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Gong-Bao-Huhn mit Erdnüssen ––––––––––––––––––– S

Saftiges Huhn, goldene Erdnüsse und dunkelrote Chilis: Um die Urheberschaft dieses Klassikers streiten sich drei Provinzen Chinas. Hier die bekannteste Version aus Szechuan

Dieses Gericht, das auch als Kung-PaoHuhn bekannt ist, wurde nach Ding Baozhen benannt, einem Generalgouverneur von Szechuan im 19. Jahrhundert, der es gern gegessen haben soll. Ding wurde in der Provinz Guizhou geboren und diente, bevor er 1876 nach Szechuan zog, als Tutor der kaiserlichen Prinzen in Shandong – eine ehrenamtliche Tätigkeit, die auch »Palastwache« (gongbao) genannt wurde. Guizhou, Shandong und Szechuan erheben alle Anspruch auf verschiedene Versionen von Dings berühmtem Leibgericht, aber die aus Szechuan ist die bekannteste. Wo das Gericht wirklich herkommt, darüber herrscht keine Einigkeit. Manche sagen, Ding Baozhen habe sie aus Guizhou nach Szechuan mitgebracht. Andere behaupten, er habe sie in einem bescheidenen Restaurant gegessen, als er verkleidet ausging, um das wahre Leben der einfachen Menschen kennenzulernen. Was auch immer die Wahrheit ist, die Verbindung zu einem kaiserlichen Beamten reichte aus, um den Zorn der radikalen Kulturrevolutionäre auf sich zu ziehen. Und so wurde das Gericht in »schnell gebratene Hühnerwürfel« (hongbao jiding) oder »Hühnerwürfel mit gebratenen Chilis« (hula jiding) umbenannt – bis zu seiner politischen Rehabilitierung in den Achtzigerjahren. Das Gong-Bao-Huhn ist eine herrliche Mischung aus saftigem Huhn, goldenen Erdnüssen und dunkelroten Chilis. Die fruchtige Soße wird mit sengender Chilischärfe und einer Spur Szechuanpfeffer aufgepeppt, der ein angenehmes Kribbeln auf den Lippen verursacht. Obwohl das Gericht klassischerweise mit Erdnüssen zubereitet wird, schmeckt es mit Cashewkernen noch besser. Die Hühnchenbrust so gleichmäßig wie möglich in 1,5 cm große Würfel schneiden. In eine Schüssel geben, mit den Zutaten für die Marinade und ½ EL kaltem Wasser gut vermischen. Die Zutaten für die Soße in einer kleinen Schüssel vermengen – beim Probieren sollte man den leicht süßsauren, an Litschi-Früchte erinnernden Basisgeschmack des Gerichts schmecken, dafür ist der Essig wichtig. Die Frühlingszwiebeln in grobe Stücke schneiden, etwa so groß wie die Hühnchenwürfel. Die Chilischoten halbieren oder in 2 cm lange Stücke schneiden und die Kerne so gut wie möglich herausschütteln. Das Öl in einem Wok auf großer Flamme kurz erhitzen, dann sofort die Chilis und den Szechuanpfeffer hinzugeben und unter Rühren kurz anbraten, bis die Gewürze duften und dunkel werden, aber nicht verbrennen. Die marinierten Hühnchenwürfel hineingeben und umrühren, damit sich die Fleischstücke voneinander trennen. Frühlingszwiebeln, Knoblauch und Ingwer hinzugeben und unter Rühren braten, bis sie köstlich duften und das Huhn gerade gar ist. Die Soße umrühren und in die Mitte des Woks gießen. Ein oder zwei Sekunden warten, dann rühren, bis die Soße eindickt. Die Erdnüsse oder Cashewkerne untermischen und servieren.

GONG-BAOHUHN MIT ERDNÜSSEN

300 g Hühnchenbrust (ohne Knochen); für die Marinade: ½ TL Salz, 2 TL helle Sojasoße, 1 TL Shaoxing-Reiswein, 1 ½ EL Kartoffelstärke; für die Soße: 2 EL Puderzucker, ¾ TL Kartoffelstärke, ¾ TL dunkle Sojasoße, 1 TL helle Sojasoße, 2 EL Chinkiang-Essig (schwarzer Reisessig), 1 ½ EL Hühnerbrühe oder Wasser, 1 TL Sesamöl; 4 EL Öl, eine gute Handvoll getrocknete Chilis (mindestens 12 Stück), 1 TL Szechuanpfeffer, 5 Frühlingszwiebeln (nur weiße Teile),3 Knoblauchzehen (geschält und in Scheiben geschnitten), die gleiche Menge Ingwer (geschält und in Scheiben geschnitten), 75 g geröstete oder frittierte Erdnüsse (oder Cashewkerne)

WEIN DOCH Darf ein Getränk so teuer sein?

Mehrere Hundert Euro pro Flasche. Oder sogar mehrere Tausend. Unser Kolumnist bekommt empörte Briefe, wenn er über solche Weine schreibt. Einige Gedanken über Genuss, Markt und Qualität

Die Trauben hingen so hoch, dass der Fuchs sie nicht schnappen konnte. Also wandte er sich ab und knurrte, sie seien eh noch nicht reif gewesen. Ein Effekt, der Psychologen wohlbekannt ist. An die Fabel, die mindestens zweieinhalb Jahrtausende alt ist, muss ich denken, wenn mir Leserinnen und Leser vorwerfen, dass meine Weinkolumne hin und wieder von Flaschen handelt, die 80 Euro kosten. Oder 300. Oder gar 3000. Solche Preisspannen seien durch Unterschiede der Qualität nicht zu rechtfertigen, lese ich dann. Abgerundet wird der Gedanke durch den indignierten Hinweis, dass sich Normalverdienerinnen keine 50-Euro-Weine leisten könnten. Und Hartz-IV-Empfänger schon gar nicht. Das ist kein einfaches Thema. Auf das soziale Argument will ich zunächst einmal mit Heinrich Heine antworten: Es wächst hienieden Brot genug/Für alle Menschenkinder,/Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,/Und Zuckererbsen nicht minder./Ja, Zuckererbsen für jedermann,/Sobald die Schoten platzen!/Den Himmel überlassen wir/Den Engeln und den Spatzen. Eine subversive Ode an die Genüsse. Wer Zuckererbsen, Champagner, Trüffel und dergleichen liebt, hat Grund, die Ungerechtigkeit der Welt zu beklagen. Muss man deswegen verzichten? Wer hätte etwas davon? Wer sich diese Erlebnisse leistet (und sie gegebenenfalls mit Freundinnen und Freunden teilt), schadet niemandem. Im Gegenteil, das Geld kommt einer kulturell bedeutenden Produktion zugute.

Ich empfehle außerdem, sich die Preise von Konzertkarten oder Clubpartys vor Augen zu führen, die Eintrittspreise von Freizeitparks, die Kosten von Rummelplatzbesuchen oder Urlaubsreisen. Das finanzielle Gewicht einer Flasche Wein für 50 Euro relativiert sich dann doch ein wenig. Zumal Wein ein Produkt ist, das man am besten mit anderen genießt. Ich habe mehrfach mit Freunden gemeinsam gespart, damit wir uns bestimmte Flaschen teilen konnten. Welche Preise sind gerechtfertigt? Der Durchschnittspreis für eine 0,75-Liter-Flasche Wein liegt im Lebensmitteleinzelhandel bei 2,19 Euro. Davon ziehen wir 19 Prozent Umsatzsteuer ab: 1,84 Euro. Das Glas, das Abfüllen, den Verschluss und das Etikett sowie den Transport dürfen wir sodann mit einem Euro veranschlagen, das wäre die Untergrenze. Damit sind aber weder Arbeitskräfte noch Werkzeuge oder Maschinen bezahlt, nicht die Hilfsstoffe, Mieten, Werbung. Ebenso wenig der Gewinn der Händler oder gar der Winzer. Wie soll das gehen? Nur durch großagrarische und großindustrielle Produktion. Mit allen Folgen für die Natur und den Geschmack. Pfui Teufel. Nun gut, das ist das unterste Ende. Selbstverständlich kann und sollte der Winzer oder die Winzerin deutlich mehr in die Qualität investieren. Je mehr Mühe das Weingut sich gibt, desto teurer wird sein Produkt. Beste Böden, intensive Handarbeit im Weinberg, strengste Sortierung, äußerste Sorgfalt im Keller, das kostet. Aber nicht beliebig viel. Die Schätzungen schwanken, es gehen unterschiedliche Zahlen um, aber mehr als, sagen wir, 70 Euro Aufwand pro Flasche treibt wohl niemand. Werden daher Weine, die das Doppelte, Zehnfache, Hundertfache am Markt erzielen, weit über Wert verkauft? Das ist, sorry, eine kryptomarxistische Argumentation. Sie setzt voraus, dass ein vom Preis verschiedener Wert existiert, der sich aus den Kosten errechnet (die sich für Karl Marx letztlich in den jeweiligen Arbeitsaufwand auflösten, beispielsweise den zur Herstellung der Maschinen). Das jedoch ist eine reine Konstruktion. Die Waren werden verkauft, wenn die Interessen des Käufers und der Verkäuferin übereinstimmen, der Punkt, an dem sich ihre Interessen kreuzen, ist der Preis. Kürzlich hat mir jemand das Lehrbuch Wine Economics von Stefano Castriota geschenkt. Castriota stellt unter anderem statistische Untersuchungen der Preisfaktoren von rund 50.000 Weinen an und berechnet den jeweiligen Anteil von regionaler Herkunft, Jahrgang, Reifezustand, Reifepotenzial, Qualitätsstufe, Hersteller und vielem mehr an der Preisbildung. Wie zu erwarten, sind es vor allem historisch gewachsene Reputationen, die es den Weingütern erlauben, mehr zu verlangen. Kunden und Kundinnen richten sich in hohem Maße nach dem Ansehen von Regionen und Produzenten. Vernünftigerweise, denn gründliche Nachforschungen bedeuten erhöhten Aufwand. Es gibt auch Leute, die teurere Weine bevorzugen, weil sie annehmen, die seien besser. Das ist ökonomisch interessant. Preise sind Signale, und solche Signale können von den Produzenten bewusst gesetzt werden, etwa um zu viel zu versprechen – in der Hoffnung, dass der Konsument diese Differenz zur Realität in der Flasche nicht bemerkt. Was oft genug der Fall ist. Ich bin immer wieder erstaunt, welchen Aufwand kapitalstarke Betriebe mit der Ausstattung ihrer Premiumweine treiben (schwere Flaschen, kostbarste Etiketten, wuchtige Holzkisten mit mehrfarbigen Brandzeichen); solche Pullen rufen dann gerne mal dreistellige Beträge auf, und man weiß eigentlich nicht, wieso. Andererseits kann ein dauerhaft hoher Preis ein Zeichen dafür sein, dass die Kunden für einen bestimmten Wein immer wieder viel auszugeben bereit sind, und à la longue hält sich dieser Effekt nur mit Qualität. Der Gedanke lag der berühmten Médoc-Klassifikation von 1855 zugrunde. Die besten Châteaus dieser Bordeauxregion wurden entsprechend den Preisen klassifiziert, die sie über die vergangenen 100 Jahre erzielt hatten. Was allerdings die Weinpreise weit über die 100-Euro-Grenze hinausschießen lässt, ist die begrenzte Menge der Weine mit höchster Reputation, erst recht dann, wenn sie ein würdiges Alter erreicht haben – und die wachsende Nachfrage nach diesen Flaschen. Namentlich mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Asiens ist die Zahl der Millionäre sprunghaft gestiegen, die sich Lafite und dergleichen leisten wollen. Anders als es das rassistische Vorurteil insinuiert, sind unter ihnen etliche, die sich große Weinkenntnis angetrunken haben. Wenn nun das Glück oder unsere wilde Entschlossenheit will, dass so ein Wein vor uns steht, können wir dann wirklich den Unterschied zu einem guten 20- oder 50-Euro-Wein schmecken? Schwer zu sagen. Wenn ich auf das Etikett geblickt habe, bin ich ja schon beeinflusst. Allerdings in doppelter Weise. Einerseits hege ich Hoffnung, und wer wird schon gern enttäuscht. Andererseits steigt der Anspruch, und der will erst mal erfüllt werden. Eins indessen weiß ich: An einige der Weine aus der Tausenderklasse werde ich mich mein Leben lang erinnern. Ich weiß noch heute, wie der 1961er Petrus aus der Doppelmagnum (drei Liter!) schmeckte, die wir vor einem guten Vierteljahrhundert zu fünft leerten. Gut dokumentiert sind jene Fälle, in denen Weine der mittleren Preisklasse in Blindverkostungen die Weltstars aus dem Feld schlugen. Durchaus ein Argument, aber eines mit begrenzter Reichweite. Ich habe an vielen Blindverkostungen teilgenommen. Und wenn ein Wein hervortrat, der frischer wirkte als andere, der sofort präsent war und nicht erst umständlich erschlossen werden musste, der sympathisch und unkompliziert wirkte, dann konnte er, zumal nach einer ermüdenden Strecke von, sagen wir, 50 Weinen, durchaus die Juroren für sich gewinnen, obwohl er an die Qualität der anderen nicht heranreichte. Da freut sich auch der Fuchs.

»Wein doch« heißt Gero von Randows ZEIT ONLINEKolumne über Wein. Bis 2020 war er ZEIT-Redakteur, einige Jahre lang auch Korrespondent in Frankreich. Er ist Mitglied von Verkostungsjurys, organisiert Weinproben und wurde für seine Artikel mehrfach ausgezeichnet. Gern sitzt er vor einem Weingeschäft in der Nachbarschaft, das ein Freund betreibt. Dort darf es auch mal ein einfacher Riesling aus der Literflasche sein

Die beste Pasta, basta

50 Cent oder fünf Euro: Gibt es tatsächlich so große Unterschiede zwischen einfachen Hartweizennudeln? Wir verkosten 13 handelsübliche Spaghettimarken und verraten, was Pasta wirklich gut macht

Seit Stunden dampft es in meiner Küche aus einem Zehn-Liter-Topf. Alle Fenster sind bis zur Decke hinauf beschlagen, an der EdelstahlRückwand meines Herdes rinnt das Kondenswasser herunter. Immer wieder lasse ich kühle Luftstöße in die Küche. Es sind verschärfte, gänzlich unitalienische Bedingungen, unter denen ich mich daranmache, ein Jahrhundertlebensmittel zu erforschen: lange, runde, trockene Pasta mit wenig Oberfläche – Spaghetti. Immerhin habe ich mir Verstärkung aus Süditalien organisiert, dem Geburtsort der Pasta. Meine sizilianische Freundin Anna und ihr Mann Kai sind zu Besuch. Gemeinsam wollen wir an diesem Nachmittag 13 Spaghettisorten testen – und dabei hoffentlich eines der großen Geheimnisse der Alltagsküche lüften: Wann sind Spaghetti gute Spaghetti? Woran erkennt man ihre Qualität? Und mit welchen der bekannten Marken aus dem Supermarkt liegt man geschmacklich richtig? Eine Sorte nach der anderen schieben wir in unsere Münder, jeweils einmal pur und einmal mit einem Klecks Tomatensoße serviert. Wir notieren uns jede Aromanote, jede Feinheit der Konsistenz, die wir zu erkennen vermögen. Zu Beginn fühlt es sich fast aussichtslos an, den Pastaberg zu erklimmen: Fünf Eigenmarken aus Supermarkt und Discounter stehen auf dem Programm, dazu drei Bio-Sorten, sächsische Spaghetti und eine Manufaktur-Sorte aus Neapel sowie drei weitverbreitete italienische Pastamarken, 13 insgesamt. Doch als der Moment der Abrechnung gekommen ist, sind wir verblüfft. Wir kommen alle drei zu klaren Ergebnissen – und sind uns in unserem Urteil auch noch überraschend einig.

»Al dente« ist eine relativ junge Erfindung

Die italienische Pastatradition geht aufs mittelalterliche Sizilien zurück, als die Insel ganz im Süden des Landes unter islamischer Herrschaft stand. Aus dem arabischen Raum reisten damals wohl Frühformen der Nudel ein. Sie legten die Grundlage für Pasta secca, die trockene Hartweizenpasta, die in Sizilien erfunden wurde und später als Makkaroni, Spaghetti oder Penne die Welt erobern sollte. Vor allem auf der Westseite Siziliens herrschten schon im 12. Jahrhundert die richtigen klimatischen Bedingungen – viel Sonne und viel Wind –, um Pasta in größerer Menge zu trocknen und sie von Palermo aus in andere Gegenden Italiens schicken zu können. Auch wenn man mit den Nudeln dort damals noch Dinge anstellte, für die man heute schief angeguckt würde: Sie wurden so lange gekocht, bis sie extrem weich waren, und mit geriebenem Käse und gestoßenen Gewürzen vermischt, sogar mit Zimt und Zucker. Al dente serviert (»für den Zahn«) – also nur so lange gekocht, dass sie einen kernigen Biss bewahrt – wurde Pasta wohl erstmals im 17. Jahrhundert. In kälteren und feuchteren Regionen wurden Nudeln noch eine ganze Zeit lang ausschließlich frisch und mit Ei zubereitet. Erst ab dem 19. Jahrhundert konnte man dort im großen Stil trockene Pasta herstellen: Anlagen, in denen Nudelteig in gewaltigen Mengen durch Matrizen gepresst und maschinell getrocknet werden konnte, ebneten der Hartweizenpasta den Weg zum Massenprodukt. Im Jahr 1886 nahm De Cecco die Produktion auf, in den Abruzzen, also in Mittelitalien. 24 Jahre später ging im norditalienischen Parma die erste Barilla-Fabrik in Betrieb. Damals begann eine beispiellose Geschichte kulinarischer Expansion: Mit den süditalienischen Einwanderern wurde die trockene Pasta zunächst in den USA populär. Die Teller Mittel- und Nordeuropas eroberte sie nach dem Zweiten Weltkrieg, als man Arbeitskräfte aus Sizilien und Kampanien rief – und leidenschaftliche Köche kamen. Schritt für Schritt setzte sich auch das italienische Ideal einer guten Nudel durch: kernige, gelbe Pasta, die wahrnehmbar nach Getreide riecht und schmeckt, viel Soße aufnimmt, dabei aber nicht matscht, sondern bis zum letzten Bissen wunderbar al dente bleibt. Womit wir wieder bei den Herausforderungen für ehrliche Pastatester wären. Es ist 13.30 Uhr, zwei Liter Wasser, gewürzt mit 15 Gramm Salz, haben ihren Siedepunkt erreicht. Auf Annas Rat hin habe ich den Topf mit dem größten Durchmesser aus dem Schrank gekramt. »Je breiter, desto besser«, sagte sie. Es gehe darum, dass die gesamte Pasta so schnell wie möglich von Wasser bedeckt sei, nur so könne sie gleichmäßig garen. Wir halten uns streng an die empfohlenen Kochzeiten auf der Packung der Spaghettimarken, die wir testen wollen, sie reichen von sieben bis zwölf Minuten. Wir müssen leider davon ausgehen, dass nicht jede unserer 13 Spaghettisorten den perfekten Biss erreichen wird. Wenn minderwertiger Hartweizen verarbeitet wurde, kann Pasta mitunter gar nicht al dente werden; egal, wie lange man sie kocht. Weil Hartweizen neben Wasser die einzige Zutat von trockener Pasta ist, bestimmt das Getreide fast allein die Qualität der Nudel. Weil seine Körner tatsächlich besonders hart sind, lässt Hartweizen sich nur zu semolina vermahlen: zu Grieß. Also zu deutlich gröberen Partikeln

(275 bis 475 Mikrometer im Durchmesser) als bei Weichweizenmehl (unter 180 Mikrometer). Verknetet man Grieß mit Wasser, gibt er deshalb recht wenig Eiweiß ab – und das Ergebnis ist weniger klebrig als etwa ein Brotteig aus Weichweizenmehl. Dass guter Pastateig trotzdem schön elastisch bleibt, liegt an den guten Gluten-Eigenschaften hochwertigen Hartweizens. Lange Stränge dieses Kleber-Eiweißes halten die Stärkepartikel im Netzwerk des Teigs zusammen. Und das auch noch im Kochtopf – wo die Stärke nach und nach Wasser absorbiert, anschwillt, einen gelartigen Zustand annimmt und die Nudel weich werden lässt.

Je mehr Gluten, desto besser

Der Glutenanteil von Hartweizenpasta variiert in der Regel zwischen 11 und 15 Prozent. Die simple Regel: je höher der Wert, desto besser. Enthält der Teig weniger als 13 Prozent Kleber-Eiweiß, ist es fast unmöglich, daraus Pasta mit Biss zu kochen. Im Kochtopf dominiert dann zwangsläufig die Stärke und macht die Nudeln weich und klebrig. Liegt der Glutenanteil bei über 14 Prozent, muss man sich kaum Sorgen machen, die Pasta zu verkochen; sie bleibt dann auch kurz über der perfekten Garzeit bissfest. Die Oberfläche klebt dann immer noch – aber das soll sie ja auch, sonst könnte die Soße nicht an ihr haften bleiben. Im Sieb darf man Pasta deshalb auf keinen Fall mit Wasser abspülen, das würde die Stärke abwaschen. Und vorher im Kochtopf sollte das Wasser immer sprudelnd kochen. Das hält die Pasta in Bewegung und verhindert, dass sie zum Teigbatzen verklebt. Weil der Glutengehalt des Hartweizens aber nicht auf der Packung steht, bleibt in der Praxis nur: ausprobieren. Wir beginnen der Übersichtlichkeit halber am Anfang, bei Spaghettimarke Nummer eins. Nur mit Zahlen von 1 bis 13 nämlich sind die Gläser auf meinem Küchentisch beschriftet, aus denen die verschiedenen Sorten der immer etwa 25 Zentimeter langen, meist rund zwei Millimeter dicken Nudeln ragen. Wir haben die Gläser zweimal blind durchnummeriert. Ohne die beiden Listen mit der Auflösung haben wir keine Ahnung mehr, welche Marke in welchem Glas steckt. Die erste Charge kochen wir exakt zehn Minuten lang. Vorher und nachher arbeiten wir uns an den neun Kriterien guter Pasta ab, die die USJournalistin Francine Segan vor einigen Jahren auf einer Italienreise bei neapolitanischen PastaExperten einsammelte.

Im rohen Zustand sollte trockene Pasta demnach

1. Eine schöne gelbe Farbe besitzen – wie der Hartweizen, aus dem sie besteht 2. Fein nach Weizen duften 3. Gleichmäßig geformt sein und nicht schon in der Packung brechen 4. Ohne zu splittern, sauber in zwei Teile gebrochen werden können

Gekochte Pasta sollte dann

5. Bereits pur und ohne Soße einen wahrnehmbaren und angenehmen Geschmack haben 6. Im Kochwasser und beim Abgießen angenehm duften 7. Das Kochwasser nicht allzu trüb färben 8. Die Soße möglichst gut aufnehmen und an der Oberfläche haften lassen 9. Bis zum letzten Biss kernig bleiben und ihre Form auch dann bewahren, wenn man sie länger auf dem Teller liegen lässt.

Letzteres komme in Italien aber »nie, wirklich nie« vor, wie mir Anna versichert. Pasta komme aus dem Topf erst in die Pfanne mit der heißen Soße, wo sie noch etwa eine Minute lang geschwenkt werde, und dann sofort auf den Teller. Deshalb wiege man Pasta vor dem Kochen immer genau ab und bereite nur so viel zu, wie auch gegessen werde. Pastareste sind ein Symbol des Scheiterns. Zunächst bewerten wir grob die äußere Erscheinung der rohen Spaghetti. Dann brechen wir jeweils ein paar Nudeln derselben Sorte in der Mitte durch. Manche Spaghetti fühlen sich schon in der Hand hochwertiger und weniger spröde an als andere. Nach dem Kochen atmen wir den Dampf der Pasta ein, der aus unseren Verkostungsgläsern steigt. Und stellen fest, dass es beim Dufttest um Nuancen

geht. Schließlich verkosten wir die Pasta pur. Der Geschmack folgt im Wesentlichen den Eindrücken des Dufttests, nur sind die Unterschiede jetzt deutlicher. Für die Intensität des Aromas vergeben wir Punkte von eins bis acht, je mehr, desto besser. Bei den aromatischsten Sorten steht in unseren Verkostungsbögen am Ende eine Sechs oder Sieben. Die meisten landen bei drei oder vier Punkten. Ein paar Spaghettisorten fallen aromatisch deutlich ab. Die Königsdisziplin bei der Pastaverkostung allerdings, das wird uns schnell klar, ist die Konsistenz. Die besten Spaghetti beweisen zwischen den Zähnen echten Charakter: eine feine Festigkeit, gepaart mit klarer Sensorik, ohne jeden Hauch von Schmierigkeit. Und sie besitzen die Qualität, beides auch einige Bissen lang durchzuhalten. Andere dagegen fühlen sich auf der Zunge direkt wässrig oder schmierig an. Oder sie bauen beim Kauen rasch ab. Eine Sorte zum Beispiel wirkte beim ersten Bissen noch einigermaßen al dente, beim dritten verwandelte sie sich in Brei. Woran das liegt, ist überraschend gut erforscht. Eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen hat sich bereits mit den Voraussetzungen guter Pastakonsistenz auseinandergesetzt. Laut einer Studie der Universität von Teramo in der italienischen Region Abruzzen eignet sich besonders grober Grieß am besten fürs Pastamachen. Feiner Grieß lasse sich zwar leichter maschinell verarbeiten, weshalb er bei industrieller Produktion häufig verwendet werde. Durch den mehrfachen Mahlprozess würden aber die Stärkepartikel des Hartweizens beschädigt, was Pasta klebrig werden lässt.

Am Ende entscheidet der Biss

Andere entscheidende Detailfragen: Wird der Teig lange geknetet und mit kühlem Wasser angesetzt – wodurch sich ein besonders stabiles Gluten Netzwerk entwickeln kann? Wird die Pasta schnell bei hohen Temperaturen getrocknet? Dann können die Nudeln leicht spröde und brüchig werden, dazu formt sich außen eine Schicht aus Stärke, die beim Kochen glitschig wird und an der Soße kaum Halt findet. Bei Martelli etwa, einer Manufaktur im toskanischen Lari, werden Spaghetti 50 Stunden lang bei 29 Grad getrocknet. Die wichtigste Frage aber lautet: Wird der Nudelteig durch Schablonen gepresst, die mit Teflon beschichtet sind, oder kommen Matrizen aus Messing oder Bronze zum Einsatz? Letztere verleihen der Pasta eine raue Oberfläche, an der am Ende mehr Soße haften bleibt. Welche Hersteller auf diese Details achten, spürt man am Ende auch am Preis. Die teureren unserer getesteten Spaghettisorten kosten gut das Vierfache der günstigsten. Die ManufakturSpaghetti aus Neapel sogar das Elffache. Ob diese Preisspanne gerechtfertigt ist, darüber lässt sich streiten. Eins aber ist klar: Am Ende schmecken uns, mit einer Ausnahme, tatsächlich die teuren Sorten besser als die günstigen.

Der Preis ist ein guter Indikator, aber nicht der einzige

Die Testergebnisse sind Ausdruck unseres persönlichen Geschmacks und eines unwissenschaftlichen Testaufbaus, das nur vorab. Hier aber nun das Ranking, sortiert nach der Durchschnittspunktzahl, in die unser Geschmackseindruck, der Geruch und der AldenteFaktor einfließen. Zur Erinnerung: Die zu erreichende Höchstpunktzahl ist 8.

Besonders überzeugt haben uns Sapori di Napoli – Spaghetto classico: 5,19 Euro (6 Punkte) Garofalo Spaghetti: 1,89 Euro (6 Punkte) Italienische Spaghetti (Edeka): 1,49 Euro (5,5 Punkte) De Cecco Spaghetti: 2,29 Euro (5 Punkte)

Im Mittelfeld landeten De Cecco Bio Spaghetti: 2,95 Euro (4,5 Punkte) Bio Spaghetti (Edeka): 0,79 Euro (4,5 Punkte) Buitoni Spaghetti: 1,39 Euro (3,5 Punkte)

Eher schwach fanden wir Spaghetti (Aldi): 0,49 Euro (3 Punkte) Spaghetti (Penny): 0,49 Euro (3 Punkte) Barilla Spaghetti: 1,59 Euro (3 Punkte) Alnatura Bio Spaghetti: 0,79 Euro (2,5 Punkte) ja! Spaghetti (Rewe): 0,49 Euro (2 Punkte) Riesa Spaghetti: 0,99 Euro (2 Punkte)

Am besten behandeln Sie unsere Einschätzung als grobe Orientierung und testen sich von hier aus selbst an die eigene Lieblingssorte heran. Der neapolitanische Sternekoch Gennaro Esposito zum Beispiel empfiehlt eine alltagstaugliche Versuchsanordnung: Zwei Pastasorten parallel in zwei Kochtöpfen mit der gleichen Menge Wasser und Salz al dente kochen – und dabei bereits den Duft vergleichen, der aus den Töpfen steigt. Dann jeweils eine kleine Menge Pasta in eine Schüssel füllen und etwas Flüssigkeit dazugeben. Die Pasta, die nach wenigen Minuten mehr Flüssigkeit absorbiert hat, ist die höherwertige. Anschließend jeweils ein Stück Pasta beider Sorten zwischen den Fingern zerreiben: Welche hält die Konsistenz, welche schmiert ab? Und am Ende natürlich beide verkosten, erst pur, dann mit Soße. Ein paar Tage nach dem großen Test nehme ich letzte Stichproben. Ich koche je eine Sorte mit hoher Bewertung und eine mit schlechteren Testergebnissen und probiere beide mit einer einfachen Tomatensoße. Wieder überraschen mich die deutlichen Unterschiede in der Sensorik: Gute Pasta fühlt sich auf der Zunge einfach definierter an. Die einzelnen Spaghetti bleiben klar spürbar – während minderwertige Pasta im Mund schnell zur uniformen, ausdruckslosen Masse verpappt. Außerdem können die Sorten, die im Test gut abschnitten, durch die Bank die Tomatensoße besser an ihrer Oberfläche festhalten. Woran das liegt, weiß ich mittlerweile. Und es ist optisch schon vor dem Kochen leicht zu erkennen. Als ich die 13 Spaghettisorten roh nebeneinanderlege und ihr Erscheinungsbild mit unserer Ergebnisliste vergleiche, fällt mir sofort ein Muster auf: Die Nudeln, die uns am besten schmeckten, haben allesamt eine deutlich rauere Oberfläche als die Nudeln, die uns weniger imponierten. Wenn Sie sich eines merken wollen nach unserem Test, dann empfehle ich diese Daumenregel: Kaufen Sie Pasta, die durch Messing oder Bronzeformen gepresst wurde. Und das erkennen Sie nicht an der Marke, nicht unbedingt am Preis – aber zum Glück steht es häufig schon auf der Packung.

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