Marty Huber: "Queering Gay Pride" (Zaglossus, 2013)

Marty Huber Queering Gay Pride Zwischen Assimilation und Widerstand

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Marty_Huber

Queering Gay Pride Zwischen Assimilation und Widerstand

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Wir bedanken uns für die Förderung aus dem Queeren Kleinprojektetopf der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 17 – Integration und Diversität).

Dieses Buch entstand in Kooperation mit kritique, dem Verein zur Förderung queer-feministischer Literatur, Wissenschaft und Kultur.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Zaglossus e. U., Wien, 2013 Alle Rechte vorbehalten Umschlag: Marty Huber – Reproduktion eines Stencils aus Amsterdam Hintergrund unter Verwendung eines Fotos von flickr.com/uair01 Druck: Prime Rate Kft., Budapest Printed in Hungary ISBN 978-3-902902-06-1 Zaglossus e. U. Vereinsgasse 33/12, A-1020 Wien E-Mail: info@zaglossus.eu www.zaglossus.eu

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Inhalt

Danksagung 1 Einleitung

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2 Performativität

Der Sprechakt und seine Bedeutung für aktivistische und künstlerische Setzungen

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Wie wir es tun – Der Performative Turn

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Queere Bildstörung – Stay Tuned!

Work It! Politische Mobilisierung in Zeiten wie diesen!

Aufschieben, verspäten, spreizen – Derridas différance Begegnungen im Grenzraum – Potenziell fort und da: Ein Spiel Abstecher: Sie lacht an Orten wie diesen – Queere Femme-ininität Affirmation als Aneignungsstrategie Play It Differently – Again!

3 Ideologietheorien Antagonistische Anrufungen – Verbindungen zu Performativität und postkolonialer Kritik Ideologie ist nicht „Ideensystem“, Überbau oder „falsches

Bewusstsein“ Auf der Kreuzung – Ideologie trifft Performativität Radikale Demokratie – Willkommen in der Strategie Strategie or Not to Be Begegnungen mit der Figur des Kannibalen und des Tricksters Der Kannibale oder „Der Löwe wird aus assimiliertem Schaf gemacht“ Social Erotics und das Trickstertum als Technik des Kampfes

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4 Gouvernementalität

Ambivalenzen der Normalisierung und Single-Issue-Politiken in der LGBT-Community

Widerstand ist „die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ Performativer Seitensprung: „Sex braucht Kontrolle!“ Ein Lied, ein Spiel, ein Umzug? Mozart auf Abwegen Ich? Regier mich!

Techniken des Selbst – Zwischen Privatisierung und Politisierung

5 Rückblick Die Stonewall Riots (Juni 1969)

Die Befreiung der Christopher Street – Geburtsstunde von Gay Pride Der erste Christopher Street Liberation Day – Gay Power, Gay Pride Warum CSD, warum Pride?

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6 Emotionen 127 Über den Gebrauch von Gefühlen in queeren Kontexten

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7 LGBT und Ost-West Spannungsverhältnisse entlang einer historischen Grenzziehung

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Gay Pride! Gay Shame! Queer Feelings ...

Verletzung – „Everybody Hurts, Sometimes“ Love Nation – „Love to Hate You“ Gay Pride or Shame? – „It‘s a Sin“ WYSIWYF – „I Feel For You“

Genderbending Borders, or Rain on My Parade

To Be Seen or Not to Be – Sichtbarkeit um jeden Preis? Übersetzungen, Besetzungen und Transformationen Translating Localities – Queere (trans-)nationale Kämpfe und Widersprüche

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8 Amsterdam, Wien, Budapest, Belgrad Performative Praxen auf Gay-Pride-Paraden

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9 Queer Futurity – Ein Ausblick

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Anhang

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Ein Lied, ein Spiel, ein Umzug? Mozart auf Abwegen Der Richter und das liebe Vieh

Lesbische Curiositäten Schau

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Bibliografie

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Dancing With the Police!

Policing the Pride!

Nationalismus und seine queere Not Normalisierung und Mainstreaming von queer A Space of One’s Own A Spectacle of One’s Own „Liebesattacken vom anderen Ufer“

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Danksagung

Eine Danksagung steht am Ende eines Prozesses. Eines Prozesses, der ohne die zahlreichen (queeren) Kollektive nicht so vonstattengegangen wäre. Wenn auch das Verfassen eines Buches oftmals ein einsames Unterfangen ist, so ist diese Studie geprägt und gespeist von kollektiven Produktionen, politischen Begehren und performativen Übersetzungen vieler Menschen. Ihnen gebührt u. a. deswegen mein Dank, weil ich ohne ihre soziale Bewegtheit kein Forschungsgebiet vorgefunden und weil ich, wäre ich nicht selbst in den verschiedensten Kollektiven tätig gewesen, nicht das nötige Instrumentarium, die nötigen Einblicke und Einsichten gehabt hätte.

Allen voran zählen dazu die wechselnden Gruppen rund um die Rosa Lila Villa – das Lesben-, Schwulen-, und Trans*haus in Wien – und hierbei insbesondere der Lila Tipp – die Lesbenberatung. Neben diesen queer-feministischen Perspektiven haben unterschiedlichste Projekte von und mit maiz – der Migrant_innenorganisation in Linz – dazu beigetragen, mein Bewusstsein für strukturellen Rassismus zu bilden, mit trafo.K – einem Kulturvermittlungsbüro in Wien – durfte ich entlang der Übersetzung von Politik zu Kunst und Kultur Streifzüge tätigen und in der freien Medienarbeit beim Printmagazin Kulturrisse und beim queerfeministischen Radiokollektiv Bauch Bein Po an den Möglichkeiten der diskursiven Verbreitung feilen.

Diesem Buch liegt meine Dissertation „Queere Kollektivität und performative Praxen“ zugrunde, mit der ich im Mai 2013 promoviert wurde, in diesem Sinne gebührt mein Dank meinen beiden Gutachterinnen Prof. Dr. Hilde Haider und Prof. Dr. Eva Kreisky.

Eine besondere Freude war es, dieses Buchprojekt mit Nicole Alecu de Flers vom Verlag Zaglossus und Katja Langmaier von kritique, dem Verein zur Förderung queer-feministischer Literatur, Wissenschaft und Kultur, umzusetzen.

Vor allem und für alles danke ich Erika Doucette.

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1 Einleitung

Als Ende Juni 1969 die Stonewall Riots in New York City ausbrachen, dachte wohl keine_r1 der damals Beteiligten, dass dieser Kampf gegen Homo- und Transphobie eine solche Wirkung entfalten würde. Gay-Pride-Paraden, in all ihren Formaten, sind aus vielen Städten nicht mehr wegzudenken. Ob Intervention, Demonstration oder opulente Party, wie schon 1969 gilt das Prinzip, den öffentlichen Raum mit Fragen der Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen, Intersexuellen und Queers (LGBTIQ), mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und dem homo- und transphoben Alltag zu konfrontieren. Dennoch gibt es große Unterschiede in den Ausrichtungen und Inszenierungsformen zwischen europäischen Gay-Pride-Veranstaltungen, die Begleiterscheinungen reichen von überbordender Kommerzialisierung bis hin zu gewalttätigen Übergriffen gegen Paradenteilnehmer_innen. Mit dem Buch „Queering Gay Pride“ beabsichtige ich, die Ambivalenzen rund um diese Entwicklungen in den Fokus zu rücken und Fragen nach den hegemonialen Verstrickungen von emanzipatorischer Bewegtheit und (trans-)nationalen Machtstrukturen zu stellen.

In diesem Sinne könnte das Kapitel zur Geschichte der Stonewall Riots, das sich in der Mitte des Buches befindet, als Türöffner dienen, von dem ausgehend sich die verschiedenen Fragestellungen, mit denen ich mich im Buch befasse, erkunden lassen. Dazu gehören etwa Fragen zur Bedeutung des Wunsches nach (rechtlicher) Anerkennung und der damit verbundenen Unterwerfung 1

In diesem Buch wird die Schreibweise mit Unterstrich („Gender Gap“) verwendet und dabei auch oft der weiblichen Genus-Form der Vorzug gegeben (z. B. im Genitiv Singular („des_der Hörer_in“ statt „des Hörers“), so dass die Endung „s“ für die männliche Form abhandenkommt), um die binäre Geschlechterordnung um ein Spacing der Uneindeutigkeit zu erweitern und eine feministische Dimension einzuführen.

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in Regierungstechniken genauso wie Analysen des Umgangs mit Gefühlen in queer-aktivistischen Kontexten.

Da ich in diesem Buch grundsätzlich künstlerische, aktivistische und theoretische Auseinandersetzungen im Kontext aktueller Fragen füreinander fruchtbar machen möchte, bleibt meine Beschäftigung mit Theorien der Performativität, der Ideologiekritik und der Gouvernementalität nicht bei deren fundierter Aufarbeitung stehen, sondern ich unterziehe diese Theorien auch einer konkreten Überprüfung für künstlerische wie aktivistische Setzungen. Das ermöglicht es mir, einerseits künstlerische wie aktivistische Praxen einer kritischen Analyse zu unterziehen und andererseits zu fragen, wie diese Praxen auf ein Theoriegebäude wirken, das oftmals als statisch-stabil eingeschätzt wird. Die Einbettung und Zusammenführung der Themen des Buches erstreckt sich darüber hinaus auf geopolitische Entwicklungen im Hinblick auf europäische Integrationsprozesse und die damit einhergehenden hegemonialen Verschiebungen.

Anhand des Beispiels der Gay-Pride-Paraden in vier europäischen Städten (nämlich Amsterdam, Wien, Budapest und Belgrad) gehe ich der Frage nach, welche Körper von welchen Ideologien im öffentlichen Raum produziert werden. Der Fokus liegt dabei weniger auf individualisierten Körperlichkeiten, sondern darauf, wie etwa queere Kollektive (mit all ihren inhärenten Differenzen) sich durch gesellschaftliche Anforderungen der Normalisierung und Assimilation (neu) formieren und ob und wie gegen diese hegemonialen Mechanismen Widerstand geleistet wird.

Auf der angeführten Nord-Süd-/Ost-West-Achse entfaltet sich eine politische wie performative Kartografie, die einerseits – scheinbar natürlich – durch hegemoniale Kräfte geformt wird und andererseits von einer Landschaft der ständigen Verhandlung um Repräsentation und Intervention geprägt ist. Seit dem sogenannten Mauerfall scheinen die diskursiven Maschinen des Westens die ideologischen Schlachtfelder für sich erobert zu haben, die dieser Tage im Gewand der Demokratisierung auftreten.

Die vielerorts jährlich stattfindenden Gay-Pride-Paraden (die lokalen Namen variieren) sind mittlerweile zu einem der zeitge12

nössischen Zeichen für demokratische Reife und Erfolg aufgestiegen: öffentliche Demonstrationen, die in ihren Grundzügen darauf ausgerichtet sind, auf die rechtliche Lage von LGBTIQ aufmerksam zu machen. Im jährlichen Fortschrittsbericht der Europäischen Union (EU) werden etwa EU-Kandidatenländer (wie Serbien, Montenegro und die Türkei) darauf hingewiesen, dass für die legistische und polizeiliche Durchsetzung von Gay-Pride-Paraden zu sorgen ist.2 Hegemoniale Verhältnisse bestehen jedoch nicht nur zwischen der EU-Kommission und EU-Kandidatenländern, sondern auch zwischen LGBTIQ-Organisationen westlich und östlich der gewählten Achse.

Dazu kommen Bestrebungen von Teilen der LGBTIQ-Community, die auf die Assimilierung an die derzeitigen gesellschaftlichen Strukturen ausgerichtet sind. Damit einher geht eine (nicht unbedingt beabsichtigte) Einbettung in neoliberale Ökonomien, die sich massiv auf die Gestaltung und politische Ausrichtung von Gay-Pride-Paraden auswirkt. Innerhalb der Parameter politischer und ökonomischer Verhältnisse agieren Aktivist_innen und Angehörige der LGBTIQ-Communitys, demonstrieren, performen und erfinden diese Paraden immer wieder neu. Wie sehr diese Inszenierungen für eine Destabilisierung von homo- und transphoben Grenzlinien nutzbar sind und wie es möglich ist, diese Linien aufzuspreizen, ist ein Erkenntnisinteresse dieser Studie.

Nach den ersten beiden theoretischen Abschnitten, die sich mit Performanz- bzw. Ideologietheorien beschäftigen, werde ich mittels Theorien zu Gouvernementalität und dem Gebrauch von Gefühlen ein Spannungsfeld aufziehen, in dem mit Beispielen diverser Interventionen, künstlerischer Setzungen etc. versucht wird, die Kontinuität queerer Auseinandersetzung mit hegemonialen 2

Vgl. die Analyseberichte (Stellungnahme zu Serbiens Antrag auf EU-Mitgliedschaft) der Europäischen Kommission 2012: Schlussfolgerungen zu Serbien, http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2012/ package/sr_conclusions_2012_de.pdf; Communication from the Commission to the Council and the European Parliament „Enlargement Strategy and Main Challenges 2010-2011“, COM(2010)660, http://ec.europa. eu/enlargement/pdf/key_documents/2010/package/sr_rapport_2010_ en.pdf [Stand 02/2013].

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Strukturen beispielhaft nachzuzeichnen. Zwischen diese Kapitel eingeschoben findet sich eine historische Aufarbeitung der Stonewall Riots in der Christopher Street von 1969, auf die Gay-PrideParaden bis heute referieren. In weiterer Folge geht es dann um einen kurzen Aufriss der Geschichtsschreibungen von LGBTIQBewegungen in den ausgewählten Ländern sowie um die Entwicklungen von Gay-Pride-Paraden in den Städten Amsterdam, Wien, Budapest und Belgrad. Performative Praxen auf den und während der Paraden stehen schließlich im Fokus: Praxen, die entlang verschiedener thematischer Stränge (Verhältnis zu Staatsapparaten, Nationalismus, Normalisierung, Raumpolitik und Spektakel) analysiert werden. Ich schließe diese Studie mit einem Ausblick auf Schnittmengen mit aktuellen sozialen Bewegungen und auf die Möglichkeiten performativer Formen von Demonstrationskulturen in der näheren Zukunft.

Das Kapitel Performativität legt ausgehend von John L. Austin den Grundstein einer Kritik der Sprechakt-Theorie. Da Austin explizit das „parasitäre“ Verwenden von Sprechakten aus seinen Betrachtungen ausschließt und somit künstlerische Äußerungen von einer weiter gehenden Wirkmacht exkludiert, wendet sich das Kapitel vorrangig poststrukturalistischen Theoretiker_innen zu, die diesem Ansatz Austins nicht nachgeben wollen. So setzt etwa Derrida der Vorstellung von einer „Reinheit“ der Sprache das Parasitäre entgegen und eröffnet das Feld für Möglichkeiten der Aneignung. Die Diskussionen und Entwicklungen rund um den Begriff queer (entlang von Judith Butlers Theorien der Performanz) verweisen auf die Diskursivität, in der Macht sich konstituiert, und auf die damit produzierten Aus- und Einschlüsse sowie den dazu notwendigen verwerflichen Körper. Hinsichtlich der Potenziale und Fallen von Affirmation als Aneignungsstrategie ziehe ich Luce Irigarays Theorie zu Mimesis heran und widme mich den daraus resultierenden pluralistischen Möglichkeiten der Intervention in patriarchale Strukturen. Mit einer kritischen Analyse des Begriffes der Repräsentation schließe ich das Kapitel.

Das Kapitel zu Ideologietheorien stellt zu Beginn die Frage nach der Verwendbarkeit des Begriffes Ideologie: Die Auseinanderset14

zung mit dem Begriff ist nicht nur in Bezug auf die Beschäftigung mit postkommunistischen Ländern interessant, verweist die Begriffsgeschichte ja gerade auf dieses Moment der diskursiven Verhandlung von Bezeichnungspraxen. Trotzdem versuche ich am Beginn des Kapitels eine Abklärung des Begriffes, um die Ideologie nicht als „falsches Bewusstsein“, sondern gemeinsam mit Antonio Gramsci, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe den Verschiebungen folgend, die Ideologie als „ein organisches und relationales Ganzes, verkörpert in Institutionen und Apparaten“ (Laclau/Mouffe 2006: 102) zu sehen. Mein spezifisches Interesse an Gramscis Theorien richtet sich auf seine Wertschätzung folkloristischer bzw. popkultureller Formen des Ausdrucks und seine Erweiterung des Begriffs der „Intellektuellen“, die nach Gramsci „organisch“ aus jeder Klasse geschaffen werden. Mit Louis Althussers Text „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ (1973) hingegen eröffnet sich die Erkenntnis eines psychodynamischen Anrufungsverhältnisses, das Begehrensstrukturen in Machtverhältnissen auftauchen lässt. Diese Anrufungen, die ihre Subjekte erst herstellen, beschäftigen uns in der weiteren Auseinandersetzung mit queer, einer „befähigenden Verletzung“ (Spivak 2008: 8). Anschließend befasse ich mich mit der Frage, wie in und mit essenzialistischen bzw. universalistischen Systemen gegenhegemoniale Diskurse erzeugt werden können. Michel de Certeaus „Kunst des Handelns“ und seine Unterscheidung von Strategie und Taktik verweisen auf unterschiedliche Machtpositionen, die sich etwa in Form von Fehlaneignungen äußern. Die Methoden ändern sich entlang von Positionalität und Macht; Umkehrungen von Aneignungen durch minorisierte Gruppierungen haben eine lange Tradition im (post-) kolonialen Widerstand. Mit postkolonialen Theoretiker_innen wie Gayatri Chakravorty Spivak, Sara Suleri, Audre Lorde und Chela Sandoval versuche ich eine kritische Aufarbeitung dieser Methoden der Aneignungen (etwa der Verwendung sozialer Erotik) auch entlang der Reibflächen postkolonialer und queerer Theorieproduktionen, Praxen und Politiken.

Das Kapitel 4, Gouvernementalität, widmet sich der Frage nach der Kunst des Regierens, denn Michel Foucaults Untersuchungen 15

sozialer Beziehungen haben in vielen wissenschaftlichen wie aktivistischen Kontexten eine neue Form der Kritik des Macht- und Herrschaftsdiskurses produziert, die gleichermaßen in queeren wie postkolonialen Theorien Eingang gefunden hat. Begriffe wie Biopolitik, Diskurs, Archäologie/Genealogie, Technologien des Selbst oder etwa Gouvernementalität sind die Grundlagen für dieses Kapitel, das sich in weiterer Folge mit Teilen der Geschichte österreichischer Sexualpolitik beschäftigt und diese am Beispiel einer performativen Intervention (der queeren Bustour „Ein Lied, ein Spiel, ein Umzug? Mozart auf Abwegen“) bespricht. Die Prinzipien einer Gouvernementalität werden entlang von Fragen der Selbstunterwerfung und von Machttechniken analysiert und ihre Auswirkungen auf Tendenzen der Normalisierung ehemals devianter Subjekte untersucht. Überkreuzungen mit Rassismus leiten zum Konzept des Homonationalismus (vgl. Puar 2007) über: Anhand aktueller Diskurse wird das Mainstreaming lesbisch-schwuler Gleichheitspolitiken aufgezeigt und die damit einhergehende Verstrickung in antimuslimische Ressentiments bis hin zu offenen Rassismen analysiert. Wie stark lesbisch-schwule Communitys von kapitalistischen „Techniken des Selbst“ bestimmt waren und sind, zeige ich mit weiteren Beispielen auf. Während die alte Machtökonomie (des Verbotes, des Gefängnisses) sich mit den Prinzipien von Gewalt und Beraubung durchsetzte, arbeitet die heutige Disziplinargesellschaft mit Milde, Produktivität und Profit. Die Assimilierung vormals devianter Körper in eine produktive Ökonomie kann anhand unzähliger Gay-Pride-Veranstaltungen veranschaulicht werden.

Ein Rückblick auf die Stonewall Riots von 1969 in Kapitel 5 soll den Blick auf die politischen Umstände schärfen, die die GayPride-Paraden hervorgebracht haben. Bis heute dienen die Stonewall Riots als Referenzpunkt und dennoch sind die historisch wichtigen und komplexen Umstände weitgehend unbekannt.

Zum einen waren die Riots ein Aufstand von ganz unten, die Bar Stonewall Inn – von der Mafia geführt – war ein Ort, wo sich jene treffen konnten, die zu den Hinterzimmern angesehener Bars keinen Zutritt hatten: obdachlose Jugendliche, Latina und 16

Schwarze Dragqueens, schwule Sexarbeiter, Butches und ihre Liebhaber_innen und dergleichen. Die Auswahl an Lokalen für LGBTIQ war bescheiden, denn das Ausschenken von Alkohol an Homosexuelle war verboten. Zum anderen waren die Riots und das darauffolgende Jahr geprägt von den sozialen Bewegungen am Ende der 1960er-Jahre, die Aktivist_innen suchten aktiv nach Allianzen mit verschiedenen anderen Bewegungen der Zeit, wie etwa den Black Panthers. Doch schon bald nach den Stonewall Riots schwenkten die größten LGBT-Organisationen auf eine SingleIssue-Politik um. Ich werde feststellen, dass diese Zuspitzung der politischen Strategie bis heute Auswirkungen hat.

Der Performativität von Emotionen und ihrem Einfluss auf die Gestaltungen von queer motivierten Interventionen und Aufmärschen ist das Kapitel 6 gewidmet. In ihrem Buch „The Cultural Politics of Emotion“ (2004) legt Sara Ahmed ein Verständnis von Emotion dar, das diese weder als individuelles noch als soziales Phänomen begreift. In ihrer Analyse beschreibt sie, wie Emotionen Oberflächen und Grenzen produzieren, die es Individuen wie Kollektiven erlauben, sich als Objekte zu sehen. Diese Zirkulationen – Emotionen, die bewegen, die ihrerseits Verbindungen herstellen, um wiederum Objekte zu verfestigen, zu materialisieren – werden eingesetzt, um nicht nur eine Intensivierung der Selbstwahrnehmung hervorzurufen, sondern auch um das „Andere“ nachzuzeichnen und zu etablieren. Judith Butler verdeutlicht in ihrem Buch „Haß spricht“ (1998) das Verhältnis von Sprechakten und ihren Nebenwirkungen; Sprache verletzt, indem sie bereits tut, was sie sagt. Butler analysiert sehr treffend das Verhältnis von Hass-Sprache und Rechtsprechung, die diese verletzende Sprache regulieren soll. Die Rechtsprechung kann diese, wie sie ausführt, nicht regulieren, ohne sie zu wiederholen. In unserem Fall interessiert uns aber nicht die Frage der Hass-Sprache, sondern vielmehr, wie Anti-Homosexuellen-Gesetze und ihre Verhandlungen in Regierungskontexten Unterwerfungsfunktionen ausüben.

Mit Gay Shame nähern wir uns dem Gay Pride von der Kehrseite der Medaille: War die sogenannte Vor-Stonewall-Ära gleichsam unter dem Siegel der Scham, des Versteckens insbesondere in die 17

queeren US-Geschichtsbücher eingeschrieben worden, so ist mit den Stonewall Riots und der Neuformierung einer emanzipatorischen LGBTIQ-Bewegung gleichermaßen eine Überstrapazierung eines wie auch immer gearteten Stolzes eingetreten. Am Zenit dieser Zuspitzung bildete sich eine Kritik unter dem Label „Gay Shame“ heraus, welche die Entwicklungen und die assimilatorischen Bestrebungen in der LGBTIQ-Bewegung angreifen will. Am Ende dieses Kapitels beschäftige ich mich mit Empathie und frage mit Susan L. Foster nach dem Verhältnis von Aktivität und Betrachtung und danach, was passiert, wenn wir Bewegung beobachten, und welche empathischen und kinästhetischen Vorgänge unsere Wahrnehmung formen.

Ausgehend von der Frage, wie Ideologie differente legitime und illegitime Körper im öffentlichen Raum hervorbringt, blicke ich im Kapitel 7, LGBT und Ost-West, auf einen Landstrich, der von antagonistischen wie hegemonialen Verhandlungen geprägt ist, auf dem (schemenhaft) queere Körper sowie Fragen der Assimilation und des Widerstandes auftauchen. Auf der perforierten Grenze zwischen postkommunistischen und kapitalistischen Ländern in Europa erscheinen diese queeren Körper als Verhandlungsmasse zwischen Nationenbildung und Assimilierung zuungunsten anderer illegitimierter Körper, deren Beurteilung auf rassistischen und nicht homophoben Grundsätzen basiert. Mit „De-Centring Western Sexualities. Central and Eastern European Perspectives“ (2011), herausgegeben von Robert Kulpa und Joanna Mizielińska, zeige ich diese Bruchlinien in den Entwicklungsgeschichten von LGBTIQ-Communitys und ihrem Verhältnis zu Sichtbarkeitspolitik auf. Dabei spielt die Frage nach der Übertragbarkeit, nach Übersetzungen von politischen Diskursen, Ansätzen und Methoden eine entscheidende Rolle. Welche Dynamiken von Zuschreibungen sind festzustellen und warum wird (verständlicherweise) mit Querverweisen zu postkolonialer Kritik geantwortet? Schließlich sind es Fragen von Lokalität und (trans-)nationale Kämpfe in einer globalisierten Gesellschaft, denen das Ende des Kapitels gewidmet ist.

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Mit den performativen Praxen auf Gay-Pride-Paraden, der Beteiligung an hegemonialen und normativen Prozessen und den Potenzialen von Intervention in ihren unterschiedlichen Formaten beschäftige ich mich in Kapitel 8. Ich beschreibe kollektive Körper, die Situationen der Verhandlungen darüber herstellen, wie und von wem der öffentliche Raum benutzt werden soll. Diskursive, politische, normative, ökonomische Verhältnisse – etwa zwischen Paraden und Polizeiapparat, zwischen Nationalismus und Integration bzw. Verwerfung queerer Subjekte, zwischen Vereinnahmung durch Tourismus und Vermarktung, dem Zugang zur Stadt und ihren symbolischen Orten sowie dem Verhältnis von Spektakel und Karneval – sind die Kategorien, entlang derer ich die Diversität der Paraden in Amsterdam, Wien, Budapest und Belgrad analysiere. Der Austin’sche Sprechakt wird in diesem Sinne um das Verhältnis zum Körper erweitert, denn nicht nur die Sprache handelt. Ich werde darlegen, dass diese Akte per se nicht widerständig sind, sondern ebenso normativ und hegemonial ausgerichtet sein können. Gay-Pride-Paraden sind in diesem Sinne nicht nur der Boden für Verhandlungen zwischen LGBTIQ-Communitys und Staatsapparaten, sie sind auch ein Ort der politischen Auseinandersetzung, die transversal durch die Communitys und die Welt, die sie umgibt, die sie begehrt und/ oder zu verändern versucht, verläuft.

Mit der Frage nach einer queeren, kollektiven Zukünftigkeit (Kapitel 9) schließe ich diese Studie und verweise auf das Potenzial politischer Performance, Proteste wie auch Feierlichkeiten miteinander zu verbinden und dies als Methode der Emanzipation zu verstehen. Divergierende politische Haltungen, die Auflösung von Grenzlinien zwischen Paradenteilnehmer_innen und Publikum, die Lust am Spiel und der Inszenierung einer utopischen Gesellschaft, so argumentiere ich, können in einer Art und Weise ausgetragen und dargestellt werden, die neue Formen einer wandelbaren Zugehörigkeit etablieren kann.

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