in the no-till system (15–21 species and H = 2.12–2.86, respectively) than in the conventional tillage system (10–17 species and H = 1.77–2.56, respectively). Winter cereals tended to harbour a lower number of species than did a catch crop mixture which was grown. The characteristic species for the long-term no-till system is Septoglomus constrictum, whilst Funneliformis caledonius is the characteristic species for the plots under conventional tillage. Encouraging specific mycorrhizal fungal communities could make a substantial contribution towards an efficient and effective no-till system. Key words: arbuscular mycorrhiza diversity, no-tillage, plough, cropping system, long-term field trial.

▪▪ Oehl F., Laczko E., Bogenrieder A., Stahr K., Bösch R., van der Heijden M. & Sieverding E., 2010b. Soil type and land use intensity determine the composition of arbuscular mycorrhizal fungal communities. Soil Biology & Biochemistry 42, 724–738. ▪▪ Oehl F., Sieverding E., Ineichen K., Ris E.A., Boller T. & Wiemken A., 2005. Community structure of arbuscular mycorrhizal fungi at different soil depths in extensively and intensively managed agroecosystems. New Phytologist 165, 273–283. ▪▪ Oehl F., Sieverding E., Mäder P., Dubois D., Ineichen K., Boller T. & Wiemken A., 2004. Impact of long-term conventional and organic farming on the diversity of arbuscular mycorrhizal fungi. Oecologia 138, 574–583. ▪▪ Oehl F., Sieverding E., Palenzuela J., Ineichen K. & Silva G.A., 2011b. ­A dvances in Glomeromycota taxonomy and classification. IMA Fungus 2, 191–199. ▪▪ Smith S. & Read D., 2008. Mycorrhizal Symbiosis. 3rd edition. San Diego, CA, USA. Academic Press. 800 S. ▪▪ Sturny W.G., Chervet A., Maurer-Troxler C., Ramseier L., Müller M., Schafflützel R., Richner W., Streit B., Weisskopf P. & Zihlmann U., 2007. Direktsaat und Pflug im Systemvergleich – eine Synthese. Agrarforschung Schweiz 14, 350–357. ▪▪ Wetzel K., Silva G.A., Matczinski U., Oehl F. & Fester T., 2014. Superior differentiation of arbuscular mycorrhizal fungal communities from till and notill plots by morphological spore identification when compared to T-RFLP. Soil Biology & Biochemistry, 72, 88–96.

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U m w e l t

Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungsintensivierung von Grünland im Engadin Roman Graf, Pius Korner und Simon Birrer Schweizerische Vogelwarte Sempach, 6204 Sempach Auskünfte: Roman Graf, E-Mail: roman.graf@vogelwarte.ch

Wiesenbewässerung in Scuol, Unterengadin. (Foto: Roman Graf)

Einleitung Das Engadin ist ein Hotspot der Biodiversität (Schmid et al. 2000). Rund die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche unterhalb der Waldgrenze wird auch heute noch extensiv bis wenig intensiv als Grünland genutzt (Graf et al. 2014). Bei vielen Landwirtschaftsbetrieben der Region machen Biodiversitätsförderflächen 40 bis 70 % der Betriebsfläche aus. Extensiv und wenig intensiv genutzte Bergwiesen sind bekannt für hohe Artenvielfalt und das Vorkommen gefährdeter Arten. Artenärmer und naturschutzfachlich meist wenig bedeutend sind die «intensiven Matten» (Baur et al. 1996, Studer 1971). Zahlreiche Tierarten, welche im Mittelland und in anderen Bergregionen selten geworden sind, kommen im Engadin noch in beachtlichen Beständen vor. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Braunkehlchen Saxicola rubetra, eine bodenbrütende Vogelart, die nirgends in der Schweiz so grosse Bestandsdichten erreicht wie im Unterengadin (Müller 1996). Der Intensivierungsschub im Futterbau, welcher weite Teile des Alpenraums erfasst hat, wirkte aber auch im Engadin. Seit 1987/88 gingen in dieser Talschaft unterhalb der Waldgrenze 22 % der Fläche mit für nährstoffarme Standorte typischer Vegetation verloren.

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Überdurchschnittlich grosse Verluste wurden in Gebieten festgestellt, in denen neue Meliorationsprojekte durchgeführt wurden (Graf et al. 2014). In inneralpinen Lagen mit wenig Niederschlag ist die Errichtung moderner Bewässerungsanlagen ein zentrales Element von Meliorationsprojekten. Gleichzeitig ist gemäss «Operationalisierung der Umweltziele Landwirtschaft – Arten und Lebensräume» die Erhaltung und Förderung der traditionellen Kulturlandschaft mit den vielfältigen Klein­ strukturen und Trockenwiesen im Unterengadin ein Schwerpunkt (Walter et al. 2013). Wegen seiner grossen Bedeutung für die Biodiversität ist das Engadin eine bevor­zugte Region für die Erforschung landschaftsökologischer Themen. Die Schweizeri­ sche Vogelwarte führt dort ein langfristig und grossflächig angelegtes Landschafts- und Brutvogelmonitoring durch. Resultate aus diesem Projekt erlauben es, die Aus­ wirkungen von Bewässerungsanlagen auf Vegetation und Nutzungsintensität abzu­ schätzen. Die Beschreibung dieses Zusammenhanges ist Inhalt der vorliegenden Arbeit.

Material und Methode Untersuchungsgebiet und Bewässerung Das Untersuchungsgebiet umfasst 24 Untersuchungs­ flächen mit total 1253 ha (Abb. 1). Sie liegen zwischen Martina und Silvaplana im Engadin und sind über alle Höhenlagen mit Mähwiesennutzung gleichmässig verteilt. Es handelt sich also um eine repräsentative Auswahl von Engadiner Wiesengebieten. Die Verteilung der Un­ tersuchungsflächen bezüglich Höhe, Steigung und Distanz zum nächsten Dorf oder Landwirtschaftsbetrieb sind in Abbildung 2 dargestellt. Ortskundige Personen zeich­neten auf Karten ein, welche Flächen mit SprinklerAnlagen bewässert werden. Bei Unsicherheiten wurde die Grösse der bewässerten Fläche direkt mit den Bewirtschaftern geklärt. Erfragt wurde zudem, seit wann die Anlage in Betrieb ist. Vom Untersuchungsgebiet (1253 ha) wurden für die vorliegende Analyse alle Flächen ausgeschlossen, welche höher (> 1680 m ü. M.), steiler (> 32 %) oder weiter von Siedlungen entfernt (> 1200 m) sind als die diesbezüg-


lich extremsten bewässerten Gebiete (Abb. 2). Durch diese Einschränkung wurden vier Untersuchungsflächen ganz ausgeschlossen, und die verbleibende Fläche beträgt 870 ha (Abb. 1). Vegetations-, Intensitäts- und Nutzungsaufnahmen In allen Untersuchungsflächen wurden Vegetation und Nutzungsintensität 1987/88 und 2009/10 kartiert. Die Flächen wurden vollständig abgeschritten und festgestellte Vegetations- und Nutzungsgrenzen wurden auf Karten eingezeichnet. Flächen mit homogener Vege­ tation und einheitlicher Nutzungsintensität nennen wir «Parzellen». Pro Untersuchungsfläche wurden 60 bis 277 Parzellen unterschieden. Nach einer für unsere Zwecke angepassten Version des Schlüssels von Dietl et al. 1981 unterschieden wir 14 Vegetationstypen (Schweizerische Vogelwarte 2008). Für die Beurteilung der Nutzungsintensität bei der Kartierung 2009/10 wurde eine verfeinerte Version des Schlüssels von 1987/88 mit den fünf Intensitätsstufen «übernutzt», «intensiv bis mittelintensiv», «wenig intensiv», «extensiv» und «brach, vergandend» verwendet. Damit die Kartierungen von 2009/10 mit jenen von 1987/88 vergleichbar bleiben, wurden diese fünf Stufen für die vorliegende Arbeit gemäss Tabelle 1 zu den drei Klassen «intensiv», «wenig intensiv bis extensiv» und «vergandend» zusammengefasst. In beiden Kartierungen wurden Übergangsbestände, deren Nutzungsweise zwischen wenig und mittel intensiv war, der Intensitätsstufe «wenig intensiv» zugeordnet. Solche Übergangsbestände waren bei der Erstkartierung zum Beispiel unterhalb von Sent recht häufig, und ihre Nutzungsintensität wurde von Botanikern, die dort in den 1980er-Jahren kartierten, zum Teil unterschiedlich beurteilt (M. Schneider, ART Reckenholz briefl.). Die Bezeichnungen für die verschiedenen Intensitätsstufen werden ähnlich, aber nicht genau gleich, verwendet wie bei Dietl et al. (1992) oder in Artikel 44 der Direktzahlungsverordnung (DZV) (Caillet-Bois et al. 2014). Die Abweichungen sind wie folgt zu erklären. Bei Dietl et al. stehen der futterbauliche Wert und die Nutzungsperspektiven im Vordergrund. In der DZV wird die Nutzungsintensität direkt, d.h. aufgrund der vom Landwirt vorgenommenen Bewirtschaftungsmassnahmen definiert. Bei unseren Kartierungen hingegen stand der naturschützerische Wert im Vordergrund, und wir schliessen von einer beobachteten Vegetation auf eine vermutete Bewirtschaftungsintensität.

Zusammenfassung

Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin | Umwelt

Im Rahmen eines Langzeitprojektes wurde im Engadin auf 20 Untersuchungsflächen von insgesamt 870 ha die Entwicklung der Vegetation und der Nutzungsintensität in bewässerten und nicht bewässerten Gebieten verglichen. Der Fokus lag dabei auf der Veränderung des Anteils extensiv bis wenig intensiv genutzter Mähwiesen (darin enthalten sind auch einige Übergangsbestände zur mittelintensiven Nutzung). Dafür standen entsprechende Kartierungen aus den Jahren 1987/88 und 2009/10 zur Verfügung. Wir stellten fest, dass nicht nur ältere, sondern auch die neusten Sprinkleranlagen in Gebieten errichtet wurden, die einen grossen Anteil an extensiv und wenig intensiv genutzten, naturschützerisch wertvollen Wiesen enthalten. Bei Anlagen aus den 1980er-Jahren lag der Anteil der extensiv und wenig intensiv genutzten Matten vor Beginn der Beregnung bei 40 %, bei solchen aus den Jahren 2009/10 bei 56 %. Unter den Anlagen aus den 1980er-Jahren nahm der Anteil der extensiv und wenig intensiv genutzten Matten seither drastisch auf 13,5 % ab. Bei den neueren Anlagen ist ein solcher Effekt noch nicht zu beobachten. In Untersuchungsflächen mit Bewässerungsanlagen war auch ausserhalb des bewässerten Gebietes eine Intensivierung feststellbar. Umgekehrt hat der Anteil der extensiv und wenig intensiv genutzten Matten in allen Untersuchungsflächen ohne Bewässerungsanlagen zugenommen. Die von Projektanten oft geäusserte Behauptung, dass neue Bewässerungsanlagen einzig der Ertrags­ sicherung in Trockenjahren dienen und keine Nutzungsintensivierung zur Folge haben, trifft für unser Untersuchungsgebiet nicht zu.

Darstellung der Bewässerungssituation Wir legten ein Punkteraster mit 25 m Punktabstand über die Untersuchungsflächen. Aus unseren Untersuchungen kennen wir für jeden Punkt den Vegetationstyp, die 

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Umwelt | Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin

Für die Darstellung der Daten wurde die Anzahl Standorte mit gleicher Nutzung (d.h. extensiv bis wenig intensiv bzw. intensiv genutzt) und Bewässerungssituation summiert und für die Umrechnung in Flächen mit 625 m² (25 m × 25 m) multipliziert. Sent

Resultate

Scuol

La vin Ardez

Zernez

Grenzen: Bundesamt für Landestopografie

Untersuchungsflächen

Bewässerungsanlagen seit 2010

Bewässerungsanlagen vor 2010 Abb. 1 | Lage der Untersuchungsflächen (total 870 ha) im Unterengadin und Lage der bewässerten Flächen.

Intensität der Nutzung und ob, beziehungsweise seit wann dort bewässert wird. Die Standortparameter (Höhe über Meer, Geländeneigung und Distanz zur Siedlung) wurden in einem GIS ermittelt. Bewässerte und nicht bewässerte Standorte wurden bezüglich der zwei aggregierten Vegetationseinheiten «extensiv bis wenig intensiv genutzte Matten» und «intensiv genutzte Matten» verglichen. Die übrigen kartierten Vegetationseinheiten (z. B. Weiden, Trockenrasen, Gehölze, Äcker) sind im Kontext der vorliegenden Arbeit irrelevant, da sie im Engadin nur selten bewässert werden.

Bewässerung Zum Zeitpunkt der zweiten Kartierung waren 160 ha mit Sprinklern ausgerüstet. Das sind 18,3 % des Untersuchungsgebietes von 870 ha. In 9 der 20 Untersuchungsflächen befand sich gar keine Bewässerungsanlage, in den übrigen elf Untersuchungsflächen wurden zwischen 7 und 59 % der Fläche bewässert. Wir unterschieden vier Perioden, in welchen die Bewässerungsanlagen in Betrieb genommen wurden (Abb. 3). a) 1 950 – 1976, also mindestens zehn Jahren vor der ersten Kartierung 1987/88: 53,3 ha b) zwischen 1980 und 1989 also weniger als zehn Jahren vor der ersten Kartie­rung: 91,9 ha c) zwischen 2002 und 2007, also zwischen den beiden Kartierungen 1987/88 und 2009/10: 14,8 ha d) seit 2010, also erst nach der zweiten Kartierung 2009/10: 34 ha Einfluss der Bewässerung auf die extensiv und wenig intensiv genutzten Matten Die Entwicklung des Anteils extensiv und wenig intensiv genutzter Matten war stark abhängig davon, ob und seit wann bewässert wurde. In Gebieten, welche schon lange mit Sprinklern bewässert werden (d.h. seit mehr als zehn Jahren vor der ersten Vegetationskartierung 1987/88), waren bereits 1987/88 nur kleinflächig extensiv bis wenig intensiv genutzte Matten vorhan-

Tab. 1 | Intensitätsstufen und Nutzungsart der Bergwiesen im Engadin In der vorliegenden Arbeit b ­ ezeichnet als

2009/10 kartiert als

1987/88 kartiert als

übernutzt intensiv

oder

Nutzung 2–3 Nutzungen jährlich (Mahd oder Weide)

intensiv

intensiv-mittelintensiv

Düngung: Keine gesetzliche Mengenbeschränkung; Düngung erfolgt meist mit Gülle 1–2 mal gemäht und eventuell Im Herbst beweidet

wenig intensiv / extensiv1

wenig intensiv

wenig intensiv

oder

oder

extensiv

extensiv

brach, vergandend

vergandend

Düngung, bei wenig intensiv (von Dietl für das Engadin empfohlen): alle 3–4 Jahre 10 t gut verrotteter Mist oder gar keine Düngung an steilen Hängen. Durch die DZV wird etwa das dreifache der von Dietl empfohlenen Menge erlaubt. Düngung bei extensiv: keine

vergandend 1

408

Bestände im Übergangsberiech wenig-intensiv/mittelintensiv werden hier eingeordnet.

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keine Nutzung


Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin | Umwelt

[% ] 10 8

[% ] 10

[% ]

8

10

12

8

6

6

6

4

4

4

2

2

2

0 1200

1600 2000 Höhe [m ü.M.]

nicht bewässert bewässert

0 0

10

20 30 Steigung [°]

40

0

500 1000 Distanz Siedlung [m]

2000

Abb. 2 | Verteilung der Untersuchungsflächen bezüglich der drei Landschaftsparameter Höhe, Steigung und Distanz zur Siedlung. Blau: ­b ewässerte Flächen, grau: nicht bewässerte Flächen. Total 1235 ha.

den (Tab. 2 und hellblaue Linie in Abb. 4). In Flächen, in denen die künstliche Beregnung erst kurz vor der ersten Kartierung (1987/88) eingerichtet wurde – dies betrifft eine Fläche von 91,7 ha – lag der Anteil der extensiv bis wenig intensiv genutzten Matten damals bei rund 40  %, ging aber bis zur Zweitkartierung 2009/10 auf 14 % (noch 12,9 ha) zurück (dunkelblaue Linie in Abb. 4). Das entspricht einem Verlust von 24,6 ha. Intensiv genutzte Matten nahmen im Bereich solcher Bewässerungsanlagen dementsprechend zu. Im Bereich von neueren Anlagen beobachteten wir hingegen keine Abnahme der extensiv und wenig intensiv genutzten Matten (rote Linie in Abb. 4). In den nicht bewässerten Bereichen gingen sowohl extensiv bis wenig intensiv genutzte Matten als auch intensiv genutzte Matten zwischen 1987/88 und 2009/10 leicht zurück (Tab. 2, orange Linien in Abb. 4). Sie wurden teilweise in Weiden umgewandelt.

Fläche neu beregnet [ha]

50 40 30 20 10 0 1950

1960

1970

1980 Jahr

1990

2000

2010

Abb. 3 | Inbetriebnahme der modernen Bewässerungsanlagen im Untersuchungsgebiet. Die Jahreszahlen der älteren Anlagen sind ungefähre Angaben. Die zwei gepunkteten orangen Linien markieren den Zeitpunkt der beiden Kartierungen. Hellblau: «alte» Anlagen; dunkelblau: kurz vor oder nach der ersten Kartierung erstellt; grau: kurz vor der zweiten Kartierung erstellt; rot: nach der zweiten Kartierung erstellt.

In den Untersuchungsflächen mit Bewässerungsanlagen wurde auch das Gebiet ne­ben den bewässerten Bereichen intensiviert, allerdings weniger stark als unter den Anlagen selbst (Abb. 5 a – h). Hingegen haben extensiv und wenig intensiv genutzt Matten in den neun Untersuchungsflächen, in denen gar keine Bewässerungsanlagen stehen, überall zugenommen (Abb. 5 i).

Diskussion Bewässerung durch Berieselung wurde im Engadin seit Jahrhunderten betrieben (Bundi 2000). Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde diese arbeitsintensive Technik aber praktisch aufgegeben. Riedener et al. (2013) konnten im Wallis zeigen, dass traditionelle Berieselung und moderne Sprinkleranlagen auf die Vegetation nicht grundsätzlich anders wirken. Bezogen auf unser Untersuchungsgebiet bedeutet dies, dass trockenheitsresistente Wiesentypen, v.a. Halbtrockenrasen, mit Aufgabe der traditionellen Bewässerung wohl häufiger geworden sind. Bereits ab ca. 1950 wurden dann erste Sprinkler-Anlagen eingerichtet. In grösserem Stil wurden solche Anlagen aber erst seit ca. 1980 installiert. Man könnte nun schliessen, dass mit der Wieder­aufnahme der Bewässerung der Zustand der Wiesen einfach wieder auf jenen zur Zeit der traditionellen Berieselung vor 100 Jahren zurückgeführt wurde. Dem ist entgegen zu halten, dass damals auch Wiesen mit guter Wasserversorgung ganz anders genutzt wurden als heute. Die Mechanisierung der Landwirtschaft war sehr gering, der Erntevorgang deshalb über einen grossen Zeitraum verteilt. Die Wiesen wurden fast ausschliesslich mit Mist gedüngt. Dies ergab weniger üppige, artenreichere Bestände. Silierungsverfahren und künstliche Heutrocknung kannte man nicht. Der Beginn der Heuernte erfolgte deshalb allgemein später. So begann in einem 

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Umwelt | Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin

Tab. 2 | Veränderung der Flächen extensiv bis wenig intensiv genutzter Matten (oberer Tabellenbereich), sowie der Fläche intensiv genutzter Matten (unterer Tabellenbereich) zwischen 1987/88 und 2009/10 und in Abhängigkeit der Bewässerung (Periode der Inbetriebnahme). Die Ab- oder Zunahme ist die Veränderung relativ zur Fläche bei der Kartierung 1987/88. total [ha]

davon extensive und wenig intensive Matten [ha] 1987/88

2009/10

249,3

216,8

nicht bewässert

709,9

bewässert seit 1950-76

53,2

4,9

3,6

-27,8

bewässert seit 1980-89

91,7

37,4

12,9

-65,6

14,9

3,8

4,4

bewässert seit 2002-07

davon intensive Matten [ha]

total [ha]

1987/88

2009/10

-13,0

+16,4 Ab- oder Zunahme [%]

nicht bewässert

709,9

226,4

220,8

-2,5

bewässert seit 1950-76

53,2

29,9

32,9

+10,0

bewässert seit 1980-89

91,7

40,9

67,8

+65,6

bewässert seit 2002-07

14,9

10,5

9,9

-5,4

Anteil [%] extensiver und wenig intensiver Matten in Flächen, welche ...

dem Engadin benachbarten Hochtal (Sursés, Talboden von Marmorera, ca. 1600 m ü. M.) anfangs der Fünfzigerjahre die Heuernte jeweils anfangs Juli und erstreckte sich, da damals noch von Hand gemäht wurde, sicher über mehrere Wochen hin (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, 1951). Unsere Untersuchungen zeigen, dass der Anteil extensiv und wenig intensiv genutzter Matten im Engadin stark mit der Bewässerungsdauer (in Jahren seit der Installation) zusammenhängt. Im Bereich von Anlagen, die schon lange betrieben werden, war der Anteil solcher Wiesen bereits 1987/88 gering und veränderte sich bis 2009/10 kaum. In Gebieten, die erst seit den 1980er Jahren bewässert werden, ist hingegen eine deutliche Abnahme der extensiv bis wenig intensiv genutzten Matten zwischen 1987/88 und 2009/10 festzustellen. Ihr

40 ... nicht bewässert werden ... seit 2002−07 bewässert werden

30 20

... seit 1980−89 bewässert werden 10

... seit 1950−76 bewässert werden

0 1987/88

2009/10

Abb. 4 | Entwicklung des Anteils extensiv bis wenig intensiv genutzter Matten (zwischen 1987/88 und 2009/10) in Abhängigkeit des Zeitpunkts der Inbetriebnahme der Bewässerungsanlagen (die absoluten Flächenwerte sind im oberen Bereich der Tabelle 2 angegeben).

410

Ab- oder Zunahme [%]

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Anteil ging dort in nur 22 Jahren auf 40 % des ursprünglichen Bestands zurück. Interessant ist dabei die Beobachtung, dass der Rückgang nicht nur im effektiv beregneten Areal nachzuweisen war, sondern auch im näheren Umfeld. Heute ist in unserem Untersuchungsgebiet eine Segregationstendenz zu beobach­ten: Bewässerung (mit daraus folgender Intensivierung) findet auf produktiveren, das heisst tief gelegenen, nicht allzu steilen und relativ siedlungsnahen Flächen statt (Abb. 1). Auf den übrigen Flächen, wo keine Bewässerungsanlagen eingerichtet wurden, nahm hingegen der Anteil der extensiv bis wenig intensiv genutzten Matten leicht zu (Abb. 5 i). Vergandungserscheinungen, die aufgrund dieser Entwicklung befürchtet werden könnten, wurden bisher in unserem Untersuchungsgebiet aber nur in relativ geringem Ausmass nachgewiesen (Graf et al. 2014). In Planungsberichten und Informationsmaterial zu Bewässerungsprojekten (z.B. Göpfert 2007, Amt für Landwirtschaft und Geoinformation des Kantons Graubünden, 2013) wird oft betont, dass Bewässerungsanlagen lediglich erstellt werden, um den Ertrag der Mähwiesen in besonders trockenen Jahren zu sichern. Eine Intensivierung der Nutzung sei keineswegs das Ziel. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass im Engadin durch die Bewässerung eine deutlich intensivere Grünlandnutzung ermöglicht wurde und praktiziert wird (frühere Mahd, mehr Schnitte). Neue Anlagen werden nicht nur in Fluren erstellt, wo bereits produktive Fettmatten vorhanden sind und tatsächlich Ertragssicherung im Vordergrund steht. Dies lässt sich in Sent beobachten (Abb. 6 und 7). Nicht bloss die älteren Anlagen bewässern ehemalige extensiv bis wenig intensiv genutzte Matten – selbst wo erst seit 2010 mit modernen Anlagen beregnet


Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin | Umwelt

Sent

Ils Clues

extensive und wenig intensive Matten [%]

100 80

(a) 19,1 ha 40,7 ha

100 80

60

62,7 ha 5,4 ha

26,2 ha

20

4,2 ha

0

44,6 ha

40

extensive und wenig intensive Matten [%]

80

40

20

20

0

0

100 80

60

20

40

40

3,9 ha 0,9 ha 0,1 ha

20

0

(h)

60

60

60

40

40

1987/88

2009/10

0

13,6 ha 4,2 ha 0 ha

100 80

20

10,1 ha 3,1 ha 0,6 ha

Flächen ohne Bewässerung

100 80

2,1 ha 1,7 ha

(f)

0 Fops

(g)

2,4 ha 1,5 ha

100

80

0

3,5 ha

60 5,3 ha

Crusch Nusch 100

8,2 ha

5,9 ha

80

20

0,2 ha

1,5 ha 1 ha

14,1 ha

Bos Cha (e)

0,8 ha 3,4 ha

60 12,2 ha

40

20

(c)

Sanclinous (d)

2,4 ha 24,1 ha

0

extensive und wenig intensive Matten [%]

60

2,5 ha

Planbe 100

100 80

60

40

Duasassa (b)

(i)

40 2,1 ha 0,2 ha 1987/88

1,9 ha 0,7 ha 2009/10

20 0 1987/88

2009/10

Abb. 5 | Wie Abbildung 4, aber separat für einzelne Untersuchungsflächen: Entwicklung des Anteils extensiver Matten zwischen 1987/88 und 2009/10 in Abhängigkeit des Bewässerungsregimes. Dargestellt sind acht Untersuchungsflächen, in denen mindestens 2 ha extensive und wenig intensive Matten mit Sprinklern beregnet wurden (a bis h), sowie zusammengefasst alle neun vollständig nicht bewässerten ­U ntersuchungsflächen (i).

wird, war dieser Wiesentyp bis vor kurzem grossflächig vorhanden. 2009/10, also kurz vor Inbetriebnahme der Anlagen, kartierten wir auf der neu beregneten Fläche in Sent 56 % extensiv bis wenig intensiv genutztes und 44 % mittelintensiv bis intensiv genutztes Grünland. Im Bereich von Bewässerungsanlagen, die 2002 – 2007 erstellt wurden, haben wir zwischen den beiden Kartierungen (1987/88 bzw. 2009/10) keine Zunahme der intensiv genutzten Wiesen festgestellt. Wir vermuten, dass für eine markante Veränderung der Matten noch zu wenig Zeit verstrichen ist. Allerdings zeigen Peter et al. (2008) für eines dieser Gebiete (Sent) mit Kartierungen aus den Jahren 1975 – 1986 und 2002 – 2004, dass bereits vor Inbetriebnahme der modernen Bewässerung jene Arten zugenommen haben, die bei Intensivnutzung konkurrenzfähig sind. Gleichzeitig nahmen die naturschützerisch wertvollen Arten ab. Zukünftige Kartierungen werden zeigen, wie sich das Verhältnis von extensiv bis wenig intensiv zu intensiv genutzten Matten unter diesen Anlagen entwickeln wird.

Bei neuen Meliorationsprojekten muss den bereits in Lüscher et al. (1998) formulierten Grundsätzen konsequent Beachtung geschenkt werden. Gebiete mit besonders hohen Naturwerten (Grundlagen für das Engadin u.a. in: Waldis und Graf 1996, Pfister et al. 1997, Müller et al. 2008) sollen in einer frühen Projektphase als 

Abb. 6 | Bau neuer Bewässerungsanlagen im Bereich schützenswerter Salbei-Glatthaferwiesen (Sent 2010). (Foto: Roman Graf)

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Umwelt | Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin

Schwerpunktgebiete für Biodiversitätsschutz und -förderung bezeichnet werden. Vor Ort tätige Schutzorganisationen und sonstige Akteure des Lebensraumschutzes sind beratend beizuziehen und die Beurteilung des Schutzwertes bestimmter Landschaftselemente darf nicht allein auf Bundesinventare abgestellt werden. Zumindest aber sollen diese Inventare vor Projektbeginn im Feld auf ihre Vollständigkeit überprüft werden. Artenreiche, wenig intensiv genutzte Goldhaferwiesen sind für bodenbrütende Vogelarten, aber auch für Tagfalter besonders wichtig und essentiell für den landschaftlichen Reiz des Unterengadins und vieler anderer Bergtäler. Im Bundesinventar der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung sind sie nicht enthalten (Eggenberg et al. 2001). Deshalb muss dieser Wiesentyp bei der Planung von Bewässerungsprojekten speziell erfasst und vorab als «nicht bewässerbar» definiert werden. Nebst dieser Forderung weisen wir auf die grosse Bedeutung der gesamtbetrieblichen Biodiversitätsberatung und der Naturschutz-Vertragsflächen im Engadin hin. Diese Instrumente haben nach unserer Einschätzung bereits erfolgreich zum Erhalt der artenreichen Wiesen beigetragen und sollen daher nach Möglichkeit weiter n ausgebaut werden. Literatur ▪▪ Amt für Landwirtschaft und Geoinformation (2013). Meliorationen – Umfang und Zweck. Zugang: http://www.gr.ch/de/institutionen/verwaltung/dvs/alg/ dienstleistungen/meliorationen/Seiten/default.aspx. ▪▪ Baur B., Joshi J., Schmid B., Hänggi A., Borcard D., Starý J., Pedroli-Christen A., Thommen G. H., Luka H., Rusterholz H. P., Oggier P., Ledergerber S. & Erhardt A.,1996. Variation in species richness of plants and diverse groups of invertebrates in three calcareous grasslands of the Swiss Jura mountains. Revue suisse de zoologie 103, 801–833. ▪▪ Bosshard A. & Stähli I. 2012. Verbreitung, Zustand und Erhaltung der Fromentalwiesen in der Schweiz. Fachbericht. Ö+L Büro für Ökologie und Landschaft GmbH, Oberwil-Lieli. ▪▪ Bundi M., 2000. Zur Geschichte der Flurbewässerung im rätischen Alpengebiet. Verlag Bündner Monatsblatt, Chur. ▪▪ Caillet-Bois D., Würth B., Benz R. & Stähelin B., 2014. Biodiversitäts­f örderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung. Agridea, Eschlikon. ▪▪ Dietl W., Berger P. & Ofner M., 1981. Die Kartierung des Pflanzenstand­o rtes und der futterbaulichen Nutzungseignung von Naturwiesen. Eidgenössische Forschungsanstalt für landwirtschaftlichen Pflanzenbau, ­Z ürich-Reckenholz. ▪▪ Dietl W., A. Georg & W. Kusstatscher, 1992. Die Wiesenvegetation im ­U nterengadin (Engiadina Bassa) und ihre pflegliche landbauliche Nutzung. Bericht der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaues (AGFF), Zürich-Reckenholz. ▪▪ Eggenberg St., Dalang Th.. Dipner M & Mayer C., 2001. Kartierung und Bewertung der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung. Technischer Bericht. Hrsg.: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL. ▪▪ Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Geographisches Institut: Marmorera. Ein verschwindendes Bündnerdorf. In: Geographica Helvetica 6,1951, 155-182. ▪▪ Flisch R., Sinaj S., Charles R. & Richner W., 2009. Grundlagen für die Düngung im Acker- und Futterbau (GRUDAF). Agrarforschung 16 (2), 1–100. ▪▪ Göpfert R., 2007. Ermittlung der Bewässerungsbedürftigkeit landwirtschaftlicher Nutzflächen im Kanton Graubünden. Praktikumsarbeit Bündner Bauernverband, Landwirtschafltiches Bildungs- und Beratungszentrum Plantahof, Amt für Landwirtschaft und Geoinformationen des Kantons Graubünden, Chur. ▪▪ Graf R., Müller M., Korner P., Jenny M. & Jenni L., 2014. 20 % loss of unimproved farmland in 22 years in the Engadin, Swiss Alps. Agriculture, Ecosystems & Environment. 185, 48–58.

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0

Bewässerungsstart

Intensität bei Bewässerungsstart

2010

intensiv

2010

extensiv / wenig intensiv

1980er

intensiv

1980er

extensiv / wenig intensiv 500 m

Abb. 7 | Untersuchungsfläche Sent. Ein Teil der schraffierten ­F lächen wurde vor Inbetriebnahme extensiv genutzt. Bei einem weiteren Teil war die Nutzung zwischen wenig und mittelintensiv.

▪▪ Lüscher A., Egger M. & Meuli H., 1998. Meliorationen im Einklang mit Natur und Landschaft. SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Fachgruppe der Kultur- und Vermessungsingenieure, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft & Bundesamt für Landwirtschaft, Bern. ▪▪ Müller M., 1996. Das Engadin: Lebensraum für Brutvögel der offenen und halboffenen Kulturlandschaft. Jahresbericht der Naturforschenden ­G esellschaft Graubünden 108, 39–119. ▪▪ Müller M., H. Schuler & P. Horch, 2008. Kerngebiete zur Förderung und zum Schutz des Braunkehlchens im Unterengadin. Schweizerische Vogelwarte, Sempach. ▪▪ Peter M., Edwards P.J., Jeanneret P., Kampmann D. & Lüscher A., 2008. Changes over three decades in the floristic composition of fertile permanent grasslands in the Swiss Alps. Agriculture, Ecosystems & Environment. 125, 204– 212. ▪▪ Pfister H. P., Graf R., Birrer S. & Horch P., 1997. Landschaftsnutzungs­konzept Unterengadin – Allgemeiner Teil. Fachbericht. Schweizerische Vogelwarte, Sempach. ▪▪ Riedener E., Rusterholz H.-P. & Baur B., 2013. Effects of different irrigation systems on the biodiversity of speciesrich hay meadows. Agric. Ecosyst. Environ. 164, 62–69. ▪▪ Schmid H., Naef-Daenzer B., Keller V. & Zbinden N., 2000. Für Brutvögel besonders wichtige Landwirtschaftsgebiete in der Schweiz. Beiträge zum Naturschutz in der Schweiz 21, 29–32. ▪▪ Schweizerische Vogelwarte 2008. Schlüssel zur Kartierung der Vegetationseinheiten und Intensitätsstufen im Projekt «Landschaftsmonitoring Engadin». Zugang: http://www.vogelwarte.ch/publikationen.html?pubId=1053. ▪▪ Studer S., 1971. The influence of management on the floristic composition of hay meadows. PhD ETH Zürich, Zürich. ▪▪ Waldis R. & Graf R., 1996. Kulturlandschaft Engadin. Landschaftsstruktur, Vegetation und landwirtschaftliche Nutzung Ende der achtziger Jahre. Fachbericht. Schweizerische Vogelwarte, Sempach. ▪▪ Walter Th, Eggenberg S., Gonseth Y., Fivaz F., Hedinger Ch., Hofer G., KlieberKühne A., Richner N., Schneider K., Szerencsit E. & Wolf S., 2013. Operation­ alisierung der Umweltziele Landwirtschaft. Bereich Ziel- und Leitarten, ­L ebensräume (OPAL). ART-Schriftenreihe 18. Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART. 138 S.


Gli impianti di irrigazione come causa dell'intensificazione dello sfruttamento dei prati in Engandina Nell'ambito di un progetto a lungo termine, in Engadina si è confrontato lo sviluppo della vegetazione e dell'intensità di sfruttamento in regioni irrigate e non irrigate. La superficie totale esaminata comprendeva 870 ha, suddivisi in 20 superfici campione. Ci si è concentrati sui cambiamenti della percentuale di prati da sfalcio estensivi e poco intensivi (tra questi sono comprese anche alcune associazioni vegetali intermedie verso uno sfruttamento mediamente intensivo). A questo scopo avevamo a disposizione cartografie corrispondenti stese negli anni 1987/88 e 2009/2010. Abbiamo constatato che non soltanto quelli vecchi ma anche gli impianti d'irrigazione a pioggia più recenti sono stati installati in regioni che comprendono un'elevata percentuale di prati estensivi e poco intensivi di alto valore dal punto di vista della protezione della natura. Nel caso degli impianti risalenti agli anni 1980, la percentuale di prati estensivi e poco intensivi prima dell'irrigazione a pioggia era del 40 %, nel caso di quelli risalenti agli anni 2009/2010 era del 56 %. A seguito dell'uso degli impianti risalenti agli anni 1980, la percentuale dei prati estensivi e poco intensivi è drasticamente calata al 13,5 %. Nel caso degli impianti più recenti questo effetto non è ancora riscontrabile. Sulle superfici con impianti d'irrigazione esaminate si è riscontrata un'intensificazione dello sfruttamento anche al di fuori delle parcelle irrigate. Inversamente, su tutte le superfici senza impianti d'irrigazione esaminate la percentuale di prati sfruttati in modo estensivo o poco intensivo è aumentata. L'affermazione dei fautori dei progetti, secondo la quale nuovi impianti d'irrigazione servirebbero solo ad assicurare il raccolto in caso di anni di siccità senza avere quale conseguenza un'intensificazione dello sfruttamento, nella regione da noi esaminata non risulta valida.

Summary

Riassunto

Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-intensivierung von Grünland im Engadin | Umwelt

Sprinkler systems as a cause of intensification of grassland use in the Swiss Engadin During a long-term monitoring from 1987 to 2010, changes in vegetation and land-use intensity at irrigated versus non-irrigated study sites were investigated in the Swiss Engadin. Specifically, vegetation surveys were compared between the years 1987/88 and 2009/10 to identify whether and how proportions of extensively used (no-input) hay meadows to low-intensity meadows changed (including a range of meadows used at intermediate intensity). We discovered that not only older but also the latest sprinkler systems were set up in areas covering a high proportion of extensively used meadows of conservation concern. Before the survey, 40 % of the vegetation around sprinklers installed in the 1980s was extensively or less intensively used. The same was true for 56 % of the vegetation around sprinklers installed by 2009/10. The proportion of low-intensity meadows under irrigation systems from the 1980s decreased drastically to 13.5 %. For newer sprinkler systems, such an effect was not observed. Study areas holding irrigation systems experienced general land-use intensification, also outside the irrigated area. Conversely, the proportion of extensively and less intensively used meadows has increased in all study areas without irrigation systems. Managers involved in irrigation projects have repeatedly affirmed that additional irrigation systems were installed solely to achieve stable yields in dry years, and that these additions would not lead to further land-use intensification. This assertion, however, does not apply to the study sites presented here. Key words: irrigation, Engadin, intensification, unimproved grassland, semi-dry meadows.

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P f l a n z e n b a u

Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten Markus Kellerhals1, Simone Schütz1, Isabelle O. Baumgartner1, Julia Schaad1, Thomas Kost 2, Giovanni Broggini1 und Andrea Patocchi1 1 Agroscope, Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB, 8820 Wädenswil, Schweiz 2 ETH Zürich, USYS, Plant Pathology Group (IBZ), 8092 Zürich, Schweiz Auskünfte: Markus Kellerhals, E-Mail: markus.kellerhals@agroscope.admin.ch

Apfelsämlinge mit eingekreuzter Feuerbrandresistenz von Wildäpfeln. Die Anzucht erfolgt im Gewächshaus mit der Fast Track-Methode.

Einleitung Agroscope treibt in Kooperation mit wissenschaftlichen und produktionsorientierten Partnern die Züchtung von feuerbrandrobusten Kernobstsorten voran. Hauptziel von Projekten der letzten sechs Jahre, welche vor allem durch das Bundesamt für Landwirtschaft finanziert wurden, war die effiziente Züchtung feuerbrandrobuster Apfel- und Birnensorten mit hohem Marktwert. Eine Besonderheit der Projekte bestand im Bogen von der Grundlagenforschung zur Praxisanwendung. Neben Agroscope waren folgende Partner beteiligt: ETH Zürich (Gruppe von Prof. Cesare Gessler), Lubera AG und Fruture GmbH (private Apfelzüchtung) und die VariCom GmbH, welche Agroscope-Obstsorten in den Markt einführt. Vor sechs Jahren standen nur wenige feuerbrandrobuste Sorten, meist mit keinem oder geringem Marktwert, zur Verfügung. Heute gibt es aussichtsreiche robuste Sorten und resistente Sorten sind in Entwick-

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lung. Der Schwerpunkt der Arbeiten lag bisher beim Apfel. Die Projekte umfassten folgende Arbeiten: ••Prüfung der Triebanfälligkeit von möglichen Elternsorten und fortgeschrittenen Zuchtnummern mit künstlicher Triebinfektion im Gewächshaus ••Künstliche Blüteninfektion im Gewächshaus und unter Freilandbedingungen ••Molekulare Kartierung von Resistenz-Loci im Erbgut ••Einführung der starken Feuerbrandresistenz aus Wildäpfeln in fortgeschrittene Selektionen mittels Generationsbeschleunigung ••Prüfung der Funktionalität eines FeuerbrandresistenzKandidatengens ••Pflanzung von Pilotanlagen mit vielversprechenden feuerbrandrobusten Apfel- und Birnensorten beziehungsweise -züchtungen ••Identifikation von Neuzüchtungen mit Potenzial für den Hochstammanbau Eine Herausforderung der Apfelzüchtung sind Generationszyklen von vier bis fünf Jahren von der Kreuzung bis zur Blüte der Nachkommen. Hinsichtlich der Einkreuzung von Feuerbrandresistenzen ist die Juvenilität besonders bedeutsam, da in heutigen Kulturapfelsorten wohl mehr oder weniger robuste, aber keine feuerbrandresistenten Sorten bekannt sind. Starke Resistenzen sind in Wildäpfeln enthalten, welche aber viele unerwünschte Eigenschaften wie geringe Grösse und ungünstige Fruchtqualität mitbringen. Um den genetischen Ballast der Wildeigenschaften loszuwerden und eine bekömmliche Kultursorte zu erhalten, sind vier bis fünf Pseudo-Rückkreuzungen mit Kultursorten nötig. Bei einer Generationszeit von vier bis fünf Jahren ergibt dies für eine Kultursorte mit Wildapfelresistenz eine Züchtungsdauer von 20 bis 25 Jahren. Deshalb wendeten wir neben einem gentechnischen Ansatz zur Blühinduktion Early Flowering (Patocchi 2014), welcher an dieser Stelle nicht beschrieben wird, eine Methode Fast Track mit konventioneller Züchtung an. Fast Track bezeichnet verschiedene


Ansätze zur Verkürzung des Generationszyklus (van Nocker und Gardiner 2014). Beim Fast Track von Agroscope werden die Sämlinge aus Kreuzungen mit Wildäpfeln mittels kontrollierter und optimierter Wuchsbedingungen im Gewächshaus möglichst schnell zur Blüte gebracht. In den Projekten wurde insbesondere mit den feuerbrandresistenten Wildapfelherkünften «Malus x robusta 5» (Resistenzlocus FB_MR5) und «Evereste» (Resistenzlocus Fb_E) gearbeitet. «Malus x robusta 5» (MR5) ist ein bekannter feuerbrandresistenter Wildapfel mit Ursprung im östlichen Asien. Die Resistenz wurde als sehr wirksam eingestuft, aber seit längerem ist bekannt, dass Stämme vom Feuerbrandbakterium (Erwinia amylovora) existieren, welche diese Resistenz durchbrechen können (Norelli et al. 1986). Eine einzelne Mutation im AvrRpt2EA-Gen des Pathogens ist ausreichend, um die FB_MR5 Feuerbrandresistenz zu durchbrechen (Vogt et al. 2013). Solche Mutationen erfolgen spontan und es ist möglich, dass mutierte virulente Stämme bereits in der Schweiz vorhanden sind oder leicht entstehen könnten. Um die Feuerbrandresistenz von MR5 für züchterische Zwecke effektiv und nachhaltig zu nutzen, muss sie unbedingt mit anderen Feuerbrandresistenzen kombiniert (pyramidisiert) werden. Peil et al. (2007) veröffentlichten die Identifizierung und Kartierung eines Quantitative Trait Locus (QTL) für die Feuerbrandresistenz von MR5 in einer Kreuzung MR5 x «Idared». Diese Feuerbrandresistenz wurde auf der Spitze der Kopplungsgruppe 3 (linkage group) des Apfels identifiziert. Mit weiteren Arbeiten konnte die Region der Feuerbrandresistenz eingegrenzt, isoliert und mittels Next-Generation-Sequencing sequenziert werden. Die in silico Analyse der gewonnenen Sequenzen erlaubte die Identifikation eines Kandidatengens für die MR5-Feuerbrandresistenz, das zur Resistenzgenfamilie NBS-LRR gehört und FB_MR5 genannt wurde. FB_MR5 enthält eine Coiled-coil Domäne, ein Nucleotide-Binding-Site sowie mindestens 23 Leucin-Rich-Repeats-ähnliche Elemente (LRR) (Fahrentrapp et al. 2013). Diese Motive sind charakteristisch für pflanzliche Resistenzgene gegen Bakterienkrankheiten.

Material und Methoden Triebtestungen im Gewächshaus Zwischen 2009 und 2014 wurden 215 interessante Zuchtnummern und Sorten von Agroscope auf ihre Triebanfälligkeit getestet. Dafür wurden über 2500 Triebspitzen mit E. amylovora inokuliert und bonitiert. Für die Triebtestung wurden Reiser der zu testenden Zuchtnummern auf Wurzelunterlagen M9vf T337 veredelt. Jeweils zwölf Bäume pro Zuchtnummer wurden in Rosentöpfen (35,5 cm hoch,

Zusammenfassung

Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten | Pflanzenbau

Im Rahmen von Projekten, welche das Bundesamt für Landwirtschaft finanzierte, prüfte Agroscope 215 Apfelzüchtungen und –sorten mit einem Triebtest im Gewächshaus auf ihre Feuerbrandanfälligkeit. Ausgewählte Sorten wurden zudem in speziell gesicherten Anlagen im Freiland auf Blütenanfälligkeit untersucht. Die Projekte ermöglichten zudem die genaue Lokalisierung eines Feuerbrandresistenzgens aus dem Wildapfel «Malus robusta 5» und eine anschliessende Prüfung seiner Wirksamkeit durch den Einbau des Resistenzgens in die anfällige Sorte «Gala». Die Methode Fast Track dient der beschleunigten Entwicklung feuerbrandresistenter Marktsorten.

7 cm Durchmesser) im Gewächshaus angezogen. Die Infektion erfolgte im Sicherheitsgewächshaus bei einer Trieblänge von ca. 15 – 40 cm, indem E. amylovora direkt in die Triebspitze gespritzt wurde (CH-Stamm FAW610 Rif, Konz. = 109 cfu/ml) (Rezzonico und Duffy, 2007). Während drei Wochen wurden alle sieben Tage die Länge des gesunden Triebabschnitts bis zur sichtbaren Läsion (Abb. 1) sowie die Gesamttrieblänge gemessen. Als Referenzen dienten «Gala» (anfällig) und «Enterprise» (robust). Die Triebanfälligkeit wurde bewertet, indem die Läsionslänge in Prozent der Gesamttrieblänge ermittelt wurde. Für den Vergleich über mehrere Jahre wurde die Läsionslänge in Prozent der Gesamttrieblänge relativ zu «Gala» berechnet. Die meisten in der Triebtestung untersuchten Genotypen wurden molekular auf die Anwesenheit des Feuerbrandrobustheits-QTLs von «Fiesta» Chromosom 7 (FBF7) anhand der beiden flankierenden SCAR-Marker AE10 – 375 und GE-8019 geprüft (Khan et al. 2007). Das Inokulum und die Methodik wurden über die Jahre analog gehandhabt, damit die Resultate möglichst vergleichbar sind. Direkte Blüteninokulation unter Freilandbedingungen In den Frühjahren 2013 und 2014 konnten Blüteninfektionsversuche mit interessanten Agroscope-Zuchtnummern unter Freilandbedingungen in der Sicherheitsparzelle am Steinobstzentrum Breitenhof (BL) durchgeführt werden. Die Versuchsparzelle ist zur Verhinderung des Insektenflugs sowie des Eindringens und Austretens weiterer Vektoren gänzlich von einem Netz umgeben. Forschende betreten und verlassen die Parzelle über eine Schleuse und das herausbeförderte Material wird vollständig dekontaminiert, um eine Verschleppung von Feuerbrand zu verhindern. Für die Testung werden zweibis dreijährige Topfbäume zu testender Züchtungen und 

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Pflanzenbau | Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten

11303» vorgenommen. Die Kreuzungsfrüchte wurden entkernt, die Samen stratifiziert und ausgesät. Die Sämlinge wurden im Gewächshaus bei kontrollierter Temperatur (15 – 25 °C) auf eigenen Wurzeln angezogen. Um die Längenstreckung der Internodien zu vermindern, wurden die Pflanzen monatlich mit dem Wachstums­ regulator Prohexadione-Ca behandelt. Zum Zeitpunkt des nachlassenden Längenwachstums der Pflanzen beziehungsweise im Herbst wurde die Winterruhe durch dreimalige Behandlung mit dem Reife- und Wachstums­ regulator Ethephon eingeleitet. Die künstliche Wintersimulation erfolgte während sieben bis neun Wochen im Kühlraum bei 3 – 5 °C.

Abb. 1 | Triebspitze von «ACW 21143» mit Läsion nach künstlicher Inokulation mit E. amylovora.

Sorten auf der Unterlage «M9» mit «Golden»-Zwischenveredelung verwendet. Als Kontrollen dienten «Gala Galaxy» (anfällig) und «Enterprise» (robust). Die jeweils 16 Wiederholungen pro Genotyp wurden in Vierergruppen randomisiert aufgestellt und über ein Einzel-Tropfbewässerungssystem mit Wasser versorgt. Ein Bienenvolk sorgte für die Bestäubung der Blüten und wurde kurz vor der Inokulation aus der Parzelle entnommen. Für die Inokulationen am 7. Mai 2013 und 14. April 2014 wurden pro Genotyp insgesamt etwa 125 Blütenbüschel in Vollblüte (BBCH65) ausgewählt, markiert und mit einer E. amylovora-Lösung (CH-Stamm FAW610, Konz. 3,0 – 3,5 × 108 cfu/ml) mit einem Handsprüher inokuliert. Anschliessend wurden die Büschel für vier Tage als Witterungsschutz und für gute Infektionsbedingungen mit Plastikbeuteln bedeckt. Die inokulierten Büschel wurden nach 7 (nur 2013), 14, 21 und 28 Tagen auf Symptome bewertet. Generationsbeschleunigung Fast Track Im Frühjahr 2008 wurden die ersten Kreuzungen zwischen «Evereste» sowie F1-Nachkommen von MR5 («Idared» x MR5) und der Agroscope-Zuchtnummer «ACW

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Prüfung der Funktionalität von FB_MR5 FB_MR5 wurde an der ETH Zürich in die sehr feuerbrandanfällige Apfelsorte «Gala» transformiert (Broggini et al. 2014). Dabei wurden zwei unterschiedliche Konstrukte verwendet, um FB_MR5 zu steuern: 1) durch den konstitutiven Promotor CaMV35S und den OCS Terminator und 2) durch eigene Promotor- und Terminator-Sequenzen des FB_MR5 Gens. Die Apfeltransformationen erfolgten mittels Agrobacterium tumefaciens nach Szankowski et al. (2009) und Vanblaere et al. (2011). Nach der in vitro Regeneration von gentechnisch veränderten Trieben wurden diese auf «Golden Delicious»-Sämlinge veredelt und angezogen. Danach wurden die unterschiedlichen Linien auf M9vf T337 Unterlagen veredelt und im Sicherheitsgewächshaus von Agroscope mit zwei E. amylovora Stämmen (Ea222, Ea1189) gemäss Protokoll von Peil et al. (2007) inokuliert.

Resultate und Diskussion Triebtestungen im Gewächshaus Abbildung 2 zeigt eine Gesamtübersicht der 215 Zuchtnummern und Sorten von Agroscope sowie von drei Wildäpfeln (Malus fusca, Malus baccata, MR5) und drei bekannten robusten Sorten («Florina», «Rewena» und «Free Redstar»). Die Abstufungen zur Einschätzung der Triebanfälligkeit (Skala Triebanfälligkeit vs. «Gala») sind ersichtlich. Unabhängig von der genetischen Herkunft überspannen die Ergebnisse die gesamte Bandbreite von «sehr schwach anfällig» mit unter 3,5 % («0802_168» Kreuzung aus: «ACW 11303» («ACW 6104» x «Rewena») x «DA02.2.7» («Idared» x MR5) bis zu «sehr hoch anfällig» mit über 170  % («ACW 14886» Kreuzung aus: «Topaz» x «Fuji») drei Wochen nach der Inokulation relativ zu «Gala». Die Wahl von bekannten robusten oder resistenten Eltern in Kreuzungen ist keine Erfolgsgarantie für die Robustheit der Nachkommen. Bei Kreuzungen mit Partnern ohne bekannte Resistenz oder Robustheit


Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten | Pflanzenbau

Triebanfälligkeit Skala vs.«Gala» schwach mittel hoch sehr hoch

Gala

sehr schwach

Mariella

120 100 80

40

Ladina

60 Enterprise

Läsionslänge nach 3 Wochen in % rel. zu «Gala»

140

Wildäpfel mit starken Resistenz-QTLs Bekannte robuste Sorten Agroscope-Sorten Anfällige Kontrolle Robuste Kontrolle

CH101-Galiwa

160

20 0 Abb. 2 | Mittlere Läsionslänge der von 2009 bis 2014 getesteten Zuchtnummern und Sorten drei Wochen nach Triebinokulation im Gewächshaus relativ zur Läsionslänge von «Gala».

120 120

Direkte Blüteninokulation unter Freilandbedingungen Das Boniturschema umfasst neun Klassen und reicht von keinen respektive unklaren Symptomen, über Infektionen der Blütenbüschel und Jungtriebe bis zu Nekrosen im Holz mit unterschiedlicher Ausprägung (Abb. 4). 2013 und 2014 wurden acht Genotypen in der eingenetzten Parzelle unter Freilandbedingungen getestet. Dargestellt sind die Ergebnisse der robustesten Kandidaten aus den Testungen 2013 und 2014 (Abb. 4). Anhand der beiden Kontrollen ist zu erkennen, dass die Resul tate über die beiden Jahre vergleichbar sind. Gala

können sowohl robuste als auch hoch anfällige Genotypen entspringen. Jedoch ist eine eindeutige Tendenz zu weniger anfälligen Sorten durch gezielte Elternwahl ersichtlich. Von den 215 getesteten Genotypen wiesen 50 inklusive der Sorte «Ladina» eine sehr schwache Triebanfälligkeit auf (<25 % versus «Gala») (Abb. 3). Darunter sind sieben Nachkommen aus der ersten oder zweiten Generation von MR5, elf Nachkommen von «Evereste» und 28 Nachkommen aus Kreuzungen mit bekannten robusten Elternsorten («Florina», «Enterprise», «Resi», «Reka», «Regia» und «Goldrush»).

Nachkommen von Malus x robusta 5 Nachkommen aus Kreuzung mit robusten Eltern Agroscope-Sorte «Ladina»

8080

Sorte ohne spezifisch vererbte Resistenz/Robustheit Anfällige Kontrolle

6060

4040

Ladina (Topaz x Fuji)

Robuste Kontrolle

Enterprise

Läsionslänge nach 3 Wochen in % rel. zu «Gala»

Nachkommen von «Evereste» 100 100

2020

0802_168 (n=11) ACW 20720 (n=11) ACW 20717 (n=11) ACW 20719 (n=11) 0801_12 (n=5) ACW 20721 (n=9) ACW 16436 (n=9) 0804_5 (n=11) ACW 20722 (n=12) ACW 20741 (n=12) 0801_6 (n=11) 0801_2 (n=2) 0803_111 (n=12) 1003_123 (n=11) 0801_33 (n=4) Enterprise (n=107) ACW 21983 (n=7) 1003_52 (n=10) 1118_8 (n=12) ACW 17044 (n=17) 0803_125 (n=12) ACW 20416 (n=12) ACW 20668 (n=12) ACW 19532 (n=20) ACW 22018 (n=9) Ladina (n=21) ACW 19528 (n=22) ACW 15421 (n=12) ACW 22082 (n=11) ACW 22743 (n=12) 0801_35 (n=11) ACW 20412 (n=20) ACW 22916 (n=11) ACW 12556 (n=12) ACW 20718 (n=11) ACW 17041 (n=20) ACW 20975 (n=12) 0801_5 (n=10) ACW 21194 (n=12) ACW 19526 (n=20) ACW 7922 (n=9) 0801_13 (n=5) ACW 19531 (n=20) 0723_1 (n=7) ACW 16102 (n=10) ACW 19529 (n=18) ACW 13490 (n=18) ACW 21954 (n=11) ACW 22800 (n=12) ACW 8259 (n=7) 0601_9 (n=10) Gala Galaxy (n=140)

00

Abb. 3 | Mittlere Läsionslänge der 50 von 2009 bis 2014 getesteten «sehr schwach anfälligen» Zuchtnummern und Sorten von Abb. 2 (<25 % Triebanfälligkeit versus «Gala»; n = Anzahl inokulierte und bonitierte Triebspitzen) drei Wochen nach Triebinokulation im Gewächshaus in Prozent relativ zu «Gala» .

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417


Pflanzenbau | Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten

2013

2014

Gala Galaxy (n = 103 Büschel) 0% 20% 40% 60% 80% 100% T7 T14 T21 T28

Gala Galaxy (n = 125 Büschel) 0% 20% 40% 60% 80% 100% T14 T21 T28

Enterprise (n = 136 Büschel) 0% 20% 40% 60% T7 T14 T21 T28

Enterprise (n = 118 Büschel) 0% 20% 40% 60% T14 T21 T28

Ladina (n = 126 Büschel) 0% 20% 40% 60% T7 T14 T21 T28

80% 100%

80% 100%

ACW 14995 (n = 128 Büschel) 0% 20% 40% 60% 80% 100% T7 T14 T21 T28

80% 100%

ACW 13490 (n = 126 Büschel) 0% 20% 40% 60% 80% 100% T14 T21 T28 Klasse Kl. 1 Kl. 2 Kl. 3 Kl. 4 Kl. 5 Kl. 6 Kl. 7 Kl. 8 Kl. 9

Kurzbeschreibung keine Infektion unklare Symptome Blüteninfektion (< 1/3 Stiellänge) Blüteninfektion( 1/3 Stiellänge) Blütenbüschel und Blütenstandstiel Blütenbüschel, Blütenstandstiel und Jungtrieb Nekrose im Holz ( 5 cm) Nekrose im Holz (5 10 cm) Nekrose im Holz ( 10 cm)

Abb. 4 | Ausgewählte Ergebnisse der künstlichen Blüteninokulation in den Jahren 2013 und 2014 in der ­S icherheitsparzelle am Breitenhof. Dargestellt ist der prozentuale Anteil an Blütenbüscheln in den Boniturklassen, 7 (nur 2013), 14, 21 und 28 Tage nach Inokulation.

Die 2012 benannte Agroscope-Züchtung «Ladina» sowie die Zuchtnummer «ACW 14995» (Abb. 5, links) aus der gleichen Kreuzung («Topaz» x «Fuji») waren deutlich weniger anfällig als «Gala Galaxy». Bei «Gala Galaxy» waren im Frühjahr 2013 bei 69  % der inokulierten Büschel 28 Tage nach der Inokulation Nekrosen im Holz festgestellt worden (Abb. 5, rechts). Bei «Ladina» waren es nur 5 % und bei «ACW 14995» bloss 2 %. Die im Frühjahr 2014 getestete Zuchtnummer «ACW 13490» («Resi» x «Ariwa») zeigte nur bei 2,5 % der bonitierten Blütenbüschel 28 Tage nach der Inokulation Nekrosen im Holz. Im Vergleich war der Befall bei «Gala Galaxy» zehnfach höher.

Generationsbeschleunigung Fast Track Agroscope hat Fast Track nach eigenen Bedürfnissen entwickelt und angepasst. Die verschiedenen Parameter der Wachstumsbedingungen, wie die Dauer der Winterruhe sowie die Behandlung mit Wachstumsregulatoren wurden in Versuchen evaluiert und optimiert (Baumgartner et al. 2011). Seit 2008 wurden für Fast Track 59 Kreuzungskombinationen zwischen jeweils einem feuerbrandresistenten Elternteil mit Wildapfelabstammung und einer Sorte mit Tafelqualität durchgeführt (Abb. 7). Dabei wurden insgesamt mehr als 6600 Blüten bestäubt und 4100 Samen gewonnen. Aus den Sämlingen wurden durch eine

Abb. 5 | Symptome 28 Tage nach künstlicher Blüteninfektion bei Züchtung «ACW 14995» (links) und «Gala Galaxy» (rechts).

418

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 414–421, 2014


Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten | Pflanzenbau

2010

2011

F1 Evereste

F2 Evereste

Kreuzung: Topaz x 0801/12

Anzucht der Sämlinge

16 Früchte 150 Samen

146 Pflanzen 97%

2013 Molekulare Analyse für Feuerbrandresistenz Fb_E

144 Pflanzen 96%

Selektion feuerbrandresistenter Sämlinge mit gutem Wuchs

48 Pflanzen 32%

Blütenbildung 2 Jahre nach Aussaat F3 Evereste

7 Pflanzen 5%

Früchte mit Samen der nächsten Generation

Abb. 6 | Selektionsprozess im System Fast Track am Beispiel der Kreuzung «Topaz» x «0801/12» (F1 «Evereste»).

strenge Selektion (Abb. 6) 268 Nachkommen mit Abstammung von «Evereste», 289 Nachkommen von MR5 sowie ein Nachkomme von Malus fusca (MAL0045) für die Fast Track Generationsbeschleunigung ausgewählt und weiter selektiert. Heute stehen im Gewächshaus über 100 Pflanzen mit den gewünschten Resistenzen in der dritten Generation.

Abbildung 6 bildet den Prozess der Selektion im Fast Track beispielhaft an einer Kreuzung ab. Die Anzahl der Pflanzen wird durch verschiedene Selektionsparameter im Verlaufe des Prozesses reduziert. Gezeigt ist eine Kreuzung zwischen «Topaz» und der F1-Generation von «Evereste» (‚0801/12‘ = «ACW 11303» x «Evereste») aus dem Jahr 2010. Wie in der konventionellen Züchtung 

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

EVERESTE

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

F3 Evereste EVERESTE

P Evereste x ACW 11303 ACW 6707 P Evereste

N=2

x ACW 11303 980 ACW 6707Samen

73 Pflanzen

980 Samen

73 Pflanzen

2008

N=2

2009

2008 2009 ACW 11303 Elter unbekannt x N=4

F2 Evereste (n=11)

F1 Evereste (n=14) x N=14 Topaz Hanners Jumbo F1 Evereste Maribelle(n=14) x N=14 Topaz 787 Jumbo Samen 163 Pflanzen Hanners Maribelle

x N=16 F3 Evereste Hanners Jumbo Nicogreen F2 Evereste (n=11) ACW 15714 x ACW 14992 N=16 Hanners Jumbo Nicogreen 357 Samen 32 Pflanzen ACW 15714 ACW 14992

787 Samen 163 Pflanzen

357 Samen 32 Pflanzen

2010

2011

2012

2013

2014

MR5

2010

2011

2012

2013

2014

MR5

F2 MR5 (n=10)

F3 MR5 (n=5)

x N=5 N=10 x Hanners Jumbo Hanners Jumbo ACW 14992 Nicogreen F2 MR5 (n=10) F3 MR5 (n=5) Elter unbekannt x N=5 F4 MR5 N=4 N=10 x Hanners Jumbo Hanners Jumbo F1 MR5 (n=4) 1126 Samen 146 Pflanzen ACW 14992 Nicogreen858 Samen 143 Pflanzen Elter unbekannt Abb. 7 | Übersicht der Kreuzungen, gewonnenen Samen und selektierten Pflanzen im Fast Track über mehrere Generationen ausgehend F4 MR5 von «Evereste» (oben) und F1 von MR5 (unten); (n = Anzahl F2, F3143 Pflanzen; N = Anzahl Elternkombinationen). 1126 Samen 146 einer Pflanzen 858F1, Samen Pflanzen F1 MR5 (n=4) ACW 11303 Elter unbekannt x

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419


Pflanzenbau | Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten

land eingekreuzt oder Pollen aus dem Freiland ins S­ ystem integriert werden. Im Verhältnis zu intensiveren Systemen mit regulierter CO2 Konzentration und gesteuerten Lichtverhältnissen wie in Neuseeland praktiziert (Austin et al. 2006), wird im Fast Track in Wädenswil auf ressourcenschonenden Mitteleinsatz Wert gelegt. Im Vergleich zur klassischen Züchtung konnte der Generationszyklus auf zwei bis drei Jahre reduziert werden.

Abb. 8 | Apfeltriebe der Sorte «Gala» (links), Malus x robusta 5 und 2 GV-«Gala» Linien (T36C1 und T40C1) mit dem Gen FB_MR5, 39 Tage nach Inokulation mit E. amylovora Stamm Ea222_JKI. In ­L inie T40C1 ist FB_MR 5 unter Kontrolle des CaMV35S Promotors, in Linie T36C1 ist FB_MR 5 unter Kontrolle des eigenen Promotors. Nur «Gala» zeigt die typischen Feuerbrandsymptome.

werden im Fast Track molekulare Marker zur frühen Selektion der feuerbrandresistenten Nachkommen eingesetzt. Bei einer Kreuzung zwischen einer Qualitätssorte/züchtung und einer feuerbrandresistenten Elternsorte mit Wildapfelabstammung wird die Feuerbrandresistenz (Fb_E bzw. FB_MR5) an die Hälfte der Nachkommen weitervererbt. In der besagten Kreuzung konnte aus rund jedem dritten Samen eine resistente Pflanze mit guter Vitalität und gutem Wuchs ins Fast Track System aufgenommen werden. Nach der dritten künstlichen Winterruhe und damit zwei Jahre nach Aussaat haben im Januar 2013 rund 15 % der Pflanzen Blüten gebildet. Bis heute wurde mittels Fast Track die dritte Nachkommenschaftsgeneration (F3) von «Evereste» und MR5 erreicht (Abb. 7). Mit der dritten Generation ist in 6,5 Jahren mehr als die Hälfte der fünf notwendigen Rückkreuzungen zur Reduktion des unerwünschten Wildapfelerbgutes geschafft. Im Juli 2014 konnten bereits Früchte geerntet werden, welche die Samen der F4 von MR5 tragen. Bis 2020 wird für beide Wildapfelherkünfte die F5 angestrebt, die mit weniger als 5 % Wildapfelgenom die gewünschte Grösse und Qualität in Kombination mit Feuerbrandresistenz (Fb_E bzw. FB_MR5) aufweisen sollte. Für eine nachhaltige Nutzung müssen Feuerbrandresistenzen miteinander und/oder anderen Feuerbrandrobustheits-QTLs kombiniert werden. Entscheidende Vorteile der Generationsbeschleunigung mittels Fast Track sind die grosse Durchlässigkeit und Flexibilität: Pflanzen können vom System im Frei-

420

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Prüfung der Funktionalität von FB_MR5 Der Nachweis der Funktionalität von FB_MR5 als Feuerbrandresistenzgen wurde mittels A. tumefaciens-Transformation des Gens in die feuerbrandanfällige Apfel­ sorte «Gala» und anschliessender Prüfung der Feuerbrandresistenz durch Inokulation der regenerierten Linien mit E. amylovora erbracht. Fünf unterschiedliche Linien wurden erzeugt, zwei mit FB_MR5 unter Kontrolle des starken 35S Promotor und drei Linien mit FB_MR5 unter Kontrolle von eigenen regulatorischen Sequenzen. Pflanzen mit FB_MR5 wiesen zu jedem erhobenen Zeitpunkt eindeutig weniger Feuerbrandsymptome auf als «Gala»-Kontrollpflanzen. Bei den nicht transformierten «Gala»-Kontrollpflanzen breitete sich die Krankheit kontinuierlich aus, bis zum Tod der Pflanzen nach drei bis vier Wochen (Abb. 8; Broggini et al. 2014). Am JKI Dresden wurden zusätzlich zwei Linien mit dem MR5-virulenten E. amylovora Stamm ZYRKD3 – 1 inokuliert und für anfällig befunden. Somit ist der Nachweis für die weltweit erste Identifikation eines Feuerbrand-Resistenzgens erbracht. Die Klonierung von FB_MR5 erlaubte einen ersten Eindruck zum Mechanismus einer Feuerbrandresistenz und lieferte wertvolle molekulare Marker, die für die klassische Züchtung von neuen feuerbrandrobusten Sorten eingesetzt werden können. Feuerbrandrobuste und -resistente Kernobstsorten ermöglichen den Produzenten in der Praxis einen nachhaltigen Anbau. Aufgrund des Lebenszyklus von Obstanlagen und der Marktmechanismen dürfte sich die Umstellung auf feuerbrandrobuste Sorten über längere n Zeiträume erstrecken.

Dank

Die Autoren danken Cesare Gessler, ETH Zürich, sowie Henryk Flachowsky, Andreas Peil, Thomas Wöhner und Magda Viola Hanke von Julius Kuhn Institut in Dresden (D) für die Zusammenarbeit bei der Identifikation von FB_MR5 und der Fast-Track-Züchtung, sowie Rolf Blapp, Thomas Schwizer und Jürgen Krauss, alle Agroscope, für die technische Unterstützung. Dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) danken wir für die finanzielle Unterstützung der Projekte ZUEFOS und ZUEFOS II.


Selezione di varietà di melo resistenti al fuoco batterico Nell’ambito di differenti progetti finanziati dall’ufficio federale dell’agricoltura, la suscettibilità al fuoco batterico di 215 varietà o selezioni di melo è stata quantificata in serra di quarantena tramite inoculazioni artificiali dei tralci. Per alcune varietà è stato pure possibile quantificare la suscettibilità al fuoco batterico in seguito ad infezioni artificiali dei fiori di melo all’aperto in una parcella specificatamente adibita a questo scopo. Inoltre è stato possibile identificare il gene di resistenza al fuoco batterico del melo selvatico Malus x robusta 5» e la sua funzione è stata confermata introducendo questo gene nella varietà suscettibile «Gala». Infine l’approccio del Fast Track è stato utilizzato al fine di accelerare lo sviluppo di varietà di melo resistenti al fuoco batterico con potenziale commerciale.

Literatur ▪▪ Austin P., Norling C., Volz R., Bus V. & Gardiner S., 2006. Using controlled environments to accelerate flowering of Malus seedlings. 3rd International Rosaceae Genomics Conference, 19-22 March 2006, War Memorial Conference Centre, Napier. Pp. 113. (Abstracts.) ▪▪ Baumgartner I.O., Patocchi A., Franck L., Kellerhals M. & Broggini G.A.L., 2011. Fire blight resistance from «Evereste» and Malus sieversii used in breeding for new high quality apple cultivars: strategies and results. Acta Hort. (ISHS). 896, 391-397. ▪▪ Broggini G.A.L., Wöhner T., Fahrentrapp J., Kost T.D., Flachowsky H., Peil A., Hanke M.-V., Richter K., Patocchi A. & Gessler C., 2014. Engineering fire blight resistance into the apple cultivar «Gala» using the FB_MR 5 CC-NBS-LRR resistance gene of Malus x robusta 5. Plant Biotechnol. J., 12, 728–733. ▪▪ Fahrentrapp J., Broggini G.A.L., Kellerhals M., Peil A., Richter K., Zini E. & Gessler C., 2013. A candidate gene for fire blight resistance in Malus x robusta 5 is coding for a CC–NBS–LRR. Tree Gen. Genom . 9, 237–251. ▪▪ Khan M.A., Durel C.-E., Duffy B., Drouet D., Kellerhals M., Gessler C. & Patocchi A., 2007. Development of molecular markers linked to the ­«Fiesta» linkage group 7 major QTL for fire blight resistance and their ­a pplication for marker-assisted selection. Genome 50 (6), 568–577. doi:10.1139/G07-033. PMID: 17632578. ▪▪ Norelli J.L., Aldwinckle H.S. & Beer S.V., 1986. Differential susceptibility of Malus spp. cultivars Robusta 5, Novole, and Ottawa 523 to Erwinia amylovora. Plant Dis. 70, 1017–1019.

Summary

Riassunto

Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten | Pflanzenbau

Breeding fire blight resistant apple varieties 215 apple selections and cultivars were screened in a glasshouse shoot infection test for their susceptibility to fire blight in the frame of projects that were financed by the Swiss Federal Office for Agriculture. Selected varieties were also examined for their flower susceptibility towards fire blight in an open air protected orchard. Moreover, a fire blight resistance gene originating from the wild apple «Malus x robusta 5» was precisely localized in the genome and the efficiency was tested by introduction of the gene into the susceptible cultivar «Gala». A Fast Track approach was used to speed up breeding of fire blight resistant apple cultivars with market potential. Key words: Fire blight (Erwinia amylovora), apple breeding, shoot test, Fast Track, FB_MR5.

▪▪ Patocchi A., 2014. Blühverfrühung: Eine Methode die Züchtung zu ­b eschleunigen. 6. Fachtagung zur Grünen Gentechnik «Gentechnikfreie Schweiz – (k)ein Szenario für die Zukunft». S. 35-38 ISBN:978-3-0334476-0. ▪▪ Peil A., Garcia-Libreros T., Richter K., Trognitz F.C., Trognitz B., Hanke M.-V. & Flachowsky H., 2007. Strong evidence for a fire blight resistance gene of Malus robusta located on linkage group 3. Plant Breed . 126, 470–475. ▪▪ Rezzonico F. & Duffy B., 2007. The role of luxS in the fire blight pathogen Erwinia amylovora is limited to metabolism and does not involve quorum sensing. Mol Plant-Microbe Interact. 20, 1284–1297. ▪▪ Szankowski I., Waidmann S., Degenhardt J., Patocchi A., Paris R., Silfverberg-Dilwort, E., Broggini G. & Gessler C., 2009. Highly scab resistant transgenic apple lines achieved by introgression of HcrVf2 controlled by different native promoter lengths. Tree Gene. & Geno. 5, 349–358. ▪▪ Vanblaere T., Szankowski I., Schaart J., Schouten H., Flachowsky H., Broggini G.A.L. & Gessler C., 2011. The development of a cisgenic apple. J. Biotechnol. 157, 304–311. ▪▪ Van Nocker S., Gardiner S., 2014. Breeding better cultivars, faster: applications of new technologies for the rapid deployment of superior horticultural tree crops. Horticulture Research. Volume 1, 14022. ▪▪ Vogt I., Wöhner T., Richter K., Flachowsky H., Sundin G.W., Wensing A., Savory E.A., Geider K., Day B., Hanke M.V. & Peil A., 2013. Gene-for-gene relationship in the host–pathogen system Malus x robusta 5- Erwinia amylovora. New Phytol. 197, 1262–1273.

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P f l a n z e n b a u

Behangsprognose bei Äpfeln Simon Schweizer1, Lena Neumann3, Peter Braun3, Sonja Kuttnig2, Daniel Baumgartner2 und Albert Widmer1 Agroscope, Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB 2 Agroscope, Institut für Lebensmittelwissenschaften ILM, 8820 Wädenswil, Schweiz 3 Hochschule Geisenheim, Institut für Obstbau, 65366 Geisenheim, Deutschland Auskünfte: Simon Schweizer, E-Mail: simon.schweizer@agroscope.admin.ch

1

Abb. 1 | Markieren der Blüten für die Messung des Fruchtzuwachses an Nicoter, am 2. 5. 2013.

Einleitung Bei Äpfeln ist die Anzahl Früchte pro Baum entscheidend für die Fruchtqualität und den Ertrag im aktuellen und im folgenden Jahr (vgl. Kasten). Kulturmassnahmen zur Regulierung des Behangs werden im Zeitraum zwischen dem Ballonstadium (einige Tage vor dem Aufblühen) bis spätestens 12 mm Fruchtdurchmesser durchgeführt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass vielfältige Faktoren das Fruchtfallverhalten eines Baumes sowie die Wirksamkeit einer Ausdünnbehandlung beeinflussen. Strategie und Intensität der Ausdünnung müssen des-

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halb individuell auf Parzelle und Jahr angepasst werden. Da zum Zeitpunkt der Ausdünnung die Behangsentwicklung nicht ausreichend eingeschätzt werden kann, ist dies jedoch nur zum Teil möglich. Die Planung der Ausdünnung basiert bis heute auf Erfahrungen mit der Sorte, dem Anbausystem, der Parzelle und den verschiedenen Ausdünnstrategien. Es ist ein dringendes Bedürfnis der Produzentinnen und Produzenten, die Behangsentwicklung besser einschätzen zu können, um die Ausdünnung optimal zu planen. Agroscope verfolgte in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des internationalen Arbeitskreises für Kul-


turführung im Kernobstanbau (Lena Neumann, Hochschule Geisenheim; Michael Clever, OVA Jork; Gottfried Lafer, Versuchsstation Haidegg; Philipp Brunner, Versuchszentrum Laimburg) drei Ansätze für die Behangsprognose: Fruchtzuwachsmessung nach Duane W. Greene, Modellierung der Kohlenstoffbilanz (MaluSim) nach Alan N. Lakso und zerstörungsfreie Messung der Stoffzusammensetzung der Früchte mittels Nahinfrarotspektroskopie (NIRS). Prognosemodelle Die drei untersuchten Prognoseansätze verfolgen zwei verschiedene Strategien: ••Behangsprognose anhand messbarer Merkmale der Früchte. Implizit ist die Annahme, dass für jede Frucht schon früh bestimmt ist, ob sie ausreifen oder abfallen wird. Was von Auge nicht gesehen werden kann, soll über die Messung des Zuwachses (Methode Greene) oder der Stoffzusammensetzung (NIRS) erkannt werden. ••Prognose des Endbehangs bzw. der zu erwartenden Wirkung einer erfolgten Ausdünnung mittels Berechnung der Kohlenstoffbilanz (MaluSim). Methode nach Greene Die von Duane W. Greene entwickelte Methode beruht auf seiner Beobachtung, dass jene Früchte, welche bis zum Junifruchtfall abfallen werden, ihr Wachstum bereits kurz nach erfolgter Ausdünnbehandlung verlangsamen (Greene et al. 2005). Mittels Messung des Fruchtwachstums einer repräsentativen Stichprobe soll der erwartete Erntebehang schon wenige Tage nach der Ausdünnbehandlung vorausgesagt werden können. Falls ein Überbehang prognostiziert wird, kann zu diesem Zeitpunkt noch wirksam nachgedünnt werden. In Absprache mit dem Arbeitskreis für Kulturführung wurde Greenes Methode in diversen europäischen Obstparzellen über mehrere Jahre evaluiert. Diese Messungen zeigten jedoch ein anderes Bild, als nach dem Studium der amerikanischen Publikationen (Greene et al. 2005; McArtney und Obermiller 2010) erwartet wurde: Die Prognosen verfehlten die tatsächlichen Fruchtzahlen z.T. um ein Vielfaches. Anpassungen des mathematischen Modells waren anfänglich vielversprechend (Gölles et al. 2012), befriedigten in der weiteren Evaluation aber ebenfalls nicht. Um die Ursache für die auftretenden Unregelmässigkeiten einzugrenzen, wurde das frühe Fruchtwachstum vertieft untersucht. Dies sollte klären, ob und mit welchen Anpassungen Greenes Methode in europäischen Obstanlagen eine zuverlässige Behangsprognose liefern  kann.

Zusammenfassung

Behangsprognose bei Äpfeln | Pflanzenbau

Die Behangsregulierung ist eine entscheidende Kulturmassnahme im Apfelanbau. Nur wenn die Anzahl Früchte pro Baum dem Zielbehang entspricht, stimmen Ertrag und Qualität über die Jahre. Der Behang wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst und durch Ausdünnmassnahmen gezielt verringert. Die nötige Intensität der Ausdünnung ist jedoch schwierig einzuschätzen, denn sie muss vor Abschluss des physiologischen Fruchtfalls im Frühsommer erfolgen. Drei Ansätze zur frühzeitigen Behangsprognose wurden in Obstparzellen in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Italien weiterentwickelt, angepasst und evaluiert: Fruchtzuwachsmessung nach D.W. Greene, Stoff­ zusammensetzung der Früchte mittels Nahinfrarotspektroskopie und Modellierung der Kohlenstoffbilanz (MaluSim). Den Untersuchungen zufolge wird Fruchtfall jedoch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt determiniert, sondern kann wiederholt induziert werden. Qualität und Zuverlässigkeit der Prognosen waren deshalb beim aktuellen Stand der Entwicklungen für die Anwendung in der Praxis nicht ausreichend. Aussichtsreich ist indessen die Einschätzung der erwarteten Wirksamkeit einer Ausdünnbehandlung, welche anhand der Kohlenstoffbilanz aus MaluSim abgeleitet werden kann. Die Dosierung für die Behandlung könnte damit gezielt an die Verhältnisse angepasst werden.

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Pflanzenbau | Behangsprognose bei Äpfeln

Zielbehang Ertrag, Qualität und Wirtschaftlichkeit werden im ­Apfelanbau massgeblich durch die Höhe des Behangs (Früchte pro Baum) mitbestimmt. Zu hoher Behang verursacht Qualitätseinbussen, die Früchte bleiben klein und reifen nicht vollständig aus. Zudem entstehen hohe Arbeitskosten bei der Handausdünnung und es folgt eine schwache Blüte im kommenden Jahr (Alternanz). Zu geringer Behang bedeutet an sich einen Ertragsverlust, verunmöglicht damit die selektive Handausdünnung (Entfernen schlecht entwickelter Früchte) und vermindert ebenfalls die Qualität (Stippe, Fleischbräune, Lagerfähigkeit). Der Zielbehang bezeichnet im Apfelanbau die Anzahl Früchte pro Baum, welche den höchsten Ertrag bei der geforderten Qualität liefert. Oft liegt der Zielbehang bei nur 5 bis 10 % aller Blüten, je nach Baum und Blühstärke. Fruchtfall und Ausdünnung Apfelbäume stossen einen Teil der jungen Früchte im Frühsommer ab, um sich den verfügbaren Ressourcen anzupassen. Das Ausmass dieses Fruchtfalls wird wesentlich durch die Verfügbarkeit von Assimilaten (SinkKonkurrenz) und durch hormonelle Prozesse bestimmt.

Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) In Früchten, welche abfallen werden, verändern sich die physiologischen Prozesse. Greene misst diese Veränderung anhand des verlangsamten Wachstums. In der Annahme, dass sich gleichzeitig auch die Stoffzusammensetzung verändert, wurde untersucht, ob mit NIRS Unterschiede messbar sind zwischen Früchten, die abfal-

Abb. 2 | NIRS-Gerät im Einsatz. In dieser Studie wurden die Früchte mit dem Reflexions-Spektrometer Phazir (PZ1018, Polychromix) ­g emessen. Dieses zeichnet NIRS-Spektren im Wellenlängenbereich von 930 bis 1800 nm auf.

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Diese werden ihrerseits von vielfältigen Bedingungen beeinflusst, insbesondere von der Witterung, der Sorte und der Unterlage, sowie vom Anbausystem, von der Nährstoffversorgung, der Befruchtung und den Verhältnissen im Vorjahr. Der Fruchtfall des Frühsommers wird mit dem Junifruchtfall abgeschlossen. Normalerweise ist danach der Behang immer noch wesentlich über dem Zielbehang, Ausdünnmassnahmen sollen dies korrigieren. Die Ausdünnung muss möglichst früh erfolgen, d.h. deutlich vor Abschluss der Fruchtfallphasen, um die Fruchtqualität der Ernte und die Blüte im Folgejahr effektiv zu verbessern. Ausdünnmassnahmen greifen auf verschiedene Weise in die physiologischen Prozesse ein und verstärken ­damit den Fruchtfall. Die Effektivität dieser Massnahmen wird allerdings stark von diversen Einflussfaktoren mitbestimmt, weshalb die Wirkung einer durchgeführten Ausdünnung schwierig einzuschätzen ist. Nach dem Junifruchtfall, zum Zeitpunkt also, wenn der Endbehang gut eingeschätzt werden kann, wird der Behang von Hand auf das gewünschte Mass korrigiert (Handausdünnung). Literatur: Schumacher et al. (1989); Winter et al. (2002).

len werden, und solchen, die am Baum bleiben. Die Nahinfrarotspektroskopie beruht darauf, dass die Inhaltstoffe von Früchten mit Licht bestimmter Wellenlängenbereiche interagieren (Baumgartner et al. 2007; Nicolai et al. 2007). Um mittels NIRS-Messungen eine Ansatzprognose zu treffen, muss eine Kalibration erstellt werden. Dazu werden die gemessenen Spektren (Abb. 2) mit Hilfe statistischer Rechenverfahren mit der Beobachtung korreliert, ob eine Frucht bis Ende Juni gefallen oder am Baum verblieben ist. NIRS hätte gegenüber Greene vor allem den Vorteil, dass schnell und mit weniger Aufwand gemessen werden könnte. Es müssen keine Büschel markiert werden (Abb. 1) und pro Frucht ist nur eine Messung nötig. MaluSim Das Kohlenstoffbilanzmodell MaluSim für Apfelbäume wurde in den USA von Lakso et al. entwickelt (Lakso und Johnson 1990; Lakso et al. 2001). Es berechnet mithilfe von aktuellen Wetterdaten unter anderem Photosynthese und Respiration eines Standardbaumes und daraus die Kohlenstoffbilanz sowie die Verteilung der Assimilate (Produkte der Photosynthese) an die einzelnen


Behangsprognose bei Äpfeln | Pflanzenbau

140

Anzahl Früchte

120

100 80 60 40 20 0 2

3

4

5

6

7

8

9

Fruchtdurchmesser [mm]

10

11

12

13

14

15

Abb. 3 | Messungen des Fruchtdurchmessers an Nicoter (Kanzi ®), nach Amidbehandlung (NAAm), 2013. Stichprobe n=529 Früchte (1. Messung). 10 Messungen in 24 Tagen, immer an den gleichen Früchten. Vollblüte 11. 5., Behandlung mit NAAm am 13. 5.

Pflanzenorgane. Um das MaluSim-Modell in Europa einsetzen zu können, wurden in den letzten Jahren am Institut für Obstbau der Hochschule Geisenheim einige Grundannahmen des Modells überprüft und angepasst. Derzeit wird getestet, ob das Modell bei Entscheidungen bezüglich Behangsregulierung hilfreich sein kann. Es existieren zwei Ansätze, um MaluSim als Hilfestellung in der Ausdünnungsberatung zu verwenden: ••Behangsberechnung mit dem Fruchtfallmodell: Mittels Simulation der Assimilation und des aktuellen Assimilatebedarfs der Früchte wird der erwartete Fruchtfall berechnet. Anhand der aktuellen Wetterdaten werden die Fruchtzahlen täglich angepasst. Dieses Modell wurde mit Versuchsdaten vergangener Jahre aus verschiedenen Regionen verglichen (unten beschriebene Untersuchung). ••Wirksamkeitsprognose für die Ausdünnbehandlung (Verwendung in den USA): Die aktuelle Kohlenstoffbilanz wird für einen festgelegten Fruchtbehang berechnet. Zusammen mit der Wetterprognose kann damit eine Tendenz bezüglich der Wirksamkeit von Ausdünnmitteln für die folgenden Tage prognostiziert werden. Dabei gilt: Bei Kohlenstoffüberschuss ist es schwieriger auszudünnen, bei Kohlenstoffmangel wird eine Be-handlung stark wirken und es muss vorsichtig dosiert werden. Für eine genaue Beschreibung siehe Robinson und Lakso (2011), sowie die Internetseite der Cornell University (2014).

Methoden und Resultate Greene: Frühes Fruchtwachstum und Fruchtfall Um das Fruchtfallverhalten im Zusammenhang mit dem Wachstum der Früchte genauer zu untersuchen, wurden

Fruchtzuwachsmessungen an Nicoter und Golden Delicious in Wädenswil durchgeführt. Innerhalb von 24 Tagen wurde zehn Mal gemessen, bei Fruchtdurchmessern von ca. 4 bis 15 mm (Bachelorarbeit V. Leschenne 2013). Bereits 11 Tage nach Vollblüte zeigte sich deutlich eine Gruppenbildung innerhalb der Stichprobe. Es gab eindeutig Früchte mit kontinuierlicher Entwicklung und solche, die im Wachstum stagnierten (Abb. 3, Messung vom 22. Mai). Diese Gruppen entsprachen weitgehend der Fruchtfallprognose, wie sie mit der Zuwachsmessung nach Greene erstellt wurde: Früchte mit guter Entwicklung werden ausreifen, schlecht wachsende werden fallen. Der tatsächliche Behang nach dem Junifruchtfall war aber deutlich kleiner als erwartet. Es reiften nicht alle Früchte aus, die sich bis zum zweiten Messzeitpunkt der Zuwachsmessung gut entwickelten (Abb. 4, 17 Tage nach Ausdünnung). Früchte, welche trotz positiver Prognose abfielen (Abb. 4, violett), sind über die ganze Bandbreite der stark wachsenden Gruppe (violett und blau) verteilt. Sie konzentrieren sich nicht etwa im unteren Zuwachsbereich, wie man in Anlehnung an Greenes Hypothese erwartet hätte: Diese anfänglich stark wachsenden Früchte, die trotzdem abgefallen sind (violett), zeigten zum Zeitpunkt der Prognosestellung keinen Zusammenhang zwischen Wachstum und Fallwahrscheinlichkeit. Der Vergleich mit weiteren Messungen an verschiedenen Sorten und Standorten in der Schweiz sowie an den Versuchsstationen Laimburg, Haidegg und Jork zwischen 2007 und 2013 (86 Prognosen) bestätigte dieses Resultat: Die Zahl der Früchte, die trotz starker Anfangsentwicklung abfielen, variierte stark und ohne erkennbare Systematik. Diverse Einflussfaktoren sowie deren 

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Pflanzenbau | Behangsprognose bei Äpfeln

14

gefallen gegen prog. ausgereift gegen prog.

Anzahl Früchte

12

gefallen gem. prog. ausgereift gem. prog.

10 8 6 4 2 0 -0,8 -0,6 -0,4 -0,2 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 3,0 3,2 3,4 3,6 3,8 4,0 4,2 4,4 4,6 4,8 5,0 5,2 5,4 5,6 5,8

Zuwachs [mm] Abb. 4 | Vergleich der Fruchtfallprognose nach Greene mit dem tatsächlichen Behang nach dem Junifruchtfall (4. 7. 2013). Nicoter nach Amidbehandlung (NAAm), Zuwachs zwischen 16. und 30. 5., Vollblüte 11. 5., Behandlung mit NAAm am 13. 5.

Kombinationen wurden als mögliche erklärende Grössen geprüft: Position im Baum (stammnah, peripher), Situation im Blütenbüschel (Zentral- oder Lateralfrucht, Anzahl Früchte pro Büschel), phänologischer Entwicklungsfortschritt zwischen Vollblüte, Behandlung(en) und Fruchtmessungen (Wärmegradtage), Ausdünnmethode, Standort und Sorte. Auch unter Einbeziehung dieser Faktoren konnte keine Verbesserung der Prognose erreicht werden.

Prognose Fruchtfall gefallen ausgereift

Nahinfrarotspektroskopie In den Jahren 2011 bis 2013 wurden auf verschiedenen Parzellen an markierten Fruchtbüscheln NIRS-Messungen durchgeführt, an Gala, Golden Delicious, Braeburn und Nicoter. Mit der linearen Diskriminanzanalyse, einem multivariaten Kalibrierverfahren, wurde versucht, die Äpfel anhand der gemessenen Spektren in Fallende

A

und Reifende zu klassieren. NIRS-Modelle sind nur für Früchte gültig, die dem Kalibrierset entsprechen. Deshalb müssen möglichst verschiedene Früchte von verschiedenen Jahren, Parzellen und Sorten gemessen werden. Je mehr Fruchtvariabilität ein Kalibrierset enthält, desto robuster ist die Kalibrierung. Um die Robustheit eines Modells zu verifizieren, wird die Prognosegenauigkeit mit Früchten, die nicht im Kalibrierset enthalten sind, geprüft. Diese externe Validierung ist ein wichtiges Instrument, um die Praxistauglichkeit der Modelle zu prüfen. Es konnten NIRS-Modelle entwickelt werden, die von den 1040 im Modell verwendeten Früchten bei 67 % ± 1 % (Abb. 5A) richtig vorhersagten, ob sie abfallen oder nicht. Die externe Validierung mit weiteren 260 Früchten ergab jedoch nur noch eine Trefferquote von 58 % ± 2 %. Das ist nur um 8 % besser als eine zufällige Prog-

B

2011

2012

2013

Messungen

2011

2012

2013

Bonitur am 4. Juli: ausgereift gefallen

Abb. 5 | Vergleich der Prognose der NIRS-Modelle mit dem tatsächlichen Fruchtfall. (A) Modell aus abfallenden und hängenbleibenden Früchten und (B) Modell aus Früchten, die entweder in den folgenden Tagen oder gar nicht abfallen.

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800

60

600

40

400

20

200

0

0

Berechnete Fruchtanzahl

Tageskohlenstoffbilanz

16. Jun

13. Jun

10. Jun

07. Jun

04. Jun

01. Jun

29. Mai

26. Mai

23. Mai

20. Mai

17. Mai

14. Mai

11. Mai

08. Mai

05. Mai

29. Apr

02. Mai

26. Apr

23. Apr

20. Apr

17. Apr

-800

14. Apr

-80

11. Apr

-600 08. Apr

-60 05. Apr

-400

02. Apr

-40

30. Mrz

-200

27. Mrz

-20

Früchte

80

24. Mrz

C-Balance [g/Tag]

Behangsprognose bei Äpfeln | Pflanzenbau

3-Tagesmittel Kohlenstoffbilanz

Abb. 6 | Simulation der Kohlenstoffbilanz und des Fruchtfalls mittels MaluSim für Gala-Standardbaum in Zornheim, 2012 (727 Blüten/Baum, Knospenaufbruch am 24. 3., Blühzeitraum 17. 4. – 3. 5., Vollblüte 25. 4.)

nose. Eine wesentliche Schwierigkeit für die Interpretation der Spektren liegt darin, dass externe Faktoren wie das Erntejahr, die Wetterverhältnisse, der Standort oder die Fruchtposition am Baum das NIRS-Spektrum einer Frucht viel stärker beeinflussen als die physiologischen Veränderungen, welche den Fruchtfall einleiten. Bei genauerer Betrachtung der Resultate wurde festgestellt, dass der Fruchtfall bei den Früchten, die in den nächsten ein bis zwei Wochen nach der NIRS-Messung abgefallen sind, deutlich besser vorhergesagt wurde (75 % ± 5%) als bei denen, die später abgefallen sind (55 % ± 6%). Aus diesem Grund wurden neue Modelle entwickelt, die nur mit Früchten gemacht wurden, die entweder in den folgenden zwei Wochen abgefallen oder vollständig ausgereift sind. Tatsächlich wurden so bessere Resultate erreicht: 76 % ± 0,3 % der im Kalibrierset enthaltenen Früchte wurden richtig vorhergesagt (Abb. 5B) und 71 % ± 2 % der Früchte aus der externen Validierung. Es gibt also eine messbare Veränderung der Stoffzusammensetzung in den betroffenen Früchten, bevor diese fallen. Mit NIRS kann diese allerdings erst einige Tage vor dem eigentlichen Fall festgestellt werden, wobei selbst dann die Aussagekraft der Messung gering bleibt. MaluSim Zur Anpassung und Validierung von MaluSim wurden Messungen und Zählungen in einem Praxisbetrieb in Zornheim an nicht ausgedünnten Bäumen der Sorte Gala durchgeführt (Masterarbeit T. Pfeifer 2012). Hierbei konnte eines der angepassten MaluSim-Modelle besonders überzeugen. Die Simulation (Abb. 6) hat für einen

Standard-Gala-Baum mit 727 Blüten einen Endbehang von 237 Früchten berechnet, und tatsächlich hingen in der Apfelanlage nach dem Junifruchtfall im Mittel noch 236 Äpfel pro Baum. Der erste Fruchtfall im Simulationslauf (Abb. 6) beruht auf der Annahme (vorgewählte Einstellung im Modell), dass ein Drittel der Blüten nicht befruchtet wird und abfällt. Alle folgenden Fruchtfälle basieren auf den Berechnungen der Kohlenstoffbilanz und des Fruchtwachstums. Ein letzter leichter Fruchtfall wurde trotz positiver Kohlenstoffbilanz für den 6. 6. 2012 berechnet. Durch den immer höheren Bedarf an Assimilaten in den wachsenden Früchten entstand dennoch ein Defizit für die einzelne Frucht. Weitere Vergleiche von Simulationsläufen mit den tatsächlichen Fruchtzahlen wurden an verschiedenen Sorten in nicht ausgedünnten Parzellen in Jork durchgeführt. Die Resultate sind in Tab. 1 dargestellt, genauso die berechnete Simulation von MaluSim für Jork. Gute Übereinstimmungen zwischen berechneten und gemessenen Fruchtzahlen wurden 2012 beobachtet, während 

Tab. 1 | Mittelwerte der Anzahl Früchte/Baum aus nicht ausgedünnten Parzellen in Jork, sowie berechnete Fruchtzahlen aus den Simulationsläufen (Standardbaum Gala, Annahme: 727 Blüten). 2010

2011 (Spätfrost)

2012

157/141

130

144

Elstar

306

136

134

Kanzi

160

141

134/140

MaluSim

181

180

137

Braeburn

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 422–429, 2014

427


Pflanzenbau | Behangsprognose bei Äpfeln

in den Jahren 2010 und 2011 (Jahr mit Spätfrost) die berechneten Fruchtzahlen stärker von den gemessenen abwichen. Der unterschiedliche Behang der Sorten legt nahe, dass die Simulation des Fruchtansatzes an Sorten oder Sortengruppen angepasst werden sollte. Ein Vergleich mit Versuchsdaten aus der Schweiz von 2012 (verschiedene Sorten, ohne Ausdünnbehandlung) zeigte ausserdem, dass für eine gute Simulation des Fruchtfalls eine Einschätzung der Blühstärke eingebunden werden muss. Die berechneten Fruchtzahlen aus Simulationsläufen mit Einstellungen aus Zornheim (727 Blüten) lagen weit vom tatsächlichen Behang entfernt (mittlere Abweichung 46 % ± 20 %). Mit der Eingabe der am Baum gezählten Blütenanzahl verbesserte sich die Simulation deutlich (20 % ± 7 %).

Schlussfolgerungen Alle drei Ansätze verwendeten einfach messbare Grössen am Baum oder, im Fall von MaluSim, in dessen Umwelt. Auf labortechnische Analysen physiologischer Vorgänge wurde zugunsten der angestrebten Praxis­ tauglichkeit verzichtet. Keiner der drei Prognoseansätze konnte überzeugen, indem er eine zuverlässige Prognose für den Behang nach dem Junifruchtfall erzeugen konnte. Die Untersuchungen ermöglichten jedoch vertiefte Einblicke in das Verhalten von Apfelbäumen in der frühen Phase der Fruchtentwicklung: Offensichtlich sind verschiedene Einflussfaktoren während der ganzen Zeit bis zum Junifruchtfall in der Lage, Fruchtfall zu induzieren. Fruchtfallverhalten Die detaillierte Fruchtzuwachsmessung nach der Blüte zeigte, dass auf diesem Weg zwar bestimmt werden kann, welche Früchte sicher abfallen, nicht aber, welche sicher ausreifen werden. Die Menge Früchte, die trotz guter Anfangsentwicklung bis zum Junifruchtfall abgefallen sind, war sehr variabel. Das Resultat der Zuwachsmessung kann deshalb genauso trügen wie der Eindruck, den man bei der visuellen Kontrolle am Baum gewinnt. Es besteht ein Widerspruch zwischen dieser Folgerung und früheren Publikationen (Handschak 1997; Greene et al. 2005; McArtney und Obermiller 2010), welche den Erfolg von Fruchtfallprognosen auf der Basis von Fruchtzuwachs oder Fruchtgrösse bestätigten. Abweichende Bedingungen wie etwa Standort, Kultursystem, Sorte oder Jahreseinflüsse können Gründe dafür sein. Die NIRS-Messungen bestätigten die vermutete Veränderung der Stoffzusammensetzung bei den Früchten, die abfallen werden. Deutlich war die Verbesserung dieser Messbarkeit, je näher der Messzeitpunkt am effekti-

428

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 422–429, 2014

ven Fall einer Frucht lag. NIRS kann die physiologische Veränderung in einer Frucht also erst wenige Tage vor deren Fall erkennen. Eine frühzeitige Behangsprognose ist damit nicht möglich. Der Vergleich zwischen Simulationsergebnissen aus MaluSim und der Situation am Baum zeigte oft gute Übereinstimmung. D.h., die aktuelle Versorgungssituation mit Assimilaten wurde richtig eingeschätzt. MaluSim lieferte aber ebenfalls keine frühzeitige Behangsprognose. Die Kohlenstoffbilanz ist zwar ein wesentlicher Kennwert für die Ausprägung des Fruchtfalls, als witterungsabhängige Grösse kann sie aber nicht für die Zukunft berechnet werden. Alle drei Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass der Fruchtfall in den untersuchten Parzellen kontinuierlich oder in mehreren Phasen verlief (vgl. Schumacher et al. 1989). D.h., sein Ausmass wurde nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt determiniert, weshalb eine frühe Prognose des Erntebehangs anhand der Baum- oder Fruchtentwicklung nicht möglich war. Ergebnisse von Kockerols et al. (2008) zur Ausdünnungswirkung durch kurzfristige Beschattung der Bäume bestätigen diese Ansicht; die Beschattung verstärkte den Fruchtfall auch noch 33 Tage nach Vollblüte, bei Fruchtdurchmessern von rund 22 – 24 mm. Demzufolge induziert ein Engpass in der Versorgung mit Assimilaten auch noch 33 Tage nach Vollblüte erneut Fruchtfall. Wirkungsprognose für die Ausdünnung Die aktuelle Versorgungssituation (Kohlenstoffbilanz) eines Baumes beeinflusst direkt und massgeblich die Wirksamkeit einer Ausdünnbehandlung. Das MaluSimModell kann mithilfe von Wetterprognosen (Temperatur und Globalstrahlung) die kurzfristige Versorgungssituation für einen Standardbaum errechnen und damit eine wertvolle Information für die Auswahl und die Intensität einer Ausdünnbehandlung bereitstellen (Robinson und Lakso 2011). Diese Art der Prognose wird in den USA bereits von einigen Anbietern als Beratungsinstrument zur Verfügung gestellt. Den Untersuchungen dieser Studie zufolge kann MaluSim auch unter europäischen Bedingungen angewendet werden. Weitere Forschung ist jedoch nötig, um MaluSim als Beratungsinstrument einsetzen n

Dank

Charles Amstein, Antoine & Christophe Betrisey, Luc Magnollay, Adrien Mettaz, Reynald Pasche, Peter Widmer und Thomas Zimmermann für die Messungen in ihren Parzellen, der Union Fruitière Lémanique, dem Strickhof und dem Kanton Wallis für ihre Unterstützung und Zusammenarbeit.


Previsione del carico in melicoltura La regolazione del carico produttivo rappresenta una misura colturale decisiva nella melicoltura. Solo se il numero di frutti per albero corrisponde all'obiettivo prefissato di quantità da produrre saranno garantiti negli anni buoni livelli di resa e qualità. Il carico produttivo è influenzato da diversi fattori e viene ridotto in modo mirato tramite interventi di diradamento dei frutti. È tuttavia difficile valutare quale sia la necessaria intensità del diradamento, in quanto questa operazione deve avvenire prima del termine della caduta fisiologica dei frutti all'inizio dell'estate. In appezzamenti destinati alla frutticoltura in Svizzera, Germania, Austria e Italia sono stati sviluppati, adeguati e valutati tre metodi per la previsione precoce del carico produttivo: il monitoraggio della crescita dei frutti secondo D.W. Greene, la misurazione della composizione dei frutti tramite la spettroscopia nel vicino infrarosso e la modellizzazione del bilancio del carbonio (MaluSim). In base ai risultati delle ricerche, tuttavia, la caduta dei frutti non viene determinata in un preciso momento, ma può essere indotta più volte. Allo stato attuale degli sviluppi, la qualità e l'attendibilità delle previsioni non si sono dunque rivelate sufficienti per l'applicazione nella pratica. Promettente è invece la valutazione dell'efficacia attesa di un trattamento di diradamento, che può essere ricavata sulla base del bilancio del carbonio, come previsto nel modello MaluSim. Il dosaggio del trattamento potrebbe così essere adeguato in modo mirato alle esigenze.

Literatur ▪▪ Baumgartner D., Gabioud S., Gasser F. & Höhn E., 2007. Zerstörungsfreie Messung innerer Qualitätsmerkmale beim Apfel. Schweizerische Zeitschrift für Obst- und Weinbau 143 (12), 10–13. ▪▪ Cornell University, 2014. Cornell Apple Carbohydrate Thinning Model. Zugang: http://newa.cornell.edu/index.php?page=apple-thin [26.05.2014]. ▪▪ Gölles M., Widmer A. & Baumgartner D., 2012. Fruchtansatzprognose beim Apfel unterstützt die chemische Fruchtbehangsregulierung. ­A grarforschung Schweiz 3 (10), 478–485. ▪▪ Greene D. W., Krupa J., Vezina M. & Lakso A. N., 2005. A Method to Predict Chemical Thinner Response on Apples. FruitNotes 70 (2), 12–17. ▪▪ Handschak M., 1997. Fruchtfall beim Apfel. Obstbau 6, 286–290. ▪▪ Kockerols K., Widmer A., Gölles M., Bertschinger L. & Schwan S., 2008. Ausdünnung von Äpfeln durch Beschattung. Agrarforschung 15 (6), 258–263. ▪▪ Lakso A. N. & Johnson R. S., 1990. A simplified dry matter production model for apple using automatic programming simulation software. ­ Acta Horticulturae 276, 141–148.

Summary

Riassunto

Behangsprognose bei Äpfeln | Pflanzenbau

Forecasting crop load in apple trees Crop-load management is a vital cultural measure in apple-growing. Only when the number of fruits per tree corresponds to target crop-load levels do yield and quality match over the years. Crop load is influenced by various factors, and is deliberately reduced through thinning measures. The necessary intensity of thinning, however, is difficult to gauge, since the process must take place before the physiological fruit drop is over in early summer. Three approaches to early forecasting of crop load were refined, adapted and evaluated on fruit plots in Switzerland, Germany, Austria and Italy: fruit-growth measurement according to D.W. Greene; determination of the material composition of the fruit by means of near-infrared spectroscopy; and carbon-balance modelling (MaluSim). According to the investigations, fruit drop is not induced at a specific time, but can be induced repeatedly. Because of this, with the current state of developments, the quality and reliability of the forecasts were insufficient for application in practice. Nevertheless, the estimation of the expected effectiveness of a thinning treatment which can be derived using the carbon balance from MaluSim is promising, and would allow the dosage for the treatment to be specially adapted to the conditions in question. Key words: fruitdrop, predicting fruitset, fruit thinning, carbon balance, MaluSim, near-infrared spectroscopy, NIRS, Malus domestica.

▪▪ Lakso A. N., White M. D. & Tustin D. S., 2001. Simulation modelling of the effects of short and long-term climatic variations on carbon balance of apple trees. Acta Horticulturae 557, 473-480. ▪▪ McArtney S. J. & Obermiller J. D., 2010. Evaluation of a Model to Predict the Response of ‘Gala’ Apples to Chemical Thinners. XIth IS on Plant Bioregulators in Fruit Production, Acta Horticulturae 884, 581-586. ▪▪ Nicolai B., Beullens K., Bobelyn E., Peirs A., Saeys W., Theron K.& Lammertyn J., 2007. Nondestructive measurement of fruit and vegetable quality by means of NIR spectroscopy: A review. Postharvest Biology and Technology 46, 99–118. ▪▪ Robinson T. L. & Lakso A. N., 2011. Predicting Chemical Thinner Response with a Carbohydrate Model. Acta Horticulturae 903, 743–750. ▪▪ Schumacher R., Kellerhals M. & Fankhauser F., 1989. Die Fruchtbarkeit der Obstgehölze: Ertragsregulierung und Qualitätsverbesserung. Ulmer, Stuttgart. 242 S. ▪▪ Winter F., Link H. & Autorenkollektiv, 2002. Lucas' Anleitung zum Obstbau. Ulmer, Stuttgart. 488 S.

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K u r z b e r i c h t

Bakterien aus dem Wurzelbereich hemmen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule Denise Bönisch, Lukas Hunziker und Laure Weisskopf Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8046 Zürich, Schweiz Auskünfte: Laure Weisskopf, E-Mail: laure.weisskopf@agroscope.admin.ch

bei Kartoffeln eingesetzt. Bis jetzt sind keine Antagonisten bekannt, die den Erreger der Kraut- und Knollenfäule effizient regulieren können. In diesem Bericht wird die Isolierung und Charakterisierung von Kartoffel-assoziierten Bakterien beschrieben, sowie die Fähigkeit dieser Stämme, das Wachstum von P. infestans entweder direkt oder indirekt, durch Freisetzung von flüchtigen Verbindungen, in vitro zu hemmen. Hemmung des Myzelwachstums von Phytophthora infestans durch Kartoffel-assoziierte Bakterienstämme. Links die Kontrolle, rechts der durch den Bakterienstamm R47 gehemmte Oomyzet. (Fotos: Denise Bönisch)

In der biologischen Landwirtschaft ist es besonders schwierig, Kartoffelpflanzen vor Krankheiten zu schützen, da keine synthetischen Fungizide eingesetzt werden dürfen. In dieser Studie wurde das Hemmpotenzial von Bakterien aus der Kartoffelpflanze und ihrer Rhizosphäre gegen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule in vitro getestet. Die Hälfte von ihnen zeigte eine vielversprechende Wirkung. Der Oomyzet Phytophthora infestans ist eines der weltweit bedeutendsten Kartoffelpathogene. Im schweizerischen Biokartoffelanbau wird der Erreger der Kraut- und Knollenfäule häufig mit Kupfer bekämpft. Kupfer wirkt effizient gegen P. infestans, aber die Anreicherung von Kupfer im Boden hat negative Auswirkungen auf Bodenorganismen (Kula und Guske 2003). Aus diesem Grund soll der Einsatz von Kupfer bis 2016 in der EU möglichst reduziert werden (EU 2009). Natürlich vorkommende Bakterien können sich sehr gut zur Regulierung von Krankheitserregern eignen: Das bereits auf dem Markt vorhandene Produkt Cerall® (Lantmännen, BioAgri, Schweden) zum Beispiel basiert auf einem Pseudomonas-Stamm und wirkt gegen Tilletia caries, den Erreger des Stinkbrands im Getreide. Ein anderer Pseudomonas-Stamm wird als Proradix® (Sourcon Padena, Tübingen, Deutschland) gegen Silberschorf

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Agrarforschung Schweiz 5 (10): 430–433, 2014

Isolierung des Oomyzets und der Bakterienstämme Das zu testende Polysporenisolat des Oomyzeten P. infestans wurde 2001 isoliert. Im Oktober 2012 wurden Bakterienstämme aus der Rhizosphäre und der Phyllosphäre von drei mit P. infestans befallenen Kartoffelpflanzen des Standorts Reckenholz gewonnen. Um die kultivierbare Diversität zu erhöhen, wurde die Isolierung auf verschiedenen Medien durchgeführt (Luria-Bertani, Actinomycete Agar, Malzagar). Bakterien, die sich innerhalb einer Probe morphologisch voneinander unterschieden, wurden auf separaten Platten vermehrt. Insgesamt konnten 137 verschiedene Bakterienstämme isoliert werden. Die Mehrzahl dieser Stämme wurde durch Sequenzierung der 16S rRNA oder des RpoD-Gens phylogenetisch identifiziert (Hunziker 2013).

A

B

Abb. 1 | Schematische Darstellung der beiden Ansätze, um das wachstumshemmende Potenzial der Bakterienstämme zu testen. Schwarz: Myzelstück von Phytophthora infestans , orange: Bakterientropfen der zu testenden Isolate. A: direkter Ansatz, B: VOC-Ansatz (volatile Stoffe).


Bakterien aus dem Wurzelbereich hemmen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule | Kurzbericht

gen Stoffe der Bakterien (VOC = volatile organic compound) getestet. Dazu wurde das Myzelstück in einer zweigeteilten Petrischale auf der einen Seite platziert, und auf der anderen Seite wurden drei Bakterientropfen zu je 10 μl pipettiert (Abb. 1B). Phytophthora infestans wurde immer auf Roggenagar und die Bakterienstämme wurden entweder auf Roggenagar (direkter Ansatz, Abb. 1A) oder auf Luria-Bertani-Medium (LB) (VOC-Ansatz, Abb. 1B) kultiviert. Nach 14 Tagen wurde die Wachstumsfläche von P. infestans mittels digitaler Bildanalyse (ImageJ) gemessen und mit der Kontrolle (ohne Bakterien) verglichen. Die Ergebnisse werden als 

Antagonistisches Potenzial der Bakterienstämme Das antagonistische Potenzial der Stämme wurde in einer ersten Vorstudie gegen drei Krankheitserreger (P. infestans, Rhizoctonia solani, Botrytis cinerea) in vitro evaluiert. Dieses Screening führte zu einer Auswahl von 32 Stämmen, deren Aktivität gegen Phytophthora in zwei unterschiedlichen Ansätzen bestimmt wurde: Im direkten Ansatz wurde ein Myzelstück von 5 mm Durchmesser in die Mitte einer Petrischale und in gleichmässigen Abständen drei Tropfen mit je 10 μl der bakteriellen Flüssigkultur (optische Dichte = 1) platziert (Abb. 1A). In einem zweiten Ansatz wurde nur der Effekt der flüchtiA 120

VOC-Behandlung 100

80

60

direkte Behandlung

40

20

***

0 Kontrolle + R47 + S50 + R32 + R82 + R84 R76 S35 + R01 + S49 R02 R95 R75 S22 R74 S24 S34 S04 S19 S06

*** *** *** *** ***

*** *** *** *** *** * ** *** * *** *** B 120

20

80

60

40

* **

** * * ** *** **

0

100

120

* *

0 Kontrolle R73 R61 S01 R54 R42 R60 S46 R31 R85 S27 R29 S25 R96

80

** *** ** **

direkte 20

60

** ** ** ***

VOC-Behandlung 100

40

20

Behandlung

40

60

80

100

120

*** *** *** ** *** *** ** ** ** * *

Abb. 2 | Myzelwachstum von Phytophthora infestans 14 Tage nach der Inokulation mit den isolierten Bakterienstämmen. R steht für die isolierten Bakterienstämme aus der Rhizosphäre und S für Stämme vom Spross der Kartoffelpflanzen (mit Standardfehlerbalken). +: Blausäureproduzenten, Sterne: signifikante Unterschiede zur Kontrolle (T-Test, n = 3–4 ; * P < 0,05; ** P < 0,01; *** P < 0,001). A: Wirkung von Pseudomonaden auf das Myzelwachstum (in Prozent der Kontrolle), B: Wirkung von Nicht-Pseudomonaden auf das Myzelwachstum (in Prozent der Kontrolle). VOC: volatile Stoffe.

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Kurzbericht | Bakterien aus dem Wurzelbereich hemmen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule

Kontrolle

R47

S49

R60

S22

Abb. 3 | Hemmung des Myzelwachstums von Phytophthora infestans durch verschiedene Bakterienstämme. Die Bilder wurden 14 Tage nach der Inokulation aufgenommen. Oben die Wirkung nach der direkten und unten nach der VOC-Behandlung.

Prozent der Kontrolle dargestellt, und die Signifikanz wurde mittels Student's T-Test bestimmt (n = 3–4, P < 0,05). Die gleichen Platten wurden unter dem Mikroskop visuell ausgewertet um festzustellen, ob die bakteriellen Einflüsse eine Änderung in der Struktur des Myzels hervorrufen können. Hemmpotenzial der antagonistischen Bakterienstämme Die getesteten Bakterien wurden in Pseudomonaden und Nicht-Pseudomonaden aufgeteilt (Abb. 2A und B). In der ersten Gruppe hemmten insgesamt neun Stämme das Myzelwachstum von P. infestans, so dass der Oomyzet in der direkten Behandlung nur zwischen 8 % und 50 % des Wachstums der Kontrolle erreichte, und alle diese Stämme zeigten auch durch die volatilen Stoffe einen sehr guten Hemmeffekt (0 – 30 % des Wachstums der Kontrolle). Zehn weitere Pseudomonas-Stämme zeigten nur eine geringe oder gar keine Wachstumshemmung (56 – 101 % des Wachstums der Kontrolle) im direkten Ansatz. Von diesen Bakterien hemmten jedoch vier Stämme durch die volatilen Stoffe bis zu 50 % des Wachstums. Bei den Nicht-Pseudomonaden inhibierten zehn Stämme den Oomyzeten (7 – 50 % des Wachstums der Kontrolle) in der direkten Behandlung. Drei Stämme hemmten nur wenig oder gar nicht. Bezüglich der volatilen Stoffe hatten die Nicht-Pseudomonaden nur einen geringen oder keinen Einfluss, und nur zwei Stämme inhibierten das Wachstum bis zu 50 %. Dass die Pseudomonaden im VOC-Ansatz aktiver als die Nicht-Pseudomonaden waren, ist wahrscheinlich auf die Produktion von Blausäure zurückzuführen. In der Tat waren alle Stämme, die das Myzelwachstum komplett

432

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 430–433, 2014

unterbanden, cyanogen (Blausäure-bildend). Allerdings zeigten auch nicht cyanogene Bakterien sehr gute Hemmeffekte, z.B. die Stämme S35, R76, R73 oder R54. Welche andere Stoffe die Inhibition auslösen können, wird in weiteren Versuchen erforscht. Es war bemerkenswert, dass die bakteriellen Stämme je nach Behandlungsansatz das Myzel von P. infestans unterschiedlich hemmten. Der Pseudomonas-Stamm R47 z.B. hemmte den Pilz sowohl in der direkten als auch in der VOC-Behandlung hervorragend (Abb. 3), während der Stamm S49 nur im VOC-Ansatz und R60 nur in der direkten Behandlung eine sehr gute Inhibition zeigte. Hingegen wirkte der Stamm S22 in beiden Behandlungen schwach. Dies zeigt, wie sensibel der Oomyzet auf unterschiedliche Wirkstoffe reagiert, ob sie nun vom selben Bakterium stammen oder nicht, und ob sie gasförmig sind oder durch das Medium diffundieren können. Stämme wie die Pseudomonaden R47, S50, R32, R82 und R84, die in beiden Ansätzen gute Effekte zeigen, sind für eine potenzielle Anwendung als Antagonisten gegen die Kraut- und Kartoffelfäule von Interesse. Bakterien verändern die Myzelstruktur Durch die Einwirkung der abgegebenen Stoffe der Bakterien in das Medium oder in die Gasphase konnten Veränderungen in der Struktur des Myzels sowie der Sporangien beobachtet werden. Abbildung 4A zeigt das Myzel von P. infestans in der direkten Behandlung. Im Gegensatz zur Kontrolle sind in den Hyphen des durch den Stamm R47 gehemmten Oomyzets vakuolenartige Strukturen zu erkennen. Durch diese Strukturen könnte der Stofftransport in den Hyphen und dadurch das Wachstum des Myzels


Bakterien aus dem Wurzelbereich hemmen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule | Kurzbericht

A

B

Kontrolle 10×

Kontrolle 10× Zoom

Kontrolle 40×

R47 10×

R47 10× Zoom

R47 40×

Kontrolle 10×

S22 10×

S35 10×

R76 10×

Abb. 4 | Strukturveränderung von Phytophthora infestans bei A direkter Behandlung und B VOC-Behandlung. Die Fotos der direkten Behandlung wurden nach drei Wochen, jene der VOC-Behandlung nach sechs Wochen aufgenommen. A Oben die Kontrolle, unten der Stamm R47. B Von links nach rechts: Kontrolle, Stämme S22, S35 und R76, aufsteigend nach ihrem Hemmpotential.

gehemmt werden. Die Sporangien waren im Vergleich zur Kontrolle teilweise mit vakuolenartigen Bläschen gefüllt, und das Zoosporenmaterial in den Sporangien sah zersetzt aus. Die Keimung von P. infestans könnte durch diese Veränderungen durchaus beeinträchtigt sein. In Abbildung 4B wird der volatile Einfluss von unterschiedlichen Bakterienstämmen auf das Myzel von P. infestans dargestellt. Der Stamm S22 zeigte nur eine geringe Hemmung auf das Wachstum: Bis auf ein paar wenige Hyphenkreise sah hier das Myzel demjenigen der Kontrolle sehr ähnlich. Der mittelgut hemmende Stamm S35 (Myzelwachstum um 35 % reduziert) hatte einen grösseren Einfluss auf die Struktur des Myzels. Es wurden deutlich mehr kreisförmige Hyphen und weniger Sporangien beobachtet. Beim stark inhibierenden Stamm R76 waren die Kreisstrukturen noch ausgeprägter, und es wurden keine Sporangien mehr gefunden. Die Stärke der Wachstumshemmung scheint mit sichtbaren Veränderungen der Hyphenstruktur sowie mit der Reduzierung der Sporangienanzahl einherzugehen. Diese Wirkungen auf die Sporangienbildung sind in Hinsicht auf eine Regulierung des Erregers beachtenswert, da die Sporangien und die darin enthaltenen Zoo-

sporen eine wesentliche Rolle bei der Ausbreitung der Epidemie spielen.

Schlussfolgerungen ••Von den 32 getesteten Bakterienstämmen hemmte etwa die Hälfte der Stämme das Myzelwachstum von P. infestans bis zu 50 % (direkte und VOC-Behandlung). ••Die Behandlung mit den aktiven Bakterienstämmen hemmte nicht nur das Myzelwachstum, es hatte auch einen Einfluss auf die Bildung der Sporangien. ••Das Hemmpotenzial dieser Stämme wird zurzeit in Gewächshausversuchen getestet. n Literatur ▪▪ EU, 2009. Amtsblatt der Europäischen Union. Richtlinien der Kommission 2009/37/EG, vom 23. April 2009, Anhang I, 91/414 EWG, Nr. 282. ▪▪ Hunziker L., 2013. Bacteria as biocontrol agents of Phytophthora infestans: Evaluating the putative role of volatile organic compounds in late blight control. Masterarbeit. Universität Zürich. ▪▪ Kula C. & Guske S., 2003. Auswirkungen von Kupfer auf Bodenorganismen bei langjähriger Anwendung. In: Alternativen zur Anwendung von Kupfer als Pflanzenschutzmittel. 7. Fachgespräch am 6. Juni 2002 in Berlin-Dahlem. Berichte aus der biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft. Heft 118, 11–16.

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I n t e r v i e w

Consuelo De Moraes, Professorin für Biokommunikation und Entomologie an der ETH ­Zürich

Im März 2013 wurde Frau Consuelo De Moraes zur Professorin für Biokommunikation und Entomologie an der ETH Zürich ernannt. Vorher forschte und lehrte Sie an der Pennsylvania State University, USA. Ihre Forschung beschäftigt sich mit der chemischen Ökologie, insbesondere mit der Rolle von Duftstoffen, welche Interaktionen zwischen Pflanzen, Insekten und den natürlichen Gegenspielern der Insekten vermitteln. Frau De Moraes, Sie arbeiten an der Schnittstelle von Chemie, Biologie und Ökologie. Was fasziniert Sie an dieser interdisziplinären Forschung? Mich interessierte schon immer wie Organismen sich verständigen und miteinander interagieren. Insbesondere die Welt der Insekten fand ich faszinierend. Als Studentin erkannte ich, dass Chemie für das Verständnis vieler Prozesse in der Biologie und der Ökologie grundlegend ist. Deshalb habe ich mich auf diese Gebiete und ihre Schnittstellen fokussiert. Zum Beispiel verbindet unsere Forschung nicht nur die Chemie mit der Biologie, sondern sie untersucht auch die Rolle von chemischen Signalen im Ökosystem und trägt so zur Erforschung der sogenannten Biokommunikation bei.

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Wie muss ich mir diese Biokommunikation der Pflanzen und Insekten im Ökosystem genauer vorstellen? Unsere Forschung beschäftigt sich mit Duftstoffen, welche als chemische Signale in Ökosystemen fungieren. Diese chemischen Signale werden von einzelnen Organismen ausgesendet oder empfangen und lösen bei ihnen physiologische und molekulare Prozesse aus. Wir wollen verstehen, wie diese Signale Interaktionen zwischen Pflanzen, Schadinsekten und den natürlichen Gegenspielern der Schadinsekten vermitteln. Wenn beispielsweise Schadinsekten Pflanzen befallen und von ihr fressen, verändert sich die chemische Duftwolke der Pflanze. Diese Duftstoffe können von den natürlichen Gegenspielern der Insekten über grosse Distanzen wahrgenommen werden. Die Gegenspieler fliegen dann zur befallenen Pflanze und fressen die Schadinsekten. Die Pflanze «ruft» also richtiggehend um Hilfe. In natürlichen und in Agrar-Ökosystemen spielen diese chemischen Signale eine Schlüsselrolle. Die Bedeutung dieser Signale wurde aber lange nicht erkannt. So werden beispielsweise in Agrar-Ökosystemen diese komplexen Interaktionen meist nicht berücksichtigt. Dies im Gegensatz zu den natürlichen Systemen, bei denen das


Consuelo De Moraes, Professorin für Biokommunikation und Entomologie an der ETH ­Zürich | Interview

Gleichgewicht zwischen Pflanzen und Insekten unter anderen auf diesen Mechanismen beruht. Unsere Forschung untersucht die ökologischen Grundlagen dieser Interaktionen, um sie für die nachhaltige Regulierung von landwirtschaftlichen Schadinsekten zu nutzen. Zudem beschäftigen wir uns auch mit Schadinsekten, welche Krankheiten bei Pflanzen, Tieren und Menschen übertragen. Zum Beispiel konnten wir zeigen, dass Mäuse, die mit dem Malariaerreger infiziert sind, einen höheren Duftstoffpegel haben. Dies macht sie für Mücken, welche den Erreger der Malaria übertragen, attraktiver, und sie saugen bevorzugt von ihrem infizierten Blut. Wir untersuchen im Moment, ob diese Prozesse auch bei Menschen eine Rolle spielen. Wir wollen ein Diagnoseverfahren entwickeln, um infizierte Menschen, die keine Malariasymptome aufweisen, aber als Reservoir für den Malariaerreger dienen, erkennen und rechtzeitig behandeln zu können.

den verschiedener Disziplinen zusammenzuarbeiten und innovative Forschung zu betreiben. Dies ermöglicht uns, die Forschung in den Bereichen nachhaltige Agrar-Ökosysteme sowie Schutz von Menschen durch Krankheitserreger, wie beispielsweise Malaria, weiterzuführen. Die ETH bietet somit einen hervorragenden Forschungs- und Lehrplatz. Die Vorlesungen werden sich hauptsächlich mit Entomologie und den Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten in Agrar-Ökosystemen beschäftigen. Zudem werden wir, übereinstimmend mit unseren Forschungsschwerpunkten, Kurse zum Thema chemische Ökologie und Biokommunikation anbieten. n Brigitte Dorn, ETH Zürich (Interview adaptiert und erweitert aus AGECON Newsletter Okt. 2013 )

Wie wird Ihre Forschung die Schweizer Landwirtschaft erreichen? Wir betreiben Grundlagenforschung. Unsere Forschung soll einen Beitrag zur nachhaltigen Produktion von Nahrungsmitteln liefern. Dies geschah auch in den USA bereits durch die Untersuchung von lokalen landwirtschaftlichen Systemen. In den USA waren wir darüber hinaus in eine Reihe von Aktivitäten im Bereich Bildung und Öffentlichkeitsarbeit mit Landwirten involviert. Sobald ich mit der Landwirtschaft der Schweiz besser vertraut bin, möchte ich mit meiner Gruppe Forschungsprojekte angehen, welche für die Schweizer Landwirtschaft von Bedeutung sind. Wo sehen Sie die zukünftigen landwirtschaftlichen Schädlingsprobleme der Schweiz? Ein Hauptaugenmerk der Gesellschaft liegt in der Reduktion von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Eine weitere grosse Herausforderung für die Landwirtschaft in der Schweiz, aber auch weltweit, ist die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln in Anbetracht des Klimawandels. Dieser hat direkte Auswirkungen auf die Kulturpflanzen. Er bringt aber auch die Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. Somit ergeben sich neue Herausforderungen für die Bekämpfung von Schadinsekten. Dies erfordert ein differenziertes ökologisches Verständnis für die Biokommunikation in Agrar-Ökosystemen, um Schädlingspopulationen nachhaltig zu regulieren. Wird Ihr Umzug in die Schweiz an die ETH Ihre Forschung und die Lehre beeinflussen? Die ETH ist eine der weltweit führenden Hochschulen. Ihr Umfeld wirkt stimulierend auf die Lehre und die Forschung. Zudem bietet sie die Gelegenheit, mit Forschen-

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Aktuell

Neue Publikationen

Fütterung, Gruppenhaltung und Sozialkontakte – die zentralen Herausforderungen der Pferdehaltung Tiere Agroscope Transfer | Nr. 36 / September 2014

Fütterung, Gruppenhaltung und Sozialkontakte – die zentralen Herausforderungen der Pferdehaltung Autorin Iris Bachmann

agroscope transfer_36_de.indd 1

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Agroscope Transfer | Nr. 36 Neue Erkenntnisse aus der Forschung, die Revision der Schweizer Tierschutzgesetzgebung und eine wachsende Sensibilität der Pferdehaltenden führen seit zwanzig Jahren zu grossen Veränderungen in der Pferdehaltung. Der Anteil Pferde, die in traditionellen Haltungssystemen wie Ständen oder Innenboxen gehalten werden, nimmt stetig ab. Vermehrt nachgefragt werden moderne Aufstallungssysteme wie Auslaufboxen oder Gruppenhaltungsanlagen. Mit dem Wandel in der Pferdehaltung treten aber auch Probleme und offene Fragen auf, die früher nicht von Bedeutung waren. Das vorliegende Agroscope Transfer, Merkblatt für die Praxis, zeigt die drei wichtigsten Herausforderungen einer zeitgemässen Pferdehaltung auf; es sind dies: 1. Fütterungsmanagement 2. Gruppenhaltung 3. Erleichterter Sozialkontakt in der Boxenhaltung Von der angewandten Forschung wird erwartet, praktikable und finanziell tragbare Lösungen zur Umsetzung der Theorie in die Praxis zu entwickeln. Die Forschungsaktivitäten im Bereich Pferdehaltung sind in der Schweiz im Vergleich zu anderen Nutztierarten jedoch bescheiden. Das Schweizerische Nationalgestüt SNG von Agroscope in Avenches gehört zu den wenigen Institutionen, die Forschung in diesem Bereich betreiben. Seit dem vollständigen Zusammenschluss mit der landwirtschaftlichen Ressortforschung Agroscope des Bundes wird dieser anwendungsorientierten Forschung in Avenches noch mehr Rechnung getragen. Zudem wird dem Wissenstransfer in die Praxis grosse Bedeutung zugeschrieben. Durch zahlreiche praxisorientierte Kurse, mittels Veranstaltungen wie der alljährlichen Netzwerktagung Pferdeforschung Schweiz in Avenches und dem Auskunftsdienst der Beratungsstelle Pferd werden die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Forschung weitervermittelt. Iris Bachmann, Agroscope

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Agrarforschung Schweiz 5 (10): 436–439, 2014


Aktuell

Maschinenkosten 2014 Technik Agroscope Transfer | Nr. 37 / 2014

Maschinenkosten 2014 Gültig bis September 2015

September 2014 Inhaltsverzeichnis 1. Motorfahrzeuge

8

2. Zusatzgeräte für Motorfahrzeuge

12

3. Transport

16

4. Bodenbearbeitung

16

5. Saat, Pflege und Pflanzenschutz

20

6. Düngung und Kompostierung

24

7. Getreide-, Raps- und Körnermaisernte 28 8. Kartoffel-, Tabak- und Rübenernte

30

9. Raufutterernte

32

10. Futtereinlagerung, Futterentnahme und Fütterung

36

12. Forstwirtschaft und Bauarbeiten

40

13. Obstbau

42

14. Rebbau und Weinbereitung

44

15. Gemüsebau

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Autor Christian Gazzarin

Fotos: Massimo Regallo, Centro Foto Slide

11. Übrige Geräte in der Innenwirtschaft 38

Die Neupreise wurden für diesen Maschinenkostenbericht umfassend überarbeitet.

Die vorliegende Datensammlung enthält Grundlagen und Richtwerte für die Entschädigung überbetrieblich eingesetzter Landmaschinen. Die Entschädigungsansätze sind ausdrücklich als Richtwerte zu verstehen. Sie sind kalkulatorische Grössen, die unter den getroffenen Annahmen eine kostendeckende Benutzung der Maschine zwischen landwirtschaftlichen Betrieben erlauben. In der Praxis sind die verhandelten Entschädigungsansätze auch durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sodass sich mehr oder weniger grosse Abweichungen zu den Agroscope-Ansätzen ergeben können. Die aufgeführten

Arbeitsleistungen beziehen sich nur auf die effektive Feldarbeitszeit; entsprechend sind Stör-, Rüst- und Wegzeiten (ausser bei Transportgeräten) nicht berücksichtigt. Deshalb können die angegebenen Ansätze beispielsweise nicht direkt mit jenen der Lohnunternehmungen (www.agrartechnik.ch) verglichen werden. Die Entschädigungsansätze gelten pro Arbeitsdurchgang. Die Treibstoffkosten sind bei den motorisierten Geräten inbegriffen. Für Kostenberechnungen im Einzelfall sind die Annahmen entsprechend der konkreten Betriebssituation anzupassen.

Agroscope Transfer | Nr. 37 Die vorliegende Datensammlung enthält Grundlagen und Richtwerte für die Entschädigung überbetrieblich eingesetzter Landmaschinen. Die Entschädigungsansätze sind ausdrücklich als Richtwerte zu verstehen. Sie sind kalkulatorische Grössen, die unter den getroffenen Annahmen eine kostendeckende Benutzung der Maschine zwischen landwirtschaftlichen Betrieben erlauben. In der Praxis sind die verhandelten Entschädigungsansätze auch durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sodass sich mehr oder weniger grosse Abweichungen zu den Agroscope-Ansätzen ergeben können. Die aufgeführten Arbeitsleistungen beziehen sich nur auf die effektive Feldarbeitszeit; entsprechend sind Stör-, Rüst- und Wegzeiten (ausser bei Transportgeräten) nicht berücksichtigt. Deshalb können die angegebenen Ansätze beispielsweise nicht direkt mit jenen der Lohnunternehmungen (www.agrartechnik.ch) verglichen werden. Die Entschädigungsansätze gelten pro Arbeitsdurchgang. Die Treibstoffkosten sind bei den motorisierten Geräten inbegriffen. Für Kostenberechnungen im Einzelfall sind die Annahmen entsprechend der konkreten Betriebssituation anzupassen. Christian Gazzarin, Agroscope

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Aktuell

Medienmitteilungen

www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen 29.09.2014 Umweltbewertung von Lebensmitteln: Methoden unter der Lupe Wie gross sind die Auswirkungen eines Produktes auf die Umwelt? Produktumweltinformationen sollen einerseits die Konsumentenschaft bei Kaufentscheiden unterstützen, anderseits eine umweltfreundlichere Produktion fördern. Agroscope hat zwei der aktuell wichtigsten Methoden untersucht. Fazit: Es sind wertvolle Instrumente, allerdings mit Anpassungs- und Ergänzungs­ bedarf.

Der Konsum von Bio-Lebensmitteln nimmt stetig zu. Tendenziell werden mit steigendem Einkommen mehr Bio-Lebensmittel gekauft, allerdings weniger ausgeprägt in der Romandie als in den übrigen Sprachregionen. Auch Kriterien wie Alter, Familienzusammensetzung und Geschlecht beeinflussen die Wahl von Bio-Produkten. Dies geht aus einer Auswertung der Haushaltsbudgeterhebung (HABE) durch Agroscope hervor.

15.09.2014 Nützliche Bakterien und Pilze für die Land- und Ernährungswirtschaft entdecken

04.09.2014 «Konservierende Anbausysteme»: Pflanzen im Dienste des Bodens

In einem Gramm Boden können so viele Bakterien und Pilze leben wie es Menschen auf der Welt gibt. Diese Mikroorganismen können nützlich wie schädlich sein. In unserem Darm etwa können einige von ihnen unsere Gesundheit positiv beeinflussen. Welche Biodiversität an Mikroorganismen gibt es überhaupt und welche erzielen im Boden oder in Pflanzen und Lebensmitteln positive Effekte? Um diese Fragen zu erforschen, hat Agroscope das Forschungsprogramm «Mikrobielle Biodiversität» initiiert. Das Ziel: Den Nutzen von Mikroorganismen in der Land- und Ernährungswirtschaft erkennen und fördern.

Gründünger helfen mit, den Boden zu schützen. Neu entwickelte Gründüngungsarten leisten einen Mehrwert, indem sie zusätzlich eine Vielzahl anderer Funktionen erfüllen. Sie tragen dazu bei, den weltweit beobachteten Verlust der Bodenfruchtbarkeit zu bekämpfen. Agroscope untersucht, wie Gründüngungskulturen in innovative Anbausysteme integriert werden können und fördert dadurch die Entwicklung einer konservierenden Landwirtschaft (Conservation Agriculture). Aktuelle Forschungsarbeiten wurden am 17. September in Changins vorgestellt.

11.09.2014 Höhere landwirtschaftliche Einkommen 2013 Im Jahr 2013 fiel das landwirtschaftliche Einkommen höher aus als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Im Vergleich zu 2012 stieg es um 9,7 Prozent, vor allem wegen höherer Preise auf dem Schweine- und Milchmarkt. Es betrug im Mittel aller Referenzbetriebe 61 400 Franken je Betrieb. Der durchschnittliche Arbeitsverdienst pro Vollzeit-Familienarbeitskraft nahm um 7,6 Prozent auf 47 000 Franken zu.

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09.09.2014 Der Bio-Konsum steigt mit dem Einkommen

Agrarforschung Schweiz 5 (10): 436–439, 2014


Aktuell

Internetlinks

Veranstaltungen

Organic Eprints

November 2014

http://orgprints.org

4.11.2014 Weiterbildungskurs für Baufachleute 2014 INH, ALB-CH, Agridea, suissemelio

Organic Eprints ist ein internationales, öffentlich zugängliches Archiv für wissenschaftliche Veröffentlichungen zum ökologischen Landbau. Archiviert werden überwiegend elektronische Volltext-Dokumente. Zu jedem Eintrag werden die vollständigen bibliographischen Angaben und weitere Metadaten zur Verfügung gestellt.

Vor schau November–Dezember 2014 / Heft 11–12 In der Mutterkuhhaltung ist eine optimale Fütterung wichtig. Versuche von Agroscope zeigten, dass je nach Art der Fütterung – Trocken- oder Feuchtration – und je nach Rasse der Mutterkühe, das Futter unterschiedlich verwertet wurde. (Foto: Gabriela Brändle, Agroscope)

6.11.2014 ASPSA 2014 Annual Symposium of the PhD-program in ­Sustainable Agriculture Agroscope INH 8046 Zürich 13.11.2014 BioForschungstagung Agroscope–FiBL: Grandes cultures Agroscope, FiBL Changins

18.11.2014 Profi-Lait-Forschungstag 2014 Profi-Lait, Agroscope, Agridea, HAFL Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, Zollikofen BE März 2015

••Verzehr einer Feucht- oder Trockenration durch Mutterkühe, Isabelle Morel und Adrien Butty, ­Agroscope und ETH Zürich ••Wirkung von Konservierungsmitteln bei Feuchtheu, Ueli Wyss, Agroscope ••Support Obst Arbo: Ein Netzwerk für den Betriebs­ vergleich im Obstbau, Esther Bravin et al., Agroscope und Agridea

14.3.2015 Infotag HAFL Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften Zollikofen Informationen: www.hafl.bfh.ch 18. – 19.3.2015 5. Tänikoner Melktechniktagung Tänikon, 8356 Ettenhausen

••Erdmandelgras: Mais als mögliche Sanierungskultur, Martina Keller et al., Agroscope ••Mit Medizinalpflanzen gegen Fusarien und Myko­ toxine in Weizen, Hans-Rudolf Forrer et al., Agroscope; Duke University, USA und Agricultural University of Hebei, China ••Treibhausgasemissionen aus der schweizerischen Land- und Ernährungswirtschaft , Daniel Bretscher et al., Agroscope und BLW ••Schweizerische Sortenliste für Kartoffeln 2015, Thomas Hebeisen et al. Agroscope

Informationen: Informationen: www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen

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Dienstag/Mittwoch, 4./5. November 2014

Weiterbildungskurs für Baufachleute 2014 Gemeinsamer Kurs von ALB-CH, AGRIDEA , Agroscope und suissemelio

Themen • Raumplanungsgesetzgebung – aktueller Stand • Bauen ausserhalb der Bauzone • Beton in landwirtschaftlichen Bauten • Tragwerk & Materialwahl bei landwirtschaftl. Gebäuden • Siloanlagen richtig planen • Stallklima bei frei gelüfteten Rindviehställen • Vermeidung von Fehlerströmen • Revision Brandschutzvorschriften • Finanzierung von Stallbauten

Dienstag, 18. November 2014

Profi-Lait-Forschungstag Forschung für die Milchproduktion

Detailprogramm und Anmeldung www.agridea.ch > Kurse Kursort Landwirtschaftliches Institut des Kantons Freiburg (LIG), 1725 Posieux Anmeldeschluss: 21. Oktober 2014

Tagungsrahmen - Einführungsreferat von Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft - 8 Kurzvorträge, 40 Poster im Infomarkt - alle Themen rund um die Milchproduktion: vom Futterbau über die Fütterung, Zucht und Haltung von Milchkühen bis zur Melktechnik und Ökonomie Programm www.profi-lait.ch www.hafl.bfh.ch Ort

Ergebnisse und Erkenntnisse aus abgeschlossenen oder weit fortgeschrittenen Forschungs- und Beratungsprojekten aller Partnerinstitutionen von Profi-Lait werden vorgestellt. Daraus hervorgehenden Umsetzungsmöglichkeiten oder Handlungsempfehlungen für die Milchproduzenten werden diskutiert.

Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL 3052 Zollikofen Anmeldung | Information bis 3. November 2014 online: www.hafl.bfh.ch (Veranstaltungen) per mail an: veranstaltung.hafl@bfh.ch


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