ZAS MAGAZIN, 301. Ausgabe, Mai 2021

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Ältere haben weniger Angst Professor Dr. Mathias Berger, ehemaliger Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Freiburg, über (Alters-)Weisheit als Schutz vor pandemiebedingten psychischen Belastungen. Interview von Barbara Breitsprecher

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ltere Menschen sind wesentlich gefährdeter bei einer COVID-19 Infektion einen schweren, lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf zu entwickeln. Doch alle Untersuchungen zu den pandemiebedingten psychischen Belastungen haben überraschenderweise ergeben, dass Menschen über 60 Jahre deutlich weniger als Jüngere darunter leiden. Professor Dr. Mathias Berger, Neurologe, Psychologe und Psychotherapeut, ist ehemaliger Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg und Vorstand im Freiburger Bündnis gegen Depression e.V.. Er hat einen Online-Vortrag zu diesem Thema im Rahmen der Vortragsreihe „Corona-Krise und psychische Gesundheit“ gehalten und erläutert hier im Gespräch, weshalb ältere Menschen weniger Angst haben und weniger stressempfindlich sind als Jüngere und wie diese größere Gelassenheit die Belastungen in der Pandemie erträglicher macht. Sie sagen, ältere Menschen seien vor den psychischen Belastungen durch die Corona-Krise besser geschützt. Das ist ja eine überraschende Erkenntnis, nachdem man Ältere weitgehend als besonders gefährdet und als isoliert angesehen hat? Prof. Dr. Mathias Berger: Ja, das war wirklich sehr überraschend, als die ersten internationalen Ergebnisse kamen im November und Dezember vergangenen Jahres. Sie zeigten, dass Menschen über 60 kaum oder viel weniger von den psychischen Stressoren der Pandemie belastet sind. Viel weniger als zum Beispiel Menschen zwischen 18 und 40, die deutlich mehr darunter leiden. Das schließt aber nun keinesfalls die mit ein, die in Pflegeheimen leben oder morbide krank sind, die sowieso schon wenig Besuch haben. Doch die weit größere Zahl aller älteren Menschen, rund 95 Prozent, leben in den eigenen vier Wänden, und sehr viele ältere Menschen sind ja körperlich inzwischen gesund. Die Weltgesundheitsunion hat sogar die „Dekade des

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Interview

gesunden Alterns“ ausgerufen. Man wird immer länger ohne schwere Krankheiten alt und steht damit eben auch mitten im Leben. Und ebenfalls überraschend ist, dass das Wohlbefinden älterer Menschen deutlich höher ist, als das von Menschen, die im mittleren Lebensabschnitt stehen. Es nähert sich also dem an, wie sich junge Leute zwischen 16 und 18 fühlen, die noch recht fröhlich auf das Leben schauen. Dann gibt es einen Knick, bis es dann eben im höheren Lebensalter wieder besser wird. Die Älteren haben weniger Angst, sind weniger stressempfindlich und deshalb in dieser scheußlichen Zeit der Pandemie, die ja so viele Stressoren beinhaltet, besser geschützt. Ist es die Lebenserfahrung oder sind es die bewältigten Lebenskrisen, die die älteren Menschen vor den psychischen Belastungen der Pandemie besser schützt? Berger: Das denkt man als erstes, die Lebenserfahrung, überstandene Krisen, das Faktenwissen und die Strategien, die man erworben hat, bewusst und unbewusst. Man spricht da von expliziter und impliziter Weisheit. Manche Leute können nicht groß darüber reden, machen aber das Richtige, andere können dies sehr wohl verbalisieren. Aber das erklärt es noch nicht alleine. Die meisten älteren Menschen haben durch die Pandemie keine größeren finanziellen Verluste. Und sie haben meist auch keine Multitasking-Aufgaben, wie beispielsweise viele jüngere Frauen, die sich neben Home-Office auch um die Kinder und vielleicht sogar noch um die eigene kranke Mutter kümmern müssen. Zum anderen haben Ältere auch nicht mehr so ehrgeizige Ziele, wie zum Beispiel ein Doktorand, der unbedingt an seiner Arbeit weiterkommen möchte, aber seit Monaten nicht seine Experimente machen kann, weil das Institut geschlossen ist. Das zusammen führt zu einer größeren Gelassenheit bei den älteren Menschen, die das alles offensichtlich erträglicher macht.

Andererseits können Jüngere die technischen und digitalen Möglichkeiten doch meist besser nutzen und schaffen sich dadurch mehr Möglichkeiten, auch für Kontakte und Kommunikation? Berger: Das wird ja inzwischen auch bei den Älteren deutlich besser. Früher nannte man dies das Digital Gap, also das digitale Loch. Doch heute lassen sich viele ältere Menschen von ihren Kindern oder Enkeln oder anderen Beratern den Computer so einrichten, dass sie damit kommunizieren können. Übrigens ein weiteres interessantes Phänomen, das Gerontologen beobachtet haben: ältere Menschen bereiten sich rascher vor, nach dem Motto „Sei auf das Schlimmste gefasst, aber handele!“ Sie erahnen offensichtlich schneller, was auf sie zukommt und treffen Vorkehrungen. Aber Sie meinen Vorkehrungen nicht etwa im Sinne von Vorratsschränken auffüllen? Berger: Nein, das meine ich nicht. Ältere machen sich zum Beispiel frühzeitig Gedanken darüber, wie sie ihre Kinder und Enkel trotzdem sehen können, beispielsweise in dem sie Schnelltests, gute Masken oder auch ein Luftreinigungsgerät besorgen. Sie sind aktiv im Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. engagiert. Nun haben Sie mal gesagt, dass auch depressive Menschen Corona als Chance nutzen können.Wie das? Berger: Diese Erkenntnis hat Dr. Christian Klesse in seinem Vortrag im Rahmen der Reihe „Corona-Krise und psychische Gesundheit“ des Universitätsklinikum Freiburg und dem Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. erläutert. Es war ja ein interessantes Phänomen, dass in der ersten Welle der Pandemie rund 80 Prozent der befragten Menschen eine Verbesserung ihrer Gefühlswelt durch den Lockdown beschrieben haben. Weil sie weniger Tagesbelastungen hatten, weniger Stress. Sie hatten mehr Zeit für ZAS MAGAZIN


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