100 österreichische Häuser 2016

Page 60

D N LA

s e h c s i r e l Ma s u a h r e i l e At

64

Der Jägerzaun – neu interpretiert

Architektur heri & salli (Heribert Wolfmayr und Josef Saller) Web www.heriundsalli.com Objekt Land schaf(f)t Zaun Kategorie Neubau Fassadenmaterial Metallbau Fassadenfirma Metallbau Fischer Adresse k. A. Bauherr Privat Planungsbeginn k. A. Fertigstellung 10/2011 Nutzfläche k. A. Kosten k. A. Fotos Paul Ott Photografiert / www.paul-ott.at

116

T F F SCHA Hinter heri & salli stehen der Oberösterreicher Heribert Wolfmayr und der Salzburger Josef Saller. Ihr Verständnis, oder besser: ihre Definition von Architektur und Kunst ist nicht eindeutig und kann immer von beiden Seiten betrachtet werden – der räumlichen wie der künstlerischen. Ihr Œuvre zeigt ihre Interdisziplinarität mit vielen Installationen im öffentlichen Raum und Ausstellungsbeteiligungen in Museen, Galerien und Festivals, unter anderem bei der internationalen Architekturbiennale São Paulo 2011 oder bei der 14. Architekturbiennale in Venedig / Collateral Events. heri & salli – und da unterscheiden sie sich von Architektenkollegen – warten nicht (immer) auf Bauherren, sondern erfinden oft ihre Projekte, Objekte und Installationen selbst. Oder es wird, wie im Falle des Projekts „Land schaf(f)t Zaun“, sehr konzeptuell und unorthodox an die Sache herangegangen.

N U ZA

Büro H E R I   &   S A L L I , W I E N   /   Haus O B E R Ö S T E R R E I C H

r

und Architektu   t s n u K

„Für uns ist es entscheidend, dass ein realisiertes Objekt nicht nur für sich steht, sondern dass es vom Menschen betreten und benützt werden kann und auf keinen Fall ein unantastbares Schaustück wird, nur dann sind wir mit dem Ergebnis zufrieden.“ * *

Zitat aus dem Interview mit Michael Koller, Bauforum 10/2011

Ausgehend von der Aufgabe, ein bestehendes Gartengrundstück mit Seeblick neu zu gestalten und gleichzeitig einen Sichtschutz und eine Begrenzung in Richtung umliegender Grundstücke und Nachbarn zu schaffen, haben heri & salli den Jägerzaun aufgegriffen. Am Ergebnis ist eine Neuinterpretation der Idee „Zaun“ ablesbar. Er wird zum Raum – die Abgrenzung zum Nebenprodukt. Funktional ist er dennoch, ja, mehr als gewohnt: Diverse integrierte Einbauten wie Treppen, Sitz- oder Liegeflächen oder Tisch mit Lehne und Poolabdeckung stehen in ihrer Formulierung in einem geometrischen Zusammenhang mit der Grundkonstruktion. Kunst und / oder Architektur? Es liegt in diesem Fall nicht nur am Betrachter, sondern am Nutzer. mah

Es gibt Projekte, die müssen reifen. Langsam, wie eine gute Flasche Wein, ungestört und über Jahre. Wie zum Beispiel das Projekt der Künstlerin Annemarie DreibholzHumele in der Nähe von Graz: Vor über 20 Jahren hatte sich die Kunstprofessorin spontan das Grundstück auf 750 Meter Seehöhe gekauft. Ursprünglich habe sie hier in Semriach, das für seine gute Luft bekannt sei, einen Rückzugsort für die Familie geplant, erzählt Dreibholz-Humele. Für so einen Neubau wurde aber keine Bewilligung erteilt. Zwei Jahrzehnte später – die Kinder waren aus dem Familienhaus in Graz ausgezogen, die Bauherrin widmete sich nun voll ihrer Kunst – stand noch immer nichts auf dem Grundstück. „Irgendwann hat mein Sohn zu mir gesagt: ‚Das Projekt am Semriach hast du nie beendet. Mach doch etwas daraus.‘“ Und so bekam eine neue Idee Aufwind: Auf dem malerischen Grundstück sollte ein Atelier entstehen – der langersehnte Raum für ihr Schaffen. Obwohl die Künstlerin vor ihrer Zeit als Professorin an der Universität Graz selbst als Architektin gearbeitet hatte, überließ sie die Ausarbeitung und Detailplanung jemand anderem: dem Vorarlberger Architekten Johannes Kaufmann. Ein großer, heller Raum mit guten Proportio-

65

nen für die künstlerische Arbeit, ein Platz zum Schlafen und eine Gebäudeform, die sich an die hier typischen Langhausscheunen anlehnt – so lauteten die Wünsche der Bauherrin an den Architekten. Für ihn sei es eine Herausforderung gewesen, ein Atelier mit Wohngelegenheit für eine Künstlerin zu bauen, die selbst gelernte Architektin sei, sagt Kaufmann heute. Das Hauptthema des Baus – der „Stadl“ – kam dem passionierten Holzbauer da entgegen: Kaufmann errichtete einen gut proportionierten Holzkubus mit Satteldach und Faltläden. So lässt sich das Atelier, wenn gewünscht, komplett verschließen. Gleichzeitig hat das Öffnen und Schließen auch etwas Ästhetisches: Das Atelier verwandelt sich je nach Nutzung in ein anderes Gebäude. Das Innere wurde so konzipiert, dass die Bauherrin ihrer Kunst nachgehen kann: Der eigentliche Atelierraum zum Beispiel präsentiert sich als relativ neutraler Raum – ohne allzu viele strukturelle Konstruktionsteile oder aufgeregte Oberflächen. Den Blick auf die „weiße Wand“ muss die Künstlerin hier dennoch nicht fürchten. Die Oberflächen sind mit astreinen Weißtannenplatten verkleidet. Auch das Dachtragwerk ist

nicht wie bei Satteldächern üblich mit Balken ausgebildet, sondern mit massiven Brettsperrholzplatten. „Dadurch sind keine tragenden Balken zu sehen, sondern wieder nur die neutrale, glatte Weißtannenfläche“, sagt Kaufmann. Bis sich Architekt und Bauherrin in allen Details einig waren, wurden über Monate hinweg viele Gespräche geführt. Der Bau selbst hingegen ging wie im Flug vorüber: Innerhalb weniger Tage war das Holzhaus auf dem steilen Hang errichtet. Für Dreibholz-Humele eine „logistische Meisterleistung“. Das Endergebnis sei genau das, was sie sich immer gewünscht habe: „Wenn ich heute in den Räumen bin und die Architektur betrachte, glaube ich, in ein schönes Bild zu schauen.“ Und auf so ein Bild, an dem sich die Bauherrin heute fast täglich erfreut, hat es sich gelohnt zu warten. map Architektur Johannes Kaufmann Architektur Web www.jkarch.at Objekt Atelier am Kogl, Semriach Kategorie Neubau, Holzbau Fassadenmaterial Holz Adresse Semriach Bauherr Annemarie Dreibholz-Humele Planungsbeginn 02/2012 Fertigstellung 07/2013 Nutzfläche 183 m² Kosten k. A. Auszeichnungen Vorarlberger Holzbaupreis 2015 (Auszeichnung „Außer Landes“); Steirischer Holzbaupreis 2013 Fotos Paul Ott Photografiert / www.paul-ott.at

Ein großer, heller Raum mit guten Proportionen, ein Platz zum Schlafen und eine Gebäudeform, die sich an die hier typischen Langhausscheunen anlehnt

„Es ist ja oft so, dass Architekten nicht ihre eigenen Häuser bauen, weil sie sich nicht entscheiden können. Das trifft in gewisser Weise auch auf mich zu: Es gibt einfach so viele Möglichkeiten, wie ein Projekt aussehen könnte. Wenn ich das Atelier selbst geplant hätte, wäre ich wohl nie fertig geworden. So gesehen ist für mich schon die Tatsache eine Kunst, dass die beteiligten Menschen und Firmen in der Lage waren, das Atelier ,auf den Boden zu bringen’ – eine logistische Meisterleistung.“ Annemarie Dreibholz-Humele

Büro J O H A N N E S K AU FM A N N A R C H I T E K T U R , VO R A R L B E R G  /  Haus S T E I E R M A R K

117


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.