Ein Tag im Leben

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EIN TAG IM LEBEN

Peter C. Mott, 64. Der Direktor der Zurich International School ZIS sucht seine Lehrer in der ganzen Welt.

Meine normalen Tage sind vollgestopft mit Sitzungen, Telefonaten, Schulbesuchen an einem unserer fünf Standorte —  dem Üblichen halt. Doch das ist nichts im Vergleich zu einem Tag an einer Recruiting Fair. Dort habe ich manchmal bis zu 15 Bewerbungsgespräche nacheinander, und am Abend muss ich aufpassen, dass es mir den Kopf nicht wegsprengt. Trotzdem, für mich sind es die wichtigsten Tage im Jahr, weil ich dort die richtigen Leute für uns finden muss. Oder besser: Es waren die wichtigsten Tage, denn genau heute gehe ich als Direktor der Zurich International School in Pension.

Öffentliche Schulen geben Inserate auf, die International Schools suchen ihre Lehrer hingegen auf Recruiting Fairs, diesen Stellenbörsen, die funktionieren wie ein grosser Basar. Pro Jahr besuche ich sechs, je zwei in Bangkok, London und in den USA. Dort präsentieren sich normalerweise 150 internationale Schulen aus der ganzen Welt, die um 400 bis 500 Kandidaten buhlen — ein scharfer Konkurrenzkampf, auch unter den Schulen selber. Am schwierigsten ist die Suche nach guten Physik- und nach englischsprachigen Deutschlehrern. Für die Lehrer selber ist das natürlich toll. Kürzlich sah ich in BangDA S M A G A Z I N 2 6/2 0 1 2

kok ein Paar, das vor dem Luxusproblem von neun Angeboten stand. Will man in Asien bleiben, in die USA gehen, nach Schweden — oder lieber in die Schweiz? Ein Kandidat muss sich innert Tagen entscheiden, manchmal wird er sogar innert Stunden dazu gedrängt. An der ZIS haben wir gut 200 Lehrkräfte für 1500 Schüler, pro Jahr besetzen wir 15 bis 20 Stellen neu. Die Lehrer kommen meistens aus den USA, aus England, Australien oder Südafrika. Asiaten nehmen wir selten, die sind für unseren Geschmack zu sehr auf Drill aus. Natürlich ist diese Art von Lehrersuche ein Riesenaufwand, weshalb immer mehr Schulen aus Kostengründen nur noch per Skype rekrutieren. Mir passt das nicht. Ich muss einen Kandidaten live sehen und spüren, ob er ins Team passt. Mit jedem reden wir zweimal 45 Minuten, doch ist einer arrogant oder fragt nur nach Benefits, schalte ich innerlich nach zwei Minuten ab. Ich bin in Bern geboren, mit zwölf ins Ausland gezogen und mit 33 als Englischlehrer zurückgekommen. Obwohl ich seit 30 Jahren wieder hier lebe, fühle ich mich als Auslandschweizer, denn am wohlsten ist es mir in der «international community». Die Expats und ihre Kinder gelten ja gerne als globale Nomaden, trotzdem traue ich diesen welterfahrenen Leuten eher nachhaltiges Denken zu als jenen, die ihr Dorf in den USA oder im Muotatal nie verlassen. Weil an der ZIS mehr oder weniger alle nach drei, vier Jahren weiterziehen — Schüler, Eltern und Lehrer — , ist unsere Schule eine temporäre Ersatzheimat, ja eine Ersatzfamilie für Schüler wie für ihre Eltern. Und gerade deshalb sind die Beziehungen zu den Lehrern viel intensiver als an einer öffentlichen Schule, wo man nach Hause geht und in der lokalen Gemeinschaft verwurzelt ist. Ich bin ein Nachtmensch, vor Mitternacht gehe ich nie ins Bett. Am Abend habe ich die Ruhe, um über längerfristige Projekte nachzudenken. In meinen gut 20 Jahren als Leiter der ZIS hatte ich immer das gleiche Ziel: unsere Schüler zu verantwortlichen Bürgern zu erziehen, die die Welt bleibend verändern können. Klingt wie aus dem Prospekt, ich weiss, aber es ist so. Warum sonst hätte ich Lehrer werden sollen? Und deshalb gibt es für mich auch keinen wichtigeren Beruf.

Protokoll M ART I N B EGL I N GER Bild S I M O N S C HW Y Z ER

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