Innovation in Tirol (November 2014)

Page 24

GEISTESWISSENSCHAFTEN

Alles andere als verstaubt Das Ludwig Boltzmann Institut für Neulateinische Studien an der Universität Innsbruck widmet sich als eine der ersten Forschungseinrichtungen weltweit ganz der neulateinischen Literatur. Die bisherigen Ergebnisse lassen aufhorchen. Von Susanne Gurschler

I

n der Antike war vollkommen klar: Berge sind dämonisch. Wer sich trotzdem ins Gebirge traute oder wie Hannibal gar über die Alpen marschierte, musste ein Günstling der Götter sein. Dieses Bild zeichnen zahlreiche lateinische Texte der damaligen Zeit. Viele Jahrhunderte später waren es wieder lateinische Schriften, die eine Veränderung in der Sicht auf die Berge bewirkten. Die Texte führten die Leser nun weg von der Vorstellung einer gespenstisch-schauerlichen Bergwelt und begannen, ihnen ein positives, ein mythisch-schönes Bild der Alpen zu vermitteln. Ab dem 16. Jahrhundert wagten sich Forscher in immer höhere Regionen vor. Ihre Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse hielten sie in Büchern fest – in Neulatein, der internationalen Wissenschaftssprache der frühen Neuzeit. Dementsprechend umfangreich sind die Quellen in Neulatein. Interessanterweise wurden diese aber bis dato kaum ausgewertet. Das Ludwig Boltzmann Institut für Neulateinische Studien an der Universität Innsbruck ist eine der ersten Forschungseinrichtungen weltweit, die sich ganz der neulateinischen Literatur widmet. In einem auf sieben Jahre angelegten Forschungsschwerpunkt stehen die Themenkreise Politik, Mentalitätsgeschichte und Religion im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die ersten Fallstudien stehen kurz vor dem Abschluss und fördern Bemerkenswertes zutage. 24

01

Viel „neue“ Literatur Was kaum bekannt ist: Weniger als ein Prozent der lateinischen Texte wurde in der Antike verfasst, fünf Prozent im Mittelalter. Der weitaus größte Teil – nämlich mehr als 94 Prozent – stammt aus der Neuzeit. In der Wissenschaft dominierte dennoch lange der Blick ins Altertum. „Im 19. Jahrhundert war die Latinistik komplett auf die Antike ausgerichtet. Mit Auswirkungen bis heute“, so Florian Schaffenrath, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts an der Universität Innsbruck. Dabei hat die neulateinische Literatur viel Erhellendes beizutragen – zum Beispiel wenn es um Mentalitätsgeschichte geht. Wahrnehmungen von Gegebenheiten wie etwa Tod und Zeit oder das Verhältnis zur Natur können sich über die Jahrhunderte fundamental ändern. So etwa die eingangs schon angesprochene Sicht


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.