Thomas Blubacher: ‹Fluchtpunkt Basel›

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Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 – 1945

FLUCHTPUNKT BASEL

THOMAS BLUBACHER

ThomasBlubacher FluchtpunktBasel

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FluchtpunktBasel

ThomasBlubacher
MenschenausKunstundKulturimExil 1933bis1945
Inhalt FluchtpunktBasel ........................................... 7 Ach,lieberTodvonBasel StefanBrockhoffaliasDieterCunz,OskarKoplowitz undRichardPlaut ............................................ 47 EineeigenartigeRolle WilhelmKiefer ............................................... 71 «Hirtenknabe,derDiplomatenfracksteht dirnicht» GustavHartung .............................................. 99 «HerrJesuChrist,dichzuunswend» LiliWieruszowski ............................................ 123 EinSiegderöffentlichenMeinungüber dasHitler-Regime BertholdJacob ................................................ 139 Filmprominenzvonvorgestern LudwigTrautmannundSabineGräfinvon Lerchenfeld .................................................... 159 DemIntendanten«wieeintreuerHund»ergeben ErichZacharias-LanghansundGustafGründgens .... 185 Kriegskameradeines«erfolglosen Postkartenmalers» AlexanderMoritzFrey ...................................... 203
«KrasseVerfehlungen»einerAusländerin MargitvonTolnai ........................................... 217 MaxFrischs«jüdischeBrautausBerlin» KäteRubensohnundOttoRubensohn .................. 243 ZurücküberdenStacheldraht GertrudRamloundHansWeigel ........................ 259 EindeutscherDeserteurausBasel RainerBrambach ............................................. 283 Anmerkungen ................................................ 301 Personenregister ............................................. 329

FluchtpunktBasel

«Ichfühltemichschlecht,undderEindruckderBesichtigung,dieeineabscheulicheundniederdrückendeVorstellung vondeklassierterExistenzgab,verschlimmertedenZustand meinerNerven,diezuHausebiszuTränenversagten»,1 notierteThomasMannam3.Mai1933inseinTagebuch.HättederemigrierteGrossschriftstellernacheinerHausbegehung inRiehennichtbitterlichweinenmüssen,sondernsich,wie derinBasellehrendePhilosophKarlJoëlihmnahegelegthatte,tatsächlichamRheinknieniedergelassen – werweiss,vielleichtwäreBaselalsWohnsitzdesgefeiertenLiteraturnobelpreisträgerseinZentrumdesdeutschsprachigenLiteraturexils geworden.

VierTagezuvorhattenThomasundKatiaMannimvornehmenBaslerHotelDreiKönige«einzuteuresDoppelzimmermitBad»2 bezogen,dassieamnächstenTag«mit einemgrösserendreifenstrigenvertauscht»hatten.Doch auchindiesemLogiswurdederempfindsameLiteratnicht glücklich,dennein«Kanal-ZulaufindenRhein»3 beeinträchtigteseineRuhe.DieMannstrafeninBaselandereExilierte,kamenmitdemVerlegerGottfriedBermannFischer «aufdiedeutschenDingezusprechen»4 undtrankenLindenblüten-TeemitderSchriftstellerinAnnetteKolb;beide warennuraufderDurchreise.AuchderimMärzausMünchennachBaselübersiedeltePublizistWilhelmKieferbesuchtesieimDreiKönige;vonihmsollnochausführlichdie Redesein.

KatiaundThomasMannbesichtigten«einereizvollemoderneWohnung»5 anderSt.Alban-Anlage,fuhrenmitdem deutschenSozialphilosophenHermanSchmalenbach,seit 1931ProfessoranderUniversitätBasel,nachRiehen,wodie

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«Besichtigungeinesunszugedachten,abermirabscheulichen Hauses»densensiblenLiteratensodeprimierte,dasser nachtsnurmitHilfedesbewährtenMittelsPhanodorm Ruhefand.Am4.MaibegutachteteKatianachdemMittagsmahlimCaféSpitz«einaltesHausinRiehen»,dassiedem Gatten«alsprimitiv,aberwürdigundbesondersbeschrieb. EsfehltmodernerComfort,abereinstilvollerWohnsitzwäre geboten».6 AmliebstenhätteThomasMannsichim«alten Bauern-Herrensitz ‹ Wenkenhof ›»7 niedergelassen,doch dessenBesitzerFannyundAlexanderClavel-Respingerdachtennichtdaran,ihrherrschaftlichesAnwesenzuräumen,auf demsieschonRainerMariaRilkeundHugovonHofmannsthalempfangenhatten.

BalddarauffandErikaMannfürihreElterneinealsangemessenakzeptierteResidenzinderNäheZürichs,undso übersiedeltendieseam27.September1933nachKüsnacht, woderweltberühmteAutormitoffenenArmenundöffentlichenEhrbezeugungenempfangenwurde.InBaselweilteer nurnochfürArztkonsultationen,VorträgeundumVorstellungendesvonErikaManngegründetenliterarisch-politischenCabaretsDiePfeffermühlezubesuchen,dasersteMal imMärz1934,alsesim450ZuschauerfassendenGambrinus anderFalknerstrasse35gastierte.«DerSaalstarkbesetzt, fastausverkauft.AberdasPublikumerwiessichalsrecht stumpf»,soThomasMann,«wennesauchmitgläubigem BeifallnichtkargteundnamentlichbeipolitischenGelegenheitenÜberzeugungbekundete.»8 StattThereseGiehse,die krankinderBaslerFrauenkliniklag,tratWalterMehringauf undtrugerstmalsseinenheuteberühmten Emigrantenchoral vor:«Werft/EureHoffnungüberneueGrenzen – /Reisst Euchdiealteauswie’ nhohlenZahn!»9

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AlsThomasMannsicham2.Mai1933beimVorsteherdes Polizeidepartements,RegierungsratCarlLudwig,der1956/ 1957imAuftragdesBundesratsdieals«Ludwig-Bericht» bekanntgewordeneStudie DieFlüchtlingspolitikderSchweiz seit1933biszurGegenwart verfassenwird,«inSachenunsererNiederlassung»erkundigte,erfuhrer:«GrösstesEntgegenkommen,DispensvonderBeibringungüblicherPapiere. SchonbeimEmpfangbedankteersichfürunsernBesuch. Ach,ja!»10 Andereshättedasdersich«seinersingulären, mitanderenSchicksalennichtzuverwechselndenStellung»11 bewussteSchriftstellerauchnichterwartet.

StandesbewusstkommuniziertemitdenBehördenauch der1913indengrossherzoglichhessischenAdelsstanderhobeneLederfabrikantRobertvonHirsch,selbstkeinKünstler zwar,abereinrenommierterKunstsammler.Nachdemerin DeutschlanddieungeheureSummevon1,3MillionenReichsmark«Reichsfluchtsteuer»bezahltundLucas CranachsGemälde UrteildesParis zurückgelassenhatte, übersiedelteer1934nachBaselundersuchtedortsogleich umdieNiederlassungfürsich«sowiefürmeinenlangjährigenDiener[ … ]unddessenalsDienstmädchenbeimirtätige Frau»:«DurchmeineNiederlassungwürdeeinederwohl wichtigstenSammlungen,diesichderzeitinEuropanochin privatemBesitzbefinden,hierherkommen.»12 SeinGeschäftsfreundFritzSchwarz-vonSpreckelsen,Gründerund VerwaltungsratspräsidentderLeder-ImportAG,schwedischer unddänischerHonorarkonsul,indessenVillainderGellertstrasseRobertvonHirschvorerstwohnte,betontegegenüber CarlLudwig,dassHirsch«eineganzerstklassigeAcquisition fürdieStadtBaselbedeutenwürdealsMensch,alsFabrikant undalsKunstfreund».13 UmgehenderteiltemanRobertvon Hirsch,dermittlerweileineinernoblen,vomBaslerChristophBernoullieingerichteten – heutelängstzugunstenmeh-

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rererWohnblöckeabgerissenen – VillaimLouis-XIII-Stilan derEngelgasse55residierte,eineAufenthaltsbewilligungund sicherteihmdieNiederlassungsbewilligungzu,dieeram 4.Juni1935erhielt.

Alser1938eingebürgertwerdenwollte,alsBewerberaber nachweisenmusste,dasserindenletztenzwölfJahrenvor EinreichungdesGesuchsmindestenssechsJahreinder Schweizgelebthatte,gabderFreundSchwarz-vonSpreckelsenkurzerhandzuProtokoll,vonHirschhabebereitsseit Sommer1932beiihmgewohnt.Dassdiesersichnichthabe anmeldenkönnen,«seiaufpolitischeundwirtschaftliche Gründezurückzuführen».14 Einziemlichdurchschaubarer Schachzug,dochwasinFällenandererEmigrierter15 schwerlichvorstellbargewesenwäre,geschah:DieBehördenregistrierten,obgleichkeineschriftlichenBelegevorhandenwaren, den1.August1932alsEinreisedatum.DieAdministrativabteilungdesPolizeidepartementsempfahldieEinbürgerung RobertvonHirschs,dadieser«beiweitemausdemüblichen RahmendesJudentums»16 falleundsogarStundenin Schweizerdeutschnehme.ObvonHirschdasGesuchwieder zurückzog,weilerdochkalteFüssebekam,bleibtunklar.Jedenfallsbemühteersich1940abermalsumdasBürgerrecht, mitErfolg – keinegeringeRollespieltewomöglich,dasser imJahrzuvorinBaselknappübersiebenMillionenFranken Vermögenversteuerthatte.ZumDankstifteteerderÖffentlichenKunstsammlungPaulGauguins TaMatete.

Diemeistenausdem«DrittenReich»Geflüchteten,darunterauchprominenteKulturschaffende,konntensichsolch einezuvorkommendeBehandlungnurerträumen.NichtimmerhalfenBekanntheitundBeziehungen,wiemanimFall vonAlfredPhilippsonsieht.UmdieEinreisedes1864in Bonngeborenen,also77-jährigenGeheimratsundweltberühmtenProfessorsderGeografiebemühtesich1941Paul

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Vosseler,PräsidentdesVerbandsderSchweizerischenGeografischenGesellschaften,beimVorsteherdesEidgenössischen PolitischenDepartements,BundesratMarcelPilet-Golaz. PhilippsonseiinDeutschland«seinesLebensnichtmehrsicher»undlebedort«unterständigerFurchtvortätlicher Bedrohung».DerVerbandempfindees«alsEhrenpflicht», sichfürPhilippsoneinzusetzen.DiesemAsylzugewähren «würdeauchdieletzteAchtungsteigern,dieunserLandin derWeltgeniesst».17 InBasellebtebereitsseit1937PhilippsonsNichte,dieehemaligeKinderärztinundArchäologin PaulaPhilippson,dochkönnediese,soFranzMerz,derChef derbaselstädtischenFremdenpolizei,dieExistenzdesGeografensamtFrauundTochternichtsicherstellen.Zudemfalle sie«alsunangenehmeEmigrantinauf,diedurchihrarrogantesAuftretenbeiunseremPersonalbekanntist».18 DasKontrollbureaulehntedasGesuchwieüblichwegen«Überfremdung»ab,ebensodieEidgenössischeFremdenpolizei.

NachdemderVerbandSchweizerischerIsraelitischerArmenpflegenerklärthatte,erwerdefürAlfredPhilippsonsLebensunterhaltundWeiterreisekostenaufkommen,unddurch BemühungenvonVosselerundandereneineKautionin Höhevon5000Frankenhatteaufgebrachtwerdenkönnen, stelltederBaslerAdvokatHansEckerteinWiedererwägungsgesuch.Dochauchdieseswurde,obgleichnuneineZusicherungderAufenthaltsbewilligungdurchdasBaslerKontrollbureauvorlag,vonderEidgenösssischenFremdenpolizeiam 30.April1942abgewiesen.PhilippsonundseineAngehörigenwurdenimJuni1942insKonzentrationslagerTheresienstadtdeportiert,woerdankeinerInterventiondesbeider NS-ElitehochangesehenenschwedischenEntdeckungsreisendenSvenHedinimmerhindensogenannten«ProminentenstatusA»erhieltundvonOktoberanseineLebenserinnerungen WieichzumGeographenwurde verfasste.DerBasler

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MarcusCohn,Sohndes1926verstorbenenerstenhauptamtlichenRabbinersderIsraelitischenGemeindeBasel,Arthur Cohn,undVaterdesspäterenOscar-gekröntenFilmproduzentenArthurCohn,warbekanntals«AnwalteinergerechtenSache»,19 undhatteschonzahlreichenVerfolgtenden WegüberdieSchweiznachUruguay,Paraguay,Palästina oderinanderesichereLänderermöglicht.Erbemühtesich am19.Januar1945imAuftragvonPaulaPhilippsonerneut, derenmittlerweilestarkunterernährtemOnkelunddessen FamiliezueinerEinreisebewilligungzuverhelfen,welchedieseninTheresienstadt«Erleichterungenbringenundsievor weiterenDeportationen[ineinVernichtungslager]schützen wird,auchfürdenFall,dasssiedieEinreisenachderSchweiz jetztnichtantretenkönnen».20 Tatsächlicherhaltendie Philippsons(«Wohnort(Adresse):Theresienstadt,Seestrasse26,Deutschland»21 )am13.Februar1945einezweiMonatelanggültigeBewilligung,überdieGrenzstellenBuchs oderSt.MargarethenzumvorübergehendenAufenthaltin Baseleinzureisen.DennochfordertesiedieSS-Lagerleitung am20.April1945auf,sichfürdie«Einreihung»ineinen «Transport»bereitzuhalten.Bevoresdazukam,wurdeTheresienstadtam3.Mai1945demRotenKreuzübergeben, dannvonderRotenArmeebefreitundzunächstunterQuarantänegestellt.Am9.Juli1945konntenAlfred,Margarete undDoraPhilippsonschliesslichdasLagerverlassenund nachBonnzurückkehren,woAlfredPhilippsonerneutan derUniversitätlehrteund1953imAltervon89Jahrenstarb.

BedingtdurchdiegeografischeNähezurHeimatsowiedie kulturelleVerwandtschaftwardiedieSchweizvon1933an einbegehrtesZiellandderdeutschsprachigenEmigration,insbesondereinderenersterPhasebisetwa1936,dievonder HoffnungaufdiebaldigeRückkehrineinvomNationalso-

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zialismusbefreitesDeutschlandgeprägtwar.Schon1933,als nachderMachtübergabeandieNationalsozialisteninnerhalb wenigerWochenmehrereTausendMenschenZufluchtin derSchweizsuchten,bestimmtedasEidgenössischeJustizundPolizeidepartement,dassFlüchtlingenkeinDaueraufenthalt,keineArbeitsbewilligungundkeinestaatlichefinanzielle Unterstützungzugewährenseien.DieAnerkennungalspolitischerFlüchtling,geregeltdurchdenBundesratsbeschluss vom7.April1933,erhieltvordemHintergrunddernationalsozialistischen«Machtergreifung»inDeutschlandfast nur,werhoherStaatsbeamter,FührereinerLinksparteioder AutorvonerheblichemBekanntheitsgradwarundimHeimatstaatbereitspersönlichverfolgtwurde,jedochniemand, deraufgrundseineroppositionellenTätigkeiteinesolcheVerfolgunglediglichbefürchtete.JüdischeMenschengalten,da «FlüchtlingenurausRassengründen»,22 nichtalspolitische Flüchtlinge,KommunistinnenundKommunistenalsunerwünschtund«asylunwürdig».23 ZuständigfürdieAnerkennungalspolitischerFlüchtlingwardieSchweizerischeBundesanwaltschaftinBern.

Das1934inKraftgetreteneBundesgesetzüberAufenthalt undNiederlassungderAusländervom26.März1931sah dreiAufenthaltsformenvor:DieNiederlassung,diedieExistenzgültigerAusweispapieredesHeimatstaatesvoraussetzte, ermöglichteeinenunbefristetenAufenthalt.Dieaufeinbis zweiJahrebefristeteAufenthaltsbewilligungwurdeinderRegelfürArbeits-undAusbildungsaufenthalte,alsoetwaein EngagementaneinemTheaterodereinUniversitätsstudium, erteiltundhingebenfallsvongültigenAusweispapierenab. Werdarübernichtverfügte,etwaweilderdeutscheReisepass abgelaufenwar,konntegemässArt.5undArt.6desBundesgesetzesüberAufenthaltundNiederlassungderAusländer wedereineAufenthalts-nocheineNiederlassungsbewilligung

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erhalten.InsolchenFällenwurdegemässArt.7eineaufdrei bissechsMonatebefristeteToleranzbewilligungausgestellt, diedieLeistungeinerKautionvoraussetzte.

WährendThomasManninderSchweizVorträgehalten, inZeitungenundimOprecht-Verlagpublizierenundim Sommer1937sogareineeigeneExil-Zeitschrift Massund Wert gründenkonnte,warendiemeistenliterarischoder künstlerischTätigenimExileinschneidendenEinschränkungendurchdieFremdenpolizeiausgesetzt.VorderErteilung vonArbeitsbewilligungenholtedieseinderRegelGutachten ein,etwabeimSchweizerischenSchriftsteller-Verein,dem heutigenSchweizerischenSchriftstellerinnen-undSchriftstellerverband,derauspolitischenGründenoderschlichtaus FurchtvorKonkurrenzmeistnegativStellungnahm.Schreibendevon«geringererBedeutung»musstenmitBeschränkungenrechnen,durftenbeispielsweisezwarihreBücherverlegenoderihreStückezurAufführungbringen,abersich nichtjournalistischbetätigen.GrundsätzlichgaltzumSchutz desschweizerischenArbeitsmarkteseinstriktesArbeitsverbot fürEmigrierteundGeflüchtete,dasnichtzuletztbezweckte, derenIntegrationindassozialeLebenderSchweizzuverhindernunddieWeiterwanderungzubeschleunigen:Dadie SchweizsichbezüglichderFlüchtlingeausschliesslichals Durchgangslandbetrachtete,warendieseverpflichtet,jede MöglichkeitzurWeiterreisebzw.AuswanderungineinanderesLandwahrzunehmen.

ZunächstbliebderGrenzverkehrrelativstabil,bissichin denerstenWochennachdemEinmarschdeutscherTruppen inÖsterreicham12.März1938rund6000überwiegendjüdischeMenschenindieSchweizretteten.Am29.desMonats wurdendieGrenzorganeüberdieEinführungderVisumpflichtfürehemaligeösterreichischeStaatsbürgerab

1.April1938orientiert.SoerfolgteimSommerderMassen-

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exodusausOstösterreich,vorallemausWien,überVorarlbergindieSchweiz,meistillegal,zuFussüberdiegrüne Grenze.Alsab15.AugustösterreichischedurchdeutschePässeersetztwurden,waresösterreichischenFlüchtlingenzunächstwiedermöglich,ohneVisumindieSchweizeinzureisen.AufVorschlagdesChefsderEidgenössischen Fremdenpolizei,HeinrichRothmund,beschlossdieSchweiz dieVisumpflichtfüralledeutschenStaatsangehörigenab 1.Oktober,wasdieReichsregierunginBerlinjedochablehnte.Am4.Oktober1938akzeptiertederBundesratdievon DeutschlandvorgeschlageneKennzeichnungderPässejüdischerDeutschermiteinem«J»-Stempel.

DerBundesratsbeschlussüberÄnderungenderfremdenpolizeilichenRegelungvom17.Oktober1939schufdenrechtlichenStatusderEmigrantenundEmigrantinnen,dieinder FolgekantonaleToleranzbewilligungenerhielten.Unter OberaufsichtdesfürdieschweizerischeFlüchtlingspolitikzuständigenEidgenössischenJustiz-undPolizeidepartements,in dessenFührungsspitzeantisemitischeundfremdenfeindliche TendenzenvorhandenwarenunddessenPolitikprimärauf dieAbwehrGeflüchteterausgerichtetwar,erhieltensieeinen Aufenthaltsortzugewiesenundkonntenseit1940fürdenArbeitsdienstineinArbeitslagereingewiesenwerden.24 Bereits seit5.September1939warensämtlicheAusländerinnenund Ausländervisumpflichtigundmusstensichinnerhalbvon24 StundennachAnkunftanmelden.AllenachdiesemStichtag illegalindieSchweizGekommenensolltenausgewiesenwerden.

BaselundseineUmgebung,dieZäuneamBadischen Bahnhof,dielangsamfahrendenZügeRichtungGrenzach, die«GrüneGrenze»indenWäldernderEisernenHand, botenbiszuihrerVerschliessungmitStacheldraht1942zahlreiche,wennauchkeineswegsgefahrloseMöglichkeiten,ohne

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VisumindieSchweizzuflüchten.DieortskundigendeutschenBehördeninklusivederGestapowarenAusreisewilligen sogarbeimillegalenÜbertrittindieSchweizbehilflich,da diesesichsonstimdeutschenGrenzgebiet«aufstauen»würden.25 InLörrachtrafenausganzDeutschlandangeschleppte Personen,manchmalsogarinregelrechtenSammeltransporten,zwecksAbschiebungüberdie«GrüneGrenze»ein.Das BaslerPolizeidepartementbezeichnetediesePraxisals «Überstellerei».Am7.April1941ergingdiebundesrätliche Weisung,alleJudenseienunverzüglichzurückzuweisen.Im KantonsgebietaufgegriffeneFlüchtlinge,besondersüberstellte Personen,wurdenimPolizeiwagendirektvordaszuständige AmtinLörrachzurückgebracht.

Die – erstnachdemKriegsobenannte – «Wannseekonferenz»am20.Januar1942inBerlindientedazu,diebegonneneShoahimDetailzuorganisieren,konkret:dieDeportationdergesamtenjüdischenBevölkerungEuropaszur VernichtungindenOstenzuorganisieren.Nachdemauchim besetztenFrankreichdieAbtransportebegonnenhatten, schlossdieSchweizam13.August1942ihreGrenzen.Trotz massiverProteste,unteranderemderBaslerKarlBarthund AlbertOeri,bekräftigtederBundesratseinenBeschluss,jüdischeFlüchtlingeseienanderGrenzezurückzuweisen,auch wennsieanLeibundLebenbedrohtseien.LediglichentfloheneKriegsgefangene,Deserteureundjenewenigen,dieals politischeFlüchtlingeakzeptiertwurden,konntennochauf Aufnahmehoffen.DerBaslerBankierPaulDreyfusreistemit der«Flüchtlingsmutter»GertrudKurzaufdenMontPélerin,woBundesratEduardvonSteigerseineFerienverbrachte, schilderteineinemdreistündigenGesprächdieSituationim «DrittenReich»underbatdieWiederöffnungderGrenzen. VonSteigersprachvon«Gräuelmärchen»,liesssichaber umstimmenunderteilteam23.August1942dieWeisung,

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«inbesonderenHärtefällenkeineRückweisungenmehrzu verfügen».26

1942differenziertendieBehördendieExilierteninder SchweizundschufendenStatusdes«sogenanntenFlüchtlings»27 .Wiedie – vordem1.August1942eingereisten –EmigrantenwarenauchdieseZivilflüchtlingezurmöglichst raschenAusreiseausderSchweizverpflichtet.Dadieswegen ihrerGefährdungundderKriegsumständepraktischnicht möglichwar,wurdenFlüchtlinge,dieinsLandesinneregelangtwarenundderenAusschaffungalsnicht«tunlich»28 betrachtetwurde,inArbeitslagerninterniert.ArbeitsuntauglichenwurdemeisteinZwangsaufenthaltuntermilitärischer Aufsichtzugewiesen.

Insgesamtwurden,soschätztman,mindestens 30000Menschen,dieindenJahren1933bis1945Zuflucht suchten,vonderSchweizabgewiesen.AlleinvonJanuar1940 bisMai1945gabes24398aktenkundigeWegweisungen.

LauteinerStatistikausdemJahr1941machtendie9150seit 1938eingewandertenunddie10279SchweizerJüdinnen undJudenzusammenlediglich4,6ProzentderSchweizerBevölkerungaus,eskonntealsokeineRedeseinvoneiner «Verjudung»derSchweiz,ebensowenigBasels:Hatteman währenddesDreissigjährigenKriegesbeieinerregulärenEinwohnerzahlvon11000rund7600Geflüchtetebeherbergt, lebten1943etwa1400jüdischeEmigrierteundFlüchtlinge indernunmehrals160000SeelenzählendenStadt,also 0,8ProzentderBevölkerung.DassderenjüdischeOrganisationenfürdenUnterhaltaufkommenmussten,brachtediese zeitweiseandenRandihrerfinanziellenundpersonellen Kräfte.

Erstam12.Juli1944wurdedieAnordnunggestrichen, Flüchtlinge«ausRassegründen»seienabzuweisen.Ende1944durfteneinigeHäftlingederKonzentrationslager

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Bergen-BelsenundTheresienstadtgegenBezahlungeines «Kopfgelds»andieDeutschenindieSchweizausreisen.Am 6.Februar1945rangsichderBundesratdazudurch,offiziell gegendieMassenvernichtungjüdischerMenschenzuprotestieren.BeiKriegsendeam8.Mai1945hieltensichetwas mehrals115000geflüchteteMenscheninderSchweizauf.

RegierungsratCarlLudwig,derdemBaslerPolizeidepartementbis1935vorstand,sahdiegrundsätzlicheDiskussion überdie«Überfremdungsfrage»alsberechtigtanundhielt sichinderRegelstrengandieVorgabendesBundes.Ab1935 besassdas«roteBasel»einelinkeMehrheitinderExekutive.MitLudwigsNachfolger,dembisherigenGewerkschaftssekretärFritzBrechbühl,beganneineneuePeriodederBasler Flüchtlingspolitik,dieinderNachkriegszeitdenRufeiner humanitärerenPraxiserhaltensollte,welchesichwohltuend vonderderjenigenmanchandererKantoneabgehobenhabe. DennochwurdenalleinzwischenAugustundOktober1938 84jüdischeEmigriertedemLörracherBezirksamtüberstellt.

TatsächlichgerietenBrechbühlundzweiseinerChefbeamten Anfang1939inKonfliktmitderEidgenössischenFremdenpolizei,weilsieinrund140Einzelfällendieangeordneten RückstellungenandieGrenzenichtbefolgthatten.SieverteidigtensichunterBerufungauf«menschlicheÜberlegungen»undargumentierten,dass«dieBaslerBevölkerungeine solchePraxisderFremdenpolizeischarfverurteilenwürde».29

SpäterwarntendieBernerBehördendenstellvertretenden ChefdesBaslerKontrollbürosmitdemHinweisaufdas SchicksaldesSt.GallerLandjägerhauptmannsPaulGrüninger,der1938etwa2000Flüchtlingegerettethatteundwegen MissachtungvonAnordnungenseinerVorgesetztenfristlos entlassenwordenwar.30

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ZudentragischenFällengehörtderdes1905inBratislava geborenenjüdischenJournalistenNikolausStrem,deram 27.Mai1939vonFrankreichausnachBaselgelangte.Drei TagespätererhielterdenBescheidderFremdenpolizei,dass seinAufenthaltinderSchweizverweigertwerdeunderbis 6.Juniauszureisenhabe.WährendsichStremumeineEmigrationnachGrossbritannienbemühte,gelangesderIsraelitischenFürsorgezweiMal,eineErstreckungderAusreisefrist zubewirken,zuletztbis9.Juli.IneinemletztenSchreiben vom19.JulibatsiedieFremdenpolizei,StremsNamen«infolgeTodesfall»31 vonderListezustreichen:AusAngstvor derAusschaffunghatteersicham17.Juli1939dasLebengenommen.

Ende1942befandensichbeirund18000Zivilflüchtlingen rund180LiteratinnenundLiteratensowie150TheaterschaffendeinderSchweiz.Obschonsichdiemeistenprominenten Intellektuellen,literarischoderkünstlerischTätigeninZürich undimTessinaufhielten,konnteauchBaselalsExilortbekannteNamenaufweisen:

Der1884inBerlingeborene,auseinemassimilierten,kaisertreuenjüdischenElternhausstammendeWilhelmHerzog, deralsJournalistschonEndeder1920er-Jahrehellsichtig «gegendenkommendenKriegundgegendieheutebereits mitäusserstemRaffinementvorbereiteteKriegspsychose»32 gekämpfthatte,warseinerzeiteinerderbekanntestendeutschenPublizisten.EinsthatteerThomasMann,demermittlerweilefreundschaftlichverbundenwar,zuwüstenAusfällen hingerissen.DieserhattedenFreundundTrauzeugenseines BrudersHeinrichMannals«schmierigenLiteraturschieber, dersichdurchJahrevoneinerKino-Diva»aushaltenliess», beschimpft(HerzogsersteEhefrauwarderhochbezahlte

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StummfilmstarErnaMorena)undalseinen«Geldmacher undGeschäftsmannimGeistvondergrossstädtischen ScheisseleganzdesJudenbengels».33 Mannwar,obgleichseineFrauKatiaausderbekanntenjüdischenFamiliePringsheimstammte,keineswegsfreivonAntisemitismus.EchauffierthatteersichvorallemwegenHerzogsSolidaritätmit demSozialistenKurtEisner,der1918inMünchendieRäterepublikausgerufenundHerzogdieLeitungdesPresse-und PropagandabürosdesArbeiter-undSoldatenratsübertragen hatte.1929hatteHerzogzusammenmitHansJoséRehfisch DieAffäreDreyfus verfasst,dieexemplarischdieEntstehung vonRassenvorurteilenimFrankreichderDrittenRepublik rekonstruiert.

Am13.Februar1933warHerzogzunächstinssüdfranzösischeFischerdorfSanary-sur-Meremigriert,wozahlreiche ausDeutschlandgeflüchteteProminenteZufluchtfanden, vondortam1.Oktober1933nachZürich.Obwohlerseine zahlreichenArtikelinSchweizerGazettenunterPseudonymenveröffentlichte,wurdedieZürcherFremdenpolizeiauf seineAktivitätenaufmerksamundverwarnteihn.1934übersiedelteHerzoginsalswenigerrestriktivgeltendeBasel,unterlagaberauchdortBeschränkungen:«Dasheisst,eswar vonderFremdenpolizeistrengstensuntersagt,eineStellung anzunehmenoderauchnurzehnFrankendurchArbeitzu verdienen.PolitischeArtikelzuschreiben,warbeiStrafeder AusweisungausderEidgenossenschaftverboten.Ichbetätigte michtrotzdemliterarischundpolitisch:GestütztaufdieEinladungvondreiBaslerRegierungsräten,regelmässigfürihre Arbeiter-Zeitung aussen-undkulturpolitischeArtikelzu schreiben.»34 SchonbaldbegannsichdieBundesanwaltschaft zufragen,werhinterdenmitdemKürzel«F»gezeichneten Artikelnsteckenmochte.HerzogsPseudonymwurdegelüftet, dochderSchutzseinerGönnerwarsoeffektiv,dasserunbe-

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helligtblieb.SowarereinerderwenigenemigriertenAutoren,dielängereZeitimSchweizerExilnichtnurleben, sondernauchGeldverdienenkonnten.Als1937seinStück Panama alsSchweizerErstaufführungamStadttheaterBasel gezeigtwurde,wardas«vonderseriösenTheaterkritikabgelehntepolitischeTendenzstück»fürden Basilisk,dasParteiorganderNationalenVolkspartei,AnlasszurFrage:«Erhält BaseleinEmigrantentheater?»35

Am8.Mai1939heiratetederimmerhinbereits55Jahre alteHerzogdie31-jährige,nachkurzerEhemitdemebenfalls wesentlichälterendeutschenSchriftstellerKurtVollmoeller verwitweteAliceLaRocheausderangesehenenBaslerBankiersfamilie – gegendenWillenihrerEltern.Dervonden BaslerBehördennurvorübergehendgeduldeteStaatenlose ohneVermögen,nochdazujüdischerHerkunft,Pazifistund ehemaligerKommunist,warallesanderealsdererwünschte EidamfürRobertLaRoche,MitinhaberdesBankhauses LaRoche&Cie.,PräsidentderSchweizerischenBankiervereinigungseit1927undVorstandsmitglieddertraditionsreichen«GesellschaftfürdasGuteundGemeinnützige».RobertLaRocheenterbteseineTochterundsprachzeitseines LebenskeinWortmehrmitihr,nichteinmaldieMitteilung vonderGeburtseinesEnkelswollteerzurKenntnisnehmen.36 TrotzseinerHeiratmiteinerBaslerinerhieltHerzog jedochkeineunbefristeteAufenthaltsbewilligung.1939wurde erimsüdfranzösischenSanary-sur-MervomKriegsausbruch überraschtundwieLionFeuchtwanger,WalterBenjamin undweitereSchriftstellerkollegenimLagerLesMillesinterniert.1941erhieltenerundseineFraudankThomasMann undAlbertEinsteinUSA-VisaundbestiegeneinSchiffnach Martinique,dasjedochzehnKilometervorseinemZielgekapertwurde.Bis1945warHerzoginTrinidadinterniert.

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NochheutepopuläristLisaTetznerszusammenmitihremEhemannKurtKläberverfasster,mehrmalsverfilmterJugendroman DieschwarzenBrüder überdasvonHunger,Russ undKältegeprägteLebeneinesTessinerKaminkehrerjungen.

ImFebruar1933warder1897inJenageboreneKommunist KläberunterdemVorwand,amReichstagsbrandbeteiligtgewesenzusein,in«Schutzhaft»genommenworden.Tetzner, 1894imsächsischenZittauzurWeltgekommenundineiner striktdeutschnationalorientiertenFamilieaufgewachsen,seit 1924seineFrau,hattedieFreilassungerwirken,Kläber,dessenWerkederBücherverbrennungzumOpferfielen,indie Schweizfliehenkönnen.WenigeTagespäterwarihmTetznergefolgt.SiehattensichinCaronaimTessininderNachbarschaftihresFreundesHermannHesseniedergelassen;vorübergehendwarauchderebenfallsausDeutschland geflüchteteBertoltBrechtbeiihnenuntergekommen.Wie üblichlegtedieEidgenössischeFremdenpolizeiihreGesuche umArbeitsbewilligungdemSchweizerischenSchriftsteller-VereinzurStellungnahmevor.DerempfahlfürdiealsMärchenerzählerinprofilierteTetzner,dieinBerlinKursein SprecherziehungundStimmbildunganderSchauspielschule desDeutschenTheatersbelegtundanderUniversitätbei EmilMilanVortragskunststudierthatte,nureineArbeitserlaubnisalsRezitatorin,nichtaberalsSchriftstellerin.Kläber erhieltgarkeineArbeitserlaubnis.ImOktober1934erklärte derSSV,erhabeangesichtsderTatsache,dassdie«literarischeInvasion»ausDeutschlandstarknachgelassenhabe, nichtsdagegen,«dassFrauLisaKläber»auchalsSchriftstellerin«dieArbeitsbewilligungbisaufweitereserteiltwird.»37 Obgleichihr1929erschienenerersterJugendroman Hans Urian.DieGeschichteeinerWeltreise 1933inDeutschland verbotenwordenwar,versuchtesiesichdendortigenBuchmarktoffenzuhalten,trat1934demReichsverbandDeut-

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scherSchriftstellerbeiundnahmimJahrdaraufKontakt zumPräsidentenderReichsschrifttumskammerHans-FriedrichBlunckauf,umdieVeröffentlichungihresBuches Was amSeegeschah zuerwirken,daszwarerschien,aberbereits 1937wiederverbotenwurde.Danachbemühtesiesichverstärkt,sichaufdemschweizerischenBuchmarktzuetablieren – mitErfolg:DerVerlagSauerländernahmsieinseinen festenAutorenstammauf.

ImApril1937tratLisaTetznereineStellealsDozentin fürStimmbildungam1925gegründetenKantonalenLehrerseminarBaselan.SehrzumMissfallenderEidgenössischen Fremdenpolizei,diesie,denEinwendungendesSchweizerischenSchriftsteller-Vereinsfolgend,etwasspitzdaraufhinwies,«dassIhremAufenthaltinderSchweizdeshalbzugestimmtwordenist,weilIhreGesundheit[ … ]dauerndes VerbleibenimTessinverlangt.Nachdemdies[ …

mehrnötigist,möchtenwirIhnenempfehlen,inIhremeigenenInteressemöglichstfrühzeitigIhreÜbersiedlunginsAuslandvorzubereiten.»38 AufgrundvonInterventionenunter anderemdesVerlegersHansSauerländerunddesSchriftstellerTraugottVogelkonntediebevorstehendeAusweisungverhindertwerden.KurtKläbergelang1941mitdemunterdem PseudonymKurtHeldveröffentlichtenRoman DieroteZora derDurchbruchalsinternationalanerkannterJugendbuchSchriftsteller.NachdemKriegcharakterisierteKläberineinemBriefanAlbertEhrensteindieSituationimExil:«Wir leben[ … ]nochaufunseremBerg,esistmanchmalschwer, aberwirsinddochdurchgekommen.Lishatteweiterihre DozentenarbeitinBaselundichwarBauer.»39 LisaTetzner, die1948SchweizerStaatsbürgerinwurde,unterrichtetenoch bis1955jeweilsimWintersemesteramKantonalenLehrerseminarBasel.Siestarb1963,dreieinhalbJahrenachKläber,an

]nunnicht
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denFolgenmehrererSchlaganfälleineinemLuganerKrankenhaus.

DieBasler National-Zeitung warinprekärenZeiteneinwichtigesPublikationsorganderdeutschsprachigenExilliteratur, vorallemdankdesumtriebigenLiteratur-undTheaterkritikersOttoKleiber,dervon1919bis1953alsverantwortlicher FeuilletonredaktornichtnurihrAnsehen,sonderndurchliterarischeundliteraturkritischeBeilagenauchihrenUmfang unddamitdieMöglichkeiten,einenArtikelzuplatzieren, mehrte.ManmusstefreilichnichtinBaselwohnen,umin der National-Zeitung zupublizieren:Kleiberveröffentlichte BeiträgevonMaxBrod,EugenGürster,IrmgardKeun,AnnetteKolb,SiegfriedKracauer,RutLandshoff,ElseLaskerSchüler,Erika,KlausundThomasMann,RobertMusil, HansNatonek,AlfredPolgar,AlexanderRodaRoda,Joseph Roth,RenéSchickele,StefanZweigundvielenanderen.

ZudenbekanntestenAutorender National-Zeitung,diein BaselZufluchtgesuchthatten,gehörtenebenAlexanderMoritzFrey,demindiesemBucheineigenesKapitelgewidmet ist,der1892inWiengeborene,1938nachBaselemigrierte «SpezialistderhumorvollenSatire»40 WilhelmLichtenberg. ErverfassteGesellschaftsromane,Kurzgeschichten,Novellen und,wieseinungleichbedeutendererNamensvetterim 18.Jahrhundert,Aphorismen,zudemHörspiele,Librettiund eineReihepublikumswirksamerKomödien,dieauchinder SchweizmitbeachtlichemErfolgaufgeführtwurden.ImBaslerExilerhielterzunächstkeineArbeitsbewilligung,verstiess aberwiesovielegegendiesefremdenpolizeilicheAuflageund verkaufte,umseinefinanzielleSituationaufzubessern,humoristischeBeiträgeandiverseZeitungen,weswegener1942behördlichbelangtwurde.Ererklärte,seine«vielfachenund immerwährendenBemühungen,nachÜberseezukom-

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men»,41 wärengescheitert.ErstalssichEduardFritzKnuchel,Redaktorder BaslerNachrichten,SekretärderLiteraturkredit-KommissionBasel-Stadtund1939dereigentlicheBegründerdesSchweizerischenFeuilleton-Dienstes,dezidiert fürLichtenbergeinsetzte,erteiltemandiesemtrotzgegenteiligerStellungnahmedesSchweizerischenSchriftsteller-Vereins einebeschränkteGenehmigungzurMitarbeitamFeuilleton derschweizerischenPresse.1943lobteLichtenberg,die National-Zeitung habe«dervertriebenenWissenschaft,Kunst undLiteraturdenallerletzten,abergewissenhaftenResteiner Publizität»geboten,«einAsyl,dasspätereinmalkulturhistorischenWertbesitzen»42 werde.NachdemKriegkonnte sichWilhelmLichtenbergalsLustspiel-AutorinderSchweiz etablieren,woseineSchwänkeundKomödienvorwiegendam ZürcherTheaterdesBaslersRudolfBernhardaufgeführtwurden,darunter DerElefantimPorzellanladen mitBernhard selbst, DerMannimVorzimmer mitEmilHegetschweiler und CasanovaII mitRuediWalterundMargritRainer.Als Lichtenberg,derinBaselunterandereminderSpalenvorstadt39undinderMilitärstrasse57gewohnthatte,1960 starb,rief DerBund einemder«bedeutendstenVertreterder altenösterreichischenFeuilletonistenschule»nach:«ErlebteseitdemWeltkrieginBasel,woersichüberraschendgut assimilierthatte.»43

BemerkenswertsindauchetlicheheuteweitgehendvergesseneMitarbeitendeandererinBaselerscheinenderZeitungen, wie,umnureinenzunennen,der1904geboreneHermann Venedey.Erentstammteeinemtraditionelldemokratischen Elternhaus,hatteGeschichte,GermanistikundRomanistikin FreiburgundWienstudiertundwar1927miteinerDissertationüberseinenGrossvaterpromoviertworden,denPublizistenundPolitikerJacobVenedey,der1832amHambacher Festteilgenommenhatte.Am13.März1933hatteerals

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LehramtsassessoranderOber-RealschuleinKonstanzein Zeichengesetztund,alsaufdemSchulgebäudedieHakenkreuzfahneaufgezogenwerdensollte,ineinemProtestschreibenderSchulleitungmitgeteilt,dassdieseinBruchderWeimarerVerfassungsei,aufdieerseinenTreueidgeleistethabe. ImAugenblickderFlaggenhissungwerdeerseinLehramtniederlegen.VenedeyverlorseinenBeamtenstatus,wurdeinder inKonstanzerscheinenden Bodensee-Rundschau geschmäht –worauf,sowirdseinSohnerzählen,niemandmehrwagte,ihn einzustellen,«undseiesnurfüreineHilfsarbeit»44 – und öffentlichaufgefordert,dieStadtzuverlassen.Am13.Juni1933emigrierteernachBasel,wenigeTagedarauffolgte seineFraumitdemeinjährigenSohn.ZunächstdurfteeroffiziellkeinerArbeitnachgehen,alsoschrieberunterPseudonymenfürverschiedeneBlätter.45 1937wurdeerHilfsmitarbeiterderBaslerUniversitätsbibliothek,1942,nunalspolitischer Flüchtlinganerkannt,KorrektorbeimBennoSchwabeVerlag.AlsVenedey,derzuletztinderDittingerstrasse10ansässiggewesenwar,imSeptembernachKonstanzzurückkehrte, empfingmanihnkeineswegsmitoffenenArmen,dochwurde ervonderfranzösischenBesatzungsmachtalseinerderwenigenunbelastetenLehrereingesetztundkonnte1948dieLeitungderOberrealschuleübernehmen.Bisindie1960er-Jahre hineinerhieltderals«Nestbeschmutzer»geschmähteDemokratMorddrohungen.

ZweifelloszudenschillerndstenFigurendesBaslerLiteraturexilszähltHugoMarcus,derallerdingszunächstnichtin derStadtselbst,sonderninderBruderholzstrasse7imnahen Oberwillebte.Geboren1880ineinejüdischeIndustriellenfamilieinPosen,demheutigenpolnischenPoznań,setzteer sichinBerlinimWissenschaftlich-humanitärenKomiteeseinesFreundesMagnusHirschfeldfürdieRechteHomosexuellerein,schriebab1914fürKurtHillerspazifistischeZeit-

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schrift DasZiel,wurdeMitglieddesKreisesumStefanGeorgeundhatteErfolgemitphilosophischenundspirituellen Büchern.ErkonvertiertezumIslam,wurdeGeschäftsführer derdamalseinzigenMoscheeinDeutschland,derAhmadiyya-MoscheeinBerlin-Wilmersdorf,bliebaberdennochzugleichMitgliedderjüdischenGemeindeundunvermindert aktivinderHomosexuellenbewegung.SeineVorlesungenin derMoscheezogeneinbreitesPublikuman,darunterauch ProminentewieThomasMannundHermannHesse.Bei denNovemberpogromen1938wurdeerverhaftet,ins KZSachsenhausenbeiOranienburgverschlepptundbrutal misshandelt.DerImamderWilmersdorferMoscheereichte einoffiziellesFreilassungsgesuchein,dankSheikMohammed AbdullaherhieltMarcuseinVisumnachBritisch-Indienund wurdeunterderBedingungderAusreisefreigelassen.Am 24.August1939überquerteermiteinemhundertKilo schwerenKoffermitseinenBüchernundManuskriptendie SchweizerGrenze.ErbesuchteanderBaslerUniversitätVorlesungenbeiHermanSchmalenbach,beschäftigtesichmit FriedrichNietzscheundImmanuelKantundarbeiteteals freierSchriftsteller;unteranderemwarerunterdemPseudonymHansAlienusfürdieinternationalbeachteteHomosexuellenzeitschrift DerKreis tätig.NachdemTodvonBerta Kaiser-Graf,seinerOberwilerLogisgeberinseit1939,imOktober1956undeinemkurzenAufenthaltinZürichübersiedelteer1957nachBaselinsPrivatheimSonnenbühlinder Holbeinstrasse85,1965insAlters-undPflegeheimderAdullam-StiftunginderMissionsstrasse20,woer1966starb –versehenmiteinem«PassfürAusländer»,dendieEidgenössischePolizeiabteilung1964trotzanderslautendenAntrags aufdenihm1938vondenNazisoktroyiertenNamen «HugoIsraelMarcus»46 ausgestellthatte.

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DerwohlprominentesteMusikerimBaslerExilwarAdolf Busch,derals der deutscheViolinistgalt.1891inSiegenzur Weltgekommen,hatteersichmitseinerFamilieundseinem zukünftigenSchwiegersohn,demPianistenRudolfSerkin, schon1927inBaselniedergelassen.ZunächstinderSt.Alban-Vorstadt96ansässig,bezogenBuschundSerkin1932 zweinacheigenenVorstellungenerrichtete,durcheineBibliothekverbundeneHäuseramSchnitterweg50und52in Riehen.Am1.April1933,zweiMonatenachderMachtübergabeandieNationalsozialisten,zogBuscheinenSchlussstrichunterseineKarriereinDeutschlandundsagteallebereitsannonciertenKonzertedortab.AdolfBuschsFrau FriedawarinderTerminologiederNationalsozialisten «Halbjüdin»,dieFrauvonHermannBusch,demCellisten desBusch-Quartetts,ebensojüdischwieKarlDoktor,derdie ViolaimQuartettspielte,undwieRudolfSerkin.Alsder LeipzigerMusikverlagFr.Kistner&C.F.Siegelihmim März1934NoteneinesneuerschienenenViolinkonzertesvon RichardWetzzusandteunddasBegleitschreibenmit«Heil Hitler»unterzeichnete,antworteteAdolfBusch:«Wirlehnenesganzentschiedenab,mitIhremGrussverabschiedetzu werden.WirlebenhierinderSchweiz,wasbedeutet,dasswir IhreGrussformelalsBeleidigungempfinden.»47 1935nahm

AdolfBuschdasBaslerBürgerrechtan,auchseineFrauund seineTochterIrenewurdeneingebürgert.Serkinhingegen musstedaraufzweiweitereJahrewarten – wegenantisemitischerVorurteile:AuchinderSchweizexistierteeineantisemitischeTradition,dieinkeinemVerhältniszumAnteiljüdischerMenschenanderBevölkerungstand,der1930gerade einmal0,44Prozentbetrug.NachKriegsbeginnemigrierte AdolfBusch,dersichsonahederGrenzenichtmehrsicher fühlte,mitseinerFamilieindieUSA.

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ZudenbedeutendenMusikschaffenden,diesichinder EmigrationzumindestzeitweiseinBaselaufhielten,zählt auchder1896inMoskaualsSohneineseingewanderten DeutschenundeinerkurländischenRussingeboreneKomponistWladimirVogel,der1933,vondenNazisals«entarteter Künstler»gebrandmarkt,Berlinverlassenhatte.1935entschlossersichaufZuratendesfürdie National-Zeitung tätigenMusikkritikersHarryGoldschmidt,nachBaselzuziehen.

Alser – inprivatemRahmen – Kursein«NeuerMusik» gebenwollte,wurdedaspolizeilichverhindert.VogelsAufenthaltinBaselbliebindesnureineEpisode,ab1936lebteer überwiegendinComolognoimTessin.

DerexperimentierfreudigeAvantgarde-KomponistPhilipp Eichenwald,geboren1915alsdeutscherStaatsangehörigerim KantonLuzernundaufgewachseninDeutschland,kamebenfallsimJahr1935nachBasel,umbeimDirigentenFelix Weingartnerzustudieren,demernachWienundbalddaraufwiederindieSchweizfolgte – nachDeutschland,zuseinerMutter,konnteEichenwaldalsJudenichtmehrzurückkehren.Bis1940StudentamKonservatorium,wurdeerin einemTessinerArbeitslagerfürFlüchtlingeundEmigranten interniert,1942alsKorrepetitorundKapellmeisteramStädtebundtheaterBiel-Solothurnengagiert,aber1943,alsman ihndurcheinenSchweizerersetzenkonnteunddeshalbentliess,abermalsinterniert;imselbenJahrwurdedieMutter nachAuschwitzdeportiert.1946heirateteerRoswitha Schmalenbach,diejüngsteTochterdesSozialphilosophen HermanSchmalenbach.Seit1959BürgervonBasel,lehrte Eichenwald1965bis1980TheorieanderBaslerMusik-Akademie.

InBereichderbildendenKunstistvorallenanderenJan Tschicholdzunennen,einerdereinflussreichstenGrafiker

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derModerne.Geboren1902alsJohannesTzschichholdin LeipzigundausgebildetanderdortigenAkademiederKünste,galteralseinerderHauptvertreterderNeuenTypografie, derenAnwendunginDeutschland1933durchdieMachtübergabeandieNationalsozialisteneinabruptesEndefand. Tschichold,seit1926ProfessoranderMeisterschulefür DeutschlandsBuchdruckerinMünchen,wurdeseinesAmtes enthobenundwegenseiner«bolschewistischenundentartetenTypografie»48 fürvierWochenin«Schutzhaft»genommen.ZusammenmitseinerFrauEdithunddemvierjährigenSohnPeter,imGepäckseinewertvolle Grafiksammlung,konnteernachRiehenflüchten.Durchden DirektorderAllgemeinenGewerbeschule,derheutigenSchulefürGestaltung,HermannKienzle,dener1928beieiner Ausstellungnäherkennengelernthatte,erhielterdorteine befristeteHilfslehrerstelleinderLehrlingsausbildungundbezogmitseinerFamilieeineWohnunginderSteinenvorstadt9inBasel.1936verkaufteerderGewerbeschuleseine umfangreicheprivateKollektionmitrund1500BelegexemplarenmitDrucksachenunteranderemvonHerbertBayer, LászlóMoholy-Nagy,KurtSchwittersundElLissitzky.Eine vonKienzlegeplanteBerufungTschicholdszumOberleiter derFachklassenfürSchriftsatzundBuchdruckwurde1942 hintertrieben,offenbarmitErfolg.DervoneinerLehrkraft vertraulichinformierteSozialdemokratAugustStahel,VorstandderVolksdruckereiBasel,schriebdem«wertenGenossen»CarlMiville,demVorsteherdesErziehungsdepartements:«Ichwillhoffen,dassDu[ … ]diesenPlan durchkreuzenwirst,zumalTschicholdalsGraphikeresgar nichtverdienenwürde,überMännergesetztzuwerden,welcheeinevierjährigeLehrzeitabsolviertundsichseitderLehre ständigberuflichweitergebildethaben.EineErnennung TschicholdszumOberleiterwäre[ … ]einkompletterSkan-

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dal,denwirnichtunwiderrufenhinnehmenwürden.»49 Von 1933bis1940arbeiteteTschicholdalsGestalterfürdenBennoSchwabeVerlag,von1941bis1946fürdenBirkhäuser Verlag,späterwareralsDesignberaterfürHoffmann-LaRochetätig.

1932hatteTschicholddie SonateinUrlauten vonKurt Schwittersgestaltet,dieinderletztenAusgabeder MERZpublikationen erschienenwar.Am29.November1935erhielten JanundEdithTschicholdinBaselBesuchihresFreundes Schwitters.Der1887inHannoverzurWeltgekommeneMaler,Werbegrafiker,BildhauerundDichter,der,wegenseiner Kunstverfemt,ohneAusstellungs-undVerdienstmöglichkeitenineinerArtinnererEmigrationimnationalsozialistischen Deutschlandlebte,befandsichtiefdeprimiertineinerschwerenLebenskrise.SeineFreundeHansArpundSophieTaeuberhattenihmbeieinemBesuchinHannovereinenVortragsabendinprivatemKreisinBaselinAussichtgestellt,und Schwittershatte,obgleichernochgarkeineoffizielleschriftlicheEinladungerhaltenhatte,vollerVorfreudedenvorgeschlagenenTerminineinemBriefandenZahnarztundProfessorfürZahnmedizinanderUniversitätBaselOskar MüllerunddessenEhefrauAnnie,eineEnkelindesDichters JosefVictorWidmann,bestätigtunddiesendasdetaillierte Programmmitgeteilt.DasFlachdachhausdesBaslerSammlerundMäzenatenpaarsinderFringelistrasse16aufdemBruderholzgaltnebendemHausaufdemSchönenbergbeiPratteln,dasderDirigentPaulSacherundseineEhefrauMajaim selbenJahr1935bezogen,alswichtigsterTreffpunktfür KunstschaffendeinBaselundspielteeinezentraleRolleim kulturellenLebenderStadt.AmSonntagabenddes1.Dezember1935fandensichdortzum«VortragsabendKurt Schwitters»nebenJanTschicholdauchMajaundPaulSacher,SophieTaeuber,MargueriteHagenbachundHansArp

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ein,«aberauchdie ‹ Prominenz › vonBasel,dieallerdings ziemlichversagte.Alsichnachder,vonSchwittersgesprochenen,Urlautsonate[ … ]einejüngere ‹ Prominenz › fragte, ‹ wiefandenSiees,wardasnichtgrossartig?›,erhieltichdie Antwort:reinerBlödsinn!ImmerhinderGrossteilderZuhörergingintensivmitundsowarendieberühmtenPerlen nichtganzvordie,sagenwir:Stumpfsinnigengeworfen», 50 soAnnieMüller-Widmann.InsgesamtelfTageverbrachte KurtSchwittersinBasel,unterbrochenvondreiTagenSkilaufenimBernerOberland,einemTaginBernundfünfTageninZürich,dieihnwenigbegeisterten:«[ … ]inZürichist mandumm-stolz,blasiert,verschlossenundzanksüchtig».51 ZumAbschiedausBaselüberreichteerAnnieMüller-WidmanneineHommageandievonihmsoästimiertekunstsinnigeStadtvollerAnspielungenaufderenKunst:«Dortlint esBöck;/DortbeintesHol,/EswaldetGrünundWitzt.»

DieVerse«Esbrennt,/Wennsbrennt,/ImKleid»52 sind aufdieKunstsammlerinundMäzeninMajaSachergemünzt, einestarkeRaucherin,dieihrevonFredSpillmannangefertigtenextravagantenKleidernichtseltenzudiesemzurückbrachte,damitderCouturierdieBrandfleckendurchRetuschenmodeschöpferischveredelte.VorseinerAbreiseam 20.Dezember1935gabSchwittersdemBaslerInnenarchitektenundKunsthändlerChristophBernoullieinemitdemTitel Bruderholz verseheneCollage,dieerhalbfertigmitindie Schweizgebrachtundhieram1.Dezembervollendethatte, inVerwahrung.

Der1909inBerlingeboreneMalerundBühnenbildner RolfGérardmeldetesicham3.Oktober1934alsMedizinstudentinBaselan,woer1937mitderDissertation UntersuchungüberGrössenempfindungenbeibinokularemundmonokularemSehen promoviertwurde.1933warerseiner jüdischenLebensgefährtin,derspäterzuHollywood-Ruhm

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VOM NATIONALSOZIALISMUS VERFOLGTE IM BASLER EXIL

Zwölf Porträts schildern die unterschiedlichen Schicksale von künstlerisch und publizistisch tätigen Menschen, die aus dem «Dritten Reich» nach Basel flohen. Darunter die Schriftsteller Hans Weigel und Alexander Moritz Frey, die Organistin Lili Wieruszowski, drei Germanisten, die unter dem Pseudonym Stefan Brockhoff Kriminalromane mit Lokalkolorit verfassten, und der einst bestbezahlte deutsche Stummfilmstar Ludwig Trautmann. Den Journalisten Berthold Jacob kidnappte im Kleinbasel die Gestapo. Der Nazi-Günstling Gustaf Gründgens kam nur aus taktischen Gründen nach Basel. Margit von Tolnai verstiess gegen das Arbeitsverbot und wurde interniert. Während Gustav Hartung als engagierter Antifaschist den Nationalsozialisten verhasst war, entwickelte sich Wilhelm Kiefer im Exil zum überzeugten Anhänger Hitlers. Käte Rubensohn diente als Inspiration für eine der berühmtesten Romanfiguren der Schweizer Literatur. Und der in Basel aufgewachsene, aber nach Deutschland ausgewiesene Rainer Brambach floh zurück in seine Heimatstadt.

Pointiert und kenntnisreich zeigt der Autor in seinen Lebensbeschreibungen die Bandbreite des Exils in Basel auf.

ISBN 978-3-7 296-5135- 7 9

783729 651357
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