Agrarforschung Schweiz, Heft 6, Juni 2014

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AGRAR FORSCHUNG SCHWEIZ 2 0 1 4

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H e f t

Agroscope | BLW | HAFL | AGRIDEA | ETH Zürich | FiBL

J u n i

Pflanzenbau

Hybridgetreide hat Zukunft Seite 224

Agrarwirtschaft

Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen? Seite 248

Sortenliste

Liste der empfohlenen Getreidesorten für die Ernte 2015 Beilage

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Weizen ist die weltweit wichtigste Kulturpflanze für unsere E­ rnährung. Die Züchtung einer neuen Weizensorte benötigt mindestens 15 Jahre. Die Juniausgabe enthält einen ­Beitrag zu Hybrid­getreide und die Liste der empfohlenen Getreidesorten für die Ernte 2015. (Foto: Carole Parodi, Agroscope)

Inhalt Juni 2014 | Heft 6 223 Editorial

Impressum Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse ist die Zeitschrift der landwirtschaftlichen Forschung von Agroscope und ihren Partnern. Die Zeitschrift erscheint auf Deutsch und Französisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus Forschung, Industrie, Lehre, Beratung und Politik, an kantonale und eidgenös­sische Ämter und weitere Fachinteressierte. Herausgeberin Agroscope Partner b Agroscope (Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB; Institut für Nutztierwissen­schaften INT; Institut für Lebensmittelwissenschaften ILM; Institut für Nachhaltigkeits­wissenschaften INH), www.agroscope.ch b Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Bern, www.blw.ch b Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, ­Zollikofen, www.hafl.ch b Beratungszentrale AGRIDEA, Lindau und Lausanne, www.agridea.ch b Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Departement für Umweltsystemwissenschaften, www.usys.ethz.ch b Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, www.fibl.org Redaktion Andrea Leuenberger-Minger, Agrarforschung Schweiz / ­Recherche Agro­nomique Suisse, Agroscope, Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 58 466 72 21, Fax +41 58 466 73 00, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch Judith Auer, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 1012, 1260 Nyon 1 E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch Redaktionsteam Vorsitz: Jean-Philippe Mayor (Leiter Corporate Communication Agroscope), Evelyne Fasnacht, Erika Meili und Sibylle Willi (Agroscope), Karin Bovigny-Ackermann (BLW), Beat Huber-Eicher (HAFL), Esther Weiss (AGRIDEA), ­Brigitte Dorn (ETH Zürich), Thomas Alföldi (FiBL). Abonnement Preise Zeitschrift: CHF 61.–* (Ausland + CHF 20.– Portokosten), inkl. MWSt. und Versandkosten, Online: CHF 61.–* * reduzierter Tarif siehe: www.agrarforschungschweiz.ch Adresse Nicole Boschung, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 64, 1725 Posieux E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch, Fax +41 58 466 73 00 Adressänderungen E-Mail: verkauf.zivil@bbl.admin.ch, Fax +41 31 325 50 58 Internet www.agrarforschungschweiz.ch www.rechercheagronomiquesuisse.ch ISSN infos ISSN 1663-7852 (Print) ISSN 1663-7909 (Internet) Schlüsseltitel: Agrarforschung Schweiz Abgekürzter Schlüsseltitel: Agrarforsch. Schweiz © Copyright Agroscope. Nachdruck von Artikeln gestattet, bei Quellenangabe und Zustellung eines Belegexemplars an die Redaktion. Erfasst in: Web of Science, CAB Abstracts, AGRIS

Pflanzenbau 224 Hybridgetreide hat Zukunft Andreas Hund, Dario Fossati, Fabio Mascher und Peter Stamp Pflanzenbau Holzasche: ein neuer Dünger für die 232

­Landwirtschaft Alexandra Maltas und Sokrat Sinaj Agrarwirtschaft Wie kann die betriebswirtschaftliche 240

Weiter­bildung in der Landwirtschaft optimiert werden? Florian Sandrini, Bruno Durgiai, Sylvie Aubert und Hansjörg Meier Agrarwirtschaft Milchbetriebe: Warum produziert die 248

Schweiz teurer als Norwegen? Christian Gazzarin, Matthias Kohler und Ola Flaten Umwelt Bewässerungsbedarf und Wasser­dar­gebot 256

unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse Jürg Fuhrer und Pierluigi Calanca 264 Porträt 265 Aktuell 267 Veranstaltungen Sortenliste Liste der empfohlenen Getreidesorten Beilage

für die Ernte 2015 Numa Courvoisier et al.


Editorial

Neue Erkenntnisse rasch umsetzen Liebe Leserin, lieber Leser

Peter Spring, Stellvertretender Direktor Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL

Markt und Gesellschaft wünschen hochwertige, gesunde und natürliche Lebensmittel, die unter Einhaltung hoher ökologischer Standards effizient produziert wurden. Diese komplexen Vorgaben müssen in einem dynamischen Umfeld mit laufend neuen gesellschaftlichen und politischen Forderungen, sich rasch ändernden Marktbedingungen und unter Berücksichtigung des Klimawandels erfüllt werden. Von der Landwirtschaft und der sie unterstützenden Forschung verlangt das hohe Innovationskraft und Flexibilität. Wir Forschenden sind gefordert, bereits heute massgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, welche die landwirtschaftlichen Betriebe und die Branche morgen brauchen. Als Departement der Berner Fachhochschulen BFH deckt die HAFL mit ihren Kompetenzen in Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften und ihrem starken Netzwerk die ganze Wertschöpfungskette vom Ausgangsmaterial bis zum ladenfertigen Produkt ab. Nachhaltigkeitsberechnungen oder Konsumanalysen ergänzen den ganzheitlichen Ansatz. Die enge Verknüpfung von angewandter Forschung und Lehre ist dabei zentral. Einerseits werden Bachelor- und Master-Studierende in die Forschungsarbeit eingebunden, andererseits ergänzen Erkenntnisse aus der Forschung den Unterricht. Eine weitere Stärke der HAFL-Forschung: In vielen unserer Projekte entwickeln wir die praxistauglichen Lösungen gemeinsam mit der Branche und direkt auf den Betrieben. Das ist oft nicht nur am effizientesten, sondern garantiert auch, dass wir Eigenheiten von Betrieben und regionale Gegebenheiten gebührend berücksichtigen können. Im Rahmen eines SNF-­ Projektes zeigen beispielsweise unsere Schweineexperten zusammen mit ­Forschungspartnern, wie sich negative Umwelteinflüsse der Produktion verringern und der Antibiotikaeinsatz reduzieren lassen. In einem anderen Forschungsprojekt sind alle Stufen der Wertschöpfungskette eingebunden, um die Qualität und die Verarbeitungseigenschaften des Schweizer Bio-Weizens zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit der Branche bietet den Vorteil, dass erste Betriebe Lösungen bereits im Verlaufe des Projektes umsetzen. Dadurch tauchen Hürden früh auf und können rasch angegangen werden. Bei Projekt­ ende liegen dann praxiserprobte Lösungen vor. Das wird heute nicht nur in Branchenprojekten gefordert. Auch die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und der Schweizerische Nationalfonds (SNF) verlangen oft, dass die Umsetzung im Rahmen der Projektarbeit gestartet wird. Durch die Zusammenarbeit lassen sich Lösungen nicht nur effizienter umsetzten, auch neue Herausforderungen gelangen rascher auf den Tisch der Forschenden. Damit verkürzt sich der Zyklus zwischen Problemerkennung, Lösungserarbeitung und Umsetzung wesentlich. Nur wenn wir neues Wissen und neue Technologien rasch praxistauglich machen, können wir in nützlicher Frist auf neue Herausforderungen reagieren.

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P f l a n z e n b a u

Hybridgetreide hat Zukunft Andreas Hund1, Dario Fossati2, Fabio Mascher2 und Peter Stamp1 ETH Zurich, Institut für Agrarwissenschaften, 8092 Zürich, Schweiz 2 Agroscope, Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB, 1260 Nyon, Schweiz Auskünfte: Andreas Hund, E-Mail: andreas.hund@usys.ethz.ch

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Abb. 1 | Die Eltern und ihr F1 Hybride.

Doppelhaploide (DH) verkürzen den Selektionsprozess In der traditionellen Linienzüchtung beginnt der Werdegang einer neuen Sorte mit der Verkreuzung von zwei reinerbigen Weizen- oder Gerstenlinien. Die daraus resultierenden Hybriden der ersten Filialgeneration (F1), sind uniform und mischerbig (Abb. 1). Lässt man diese abblühen, bestäuben sich die Pflanzen selbst. In der Folgegeneration (F2) kommt es zur Aufspaltung der Merkmale beider Eltern. Ab jetzt kann man beginnen, für die Zuchtziele aussichtsreiche Typen auszuwählen. Allerdings sind erst ab der siebten Folgegeneration alle Pflan-

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zen wieder weitgehend reinerbig. Dies erschwert es bei vielen Merkmalen, die richtigen Erbkombinationen auch in frühen Generationen präzise zu erkennen. Um die Eigenschaften von Kreuzungsnachkommen schon zu diesem frühen Zeitpunkt zu erfassen, bedarf es einer genauen Beobachtung im Feld, kombiniert mit zusätzlichen Laboranalysen, um bereits zu diesem Zeitpunkt statistische Abschätzungen des Zuchtwerts vorzunehmen. Ein anderer Weg, der in der Schweiz auch bei Weizen intensiv verfolgt wurde, führt über die Schaffung von Doppelhaploiden. Bereits seit über dreissig Jahren kön-


nen Keimzellen von Kreuzungsnachkommen in Gewebekulturen, also in Laborschalen, vermehrt werden. Werden sie – alles gar nicht so einfach – wieder zu kompletten Pflanzen angezogen, haben sie nur einen statt zwei Sätze der Erbanlagen. Mit Colchicin, dem Toxin der Herbstzeitlose, das die Zellteilung während der Meiose verhindert, lassen sich die Erbanlagen wieder verdoppeln. Sie sind damit doppelhaploid (DH), was dem Ergebnis einer hundertprozentigen Inzucht entspricht. Dadurch umgeht man den langwierigen Prozess der Inzüchtung und erhält bereits in einer Generation reinerbige Individuen, in denen alle Eigenschaften sofort nachhaltig und effizient selektierbar sind (Abb. 2). Zwar muss man bei diesem Vorgehen sehr viele Pflanzen mit unbrauchbaren Eigenschaften ausscheiden, gegen die bei der traditionellen Zuchtmethode Jahr für Jahr selektioniert wird. Dennoch erhöht sich die Präzision und verkürzt sich die Dauer des Selektionsprozesses. Bei Weizen wurden entsprechende Methoden auf der Basis männlicher Keimzellen bereits vor einigen Jahrzehnten auch an der ETH etabliert und in Zusammenarbeit mit den Forschungsanstalten auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. Dabei stellte sich folgendes heraus: die DH-Linien waren zwar nutzbar, in ihrer Generierung aber zu stark vom Genotyp der Mutter abhängig. Bei Mais wurde vor über einem Jahrzehnt an der Universität Stuttgart Hohenheim die Generierung von DH über die Eizelle zur Praxisreife entwickelt. Urheberrechtlich geschützte Induktionslinien veranlassen die unbefruchtete Eizelle der Zielpflanze zur haploiden Entwicklung des Embryos. Diese Methode wird inzwischen weltweit, selbst in den Tropen, in der Maiszüchtung verwendet. Inzwischen wurde diese DH-Technologie auch für Weizen in den meisten grossen Züchtungsfirmen als Standard etabliert. Züchtung von Hybriden bei Selbstbefruchtern Warum kam die Hybridzüchtung bei Weizen und Gerste so spät? Diese Frage wurde bereits in einem Landwirtschaftsfachblatt behandelt, als aus der Praxis Sorgen zur künftigen Verfügbarkeit von Qualitätssaatgut gestellt worden waren (Stamp 2013). Vor 100 Jahren entdeckte man in den USA, dass ingezüchtete, also reinerbige, miteinander verkreuzte Maislinien für eine Anbausaison deutlich mehr Ertrag liefern können, als die offen abblühenden Ursprungssorten der beiden Linien. Heute werden weltweit fast nur noch Maishybriden angebaut, die offen abblühenden Sorten sind fast ganz verdrängt worden. Die meisten bisher entwickelten Hybridsorten stammen von kompletten oder partiellen Fremdbefruchterarten. Sie leiten sich meist aus traditionellen Populationssorten ab, die die Züchtung in moderne, einheitliche 

Zusammenfassung

Hybridgetreide hat Zukunft | Pflanzenbau

Fehlende Lizenzeinnahmen verlangsamen die Züchtung von traditionellen Selbstbefruchtersorten bei Weizen und Gerste, damit vermindern sich die Aussichten für einen raschen Fortschritt. Seit einigen Jahrzehnten verändern sich aber die Sortentypen in Europa. Bei den Fremdbefruchtern Mais, Raps und Roggen sind erfolgreiche genetischbasierte Hybridsysteme geschaffen worden, die zu preiswertem Hybridsaatgut geführt haben. Ein entsprechendes System besteht nun auch für Gerste, bei Weizen fehlt es noch. Für Hybriden werden in der Regel zwei homozygote Linien verkreuzt, deren Erschaffung sieben Inzuchtgenerationen benötigt. Bei vielen Getreidearten kann dieser Prozess biotechnologisch auf einen Schritt abgekürzt werden, indem haploide Keimzellen zu Pflanzen mit verdoppelten Erbgut, Doppel­ haploiden (DH) regeneriert werden, die genetisch identisch mit Inzuchtlinien sind. Biologisch gesehen sind Sorten der Selbst­ befruchterarten Gerste und Weizen ertragsoptimierte Inzuchtlinien, daher darf man im Vergleich zu den Elternlinien nur kleinere Heterosisleistungen erwarten. Dennoch ist der Wiedereinstieg grosser Firmen in die Weizen- und Gerstenzüchtung zu beobachten. Warum? Selbst auf der politischen Ebene der G20 ist mittlerweile angekommen, dass Weizen, die Weltkulturart Nummer 1 für unsere Ernährung, einen sogenannten Waisenstatus eingenommen hat. Ein Weckruf in Zusammenarbeit mit Grossfirmen ist erfolgt. Diesen wird es genügen, wenn Landwirtinnen und Landwirte durch erhöhte Ertragssicherheit und soliden finanziellen Mehrertrag vom Saatgutwechsel überzeugt werden und damit langfristige Investitionen in die Züchtung wieder möglich werden. Für eher kleine Zuchtprogramme stellt sich mittelfristig die Frage, wann und wie die Anpassung an diese Entwicklung eingeleitet werden kann.

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Pflanzenbau | Hybridgetreide hat Zukunft

Homozygote Eltern

Traditionelle Selbstbefruchtung F2

0,5

An

the

F1

ku

ltu

F3

F4

F5

F6

F7

0,25

0,13

0,06

0,03

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-

Doppelhaploid Technologie

r

Colchicinierung

0,00 Abb. 2 | Gegenüberstellung der Erzeugung reinerbiger Weizensorten durch traditionelle Selbst­b efruchtung im Zuchtgarten verglichen mit der in-vitro Erzeugung Doppelhaploider Pflanzen aus den Staubbeuteln (Antheren) der männlichen Blütenteile. Da Antheren nur einen einfachen Chromosomensatz besitzen, sind die in-vitro -regenerierten haploiden Embryonen nach Colchicinierung, d.h Aufdoppelung des Chromosomensatzes, in einem Schritt vollständig homozygot (Anteil Heterozygotie von 0,00). Im Vergleich sind die Ingezüchteten Individuen auch nach sechs Generationen Inzüchtung immer noch etwa zu einem Anteil von etwa 0,02 heterozygot. Gezeigt ist eines der 21 Paare homologer Chromosomen von Weizen.

und ertragsstarke Hybridsorten überführt. Dadurch ergibt sich ein Mehrwert, den sich Züchtungsfirmen und Landwirte teilen. Da Hybriden bei Nachbau in der nächsten Generation genetisch wieder aufspalten, was zu Ertragseinbussen führt, profitiert der Bauer vom jährlichen Neukauf von Saatgut. Die entrichteten Lizenzgebühren erlauben es den Züchtungsfirmen, langfristig zu investieren. Seit nunmehr über 20 Jahren sind auch bei Roggen und Raps Hybridsorten erfolgreich auf dem Markt. Bei Mais sind heute 100 % der Sorten Hybriden, bei Roggen über 75 % und bei Raps über 50 %. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss das Saatgut von Hybridsorten bezahlbar sein. Bei Mais mit seinen getrennten weiblichen und männlichen Blütenständen wird das Ziel der Bezahlbarkeit bereits seit 100 Jahren sehr einfach durch mechanische Kastration der endständigen Rispe der Mutterpflanzen erreicht. Bei den Getreidearten mit zwittrigen Blüten ist die Kastration komplizierter. Parallel zur mechanischen Kastration wurden für Mais auch genetische Systeme zur «Cytoplasmatischen Männlichen Sterilität, CMS» entwickelt, die seit Jahr-

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zehnten die billige und sichere Saatgutproduktion unterstützen – Systeme, die mittlerweile auch für Roggen und Sonnenblume bestehen. Sie beruhen auf Gendefekten im «Kraftwerk» der Zelle, dem Mitochondrium (Abb. 3). Diese lassen die Pollenzellen der als Mutter für Hybridsaatgut verwendeten Linie verkümmern. Sie kann sich also nicht selbst bestäuben, d.h. es kommt sicher zur Hybridisierung durch Pollen der Vaterlinie. Die daraus resultierenden Pflanzen würden aber dieselben defekten, nur von der Mutter weiter vererbten Mitochondrien tragen und wären damit ebenfalls männlich steril – eine Katastrophe für die Bauern, denn ohne Bestäubung gibt es keinen Ertrag. Es ist aber gelungen, im Kerngenom Gene zu identifizieren, die diesen Defekt wieder aufheben, sogenannte Restorer Gene. Die bestäubende Vaterlinie überträgt diese Restorer Gene und sorgt so dafür, dass das verkaufte Hybridsaatgut männlich fertile Pflanzen hervorbringt (Abb. 4). Vor wenigen Jahren hat die Syngenta ein CMS-System auch für Gerstenhybriden etabliert – ein Durchbruch, der auch für Weizen Hoffnung weckt. Auch in der universitären und staatlichen Züch-


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Mitochondrium

Zellkern

Rf/rf

N/s

Interaktion

a m s a l Cytop Abb. 3 | Die cytoplasmatisch-kerngenetische männliche Sterilität wird durch eine Fehlfunktion mitochondrialer Gene verursachten. Im Vergleich zu Zellen mit einer normalen Funktion (N) führt diese Fehlfunktion zur Sterilität (s). Die Sterilität kann jedoch durch dominante Restorergene (Rf) im Zellkern aufgehoben. Da diese im Kern sitzen, können sie über den väterlichen Pollen übertragen werden. Im Gegensatz dazu lassen sich Mitochondrien, nur von der Mutter weitergeben.

tungsforschung der Schweiz ist das Interesse an Getreidehybriden seit Jahrzehnten gross. Es war naheliegend, in Kombination mit den doppelhaploiden Weizenlinien der ETH Zürich und Agroscope , über den Einsatz von Gametoziden, Chemikalien, die die Pollenausbildung unterdrücken (Abb. 5), nachzudenken (Schmid et al. 1994). Grosse Hoffnungen hegte auch die Delley Samen und Pflanzen AG (DSP), Hybriden im Rahmen des leider aufgegebenen Triticaleprogramms von Agroscope zu schaffen. Aus züchterischen Gesichtspunkten wäre dies besonders reizvoll gewesen, da der Fremdbefruchter Roggen mit seinem Genom im stark selbst­befruchtenden Triticale ansonsten einer permanenten Inzüchtung unterläge. Für die kommerzielle Hybridproduktion wäre Triticale vorteilhaft, denn dank der grossen Pollenausbeute ist die Bestäubung einfacher als beim Weizen. Die DSP hatte hierzu mit süddeutschen Firmen ein sehr intensives Programm gestartet. Doch eine an der Universität Zürich entwickelte transgene männliche Sterilität kam durch den wachsenden Gentech-Widerstand nicht zur Anwendung. Zwei Gametozide waren zwar in Frank-

reich provisorisch zugelassen worden, aber Monsanto nahm dennoch sein Produkt wieder vom Markt – nicht gerade ermutigend für kleine Firmen, hierauf eigene Zuchtprogramme aufzubauen. Mittlerweile ist das zweite wirksame Gametozid, CROISOR®, von der deutschen Saaten-Union gekauft und seit 2011 in der EU nicht nur genehmigt, sondern auch für unbedenklich erklärt worden. Damit steht der Hybridzüchtung bei Weizen nichts mehr im Weg und es sind bereits sehr gute Sorten in Europa auf dem Markt. Man kann also davon ausgehen, dass internationale und mittelständische Unternehmen in unserem für Höchsterträge geeigneten Klima sich vor allem auf Hybriden konzentrieren werden. Seit 2012 setzt man an der ETH Zürich neue Akzente zur Erforschung von genetischen Werkzeugen für die Hybridzüchtung: Die Gruppe für Futterpflanzengenetik (Professor Bruno Studer) er-forscht Selbst-Inkompatibilität, CMS Systeme und DH Induktion bei Gräsern. Hieraus entsteht in der Schweiz eine neue Kompetenz auch für die Züchtung des «Grases» Weizen. Dass man Heterosis auch bei Selbstbefruchtern nutzen kann, zeigt das Bei- 

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Pflanzenbau | Hybridgetreide hat Zukunft

(CMS Linie)

Maintainer Linie (männl. fertil)

rfrf

rfrf

x s

N 1

Kreuzungspartner (Restorer Linie)

steril

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RfRf s

x

N 2

steril

Rf rf s Männlich fertiler Hybride Abb. 4 | Schema der Vererbung der Cytoplasmatisch-männliche Sterilität: 1) Das sterile Cytoplasma (s) wird über über «Maintainer» Linien (N) erhalten. Diese Linien sind mit der CMS Linie genetisch identisch, haben aber ein normales Cytoplasma (N). Fertile Hybriden lassen sich durch Kreuzung der CMS Linie mit beliebigen fertilen Inzuchtlinien herstellen, sofern diese homozygot ein entsprechendes «Restorergen» (Rf) im Zellkern tragen.

spiel des Hybridreises. China hat in den 1970er Jahren mit enormem Einsatz ein Hybridreis-Programm ins Leben gerufen. Dabei wurde ebenfalls CMS genutzt. Heute basieren 50 % des Reisanbaus in China auf Hybriden mit einem durchschnittlichen Ertragsvorteil von 10  –  15  % (Khush 2013). Die vergangenen Jahre mit ihren heftigen Wetterschwankungen haben gezeigt, wie wichtig neben einem maximalen Ertragspotenzial die Ertragssicherheit ist. Hier sind Hybriden wohl im Vorteil, da die hohe Robustheit der Pflanzen und eine bessere Durchwurzelung des Bodens die Ertragssicherheit erhöht. Auch kann man eine verbesserte Stickstoffnutzung erwarten. (Schachschneider 2012). Doch Hybridzüchtung ist bei Selbstbefruchtern kein Kinderspiel, es braucht Hunderte von Testkreuzungen und das richtige Ausgangsmaterial, um eine wirklich überzeugende neue Hybride zu schaffen. Die Etablierung der richtigen Ausgangspopulationen hat schon bei den Fremdbefruchtern Roggen und Mais Jahrzehnte gedauert. Bei den Selbstbefruchtern Gerste und Weizen

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stehen wir bei einem viel geringeren Heterosiszuwachs erst am Anfang. Die Probleme macht eine Panne bei der Saatgutproduktion von Gerstenhybriden in Deutschland 2013 deutlich, die zu sehr viel Unruhe unter den Landwirtinnen und Landwirten geführt hatte. Für die Hybridproduktion braucht es Mutterlinien, die ihre Blüten lange offen halten, dadurch wächst jedoch die Gefahr einer Saatgutverunreinigung. Die Umstellung auf Hybriden wird sich dann durchsetzen, wenn die Praxis davon überzeugt ist, dass er durch Hybridanbau ebenfalls gewinnt und der hohe Saatgutpreis sich durch eine frühe Aussaat mit verringerter Aussaatmenge kompensieren lässt. Wer züchtet? Noch ist die Gesamtzahl aller in Mitteleuropa zugelassenen Weizen- und Gerstensorten gross, Genauso gross ist das Interesse der landwirtschaftlichen Praxis, nur die für sie passenden Sorten anzubauen. Daher «überleben» Sorten auf den EU-Sortenlisten meist nicht sehr lange. Dies scheint auf eine dynamische Züchtungslandschaft


Hybridgetreide hat Zukunft | Pflanzenbau

Abb. 5 | Produktion von Triticale Hybriden. Die Tüten erlauben es, den Anteil der Sterilität nach Anwendung des Gametozids zu bestimmen.

hinzuweisen. Aber 2010 wurde in Bonn an einer Konferenz der deutschsprachigen Züchter grosse Besorgnis laut, dass ungenügende Lizenzeinnahmen jede zweite Weizenzüchterstelle gefährde. Auch international bestehen diese Sorgen, die auf Betreiben der G20 Gruppe zur Weizeninitiative geführt haben (http://www.wheatinitiative.org). Damit hat sich die Stimmung grundlegend geändert. Hatten sich noch bis 2000 grosse Agrarkonzerne wie Monsanto aus der Weizenzüchtung zurückgezogen, so haben jetzt Bayer und Monsanto vor allem durch Firmenaufkäufe ihr Engagement wieder verstärkt. Damit soll diese plötzlich «verwaiste» Kulturart in Forschung und Züchtung wieder den Platz zurück erobern, die ihr als Kulturart Nummer 1 für die Welternährung gebührt. Neben Ministerien und internationalen Züchtungsinstituten beteiligen sich namhafte Firmen von KWS (D), Desprez (F), Limagrain (F) bis Syngenta (CH) und Monsanto (USA) an dieser Weizenvision. Damit ist zwar die Frage noch nicht beantwortet, welche Firma wie viel Geld heute in die Weizenzüchtung investiert, zumindest aber hat der Weizen seinen «Waisenstatus»

einigermaßen überwunden. Dies hat und wird Konsequenzen für die Vielfalt der Züchtungshäuser haben. Ein Weizenzuchtprogramm kann nicht auf Knopfdruck abund angeschaltet werden, wertvolles Zuchtmaterial wird über viele Jahre aufgebaut. Selbst wenn ein Zuchtprogramm steht, braucht es 15 Jahre von der ersten Kreuzung bis zur fertigen Sorte. Also kaufen internationale Firmen, die neu oder erneut in die Züchtung einsteigen, bestehende Firmen auf – so wie es beispielsweise Bayer mit der französischen RAGT jüngst vorgemacht hat. Insgesamt führte diese Strategie des Aufkaufens von kleineren durch grössere Züchtungsfirmen zu einer gewaltigen Umstrukturierung der weltweiten Züchtungsindustrie mit wenigen, grossen Konzernen (Howard 2008). Welche Folgen dies für das Sortenangebot im Einzelnen haben wird, ist schwer vorhersehbar. Da der Wettbewerb aber wie beim Mais gross bleiben wird, könnte zum Vorteil des Weizenproduzenten die Verbesserung der Sorten beschleunigt werden. Schlussendlich zählt für die Praxis nicht der Umfang der Sortenliste sondern der Umfang  des Züchtungsfortschritts.

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Pflanzenbau | Hybridgetreide hat Zukunft

Schlussfolgerungen Bei den Fremdbefruchterarten Mais und Roggen sind Hybriden heute selbstverständlich, Gerste und Weizen holen derzeit auf, aber es wird sicher noch dauern, bis genügend überzeugend robuste und ertragsstarke Hybridsorten für diese beiden Selbstbefruchterarten zur Verfügung stehen. Bei den kleinkörnigen zwittrigen Getreidearten geben Qualität und Preis für die Akzeptanz von Hybridsaatgut den Ausschlag. Männlich sterile Mutterund Vaterlinien, die bei den Nachkommen die volle Fertilität wieder herstellen, sind hierfür unabdingbar. Zwar besteht für Weizen noch kein verlässliches genetisches System, doch ein in der EU anerkanntes Gametozid

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erlaubt nun Hybridsorten auf der Basis chemisch induzierter Pollensterilität. Dies erklärt auch den Wiedereinstieg internationaler Firmen in die Weizenzüchtung, nachdem bereits die Politik deren Vernachlässigung beklagt hat. Hybridsorten werden dann die Landwirtinnen und Landwirte überzeugen, wenn jährlicher Saatgutwechsel ihnen einen finanziellen Mehrertrag vor allem auch durch hohe Ertragssicherheit garantiert. Das Markenzeichen der staatlichen Schweizer Weizenzüchtung ist die Kombination von exzellenter Backqualität mit sehr guter Pflanzengesundheit. Der Einstieg in die Hybridzüchtung ist eine von mehreren Möglichkeiten sich von der Schweiz aus auf nationaler und internationaler Ebene erfolgreich in die n neuen Entwicklungen einzubringen.


I cereali da paglia ibridi progrediscono Il debole flusso di ritorno degli investimenti nella selezione di varietà tradizionali di cereali autogami, quali il frumento e l’orzo, ne offusca le prospettive per il futuro. Da alcuni decenni, però, si nota in Europa un rinnovo a favore delle varietà ibride. Per le specie allogame come il mais, la colza o la segale, la disponibilità di sistemi genetici ha permesso la produzione di sementi ibridi a buon mercato. Un tale sistema è attualmente disponibile per l’orzo, ma non ancora per il frumento. Per le specie autogame, infatti, è più difficile trovare un effetto evidente dell’eterosi, ossia una prestazione della prole nettamente superiore rispetto a quella dei genitori, perché in queste specie le capacità biologiche sono già ottimizzate. Eppure, si assiste da qualche anno al ritorno delle grandi ditte alla selezione di frumento e orzo. Perché? A livello dei G20, dopo alcuni decenni di disinteressamento, la collaborazione con le grandi ditte di produzione di sementi ha condotto ad una rivalutazione del frumento. Queste ditte investiranno a lungo termine nella selezione solo a condizione che il tasso di rinnovamento delle sementi sia prevedibile. Ciò pone i piccoli programmi di selezione di fronte alla questione di come adattarsi a questa evoluzione.

Summary

Riassunto

Hybridgetreide hat Zukunft | Pflanzenbau

Hybrid cereals are progressing Low return on investment from breeding licenses has made breeding of self-­ fertilizing species like wheat and barley less attractive. However, for some decades, the variety types have been changing in Europe, because cytoplasmic male sterile systems of outcrossing species like maize, rape seed and rye exist for the production of affordable hybrid seeds, which have recently been introduced for barley but not for wheat. To produce hybrid seed, two homozygous lines must be crossed. The development of a pure line takes up to seven inbreeding generations. In many cereals, the process can be shortened biotechnologically by regenerating plants from haploid gametes leading to so-called double haploids (DH), which are genetically identical to complete inbred lines. Varieties of self-fertilizing species, such as barley and wheat, are yield optimized inbred lines by definition; therefore, it requires much more investigation to find combinations with increased hybrid vigor for self-fertilizing than for outcrossing species, which usually show great inbreeding depression. However, big international companies have renewed their interest in hybrid wheat breeding, now that even the G20 have realized that the global crop number 1 for food supply, wheat, has become an orphan crop. For big companies, it would be attractive to ensure long-term investments when farmers change seeds annually due to higher yield consistency and solid financial gains – a win-win option. Smaller breeding programs will have to determine when to join this new movement. Key words: wheat breeding, F1 hybride, CMS, gametozid, doppelhaploide (DH).

Literatur ▪▪ Howard P.H., 2009. Visualizing Consolidation in the Global Seed ­I ndustry: 1996-2008. Sustainability 1, 1266–1287. ▪▪ Khush G.S., 2013. Strategies for increasing the yield potential of cereals: case of rice as an example. Plant Breeding 132, 433–436. doi:10.1111/pbr.1991. ▪▪ Schachschneider R., 2012. Weizenzüchtung - Tatsachen und Visionen. ­Z ugang: http://media.repro-mayr.de/94/543694.pdf, [18.1.2014].

▪▪ Schmid J.E., Winzeler M., Keller B., Büter B., Stamp P. & Winzeler H., 1994. Induction and use of double haploids in wheat and spelt breeding programs. In: Prospectives of cereal breeding in Europe (Ed. A. Brönimann, B. Keller and H. Winzeler). Eucarpia Cereal Section, Landquart, Switzerland, 41–42. ▪▪ Stamp P., 2013. Beim Ertrag wenig Fortschritt. dlz Agrarmagazin 10, 28–47.

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Holzasche: ein neuer Dünger für die ­Landwirtschaft Alexandra Maltas und Sokrat Sinaj Agroscope, Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB, 1260 Nyon Auskünfte: Sokrat Sinaj, E-Mail: sokrat.sinaj@agroscope.admin.ch

Die Rostaschen der Zentrale Enerbois werden befeuchtet um deren Temperatur zu senken. Anschliessend werden sie mit einem Förderband zu einer Mulde transportiert, wo sie bis zu ihrer Entsorgung aufbewahrt werden. (Foto: Alexandra Maltas, 2013)

Einleitung Die Verwendung von Holzasche für die Kalkung der Böden und die Kaliumdüngung der Kulturen war früher ein übliches Verfahren, aber sie ist heute in der Schweiz nicht mehr gebräuchlich. Holzaschen sind auf der Liste

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der zugelassenen Dünger gemäss Düngerverordnung (RS.916.171, 2011) nicht aufgeführt. Aber sie könnten bewilligt werden, sofern sie den geltenden Anforderungen an rezyklierte Dünger gemäss Anhang 2.6 der Verordnung zur Reduktion von Risiken beim Umgang mit bestimmten, besonders gefährlichen Stoffen, Zubereitungen und Gegenständen (=Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung = ChemRRV; RRV (RS.814.81, 2011)) entsprechen würden. Um die Qualität der Böden zu erhalten und die Risiken eines Eintrages unerwünschter Substanzen in die Nahrungskette zu verringern, werden in diesem Anhang die Maximalgehalte von sechs metallischen Spurenelementen aufgeführt, welche potenziell toxisch sind (Cd, Cu, Hg, Ni, Pb und Zn). Von Holzaschen werden diese Anforderungen selten erfüllt, und sie werden daher im Allgemeinen auf die Müllhalde gekippt, was jedoch einen beträchtlichen Verlust an wichtigen natürlichen Nährelementen darstellt und den Betreibern von Holzheizungen überdies Kosten verursacht. Um Umweltschäden zu ermitteln und zu vermeiden genügt es jedoch nicht, den Gesamtgehalt an metallischen Spurenelementen (MSE) zu bestimmen, da deren Mobilität, Bioverfügbarkeit und Toxizität vor allem von deren chemischer Form abhängt (Bruder-Hubscher et al. 2002). Die pro Hektare ausgebrachte Menge an MSE ist für das Risiko der Langzeitakkumulation von MSE in den Böden entscheidend. Der Nutzen und die Risiken der landwirtschaftlichen Anwendung dieser industriellen Nebenprodukte müssen daher genau untersucht und bestimmt werden. Das Pflanzenernährungsteam von Agroscope in Changins erforscht seit 2011 die agronomischen Auswirkungen des Einsatzes von Asche der Zentrale Enerbois. Die Forschungsziele sind: (i) die Charakterisierung der Zusammensetzung, der mineralogie und der chemischen Form der Hauptelemente und der MSE in der Asche, (ii) die Identifizierung der Herkünfte der MSE und (iii) die Einschätzung der Auswirkungen der Asche auf die chemischen und biologischen Eigenschaften der Böden sowie auf den Ertrag und den Entzug von MSE durch die Kulturen. Der vorliegende Artikel fasst die Resultate einer Studie zu Punkt (iii) zusammen (Maltas und Sinaj 2013).


Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft | Pflanzenbau

Probenahme und Analyse der Asche Die Zentrale Enerbois (Rueyres, Waadt) ist die grösste Energieerzeugungsanlage auf der Basis von Biomasse in der Romandie. Sie produziert Energie durch die Verbrennung von Nebenprodukten (Borken, Rinden, Platten) der benachbarten Sägerei Zahnd. Beim verwendeten Holz handelt es sich um unbehandelte Nadelhölzer aus der Westschweiz. Die Zentrale erzeugt zwei Typen von Asche: Rostasche, welche durch Wasser abgekühlt wird, und Flugasche, welche stärker mit MSE belastet ist (Maltas und Sinaj 2013). Bei der Probenahme stellte die ­Rostasche einen Drittel der Gesamtaschemenge dar, welche von der Zentrale produziert wird. Die in unserer Arbeit analysierten Asche ist Rostasche, die im März 2011 in den Wochen 10, 11, 12 und 13 entnommen wurde. Jede wöchentliche Probe war eine Mischprobe von fünf bis sieben täglichen Entnahmen von je ungefähr 500 Gramm. Die Ascheproben wurden anschliessend bei 40 °C getrocknet und bei einer Maschenweite von 2mm gesiebt. Ihre Gesamtgehalte an Makronährstoffen, Mikronährstoffen und MSE wurden bestimmt, nachdem sie in Fluorwasserstoff- und Perchlorsäuren in Lösung gebracht worden waren (www.lille.inra.fr/las). Mineralogische Analysen (Röntgendiffraktion und Rasterelektronenmikroskop) wurden bei der INRA-Nancy durchgeführt. Die Art der Makroelemente und MSE wurde durch sequenzielle Extraktionen gemäss der BCR Methode erhalten (Rauret et al. 2000).

Zusammenfassung

Material und Methoden

Die Verwendung von Holzasche in der Form eines Kaliumdüngers wurde bei Sonnenblumen geprüft. Der Versuch wurde mit Asche der Holzzentrale Enerbois (Waadt) in einem Gewächshaus von Agroscope in Changins durchgeführt. Diese Asche wies hohe Kalziumund Kaliumgehalte auf, sie enthielt aber auch Spuren von metallischen Elementen, insbesondere von Kupfer, Zink und Nickel. Dieser Versuch hat belegt, dass das Kalium, welches in dieser Asche enthalten war, eine mit einem KCl-Dünger vergleichbare Düngungswirkung aufwies. Unter Bedingungen mit einem begrenzten Angebot an NPKMg führte diese Asche zu einem positiven Effekt auf die Biomasseproduktion und die Kaliumaufnahme der Sonnenblumen. Die Aufnahme von Ni und Zn nahm jedoch ab, wahrscheinlich als Folge des negativen Effektes der Kalkdüngung auf die Löslichkeit dieser Elemente. Unter Bedingungen, welche punkto NPKMg nicht limitierend waren, wurden dieselben Effekte auf die Biomasse und die Absorption von Ni und Zn beobachtet. Obwohl die Ni- und Cu-Gehalte über den in der Schweiz gegenwärtig zugelassenen Schwellenwerten für das Ausbringen von rezyklierten Düngern lagen, hat dieser Versuch gezeigt, dass es vor allem die Gehalte an Kalium sind, welche die Menge an auszubringender Asche begrenzen.

Gewächshausversuch Der in den Gewächshäusern von Agroscope in Changins durchgeführte Topfpflanzenversuch mit Sonnenblumen wurde am 11. Mai gesät und am 19. September 2012 geerntet. Sonnenblumen (Sorte San Lucas) wurden als Versuchspflanzen gewählt, weil diese Pflanzenart sehr hohe Ansprüche an die Kaliumernährung stellt. Jeder Topf enthielt 2 kg trockene Erde und eine Pflanze. Der Boden im Topf wurde mit entmineralisiertem Wasser bei 70 % der Feldkapazität gehalten. Die Bodentemperatur wurde auf 20 bis 25 °C einreguliert. Es wurde ein toniger Boden (53,8 % Tongehalt, 12,4 % Sandgehalt) mit einem schwach saurer pH-Wert von 6,7 verwendet. Der gesamte Nährstoffgehalt dieses Bodens belief sich auf 3,4, 0,94, 19,8 und 12,4 g/kg TS für die Elemente N, P, K und Mg. Es wurden vier Versuchsvarianten angesetzt: (i) «Kontrolle» keine Zugabe von Asche und Mineraldüngern, (ii) «Aschen», d.h. Kaliumgabe nur in Ascheform ohne Mineraldüngergabe, (iii) «NPMg-Aschen», d.h. Kaliumgabe in Ascheform und Zugabe von N, P, Mg als Mineraldünger, und schliesslich (iv) «NPMg-K», d.h. Zugabe von N, P, Mg 

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 232–239, 2014

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Pflanzenbau | Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft

Tab. 1 | Totalgehalt der Rostasche von Enerbois an Makro- und Mikroelementen und der Holzaschen gemäss Literaturangaben. Die Prozentwerte in Klammern geben die Variationskoeffizienten an Aschen Enerbois

Literatur1

13,2 (1 %)

9 – 13,5

281,3 (2 %)

109,4 – 317,4

pH-H2O Makroelemente (g/kg TS) Kalzium (Ca) Kalium (K)

67,4 (9 %)

24,0 – 41,3

Magnesium (Mg)

16,5 (5 %)

16,0 – 22,5

Phosphor (P)

9,2 (9 %)

5,0 – 14,0

Stickstoff (N)

0,07 (27 %)

0,3 – 0,9

Aluminium (Al)

17 300 (7 %)

13 000 – 23 650

Eisen (Fe)

12 175 (3 %)

3300 – 19 500

Mangan (Mn)

7550 (7 %)

3470 – 8160

Mikroelemente (mg/kg TS)

Bor (B)

147 (12 %)

8 – 135

Chrom (Cr)

123 (17 %)

14 – 86

Vanadium (V)

22 (12 %)

Kobalt (Co)

9 (168 %)

4 – 10

Molybdän (Mo)

1,1 (7 %)

<5 – 114

Demeyer et al. 2001, Hébert und Breton 2008.

1

Tab. 2 | Maximal zulässige Gehalte an metallischen Spurenelementen (MSE) für rezyklierte Dünger, Gehalte der Rostaschen von Enerbois und Literaturangaben. Die Werte in Klammern geben den Variationskoeffizient an Zulässige Maximalgehalte1

Aschen Enerbois

Literatur2

mg/kg TS Zink (Zn)

400

178 (14 %)

700 – 924

Kupfer (Cu)

100

110 (21 %)

74 – 145

Nickel (Ni)

30

52 (7 %)

12 – 47

Blei (Pb)

120

21 (53 %)

<22 – 130

Cadmium (Cd)

1

<0,6

3 – 21

Quecksilber (Hg)

1

<0,02

<0,1

Gemäss Anhang 2.6, ch. 2.2.1 der Verordnung zur Reduktion von Risiken beim Umgang mit bestimmten besonders gefährlichen Stoffen, Zubereitungen und Gegenständen (=ChemRRV). 2 Demeyer et al. 2001, Hébert und Breton 2008. 1

und K als Mineraldünger. Jedes Verfahren wurde in dreifacher Wiederholung in einem randomisierten Blockdesign angelegt. Die Aschegaben wurden entsprechend den K-Bedürfnissen der Sonnenblumen berechnet (Sinaj et al. 2009). Die Dosis an K im Verfahren (iv) war gleich wie jene in den Verfahren mit Asche. Die andern mineralischen Nährelemente N, P und Mg wurden in gleicher Weise zugefügt gemäss Sinaj et al. (2009). Die mineralischen Dünger und die Rostasche wurden dem Boden zugemischt, bevor die Töpfe damit abgefüllt wurden. Als mineralische Dünger wurden verwendet: Triple-Superphosphat Ammoniumnitrat (NH4NO3), [Ca(H2PO4)2.H2O], Magnesiumchlorid (MgCl2), Kalium-

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Agrarforschung Schweiz 5 (6): 232–239, 2014

chlorid (KCl) und Baukalk (CaO). Zum Zeitpunkt der Ernte wurde die gesamte Trockensubstanz (Wurzeln, Blätter, Stängel, Körner) gemessen, und es wurden deren Gehalte an N, P, K, Mg, Zn, Cu und Ni bestimmt. Dazu wurde eine Trockenmineralisation und ein In-LösungBringen durch Fluorwasserstoffsäure (www.bordeaux. inra.fr/usrave) vorgenommen. Berechnung und statistische Analysen Die Wirkungen der Aschezugaben unter begrenzenden Bedingungen (Verfahren «Kontrolle» im Vergleich zu «Aschen») sowie unter nicht begrenzenden Bedingungen bezüglich NPMgK (Verfahren «NPMg-K» gegenüber


Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft | Pflanzenbau

Portlandit (Ca(OH)2) Calcit (CaCO3) Gips (CaSO4. 2H2O)

480 440 420

Portlandit Pflanzenzellen

CaO + H2O Ca(OH)2 Ca(OH)2 + CO2 CaCO3 + H2O CaSO4. 2H2O CaSO4 +2H2O

400 380

Resultate und Diskussion

360

Weiß Mica

340

Intensität (counts/Sekunde)

320 300 280 260 240 220 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0

2

10

20

30

40

50

60

2-Theta (Grad)

Abb. 1 | Mineralogie des Kalziums.

40

a) P=0,02

b) P=0,14

30 TS total (g/Pflanze)

«NPMg-Aschen») wurden mit dem T-Test und dem Softwarepaket R 2.14.1 (R Development Core Team, 2011) untersucht.

20

10

0 Kontrolle

Aschen

NPMg−K

NPMg−Aschen

Abb. 2 | Gesamtmenge an Trockensubstanz (TS) von Sonnenblumen bei der Ernte unter Bedingungen a) limitierend und b) nicht limitierend in Bezug auf NPMgK. Die Irrtumswahrscheinlichkeit des T-Testes und der Standardfehler (vertikale Balken) sind eingetragen.

Eigenschaften der Asche von der Feuerungsanlage Enerbois Die Asche von Enerbois weist einen sehr alkalischen pHWert auf, welcher in Bezug zu setzen ist mit ihrem hohen Gehalt an Ca und Mg (Tab. 1). Ca liegt vorwiegend (Abb. 1) als Karbonat [(Kalzit: CaCO3)] und als Kalziumhydroxid [Portlandite: Ca(OH)2] vor, was wenig reaktiven Formen entspricht. Dies erklärt die wenig agressive und langsamere Wirkung der Asche auf den pH-Wert der Böden im Vergleich zu jener des Baukalkes (CaO) (Maltas und Sinaj 2013). Wie erwartet ist diese Asche eine wichtige K-Quelle und in geringerem Ausmass auch eine P- und MgQuelle (Tab.1). Diese Asche enthält auch eine grosse Zahl von Mikronährstoffen (insbsondere Al, Fe, Mn und B) sowie MSE wie Zn, Cu, Ni und Pb (Tab. 1 und 2). Diese MSE, welche in den Schweizerböden (Luster et al. 2006) und damit im Holz vorhanden sind, werden in der Asche bei der Verbrennung aufkonzentriert (Hébert und Breton 2008; Maltas und Sinaj 2013). Die MSE werden in der Flugasche stärker aufkonzentriert als in der Rostasche (Maltas und Sinaj 2013). Die Zentrale Enerbois trennt diese beiden Aschetypen, während sich jedoch die in der Literatur beschriebenen Ascheanalysen im Allgemeinen auf ein Gemisch dieser beiden Aschetypen beziehen. Entsprechend weist die Asche von Enerbois deutlich geringere Gehalte an Zn, Pb und Cd auf als was sich sonst in der Literatur findet (Tab. 2). Ihre Gehalte an Cu und Ni übersteigen dennoch die durch die ChemRRV vorgegebenen Schwellenwerte, was einer landwirtschaftlichen Verwendung dieser Asche im Wege steht (Tab. 2). Wirkung der Asche auf die Biomasse von Sonnenblumen Unter Bedingungen, die punkto NPMgK limitierend sind («Kontrolle» im Vergleich zu «Aschen») führt die Zugabe von Asche zu einer signifikanten Zunahme der Trockensubstanzproduktion (Abb. 2a). Dieselbe Tendenz wird bei nicht limitierenden Bedingungen bezüglich NPKgK (Abb. 2b) beobachtet. Ein positiver Effekt von Aschezugaben auf die TS-Produktion ist bei zahlreichen kultivierten Pflanzen wie Hafer, Winterweizen, Schwingel, Spinat, Erbse, Mais, Pappel und Soja (Demeyer et al. 2001) beobachtet worden. Dieser Effekt kann auf der Kalkungswirkung der Aschen im Boden und/oder der Zufuhr von Makro- und Mirkonährstoffen durch die  Aschen zugeschrieben werden.

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 232–239, 2014

235


Pflanzenbau | Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft

Kontrolle

a)

Aschen

NPMg-K

b)

Stickstoff 150 *Zink

Stickstoff 150 Phosphor

100

Zink

100

50 Kupfer

NPMg-Aschen

Phosphor

50 Magnesium*

0

*Nickel

Kupfer

Nickel

Kalium*

Magnesium

0

Kalium

Kalzium

Kalzium

Abb. 3 | Aufnahme der Nährstoffe durch Sonnenblumen unter Bedingungen a) limitierend und b) nicht limitierend in Bezug auf NPMgK. Die Ergebnisse sind als Relativwerte im Vergleich zu Verfahren ohne Asche (Verfahren «Kontrolle» und NPMg-K in Abbildung a bzw. b). Die ­r oten Sternchen geben signifikante Unterschiede zwischen den beiden Verfahren an, bei der 5 % Schwelle des T-Testes.

Aufnahme von Makroelementen durch Sonnenblumen Bei limitierenden Bedingungen bezüglich NPMgK ist die Aufnahme von K beim Vorhandensein von Asche signifikant höher («Aschen» gegenüber «Kontrolle», Abb. 3a). Dies zeigt, dass Asche Kalium in leicht durch die Planzen aufnehmbarer Form anbietet. In der Tat sind 36 % bzw. 49 % des gesamten Kaliums in der Asche in Wasser (Maltas und Sinaj 2011) bzw. Essigsäure löslich (Abb. 4). Erich (1991) erwähnt eine gleiche K-Wirkung von Asche wie

jene der mineralischen K-Dünger. Unser Versuch bestätigt dieses Resultat, denn unter nicht limitierenden Bedingungen bezüglich NPMgK sind die von Sonnenblumen absorbierten K-Mengen vergleichbar, ob nun K aus der Asche oder aus dem KCl-Dünger stammt (Abb. 3b). Andererseits verbessert die Zugabe von Asche (P>0,05) die Aufnahme von Stickstoff (N) und Phosphor (P) durch Sonnenblumen unter limitierenden (Abb. 3) und besonders unter nicht limitierenden Bedingungen bezüglich

Kalzium

Fraktion 1

Kalium

Fraktion 2

Magnesium

Fraktion 3 Restfraktion

Phosphor

Zink Kupfer Nickel Blei 0

20

40

60

80

Sofort verfügbar

Löslich und an Carbonate gebunden

Nicht verfügbar

An Fe und Mn Oxyde gebunden

An organische Substanz gebunden

Abb. 4 | Artbildung der Makroelemente und der metallischen Spurenelemente.

236

Gehalt 100 (% des Totals)

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 232–239, 2014

In Kristallstruktur enthalten


Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft | Pflanzenbau

Tab. 3 | Zulässige Maximalmengen an MSE für rezyklierte Dünger und mittlere Mengen, die auftreten bei der Zugabe von 25 t TS/ha eines landwirtschaftlichen Kompostes oder der Zugabe von 5 t TS/ha Rostasche von Enerbois Zugeführte Mengen (kg/ha in drei Jahren) Maximal zulässig1

Aschen Enerbois

Landwirtschaftlicher Kompost2

25000

5000

25000

Zn

10

0,89

3,71

Cu

2,5

0,55

1,59 0,37

TS3

Ni

0,75

0,26

Pb

3

0,11

1,15

Cd

0,025

<0,002

<0,003

Hg

0,025

nd4

nd4

Abgeleitet aus dem Anhang 2.6 der Verordnung zur Reduktion von Risiken beim Umgang mit bestimmten besonders gefährlichen Stoffen, Zubereitungen und Gegenständen (=ChemRRV). 2 Selon Kupper und Fuchs (2007), schweizerische landwirtschaftliche Komposte enthalten im Mittel an Zn, Cu, Ni, Pb und Cd 148, 64, 15, 46 et 0,1 mg/kg TS. 3 TS: Trockensubstanz. 4 nd: nicht bestimmt, da die Gehalte der Dünger unterhalb der Nachweisgrenze lagen. 1

NPMgK (Abb. 3b). Die Aschen sind praktisch N-frei (Tab. 1). Dieser vorteilhafte Effekt auf die Entnahme von N ist wahrscheinlich mit dem positiven Effekt der Kalkung auf die Mineralisation der organischen Substanz im Boden verbunden (Maltas und Sinaj 2013). Die positive Wirkung der Asche auf die P-Aufnahme durch Sonnenblumen dürfte sich aus einem doppelten Effekt auf den austauschbaren P-Gehalt (Extraktion durch Ammoniumacetat EDTA (AAE)) des Bodens ergeben: (i) positiver Effekt der Kalkung auf die Verfügbarkeit von P in diesen schwach sauren Böden und (ii) ein Effekt als Folge Mengen von austauschbarem P durch den Eintrag von Asche (Abb. 4). Unter begrenzenden Bedingungen bezüglich NPMgK nimmt die Mg-Aufnahme durch Sonnenblumen bei Vorhandensein von Asche signifikant ab (Abb. 3a), obwohl ein Mg-Eintrag durch die Asche erfolgt. Bei einer Kalkung wird generell eine Abnahme der Mg-Aufnahme durch die Pflanzen beobachtet, was dem Antagonismus zwischen Ca- und Mg-Aufnahme zugeschrieben wird (Marschner 2012, Halvin et al. 2005). In unserem Versuch konnte bei Aschezugaben kein signifikanter Effekt auf die Mengen an absorbiertem Ca beobachtet werden (Abb. 3). Ein Antagonismus zur Aufnahme von K scheint daher plausibler. Aufnahme von MSE durch Sonnenblumen Bei Anwesenheit von Asche war die Zn- und Ni- Aufnahme durch Sonnenblumen geringer. Dieser Effekt ist unter limitierenden Bedingungen bezüglich NPMgK (Abb. 3a) signifikant, hingegen nicht signifikant unter nicht limitierenden Bedinungen (Abb. 3b). Die reduzierte Zn- und Ni-Aufnahme bei Vorhandensein von Asche kann mit den tiefen austauschbaren Zn- und NiGehalten (Extraktion durch AAE) in Verbindung gebracht

werden, welche bei Kalkung des Bodens beobachtet werden (Maltas et Sinaj 2013). Nimmt der pH-Wert des Bodens zu, so werden die MSE durch Eisen- und Aluminiumoxyde absorbiert (Havlin et al. 2005). Während Zn und Ni diesen pH-Effekt sehr stark zeigen, ist Cu davon wenig betroffen (Smith 1994). Weiter ist zu erwähnen, dass die Rostasche von Enerbois sehr geringe Mengen an leicht verfügbarem Zn, Cu, Ni und Pb mit sich bringt (0,2 bis 8 % des Totals; Abb. 4). Auch die in Québec durchgeführten Studien zum Ausbringen von Asche für landwirtschaftliche Zwecke berichten von keinen kurzfristigen durch MSE-Eintrag verursachten Problemen mit der Bodenqualität, dem Grundwasser und der Fauna (Hébert und Breton 2008). Hingegen bleibt langfristig das Problem der Toxizität der Schwermetalle bestehen. In den Aschen liegen 73 % des Cu, 73 % des Zn, 44 % des Ni und 5 % des Pb in Formen vor, die potenziell – wenn auch langsam – unter reduzierenden oder oxidierenden Bedingungen verfügbar werden (Abb. 4). Langfristige Risiken der MSE Nur mit der Definition von Maximalmengen an MSE, die dem Boden zugeführt werden (kg/ha), können Risiken einer Akkumulation bis zu toxischen Werten langfristig vermieden werden. Die Maximalmenge an rezykliertem Dünger, welche für Düngungszwecke bewilligt ist, wurde auf 25 t TS/ha festgelegt, wobei diese Menge in einer oder mehreren Gaben über insgesamt drei Jahre zu erfolgen hat (Anhang 2.6, ch 3.2.2 der ChemRRV). Unter Berücksichtigung der maximal zulässigen Gehalte (Tab. 2) erlaubt diese Menge an TS die eingetragenen Mengen an MSE unter den in Tabelle 3 erwähnten Schwellenniveaus zu halten. Auf der Basis der K-Gehalte der Rostaschen von Enerbois (Tab. 1) und des K-Bedarfes der Feldkulturen (Sinaj et al. 2009) sollte die nötige 

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Pflanzenbau | Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft

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Aschemenge zur K-Düngung einer Kultur 5 t TS/ha nicht übersteigen. Mit einer Maximalmenge an Asche von 5 t TS/ha, wobei diese Menge in einer oder mehreren Gaben über insgesamt drei Jahre zu erfolgen hat, sind die mit der Asche eingetragenen Mengen an MSE deutlich geringer als (i) die zugelassenen Maximalmengen in rezyklierten Düngern und (ii) als die eingebrachten Mengen durch einen klassischen landwirtschaftlichen Kompost, der mit der zugelassenen Maximaldosis von 25 t TS/ha in drei Jahren ausgebracht wird (Tab. 3). Diese Feststellung wirft die Frage auf, ob die Maximalgehalte für MSE, die momentan für Aschen gelten, sachdienlich sind. Eine Modifikation der Maximalgehalte in Abhängigkeit von der Menge an ausgebrachter TS würde erlauben, die zulässigen Maximalmengen an MSE zu respektieren, gleichzeitig könnte der Wert neuer natürliche Düngerquellen wie jener der Rostasche angehoben werden. Diese Resultate weisen in dieselbe Richtung wie andere Studien, welche aufzeigen, dass Holzaschen, die gelegentlich in agronomischen Dosen zum Einsatz kommen, keine kurz- oder langfristigen Umweltrisiken dar-

stellen würden (Demeyer et al. 2001, Hébert et Breton 2008). Demeyer et al. (2001) betonen, dass schon allein die Bedürfnisse zur Bodenverbesserung oder zur K-Düngung im allgemeinen die Dosis der auszubringenden Asche begrenzen.

Literatur ▪▪ Bruder-Hubscher V., Lagarde F., Leroy M. J. F, Coughanowr C. & Enguehard F., 2002. Application of a sequential extraction procedure to study the release of ele-ments from municipal solid waste incineration bottom ash. Analytica Chimica acta 451, 285–295. ▪▪ Demeyer A., Voundi Nkana J. C. & Verloo M. G., 2001. Characteristics of wood ash and influence on soil properties and nutrient uptake: an overview. Bioresource Technology 77, 287–295. ▪▪ Erich M.S., 1991. Agronomic effectiveness of wood ash as a source of phosphorus and potassium. Journal of Environmental Quality 20, 576–581. ▪▪ Halvin J. L., Beaton J. D., Tisdale S. L. & Nelson W. L., 2005. Soil fertility and fertiliz-ers : an introduction to nutrient management. Pearson Prentice Hall. Upper Saddle River, NJ. 515 p. ▪▪ Hébert M. & B. Breton,. 2008. Recyclage agricole des cendres de bois au Québec- Etat de la situation, impacts et bonnes pratiques agro-environnementales. Agrosolutions 19, 18–33. ▪▪ Kupper T. & J. Fuchs., 2007. Compost et digestat en Suisse. Connaissance de l’environnement 743. Office fédérale de l’environnement, Berne. 124 p. ▪▪ Luster J., Zimmermann S., Zwicky C. N., Lienermann P. & Blaser P., 2006. Heavy metals in Swiss forest soils: modification of lithogenic and anthropogenic contents by pedogenetic processes, and implications for ecological risk assessment Geological Society, London, Special Publications 266, 63–78. ▪▪ Maltas A. & Sinaj S., 2011. Intérêts agronomiques des cendres humides de la centrale Enerbois. Agroscope. 28 p.

▪▪ Maltas A. & Sinaj S., 2013. Effets des cendres de bois de la centrale Enerbois sur les propriétés du sol, le rendement des cultures et la qualité des récoltes. Agroscope. 63 p. ▪▪ Marschner P., 2012. Marschner's mineral nutrition of higher plants. ­A cademic press. 651 p. ▪▪ Sinaj S., Richner W., Flisch R., & Charles R,. 2009. Données de base pour la fumure des grandes cultures et des herbages (DBF-GCH). Revue suisse d'Agriculture 41 (1), 1–98. ▪▪ Smith S. R., 1994. Effect of soil pH on availability to crops of metals in ­s ewage sludge-treated soils. I. Nickel, copper and zinc uptake and toxicity to ryegrass. Environmental Pollution 85 (3), 321–327. ▪▪ Rauret G., Lopez-Sanchez J. F., Sahuquillo A. et al., 2000. Application of a modified BCR sequential extraction (three step) procedure for the determination of extractable trace metal contents in a sewage sludge amended soil reference material (CMR 483), complemented by a threeyear stability study of acetic acid and EDTA extractable metal content. Journal of Environmental Monitoring 2, 228–233. ▪▪ RS.814.81. 2011. Ordonnance sur la réduction des risques liés aux produits chimiques (ORRChim). 18 mai 2005 (état le 1er juillet 2011). ▪▪ RS.814.201. 2011. Ordonnance sur la protection des eaux (OEaux). 28 octobre 1998 (état le 1er août 2011). ▪▪ RS.916.171. 2011. Ordonnance sur les engrais (OEng). 10 janvier 2001 (état le 1er juillet 2011).

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 232–239, 2014

Schlussfolgerungen Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Rostasche der Zentrale Enerbois keine Risiken für die Böden und die Kulturen darstellen. Die Rostasche könnte als Kaliumdünger auf sauren Böden eingesetzt werden. Es wäre interessant die Forschung fortzusetzen, wobei die Auswirkungen dieser Asche auf neutrale und leicht alkalische Böden sowie auf die Felder zu untersuchen wäre. n

Dank

Die Autoren sind der Unternehmung Romande Energie SA für die Co-Finanzierung dieser Studie zu Dank verpflichtet sowie Dr. M. P. Turpault, INRA Nancy, für die mineralogischen Analysen.


Le ceneri del legno: un nuovo ­fertilizzante per agricoltura Svizzera Questo articolo riassume i principali risultati di una prova svolta in serra allo scopo di verificare gli effetti delle ceneri provenienti dalla centrale a legno Enerbois e utilizzate come fertilizzante potassico sul girasole. Queste ceneri presentavano elevati tenori in Ca e in K, ma contenevano anche tracce metalliche, in particolare Cu, Zn e Ni. Questa prova ha evidenziato una disponibilità in potassio contenuto nelle ceneri equivalente a quella di KCI utilizzata come fertilizzante potassico di riferimento. In condizioni limitanti in NPKMg queste ceneri hanno ottenuto un effetto favorevole sulla biomassa del girasole e sull’assorbimento di K, mentre le quantità di Ni e Zn assorbite sono diminuite, presumibilmente a causa dell’effetto negativo sulla solubilità della calcinazione di questi elementi. In condizioni senza limitazioni in NPKMg sono state osservate le stesse tendenze sia sulla biomassa, sia sull’assorbimento di Ni e ZN. Questa prova ha mostrato che, malgrado i tenori in Ni e Cu si situino oltre le soglie attualmente autorizzate in Svizzera per lo spargimento di fertilizzanti da riciclaggio, siano soprattutto i tenori in K a limitare la quantità di cenere da spargere.

Summary

Riassunto

Holzasche: ein neuer Dünger für die ­L andwirtschaft | Pflanzenbau

Wood ashes: a new fertilizer for Swiss agriculture The use of wood ashes as potash fertilizer was tested on sunflower. The greenhouse experiment was conducted in Changins and used wood ashes provided by the wood power station Enerbois (Vaud). These ashes contained high amounts of Ca and K but also trace elements, particularly Cu, Zn and Ni. Results of the trial highlighted an efficiency of K contained in these ashes equivalent to that of KCl used as reference potassic fertilizer. In NPKMglimiting conditions, the wood ashes had a positive effect on the biomass of sunflower and the absorption of K, but they reduced the amount of absorbed Ni and Zn, probably because of the negative effect of liming on the solubility of these elements. In not-NPKMg-limiting conditions, the same trends were observed regarding the biomass and the absorption of Ni and Zn. This trial showed that despite Ni and Cu contents beyond the limits currently approved in Switzerland for recycling fertilizer, it is above all the K levels that limit the amount of ashes to be spread. Key words: wood ashes, potassium, trace element, nutrient solubility, liming, Swiss legislation.

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 232–239, 2014

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A g r a r w i r t s c h a f t

Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­ bildung in der Landwirtschaft optimiert werden? Florian Sandrini1, Bruno Durgiai1, Sylvie Aubert 2 und Hansjörg Meier2 Hochschule für Agrar-, Forst und Lebensmittelwissenschaften HAFL, 3052 Zollikofen, Schweiz 2 AGRIDEA, 8315 Lindau, Schweiz Auskünfte: Sylvie Aubert, E-Mail: sylvie.aubert@agridea.ch

1

Mitglieder der Begleitgruppe diskutieren über Massnahmen zur Optimierung der betriebswirtschaftlichen Weiterbildung.

Einleitung Mit dem Landwirtschaftsgesetz von 1998 brach für die Schweizer Landwirtschaft eine Zeitenwende an. Direktzahlungen sind seither nicht mehr mengen- und produktgebunden, sondern an gemeinwirtschaftliche ­ Leistungen geknüpft. Der Markt beeinflusst die Land-

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Agrarforschung Schweiz 5 (6): 240–247, 2014

wirtschaft in ihrer Wettbewerbsfähigkeit und trägt damit neben dem technischen Fortschritt zum Strukturwandel bei (BLW 2009). Die Landwirtschaft hat zwei Möglichkeiten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zum einen durch die Steigerung der Produzentenpreise, zum andern durch die Senkung der Produktionskosten. Auf Grund ihrer Stellung in der Wertschöpfungskette


Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­b ildung in der Landwirtschaft optimiert werden? | Agrarwirtschaft

Zusammenfassung

können Einzelbetriebe vor allem auf die Produktionskosten direkten Einfluss nehmen. Eine Steigerung der Produzentenpreise ist auf Grund der politischen Entwicklung mit zunehmenden Freihandelsabkommen und sinkendem Grenzschutz in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Die Politik, die AGRIDEA und der Schweizer Bauernverband (SBV) haben die Schlüsselrolle der Produktionskosten für die landwirtschaftlichen Betriebe erkannt. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW gründeten sie die Arbeitsgruppe Opticost. Diese untersuchte mit anderen Stakeholdern der Branche die Strategie- und Kostenentwicklung aus bildungspolitischer Sicht. Dabei erkannte die Arbeitsgruppe, dass die Beratungs- und Bildungsorganisationen verschiedene Massnahmen zur Förderung der Kostenoptimierung und strategischen Betriebsentwicklung unternommen hatten. Die Teilnehmendenzahlen blieben aber oftmals unter den Erwartungen. Gleichzeitig zeigten Auswertungen verschiedener landwirtschaftlicher Organisationen ein ungünstiges Input/Output-Verhältnis und damit ein erhebliches Einsparungspotenzial auf den Betrieben. Dazu kam, dass oftmals Betriebe mit dem höchsten Optimierungspotenzial nicht an den betriebswirtschaftlichen Weiterbildungen teilnahmen. (Die Begriffe Weiterbildung und Kurs werden in diesem Artikel gleich gesetzt. Sie beinhalten speziell ausgerichtete Bildungsveranstaltungen, Arbeitskreise und individuelle Beratung innerhalb eines Beratungs- oder Bildungsprojekts). Diesem Sachverhalt wollte die Arbeitsgruppe Opticost auf den Grund gehen. Sie formulierte ein Projekt, das den Teilnahme- und Umsetzungsprozess einer betriebswirtschaftlichen Weiterbildungsveranstaltung untersuchte und Verbesserungsmassnahmen für die Zukunft ableitete.

Material und Methoden Organisation der Verantwortlichkeiten Für die Bearbeitung des Projekts kreierte die Arbeitsgruppe Opticost ein Projektteam und eine Begleitgruppe. Letztere wurde im Rahmen dieser Arbeit um Vertretende der Organisationen Agroscope, des Beratungsforums Schweiz (BFS) und der Schulleiterkonferenz der landwirtschaftlichen Berufsfachschulen ergänzt. Dem Projektteam gehörten je zwei Vertretende der AGRIDEA und der Hochschule für Agrar-, Forst und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) an. Die Begleitgruppe bestimmte die strategische Ausrichtung des Projekts. Sie beschloss, welche Projekte in der Schweiz untersucht und welche Fragen beantwortet werden sollten. Das Projektteam war mit der operatio-

Bei der Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe nehmen die Produktionskosten eine Schlüsselrolle ein. Verschiedene Akteure in der landwirtschaftlichen Beratung und Bildung boten dazu in der Vergangenheit Weiterbildungen an. Dabei blieben die Teilnehmendenzahlen unter den Erwartungen. Die Arbeitsgruppe Opticost wollte den Gründen auf die Spur kommen, um Verbesserungsmassnahmen abzuleiten. Dazu führte sie halbstrukturierte Experteninterviews auf den Stufen Projektleitende, Beratende und Teilnehmende in fünf betriebswirtschaftlichen Weiterbildungs­ projekten der Schweizer Landwirtschaft durch. Zusätzlich analysierte sie auf Stufe Beratende je ein betriebswirtschaftliches Weiterbildungsprojekt der französischen, deutschen und österreichischen Landwirtschaft sowie ein branchenfremdes Projekt in der Schweiz. Die Analyse der Experteninterviews fand nach Meyer (2009), das theoretische Kodieren nach Böhm (1994) statt. Die Resultate zeigten, dass bei der Zielgruppe zwischen innovativen und reaktiven Teilnahmemustern unterschieden werden kann. Personen mit innovativem Teilnahmemuster kamen aus eigenem Antrieb heraus an die Weiterbildungen. Für Personen mit reaktivem Muster bestand eine betriebliche Notwendigkeit. Bei der Gestaltung der Weiterbildungen beeinflusste die Gewichtung von Bildungsanspruch und Zielgruppenorientierung die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises. Die Direktkommunikation zeigte bei der Sensibilisierung der Teilnehmenden die beste Wirkung. Sie sollte zukünftig besser auf die Zielgruppe abgestimmt werden und vermehrt landwirtschaftliche Verbände, Beratende, Treuhänderinnen und Treuhänder usw. mit einbeziehen.

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Agrarwirtschaft | Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­b ildung in der Landwirtschaft optimiert werden?

Beeinflusser

Entscheider

Wirkungsbereich 1. Strategie festlegen

Familie

2. Kooperationen eingehen

Bildung Forschung

3. Investitionen tätigen 4. Investitionen finanzieren

Beratung

Führungskompetenz

Agridea

Fachkompetenz Firmen Organisationen

Verwaltung

Sozialkompetenz Selbstkompetenz

Verbände

5. Produktionsmittel einkaufen 6. Controlling durchführen 7. Betrieb entwickeln 8. Organisieren

Abb. 1 | Beeinflussung der landwirtschaftlichen Entscheider. (AGRIDEA 2012)

nellen Untersuchung der ausgewählten Projekte und der Beantwortung der Fragen beauftragt. Zudem konnte sie die zu untersuchenden ausländischen Projekte mit vorheriger Konsultation der Begleitgruppe auswählen, um eine zielgerichtete Auswahl in Bezug zu den bereits untersuchten Schweizer Projekten sicherzustellen. Beschreibung der Projektauswahl Meier (2012) identifizierte in der ersten Analyse im Opticost-Projekt acht verschiedene kostenbezogene ­ Wirkungsbereiche, die die Landwirte beeinflussen können. Daraus leitete die AGRIDEA verschiedene Einflussbereiche ab, mit denen über die Landwirte Einfluss auf die Wirkungsbereiche genommen werden kann (Abbildung 1). Zwei der identifizierten Einflussbereiche sind die Bildung und die Beratung. Auf dieser Grundlage wählte die Begleitgruppe nach einer Expertendiskussion folgende fünf zu analysierende Projekte aus: ••Actif Regional Creatif (ARC) ••Bergmilch-Projekt ••Betriebsmanagement im Obstbau (Interreg IV CH-D) ••Kostenoptimierung Milchproduktion ••Kurs Maschinenkostenberechnung einer landwirtschaftlichen Schule Mit der Projektauswahl wollte die Begleitgruppe eine möglichst grosse Bandbreite der acht Wirkungsbereiche bearbeiten und eine gleichmässige geografische Verteilung der Projekte in der Schweiz sicherstellen. Nach dem Vorliegen der Resultate aus den analysierten Schweizer Projekten, wählte das Projektteam drei

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ausländische Beratungsprojekte in Frankreich, Österreich und Deutschland aus. Um einen Einblick in eine andere Branche zu erhalten, wurde zudem ein Weiterbildungsangebot aus dem Gesundheitsbereich analysiert. Analyse der Projekte Das Ziel der Projektanalysen bestand in der Ausarbeitung neuer Fakten, die in Zusammenhang mit der Teilnahme und der Durchführung einer Weiterbildung standen. Die Weiterbildungsphasen teilte man in eine Vorkurs-, eine Kurs- und eine Nachkursphase ein. Ergänzend dazu gab es einen Bereich, der nicht direkt einer Kursphase zuzuordnen war. Die jeweiligen Weiterbildungsunterlagen und halb strukturierten Interviews mit den Projektleitenden und einer Auswahl an Beratungskräften (Kursleitenden) und Teilnehmenden waren die Grundlage der Analyse der Schweizer Projekte. Bei den ausländischen Projekten beschränkte sich die Analyse auf die halb strukturierten Interviews mit den Beratenden. Bei der Interviewanalyse orientierte sich das Projektteam an Meyer (2009) zur Auswertung von Experteninterviews. Die daraus erfolgte Theoriebildung ergänzte man mit der Vorgehensweise des theoretischen Kodierens nach Böhm (1994). Durch die Kombination der Instrumente war es möglich, Gemeinsames über die Projekte zu erarbeiten und Unterschiede aufzuzeigen. Gleichzeitig konnten konkurrierende Deutungen minimiert werden, die bei qualitativen Analysemethoden möglich sind, da es keine eindeutige Interpretation von  Texten gibt (Meyer 2009).


Kurs

Familie

Betrieb

Inhalt Aufbau

Kursziele

Relevanzperspektive

Veranstalterorientierung

Landwirtschaft

Information

Forschung Stiftungen

Wirtschaftspartner

Bildungspartner Ämter

Zielgruppennachfrage

Berufsverbände

Bildungsanspruch

Interessensverbände

Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­b ildung in der Landwirtschaft optimiert werden? | Agrarwirtschaft

Angebot

Inhalt

Aufbau

Aufbau

Teilnehmendenperspektive

Handlungsrelevanz Handlungspotenzial

Inhalt

Betriebliche Ziele Chance für den Betrieb

Kursziele

Gefahr für den Betrieb

Wissensverarbeitung

Teilnehmendenwissen

Information

Persönliche Ziele

Familie Verbände Konsumenten

Betrieb Markt Firmen

Bildung Beratung Agridea

Forschung Verwaltung Politik

Kurs

Kursumsetzung

Sensibilisierung Abb. 2 | Sensibilisierungsmodell zu betriebswirtschaftlichen Weiterbildungen in der Landwirtschaft. Der blau hinterlegte Bereich ist der Prozess, den die Teilnehmenden durchlaufen, der grün hinterlegte Bereich derjenige, den die Beratungsorganisationen durchlaufen. Beide decken die Vorkursphase ab. Die Kursphase entspricht dem rosa Feld und die Nachkursphase dem grauen Feld. Rechteckige Körper stellen Prozessschritte dar, ovale Körper Einflussfaktoren.

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Agrarwirtschaft | Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­b ildung in der Landwirtschaft optimiert werden?

Entwicklung des Sensibilisierungsmodells Aus den Erkenntnissen der Interviews und der Weiterbildungsunterlagen entwickelte das Projektteam ein Sensibilisierungsmodell. Dieses Modell stellt einerseits das Verhalten der Zielgruppe in Bezug zu einer Kursteilnahme dar. Andererseits nimmt es auch diejenigen Elemente auf, die betriebswirtschaftliche Weiterbildungsveranstaltungen in Zukunft erfolgreicher machen sollen. Für die praktikable Umsetzung der im Modell beschriebenen Vorgehensweise wurden wiederum operationelle und strategische Verbesserungsmassnahmen abgeleitet.

innovativem Muster und ging auch beim weiteren Teilnahmeprozess gleich vor. Eine weitere Untergruppe mit reaktivem Muster konnte die Gefahrenanzeichen für ihren Betrieb nicht aus den Umwelt- oder sonstigen Sensibilisierungsinformationen entnehmen. Sie musste durch produktionstechnische Beratende oder Treuhänderinnen und Treuhänder auf eine betriebsbezogene Gefahr aufmerksam gemacht werden. In Einzelfällen wiesen diese die Betroffenen direkt an eine Weiterbildung weiter. War dies nicht der Fall, vergingen zwischen dem Wissen um die Gefahr und einer Kursteilnahme mitunter mehrere Jahre.

Resultate und Diskussion

Veranstalterorientierung Bei der Gestaltung von Weiterbildungsangeboten traten verschiedene Anspruchsgruppen auf. Die Beratung versuchte unter Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse (Bildungsanspruch) und in Einzelfällen derjenigen der Landwirtschaft (Zielgruppennachfrage) relevante Weiterbildungsangebote zu schaffen. Mit der Gestaltung des Weiterbildungsangebots nahm die Beratung eine Relevanzperspektive ein. Sie begründete, weshalb eine Weiterbildung relevant ist und leitete daraus die Kursziele und damit den Kursinhalt und den Kursaufbau ab. Bei der Kursgestaltung gewichteten die untersuchten Projekte den Bildungsanspruch und die Zielgruppenorientierung unterschiedlich. Das beeinflusste die Zusammensetzung der Teilnehmenden in den Projekten. Angebote mit einer hohen Zielgruppenorientierung sprachen vor allem Teilnehmende an, die einem innovativen Muster folgten.

Die Resultate dieser Arbeit werden im Rahmen des Sensibilisierungsmodells dargestellt und diskutiert (Abb. 2). Teilnehmendenperspektive Ausschlaggebend für den Besuch einer betriebswirtschaftlichen Weiterbildung sind Betrieb und Familie. Die Teilnehmenden setzten die Informationen aus der Umwelt und aus Sensibilisierungsmassnahmen in Bezug zu ihrem eigenen Wissen. Die Art der Informationen beeinflusste dabei die kognitive Verarbeitung. Die Personen wurden in eine Gruppe mit innovativem Muster und eine Gruppe mit reaktivem Muster unterteilt. Innovatives Muster Diese Personengruppe bearbeitete die Umwelt- und Sensibilisierungsinformationen in Bezug auf die persönlichen Ziele. Die Teilnehmenden erkannten aus diesen Informationen eine Chance für die zukünftige Betriebsentwicklung. Für sie resultierte ein persönliches und/oder betriebsbezogenes Handlungspotenzial. Daraus formulierten sie unabhängig von den bisherigen Sensibilisierungsinformationen Kursziele in Bezug auf Inhalt und Aufbau (Form). Stimmten diese Ziele mit einem Angebot überein, bildeten diese Teilnehmenden für einen bestimmten Kurs eine Teilnehmendenperspektive und nahmen am Kurs teil. Damit die Teilnehmendenperspektive gebildet werden konnte, mussten die Sensibilisierungsmassnahmen der Zielgruppe zu diesem Zeitpunkt Informationen über die Weiterbildungsziele und -form bereitstellen. Reaktives Muster Diese Personengruppe verarbeitete die Umwelt- und Sensibilisierungsinformationen in Bezug auf ihren Betrieb und erkannte daraus eine Gefahr. Für diese Gruppe ergab sich eine Handlungsrelevanz. Die Kursziele formulierte sie analog der Personengruppe mit

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Erfolgsfaktoren Vorkursphase Die Sensibilisierungsmassnahmen haben entscheidenden Einfluss auf die Weiterbildungsteilnahme. In diesem Zusammenhang gilt es zwei grundsätzliche Fragen zu beantworten: 1. Wie kann die Zielgruppe am besten sensibilisiert werden? Die Direktkommunikation zwischen Vertretenden landwirtschaftlicher Organisationen und den Landwirtinnen und Landwirten erzielte die beste Wirkung. Aber auch Printmedien erreichten die Zielgruppe. 2. In welcher Phase sollen die Sensibilisierungsmassnahmen auf die Zielgruppe treffen? Allgemeine Sensibilisierungsinformationen (Zeitungs­ artikel, Vorträge usw.) müssen dann auf die Zielgruppe treffen, wenn sie sich mit dem Thema auseinandersetzt. Dazu ist eine breite Streuung der Informationen nötig. Je nach Zielgruppe reichen diese Massnahmen aber nicht aus.


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Für die Bildung der Teilnehmendenperspektive muss die Zielgruppe unmittelbar nach der Formulierung ihrer Kursziele mit weiteren, spezifischeren Kursinformationen bedient werden. In dieser Phase ist es gut möglich, dass die Zielgruppe aktiv nach Kursangeboten sucht. Kursphase In der Kursphase waren die Kursziele, der Kursinhalt und der Kursaufbau von zentraler Bedeutung. Für die Bewertung der Kursziele waren Relevanz und Erreichbarkeit zentral. Nur wenn beide Faktoren erfüllt waren, konnten die Ziele erreicht werden. Für eine hohe Relevanz mussten die Ziele der Weiterbildungsveranstaltung mit jenen der Teilnehmenden übereinstimmen. Dies wurde erreicht, indem die Teilnehmenden in die Ausarbeitung der Ziele miteinbezogen wurden. Für ein optimales Vorgehen innerhalb der Kurse waren ziel- und anwendergerechte Inhalte wichtig. Einige der Projekte erreichten dies, indem sie die Teilnehmenden- und die Zielorientierung optimal aufeinander abstimmten. Der Kursaufbau spielt in Bezug auf den Veranstaltungsort, die Lernräume und die Zeitstruktur (Zeitpunkt und Dauer) eine wichtige Rolle (Siebert 2003). Der Kursaufbau war in den untersuchten Projekten nie der alleinige Grund für eine Kursteilnahme, konnte aber je nach Gestaltung der Lernräume (Einzeldiskussion vs. Gruppendiskussionen, Angst vor Blossstellung) von einem Kursbesuch abhalten. Je nach Kurszielen spielte der Angebotszeitpunkt eine wichtige Rolle. Themen, die im Rahmen von Umwelteinflüssen (Milchpreis, Agrarpolitik usw.) auftraten, waren in einem begrenzten Zeitrahmen relevant. Probleme, die in Zusammenhang mit dem Betriebsentwicklungszyklus der Landwirtinnen und Landwirte standen (Strategieentwicklung, Generationenwechsel usw.), waren unbegrenzt relevant. Ein permanentes Kursangebot für die zweitgenannte Gruppe ist daher unbedingt nötig. Erfolgsfaktoren Kursphase In den Kursen galt es, die Bedürfnisse der Veranstaltenden mit jenen der Teilnehmenden zu vereinen. Je besser die Weiterbildungen die Zielgruppen- und Teilnehmendenorientierung praktizierten, desto besser konnten die Ziele aufeinander abgestimmt werden. Damit stieg die Erfolgschance einer Weiterbildung. Weiterbildungen, die bei thematisch gleichem Inhalt Veranstaltungen in verschiedenen Formen anboten, konnten mehr Teilnehmende erreichen. Die Kursform als Hemmfaktor fiel dabei weg.

Nachkursphase Im Anschluss an eine Kursphase ging es um die eigentliche Umsetzung des Gelernten aus der Kursphase. Die Teilnehmenden setzten bei der Umsetzung im Anschluss an eine Weiterbildung den Kursoutput in Bezug zum Betrieb und zur Familie. Wenn Weiterbildungen auf einzelne Bereiche oder Instrumente fokussierten, waren Handlungen auf strategischer Ebene nur in Einzelfällen möglich. Die Umsetzungen aus solchen Kursen beschränkten sich primär auf den behandelten Themenbereich. Trotzdem konnten sie die strategische Dimension eines Betriebes beeinflussen. Erfolgsfaktoren Nachkursphase Eine zielgerichtete Umsetzung im Anschluss an einen Kurs kann erhöht werden, wenn die Teilnehmenden in der Lage sind, ihre Erkenntnisse in Bezug zu ihrem Vorhaben und dem Umfeld zu reflektieren. Eine erfolgreiche Nachkursphase kann in diesem Zusammenhang auch bedeuten, dass nichts aus dem Kurs umgesetzt wird. Von der Veranstalterseite her kann die Erfolgschance einer Umsetzung durch eine fakultative Umsetzungsberatung erhöht werden.

Schlussfolgerungen Aus den Erkenntnissen zog das Projektteam Schlussfolgerungen auf strategischer und operationeller Ebene. Diese Schlussfolgerungen sollen dazu dienen, die Erkenntnisse auf eine anwendungsbasierte Ebene zu transferieren. Strategische Ebene ••Die Sensibilisierungsmassnahmen müssen zukünftig besser auf die Zielgruppe ausgerichtet sein. Dazu sollten wichtige Beeinflussende wie Beratungskräfte, Treuhänderinnen und Treuhänder, landwirtschaftliche Verbände usw. in die Sensibilisierung mit einbezogen werden. Damit sie die Landwirte an eine Weiterbildung der eigenen oder einer externen Organisation weiterleiten können, muss die Vernetzung zwischen den verschiedenen Stellen zunehmen. ••Um verschiedene Kursformen zu unterschiedlichen Zeitpunkten anbieten zu können und genügend Teilnehmende zu erhalten, sollten entsprechende Veranstaltungen interkantonal koordiniert werden. Damit kann gleichzeitig auch den ausgeprägten Anonymitätsbedürfnissen der Zielgruppe entsprochen werden. ••Die Inhalte von Weiterbildungen müssen sich zwingend an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren, der die landwirtschaftliche Beratung in erster Linie

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Agrarwirtschaft | Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­b ildung in der Landwirtschaft optimiert werden?

verpflichtet ist. Die Rolle verschiedener Anspruchsgruppen ist auf die finanzielle Trägerschaft und den Einsatz zur Sensibilisierung zu beschränken. Operationelle Ebene ••Die Sensibilisierungsmassnahmen müssen sich besser an den Eigenheiten der Zielgruppe orientieren. Sie müssen ihre Informationen so gestalten, dass sie der Zielgruppe in Bezug auf die Weiterbildung einen Problem-Zielbezug ermöglichen. ••Anhand der Zielgruppe muss für die Sensibilisierungsmassnahmen definiert werden, ob sie lediglich den Zugang zu einer Weiterbildung schaffen sollen oder ob sie auch den Grund (Gefahr für den Betrieb) für eine Weiterbildungsteilnahme identifizieren müssen. ••Damit sich die Weiterbildungsveranstaltungen an den Bedürfnissen der unterschiedlichen Zielgruppen orientieren, müssen verschiedene Themen in variabler Form und Zeitdauer angeboten werden. ••Auch bei einem klar auf ein Ziel ausgerichteten Weiterbildungsangebot, muss es den Teilnehmenden möglich sein, von den Beratungskräften unabhängige Entscheidungen zu treffen.

Literatur ▪▪ AGRIDEA, 2012. Ansätze zur Optimierung der Produktionskosten, 26 S. ▪▪ BLW, 2009. Die Schweizer Landwirtschaft im Aufbruch: Das neue Landwirtschaftsgesetz – Eine Bilanz nach 10 Jahren, Bern, 36 S. ▪▪ Böhm A., 1994. Texte verstehen: Konzepte, methoden, Werkzeuge. UVK, Konstanz. ▪▪ Meier H, 2012. Wirkungsschema, AGRIDEA, 1 S.

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••Die Beratungsorganisationen sollten den Teilnehmenden adäquate Mittel für eine freiwillige Nachkursbetreuung zur Verfügung stellen. Dabei ist generell darauf zu achten, dass es sich um dieselben Beraterinnen und Berater handelt, die schon in der Kursphase anwesend waren. Diese Schlussfolgerungen wurden mit der Arbeitsgruppe Opticost diskutiert, wobei diese keinen Einfluss nehmen konnte. Es liegt nun an den Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgruppe, die vorliegenden Erkenntnisse in der Praxis umzusetzen, um langfristig eine effiziente und effektive betriebswirtschaftliche Beratung und Weiterbildung in der Landwirtschaft zu ermöglichen. Insbesondere die operationellen Verbesserungen sollten unmittelbar in Angriff genommen werden. n

▪▪ Meyer HO, 2009. Interview und schriftliche Befragung. Oldenburgverlag, München, Wien. ▪▪ Siebert H, 2003. Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung: ­D idaktik aus konstruktivistischer Sicht. Luchterhand, München/Unterschleissheim.


Come migliorare la formazione continua nella gestione aziendale nell’agricoltura? I costi di produzione svolgono un ruolo chiave per la concorrenzialità di un’azienda agricola. In passato, diversi istituti di consulenza e formazione nel settore primario hanno proposto corsi di aggiornamento. Il numero di iscritti, tuttavia, si è sempre situato al di sotto delle aspettative. Il gruppo di lavoro Opticost ha voluto risalire alle cause di questo disinteresse, per individuare i possibili correttivi. A questo scopo ha condotto una serie di interviste semistrutturate con diversi esperti (responsabili di progetto, consulenti e partecipanti) a margine di cinque progetti di aggiornamento avviati dall’agricoltura svizzera nel settore della gestione aziendale. Per quanto concerne la consulenza, inoltre, ha analizzato tre progetti analoghi, sempre nel settore agricolo (uno francese, uno tedesco e uno austriaco), e un progetto svizzero, riguardante invece un altro settore. L’analisi delle interviste si è basata su Meyer (2009), mentre la parte teorica si è riferita piuttosto a Böhm (1994). Da questi lavori emerge che, nel gruppo target, è possibile distinguere tra due comportamenti, uno più innovativo e uno più reattivo. Le persone che presentano il primo comportamento hanno partecipato ai corsi di propria iniziativa, mentre le altre vi sono state spinte da necessità legate alla gestione della loro azienda. Nell’assetto degli aggiornamenti, la ponderazione delle esigenze di formazione e l’orientamento in funzione dei gruppi target hanno influito sulla composizione dei partecipanti. Quando si è trattato di sensibilizzare i partecipanti, la comunicazione diretta è il metodo che ha ottenuto i migliori risultati. Questo tipo di approccio, pertanto, andrebbe meglio regolato in funzione dei gruppi target; occorrerà anche coinvolgere maggiormente le associazioni agricole, i consulenti, le fiduciarie attive nel settore e così via.

Summary

Riassunto

Wie kann die betriebswirtschaftliche Weiter­b ildung in der Landwirtschaft optimiert werden? | Agrarwirtschaft

How to optimize agricultural extension for a successful farm management? Production costs play a key role in the competitiveness of agricultural enterprises. In the past, various actors in agricultural consultancy and education offered advanced training, but the number of participants remained below expectations. To investigate the reasons for this low participation and determine measures for improvement, the Opticost working group conducted semi-structured interviews with experts who were project managers, consultants and participants in five economic advanced training projects in Swiss agriculture. The group also interviewed consultants from economic training projects on French, German and Austrian agriculture and from another project outside this sector in Switzerland. The analysis of the expert interviews was carried out according to Meyer (2009), the theoretical coding according to Böhm (1994). The results showed that a distinction could be made in the target group between innovative and reactive participation behaviour patterns. Persons with innovative behaviour patterns participated in the advanced training programmes out of their own initiative, whereas persons with reactive patterns participated out of operational necessity. In the configuration of the training programmes, the importance of educational demands and target groups orientation influenced the composition of the participants. Direct communication showed the best effect in raising the awareness of the participants. Lastly there should be more adaptation to the target group in future, and more agricultural associations, consultants, fiduciaries etc. should be included. Key words: agricultural extension, extension approaches, extension activities, extension strategies.

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A g r a r w i r t s c h a f t

Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen? Christian Gazzarin1, Matthias Kohler2 und Ola Flaten3 Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8356 Ettenhausen, Schweiz 2 ETH Zürich, Institut für Umweltentscheidungen IED, 8092 Zürich, Schweiz 3 Norsk institutt for landbruksøkonomisk forsking (NILF), 0155 Oslo, Norwegen Auskünfte: Christian Gazzarin, E-Mail: christian.gazzarin@agroscope.admin.ch

1

Die Futterkosten sind in der Schweiz deutlich höher als in Norwegen – eine günstige Weidehaltung könnte hier Abhilfe schaffen. (Foto: Christian Gazzarin, Agroscope)

Tiefere Baustoffpreise, höhere Subventionen und weniger Platz für die Tiere sind die Ursachen für die tieferen Gebäudekosten in Norwegen. (Foto: Rasmus Lang-Ree, Geno)

Einleitung und Problemstellung

dingt erschwerenden Produktionsbedingungen der beiden Länder haben Ähnlichkeiten. Trotzdem weisen norwegische Milchbetriebe aufgrund von Auswertungen des IFCN (Hemme 2013) tiefere Produktionskosten aus als vergleichbare Schweizer Betriebe. In einer Bachelorarbeit an der ETH Zürich (Kohler 2013) wurde in Zusammenarbeit mit Agroscope eine vergleichende Kostenanalyse erstellt und den Ursachen der Kostenunterschiede auf den Grund gegangen.

Die Schweiz exportiert traditionell einen beachtlichen Teil der Milchproduktion. Allerdings wird die Milch auf einem sehr hohen Kostenniveau produziert. Auswertungen des International Farm Comparison Network (IFCN) zeigen, dass die Kostendifferenz zu anderen europäischen Ländern seit Jahren mehr oder weniger konstant blieb (Hemme 2013; Hemme 2003). Durch die weltweit steigenden Futterpreise ergab sich zwar eine gewisse Annäherung zum Ausland, doch gleichzeitig verteuert der starke Franken die Schweizer Export-Milchprodukte zusätzlich. Das hohe Kostenniveau wird meist mit dem hohen Lohn- und Preisumfeld der Schweiz in Verbindung gebracht – so auch in einem Betriebsvergleich mit Österreich (Gazzarin et al. 2011). Mit Norwegen ­− Nicht-EUMitglied mit hohem Preis- und Lohnumfeld − ergibt sich für die Schweiz ein weiteres interessantes Vergleichsland. Die Betriebsstrukturen und die naturbe-

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Vergleich Schweizer und norwegischer Milchmarkt Für die Interpretation der Kostenunterschiede müssen vorerst die Rahmenbedingungen der beiden Länder bekannt sein. Norwegen hat – ähnlich wie die Schweiz – einen ausgebauten Agrarschutz, wobei insbesondere der Milchpreis stärker gestützt wird als in der Schweiz. Norwegen hat die Milchproduktion durch eine Milchquote begrenzt. Bei der Betrachtung von Tabelle 1 fällt auf, dass die Kuhmilchproduktion und der Milchkuhbestand


in der Schweiz deutlich höher sind. Vergleicht man die vermarktete und konsumierte Menge an Milch, wird im Unterschied zu Norwegen klar, dass die Schweiz eine Überproduktion an Milch aufweist und folglich im Unterschied zu Norwegen als Nettoexporteur da steht (TSM 2013; Statistics Norway 2011). Vergleich gesetzlicher Rahmenbedingungen Zur Unterstützung der Multifunktionalität der Landwirtschaft werden gemäss OECD auch in Norwegen eine Vielzahl produktungebundener Zahlungen entrichtet, deren Anteil an der gesamten Unterstützung jedoch im Vergleich zur Schweiz geringer ist (Hemme 2013). Neben den Direktzahlungen sind auch Investitionshilfen ein Mittel zur Unterstützung der Betriebe. In der Schweiz werden gemäss Strukturverbesserungsverordnung (SVV, Art. 19) neben den Investitionskrediten zusätzlich Beiträge für Bauvorhaben in den Hügel- und Bergzonen entrichtet. In Norwegen sind diese beiden Systeme zur Investitionshilfe ebenso bekannt. Die Unterstützungszahlungen sind umgerechnet pro GVE in Norwegen jedoch höher. Der Vergleich der Investitionshilfen in den beiden Ländern ist in Tabelle 2 anhand einer Beispielsberechnung mit 50 GVE in zentraler Lage und mit 18 GVE in peripherer Lage dargestellt (Agroscope Baukostenerhebung 2012; Ottesen et al. 2008). In der Schweiz bringen die Investitionshilfen je nach Betriebsgrösse und Lage eine Baukostenersparnis von 13−19 %. In Norwegen werden bis 30 % der Baukosten übernommen (Gesetz Nr. 75, Art. 3, Abs. 3, Nr. 2). In der Schweiz führt neben den deutlich höheren Erstellungskosten der geringere Unterstützungsanteil des Staates zu einer zusätzlichen Differenz. In der Schweiz werden zudem Gebäudeinvestitionen im Vergleich zu Norwegen stark von gesetzlichen Bestimmungen beeinflusst (zum Beispiel Tierschutzgesetz). 

Zusammenfassung

Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen? | Agrarwirtschaft

Die Milchproduktion in der Schweiz und Norwegen hat vieles gemeinsam: Ein hohes Preis- und Lohnumfeld, erschwerte natürliche Bedingungen und ähnliche Betriebsstrukturen. Ein Kostenvergleich mit Daten vom International Farm Comparison Network (IFCN) zeigt, dass die Schweizer Betriebe trotzdem höhere Produktionskosten auf­ weisen. Die Analyse der Kostenpositionen lokalisiert Unterschiede vor allem im Strukturkostenbereich. Höhere Gebäudekosten können mit höheren Baustoffpreisen, grösseren Gebäudevolumen, geringeren Unterstützungszahlungen und häufigeren Umbauten erklärt werden. Höhere Maschinen- und Arbeitskosten stehen indirekt in Zusammenhang mit den höheren Kraft­ futterpreisen und dem deutlich geringeren Kraftfuttereinsatz auf den Schweizer Betrieben. Zur Gewährleistung ähnlich hoher Milchleistungen betreiben Schweizer Betriebe einen vergleichsweise hohen Aufwand für die Raufutterproduktion, was zu höheren Arbeits-, Maschinen- und Gebäudekosten führt. Im Hinblick auf Kostensenkungsbemühungen kann eine auf das Notwendige beschränkte Futterkonservierung am ehesten eine Wirkung zeigen.

Tab. 1 | Gegenüberstellung wichtiger Kennzahlen des Schweizer und norwegischen Milchmarktes. Alle Gewichtsangaben beziehen sich auf ein Milchäquivalent (1 kg Milch mit 73 g Fett und Eiweiss, definiert durch das BLW) Schweiz

Norwegen

[t/a]

2 959 120

1 626 500

[kg/a]

376

327

Kuhmilchproduktion

[t/a]

4 079 000

1 642 000

Vermarktete Kuhmilch1, 2

[t/a]

3 410 000

1 524 000

Anzahl

590 000

233 000

Milchkonsum

1, 4

Milchkonsum pro Kopf 5 1, 2

Milchkühe1, 3 Milchleistungen pro Kuh

5

Milchviehbetriebe1, 3 Milchproduktion pro Betrieb5 Milchpreis1, 2 Quellen: 1) Milchstatistik der Schweiz 2011, SBV

2)

[kg/a]

6914

7047

Anzahl

28 973

10 545

[t/a]

140,8

155,7

[Fr./100 kg]

62,06

74,95

Norwegian Agriculture Economics Research Institute 2010

3)

Statistics Norway 2011

4)

FAO Statistics 2009

5)

eigene Berechnung

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Agrarwirtschaft | Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen?

Tab. 2 | Beispielsberechnung der Kosten für zwei typische Bauvorhaben in der Schweiz und in Norwegen (GVE = Grossvieheinheit) 18 GVE

Kosten (in Fr.)

50 GVE

Schweiz

Norwegen

Schweiz

Baukosten pro GVE

25 275

19 900

21 520

14 200

Totale Baukosten

455 000

358 000

1 076 000

710 000

Beiträge (inkl. Sockelbeitrag)

87 000

107 000

155 0001

145 0001

Effektive Baukosten für den Betrieb

368 000

251 000

921 000

565 000

Effektive Baukosten pro GVE

20 444

13 944

18 420

11 300

32

39

Kostenvorteile in Prozent

Norwegen

entspricht Maximalbeitrag Quelle: Agroscope Baukostenerhebung 2012, SVV Art. 19, Gesetz Nr. 75, Art. 3, Abs.3; Ottesen et al. 2008, eigene Berechnungen und Darstellung

1)

Tab. 3 | Mindestmasse (in m) für Standplätze in Anbindeställen der beiden Länder pro Tier Breite Tiergrösse

Länge

Beschreibung

Kurzstand Schweiz1

Norwegen2

Langstand

CH

NO

CH

NO

klein

Widerristhöhe ab 1,2 m (CH), bis 350 kg (NO)

1

0,9

1,65

1,3

1,8

1,8

mittel

Widerristhöhe ab 1,3 m (CH), ab 350 kg (NO)

1,1

1

1,85

1,5

2

1,9

gross

Widerristhöhe ab 1,4 m (CH), über 500 kg (NO)

1,2

1,2

1,95

1,7

2,4

2,1

Quellen: 1)TschV, Anhang 1 2) Mattilsynet, 2010; eigene Darstellung

Tab. 4 | Vergleich der Preise (inkl. Mehrwertsteuer – dargestellt sind nur die Positionen mit grösseren Unterschieden) Produktionsfaktor Baustoffe

Beschreibung

Einheit

Schweiz

Norwegen

Chloridgehalt: 0,10

Fr./m3

Fichte

192–219

171–207

Fr./m3

100–108

60–70

100 kg

235–330

236–395

Fr./dt

62

53

Zentral gelegen

Fr./ha

600–800

700

abgelegen

Fr./ha

540

220

1-9

Standardbeton SN EN 206-1 Sägerundholz Flachstahl S235JR Futtermittel10,11,12 Milchleistungsfutter

Rohprotein: 17 %

Boden13 Pachtpreise Grünland

Quellen: 1)betonsor.no 2)heidelbergcement.com 3)holcim.com 4)wvs.ch 5)slf.dep.no 9) riedo.ch 10)beutler-muehle.ch 11)slf.dep.no 12)finn.no 13)IFCN-Bericht 2012

6)

bfs.ch

Dies führt tendenziell zu jüngeren und grösseren Gebäuden, die höhere Abschreibungen verursachen. Demgegenüber gibt es in Norwegen geringere Restriktionen im Bereich Tierschutz. Betrachten wir in Tabelle 3 die «Mindestmasse pro Tier» beim Anbindestall, so zeigt sich, dass die norwegischen Betriebe ihren Tieren deutlich weniger Platz zur Verfügung stellen müssen als die Schweizer Betriebe. In Norwegen erfolgt eine Gebäudeinvestition damit mehrheitlich nach ökonomischen Kriterien mit dem Ziel, die Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken (Flaten 2002), was bei einem gemässigten Strukturwandel eher zu älteren Gebäuden führt.

250

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 248–255, 2014

7)

ferroflex.ch

8)

norskstaal.no

Vergleich der Preise Ein umfangreicher Preisvergleich von Produktionsmitteln bestätigte das hohe Preis- und Lohnumfeld beider Länder. Tabelle 4 listet Preise von Produktionsmitteln und Investitionsgütern auf, die grössere Unterschiede aufweisen. Betroffen sind die Preise für Baustoffe, insbesondere für Holz, die in der Schweiz deutlich höher sind als in Norwegen. Lediglich beim Preis für Baustahl liegen beide Länder gleich auf. Der Vergleich der Anschaffungspreise für Maschinen zeigte für beide Länder relativ geringe Unterschiede. Ein grösserer Preisunterschied ist bei den verarbeiteten Futtermischungen (Kraftfutter) erkennbar. Kraftfut-


Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen? | Agrarwirtschaft

Tab. 5 | Kenndaten der Vergleichsbetriebe (IFCN-Bericht 2012; CH-18 = Schweizer Betrieb mit 18 Milchkühen, NO-35 = Norwegischer Betrieb mit 35 Milchkühen)

Milchkühe Landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) Besatzdichte

CH-18

CH-22

NO-20

Anzahl

18

22

20

NO-35 35

ha

22

23

27

30 0,86

Kühe/ha

0,82

0,96

0,74

Produzierte Milch

t/Jahr

105

141

146

213

Milchleistung

kg/Kuh

5820

6402

7314

6078

Kraftfutterkonsum

Kg/Kuh und Tag

Stallsystem

1,9

2

7,5

5,2

Anbindestall

Anbindestall

Anbindestall

Anbindestall

Weideperiode

Monate

5

6

4

5,5

Lohnansatz für eigene Arbeit

CHF/Akh

28

28

26,2

37,3

Bergregion

Hügelregion

Nord-Østerdalen

Jæren

Region Quelle: IFCN-Bericht 2012, eigene Darstellung

ter ist in der Schweiz deutlich teurer als in Norwegen. Bei den Pachtpreisen hat in beiden Ländern die geografische Lage der Fläche einen hohen Einfluss. Aufgrund der oft dezentralen Lage von norwegischen Betrieben lässt sich folgern, dass die Pachtpreise in der Schweiz im Durchschnitt höher sein dürften. Insgesamt kann festgehalten werden, dass auf Fremdkostenebene in erster Linie die Baustoffpreise und die Kraftfutterpreise den norwegischen Betrieben einen Kostenvorteil verschaffen. Daten für die Kostenerhebung Für den Vergleich der Produktionskosten pro kg Milch in der Schweiz und Norwegen werden die Daten aus dem IFCN herangezogen. Anhand von typisierten Betrieben können detaillierte Betriebsinformationen verglichen werden, während die Repräsentativität weitgehend gewährleistet bleibt (Deblitz 2005). Die Repräsentativität bezieht sich dabei auf eine gewisse Betriebsstruktur (Betriebsgrösse), ein Produktionssystem und/ oder eine bestimmte Produktionsregion. Die Grösse des Betriebes wird anhand der Anzahl Kühe meist so gewählt, dass sie der meistverbreiteten Betriebsgrösse entspricht (Hemme 2000). Im Falle von Norwegen und der Schweiz werden ausgehend von der Struktur eines Einzelbetriebes statistische Daten (Buchhaltungsdaten) einer entsprechenden Betriebsgruppe verwendet. Die Typisierung erfolgt in beiden Ländern nach ähnlichen Kriterien. Die Daten werden aufbereitet und in das Modell TIPICAL (Technology Impact Policy Impact Calculation Model) integriert, sodass für alle Betriebe im Netzwerk eine vergleichbare Kosten- und Leistungsanalyse erstellt wird. Auswahl der Betriebe In Tabelle 5 sind einige Kenndaten der ausgewählten Betriebe dargestellt. Der Betrieb mit 18 Milchkühen

(CH-18) liegt in der Bergregion und basiert auf Daten von 125 Buchhaltungsbetrieben (Mouron und Schmid 2011). Der Betrieb mit 22 Milchkühen (CH-22) stammt aus der Hügelregion und basiert auf Daten von 110 Buchhaltungsbetrieben. Beide Betriebe repräsentieren einen namhaften Anteil der Milchproduktion in der entsprechenden Region. Während die beiden Schweizer Betriebe grundsätzlich nach der Höhenlage differenziert sind, gelten bei den norwegischen Betrieben geografische Unterscheidungskriterien. Die weniger dicht besiedelte Region NordØsterdalen (NO-20) liegt abgelegen und weiter nördlich. Dies bedeutet für die Milchproduzenten zusätzlich erschwerte Bedingungen (kürzere Vegetationsdauer) und höhere Kosten, die jedoch durch höhere Produktepreise und höhere Direktzahlungen teilweise ausgeglichen werden. Mit 20 Kühen auf 27 ha ist NO-20 von der Besatzdichte her ziemlich extensiv. Das Milchleistungsniveau ist jedoch auffallend hoch, für die Region aber typisch. Der Betrieb NO-20 ist trotzdem am ehesten mit dem Betrieb aus der Schweizer Bergregion (CH-18) zu vergleichen. Betrieb NO-35 liegt in Jæren, am Meer im Südwesten Norwegens mit milderem Klima und Anschluss an eine Stadt, was tiefere Produktionskosten ermöglicht. Der Betrieb ist mit seinen 35 Milchkühen leicht grösser als die durchschnittlichen Milchbetriebe der Region. Er hat dank seiner klimatischen Vorteile eine höhere Besatzdichte und ist mit dem Anbindestall und dem ähnlichem Milchleistungsniveau grundsätzlich mit dem Schweizer Betrieb CH-22 aus der Hügelregion gut zu vergleichen − abgesehen von der grösseren Kuhanzahl. Obwohl beide Länder ein ähnliches Lohnniveau aufweisen, werden für die Betriebe unterschiedliche Ansätze gewählt, wobei insbesondere für Betrieb NO-35 aufgrund der zentralen Lage mit Fr. 37,2 ein deutlich höherer Ansatz als auf den Schweizer Betrieben festgelegt wird, denen eine einheitliche Bewertung von Fr. 28.−  zugrunde liegt (Gazzarin und Lips 2013).

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 248–255, 2014

251


Agrarwirtschaft | Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen?

Prozent abgenommen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Leistungsseite dieses Betriebs nicht korrigiert wurde, in der Annahme, dass die Leistungen mit der Bestandsgrösse proportional ansteigen. Dies ist im Falle der Direktzahlungen nur annähernd der Fall.

CHF/100 kg ECM

200 150 100

Resultate

50 0 CH-18 Direktzahlungen

NO-20

CH-22

CH-22korr

Nebenerlös aus Milchproduktion

NO-35 Milcherlös

Abb. 1 | Erlöse und Direktzahlungen (Leistungen) je 100 kg energiekorrigierte Milch (ECM).

In Tabelle 5 ist weiter ersichtlich, dass die norwegischen Betriebe bis zu viermal höhere Mengen an Kraftfutter verfüttern. Gemäss nationaler Statistik werden in der Schweiz pro Milchkuh 640–710 kg Kraftfutter pro Jahr verfüttert (SBV, Kraftfutterbericht 2011). In Norwegen liegt dieser Wert über 2200 kg Kraftfutter pro Kuh (Tine 2013).

40

80

35

70

30

60

CHF/100 kg ECM

CHF/100 kg ECM

Vergleichsbedingte Datenanpassungen Der Vergleich der Schweizerischen Betriebe mit den norwegischen Betrieben erfolgt durch eine einfache Gegenüberstellung der Kosten und Erlöse der einzelnen Betriebe im Vollkostenformat. Der Betrieb NO-35 weist gegenüber den beiden Schweizer Betrieben strukturelle Vorteile auf, die zu tieferen Kosten führen. Insofern muss der Struktureffekt sorgsam differenziert werden. Dies erfolgte über eine Korrektur, indem der Betrieb CH-22 auf 35 Kühe hochgerechnet wurde (CH22korr). Entsprechende Korrekturfaktoren für grössenrelevante Kostenpositionen (z.B. Maschinen, Gebäude, Arbeit) wurden anhand des Kalkulationsmodells für Milchproduktionssysteme (PARK) berechnet (Gazzarin und Schick 2004). So haben die Kosten für Maschinen, Gebäude, allgemeine Betriebskosten, Arbeit und Kapital pro kg Milch bei ««CH-22korr» zwischen 20 und 30

25 20 15 10 5 0

50 40 30 20 10

CH-18

NO-20

CH-22

CH-22korr NO-35 Besamungen Allg. Direktkosten (inkl. Tierzukauf) Futterzukauf Futterproduktion Tierarzt / Medikamente

Abb. 2 | Direktkosten je 100 kg energiekorrigierte Milch (ECM).

252

Kosten und Leistungen Die Ergebnisse beziehen sich auf Daten des Erhebungsjahres 2011. Alle Werte sind in Schweizer Franken pro 100 kg ECM (Energy Corrected Milk) umgerechnet. In den Abbildungen 1–5 sind die Leistungen, Direktkosten, fremde Strukturkosten, Opportunitätskosten (eigene Strukturkosten) und Gewinn/Verlust dargestellt. Bei der Interpretation der Ergebnisse werden jeweils CH-18 mit NO-20 und CH-22korr mit NO-35 verglichen. Betrachten wir die Leistungen der Betriebe (Abb. 1), so zeigt sich, dass die Schweizer Betriebe zwar einen etwas tieferen Milcherlös erreichen, jedoch mit leicht höheren Erlösen für Schlachtvieh und deutlich höheren Direktzahlungen insgesamt mehr Einnahmen generieren als ihre norwegischen Vergleichsbetriebe. Die Kostenstruktur bei den Direktkosten unterscheidet sich bei den beiden kleineren Betrieben erheblich (Abb. 2). Während der Schweizer Betrieb für den Futterzukauf (v.a. Kraftfutter) und für die Futterproduktion (Hilfsstoffe wie Dünger, Saatgut) deutlich weniger ausgibt als der norwegische Betrieb, liegt dieser bei den Tierarzt- und Medikamentenkosten und v.a. bei den allgemeinen Direktkosten (inkl. Tierzukauf) deutlich tiefer, was insgesamt zu einem Direktkostenvorteil des norwegischen Betriebes von rund 10 % führt. Beim Vergleich CH-22korr und NO-35 ist das Verhältnis ähnlich, ausser dass der Futterzukauf bei beiden Betrieben nahezu identisch ist. Auch hier stechen die grossen Unterschiede bei den allgemeinen Direktkosten ins Auge. Letztere können aufgrund fehlender Informationen nicht weiter analysiert

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 248–255, 2014

0

CH-18

NO-20

Weitere Kosten Versicherung

CH-22

CH-22korr

NO-35

Schuldzinsen Arbeitskosten fremd Energiekosten Maschinen Gebäude

Abb. 3 | Fremde Strukturkosten je 100 kg energiekorrigierte Milch (ECM).


100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

250 CHF/100 kg ECM

CHF/100 kg ECM

Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen? | Agrarwirtschaft

200 150 100 50

CH-18

NO-20

Zinsanspruch

CH-22

CH-22korr

Lohnanspruch

NO-35

0

CH-18

NO-20

Landkosten

Leistungen

CH-22

CH-22korr

NO-35

Totale Kosten

Abb. 4 | Eigene Strukturkosten je 100 kg energiekorrigierte Milch (ECM).

Abb. 5 | Leistungen und Kosten total je 100 kg energiekorrigierte Milch (ECM).

werden. Insgesamt liegen die Direktkosten beim norwegischen Betrieb NO-35 um knapp 25 % tiefer. Besonders deutliche Unterschiede ergeben sich bei den fremden (Abb. 3) und eigenen (Abb. 4) Strukturkosten. Auffällig sind dabei in erster Linie die Kostenunterschiede bei den Maschinen und bei den Gebäuden, die auf den kleineren Betrieben noch etwas ausgeprägter sind. Ebenfalls deutlich sind die Kostenunterschiede bei den Arbeitskosten − vor allem bei den beiden kleineren Betrieben. Tabelle 6 zeigt Arbeitszeitaufwand und Arbeitsproduktivität im Vergleich. Die höheren Arbeitskosten trotz tieferem Lohnansatz bei CH-22korr (im Vergleich zu NO-35) erklären sich durch die tiefere Arbeitsproduktivität. CH-18 weist mit 29 kg ECM pro eingesetzte Arbeitsstunde im Vergleich zu NO-20 eine um 40 % tiefere Arbeitsproduktivität auf. Bei CH-22korr liegt die Arbeitsproduktivität immer noch um 20 % unter derjenigen von NO-35. Der einzige, eher wenig relevante, Kostenvorteil der Schweizer Betriebe liegt bei den Kapitalkosten (Zinsanspruch und Schuldzinsen), die durch den günstigeren Zinssatz bedingt sind. Die übrigen Positionen weisen geringere Unterschiede auf und sollen nicht weiter analysiert werden. Abbildung 5 schliesslich zeigt, dass beide norwegischen Betriebe ihre Kosten mit den Produkterlösen und den Direktzahlungen decken können, während der Schweizer Bergbetrieb und der Schweizer Hügel-

betrieb einen mehr oder weniger deutlichen Verlust aufweisen. Erst der auf 35 Kühe hochkorrigierte Hügelbetrieb (CH-22korr) erreicht ebenfalls eine kostendeckende Produktion.

Diskussion Strukturbedingte Unterschiede Die Betriebsgrösse hat einen wesentlichen Einfluss auf die Kosten je Produkteeinheit. Während bei CH-22 der Struktureffekt durch eine Korrektur ausgeklammert werden konnte, ist beim kleineren Schweizer Bergbetrieb zu berücksichtigen, dass dieser aufgrund der deutlich tieferen Milchleistung je Kuh rund ein Viertel weniger Milch produziert als der Vergleichsbetrieb NO-20 (Tab. 5). Insofern ist festzuhalten, dass ein Grossteil der hohen Kostenunterschiede auf die höhere Milchmenge von NO-20 zurückgeführt werden kann. Die höheren Kosten beim Futterzukauf (trotz tieferer Kraftfutterpreise) und bei den Hilfsstoffen (Dünger) bestätigen die höhere Intensität von NO-20, der darum bei den Strukturkosten eine deutliche Senkung erreicht und so die Mehrkosten überkompensiert. Das grosse Ausmass der Unterschiede dürfte jedoch nicht ausschliesslich strukturbedingt sein. Dies zeigt auch CH22korr, der trotz Korrektur höhere Kosten aufweist als  NO-35.

Tab. 6 | Arbeitsaufwand und Arbeitsproduktivität (CH-22korr: Schweizer Betrieb mit 22 Kühen auf 35 Kühe hochgerechnet) Arbeit

Einheit

CH-18

CH-22

CH-22korr

NO-20

NO-35 2240

Arbeitsaufwand Arbeitsstunden Familie

h/Jahr

3009

2830

2635

Arbeitsstunden Fremd

h/Jahr

643

643

383

680

Arbeitsaufwand total

h/Jahr

3652

3473

3882*

3018

2920

Arbeitsproduktivität

kg ECM/h

29

41

58*

48

73

*intrapolierter Wert basierend auf PARK-Modellkalkulation: auf 35 Kühe hochgerechnet. Quelle: IFCN-Bericht 2012, eigene Darstellung

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 248–255, 2014

253


Agrarwirtschaft | Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen?

Preisbedingte Unterschiede Bei den Preisen für Kraftfutter und Baustoffe konnten grössere Unterschiede festgestellt werden. Die höheren Erstellungskosten der Gebäude können nur teilweise mit den höheren Baustoffpreisen in der Schweiz erklärt werden. Die vermutlich neueren und aufgrund der gesetzlichen Vorschriften vor allem grösseren Gebäude führen zusammen mit den vergleichsweise geringeren Investitionshilfen letztlich zu effektiven Bauinvestitionen, die in der Schweiz nach Abzug der Unterstützungszahlungen 47−63 % höher liegen als in Norwegen. Hinsichtlich Maschinen konnten ähnliche Anschaffungspreise festgestellt werden. Vergleicht man jedoch den Anteil an neugekauften Traktoren am Gesamtbestand (BFS 2013; SLV 2013), fällt auf, dass dieser in der Schweiz mit 2 % höher ist als in Norwegen (1,5 %; Kohler 2013), was auf einen jüngeren Maschinenpark mit höheren Abschreibungen hinweist. Im Weiteren dürften die Kostenunterschiede vor allem auch im Bereich der variablen Kosten begründet liegen (Unterhalt, Reparatur, Treibstoff, Arbeiten für Dritte), die auf Unterschiede im Maschineneinsatz hindeuten. Erstaunlich ist die Tatsache, dass der Betrieb CH-22korr höhere Arbeitskosten aufweist als NO-35, obwohl letzterer seine Arbeit mit 37,3 Fr./h deutlich höher entlohnt. Die Ursache muss somit ein höherer Arbeitseinsatz beziehungsweise ein unterschiedliches Produktionssystem sein. Systembedingte Unterschiede Die struktur- und preisbedingten Unterschiede zwischen den beiden Ländern erklären die Kostendifferenzen bei Gebäuden, Maschinen und Arbeit nicht hinreichend. Hinsichtlich der Maschinenkosten stellt sich die Frage, ob der Maschinenpark und der Maschineneinsatz in der Schweiz umfangreicher ist als in Norwegen. Tatsächlich müssen Schweizer Betriebe aufgrund des tieferen Kraftfuttereinsatzes nicht nur mehr, sondern auch qualitativ hochwertigeres Raufutter produzieren, um ähnliche Milchleistungen zu erreichen. Dies ist nur mit einer deutlich höheren Schnitthäufigkeit zu erreichen. Das wiederum stellt nicht nur höhere Anforderungen an den Maschinenpark hinsichtlich des Umfangs (Schlagkräftigkeit) und des technischen Zustands, sondern führt auch zu deutlich höheren variablen Kosten. Davon betroffen sind nicht nur Treibstoffkosten, sondern auch Lohn­ unternehmerkosten. Auch die unterschiedlichen Arbeitskosten können zu einem grossen Teil mit dem Fütterungssystem erklärt werden. Zwar ist die Betriebsgrösse respektive die Produktionsmenge der Haupteinflussfaktor der Arbeitsproduktivität. Daneben erhöht aber auch ein höherer Einsatz an Hilfsstoffen wie insbesondere Kraftfutter die Arbeitspro-

254

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 248–255, 2014

duktivität. Der hohe Aufwand bei der Raufutterproduktion führt damit nicht nur zu höheren Maschinenkosten, sondern folgerichtig auch zu einem höheren Arbeitszeitbedarf. Die norwegischen Betriebe profitieren so von den tieferen Kraftfutterpreisen, die ihre Direktkosten nicht übermässig belasten, dafür jedoch zu geringeren Strukturkosten führen. Der Effekt einer aufwändigen Raufutterkonservierung auf die Arbeits- und Maschinenkosten wurde bereits im Vergleich mit den österreichischen Betrieben festgehalten (Gazzarin et al. 2011). Auch die Gebäudekosten sind davon betroffen, da ein grösseres Grundfutterlager vonnöten ist.

Schlussfolgerungen Norwegen und die Schweiz weisen mehrheitlich ein ähnlich hohes Preis- und Lohnniveau auf. Wichtige Preisunterschiede sind bei den Baustoffen und beim Kraftfutter festzustellen. Die Preisdifferenzen können die Kostenunterschiede jedoch nicht hinreichend erklären, was schliesslich auf systembedingte Ursachen hindeutet. Zu erwähnen sind die höheren Anforderungen im Tierschutz, die zu höheren Investitionen führen. Relevant sind zudem die hohen Kraftfutterpreise in der Schweiz, die zu einem raufutterbetonten Fütterungssystem beitragen. Dieses führt wiederum zu deutlich höheren Strukturkosten im Bereich der Maschinen, der Arbeit und der Gebäude. Die höheren Kosten auf den Schweizer Betrieben werden mit einem erheblichen Anteil an Direktzahlungen entschädigt, wobei diese für eine Kostendeckung nicht ausreichen. Demgegenüber können die norwegischen Betriebe ihre Kosten mit höheren Milchpreisen weitgehend decken. Als Nettoexporteur ist der Spielraum für höhere Schweizer Preise beschränkt. Der geringere Kraftfutteraufwand könnte allenfalls zu einer höheren Zahlungsbereitschaft führen, sofern dies entsprechend wirksam kommuniziert würde. Auf der Kostenseite gilt es für die Produzenten, den Aufwand der Raufutterproduktion möglichst zu reduzieren, indem die Konservierung auf das Nötigste beschränkt wird und der Anteil an Frischfutter (Weide/ n Eingrasen) erhöht wird.


Produttori di latte: perché produrre in Svizzera costa di più che in Norvegia? Per quanto riguarda la produzione di latte, Svizzera e Norvegia hanno molto in comune: prezzi e salari elevati, condizioni naturali avverse e strutture di produzione analoghe. Un confronto dei costi basato sui dati dell'International Farm Comparison Network (IFCN) mostra che, nonostante le analogie, le aziende svizzere presentano costi di produzione più elevati. L'analisi delle voci di spesa ha portato alla luce varie differenze, in particolare in termini di costi delle strutture. Tale discrepanza può essere imputata ai prezzi più alti dei materiali da costruzione, ai volumi più ampi degli edifici, ai sostegni finanziari inferiori e alle ristrutturazioni più frequenti. I costi più elevati dei macchinari e del lavoro sono correlati in maniera indiretta con i prezzi più alti del foraggio concentrato che, di conseguenza, viene impiegato in misura significativamente inferiore dalle aziende svizzere. Garantire un'elevata qualità del latte pesa ulteriormente sulle spalle delle aziende svizzere, che devono produrre foraggio secco, con conseguente aumento dei costi per manodopera, macchinari e strutture. Per quanto concerne le misure di contenimento dei costi, la conservazione delle quantità di foraggio strettamente necessarie sortirà molto presto i suoi effetti.

Literatur ▪▪ Agroscope, 2012. Baukostenerhebung 2012. Zugang: http://www.agroscope.admin.ch/tierhaltung/06683/06935/index. html?lang=de [05.08.2013]. ▪▪ BFS, 2013. Gesamtbestand Landwirtschaftsfahrzeuge. Zugang: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/11/03/ blank/02/01/01.html), [13.06.2013]. ▪▪ Deblitz C., 2005. The International farm comparison network (IFCN) − bridging the gap between farmers, science and policy. Zugang: http://www.macaulay.ac.uk/elpen/work2/cdsab.html [05.08.2013]. ▪▪ Eurostat, 2011. Lohnniveau Europa. Zugang: http://epp.eurostat.ec.­­ europa.eu/portal/page/ portal/labour_market/earnings/database [17.06.2013] ▪▪ Flaten O., 2002. Alternative rates of structural change in Norwegian ­d airy farming: impacts on costs of production and rural employment. Journal of Rural Studies 18 (4), 429−441. ▪▪ Gazzarin C. & Schick M., 2004. Milchproduktionssysteme in der Talregion – Vergleich von Wirtschaftlichkeit und Arbeitsbelastung. FAT-Bericht 608. Agroscope, Ettenhausen. ▪▪ Gazzarin C., Brand R., Albisser G., Wettstein N. & Kirner L., 2011. Milchproduktion auf Berg- und Hügelbetrieben in der Schweiz und Österreich – ein Kostenvergleich. ART-Bericht 749. Agroscope, Ettenhausen. ▪▪ Gazzarin C. & Lips M., 2013. Berechnung und Grunddaten der Maschinenkosten. Agroscope, Ettenhausen. Zugang: http://www.maschinenkosten.ch [19.03.2014].

Summary

Riassunto

Milchbetriebe: Warum produziert die Schweiz teurer als Norwegen? | Agrarwirtschaft

Dairy farms: why does Switzerland spend more on production than Norway? Dairy production in Switzerland and Norway has a lot in common: a high price- and wage environment, difficult natural conditions and similar farm structures. A cost comparison using data from the International Farm Comparison Network (IFCN) shows that Swiss farms have higher production costs, however. Analysis of the cost positions pinpoints the differences mainly in the structural costs sphere. Higher construction costs can be explained by higher building material prices, greater building volumes, lower benefit payments and more-frequent building alterations. Higher machinery and labour costs are indirectly associated with the higher concentrate prices and the markedly lower use of concentrates on Swiss farms. To ensure similarly high milk yields, Swiss farms spend a comparatively high amount on roughage production, leading to higher labour, machinery and building costs. As far as cost-reduction efforts are concerned, forage conservation, i.e. limiting forage use to essential levels, is most likely to produce an impact. Key words: dairy, farm comparison, production systems, production costs, price comparison, Norwegian dairy farm, Swiss dairy farm.

▪▪ Hemme T., 2000. Ein Konzept zur international vergleichenden Analyse von Politik- und Technikfolgen in der Landwirtschaft. Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft, Braunschweig. ▪▪ Hemme T. (Hrsg.), 2003. IFCN Dairy Report 2003, IFCN Dairy Network, IFCN Dairy Research Center, Kiel. ▪▪ Hemme T. (Hrsg.), 2013. IFCN Dairy Report 2013, IFCN Dairy Network, IFCN Dairy Research Center, Kiel. ▪▪ Kohler M., 2013. Produktionskosten auf Milchproduktionsbetrieben in der Schweiz und Norwegen. Bachelorarbeit am Institut für Umweltentscheidungen IED, ETH Zürich. ▪▪ Mouron P. & Schmid D., 2012. Grundlagenbericht 2011. Agroscope, ­Ettenhausen. ▪▪ Ottesen B., Jakobsen A. & Finnes O.A., 2008. Sluttrapport − FLIS SOM LIGGEUNDERLAG FOR MELKEKU. Zugang: http://www.landbrukstjenesten.no/cms/index.php?option=com_docman&task=doc_ download&gid=177&&Itemid=82 [19.03.2014]. ▪▪ SBV, 2011. Stärkung der Versorgung mit Schweizer Kraftfutter (Kraftfutterbericht 2011). Schweizer Bauernverband, Brugg. Zugang: http://www. sbv-usp.ch/fileadmin/user_upload/bauernverband/Taetigkeit/Dossiers/ Futtermittel/Bericht_AG_Futtermittel_publiziert_d.pdf [19.03.2014]. ▪▪ SLV, 2013. Zulassungsstatistik 09/2013. Schweizerischer Landmaschinenverband, Bern. Zugang: http://www.slv-asma.ch/statistiken/ [16.6.2013]. ▪▪ Tine Rådgiving, 2013. Statistikksamling 2012. Tine Rådgiving, Ås. ▪▪ TSM Treuhand GmbH, 2013. Milchstatistik der Schweiz. Zugang: http://www.milchstatistik.ch [16.6.2013].

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 248–255, 2014

255


U m w e l t

ewässerungsbedarf und Wasserdar­gebot unter B Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse Jürg Fuhrer und Pierluigi Calanca Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8046 Zürich, Schweiz Auskünfte: Jürg Fuhrer, E-Mail: juerg.fuhrer@agroscope.admin.ch

Mobile Wasserentnahme zur Bewässerung aus einem Kanal im Broyetal (Foto: Jürg Fuhrer, Agroscope)

Einleitung Die Betriebszählung des Bundesamts für Statistik ergab, dass 2010 rund 36 000 ha der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) bewässert wurden (BFS 2012). Dies entspricht 3,4 % der gesamten LN. Die meisten Betriebe verwendeten Wasser aus Bächen, Flüssen und Seen (46 %) oder Grundwasser (37 %). Die «bewässerungsbedürftige» Fläche ist aber wesentlich grösser. Modellrechnungen für die ganze Schweiz ergaben für 26 % der gesamten LN eine «potenzielle» Bewässerungsbedürftigkeit, was bedeutet, dass auf dieser Fläche eine Bewässerung durchschnittlich mindestens in jedem dritten Jahr eine positive Wirkung auf den Ertrag hat (Fuhrer und Jasper

256

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 256–263, 2014

2009). Effektiv bewässert werden aber nur Kulturen, bei denen sich der Aufwand wirtschaftlich lohnt, z.B. bei Kartoffeln, Zuckerrüben, Mais oder Spezialkulturen. In den nächsten Jahrzehnten könnten viele Landwirte zur Sicherung von Ernteertrag und -qualität mit einem steigenden Bewässerungsbedarf konfrontiert sein. Klimaprojektionen für die Zeit um 2050 gehen bei einer Zunahme des atmosphärischen CO2 auf 530 ppm (A1B Emissionsszenario) von einer Temperaturerhöhung im Mittel um 3–4 °C und einer Niederschlagsabnahme im Sommer von 5–20 % aus (CH2011 2011). Gleichzeitig nehmen in vielen Gewässern die Abflüsse im Sommer deutlich ab (BAFU 2012). Zur Vermeidung von Konflikten bei Wasserknappheit bedarf es deshalb neuer


Lösungsansätze und Strategien der Wassernutzung, besonders in Regionen, in welchen sich das Verhältnis von Bedarf und Dargebot durch den Klimawandel in einen kritischen Bereich verschiebt. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, dieses Verhältnis für mittelgrosse Einzugsgebiete der Schweiz unter heutigen Klimabedingungen zu modellieren, um im Sinne einer Defizitanalyse besonders betroffene Regionen auszuscheiden. Für diese Gebiete wurde die Veränderung unter zwei Klimaszenarien für den Zeithorizont um 2050 berechnet.

Methoden Simulationen mit dem hydrologischen Modell WaSim-ETH Die Berechnungen für den Bewässerungsbedarf wurden mit Hilfe des hydrologischen Abfluss- und Wasserhaushaltsmodell WaSiM-ETH (www.wasim.ch) durchgeführt. Das Modell erlaubt eine zeit- und flächendetaillierte Simulation aller hydrologisch relevanten Wasserflüsse. Die Berechnung des Bewässerungsbedarfs entspricht einer bedarfsgesteuerten Simulation, bei welcher der Bedarf anhand der Reduktion der aktuellen Evapotranspiration (ET) gegenüber der potenziellen Evapotranspiration (ETP) bestimmt wird. Dazu wird über die mittlere Bodenfeuchte im durchwurzelten Bodenprofil das Verhältnis ET/ETP berechnet. Wie bereits in früheren Studien (Fuhrer und Jasper 2009; Fuhrer 2010) wurde eine bodenfeuchteabhängige Reduktion der aktuellen ET um 20 % als Auslöser für die Bewässerung festgelegt (ET/ETP = 0,80). Der Beginn von Trockenstress wird über einen vegetationsspezifischen Grenzwert der Bodenwasserspannung bestimmt. Dieser Grenzwert wurde für alle betrachteten Landnutzungsarten einheitlich auf 350 hPa festgelegt (pF-Wert: 2,54) (Fuhrer und Jasper 2009). Die Bewässerungsmenge ermittelt sich aus der Differenz zwischen der über die Wurzeltiefe gemittelten Bodenfeuchte beim Zielwert (ET/ETP = 1) und dem aktuellen Wert. Bewässerungsverluste wurden im Gegensatz zu Fuhrer (2012) berücksichtigt, indem die berechneten Mengen mit einer Bewässerungseffizienz von 70 % korrigiert wurden. Modell-Setup Analog zu Fuhrer und Jasper (2009) sowie Fuhrer (2010) wurden in einem ersten Schritt Modellrechnungen für die Einzugsgebiete von Thur, Emme, Broye, Rhone, Ticino und des Dischmabachs durchgeführt. Zur Identifizierung der Flächen (Acker, Grasland und Obstanbau) wurden die Daten der Arealstatistik 2004/09 (Stand: August 2011) und für noch nicht erfasste Gebietsanteile der Datensatz der Arealstatistik 1992/97 (BFS 2001) genutzt. In letzterem müssen Ackerflächen mittels Ablei-

Zusammenfassung

Bewässerungsbedarf und Wasserdar­g ebot unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse | Umwelt

Mit dem Klimawandel nimmt der Wasserbedarf landwirtschaftlicher Kulturen tendenziell zu. Dies führt zu einem höheren Bewässerungsbedarf. Gleichzeitig sinkt die Wasserverfügbarkeit, da im Sommer die Wasserstände in vielen Einzugsgebieten des Mittellandes zurückgehen. Um Gebiete mit einem erhöhten Risiko für Wasserknappheit zu identifizieren, wurde mit Hilfe eines hydrologischen Modells das Verhältnis des potenziellen Bewässerungsbedarfs zum Dargebot (verfügbares Wasser, Gebietsabfluss) für 39 Einzugsgebiete während 1981–2010 berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass in Extremjahren wie 2003 in einzelnen Regionen das Dargebot schon heute unge­ nügend ist. Mit dem Klimawandel spitzt sich diese Situation zu und führt vermehrt zu Wasserknappheit, wie Modellierungen für ausgewählte Gebiete anhand von zwei Klimaszenarien für die Periode 2036–2065 zeigen. In den Einzugsgebieten von GlattTöss, Birs, oder Broye-Mentue steigt die Häufigkeit der Jahre mit Wasserknappheit im Falle eines starken Klimawandels um ein Vielfaches an. In diesen Gebieten sind Massnahmen für eine angepasste Wasser­ bewirtschaftung angesagt, die sowohl den Schutz der Gewässer als auch die Ansprüche der Landwirtschaft berücksichtigen.

tungsverfahren bestimmt werden (Fuhrer und Jasper 2009). Man spricht daher auch von «potenziell nutzbarem Ackerland», das in seiner Lage und Ausdehnung von den tatsächlich ackerbaulich genutzten Flächen abweichen kann. Die Modellrechnungen erfolgten als kontinuierliche Tageswertsimulationen in einer Auflösung von 500 m × 500 m, ohne spezifische Parameterwerte für einzelne Kulturarten, d.h. mit mittleren Parameterwerten zur phänologischen Beschreibung des Bewuchses von Ackerkulturen und Grasland sowie von Obstanbauflächen. Für Grasland wurden jeweils drei Grasschnitte pro Vegetationsperiode vordefiniert, wobei diese Termine je nach Höhenlage variierten. Kalibrierung und Verifikation des Modells erfolgten aufgrund gemessener Abflussdaten (Fuhrer und Jasper 2009). Für die Aufskalierung der gebietsspezifischen Bewässerungsmengen auf die gesamte LN wurde im zweiten Schritt die in Fuhrer (2010) beschriebene 

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Umwelt | Bewässerungsbedarf und Wasserdar­g ebot unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse

Tab. 1 | Landwirtschaftlich genutzte Flächenanteile (LN) in den ausgewählten Hotspot-Gebieten Thur

Emme

Glatt-Töss

Birs

BroyeMentue

(km2)

1758

939

862

911

755

(%)

57

52

42

42

67

Gebiet Gesamtfläche Anteil LN Ackerland

(ha)

36 100

17 800

18 400

10 500

35 000

Grasland

(ha)

60 300

30 500

16 200

27 000

14 900

Obstanbau

(ha)

4200

800

1200

700

700

Methode der Mehrfachregression verwendet. Diese berücksichtigt die Abhängigkeit des Wasserbedarfs von Klima, Topographie und Bodeneigenschaften.

(a)

3,5 3,0 2,5

ETHZ

2,0 1,5 1,0 0,5 0,0

SMHI Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

1,15

Abschätzung des Dargebots Das Dargebot an Bewässerungswasser in öffentlichen Fliessgewässern wurde anhand von beobachteten Abflussvolumina abgeschätzt (Daten: http://www.bafu. admin.ch). Dazu wurden von den Abflussstationen für jede Region die monatlichen Abflusssummen bestimmt. Neu wurde eine gesetzlich vorgeschriebene Restwassermenge verwendet, welche die Abflussmenge definiert, die in 95 % aller Fälle erreicht oder überschritten wird (Q347; BUWAL 2000). Die Berechnung des Q347 erfolgte auf Basis einer 30-jährigen Reihe mit Tageswerten. Für den Projektionszeitraum 2036–2065 wurden die Q347Werte für die Hotspot-Gebiete anhand der simulierten Abflussreihen bestimmt. Klimadaten und -szenarien Für das Referenzklima wurde das Zeitfenster 1981–2010 gewählt, das die aktuelle Referenzperiode in der Klimamodellierung darstellt (CH2011 2011). Die Projektionen für die Zeitspanne 2036–2065 basierten auf dem Emissionsszenario A1B (Nakicenovic und Swart 2000). Im EUProjekt ENSEMBLES (van der Linden und Mitchell 2009) kamen mehr als 30 verschiedene Modellkombinationen, d.h. Modellketten bestehend aus einem globalen Klima-

(b) Änderung im Niederschlag (rel.)

4,0

Änderung der Globalstrahlung (rel.)

Änderung der Temperatur (ºC)

Einzugsgebiete Die Ausgrenzung individueller Einzugsgebiete wurde auf Basis von zwei Flächendatensätzen durchgeführt: Mit Hilfe des RIMINI-Höhenmodells (swisstopo 2004) wurden für ausgewählte Abflussstationen die zugehörigen Entwässerungsgebiete bestimmt und mit Daten aus der «Einzugsgebietsgliederung Schweiz» (BAFU 2011) ergänzt. Hierzu wurden Datensätze aus der Aggregationsebene 1000 km² berücksichtigt. Insgesamt wurden 39 Regionen ausgegrenzt mit Flächen zwischen 526 und 1722 km² und einem Anteil der LN zwischen 6 % und 66 %. Gebiete mit einem erhöhten Bedarf relativ zum Dargebot unter heutigen Klimabedingungen, einem bedeutenden Anteil LN (42–67 %) und mit allen drei Nutzungskategorein (Ackerland, Grünland und Obstanbau), wurden erweiterten Modellrechnungen und Analysen unterzogen («Hotspot»-Gebiete; Tab. 1). Zwei dieser Gebiete (Emme und Birs) wurden unverändert aus der ursprünglichen Einteilung übernommen. Die restlichen drei Gebiete (Thur, Glatttal-Tösstal und Broye-Mentue) erfuhren hingegen eine Gebietsausdehnung. Für Thur und Töss wurden auch ihre jeweiligen Mündungsareale, bei Broye-Mentue zusätzlich auch die Zuflussbereiche zum Murten- und Neuenburgersee, auf-

genommen. Für diese Gebiete wurde eine eigene Modellkalibration und -verifikation durchgeführt und anschliessend Bedarf und Dargebot für zukünftige Klima­bedingungen (2036–2065) berechnet.

1,10 1,05 1,00 0,95 0,90 0,85 0,80

Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

1,2

(c)

1,1 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5

Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Abb. 1 | Monatsmittel der erwarteten Änderung in Temperatur (a), Niederschlag (b) und Globalstrahlung (c). Dargestellt sind die Mittelwerte der fünf Hotspot-Regionen für den Zeitraum 2036–2065 aufgrund der zwei Klimaszenarien ETHZ (blau) und SMHI (rot).

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Bewässerungsbedarf und Wasserdar­g ebot unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse | Umwelt

Bedarf vs. Dargebot (%) <1 1–2 2–5 5–10 10–15 15–25

> 25

Abb. 2 | Verteilung des regionalen Verhältnisses von Bewässerungsbedarf und Dargebot ­( Abflussvolumen) für die Sommermonate (Juni–August) der Periode 1981–2010 (mit Regions­ nummerierung).

modell (GCM) und einem daran gekoppelten regionalen Klimamodell (RCM) zum Einsatz (http://ensemblesrt3. dmi.dk; Christensen et al. 2010). Die Klimaprojektionen von zwei dieser Modellketten wurden hier verwendet, um eine obere beziehungsweise untere Grenze möglicher Klimaentwicklungen darzustellen: ETHZ-CLM (nachfolgend als ETHZ bezeichnet) und SMHIRCA-BCM (nachfolgend als SMHI bezeichnet). Die Szenarien standen in einer Auflösung von 25 km als mittlere monatliche Abweichung zur Referenz (Delta-Werte) für Temperatur, Niederschlag und Strahlung zur Verfügung (Abb. 1). Mit ETHZ sind die Sommermonate deutlich wärmer und auch niederschlagsärmer. Mit SMHI sind die Tendenzen ähnlich, aber deutlich weniger stark ausgeprägt. Der stärkste Temperaturanstieg wird mit ETHZ für August berechnet, mit SMHI für Dezember. Die jahreszeitliche Mitteltemperatur erhöht sich bei ETHZ um etwa 2,6 °C; bei SMHI liegt diese Schätzung bei etwa 1,2 °C. Im Mittel über alle HotspotGebiete beträgt der Rückgang des Niederschlags mit ETHZ 22 % (Juni–August). Im Vergleich dazu fällt die sommerliche Niederschlagsabnahme im SMHI-Szenario deutlich geringer aus (–8 %). Der Jahresgang der Änderung zeigt für SMHI eine markante Erhöhung ausserhalb der Sommerzeit. Fürs ganze Jahr wird von SMHI eine leichte Zunahme der Jahresniederschläge (+4 %), mit ETHZ eine mittlere Abnahme um 8 % projiziert. Für die Verdunstung ist zusätzlich zur Temperatur auch die Zunahme der Strahlung während der Sommermonate mit maximal 10 % im Juli (ETHZ) relevant.

Resultate Bedarf vs. Dargebot – Referenzperiode Im Durchschnitt der Jahre 1981–2010 liegen die Werte für den potenziellen Bedarf während der kritischen Sommermonate Juni–August in der Mehrzahl der Einzugsgebiete unter 1 % des Dargebots und maximal bei 16 % (Broye-Mentue). Die Lage der Gebiete mit Werten über 1 % ist aus Abbildung 2 ersichtlich. Im Extremjahr 2003 sieht die Situation anders aus; in mehreren Gebieten werden Werte von über 100  % erreicht (Abb. 3). Aufgrund der Rangfolge für 2003 lassen sich Regionen mit einem besonders hohen Risiko für Wasserknappheit leicht erkennen. Die Lage der Gebiete mit erhöhten Werten ist in Abbildung 4 erkennbar. Gebiete mit einem potenziellen Bedarf von 30–60 % gegenüber dem Dargebot sind insbesondere das Glatt-Töss-Gebiet, die Zuflussgebiete zum Neuenburger- und Bielersee (Orbe-Areuse-Seyon-Suze) und das Doubs-Gebiet. Der Vergleich von Bedarf und Dargebot setzt allerdings voraus, dass jede landwirtschaftliche Fläche durch Flusswasser bewässert werden kann, was in der Praxis jedoch kaum gewährleistet sein dürfte (lange Transportwege etc.), und keine Grundwasservorkommen genutzt werden. Bedarf vs. Dargebot – 2050 Für diese Defizitanalyse gilt es zu berücksichtigen, dass die Belastungssituation in Extremjahren nicht nur von der Zunahme der Verdunstung, sondern auch stark vom

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800 700 600

Bedarf/Dargebot (%)

500 400 300 200 100 0 31 37 20 39 32 34 19 18 30 22 29 10 33 36 11 25 13 21 3 35 38 14 1 28 17 8 7 24 16 27 15 12 2 4 5 9 23 26 6 Region Abb. 3 | Rangfolge des Verhältnisses von Bedarf und Dargebot für die einzelnen Einzugsgebiete im Trockenjahr 2003. Karte: Lage der ausgegrenzten Einzugsgebiete mit den zugehörigen Abflussstationen (Kreise).

Abflussregime abhängt. Da in einzelnen Monaten das Dargebot (= Abfluss) auf 0 sinkt, wurde hier die Differenz von Dargebot und Bedarf (= Defizit) betrachtet. Wird diese Differenz negativ, so bedeutet dies, dass unter Berücksichtigung von Q347 der Bedarf an Bewässerungswasser nicht mehr durch Entnahmen aus den Flüssen gedeckt werden kann. In der Mehrzahl der betrachteten 30 Jahre (Medianwert) ist dies in keiner

Region der Fall, auch nicht in den Szenarien-Simulationen mit SMHI (Abb. 5). Einzelne kritische Jahre während der Referenzperiode treten in den Regionen der Birs und der Broye-Mentue auf und widerspiegeln die Situation im Jahr 2003. Mit dem «extremen» Szenario (ETHZ) nimmt die Anzahl der Unterschreitungen deutlich zu, insbesondere in den beiden oben erwähnten Regionen. Betrachtet man die Häufigkeit (%) der Jahre, in welchen

Bedarf vs. Dargebot (%) <1 1–2 2–5 5–10 10–15 15–25

> 25

Abb. 4 | Regionale Verteilung des Verhältnisses von Bewässerungsbedarf und Dargebot (Abflussvolumen) im Sommer (Juni–August) des Jahres 2003 (mit Regionsnummerierung).

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Bewässerungsbedarf und Wasserdar­g ebot unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse | Umwelt

600 Referenz, 1981 – 2010

500

Dargebot-Bedarf (Mio m 3)

SMHI, 2036 – 2065 400

ETHZ, 2036 – 2065

300 200 100 0 -100 -200 Thur

Emme

Glatt-Töss

Birs

BroyeMentue

Abb. 5 | Differenz zwischen Dargebot und Bedarf in den Hotspot-Gebieten für die Referenzperiode und unter dem milden (SMHI) und dem starken (ETHZ) Klimaszenario. Dargestellt sind Median, 25/75-%-Quantile (Box), 5/95-%-Quantile (Whiskers) sowie die Extremwerte (Punkte). Werte im farblich hinterlegten Bereich bedeuten Wasserknappheit.

die Differenz negativ ist, so ergibt dies eine Quantifizierung des regionalen Risikos für Wasserknappheit. Mit dem ETHZ-Szenario steigt dieses Risiko stark an, z.B. in der Birs-Region von ca. 7 % auf 83 %. Mit dem SMHI-Szenario gibt es keinen oder einen geringen Anstieg.

Diskussion Insgesamt ist der Wasserbedarf für die Bewässerung in der Schweizer Landwirtschaft bescheiden. Schätzungen gehen von jährlich 144 Mio m3 (Weber und Schild 2007) beziehungsweise 150 Mio m3 (Fuhrer 2010) aus. Zum Vergleich: Die gesamte Wasserabgabe der öffentlichen Wasserversorgungen im Jahr 2012 betrug 935 Mio m3 (http://www.svgw. ch), und der Gesamtabfluss des Landes beträgt durchschnittlich 53 km3 pro Jahr (Blanc und Schädler 2013). Trotz dieses scheinbaren Überangebots an Wasser kommt es periodisch zu regionalen Engpässen, verbunden mit zeitlich beschränkten Entnahmeverboten. Diese Situationen könnten im Zuge des Klimawandels häufiger werden. Mit der vorliegenden Studie wurde versucht, anhand einer

Defizitanalyse besonders betroffene Regionen zu eruieren. Dazu wurde ein Vergleich zwischen dem potenziellen Bewässerungsbedarf und dem nutzbaren Wasserdargebot durchgeführt. Aus Gründen der Datenverfügbarkeit wurde das Dargebot vereinfachend mit der Wasserführung in den Flüssen gleichgesetzt (ohne Berücksichtigung von Seen oder Grundwasserreservoirs), und es wurde keine Einschränkung im Zugang zu Wasserquellen berücksichtigt. Durch die Berücksichtigung einer Restwassermenge (Q347) wird im Vergleich zu den Daten von Fuhrer (2012) die nutzbare Wassermenge kleiner und mit nur 70 % Bewässerungseffizienz der Bedarf entsprechend höher. Die Auswertung der Simulationen zeigt, dass in Trockenjahren wie 2003 Regionen wie Broye-Mentue, GlattTöss und Birs vor Problemen in der Deckung ihres landwirtschaftlichen Wasserbedarfes stehen könnten. Mit dem Klimawandel nimmt das Risiko für solche Situationen zu und betrifft auch andere Regionen mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung. Die Klimaszenarien weisen in Richtung eines mittleren Niederschlagsdefizits im Sommer, was bei einer Zunahme der potenziellen Ver- 

Tab. 2 | Häufigkeit (%) der Jahre, in denen der Wasserbedarf regional höher ist als das -dargebot in der jeweils 30-jährigen Periode Szenario

Thur

Emme

Glatt-Töss

Birs

Broye-Mentue 26,7

Referenz (1981-2010)

3,3

3,3

6,7

6,7

SMHI (2036-2065)

3,3

10

6,7

33,3

26,7

ETHZ (2036-2065)

10

36,7

53,3

83,3

83,3

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Umwelt | Bewässerungsbedarf und Wasserdar­g ebot unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse

dunstung den Bedarf an Zusatzbewässerung steigert, bei gleichzeitiger Abnahme des Abflussvolumens. Im Extremfall (ETHZ) tritt Wasserknappheit bis zur Mitte des Jahrhunderts in 10 % (Thur) bis über 80 % (Birs, Broye-Mentue) der Jahre auf. Besonders betroffen vom Rückgang der Abflüsse im Sommer sind Regionen mit einem mittelländischen oder jurassischen Abflussregime (BAFU 2012; Blanc und Schädler 2013). Allerdings ist zu beachten, dass es sich hier um Schätzungen eines potenziellen Bewässerungsbedarfs handelt. Genauere Abschätzungen des aktuellen Bewässerungsbedarfs wären unter Verwendung kulturspezifischer Inputdaten möglich, und müssten sich auf die bewässerungswürdigen Kulturen beschränken. Zudem bestehen Unsicherheiten bei den landesweit verwendeten Daten zu Bodeneigenschaften und auch bezüglich der Klimaszenarien. Unberücksichtigt bleibt ausserdem die Niederschlagsverteilung, beziehungsweise die von den Szenarien angegebene Zunahme in der Länge der Trockenphasen (aufeinander folgende Tage ohne nennenswerte Niederschläge) im Sommer, und schliesslich die Möglichkeit, dass mit steigender CO2-Konzentration die Effizienz der Wasserausnutzung der Pflanzen steigt.

Literatur ▪▪ BFS, 2001. Bodennutzung im Wandel: Arealstatistik Schweiz. Bundesamt für Statistik, Neuenburg. 32 S. Zugang: http://www.bfs.admin.ch/bfs/ portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=796 [03.03.14]. ▪▪ BFS, 2012. Landwirtschaftliche Betriebszählung: Zusatzerhebung 2010. Medienmitteilung. Bundesamt für Statistik, Neuenburg. Zugang: http:// www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=44014 [03.03.13]. ▪▪ BAFU, 2011. EZGG-CH – Einzugsgebietsgliederung Schweiz. Produkt­ dokumentation. Bundesamt für Umwelt, Bern. 27 S. ▪▪ BAFU, 2012. Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer. Synthesebericht zum Projekt «Klimaänderung und Hydrologie in der Schweiz» (CCHydro). Umwelt-Wissen Nr. 1217. Bundesamt für Umwelt, Bern. 76 S. ▪▪ Blanc P. & Schädler B., 2013. Das Wasser in der Schweiz – ein Überblick. Schweizerische Hydrologische Kommission, Bern. 28 S. ▪▪ BUWAL, 2000. Angemessene Restwassermengen – Wie können sie ­b estimmt werden? Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern. 139 S. ▪▪ CH2011, 2011. Swiss Climate Change Scenarios CH2011. Hrsg: C2SM, ­M eteoS-wiss, ETH, NCCR Climate, und OcCC, Zürich. 88 S. Zugang: http://www.bafu.admin.ch/publikationen/publikation/00402/index. html?lang=de [03.03.14]. ▪▪ Fuhrer J., 2010. Abschätzung des Bewässerungsbedarfes in der Schweizer Landwirtschaft. Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 26 S. Zugang: http://www.agroscope.admin.ch/publikationen/einzelpublikation/index.html?lang=de&aid=26436&pid=26884&vmode=fa ncy [03.03.14].

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Die Ergebnisse sollten dementsprechend nicht in ihrer Absolutheit, sondern eher als Basis für regional differenzierte Risikobetrachtungen verwendet werden.

Schlussfolgerungen Trotz methodischer Einschränkungen ergeben sich aus den Ergebnissen Erkenntnisse, die für die weitere Diskussion möglicher Massnahmen im Bereich der Gewässerbewirtschaftung und insbesondere der landwirtschaftlichen Ansprüche wertvoll sein können. Zur Vermeidung von möglichen Konfliktsituationen und zur Schonung der Gewässer sind in Risikoregionen angepasste, vorsorgliche Massnahmen vordringlich. Dazu gehören Anpassungen bei der Bewirtschaftung (u.a. Kulturen-, Sorten- und Standortwahl, Bodenbearbeitung etc.) (Fuhrer et al. 2013) oder im Bereich der Infrastruktur (u.a. Zuleitungen) für zusätzliche Bewässerung mit Wasser aus grösseren Reservoiren (Seen, grosse Flüsse). n Dank

Die Modellrechnungen wurden mit Unterstützung von Karsten Jasper durchgeführt und vom Bundesamt für Landwirtschaft finanziell gefördert.

▪▪ Fuhrer J., 2012. Bewässerungsbedarf und Wasserdargebot unter heutigen und künftigen Klimabedingungen. Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 46 S. Zugang: http://www.agroscope.admin.ch/publikationen/einzelpublikation/index.html?lang=en&aid=29699&pid=29493 [03.03.14]. ▪▪ Fuhrer J. & Jasper K., 2009. Bewässerungsbedürftigkeit von Acker- und Grasland im heutigen Klima. Agrarforschung 16, 396–401. ▪▪ Fuhrer J., Tendall D., Klein T., Lehmann N. & Holzkämper A., 2013. Water demand in Swiss Agriculture – Sustainable Adaptive Options for Land and Water Management to Mitigate Impacts of Climate Change. ART Schriftenreihe 19, 56 S. ▪▪ Nakicenovic N. & Swart R., 2000. IPCC Special Report on Emission Scenarios, Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge University Press, Cambridge, UK. 570 S. ▪▪ Nash J.E. & Sutcliffe J.V., 1970. River flow forecasting through conceptual models. Part I. A discussion of principles. Journal of Hydrology 10, 282–290. ▪▪ Swisstopo, 2004. RIMINI – Das preisgünstige digitale Höhenmodell der ganzen Schweiz. Bundesamt für Landestopografie, Wabern. ▪▪ van der Linden P. & Mitchell J.F.B. (eds.), 2009. ENSEMBLES: Climate Change and its Impacts: Summary of research and results from the ­ENSEMBLES project. Met Office Hadley Centre, FitzRoy Road, Exeter EX1 3PB, UK. 160 S. ▪▪ Weber M. & Schild A., 2007. Stand der Bewässerung in der Schweiz. ­B ericht zur Umfrage 2006. Bundesamt für Landwirtschaft, Bern. S. 17ff.


Esigenza d’irrigazione e disponibilità di risorse idriche in presenza di cambiamenti climatici: un'analisi dei deficit a livello regionale Con i cambiamenti climatici, il fabbisogno idrico delle colture tenderà ad aumentare, accrescendo l’esigenza d’irrigazione. Allo stesso tempo la disponibilità di risorse idriche diminuirà, poiché in estate il livello d'acqua in molti bacini idrografici dell'altopiano è destinato a calare. Al fine di identificare le regioni a maggior rischio di penuria d'acqua, è stato calcolato con l'aiuto di un modello idrologico il rapporto fra il fabbisogno irriguo potenziale e la disponibilità di risorse (deflusso regionale) per 39 bacini idrografici, nel periodo compreso fra il 1981 e il 2010. I risultati rivelano che in anni estremi come il 2003 le risorse idriche di alcune regioni sono già oggi insufficienti. Il cambiamento climatico non farà che aggravare questa situazione, riducendo ulteriormente la disponibilità d'acqua, come mostrano simulazioni effettuate sulla base di due scenari climatici validi per il periodo 2036–2065. Nei bacini idrografici dei fiumi Glatt-Töss, Birs o Broye-Mentue la frequenza di anni caratterizzati da penuria d'acqua aumenterà notevolmente in presenza di un cambiamento climatico marcato. In queste regioni è pertanto necessario adottare misure volte a un utilizzo oculato delle risorse idriche, al fine di tutelare i corsi d’acqua e soddisfare le esigenze dell'agricoltura.

Summary

Riassunto

Bewässerungsbedarf und Wasserdar­g ebot unter Klimawandel: eine regionale Defizitanalyse | Umwelt

Irrigation requirement and available water supply under changing climatic conditions: a regional deficit analysis As the climate changes, the water requirement of agricultural crops tends to increase. This leads to a higher irrigation requirement. At the same time, water availability falls, since water levels in many catchment areas of the Swiss Central Plateau decline in the summer. In order to identify areas with an increased risk of water shortage, a hydrological model was used to calculate the ratio of the potential irrigation requirement to the available supply (regional outflow) for 39 catchment areas during the period 1981–2010. The results show that in years with extreme climatic events such as 2003, the available supply in individual regions is already insufficient. Climate change causes this situation to intensify, leading in many cases to water shortages, as shown by modelling for selected areas based on two climate scenarios for the period 2036–2065. In the catchment areas of Glatt-Töss, Birs and Broye-Mentue, the frequency of water-shortage years rises many times in the event of dramatic climate change. In these areas, there is a demand for measures for appropriate water management which take account of the protection of waters as well as the demands of agriculture. Key words: agriculture, climate change, irrigation, water availability.

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P o r t r ä t

Sokrat Sinaj, ein Agronom ohne Grenzen Der Werdegang jedes Ingenieur-Agronoms ist einzigartig… jener von Sokrat Sinaj, seit 2007 Projektleiter im Bereich «Pflanzenernährung» bei Agroscope und internationaler Experte in seinem Forschungsgebiet, ist in vielfacher Hinsicht untypisch. Sokrat Sinaj wurde in den 50er Jahren im kommunistischen Albanien als Sohn eines Ingenieur-Agronoms geboren. Das Agronomiestudium wählte er aus persönlichem Interesse, aber auch in der Hoffnung, das damals geschlossene Land verlassen zu können. Dafür musste er aber zu den Besten gehören! Eine Herausforderung, die geschaffen war für Sokrat Sinaj. Seit seiner Kindheit war er getragen vom Stolz seiner Eltern. Seine Ziele waren immer hoch angesetzt. Sokrat Sinaj ist in einem Dorf im Süden von Albanien aufgewachsen, im engen Kontakt mit der Natur. Sein Vater war Leiter einer staatlichen landwirtschaftlichen Kooperative (Kolchose). «Es war ganz normal, dass ich das gleiche Studium machen wollte wie er. Die Agronomie war für mich das Mittel, um die Welt zu ernähren, aber auch eine Wissenschaft, welche grenzüberschreitend und frei von politischen Einflüssen war. In meiner Jugend konnte man das italienische Fernsehen empfangen und ich erfuhr, dass die Jugendlichen in anderen Ländern reisen konnten. Bei uns war die Ausreise verboten. In gut situierten Familien studierte man Recht, Medizin oder Wirtschaft, um in der Gesellschaft aufsteigen zu können; aber es war ausgerechnet die Agronomie, die normalerweise als Wissenschaft des Volkes gilt, die es mir erlaubt hat, ein Stipendium für Frankreich zu erhalten». Warum Frankreich? Weil Enver Hoxha, der damalige Diktator, selber in Frankreich studiert hatte... und entschied, dass jedes Jahr eine Anzahl Albaner (etwa dreissig aus den verschiedensten Studienrichtungen) dort ihr Studium fortsetzen durften. Im Jahr 1988 verliess der junge Agronom also seine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bodenkunde in Tirana und flog nach Frankreich... Bei der Arbeit lernte er Französisch und erhielt den Master in Agrarwissenschaften an der Ecole nationale supérieure d’agronomie et des industries alimentaires in Nancy. Dort folgte im Jahr 1993 ein Doktorat in Agrarwissenschaften am Institut national polytechnique de Lorraine. 1994 erhielt sein Doktorvater, Emmanuel Frossard, eine Professur an der ETH Zürich und fragte ihn, ob er in seiner Gruppe arbeiten möchte. Die beiden arbeiteten zwölf Jahre lang zusammen am Departement für Agrarund Lebensmittelwissenschaften. Sokrat Sinaj leitete eine Forschungsgruppe und war «senior scientist» am

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Lehrstuhl für Pflanzenernährung. Während seiner letzten Jahre an der ETH Zürich arbeitete der Forscher teils in der Schweiz, teils in Albanien, wo er vom albanischen Parlament zum Leiter der Staatlichen Agentur für Eigentumsrückgabe und Entschädigung in der Landwirtschaft gewählt wurde. Als seine Zeit an der ETH Zürich zu Ende ging, wollten sich Sokrat Sinaj und seine Familie in der Westschweiz niederlassen. Er erhielt eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Agroscope – eine neue Tätigkeit, die ihm grosse Befriedigung bringt: die Möglichkeit, Nachwuchs auszubilden, was ihm ein grosses Anliegen ist, sowie die Gewissheit, das Wissen in seinem Fachgebiet vorantreiben zu können. Eines seiner Forschungsprojekte (Einsatz von Holzasche als neue Nährstoffquelle für die Landwirtschaft) ist sehr erfolgversprechend und Gegenstand eines Artikels in dieser Ausgabe (siehe S. 232). Der berufliche Werdegang von Sokrat Sinaj ist sehr vielfältig und lang. Dieses Portrait beschreibt davon nur einige wenige Facetten. Begleitet hat ihn bis heute seine Lebensphilosophie: der Stolz und der Ehrgeiz seines Vaters, die er seinen zwei erwachsenen Söhnen weitergibt, immer auf der Suche nach Bestleistungen. «Wir durften in die Schweiz kommen. Darum müssen wir uns umso mehr anstrengen, um besser zu sein als die anderen. Denn wofür bräuchte uns denn sonst die Schweiz?». Sibylle Willi, Agrarforschung Schweiz


A k t u e l l

Neue Publikationen

Synthese NutriScope 2011 – 2013

Agroscope Science Nr. 1 | März 2014

Synthese NutriScope 2011 – 2013 Technisch-wissenschaftliche Informationen Autoren Pascale Mühlemann Ueli Bütikofer

Agroscope Science Nr. 1 / März 2014 In den Jahren 2011–2013 konzentrierten sich die Forschungsarbeiten im Rahmen von NutriScope betreffend Ernährung im Wesentlichen auf Milch und Milchprodukte, Fleisch und Fleischprodukte sowie pflanzliche Lebensmittel. Weitere Forschungsbereiche waren Nutrigenomik/ Nutrigenetik/Nutriepigenetik, Lebensmittelsicherheit und -qualität, Salz, Sensorik und Konsumentenforschung sowie die Ökobilanzierung von Lebensmitteln. Die vorliegende, zweite Synthese fasst die Inhalte der in den Jahren 2011–2013 durchgeführten bzw. publizierten Arbeiten im Rahmen des Agroscope Forschungsprogramms NutriScope auf dem Gebiet der Ernährung zusammen (www.nutriscope.ch). Eine erste Synthese wurde im März 2011 zu den in den Jahren 2008–2010 publizierten Arbeiten im Rahmen von NutriScope veröffentlicht. Nachfolgend sind die Haupterkenntnisse aus den Arbeiten zusammengefasst, die im Rahmen von NutriScope 2011–2013 auf dem Gebiet der Ernährung durchgeführt bzw. publiziert wurden. Pascale Mühlemann und Ueli Bütikofer, Agroscope Agroscope Science erscheint nur in elektronischer Form. Download im PDF-Format: www.agroscope.ch > Publikationen

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Aktuell

Medienmitteilungen

www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen 29.04.2014 Leicht sinkende Treibhausgas-Emissionen aus der Schweizer Landwirtschaft Die Landwirtschaft ist eine wichtige Verursacherin von Treibhausgasen in der Schweiz. Besonders ins Gewicht fallen einerseits die Methan-Emissionen aus der Rindviehhaltung und der Lagerung von Hofdüngern. Anderseits trägt das Lachgas aus der Düngewirtschaft massgeblich zu den klimawirksamen Emissionen bei. Die Landwirtschaft stiess 2012 gegenüber dem Stand von 1990 rund neun Prozent weniger Treibhausgase aus.

Krankheit seit fast zwanzig Jahren verschwunden ist. Wo ist sie geblieben? Aktuelle Analysen von Agroscope zeigen, dass die Klimaveränderung damit zu tun hat.

15.04.2014 Modell-Versuch zur Biodiversität im Boden: Grosse Bedeutung kleiner Organismen

In einer Hand voll Feldboden lassen sich Milliarden Bakterien, viele hundert Meter an Pilzfäden und eine Vielfalt an Milben, Fadenwürmern, Regenwürmern und Gliedertieren finden. Deren Einfluss auf verschiedene Ökosystemfunktionen untersuchten Agroscope und die 25.04.2014 Universität Zürich in kontrollierten Modell-Ökosystemen. Was ist aus dem Rapskrebs geworden? Die Ergebnisse, die im Wissenschaftsmagazin «ProceeDer Rapskrebs wird durch den Pilz Sclerotinia sclerotio- dings of the National Academy of Sciences of the USA» rum verursacht. Die Krankheit hat in der Schweiz früher veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Menge und Vieljahrelang zu erheblichen Ernteverlusten geführt. Be­ - falt an Organismen im Boden wichtige Ökosystemfunktio­bachtungen von Agroscope haben ergeben, dass diese onen beeinflussen.

AGRAR FORSCHUNG SCHWEIZ RECHERCHE AGRONOMIQUE SUISSE

Aktuelle Forschungsergebnisse für Beratung und Praxis: Agrarforschung Schweiz publiziert 10-mal im Jahr Forschungsergebnisse über Pflanzenbau, Nutztiere, Agrarwirtschaft, Landtechnik, Lebensmittel, Umwelt und Gesellschaft. Agrarforschung ist auch online verfügbar unter: www.agrarforschungschweiz.ch Bestellen Sie jetzt Ihre Gratisausgabe! Name/Firma

Agrarforschung Schweiz /Recherche Agronomique Suisse ist die Zeitschrift der landwirtschaftlichen Forschung von Agroscope und ihren Partnern. Partner der Zeitschrift sind das Bundesamt für Landwirtschaft,die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft HAFL, die Beratungszentralen AGRIDEA, die Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Departement für Umweltsystemwissenschaften, das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und Agroscope, die gleichzeitig Herausgeberin der Zeitschrift ist. Die Zeitschrift erscheint in Deutsch und Französisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus Forschung, Industrie, Lehre, Beratung und Politik, an kantonale und eidgenössische Ämter und an weitere Fachinteressierte.

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Vorname Strasse/Nr PLZ/Ort Beruf E-Mail Datum Unterschrift Talon einsenden an: Redaktion Agrarforschung Schweiz, Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP-Haras, Postfach 64, 1725 Posieux Tel. +41 26 407 72 21, Fax +41 26 407 73 00 E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch | www.agrarforschungschweiz.ch

Agrarforschung Schweiz 5 (6): 265–267, 2014


Aktuell

Internetlinks

Veranstaltungen

Die Weizeninitiative

Juni 2014

www.wheatinitiative.org Die Plattform ist eine Informationsquelle für die Weizenintiative und ein Forum für die internationale Weizen-Forschungsgemeinschaft. Die Website erlaubt einen Zugang zu Datenbanken, Diskussionsforen und den ­ aktuellsten Publikationen über Weizen.

27.6.2014 Nationale Tagung zum internationalen Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe SAB, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete Landwirtschaftliches Institut Grangeneuve, Posieux (FR) Juli 2014 06. –  10.07.2014 AgEng 2014 Zurich International Conference of Agricultural Engineering Agroscope, ETH Zürich Zürich

Vor schau Juli–August 2014 / Heft 7–8 Der Rotklee (Trifolium pratense L.) erfüllt seit gut zweihundert Jahren eine wichtige Aufgabe in unseren Ansaatwiesen. In dieser Zeit ist ein breites Sortenangebot entstanden. Agroscope führte von 2011 bis 2013 Sortenversuche mit 30 Neuzüchtungen und 24 bereits empfohlenen Sorten durch und stellte dabei deutliche Zuchtfortschritte fest. (Foto: Gabriela Brändle, Agroscope)

••Sortenprüfung mit Rotklee: deutliche Fortschritte, Daniel Suter et al., Agroscope ••Unkrautunterdrückung durch Zwischenfrüchte: Analyse verschiedener Faktoren, Frédéric Tschuy et al., Agroscope ••Einfluss von Streptomycin in Apfelanlagen auf Resistenzen in der Umwelt, Fiona Walsh et al., National University of Ireland, Agroscope, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZAHW und Argonne National Laboratory, USA ••Sorten- und Anbauversuche mit winterhartem Mohn, Jürg Hiltbrunner et al., Agroscope

August 2014 09.08.2014 Geschmackserlebnis Kartoffelvielfalt in Maran ProSpecieRara und Forschungsanstalt Agroscope (IPB, INH) Schaugarten Maran, Arosa/GR 14.08.2014 Ostschweizer AGFF-Tagung 2014 Agroscope INH, AGFF, Landw. Zentrum SG, Profi-Lait Moorhof, 9464 Rüthi SG 28.08.2014 AGFF-Waldhoftagung INT, INH, AGFF, Inforama, HAFL, Profi-Lait Inforama Langenthal 30. – 31.08.2014 Tage der offenen Tür: Forschung berühren Agroscope Conthey September 2014 11.09.2014 37. Informationstagung Agrarökonomie Agroscope Agroscope INH, 8365 Ettenhausen

••Rundballenraufe für Pferde mit zeitgesteuerter Fütterungsplane, Sabrina Briefer et al., Agroscope, Schweizerisches Nationalgestüt ••Erhaltung der genetischen Vielfalt der Nutztiere in der Schweiz, Maurice Tschopp et al., BLW

Informationen: Informationen: www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen

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Samstag, 9. August 2014

Geschmackserlebnis Kartoffelvielfalt in Maran Schaugarten Maran / Golf- & Sporthotel Hof Maran / Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH

Auf 1800 m ü.M. gedeihen im Schaugarten Maran oberhalb Arosa mehr als 150 Kartoffelsorten. Auf Führungen von Fachexperten von Agroscope und ProSpecieRara erfahren Sie mehr zu den Raritäten der Kartoffelsammlung und des Alpengartens. Programm Degustation verschiedener Kartoffelsorten-Chips (ab 11.30 h) Führungen durch Kartoffel- und Alpengarten (11.30−15.30 h) Sensorik-Workshops Kartoffeln (14−15 Uhr & 15.30−16.30 h) 5-gängiges Diner mit seltenen Kartoffelsorten (ab 17.30 h) Anmeldeschluss: 5. 8. 2014 (nur für Workshops und Diner nötig)

Detailprogramm und Anmeldung www.prospecierara.ch > News & mehr > Veranstaltungen Veranstalter: ProSpecieRara und Agroscope Auskunft Theo Ballmer, theodor.ballmer@agroscope.admin.ch Philipp Holzherr, philipp.holzherr@prospecierara.ch Kosten Führungen: gratis, Workshop: Fr. 40.−, Diner: Fr. 65.–

Schweiz. Bäuerinnen- und Landfrauenverband |Slow Food CH |Agroscope |Alimentarium |Berner Fachhochschule; Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften|HES-SO Fachhochschule Westschweiz-Wallis|Grangeneuve|Schweizerische Gesellschaft für Lebensmittelhygiene SGLH|Schweizerischer Verband dipl. Ernährungsberater/innen HF/FH SVDE|Schweizerischer Verband der Ingenieur-Agronomen und Lebensmittel-Ingenieure SVIAL|Strickhof – Vom Feld aufs Teller|Swiss Food Research| World Food System Center |Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW |Emmentaler Switzerland |Fromarte |Proviande |Schweizerischer Bauernverband |Schweizerische Vereinigung der AOP-IGP |Switzerland Cheese |Marketing AG |Bundesamt für Landwirtschaft BLW |Bundeseinheit für die Lebensmittelkette BLK


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