RWTH Themen 1/2005

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Verformungsgerechtes Bauaufmaß mit photogrammetrischer Darstellung der Kellerwand.

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bücher und des Urkatasters vorab auf die Zeit um 1860 datieren, das Wohnhaus hatte bis dahin zu allen vier Seiten frei gestanden. Um bei dem nötigen Durchbruch verlustreiche Eingriffe in die Bausubstanz zu vermeiden, wurde daher nach bereits vorhandenen, im Laufe der Zeit aber zugesetzten Öffnungen im Gefüge der ehemaligen Außenwand gesucht, deren Struktur anschließend photogrammetrisch dokumentiert und hinsichtlich der einzelnen Bauphasen und Materialunterschiede ausgewertet wurde. Zudem erfolgte eine Kartierung der Schadensbilder und vertikalen Rissverläufe als vorbereitende Maßnahme für die Instandsetzung und die notwendigen Sicherungsarbeiten. Um den Studierenden die heutigen Möglichkeiten der Bauaufnahme zu vermitteln, wurden alle Methoden, vom Handaufmaß bis zur Photogrammetrie, angewandt. Als Grundlage des verformungsgerechten Aufmaßes der Grundrisse und Vertikalschnitte wurde ein vom Gebäude unabhängiges, polygonales Bezugsmessnetz errichtet. Dazu wurden mit einem elektronischen Tachymeter berührungsfrei Passpunkte im Gebäude eingemessen und vermarkt, deren dreidimensionale Koordinaten die freie Stationierung und Orientierung des Messgerätes an beliebiger Stelle im Gebäude ermöglichen. Bei einer erreichten Messgenauigkeit von +/-3mm wurden so sämtliche Messungen in den horizontalen und vertikalen Schnittebenen in ein einziges Bezugssystem gebracht.

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Daraufhin wurden die Geschosse im Grundriss mitsamt aller Raumkanten und Projektionen mittels Strecken und Winkelmessung erfasst und zueinander in Beziehung gebracht. Unter Verwendung eines CAD-Systems mit einer Aufmaß-Applikation ließen sich die Ergebnisse der Messungen direkt online auf einem Notebook visualisieren und eventuelle Messfehler sofort korrigieren. Ausbaudetails wie Fenster, Türen, Treppen und weitere Bauzier wurden hingegen detailgetreu per Hand im Maßstab 1:1 aufgemessen und gezeichnet. Zusammen mit einer fotografischen und schriftlichen

Dokumentation wurden sie digital katalogisiert und in einem Raumbuch zusammengefasst. Anhand von Passpunkten ließen sie sich lagerichtig in die Zeichnungen einfügen. Die Befunde der nachfolgenden Untersuchungen an Dachkonstruktion, Deckenbalken und Fenstergewänden sind in den aktuellen Bestandszeichnungen dokumentiert. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf dem flach geneigten, sowohl das Wohnhaus als auch die Scheune überdeckenden Notdach der Nachkriegszeit, für das – in Ermangelung neuen Bauholzes – Dachbalken des ursprünglichen, gotischen Steildaches wiederverwendet wurden. Eine ein-

gehende Untersuchung der erhaltenen Blattsassen und Zapfenlöcher soll nun Aufschluss über die Geometrie des verloren gegangenen mittelalterlichen Dachwerks geben und eine zeichnerische Rekonstruktion ermöglichen. Den Aufschluss über die genaue Erbauungszeit des „Gotischen Hauses“ erhoffen wir uns von den dendrochronologischen Untersuchungen. Mit dem Gebäude auf das Genaueste vertraut, haben die Studierenden nun die Möglichkeit, die gewonnenen Erkenntnisse über das Gebäude in einen eigenen Entwurf für die Umbauplanung einfließen zu lassen.


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