SAISON (Juni 2013)

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19 wichtigsten Erkenntnisse: Die beste Idee ist selten die erste. Wer sich an die allererste Eingebung klammert, hat zumeist schon verloren.

Post-it und Playmobil.

Als der Chemiker Spence Silver von der Firma Minnesota Mining and Manufacturing Ende der 1960er einen neuen Superkleber entwickelte, war er vom Ergebnis tief getroffen. Der Kleber tat vor allem eines nicht: dauerhaft kleben. Mit so gut wie keinem Kraftaufwand ließ er sich wieder ablösen.

dem Einfluss dieses Denkens droht aber die Forderung nach steigender Innovationsfähigkeit zur Leerformel zu verkommen.“ Wer Innovation möchte, muss das Scheitern zulassen. Auch der Erfinder des Laser-Druckers, ein Techniker der Firma Xerox, führte seine Tests trotz zahlloser Fehlschläge und dem immer heftiger werdenden Kopfschütteln seiner Kollegen stetig fort. Schlussendlich wurde das von ihm entwickelte Gerät das grandiose Erfolgsprodukt der Firma. Der Autokonzern Toyota sanktioniert gar Mitarbeiter, die

REINHOLD BAUER, HISTORIKER AN DER UNIVERSITÄT STUTTGART

Homo heidelbergensis, den letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertaler und Homo sapiens, bereits vor 500.000 Jahren dazu an, Steinspitzen auf Wurfspeere zu stecken. Und 400.000 Jahre später kam der Mensch vermutlich auch erst nach einigem Ausprobieren auf die Idee, seine Bettenlager in der südafrikanischen Sibuduhöhle aus den Blättern einer bestimmten Baumart zu bauen, die Gifte gegen Malariamücken produziert – sozusagen als erste Form des biologischen Insektenschutzes. Zu scheitern widerstrebt dem Menschen. Wissen, dass man falsch liegt, kann zermürben und einem die Schamesröte ins Gesicht treiben: „Es macht mich rasend, Unrecht zu haben, wenn ich weiß, dass ich Recht habe“, schrieb der französische Dramatiker Molière. Doch Erfolg ist selten linear. Auch wenn gerne Mythen von brillanten Köpfen erzählt werden, die auf direktem Weg zum Erfolg durchmarschiert sind. Im kalifornischen Silicon Valley soll es angeblich wimmeln von solchen Menschen. Doch die Wahrheit sieht oft völlig anders aus. So hat die Firma blackbox dort gemeinsam mit den Universitäten Stanford und Berkeley 650 Startup-Unternehmen und deren (Erfolgs-)geschichte untersucht. Eine der

Einige Jahre später ärgerte sich Silvers Kollege Arthur Fry während einer Chorprobe darüber, dass die Lesezeichen der Notenblätter stets aus dem Singbuch fielen. Die zündende Idee: der ablösbare Kleber. Nun war es nicht mehr weit zu den Post-its, die 1980 auf den Markt kamen. Auch die unverwechselbare gelbe Farbe des Papiers war ursprünglich nicht geplant; es war zum Zeitpunkt der Entwicklung ganz einfach kein anderes bei der Minnesota Mining and Manufacturing vorhanden. Selbst die Playmobil-Männchen waren ursprünglich ein Verlegenheitsprodukt. Die Firma Brandstätter aus dem beschaulichen Zirndorf in Bayern war bekannt als Hersteller von Hula-HoopReifen, Kindertraktoren, Kaufläden und sonstigem Plastikspielzeug. Doch die Ölkrise 1974 trieb den Rohstoffpreis in schwindelerregende Höhen. Das Spielzeug musste unbedingt kleiner werden. So wurden Figuren von knapp über sieben Zentimeter Höhe entworfen – die Geburtsstunde von Playmobil, das allein 2010 einen Umsatz von einer halben Milliarde Euro erwirtschaftete.

Scheitern zulassen.

„Innovation wird immer noch gedankenlos mit Erfolg gleichgesetzt“, sagt Reinhold Bauer. „Unter

Fehler vertuschen – denn sie berauben die Firma der Möglichkeit, daraus zu lernen. „Ich habe aus meinen Niederlagen mehr gelernt als aus meinen Erfolgen“, bekennt der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in seinem 2010 erschienenen Buch „Meine Lieblingsflops“. Minutiös listet er dort seine großen Niederlagen auf: Opernpläne, Theaterstücke, Zeitschriftenprojekte und vieles mehr. Alles Niederlagen im Leben des 83-Jährigen, der seine Leser fast dazu ermutigt, möglichst elegant auf die Nase zu fallen. Denn: „In jeder Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung inne.“ Wer behauptet, niemals gescheitert zu sein, der erzählt ziemlich sicher die Unwahrheit. Oder aber, er lebt nicht. Denn schon Augustinus von Hippo, der große lateinische Kirchenlehrer der Spätantike, meinte: Si fallor, sum – Wenn ich mich täusche, bin ich. ×

BUCHTIPPS •

Reinhold Bauer: Gescheiterte Innovationen: Fehlschläge und technologischer Wandel, CampusVerlag, 2006 Kathryn Schulz: Richtig irren, Riemann Verlag, 2011

© PRIVAT

„Das Risiko des Scheiterns ist immer gegeben. Bei erfolgreichen Innovationen droht der Erfolg selbst den Blick auf diese unvermeidbaren Entstehungsbedingungen zu verstellen.“


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