Florian Huettner

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Florian Hüttner

bad VERLAG KETTLER


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How bad can you go? Helmut Draxler Um sich heute als Künstler oder Künstlerin begreifen zu können, muss man ein Projekt vorzuweisen haben, und sei es das Projekt des eigenen Erfolgs oder Misserfolgs. Ein Projekt haben meint, dass die einzelnen Arbeiten an ihrer imaginierten Gesamtheit ausgerichtet sind und sich nur von dort her sinnvoll entschlüsseln lassen. Diese Gesamtheit kann demnach weder in den einzelnen Arbeiten bereits festgeschrieben sein noch kann sie als eigenständige und abgetrennte, rein ideelle Wesenheit auftreten; sie muss dynamisch aus dem Prozess der Transformation einzelner praktischer Entscheidungen hin auf ihren gemeinsamen Sinn begriffen werden. Somit wäre das Projekt als die transzendentale Dimension jeder Praxis zu verstehen, als der projizierte und entgegenkommende Sinn, der sich ins jeweilige Machen drängt. Ohne einen solchen Sinn ist keine Praxis möglich, die wiederum nicht vollkommen in ihm aufgehen kann. Solche Prozesse der Projekt- und letztlich der Kunstwerdung sind konstitutiv nicht abschließbar, und doch muss an ihnen gearbeitet werden, als ob sie es wären. Denn nur vor dem Horizont der Unmöglichkeit eines Ankommens in der Kunst lassen sich die Möglichkeiten jedweder praktischen Behauptung abschätzen. Es gibt nun zweifellos ziemlich paranoide Projekte, denen sich einzelne Künstler und Künstlerinnen verschreiben; sie lassen sich als Versuche verstehen, eine Art Pakt mit dem Projekt zu schließen und den Prozess somit propagandistisch abzukürzen. Das verspricht nicht nur schnellen Erfolg; es zeigt auch die produktive Funktion transzendentaler Begriffe an. Andere Möglichkeiten bestehen darin, etwa das Projekt endlos aufzuschieben, wobei die scheinbare Abwesenheit des Projekts zum eigentlichen Projekt wird; oder auch darin, mehrere Projekte gleichzeitig zu bedienen und an ihren Überschneidungen zu arbeiten. Florian Hüttner geht diesen Weg. Als eines seiner Projekte könnte die Idee des bad painting begriffen werden.1 Seit den späten 1970er Jahren grassierte der Begriff als ein Phantom gerade unter denjenigen, die in „guten“ Malereiklassen studiert hatten – zum einen als Herausforderung der Tradition gekonnter, eleganter, moderner, meist abstrakter Malerei gegenüber, zum anderen als ein Akt von Selbstbehauptung in Bezug auf jene Avantgarden, die die Malerei gänzlich überwinden wollten. Es ging also stets um beides: sich in der Tradition von Dada, camp oder trash den schlechten Geschmack nutzbar machen, einer mehr oder minder aggressiven Lust am Schlechten, Niedrigen und Populären huldigend, und gleichzeitig den Anspruch an Malerei als einer Kunst aufrechtzuerhalten. Projekte wie moderne Malerei oder Avantgarde im Sinne einer Überschreitungslogik ließen sich mit der Idee des bad painting provozieren; ihre Schlechtigkeit und Unerfüllbarkeit beinhalten ein Moment von Wahrheit, das den dominanten Projekten der Moderne entgangen war. Und doch handelt es sich um eine höchst flüchtige Wahrheit. Denn das Schlechte kann nicht auf Dauer gestellt werden; es wird selbst schnell zum eigentlich Guten und damit zu einem paranoiden Projekt. Da das Schlechte nicht nur

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den Geschmack und die Malweise, sondern zudem meist noch inhaltliche Dimensionen, etwa das politisch Schlechte oder Inkorrekte betrifft, ist es zunehmend in Verruf geraten. Auch hier sind bestimmte Attitüden der Provokation nachvollziehbar, aber wie schon die Punks der 1980er Jahre erfahren mussten, bleibt ein Hakenkreuz eben doch ein Hakenkreuz, und was als Provokation begann, endet leicht in Affirmation. Dennoch scheint mir die Idee das bad painting selbst, als eine Kritik des Gelingens von Kunst im Projekt ihrer finalen Realisierung wichtig; sie verkörpert eine Vorstellung von Unterminierung oder Subversion, die als ein eigenes Projekt nur schwer zu fassen ist. Denn sie impliziert die Frage, wie schlecht man überhaupt sein kann; wie sehr das Schlechte das Gute auf Distanz halten und doch punktuell auch verkörpern kann, und wie sie sich von den wirklich schlechten Verkörperungen abzugrenzen in der Lage ist. Hierfür bedarf es eines weiteren Projekts: Man könnte es mit Blick auf die Arbeit von Florian Hüttner politische Landschaft nennen. Mit diesem Begriff sei auf einen Diskurs verwiesen,2 der für die 1990er Jahre – neben den Innenstadtaktionen – einen zweiten, wesentlichen spekulativen Fluchtpunkt darstellte. Lange vor den Hypes um das Anthropozän wurde hier die systematische Entnaturalisierung der Lebenswelten, die technologische, kapitalistische und politische Durchdringung natürlicher Räume thematisiert, stets von einer spezifischen künstlerischen Vorstellung einer Landschaft mit all ihren romantischen Konnotationen ausgehend. Die Landschaft stellt somit den spekulativen Horizont einer Vorstellung dar, wie man sich künstlerisch zu einer Natur verhalten könne, die selbst längst nicht mehr natürlich ist. Der in der Landschaft wurzelnde Blick, der einst die Idee der Natur beflügelt hatte, wird zum Instrument einer Dokumentation des Entgleiten seines Sinns. Politisch wird die Landschaft hierbei sowohl im Sinne der ihr innewohnenden Einschreibungen von Besitz, Verwertung und Instrumentalisierung als auch in Hinblick auf die Position der Betrachtung. Denn hier kann es keine erhaben-distanzierte Beschaulichkeit mehr geben. Die politische Landschaft umfasst den Standpunkt, von dem aus sie nur gesehen werden kann; sie indiziert den symbolischen Code, der die Malerei selbst in ihrer möglichen Unmöglichkeit und ihrer unmöglichen Möglichkeit betrifft. Bereits in der Utopie des Designs 3 beschäftigte sich Hüttner mit jenen Stadtrandlagen, in denen die Natur zur Projektionsfläche von postfordistischen Investitionen ebenso wie von avantgardistischen Interventionen wurde. Eine zentrale Arbeit der land art, Michael Heizers Munich Depression von 1969 war an der Stelle errichtet worden, wo wenig später die Siedlung Neuperlach und ein bedeutender Technologiestandort von Siemens entstehen sollten. Das Engagement Hüttners in der Galerie für Landschaftskunst deutet in eine ähnliche Richtung.4 Zwischen diesen beiden Projekten einer schlechten Malerei und einer politischen Landschaft entwickelt Hüttner eine spezifische Methode der Untersuchung, die keine künstlerische Forschung im engeren Sinn ist, sondern eine Form der Recherche zu den Bedingungen der eigenen Arbeit und eine Form der Reflexion des eigenen Verhaltens zu diesen Bedingungen. Die Spannung zwischen dem künstlerischen Selbstverständnis als Maler und der recherchebasierten Arbeit an den Umständen, unter denen die

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Bilderverzeichnis / Index Umschlag vorne innen / Cover front inside Florian Hüttner mit Andromeda im Harburger Fährhaus (Bei Rosi), Hamburg / Florian Hüttner with Andromeda at the Harburger Fährhaus (At Rosi’s), Hamburg Unten / Bottom: In der / at GFLK Halle Süd, Tölz 2, 3 Wald 6, 1996 Tusche und Tipp-Ex auf Papier / Ink and Tipp-Ex on paper, 150 x 200 cm 4, 5 von links / from the left Mobility Park 2, 3, 4, 2011 Bilderserie / Series of paintings Dispersionsfarbe und Öl auf Papier, Dispersionsfarbe auf Leinwand und Bildcollagen Emulsion paint and oil on paper, emulsion paint on canvas and image collages In der Ausstellung / In the exhibition Mobilisieren, Städtische Galerie Nordhorn 6, 7 Mobility Park 4, 2011 Dispersionsfarbe auf Papier / Emulsion paint on paper, 52 x 85 cm Städtische Galerie Nordhorn 8, 9 Einladungskarte / Invitation card schlecht / bad Format A6 10, 11 Wald 8, 1997 Tusche und Tipp-Ex auf Papier / Ink and Tipp-Ex on paper, 150 x 180 cm 12, 13 Primitivo, 1997 Tusche und Tipp-Ex auf Papier / Ink and Tipp-Ex on paper, 150 x 200 cm 14, 15 Blick vom Eingang aus in die Ausstellung schlecht / bad mit dem Theater für die Große Emscher-Teufelsaustreibung, eine Gemeinschaftsarbeit von Florian Hüttner, Stephan Dillemuth und Till Krause Frontal view of the exhibition schlecht / bad with the Theatre for the Great Emscher Exorcism, a collaborative work by Florian Hüttner, Stephan Dillemuth and Till Krause Die Bestandteile des Theaters: Florian Hüttner: Video der Großen Emscher-Teufelsaustreibung, die Stephan Dillemuth 2013 auf dem Land für 5 finale Handlungen der Galerie für Landschaftskunst im nördliche Ruhrgebiet durchführte. Bemalung des Theaters. Stephan Dillemuth: Teufelsaustreibung und Bodenprobe (Weckglas) der Stelle, wo der Teufel aus dem Boden fuhr. Till Krause: Theater und Fragmente der Markierung des Landes für 5 finale Handlungen. In einem satanischen Zeitrhythmus öffnet sich gelegentlich der Theatervorhang und zeigt Die Große Emscher-Teufelsaustreibung. Theater components: Florian Hüttner: video of the Great Emscher Exorcism, performed in 2013 by Stephan Dillemuth for the Land for 5 Final Acts by the Galerie für Landschaftskunst in the northern Ruhr area. Painting the theatre. Stephan Dillemuth: exorcism and soil sample (Weck jar) from the spot where the devil was driven out of the ground. Till Krause: theatre and fragments of the marking of the Land for 5 Final Acts. Following a satanic schedule, the theatre curtain opens at intervals and shows The Great Emscher Exorcism.

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16, 17 im Uhrzeigersinn / clockwise Blick in die Ausstellung schlecht / bad, drei Radiosender Reviere ums U, Theater für die Große Emscher-Teufelsaustreibung, Radiosender MO View of the exhibition schlecht / bad, three radio stations Reviere ums U, Theatre for the Great Emscher Exorcism, radio station MO 18, 19 Ausstellungsansicht / Installation view schlecht / bad, 2017, GFLK Halle Süd 20, 21 Rüdesheim, 2008 Tusche, Tipp-Ex, Lack auf Papier, zweiteilig, je 220 x 148 cm, in der Ausstellung mon idole!! von Florian Hüttner, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg Ink, Tipp-Ex, spray paint on paper, two parts, each 220 x 148 cm, in the exhibition mon idole!! by Florian Hüttner, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg 22, 23 im Uhrzeigersinn / clockwise Plage, 2008 Tusche, Dispersionsfarbe und Lack auf Papier, 230 x 157 cm, in der Werkstatt von Anton Röttger, Hamburg, Sammlung Montblanc / Ink, emulsion paint and spray paint on paper, 230 x 157 cm, in Anton Röttger’s workshop, Hamburg, Montblanc Collection Arena, 2008 Tusche, Dispersionsfarbe und Lack auf Papier / Ink, emulsion paint and spray paint on paper, 111 x 148 cm Wald 3, 1996 Tusche und Tipp-Ex auf Papier / Ink and Tipp-Ex on paper, 150 x 200 cm, Sammlung / collection Sohst-Brennenstuhl Detail von / from Rüdesheim, 2008 Tusche, Tipp-Ex, Lack auf Papier / Ink, Tipp-Ex and spray paint on paper 24, 25 mon idole!!, 2008 Tusche und Tipp-Ex auf Papier / Ink and Tipp-Ex on paper, 111 x 148 cm Ausstellung / exhibition mon idole!!, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg 26, 27 Gerüstturm in der Ausstellung / Scaffold tower in the exhibition schlecht / bad 28–33 Blick vom Gerüstturm / View from the scaffold tower 34, 35 Wildnis, 2011 Zeichnung, fotografiert auf Holzboden und präsentiert als Inkjet-Print in der HfG Karlsruhe, Maße variabel, aus dem Białowieza-Sachsenwald-Projekt mit Michael Clegg, der HfG Karlsruhe und der Galerie für Landschaftskunst, Hamburg Drawing, photographed on wooden floor and presented as an inkjet print at HfG Karlsruhe, dimensions variable, from the Białowieza-Sachsenwald Project with Michael Clegg, the HfG Karlsruhe and the Galerie für Landschaftskunst, Hamburg

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Dieses Buch erscheint nachträglich zur Ausstellung / This book was published to complement the exhibition schlecht / bad von / by Florian Hüttner in der / at GFLK Halle Süd Oktober / October 2017 GFLK Halle Süd Ludwigstraße 14, Bad Tölz Erschienen im / Published by: Verlag Kettler, Dortmund www.verlag-kettler.de Ausstellungskonzeption / Concept of the exhibition: Till Krause Buchentwurf und -gestaltung / Book concept and design: Florian Hüttner Übersetzung Deutsch-Englisch / Translation German to English: How bad can you go?: Kate Vanovitch Bilderverzeichnis und alles weitere / Index and everything else: Barbara Lang Lektorat deutschsprachige Texte / Copyediting German texts: Ralf Weißleder Herstellung / Production: Druckerei Kettler, Bönen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über portal.dnb.de abrufbar. ISBN: 978-3-86206-858-6 Printed in Germany Fotonachweise /  Photo credits: Björn Behrens: 23 unten / bottom Rainer Iglar: 123, 124, 128, 130, 132 Till Krause: Umschlag innen vorne / Cover front inside, 17, 26, 27 oben / top, 98, 101, 108 Michael Kruspe: 86 Helge Mundt: 112 Wilfried Petzi: 2, 6, 10, 12, 14, 18, 24, 27 unten / bottom, 28, 30, 32, 36, 38, 40, 42, 44, 46, 48, 50, 52, 53, 54, 89, 90, 94, 102, 104, 106, 110, 114, 116, 118, 120, 134, 152, 154, 156, 157, 158 Jens Rathmann: 20, 22 unten / bottom, 23 oben / top Friederike Richter: 84 © 2020 Florian Hüttner, GFLK Surveys und / and Verlag Kettler, Dortmund Dieses Buch entstand mit finanzieller Unterstützung von / This book received financial support from GFLK Surveys, Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen Dank / Acknowledgements: Stephan Dillemuth, Helmut Draxler, Kosta Fomin, Susanne Greck, Christian Hartmann, Anton Hoefter, Elisabeth Kepler, Till Krause, Erik Semmelroth, Ralf Weißleder, Kurt Wettengl Für die Zusammenarbeit beim Projekt Politische Landschaft danke ich Dirck Möllmann. Er verstarb 2019. / My cordial thanks for his cooperation in the project Political Landscape go to Dirck Möllmann who died in 2019. Zehn signierte und nummerierte Vorzugsausgaben enthalten eine Zeichnung von Florian Hüttner  aus der Ausstellung schlecht / bad. / A special edition of ten signed and numbered copies of this book contain a drawing by Florian Hüttner from the exhibition schlecht / bad.


BAD ISBN: 978-3-86206-858-6


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