200. Ausgabe, ET 16.04.2016

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Samstag, 16. April 2016

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Ausgabe 200 am 16. April 2016

Jeden Tag singen

Abgelehnt

Wieder montags

Interview

SC Freiburg

Tipps

Bernhard Richter hat zusammen mit seiner Kollegin Claudia Spahn ein Buch darüber geschrieben, was Musik mit uns macht. Seite 2

SiebenTore, Spannung und achter Sieg in Folge: Das 4:3 gegen St.Pauli war ein tolles Spektakel. Jetzt geht es nach Braunschweig. Seite 7

Eine Ausstellung im Carl-Schurz. Haus mit Cartoons, die das renommierte Magazin The New Yorker abgelehnt hat, weil sie zu ihm heikel waren. Seite 3

Unterste Schublade Das sogenannte Schmähgedicht von Jan Böhmermann hat offensichtlich die Ziele des Verfassers erreicht, den Finger in die Wunden deutscher Politik zu legen. Ganz übel ist aber, dass er billige Vorurteile gegen ein Volk für seine Zwecke nutzt. Von Michael Zäh

W

enn man unbedingt an einer Legendenbildung in der Sache Böhmermann stricken will, könnte man sagen: Grandios, der Mann hat das Höchste erreicht, was man erreichen kann. Er hat provoziert, dass es jetzt ganz offiziell auch vonseiten der Bundesregierung heißt: „Ob die deutsche Justiz gegen Böhmermann ermitteln darf, entscheidet am Ende Kanzlerin Merkel“ Die Chefsache hat natürlich den brisanten politischen Hintergrund, dass also Angela Merkel sich in der Sache gar nicht so entscheiden kann, dass ihr kein Schaden droht. Wenn sie Böhmermann durch die Justiz zur Rechenschaft ziehen lässt (was immer das dann überhaupt hieße), geht ein Aufschrei durchs Land, dass sie (angeblich) die „Presse- und Meinungsfreiheit“ opfert, dem Autokraten Erdogan zuliebe, weil sie ihn in der Flüchtlingsfrage braucht. Also Moral des Rechtstaats geopfert für realpolitische Vorteile. Und umgekehrt könnte Erdogan ja tatsächlich die Ziele der Kanzlerin in der Eindämmung der Flüchtlingsströme zumindest verschleppen, weil er verschnupft ist, und damit Angela Merkel am Ende sogar in jene innenpolitische Bedrängnis bringen, die ihr das Amt kosten könnte. Mensch Böhmermann, möchten manche rufen, das hast du prima hingekriegt! Den Finger treffsicher in die Wunde der deutschen Politik gelegt, das ganze Konstrukt mit der Türkei als Türsteher gegenüber den Flüchtlingen, die in die EU wollen, mit wenigen Sätzen bloß gestellt. Das ist, was Satire vermag. Doch stopp! Die Sätze, um die es

HALLO ZUSAMMEN

Medienvielfalt und Freiheit

sich handelte, waren diese: „Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,/selbst ein Schweinefurz riecht schöner./Er ist der Mann der Mädchen schlägt/und dabei Gummimasken trägt./Am liebsten mag er Ziegen ficken,/und Minderheiten unterdrücken,/Kurden treten, Christen hauen,/und dabei Kinderpornos schauen./Ja, Erdogan ist voll und ganz,/ein Präsident mit kleinem Schwanz.“ Dieses von Böhmermann selbst so genannte „Schmähgedicht“ ist bezogen auf die Person Erdogans dermaßen überzogen und bewusst übertrieben, dass es schon nicht mehr wirklich ernsthaft als persönliche Beleidigung durchgehen kann. Wenn einer wie Erdogan dann trotzdem auf die Sache herein fällt und Strafanzeige wegen Beleidigung stellt, fällt er auf Böhmermanns Provokation herein.

Das Problem liegt woanders. Und zwar darin, dass Böhmermann in diesem „Schmähgedicht“ alle nur erdenklichen Vorurteile und bösartigen Hasstiraden zu Wort bringt, die es gegen Türken und auch gegen Muslime bereits seit Jahrzehnten in Deutschland gibt. Das Böhmermann-Gedicht könnte direkt aus rechten Foren stammen. Die Verunglimpfung geht da nicht gegen die eine Person Erdogan, sondern gegen ein Volk und eine Religion. Der „Schweinefurz“ ist ja von dem Tier, das im Islam als unrein gilt, und mithin für Muslime die größtmögliche Beleidigung des Glaubens, dass dieser besser rieche als der Gläubige. Die Debatte darüber, was Satire in Deutschland darf und was nicht, wird – ganz im Sinne Böhmermanns – viel zu hoch gehängt. Die Frage müsste anders lauten: Dürfte ein

türkischer Mitbürger mit sinngemäß denselben Worten auf der Straße beleidigt werden, wie das in Wirklichkeit ja auch oft droht. Und wenn dieser türkische Mitbürger dann artig eine Anzeige wegen Beleidigung stellen würde, weil es viele Zeugen gab (in der Böhmermann-Sache dürften es Millionen sein), was geschähe dann? Eine Verurteilung wegen Beleidigung, hoffentlich! Was auch immer Böhmermann antrieb, sich in der untersten Schublade von leider tatsächlich im Umlauf befindlichen Schmähungen zu bedienen – es als Satire zu adeln ist gewagt. Eher scheint er auf sich selbst aufmerksam machen zu wollen. Selbst der Zweck, Erdogan zu provozieren, wirkt hier aufgesetzt. Das hatten andere vor ihm schon viel besser erreicht.

„Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. (...) Frei ist, wer reich ist.“ Diese von Paul Sethe, dem Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1965 in einem Brief an den Spiegel gemachte Feststellung, trifft heute vielleicht mehr denn je zu. Medien sind Vermittler, so auch die lateinische Bedeutung des Wortes. Um sich eine Meinung zu bilden bedarf es der Information. Diese zu liefern ist das Recht und die Pflicht der Presse. Unabdingbar für die Pressefreiheit ist Medienvielfalt. Erst das Mit- und Gegeneinander verschiedener unabhängiger Zeitungen sowie Radio- und Fernsehsender macht pluralistische Information möglich. Pressefreiheit ist untrennbar mit Menschenrecht verbunden. Und um anlässlich der 200. Ausgabe der ZaS bei Paul Sethe zu bleiben: „Ich weiß, dass es im deutschen Pressewesen Oasen gibt, in denen noch die Luft der Freiheit weht. Ich bin glücklich, in einer solchen Oase zu leben. Aber wie viele von meinen Kollegen können das von sich sagen?“ B. Breitsprecher

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