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Julian,

KAPITÄN DER NATIONALMANNSCHAFT

mit Illustrationen von Mark Janssen

JULIAN

Julian,

KAPITÄN DER NATIONALMANNSCHAFT

mit Illustrationen von Mark Janssen

Lieber Julian, Alles Gute zu deinem 10. Geburtstag!

Dieses Buch wurde extra für dich gemacht. Wir hoffen, es gefällt dir! Papa und Mama

Gerard van Gemert

Julian, Kapitän der Nationalmannschaft

© 2021 Clavis Uitgeverij, Hasselt – Amsterdam – New York in Zusammenarbeit mit YourSurprise

Umschlagentwurf: Studio Clavis

Illustrationen: Mark Janssen

www.clavisbooks.com

Stichwörter.: Fußball, EM

Alle Rechte vorbehalten.

Bestellen: www.yoursurprise.de

Druck: ARSprintmedia

Kapitel 1

Samstag, 10. Juli 2021

„Nach den Fragen an den Nationaltrainer können Sie jetzt Julian Schmidt, dem Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Fragen stellen.“ Pressesprecher Jens Grittner blickte in den gedrängt vollen Saal.

Es hatten sich viele Presseleute zur Pressekonferenz von der Nationalmannschaft eingefunden. Das war natürlich keine Überraschung – einen Tag vor dem Endspiel der Europameisterschaft.

„Sie kennen die Regeln“, fuhr Jens fort. „Wegen des großen Andrangs bitte nur eine Frage pro Journalist.“ Er nickte einem Journalisten zu, der in der Mitte des Saales stand.

Julian Schmidt saß entspannt hinter dem Tisch und ließ die Fragen auf sich zukommen. Geduldig beantwortete er eine nach der anderen.

„Erwarten Sie, dass Deutschland eine Chance gegen Spanien hat?“ fragte ein Journalist der italienischen Zeitung La Gazzetta dello Sport.

Julian lächelt. „Spanien hat eine große Auswahl an außerordentlich guten Fußballspielern. Ich denke, dass sie leichte Favoriten sind. Aber wir sind auch nicht umsonst bis in Finale vorgedrungen. Sie werden also auch mit uns rechnen müssen.“

Jens Grittner zeigte auf einen Journalist, der hinten im Saal saß. „Stellen Sie jetzt Ihre Frage.“

Ein spanischer Journalist fragte: „Sie haben sich zu einem der Stars dieses Turniers entwickelt.

Rechnen Sie damit, dass Sie im Finale auch loslegen können?“

„Ach, was ist denn schon ein Star? Man kann nur gute Leistungen bringen, wenn die gesamte Mannschaft gut spielt. Für einen Angreifer ist es dann leichter aufzufallen als für einen Verteidiger.

Aber ich freue mich vor allem über die gute Mannschaftsleistung, die wir hier gezeigt haben. Meine Rolle ordnet sich dem völlig unter.“

„Denken Sie darüber auch noch so, wenn Sie morgen gewinnen und ein anderer der große Held ist?“

Jens Grittner runzelte kurz die Stirn, aber er ließ Julian die zweite Frage des Spaniers beantworten.

„Auch dann“, antwortete Julian ohne zu zögern.

„Dann gehen wir jetzt zu Oliver Schwesinger von SPORT1. Oliver?“ forderte Jens Grittner den stets kritischen Berichterstatter von SPORT1 auf. Er bekam

immer mehr Zeit zum Fragenstellen.

„‘Ja, Julian, im Training heute Mittag sah man, dass ihr wieder mit einer Raute im Mittelfeld und mit dir im Mittelfeld, kurz hinter Leroy Sané, spielen werdet. Bei Bayern München bist du die Spitze und Torschützenkönig der spanischen Primera Division und der Champions League. Hast du nicht allmählich das Gefühl, dass du die zweite Wahl für die Spitzenposition bei der Aufstellung für die EM bist?“

„Warum?“ Julian zuckte mit den Schultern. „Der Nationaltrainer setzt mich auf eine andere Position, weil er glaubt, dass ich dort in dieser Elf besser zu meinem Recht komme. Das hat doch nichts mit

erster oder zweiter Wahl zu tun? Oder fandest du, dass es in den letzten Spielen schlecht lief?“

Schwesinger ging auf die Frage von Julian nicht ein. „Aber ich nehme doch an, dass du am liebsten in der Spitze spielst?“ bohrte er weiter.

„Das macht mir nicht viel aus. Solange der Nationaltrainer mich nicht ins Tor stellt, spiele ich auf jeder Position, die er für mich für die Beste hält.“

„Auch wenn er dich rechts hinten aufstellt?“ Hier und da erklang im Presseraum Gelächter.

Julian lächelte. „Auch dann. Aber ich frage mich, ob das klug ist. Wir möchten gerne Europameister werden und wenn Herr Löw mich in die Verteidigung steckt ist die Chance dazu erheblich kleiner.“ Das Gelächter im Saal nahm zu.

„Du hast also keine Schwierigkeiten damit, dass Leroy Sané in der Spitze spielt?“

„Leroy ist einer der besten Fußballspieler Europas. Und ich dachte, dass wir hier ausgezeichnet zusammen gespielt haben. Also, damit habe ich keine Schwierigkeiten, nein.“

Jens Grittner ergriff wieder das Wort. „Wir kommen zu den letzten Fragen dieser Pressekonferenz.“ Er suchte den nächsten Fragesteller. „Der Herr dort an der Seite.“

„Was ist Ihr Lieblingsessen?“ fragte der Mann in gebrochenem Englisch.

Julian lachte los. „Grünkohl mit Wurst, aber das werdet ihr bestimmt nicht kennen.“

Der Mann lächelte und notierte etwas.

Grittner beugte sich zu Julian hinüber. „Ich frage mich, ob er die Antwort begriffen hat.“

„Bestimmt nicht“, antwortete Julian.

„Die Dame hier ganz vorne, “ Grittner lächelte immer noch.

Die Frau räusperte sich. Sie hatte eine dunkle Hautfarbe und ihrem Namensschild nach kam sie aus einem südeuropäischen Land. „Unsere Leser möchten gerne wissen, ob Sie irgendwann einmal zu Barcelona wechseln könnten.“

„Gute Frage“, Grittner wusste, dass Julian als Spieler von Real Madrid diese Frage regelmäßig zu hören bekam.

„Wenn ich jetzt entscheiden müsste, würde ich nein sagen. Ich bin Spieler von Real Madrid und die wechseln nicht so einfach zum Erzrivalen Barcelona. Aber es gibt genügend große Spieler, die bei beiden Vereinen gespielt haben. Denken Sie nur an den Portugiesen Luis Figo und den Dänen Michael Laudrup.“ Julian hob den Finger. „Was nur wenige wissen ist, dass der Kameruner Samuel Eto’o, der mit Barcelona zweimal die Champions League gewann, in der Jugendmannschaft von Real Madrid gespielt hat. Man soll also niemals nie sagen.“

„Den letzten Satz werden dir die Madridfans verübeln“, flüsterte Grittner.

Julian zuckte mit den Schultern. „Das ist doch die Wahrheit?“

„Die letzte Frage stellt der Herr mit dem roten Shirt an der rechten Seite.“

Der Journalist trat aus der Menge nach vorn. „Hatten Sie jemals etwas mit der Polizei zu tun?“

Jens Grittner lachte. „Das würde ich jetzt auch mal gern wissen.“

Julian seufzte. „Ehrlich gesagt ja, ich habe in meiner Jugend einmal etwas erlebt, durch das ich mit der Polizei zu tun bekommen habe.“

„Kannst du uns darüber etwas mehr sagen?“ fragte der Journalist mit dem roten Shirt.

Julian schaute auf seine Uhr. „Hast du etwas Zeit? Es ist eine ziemlich lange Geschichte.“

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Ich habe alle Zeit der Welt.“

„Das machen wir gleich“, sagte Jens Grittner. Er beendete die Pressekonferenz.

Der Journalist meldete sich bei Julian. Sie setzten sich an einen Tisch. „Ich bin gespannt“, sagte der Mann lächelnd.

„Ich war in der sechsten Klasse“, begann Julian. „Mit meinem besten Freund Paul, der sich überhaupt nicht für Fußball interessierte, habe ich nach der Schule regelmäßig mit Murmeln gespielt. Das war auch an dem Tag der Fall, an dem dieses Abenteuer begann.“

Kapitel 2

Neun Jahre zuvor

„Gehen wir noch Murmeln spielen?“ Paul versuchte seine Jacke anzuziehen und seine Arme in die Ärmel zu stecken, während er schon aus der Schule rannte. Viele Kinder spielten nach der Schule noch mit Murmeln. Auf dem Schulhof gab es nur wenige Murmelkuhlen.

„Ist gut.“ Julian nahm sein Murmelsäckchen.

Eigentlich lustig, dachte er, dass man nur ein paar Wochen im Jahr mit Murmeln spielt.

„Alle Kuhlen sind besetzt.“ Paul blickte über den Schulhof. „Mist.“

„Dann müssen wir zum Plätzchen“, sagte Julian. Paul nickte. „Komm schnell, bevor das auch besetzt ist.“

In der Gegend, in der Julian und Paul wohnten, gab es einen Platz mit Bänken. Zwischen zwei Bänken gab es eine Bürgersteigplatte mit einer Murmelkuhle. Diese Platte war wahrscheinlich aus Versehen dorthin gelangt, aber die Jungen nutzten die Kuhle oft, um mit Murmeln zu spielen. Der Platz war umgeben von Sträuchern und hohen Bäumen. Wenn man sich auf dem Platz befand war es, als wäre man mitten im Wald.

„Es ist noch niemand da“, keuchte Paul. Sie waren so schnell sie konnten zum Platz gerannt. „Heute will ich deine große bunte Murmel gewinnen.“

„Die ist nicht zu gewinnen.“ Julian klang überzeugend.

Paul suchte in seinem Murmelsäckchen. „Auch nicht gegen vier große und sechs normale Murmeln?“

„Vielleicht.“ Julian hatte seine schönste Murmel in die Hand genommen. Um Paul zu ärgern, warf er seine besondere Murmel in die Luft und fing sie wieder auf.

Der Kopf von Paul bewegte sich rauf und runter und folgte der Bewegung der Murmel. „Was ist dein Gegenangebot?“

Julian schaute übertrieben aufmerksam auf seine Glaskugel. „Ich sehe doch mindestens dreizehn verschiedene Farben.“ Er kniff die Augen halb zu.

„Sechs große Murmeln und vier normale.“

„Für eine Murmel, die beschrieben ist?“ Paul schüttelte den Kopf.

Julian betrachtete die Murmel. Vor einiger Zeit hatte er mit schwarzem Stift die Zahl neun darauf geschrieben, weil sie vielleicht Glück brachte. Das war seine Rückennummer. Er hatte versucht sie zu beseitigen, das war jedoch nicht gelungen. „Okay, fünf große und drei normale Murmeln.“

„Einverstanden“, antwortete Paul sofort.

Julian stellte sich an die Stelle, von der aus er werfen musste. „Du wirfst zuerst vier Murmeln. Dann werfe ich meine und dann du wieder die letzten vier.“

„Ist gut.“ Paul war mit allem einverstanden. Er hatte nicht gedacht jemals die Chance zu bekommen, um die schöne Murmel von Julian spielen zu

können. Paul warf und zwei Murmeln landeten in der Kuhle. „So, da kommst du nicht drüber.“

„Es sei denn, ich werfe hinein“, sagte Julian. Das geschah jedoch nicht. Seine bunte Murmel rollte dicht an der Kuhle vorbei.

Die Spannung war dem Spiel der Jungen anzusehen. Sie trauten sich nicht ein Risiko einzugehen. Nach ungefähr zehn Minuten lagen dort noch zwei große Murmeln und die bunte Murmel von Julian.

Paul lochte eine große Murmel ein, verschoss aber die andere. Sie lag für Julian nahe genug, um zu versuchen sie einzulochen. Aber die Bunte lag zu weit weg.

Julian lochte die letzte große Murmel ein, sodass nur noch die besondere Murmel übrig war. Sie war noch ein Stück größer als die Großen. Und wegen der Helligkeit des Glases und der vielen Farben war sie ein ganz besonderes Exemplar. Julian ging kein Risiko ein und um zu verhindern, dass sie zu nahe an der Kuhle landete, spielte er sie zu stark.

Die Murmel rollte über die Platten und landete in einem kleinen Bogen in den Sträuchern am Rande des Platzes. „Oh, oh“, sagte Paul. Er war als erster am Rand des Gebüschs. Erst schaute er, ob er von den Platten aus sehen konnte wo die Murmel lag, aber

als das nicht der Fall war, tauchte er ab in die Sträucher.

„Siehst du sie schon?“ Julian war jetzt auch da angekommen.

„Mann, was sind die Sträucher dicht. Ich komm´ fast nicht durch.“

Julian hatte einen Zweig von einem Baum abgerissen, der sowieso schon halb lose war und begann damit auf das Gebüsch einzuschlagen. Aber es half nichts. Die Zweige waren so eng zusammengewachsen, dass sie ganz miteinander verflochten waren. Es gab kein Durchkommen. „Hast du sie schon?“

Julian setzte seine Hoffnung auf Paul.

„Nein, Mensch. Das ist der reinste Urwald hier.“

Die Jungen suchten minutenlang weiter. Sogar in einem Gebiet von dem sie eigentlich genau wussten, dass sie dort nicht liegen konnte.

„Oh“, hörte Julian Paul sagen.

„Was ist? Hast du sie?“

Paul antwortete nicht.

Julian suchte Paul, sah ihn aber nicht. „Paul?’

„Ja. Ich bin hier.“ Und gleichzeitig richtete sich Paul auf. Er stand bei einem dicken Baum ganz am Ende der Grünanlage. „Ich hab´ was gefunden.“

„Was denn? Die Murmel?“ Julian konnte es sich eigentlich nicht vorstellen, aber man weiß ja nie.

Paul bahnte sich einen Weg zurück durch die dichten Sträucher. „Einen Umschlag.“

Julian packte die Hand seines Freundes, so dass dieser mit einem großen Schritt wieder auf den Platz kommen konnte. „Was ist denn drin?“

Paul verdrehte die Augen. „Sehe ich aus wie ein Hellseher?“

Julian grinste.

Das spornte Paul an. „Glaubst du, dass ich ein bionisches Auge hab´ oder so?“

„Ein was?“

„Ein Auge, mit dem ich durch Papier durchgucken kann.“

Julian schüttelte den Kopf. „Mach doch mal auf.

Vielleicht ist ja Geld darin.“

Paul setze sich auf eine der Bänke in der Nähe der Murmelkuhle.

Julian setzte sich neben ihn.

Paul öffnete den Umschlag.

„Und?“ Julian war total neugierig.

„Ein Brief.“ Paul holte ein Stück Papier raus und guckte wieder in den Umschlag. „Und eine Plastikkarte.“

„Mehr nicht?“ Julian klang enttäuscht.

Paul drehte den Umschlag um. „Nein.“ Er betrachtete die Karte. „Es ist eine EC-Karte.“

„Und der Brief?“

Paul faltete das Papier auseinander. „Codes, anscheinend.“ Es waren Buchstaben und Zahlen zu sehen, die in einer unlesbaren Reihenfolge durcheinander standen.

„Was ist das?“

Paul reagierte nicht. „Komm, wir gehen nach Hause.“

Julian blieb sitzen. „Und was ist mit meiner Murmel?“

„Die ist unauffindbar. Morgen suchen wir weiter. Vielleicht haben wir dann mehr Glück.“

„Na toll, “ murmelte Julian. „Es ist eine ganz besondere Murmel, weißt du?“

Paul schaute sich den Inhalt des Umschlags noch einmal genau an. „Sie ist unauffindbar, Julian. Ich habe überall nachgeguckt.“

„Und was machen wir jetzt?“ seufzte Julian. Er war genervt, aber er wusste auch nicht mehr, wo sie suchen sollten. Er hatte das Gefühl, dass sie überall nachgeschaut hatten

„Den Code knacken und mal gucken was für ein Ausweis das ist.“

Julian wusste, dass sein Freund ganz verrückt war nach schwierigen Aufgaben, die er mit dem Computer lösen konnte. „Na dann los!“ Er stand auf und schlurfte hinter Paul her. „Kommst du morgen zum Zugucken?“ wechselte er das Thema.

„Morgen?“ Paul dachte nach. „Ach, warte mal, da hast du doch dein wichtiges Spiel mit der Nationalmannschaft gegen Finnland. Wo denn?“

Julian grinste. „Nein, das ist am Dienstag. Morgen spielen wir mit dem FORTUNA DRESDEN gegen den Borussia Dortmund und die stehen an der Spitze.“

„Aha. Ich muss mal gucken, ob ich kann.“ Paul richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Umschlag.

Julian schüttelte den Kopf. Er wusste, dass Paul Fußball nicht mochte und auch nichts davon verstand. Ziemlich cool von ihm, dass er sich hin und wieder aufraffen konnte Julian beim Spielen zuzugucken.

Kapitel 3

„Mal sehen.“ Paul saß auf seinem Schreibtischstuhl und hatte seinen Computer angemacht. „Das ist eine EC-Karte der SPARKASSE.“

„Steht da ein Name drauf?“ fragte Julian.

Paul schaute sich die Karte an. „S. Weltleben.“’ Er verzog die Mundwinkel nach unten. „Das ist ein komischer Name.“ Paul legte seine Hände auf die Tastatur.

Julian schaute seinem Freund über die Schulter.

„Was willst du machen?“

„Gucken, wofür diese Codes stehen und was sie bedeuten.“ Paul schaute sich eine Internetseite an.

„Das ist die Seite der SPARKASSE und hier kann man sich anscheinend einloggen.

„Einloggen?“ Julian sah das Wort zwar, aber hatte keine Ahnung.

Paul bewegte mit der Maus den Cursor über den Bildschirm und klickte auf einloggen. Es erschien ein Feld, in das der Nutzername und ein Passwort eingegeben werden mussten. Darüber stand in fett gedruckten Buchstaben WIE LOGGEN SIE SICH EIN IN `MEINE SPARKASSE´. Paul klickte diese Möglichkeit an. In komplizierten Worten wurde erklärt, wie alles funktionierte.

„Das klappt nie!“ sagte Julian.

„Warum nicht?“ Paul klebte mit der Nase beinah auf dem Bildschirm. „So schwer ist das nicht, weißt du?“

Julian entschloss sich, den Mund zu halten. Er hatte davon jedenfalls keine Ahnung.

„Du darfst zweimal eine verkehrte Kombination eingeben, beim dritten Mal wird das Konto gesperrt.“ las Paul vor. Er faltete das Blatt auseinander, auf dem die Codes kreuz und quer durcheinander standen. Vor jedem Code stand ein Buchstabe.

„Aber welcher Code ist jetzt der Nutzername und welcher ist das Passwort?“ Er sprach mehr zu sich als zu Julian.

„Ich weiß nicht was du da erzählst.“ Julian war einen Schritt zurückgegangen.

Paul reagierte nicht auf die Worte seines Freundes. Er hatte sich über das Blatt Papier gebeugt und war voller Konzentration. „Ich denke, das ist er.“ Er legte die Finger auf die Tastatur und übertrug einen der Codes in das Feld, in dem der Nutzername eingegeben werden musste.

„pc8BAwer21,“ las Julian laut. Jetzt wurde es spannend und deshalb war er wieder ein Stück näher gekommen.

„Und dann hoffe ich, dass das hier das Passwort ist.“ Paul schaute zwischen dem Blatt Papier und seinem Bildschirm hin und her.

dRabb8Z4, sah Julian auf dem Bildschirm erscheinen.

‘So, und jetzt los.“ Paul lehnte sich zurück und klickte das grüne Feld an, auf dem EINLOGGEN stand. Sofort erschien ein Text: Sie haben Ihren Nutzernamen oder Ihr Passwort falsch eingegeben. Versuchen Sie es noch einmal. Wenn Sie dreimal ein falsches Passwort eingeben, wird Ihr Zugang zu MEINE

SPARKASSE gesperrt. Über „Einlogcodes vergessen“ beantragen Sie ein neues Passwort.

„Wir haben also noch zwei Chancen.“ Julian hatte das Blatt Papier vom Schreibtisch von Paul genommen und sah, dass noch drei Codes drauf standen. „Aber wie kriegen wir heraus, welches die richtigen sind?“

Paul hatte sich aufgerichtet und stand neben Julian. „Es ist eine Kombination dieser Codes. Einer davon ist der Nutzername und einer das Passwort. Aber du hast Recht: Wie kommen wir dahinter, welchen wir brauchen?“

„Lass uns mal nachdenken.“ Julian ließ sich auf das Bett von Paul fallen und schaute die seltsame Kombination aus Buchstaben und Zahlen genau an. „Angenommen, jemand will dir mit diesem Zettel klar machen, welche Codes du benutzen musst. Was würdest du dann tun?“

Paul ließ seine Augen über das Papier wandern. „Ich würde mit etwas auf die Codes hinweisen, wodurch sie vom Rest abweichen. Durch einen Buchstaben oder eine Zahl.“

Julian und Paul schauten sich alle Codes an, aber nirgendwo war eine Übereinstimmung zu finden.

„Es muss einen Hinweis geben.“ Julian legte das Blatt auf das Bett und trat zwei Schritte zurück. Aus einiger Entfernung betrachtete er es zwei Minuten lang. „Ich seh´nichts.“

Paul hatte sich neben Julian gestellt. „Nein, ich auch nicht.“

Julian seufzte und setzte sich auf den Schreibtischstuhl.

„Warte mal.“ Paul machte einen kleinen Sprung. „Ich seh´s!“

Julian richtete sich auf. „Was denn?“

„Guck mal!“ Paul zeigte auf das Bett. „Alle Codes sind lesbar, wenn man das Papier gerade hält. Aber es gibt nur zwei, die zur Hälfte auf dem Kopf geschrieben sind. Und guck mal, hier steht der Buchstabe E und hier steht der Buchstabe P vor. Einlogcode und Passwort. Ha, das könntest sogar du dir ausdenken, Julian.“

Julian war nicht überzeugt. “Glaubst du wirklich, dass es das ist?“

„Ich bin mir ganz sicher.“ Paul grabschte das Blatt von seinem Bett und tippte sorgfältig die zwei Codes untereinander in die dafür vorgesehenen Felder ein. Nutzername Yro19Xax98 und Passwort 1WeP23BNm. Er schaute zu Julian. „Soll ich?“

Julian nickte.

Paul klickte und sofort erschien wieder der Hinweis, in dem stand, dass der Nutzername oder das Passwort falsch eingegeben war. „Mist.“

„Vielleicht anders herum,“ sagte Julian. „Was meinst du?“

Julian zeigte auf den Bildschirm. „Nutzername und Passwort umdrehen.“

„O ja. Da könnte auch sein.“ Paul vertauschte die Codes. „Dies ist unsere letzte Chance. Soll ich?“

Julian schaute sich noch mal die Codes auf dem Blatt Papier an. „Ja, alles oder nichts.“

Paul klickte und hielt sich sofort die Hände vor die Augen.

Julian sah, dass der Computer kurz arbeitete.

Dann erschien: WILLKOMMEN BEI DER SPARKASSE. DIES IST IHRE KONTOÜBERSICHT. “Ja, es passt“! Er schlug Paul auf den Rücken. „Unglaublich, du hast es geschafft.“

„Wir haben es geschafft“, verbesserte Paul. Er schnappte sich die Maus und bewegte den Cursor zum Saldo. „Mal sehen, wie viel Geld wir haben.“

Das Klicken war noch zu hören, als der Saldo auf dem Bildschirm erschien. 1.234.092,47 stand da.

„Was?“ Paul bewegte sein Gesicht den Bildschirm zu. „Eins Komma zwei Millionen Euro!“

Julian machte einen Schritt zurück und setzte sich aufs Bett. „Eins Komma zwei Millionen Euro,“ wiederholte er. „Das ist viel Geld.“

Paul seufzte. „Sollen wir den Umschlag mal wieder dahin zurücklegen, wo wir ihn gefunden haben?“

„Aber hallo! Niemand legt einfach so einen Umschlag mit dieser Art Inhalt ins Gebüsch. Hier stimmt was nicht.“ Julian hatte ein komisches Gefühl im Bauch.

Paul stand auf und stopfte alles wieder in den Umschlag. „Komm, gleich steht die Polizei vor der Tür und wir werden verhaftet.“

Julian erschrak. Daran hatte er überhaupt noch nicht gedacht. Er guckte Paul an, aber konnte nicht erkennen, ob der es ernst meinte oder witzig sein wollte.

Kapitel 4

„Meinst du wirklich, dass die Polizei auf der Suche ist nach diesem Umschlag?“ Julian rannte hinter Paul her, der mit großen Schritten in Richtung Platz lief.

„Denk mal nach. Wir haben einen Umschlag gefunden mit einer EC-Karte und allem, was du noch brauchst.“ Paul hörte kurz auf zu reden, weil sie eine stark befahrene Straße überqueren mussten. „Auf dem Konto sind eins Komma zwei Millionen. Was würdest du machen, wenn du soviel Geld hättest und du kämst dahinter, dass dein Zeug gestohlen wurde?“

Julian hatte Paul eingeholt. „Wer sagt, dass es gestohlen ist?“

„Warum sonst liegt der Umschlag im Gebüsch?“

Darin musste Julian seinem Freund Recht geben.

„Es gibt einfach jemanden, der das Zeug gestohlen hat, das Geld haben will und alles im Gebüsch versteckt,“ sprach Paul weiter.

Julian wechselte das Thema. „Weißt du noch, wo der Umschlag genau lag?“

„An dem großen Baum, der hinter den eng zusammengewachsenen Sträuchern steht. Er stand senkrecht, es hat ihn also jemand absichtlich dort hingelegt.“

Sie waren am Platz angekommen und mussten durch einen schmalen Gang zwischen zwei Hecken durch. Paul war vorne und kletterte als erster über den niedrigen Zaun.

Julian ging dicht hinter ihm her, aber passte kurz nicht auf und stieß mit Paul zusammen, der stillstand. „Was machst du?“ fragte Julian erschrocken.

Paul legte den Finger auf den Mund . „Psssst.’ Er drückte Julian in den schmalen Gang zurück. „Da ist jemand.“

„Es ist öfters jemand auf dem Plätzchen.“ Julian sah darin kein Problem.

Paul fand, dass Julian noch immer zu laut sprach und machte ein Zeichen, dass er still sein sollte. „Da ist jemand im Gebüsch, an dem Ort, wo ich den Umschlag gefunden habe.“

Jetzt begriff Julian. „Echt?“

Paul lehnte sich mit dem Rücken an die Hecke und guckte um die Ecke. Julian ging auf die Knie nieder und machte das gleiche. Im Gebüsch sahen sie jemanden zwischen den Sträuchern. Es war ein Junge. Er war ganz in schwarz und hatte eine Kapuze über den Kopf.

„Erkennst du ihn?“ Julian flüsterte.

Paul schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kann sein Gesicht nicht sehen.“

Sie blieben und guckten zu bis der Junge aus den Sträuchern kam. Paul versuchte noch einen Blick auf sein Gesicht zu werfen, aber es klappte nicht.

„Nichts wie weg!“ sagte er leise, als der Junge in ihre Richtung ging.

Julian erhob sich schnell und die Jungen rannten vom Plätzchen weg. Erst als sie schon fast zu Hause waren, blieben sie stehen.

„Jetzt weiß ich sicher, dass etwas nicht stimmt.“

Paul stand vornübergebeugt und stützte die Hände auf die Knie.

Julian keuchte auch, aber dank seiner guten Kondition erholte er sich viel schneller als sein Freund. „Aber echt! Was wollte der Typ da?“

„Ja, und warum weiß er, dass der Umschlag da liegt?“

„Vielleicht hat er ihn ja selber dorthin gelegt,“ sagte Julian.

Paul seufzte tief. „Es kann auch sein, dass er etwas anderes gesucht hat.“

Julian glaubte da nicht dran. „Das wäre aber ein riesiger Zufall.“

„Morgen versuchen wir es noch einmal,“ sagte Paul. „Wir müssen den Umschlag so schnell wie möglich loswerden.“

„Wir können ihn auch zur Polizei bringen. Das ist vielleicht am fairsten,“ fand Julian.

Paul dachte kurz nach. „Nein, lass ihn uns zurücklegen und so tun, als hätten wir ihn nie gesehen.

Nachher verdächtigen sie uns noch, dass wir was damit zu tun haben.“

„Okay,“ sagte Julian. Für ihn klang das logisch. „Wir legen den Umschlag morgen zurück.“

„Hast du die Zeitung gelesen?“ Paul radelte am nächsten Morgen durch das Tor neben seinem Haus. Er hatte Julian angerufen, um zu fragen, wann das Fußballspiel anfing. Julian hatte erstaunt geantwortet und Paul hatte daraufhin erwidert, dass er dann zusammen mit Julian zur Sportanlage fahren würde. Julian wusste das sehr zu schätzen, weil Paul Fußball eigentlich nicht mochte.

Julian schüttelte den Kopf. Er hängte sich die Fußballtasche über die Schulter und setzte seine Füße auf die Pedalen.

„Darin stand ein Artikel, dass alle Bankdaten einer Stiftung auf irgendeine Weise tatsächlich und im übertragenen Sinn auf der Straße liegen.“

„Okay“. Julian fand das nicht so interessant. In der Zeitung standen jeden Tag jede Menge kriminelle Sachen.

„Weißt du, wie die Stiftung heißt?“

„Ist das ein Quiz?“ fragte Julian.

Paul konnte nicht darüber lachen. „Na, was meinst du?“

„Stiftung Julian?“ Julian musste selbst darüber lachen. „Spende Geld für den besten Fußballspieler der Welt.“

Auf dem Gesicht von Paul erschien immer noch kein Lachen. „Stiftung Weltleben.“

„Weltleben?“ Julian hatte seinen Scherz auch sofort vergessen. „Von der EC-Karte?“

Paul nickte. „S. Weltleben bedeutet Stiftung Weltleben. Ich habe heute Morgen kurz das Konto gecheckt. Es ist kein Geld mehr darauf.“

Julian musste das alles erst einmal verarbeiten.

„Die eins Komma zwei Millionen Euro sind weg?“

„Ja. Auf ein anderes Konto überwiesen. Und wenn ich den Artikel richtig gelesen habe bedeutet das, dass sie das Geld nie mehr wiedersehen.“ Die stimme von Paul zitterte.

Julian verstand genau weshalb. „Und wir haben die EC-Karte und alle Daten.“

„Genau. Also ich hoffe dir ist klar, dass wir ein Riesenproblem haben.“

„Aber hallo!“ Julian seufzte.

Sie waren bei der Sportanlage angekommen.

Julian versuchte, das ganze Problem zur Seite zu schieben. Er hatte ein wichtiges Spiel vor sich, das war jetzt das Wichtigste.

Kapitel 5

„Wie wichtig ist das heute eigentlich?“ Paul ging wieder neben Julian her. Er hatte sein Fahrrad ein Stück weiter hinten im Fahrradschuppen abgestellt als Julian.

„Wenn wir heute gewinnen, sind wir nur noch einen Punkt hinter dem Borussia Dortmund. Bei einem Unentschieden bleiben die 4 Punkte Vorsprung und wenn wir verlieren, liegen sie sieben Punkte vor uns.“

„Also, wenn ihr 2:0 gewinnt, seid ihr wieder gleichauf.“

Julian verstand Paul nicht. „Was meinst du?“

„Wenn ihr gewinnt, habt ihr nur einen Punkt weniger. Wenn ihr also 2:0 gewinnt, steht ihr gleich und wenn ihr 3:0 gewinnt, habt ihr einen Punkt Vorsprung.“

Julian musste lachen. „Nein, Mann! Wenn man gewinnt bekommt man drei Punkte, wenn man unentschieden spielt einen und wenn man verliert keinen.“

„Was?“ Paul kratzte sich den Kopf. „Also ist es egal, ob man mit 1:0 oder 10:0 gewinnt?“

„Nein.“

Paul verzog das Gesicht. „Warum spielt man dann weiter, wenn es 3:0 steht? Man kann eh nicht mehr als drei Punkte bekommen.“

„Wegen der Tordifferenz.“ Julian wollte es erklären, auch wenn es nach seinem Gefühl bereits das zehnte Mal war. „Guck mal...“

Aber Paul unterbrach ihn. „Lass mal. Du hast es schon eins Komma zwei Millionen Mal erklärt.“

Julian grinste. Er war froh, dass Paul noch Witze über das Geld machen konnte. Sie kamen in die Cafeteria und Julian ging von da schnell mit seinen Teamkollegen weiter in die Umkleide. Paul blieb in der Cafeteria. Er hatte auf einem der Tische zwischen lauter Fußballblättern eine Computerzeitschrift gefunden und las ein bisschen darin. Meistens dauerte es eine Weile bis die Spieler aufs Feld kamen.

Nach ein paar Minuten setzte sich jemand an den Tisch von Paul. Paul schaute kurz von seiner Zeitschrift auf. Es war ein Junge, der etwas älter war als er selber. Er hatte eine blaue Mütze auf dem Kopf.

Komisch, dachte Paul. Es gibt genug leere Tische hier und dieser Junge setzt sich ausgerechnet an meinen Tisch. Ja und? dachte er und vertiefte sich wieder in seine Zeitschrift. Als er etwas später über seinen Zeitschriftenrand hinweg schaute, saß der Junge immer noch dort. Er hing auf dem Stuhl und starrte Paul an.

„Kann ich dir helfen?“ Paul ließ seine Zeitschrift etwas sinken.

Der Junge setzte sich gerade hin. „Vielleicht ja, vielleicht nein.“

Paul hob die Augenbrauen und machte das Heft zu.

„Ihr habt doch gestern auf dem Plätzchen mit Murmeln gespielt, oder?“

Paul erschrak. Woher wusste der Junge das? Hatte er gesehen, dass sie den Umschlag genommen hatten? Und was wusste dieser Junge sonst noch? Paul spürte, dass sein Herz schneller schlug. Ganz ruhig, Paul, dachte er. Vielleicht geht es ja um was ganz anderes.

Dies alles schoss Paul innerhalb von anderthalb Sekunden durch den Kopf. Dann setzte er sein naivstes Gesicht auf. „Plätzchen. Mal nachdenken.“

Er kniff die Augen halb zu und versuchte, so gut wie möglich zu schauspielern. „Ja, das stimmt. Ich hab´ dort gestern mit meinem Freund Murmeln gespielt.“

Der Junge lächelte.

Paul wusste nicht, ob er das tat, weil er es bestätigte oder weil sein Schauspiel so schlecht war.

„Habt ihr da was gefunden?“

Sein Gehirn machte sich an die Arbeit. Dieser Kerl wusste mehr, als ihm lieb war. „Nein.“

„Und habt ihr da jemanden gesehen?“

Paul verzog die Mundwinkel nach unten. „Nein.“

Es klang zweifelnd. Zu zweifelnd, fand Paul selbst auch. Er dachte an den Jungen mit der Kapuze, den sie gesehen hatten. Das war aber nicht, als sie mit den Murmeln spielten. Er log also nicht.

„Bist du sicher?“ fragte der Junge.

„Ganz sicher!“ Jetzt klang es viel überzeugender.

„Warum fragst du?“

Der Junge stand wieder auf. „Nur so.“

Ja ja, dachte Paul. Es konnte doch eigentlich nur um den Umschlag mit der EC-Karte gehen. Er nahm die Zeitschrift wieder. „Ich weiß echt nicht

wovon du sprichst.“ Er öffnete die Zeitschrift und hielt sie wieder halb vor sein Gesicht, weil er nicht wollte, dass ihn sein Gesichtsausdruck verraten würde.

„Wenn dir zufällig etwas einfällt, dann musst du mich mal anrufen.“ Der Junge griff in seine Hosentasche und nahm einen Zettel heraus. „Das ist meine Nummer.“

Paul nahm den Zettel. „Okay,“ sagte er.

Der Junge nickte ihm zu, drehte sich um, schaute umher und lief weg. Paul guckte dem Jungen hinterher, bis dieser die Cafeteria verlassen hatte.

Paul starrte auf den Zettel. Es war der Zeitungsausschnitt in dem stand, dass der Stiftung Weltleben ihre Bankdaten geklaut worden waren.

Unten drunter stand keine Handynummer, sondern dort stand mit roten Buchstaben geschrieben: Hüte dich vor Egon, er ist gefährlich und Teil einer kriminellen Organisation!

Paul blieb noch einige Minuten sitzen, um nachzudenken. Dann schaute er auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass das Spiel in fünf Minuten beginnt. Er stand auf und verließ die Cafeteria in Richtung Spielfeld, wo Julian gerade auflief, um mit dem wichtigen Spiel gegen den Borussia Dortmund anzufangen.

Kapitel 6

Das Aufwärmen verlief prima. Julian hatte ein gutes Gefühl. Seine Ballannahmen waren wie sie sein sollten und seine Pässe waren gerade und sauber. Wie immer schoss er kurz vor Ende der Aufwärmzeit ein paar Mal aufs Tor und die Bälle landeten zielsicher hinein.

Als Julian nach den letzten Anweisungen im Umkleideraum auf das Spielfeld lief, sah er, dass viel los war. Das Spitzenspiel war auf der Website des Vereins und in der Vereinszeitung nachdrücklich angekündigt worden. Und das hatte viele Anhänger dazu bewegt zur Sportanlage zu kommen.

Als er an der Bank vorbeikam sah er, dass Rocco, sein Trainer, mit Cyril, dem Physiotherapeuten der DFB-Jugend sprach. Er wohnte auch in Dresden und war nicht nur Physiotherapeut, sondern auch eine Art Assistent von Joachim, dem Nationaltrainer. Julian fuhr häufig zusammen mit ihm zum Training und zu Spielen der DFB-Jugend. Neben Cyril stand Egon, Cyrils Sohn. Julian kannte ihn von der Schule her. Er war um einiges älter als Julian und war inzwischen auf der weiterführenden Schule. Manchmal spielten sie zusammen Fußfall auf dem kleinen Feld in der Nähe.

Egon grüßte Julian und Cyril zwinkerte ihm zu, als er auf das Spielfeld lief. Paul war nirgendwo zu sehen. Oder warte, ja doch. Er kam gerade aus der Cafeteria.

Der Borussia Dortmund ergriff sofort nach dem Anstoß die Initiative. Die Mittelfeldspieler des FORTUNA DRESDEN bekamen ihre Gegner nicht in den Griff. Das führte zu zwei sehr guten Chancen, die zur Erleichterung von Julian nicht genutzt wurden.

Im Laufe der ersten Halbzeit steigerte sich

FORTUNA DRESDEN. Julian kam häufiger in den Ballbesitz und konnte dadurch das Spiel stärker beeinflussen. So wie es häufiger geschah, wenn das Spiel nicht so gut lief, ließ er sich ins Mittelfeld zurückfallen, um von dort aus das Spiel zu lenken.

Ein Abschlag des Torwarts landete ungefähr an der Mittellinie. Einer der zentralen Verteidiger ließ den Ball rollen. Julian setzte seinen Körper gegen den des Verteidigers ein und ließ ihn dadurch nicht an den Ball kommen. Zuerst hatte er Angst, dass wegen eines Verstoßes gepfiffen werden würde, weil er ziemlich grob gewesen war. Aber anscheinend fand der Schiedsrichter die Art, auf die Julian den Ball verteidigte, zulässig.

Mit einer angetäuschten Bewegung verwirrte

Julian den Verteidiger. Dadurch bekam er kurz etwas Platz und dribbelte über die Gesamtbreite des Felds.

Der Rechtsaußen von FORTUNA DRESDEN sprintete seinem Gegenspieler in dem Augenblick davon, als Julian sich Freiraum verschafft hatte. Mit einem lupenreinen Pass durch die Luft legte Julian den Ball in den Lauf des schnellen Angreifers. Dieser nahm den Ball mit bis zur Grundlinie.

Das ist noch eine ziemliche Strecke, um rechtzeitig im Strafraum zu sein, dachte Julian. Er setzte zu einem langen Sprint an.

Der Außenspieler hatte bereits gesehen, dass nur der andere Flankenspieler nach innen gekommen war und jetzt zwischen drei Verteidigern stand. Er wartete den Bruchteil einer Sekunde mit seiner Flanke und sah dann, dass Julian angerannt kam. Er spielte den Ball in einem Bogen Richtung Rand des Strafraums.

Julian hatte den anderen Verteidiger umgangen und sah den Ball auf sich zukommen. Er musste kurz innehalten, um das Leder vor sich zu halten. Ohne weiter nachzudenken, nahm er den Ball direkt aus der Luft. Er traf ihn voll auf dem Spann. Wie ein Strich verschwand er in Richtung gegnerisches Tor.

Der Torwart des Borussia Dortmund machte in dem Augenblick, als Julian den Ball traf, einen kleinen Sprung nach vorn. Aber wegen der vor ihm stehenden Spieler und der Geschwindigkeit des Balls kam seine Reaktion viel zu spät. Der Ball schlug wie eine Kanonenkugel dicht unter der Latte ins Netz.

Julian bekam wegen des bewundernden Jubels der Zuschauer und der Begeisterung seiner Mitspieler eine Gänsehaut. Es war nicht nur ein wunderschönes, sondern auch ein wichtiges Tor. Und das vor den Augen des Physiotherapeuten der DFB-Jugend, der dies zweifellos dem Nationaltrainer berichten würde. Es gab keinen besseren Zeitpunkt, um ein solches Tor zu schießen.

Julian ließ sich an der Seitenauslinie feiern und lief anschließend begeistert in seine eigene Hälfte. Unterwegs suchte er an der Seitenlinie Augenkontakt zu Paul. Dieser streckte seinen Daumen nach oben. Julian reckte als Antwort seine Faust in die Luft. Er fragte sich, ob Paul begriffen hatte, dass dies ein schönes Tor gewesen war. Er war klug genug, um das anhand der Reaktionen um ihn herum beurteilen zu können.

Während der restlichen ersten Halbzeit dominierte wieder der Borussia Dortmund, allerdings ohne richtig gefährlich zu werden. Julian hatte noch die Möglichkeit zu einem schnellen Konter, aber der Steilpass des zentralen Mittelfeldspielers wurde gerade noch von einem der Verteidiger abgefangen, sonst wäre er ausgebrochen und hätte allein auf den Torwart zulaufen können.

Im Umkleideraum war das Tor von Julian das Gesprächsthema. Rocco versuchte, die Jungen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, indem er ihnen zurief, dass noch eine Halbzeit gespielt werden musste und dass der Sieg noch lange nicht sicher war. Das wirkte. Kurze Zeit später schauten die Spieler von FORTUNA DRESDEN auf eine weiße Tafel auf der er zeigte was gut geklappt hatte und was nicht und was verbessert werden könnte.

„Holt euch die drei Punkte!“ rief er, als der Schiedsrichter um die Ecke geschaut hatte, um zu sagen, dass die zweite Halbzeit begann.

Julian holte tief Luft. Er hatte ein gutes Gefühl.

Beim Auflaufen auf das Spielfeld sah er Paul.

„Läuft gut, was?“ sagte sein Freund.

„Na klar,“ antwortete Julian. Er lächelte.

Kapitel 7

Das Spiel kippte innerhalb von zehn Minuten. Der Borussia Dortmund kam stark aus dem Umkleideraum und erzielte nach vier Minuten

Spielzeit in der zweiten Halbzeit den Ausgleich. Die Spieler von FORTUNA DRESDEN erschreckte der gute Start der Gegner und sie wurden immer schlechter.

Das führte zu einer Reihe von heiklen Situationen. Bei einer dieser Situationen reagierte der rechte Verteidiger einen Augenblick zu spät, als der Angreifer der Gegner ihn außen herum umspielte. Statt den Ball zu treffen, traf der Verteidiger das linke Bein, so dass der Spieler stürzte. Der Verstoß fand gerade innerhalb des Strafraums statt. Der Schiedsrichter hatte keine andere Wahl, als auf den Elf-Meter-Punkt zu zeigen.

Der Stürmer des Borussia Dortmund ließ dem Torwart von FORTUNA DRESDEN keine Chance, indem er den Ball hart und hoch in die Ecke schoss.

„Na prima”, murmelte Julian, als er für den Anstoß an der Mittellinie stand. „Wir kommen gerade aus dem Umkleideraum und schon liegen wir wieder hinten.“

Durch die plötzliche Änderung des Spielstands verloren verrückterweise die Spieler des Borussia Dortmund den Kopf. Sollten sie jetzt drängen und versuchen, den Vorsprung zu vergrößern? Oder war es vernünftiger, etwas mehr hinten zu bleiben und den Vorsprung zu verteidigen? Die Angreifer dachten das Erste, die Verteidiger das Zweite. Dadurch

entstand ein großer Raum zwischen den beiden Linien, der von den Mittelfeldspielern nicht mehr zu bespielen war.

Julian hatte das durchschaut. Er sagte seinen Mittelfeldspielern, dass sie das ausnutzen sollten. Das klappte.

Der zentrale Mittelfeldspieler von FORTUNA

DRESDEN lief sich immer öfter frei und konnte mit dem Ball das Mittelfeld überqueren. Der zentrale Mittelfeldspieler des Borussia Dortmund schrie und lief mit den Armen in der Luft. Er sah die Gefahr kommen.

Den Vorstopper musste Julian dem letzten Mann überlassen, um dem zentralen Mittelfeldspieler abzufangen. Dadurch entstand für Julian eine EinsGegen-Eins-Situation und das war gerade seine Stärke.

Der zentrale Mittelfeldspieler spielte ihn mit einem flachen Ball an. Julian, der mit dem Rücken zum Tor des Gegner stand, tat so, als würde er den Ball mit der Außenkante seines Fußes zur linken Spielfeldseite mitnehmen. Im letzten Augenblick drehte er sich jedoch zurück und beschleunigte schon während der Ballannahme. Diese Bewegung hatte er bis zum Gehtnichtmehr trainiert und sie verschaffte ihm immer öfter einen Vorteil.

Der Rechtsaußen startete schon wieder. Julian sah es, aber beschloss, den Ball zu behalten. Der linke Verteidiger musste sich jetzt zwischen seinem direkten Gegenspieler und Julian entscheiden. Es sah so aus, als würde er sich für Ersteren entscheiden.

Julian hatte dadurch einen freien Raum vor sich und er lief mit dem Ball am Fuß auf das Tor zu.

Im allerletzten Augenblick entschied sich der Verteidiger doch für Julian. Dadurch wurde der Außenspieler frei. Julian wartete den richtigen Augenblick für einen Pass ab.

Der Außenspieler versagte nicht, Auge in Auge mit dem Torwart, und er machte ein Tor, indem er den Ball kontrollierte an ihm vorbeischoss.

Nach dem Ausgleich ging das Spiel hin und her. Der Borussia Dortmund und FORTUNA DRESDEN spielten beide auf Sieg. Aber in den letzten zehn Minuten des Spiels verlangsamte sich das Tempo, weil beide Mannschaften ihre ganze Kraft eingesetzt hatten.

In der weit vorgerückten Nachspielzeit drang der Rechtsaußen von FORTUNA DRESDEN noch einmal tief in die gegnerische Hälfte vor. Es gelang ihm, einen Eckstoß herauszuholen. Rocco gab von der Seitenlinie aus Anweisungen. Er wollte nicht zu viele Spieler vorne haben. Deswegen standen nur drei Spieler des FORTUNA DRESDEN, darunter auch Julian, im Strafraum fünf Gegnern gegenüber.

Der Ball kam in Höhe des Elf-Meter-Punkts an, wo einer der Verteidiger ihn wegköpfte. Unglücklicherweise köpfte er ihn gegen einen Mitspieler, wodurch der Ball Julian vor die Füße rollte. Dieser dachte nicht einen Augenblick lang nach und hielt seinen Fuß gegen das Leder. Zwei Sekunden später lag der Ball im Netz, 3:2.

Julian wurde von seinen Mitspielern angesprungen, die sich auf ihn stürzten. Es türmte sich ein

Spielerberg auf. Der Schiedsrichter kam hinzu und ermahnte die Jungen, wieder in ihre eigene Hälfte zu gehen. Es musste noch eine Minute gespielt werden.

Der Borussia Dortmund glaubte jedoch nicht mehr an einen Sieg und hatte keine Kraft mehr für eine Schlussoffensive. FORTUNA DRESDEN gewann das Spitzenspiel mit 3:2 durch zwei Tore und eine Torvorbereitung von Julian. Am Spielfeldrand wurde er von Cyril und Egon abgefangen.

„Ich hoffe, dass du diese Form bis Dienstag hältst.“ Cyril schlug Julian auf die Schulter.

Julian lächelte bescheiden. „Das wäre schön.“

„Ein schönes Tor, wirklich, das erste,“ sagte Egon. „Super!“

„Danke,“ antwortete Julian. Er wusste nie richtig, wie er darauf reagieren sollte.

Der Physiotherapeut kniff ein Auge zu. „Geh mal schön duschen und genieß deinen Sieg mit deinen Mannschaftskameraden. Und bis Dienstag. Du fährst mit, nicht wahr?“

„Wenn ich darf, gerne,“ antwortete Julian.

„Natürlich.“ Cyril legte die Hand auf die Schulter von Julian.

„Bis Dienstag.“ Julian ging weiter. Er suchte Paul, sah ihn aber nirgendwo. Er sitzt bestimmt schon in der Cafeteria, dachte Julian.

Im Umkleideraum wurde der Sieg gefeiert, als ob die Meisterschaft schon gewonnen wäre. Julian stand im Mittelpunkt. Seine Mitspieler wussten genau, dass er ihr wichtigster Spieler war.

Als Julian in die Cafeteria kam, saß Paul allein an einem kleinen Tisch. Er spielte mit seinem Handy.

„Toll gelaufen, was?“ sagte Paul, als er Julian kommen sah.

„Das kann man wohl sagen.“ Julian setzte sich. Paul schob, ohne ein Wort zu sagen, den Zeitungsausschnitt zu Julian hinüber.

Dieser nahm ihn hoch und las ihn. „Was ist das?“

„Den habe ich von einem Jungen bekommen, der sich an meinen Tisch gesetzt hat.“ Paul erzählte die ganze Geschichte. „Egon ist doch der Junge, der früher bei uns auf der Schule war?“

Julian schaute nachdenklich. „Ja, er ist der Sohn vom Physiotherapeuten der DFB-Jugend. Er steht dort bei Rocco.“

Paul drehte den Kopf herum. „Ob er der Junge mit der Kapuze ist?“

„Keine Ahnung.“ Julian seufzte.

„Was trinken?“ fragte Paul. Er stand auf.

Julian dachte kurz nach. „´Ne Cola.“

Paul nickte und ging zur Theke.

Kapitel 8

„Nun, da haben wir ja ganz schön Ärger am Hals.“

Julian lehnte sich nach hinten. „Teil einer kriminellen Organisation.“ Er seufzte.

Paul fühlte sich auch nicht viel besser. Tja, wir hätten ganz kurz eins Komma zwei Millionen Euro haben können.“

„Wieso wusste der Typ, dass du hier warst?“ Julian rieb sich die Augen.

Paul zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe ihn auch nicht danach gefragt.“

Julian seufzte. Eigentlich hätte er mit dem heutigen Sieg total glücklich sein müssen. Und natürlich auch mit seiner eigenen Leistung. Aber das Theater mit dem Umschlag überschattete seine Freude. Wenn Egon etwas mit Kriminellen zu tun hat und er über diese Jungen dahinter kommt, dass wir den Umschlag haben, dann kostet mich das meinen Platz bei der DFB-Jugend.“

Paul schnaubte. “Nun. Dass ist das Letzte über das ich mir Sorgen machen würde. Wenn wir festgenommen werden, sitzen wir jahrelang im Gefängnis.“

Julian erschrak. „Meinst du?“

„Was hast du denn gedacht? Wir haben die Karte, die Einlogcodes und die Passwörter eines Bankkontos, von dem gerade 1,2 Millionen Euro gestohlen worden sind.“ Er wedelte mit dem Zeitungsausschnitt. „Nichts davon gehört uns.“

Paul hob die Arme hoch. „Die Strafe, die darauf steht ist nicht, dass einem irgendein Spiel der DFBJugend entgeht, weißt du.“

So hatte Julian die Sache noch nicht betrachtet. Gestern fand er die eins Komma zwei Millionen noch spannend, Aber jetzt? Er wünschte sich, dass sie den Umschlag nie gefunden hätten. Hätte er die Murmel doch nur ruhig gespielt. Denn wenn sie nicht im Gebüsch gelandet wäre, läge ihnen jetzt nicht dieser Umschlag im Magen.

„Guten Tag, die Herren,“ hörte Julian hinter sich. Er drehte sich um und blickte in das lachende

Gesicht eines großen Mannes mit Schnäuzer und Hut.

„Ich höre, dass du heute Nachmittag wieder sehr wichtig warst, Julian,“ begann der Mann.

Julian holte einmal tief Luft. „Äh …“, begann er stotternd, „… es lief prima, ja.“

„Es lief prima?“ Der Mann lachte schallend.. „Gegen den Spitzenreiter ein Tor vorbereiten und zwei Tore schießen und dann sagst du: Es lief prima.“

Julian versuchte zu lächeln. Für sein Gefühl war es mehr ein Grinsen, aber der Mann bekam das nicht mit.

„Du warst heute der King.“ Der Mann legte beide Hände auf die Schultern von Julian. „Der Physiotherapeut der DFB-Jugend ist auch da. Er wird das sicherlich dem Nationaltrainer erzählen. Falls dieser noch nicht genau wusste, ob er dich aufstellen wird, dann weiß er es jetzt.“

„Und wer sind Sie?“ Paul konnte sich nicht mehr zurückhalten.

Der Mann schlug sich mit der flachen Hand unter dem Hut gegen die Stirn. „Ach, wie unhöflich von mir.“ Er reichte Julian die Hand. „Mein Name ist Hildebrand Landman. Ich bin der Vorsitzende des FORTUNA DRESDEN.“

Julian ergriff die Hand des Vorsitzenden und erkannte ihn. Er war neu und erst vor wenigen Wochen eingesetzt worden. Auf der Website des Vereins hatte sein Foto gestanden, allerdings ohne Hut. „Julian Schmidt. Angenehm,“ murmelte Julian.

„Ich weiß wohl, wer du bist.“ Landman sprach etwas zu laut. „Nachdem ich Vorsitzender geworden war, wusste ich schon innerhalb von zwei Tagen, dass das größte Talent unseres Vereins Julian Schmidt heißt.“ Er ging um den Tisch herum und gab auch Paul die Hand. „Spielst du auch bei uns?“

Paul schüttelte den Kopf. „Mich interessiert Fußball nicht.“

Landman reagierte erstaunt. „Was machst du dann hier?“ Es klang unfreundlich.

„Paul ist mein bester Freund,“ antworte Julian anstelle von Paul. „Er ist zum Zugucken gekommen.“

Landman nickte verständnisvoll. „Deshalb,“ sagte er. Nachdem er ungefähr fünf Minuten Smalltalk mit den Jungen gemacht hatte, verließ er sie wieder.

„Sollen wir gehen?“ fragte Julian.

Paul nickte und kurz darauf verließen die Jungen die Cafeteria. In der Nähe des Eingangs unterhielt sich Landman mit Cyril. Egon stand neben ihnen und spielte mit seinem Handy. Als sie vorbeigingen, zeigte der Vorsitzende in ihre Richtung. Egon nickte in Richtung Julian.

„Sie reden über uns,“ sagte Julian.

„Eher über dich als über mich.“ Paul grinste. „Ich spiele nämlich nicht so gut Fußball.“

„Vielleicht hängt dieser Landman auch in dem Komplott mit drin, und wir haben es hier mit einer einzigen großen kriminellem Organisation zu tun.“

Paul öffnete das Schloss seines Fahrrads. „Du übertreibst.“

„Super! Einen Kriminellen als Physiotherapeut und als Vorsitzenden. Na, die können wir beim FORTUNA DRESDEN gut brauchen.“

„Hör auf, Julian. Du redest Unsinn.“

Julian hatte jetzt auch das Schloss vom Fahrrad genommen und war aufgestiegen. „Ach ja? Rede ich Unsinn? Nun, jetzt haben wir erstmal viele Probleme. Dies kann uns den Rest unseres Lebens verfolgen.“

„Ja also wirklich, Julian! Den Rest unseres Lebens!“ Die Worte von Paul trieften vor Sarkasmus.

„Ja, auch wenn wir nicht erwischt werden und es gut endet. Auch dann wird uns das immer verfolgen.“

Paul antwortete nicht mehr. Er schüttelte fast unmerklich den Kopf.

„Eine solche Situation, die später plötzlich bekannt wird. Wenn ich zum Beispiel in der Nationalmannschaft aufgestellt werde. Und dann steht plötzlich in der Zeitung, dass Julian Schmidt, der Kapitän der Nationalmannschaft, am Diebstahl von eins Komma zwei Millionen Euro beteiligt war.“

Julian bekam immer schlechtere Laune.

„Nun, dann hoffe ich, dass dir klar ist, dass du zu viel Phantasie hast.“ Paul grinste und machte Julian nach. „Julian Schmidt, der Kapitän der Nationalmannschaft. Und wovon träumst du nachts?“

Julian schwieg. Die Worte von Paul Worte verärgerten ihn noch mehr.

Kapitel 9

„Na, was hast du herausgefunden?“ Julian zog seine Jacke aus und hing sie an die Garderobe.

Paul ging schon die Treppe rauf nach oben. „Ich werde es dir zeigen.“

Julian folgte Paul, aber er schaute vorher noch kurz ins Wohnzimmer, um den Rest der Familie zu begrüßen. Paul hatte Julian am frühen Sonntagmorgen bereits eine Kurzmitteilung geschickt, dass er etwas im Internet gefunden habe. Ob Julian Zeit hätte zu kommen.

Julian wusste, dass Paul immer was fand, wenn er einmal im Internet zu suchen angefangen hatte. Wie er das machte, wusste Julian nicht. Es schien so, als hätte er ein Händchen dafür. „Na, dann zeig mal.“

Paul setzte sich auf die eine Hälfte des Schreibtischstuhls, so dass sich Julian noch daneben setzen konnte. Er drückte die Leertaste seiner Tastatur, um seinen Bildschirm zu aktivieren. Es erschien eine Webseite mit Fotos, die offensichtlich in Afrika aufgenommen worden waren. Julian sah auf dem Foto lauter dunkelhäutige, magere Kinder. „Was ist das?“ Er hoffte nicht, dass Paul sich einen Scherz mit ihm erlaubte.

„Guck mal.“ Paul ging jetzt auf eine andere Seite der gleichen Organisation mit anderen Fotos. „Das ist die Webseite der Stiftung Weltleben. Und hier werden die Vorstandsmitglieder der Stiftung vorgestellt.“ Er scrollte einige Male rauf und runter. „Und wer sind die?“

Julian rückte näher heran und betrachtete das Foto, das Paul hervorgezaubert hatte. „Das ist der Vorsitzende des Fußballvereins.“

„Genau.“ Paul klang triumphierend. „Das ist Hildebrand Landman, Gründer und Vorsitzender der Stiftung Weltleben.“

„Und?“ Julian hielt das nicht für eine wichtige Entdeckung.

„Weltleben arbeitet in Afrika und sorgt dafür, dass benachteiligte Familien mit Kindern doch noch eine Zukunft haben. Die Stiftung wurde 2003 gegründet und hat sich inzwischen zu einer respektablen Organisation entwickelt.“ Paul las den Text vom Bildschirm ab.

Julian wartete. Paul hatte etwas gefunden und baute die Spannung auf. Das kannte Julian schon von seinem Freund.

Paul klickte wieder einige Male auf die Maus, und auf dem Bildschirm erschien ein neues Foto. „Und wer ist das?“

„Cyril?“ Julian beugte sich nach vorn.

„Cyril ist der Schatzmeister der Stiftung.“

Julian setzte sich gerade hin. „Echt?“

„Genau,“ sagte Paul. „Das kann doch kein Zufall sein?“

„Lass uns das noch eben sortieren.“ Julian erhob sich. „Wir haben Bankdokumente von einem Konto auf dem eins Komma zwei Millionen Euro sind, oder besser waren. Ein Junge weiß, dass wir die Dokumente haben und warnt uns vor Egon und sagt, dass der Teil einer kriminellen Organisation ist. Und der Vater von Egon ist zufällig der

Schatzmeister der Stiftung, also der Mann, der sich um das Geld kümmert.“ Julian setzte sich auf den Rand vom Bett von Paul.

„Genau.“ Paul drehte seinen Schreibtischstuhl um, so dass er Julian ansehen konnte. „Aber ich war noch nicht fertig.“ Er winkte Julian zu sich heran.

Dieser erhob sich, aber blieb jetzt hinter Paul stehen.

Paul öffnete eine andere Webseite, auf der wieder Foto zu sehen war. „Und wer ist das?“

Julian kniff die Augen halb zu. Auf dem Bildschirm sah er einen Jungen, aber er erkannte ihn nicht. Der Junge hatte sehr kurzes, stacheliges Haar, eine ziemlich breite Nase und er guckte ziemlich traurig in die Kamera. „Keine Ahnung.“

„Stimmt. Du hast ihn bis jetzt auch noch nicht gesehen, ich aber. Das ist der Junge, der mich in der Cafeteria angesprochen hat.“

„Wirklich? Wie hast du den denn gefunden?“

Julian war verblüfft. Typisch Paul, jemanden zu finden, den er nur ein einziges Mal gesehen hatte. Er hatte keinen einzigen Hinweis für die Suche. Julian selbst hätte nicht gewusst, wo er hätte beginnen sollen.

Paul scrollte wieder mit der Maus. „Nun, das war nicht so kompliziert. Auf der Facebookseite des Vorsitzenden.“

„Was? Kennt er den Vorsitzenden?“

Paul nickte nur. Er ging zu Facebook und suchte die Seite von Hildebrand Landman. Das gleiche Foto des Jungen war auch dort zu sehen, zwischen den Freunden des Vorsitzenden. „Und hier steht,

woher sie sich kennen.“ Über Info sah man das Foto am linken Rand erneut. Paul kreiste mit dem Cursor das Wort Sohn unter dem Namen Pepe Landman ein.

Julian schnaubte. „Also, der Junge, der dich angesprochen hat ist der Sohn von Hildebrand Landman.“

„Genau. Und dieser Junge warnt uns vor dem Sohn des Schatzmeisters der Stiftung seines eigenen Vaters.“

„Ich kapiere überhaupt nichts mehr.“ Julian schüttelte den Kopf. „In was für eine komische Situation sind wir da geraten.“

„Und hier siehst du noch was Schönes.“ Paul ließ die Maus wieder über den Bildschirm flitzen. „Taddaah!“

Julian las den Text. „Bist du jetzt auf der Webseite einer Schule?“

Paul nickte. „Pepe und Egon sind in derselben Klasse. Zufall? Glaub´ ich nicht.“ Er stand auf und ging zur Tür seines Zimmers. „Und jetzt machen wir was.“

„Was denn?“

„Wir besuchen Pepe.“ Paul drehte den Kopf und sah Julian an. „Kommst du?“

Julian runzelte die Stirn. „Weißt du denn, wo er wohnt?“

„Das Internet hat keine Geheimnisse vor SuperPaul.“ Paul tat so, als ob er sich ein Cape über die Schultern werfen würde. „Natürlich weiß ich, wo er wohnt.“

„Ist das denn wohl schlau?“

„Angriff ist die beste Verteidigung.“ Paul senkte geringschätzig den Blick. „Das solltest du als Kapitän der Nationalmannschaft doch wissen, Julian Schmidt.“

Kapitel 10

„Klingeln?“ Paul hielt den Finger an die Klingel. Sie standen in der Eingangshalle eines Hochhauses. Die Familie von Hildebrand Landman wohnte in der Nummer 638 auf der sechsten Etage. Es war nicht weit weg von dem Plätzchen.

Julian nickte. Seine Nervosität beschleunigte seine Atmung. Er hielt hier eigentlich nicht soviel von.

Paul war viel skrupelloser und er war davon überzeugt, dass sie so herausfinden könnten was los war.

Paul drückte auf die Klingel. „Mal sehen, ob jemand zu Hause ist.“ Seiner Stimme war anzumerken, dass auch Paul sich nicht ganz wohl fühlte.

Es dauerte ein Weile. Gerade in dem Augenblick, als Julian erleichtert aufatmen wollte, weil niemand zu Hause war, hörten sie ein Knacken von der Sprechanlage.

„Da ist jemand.“ Paul flüsterte.

Kurz darauf hörten sie eine freundliche Frauenstimme. „Hallo?“

Paul ergriff das Wort. „Hallo. Wir wollen zu Pepe.“

Auf der anderen Seite war es kurz still. „Seid ihr mit Pepe in einer Klasse?“

„Nein.“ Paul zweifelte kurz.

Julian fragte sich, was er sich wohl ausdenken würde.

„Wir kennen ihn vom Fußball.“

Diese Antwort war scheinbar auch gut. „Kommt rauf.“ Im gleichen Augenblick hörten sie das Summen an der Tür.

Julian drückte gegen die Tür, um sie zu öffnen. „Über die Treppe oder mit dem Aufzug?“

„Über die Treppe.“

Julian war erstaunt. „Es ist auf der sechsten Etage, das weißt du?“

„Ja und?“ sagte Paul mutig.

Julian war einverstanden und immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend rannte er die Treppe hinauf. Auf der zweiten Etage begann er seine Beine zu spüren und er lief langsamer. Als er sich umschaute, sah er Paul noch nicht. Der ließ es wahrscheinlich erheblich ruhiger angehen. Julian beschloss, das ebenfalls zu tun, sonst würde er verschwitzt oben ankommen. Als er jedoch auf der sechsten Etage ankam, wartete Paul bereits auf ihn.

„Hä?“ war alles, was Julian herausbringen konnte.

„Ich war schon auf der zweiten Etage müde. Also habe ich ab da den Aufzug genommen.“

Julian versuchte böse zu gucken, aber der schuldige Blick von Paul kam dem zuvor.

„Nummer 638 ist rechts.“ Paul ging vor Julian her. „Du hast übrigens lang dafür gebraucht.“

Julian konnte von hinten sehen, dass Paul lachen musste. Er gab ihm einen freundschaftlichen, kleinen Tritt unter den Po.

Paul klingelte bei Nummer 638. Die Tür öffnete sich sofort und eine Frau mit freundlicher Ausstrahlung stand in der Tür. „Ich rufe ihn eben.“

Sie drehte sich um und öffnete die Wohnzimmertür.

„Zwei Jungen für dich,“ sagte sie.

„Für mich?“ Dem Erstaunen war anzumerken, dass das nicht oft geschah. Pepe ging zur Tür und als er sah wer dort stand erschrak er. „Nicht hierher kommen,“ flüsterte er. Er schaute halb nach hinten und wartete, bis seine Mutter ins Wohnzimmer gegangen war.

„Warum nicht?“ Paul stand da mit den Hände in der Jackentasche.

„Das ist nicht schlau.“ Pepe war unruhig und schaute sich weiter um. „Wenn ihr mit mir sprechen wollt, dann verabreden wir uns irgendwo anders.“

Paul schaute zur Seite. „Er tut so, als hätte er uns schon zehn Mal gesprochen und als wüsste er genau wer wir sind.“ Er sprach absichtlich so laut, dass Pepe es unangenehm fand.

„Schhhht,“ reagierte dieser, während er seinen Finger auf den Mund legte. „Nicht so laut.“

„Kennst du uns?“ Es war das erste Mal, das Julian etwas sagte. Durch die beinah untertänige Haltung von Pepe hatte er etwas mehr Selbstvertrauen gewonnen. Der Junge hatte scheinbar mehr Angst vor ihnen als umgekehrt.

Pepe überging die Bemerkung von Julian. „Dann kommt kurz rein.“ Er öffnete die Tür ein bisschen mehr und ging ins Wohnzimmer. Bevor er die Tür öffnete, sagte er: „Wir gehen in mein Zimmer.“

Julian fand es lustig, dass er das ankündigte. Sie gingen durch das Wohnzimmer und durch eine andere Tür in eine Diele, von der die Schlafzimmer und das Badezimmer abgingen.

Pepes Mutter saß am Esstisch hinter einem Laptop. Sie lächelte den Jungen zu, als diese vorbeigingen.

Pepes Schlafzimmer war ein ziemliches Durcheinander. Überall auf dem Boden lagen Kleidungsstücke und Schulbücher. In der Ecke vor dem Fenster stand ein Sessel, aber auch dieser lag voller Kleidung.

Pepe nahm alles mit einer Bewegung vom Sessel hoch und warf es auf den Boden. „Einer von euch kann hier sitzen, der andere auf dem Schreibtischstuhl.“ Er selbst setzte sich auf sein Bett. „Warum seid ihr hier?“ fiel er mit der Tür ins Haus.

Paul hatte sich auf den Sessel am Fenster gesetzt. Er nahm ein Fernglas von der Fensterbank und betrachtete es eingehend. „Ich bin neugierig, warum du dich plötzlich an meinen Tisch gesetzt hast.“

„Egon ist für euch eine Gefahr. Ich wollte dich warnen.“

Julian ärgerte sich über Paul. Er hatte größeres Interesse an dem Fernglas als an dem, was Pepe erzählte. „Ich finde Egon nett. Ich treffe ihn regelmäßig, wenn ich mit der DFB-Jugend spielen muss. Manchmal nimmt sein Vater mich mit und dann sitze ich mit ihm zusammen im Auto. Wir unterhalten uns dann immer prima.“

„Egon ist nicht so freundlich, wie du meinst.“

Pepe schnaubte, stand auf und ging zu Paul. „Ich habe dir einen Zeitungsausschnitt gegeben. Egon gehört zu einer Bande, die das Geld der Stiftung gestohlen hat.“ Er nahm Paul das Fernglas weg und legte es wieder auf die Fensterbank.

Paul schaute verstört auf. „Woher weißt du das?“

„Mein Vater ist der Vorsitzende der Stiftung Weltleben und der Vater von Egon ist der Schatzmeister.“ Pepe setzte sich wieder auf seinen Platz.

Als ob wir das nicht wüssten, dachte Julian. Er grinste innerlich, weil Paul das alles schon herausgefunden hatte.

„Mein Vater hatte einen Umschlag mit Banksachen für Cyril fertiggemacht. Egon hat diesen Umschlag an einem Abend abgeholt, an dem ich allein zu Hause war. Ich habe ihm den Umschlag mitgegeben, aber der ist nie bei Cyril angekommen.“ Pepe breitete die Arme aus, als ob er damit zum Ausdruck bringen wollte, dass dies alles sagen würde.

„Und was sagt Egon dazu?“ Paul war aufgestanden und hatte das Fernglas wieder in die Hand genommen. Er schaute damit aus dem Fenster.

„Dass niemand zu Hause war, als er den Umschlag abholen wollte. Aber jetzt ist das Konto leer. Dreimal dürft ihr raten, wer das getan hat.“

Julian fragte sich, ob es das erste Mal war, dass Paul ein Fernglas sah. Er fand das Gerät sehr interessant. „Dann kann Cyril Egon doch zwingen, ihm den Umschlag zu geben?“

Pepe ging wieder zu Paul und nahm ihm das Fernglas erneut ab. „Cyril glaubt Egon und mein Vater glaubt mir.“ Er legte das Fernglas in eine Schublade seines Schreibtisches. „Mein Vater und Cyril haben bei der Polizei Anzeige erstattet und die hat eine Durchsuchung unserer Wohnungen beschlossen. Mein Vater und Cyril waren damit einverstanden. Auch wenn nur herauskommen würde, dass wir damit nichts zu tun haben.“

„Und?“ Paul hatte sich wieder in den Sessel gesetzt.

„Natürlich nichts gefunden. Egon hatte den Umschlag schon lang seinen kriminellen Freunden gegeben.“ Pepe hob den Finger hoch. „Aber dieser Umschlag wird einmal gefunden werden und derjenige, bei dem er gefunden wird, dem wird das noch Jahre lang Leid tun.“

Kapitel 11

„Ich frage mich wirklich, ob das eine gute Idee ist.“

Julian hatte den Umschlag in der Hand.

Paul stellte sich neben ihn. „Was willst du sonst machen?“

„Das weiß ich auch nicht. Mir fällt nichts ein, das das Problem auf einen Schlag lösen würde.“

Paul legte seine Hand auf den Rücken des Freundes. „Deswegen ist das im Moment auch das einzig Richtige. So tun, als hätten wir den Umschlag nicht genommen und ihn dorthin zurücklegen, wo wir ihn gefunden haben.“

Die Jungen hatten den ganzen Tag in der Schule über nichts anderes gesprochen. Nach dem Besuch bei Pepe hatten sie beschlossen, den Umschlag zurückzulegen. Oder eigentlich hatte Paul das beschlossen. „Dann sind wir ihn los,“ hatte er gesagt. Julian hatte noch protestiert. Er fand das zu einfach. „Wir geben alle Bankdaten einer Stiftung, die sich für was Gutes einsetzt, weg. Es waren eins Komma zwei Millionen auf diesem Konto, Mensch!“

„Was willst du dann machen?“ hatte Paul gesagt.

„Die Polizei vor der Tür, die eine Hausdurchsuchung macht und den Umschlag findet? Na, dann darfst du ihn haben und in die oberste Schublade deines Schreibtisches legen.“

Das wiederum konnte Julian sich auch nicht vorstellen. Sie hatten die Wahl zwischen zwei schlechten Möglichkeiten. Sie hatten noch kurz überlegt,

den Umschlag selbst zur Polizei zu bringen, aber Angst vor einer Gefängnisstrafe war zu groß.

Und jetzt saßen Paul und Julian in der Nähe der Stelle, an der sie den Umschlag gefunden hatten. Sie hatten gewartet bis ein Junge und ein Mädchen, die auf einer Bank saßen gegangen waren.

„Leg du ihn zurück.“ Julian gab Paul den Umschlag. „Du hast ihn auch gefunden.“

Paul nahm den Umschlag und stand auf. Er hielt die Hand mit dem Umschlag über seinen Kopf. „Da geht er hin.“

„Was machst du?“ Julian lächelte,

„Ein emotionaler Augenblick,“ sagte Paul. „Guck mal, Julian Schmidt, du wirst Kapitän der Nationalmannschaft und demnächst Millionen verdienen.

Aber ich werde nie mehr ein Konto sehen, auf dem eins Komma zwei Millionen sind. Und davon verabschiede ich mich jetzt.“

Julian schüttelte den Kopf. „Leg ihn jetzt wieder zurück.“

Paul küsste den Umschlag und ging dann in das Gebüsch. Einige Sekunden später kam er zurück. „Komm, wir gehen.“

Julian stand auf. Er hatte immer noch kein gutes Gefühl dabei, aber sie hatten sich entschieden. Jetzt wollte er Paul nicht mehr verunsichern. Sie gingen hintereinander durch den engen Gang zwischen den Sträuchern in Richtung ihrer Häuser. Nachdem sie das erste Mal um die Ecke um einen großen Häuserblock herumgegangen waren, blieb Paul stehen. „Warte mal.“

„Hast du etwas vergessen?“ fragte Julian.

Paul schüttelte den Kopf und schaute auf seine Armbanduhr. „Wir warten hier mal kurz.“

Julian begriff nichts. „Warum?“

„Darum.“’

Julian seufzte. Er hatte keine Lust auf diese Spiele von Paul. Er tat häufiger mysteriös und wollte dann nicht sagen, warum er etwas tat oder nicht tat. Aber in diesem Fall fand Julian es jedoch sehr nervig.

„Na, ich geh schon mal.“ Er hoffte, dass Paul dann sagen würde, weshalb er wartete oder dass er mit ihm mitgehen würde.

„Okay. Dann sehe ich dich morgen in der Schule.“

Mist, dachte Julian. Das war nicht die Antwort, die er hatte haben wollen. Ungeduldig blieb er stehen.

„Du wolltest doch gehen?“ fragte Paul kurze Zeit später. Er schaute immer noch um die Ecke in Richtung Plätzchen.

„Gib endlich Ruhe.“ Julian knurrte mehr als dass er sprach. „Ich lass´ dich nicht alleine.“

Paul antwortete, indem er mit den Schultern zuckte.

“Wir gehen zurück.“ Paul drehte sich zu Julian um.

„Wohin?“

„Zum Plätzchen. Aber wir müssen vorsichtig sein und nicht reden.“ Paul legte seinen Finger auf die Lippen.

„Warum nicht?“

„Weil ich es sage,“ sagte Paul.

Jetzt macht er das schon wieder, dachte Julian. Er zweifelte einen Augenblick, ob er nicht doch nach Hause gehen sollte, aber er war zu neugierig.

Paul wurde langsamer, als er an Rand des Plätzchens kam, das von Bäumen und Sträuchern umgeben war. Es schien, als ob er auf Zehenspitzen ging, als er den engen Durchgang erreichte. „Bleib hinter mir,“ flüsterte er.

Julian war angespannt, aber er hatte keine Ahnung weswegen. Das lag am Verhalten von Paul, der versuchte zwischen den Sträucher hindurch auf das Plätzchen zu spähen. Julian stellte sich dichter hinter Paul. „Ist da jemand?“ Auch er sprach leise.

Paul nickte, ohne sich umzusehen. Er stand in gebeugter Haltung und bewegte sich hin und her, um etwas entdecken zu können. Plötzlich richtete er sich auf und stieß Julian fast um. „Weg,“ zischte er. Paul lief schnell an den Sträuchern entlang bis er an einen Baum kam, hinter den er sich stellte. Er winkte Julian, dass er sich wieder hinter ihn stellen sollte.

Julian tat, was ihm gesagt wurde. Mit einem fragenden Blick versuchte er von Paul eine Erklärung zu bekommen.

Paul reagierte nicht, sondern schaute die ganze Zeit am Baum vorbei. „Guck mal!“ flüsterte er kurze Zeit später. Paul trat ein wenig zur Seite, um Platz für Julian zu machen.

Hinter dem Baum stehend schaute Julian zum Eingang des engen Durchgangs. Ein kleines Stück entfernt lief jemand von ihnen weg. Es war der Junge mit der Kapuze, den sie schon vorher auf dem Plätzchen gesehen hatten. „Egon,“ flüsterte Julian.

Er sah Paul an. „Er hat den Umschlag abgeholt. Wie konntest du das wissen?“

„Entweder du bist schlau oder du bist schlau“, grinste Paul.

„Aber wieso weiß er, dass wir gerade den Umschlag zurückgelegt haben?“

„Das weiß er nicht,“ sagte Paul. „Und das ist gerade das Witzige.“

Kapitel 12

Julian war am nächsten Morgen nervös aufgewacht. Und die Nervosität ging nicht weg. Das Spiel heute Abend gegen Finnland beschäftigte ihn schon seit Wochen. Es war ein Alles-oder-Nichts-Spiel. Nur ein Sieg reichte aus, um an der Europameisterschaft teilzunehmen. Bei jedem anderen Ergebnis fuhren die Finnen zur Europameisterschaft.

„Vergiss du auch nicht bei Egon nach dem Umschlag zu forschen, wenn er mitfährt?“ fragte Paul.

Julian hatte den ganzen Tag versucht, über den Umschlag zu sprechen und über das, was gestern passiert war, aber Paul hatte dazu wahrscheinlich keine Lust, denn er weigerte sich immer.

Nach der Schule fuhren die beiden Freunde auf ihren Rädern nach Hause. Kurze Zeit später sollte Cyril Julian abholen, um mit ihm zur Sportanlage zu fahren, wo das Spiel stattfinden würde.

„Wenn ich die Chance bekomme. Aber zu allererst muss ich mich auf das Spiel konzentrieren,“ Julian hatte keine Lust über etwas anderes als das Spiel zu sprechen. Aber er wollte Paul auch nicht enttäuschen.

„Kann ich nicht mitkommen?“

Julian war überrascht. „Ich dachte, du machst dir nichts aus Fußball?“

Paul zuckte mit den Schultern. „Am Samstag fand ich es ganz gut, wirklich.“

„Ist das dein Ernst?“ Julian suchte bei Paul nach Anzeichen dafür, dass er einen Witz machte, aber er fand keine.

„Und vielleicht kann ich dann mit Egon sprechen. Dann brauchst du dich damit nicht zu beschäftigen.“ Es schien so, als versuchte Paul, Julian zu überzeugen, obwohl das überhaupt nicht nötig war.

„Ich finde das prima. Sogar klasse!“ Julian fühlte sich erleichtert. Auf diese Art konnte er sich auf das Spiel gegen Finnland konzentrieren. „Dann werde ich Cyril kurz eine SMS schicken und fragen, ob es in Ordnung ist. Aber das ist bestimmt okay.“

„Muss ich denn keine Eintrittskarte haben?“ fragte Paul.

Julian musste lachen. „Nein, Mann. Unsere Spiele kosten keinen Eintritt.“

„Findet das nicht in einem Stadion statt?“

„Nein, das ist ein normales Fußballfeld bei einem Spitzenamateurverein. Manchmal spielen wir in einem Stadion, aber nicht immer.“

Paul zuckte mit den Schultern. Er konnte dem Ganzen nicht mehr folgen. „Ich muss aber noch kurz nach Hause und fragen, ob es okay ist. Um wieviel Uhr soll ich dann bei dir sein?“

Julian guckte auf seine Uhr. „Cyril holt mich in einer halben Stunde ab.“

Sie erreichten die Kreuzung, an der Paul nach rechts fahren musste und Julian geradeaus fuhr. „Bis gleich.“ Paul winkte seinem Freund.

Eine Dreiviertelstunde später saßen die Jungen bei Cyril im Auto. Egon fuhr tatsächlich mit und saß vorne neben dem Physiotherapeuten der DFBJugend. Paul und Julian saßen hinten.

Das Spiel am heutigen Abend gegen Finnland war das Gesprächsthema im Auto.

„Was meinst du, Julian? Schaffen wir es?“ fragte Cyril.

Julian war optimistisch. „Ich denke schon.

Auswärts haben wir auch gut gespielt und da hätten wir gewinnen müssen. Aber leider ist es ein Unentschieden geworden.“

Paul hörte zu, nahm jedoch nicht am Gespräch teil.

Cyril dachte an das Auswärtsspiel in Helsinki. „Ja, das war doch wegen dem einen unberechtigten Strafstoß kurz vor dem Ende?“

„Ja, das war echt ungerecht. Das war ´ne Schwalbe. Deren Sturmspitze ließ sich fallen, obwohl er noch nicht einmal berührt wurde.“ Julian konnte sich darüber immer noch aufregen.

„Wenn wir das Spiel gewonnen hätten, wären wir schon für die Europameisterschaft qualifiziert,“ kombinierte Cyril richtig.

Julian nickte. „Tja, jetzt können wir nur hoffen, dass wir es heute Abend doch noch schaffen.“

„Das klappt schon!“ sagte Cyril. „Du bist in Topform. Samstag hast du auch wie ein junger Gott gespielt.“

Julian spürte, wie der Stolz in ihm wuchs.

„Joachim hat das auch noch gesagt.“

„Echt?“ Es tat Julian gut zu hören, dass der Trainer fand, dass er in Topform sei. Das bedeutete, dass er so gut wie sicher heute in der Anfangself aufgestellt würde.

So ging das Gespräch noch eine Weile weiter. Paul saß schweigend dabei und hörte zu, bis ein Moment der Stille eintrat. „Sag mal, hab´ ich dich gestern am Plätzchen gesehen, Egon?“ fragte er plötzlich.

Julian spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Er wusste, dass Paul mit Egon über den Umschlag sprechen würde, aber er hatte nicht erwartet, dass er das so direkt tun würde.

„Am Plätzchen?“ Egon kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Ja, gestern Nachmittag, um ungefähr vier Uhr.“

Egon drehte sich so um, dass er Paul ansehen konnte. „Am Plätzchen in eurer Gegend? Mit den Bänken?“

Paul nickte.

Er wird es natürlich abstreiten, dachte Julian. Wenn er zugeben würde, dass er dort gewesen sei, würde Paul fragen warum er eine Kapuze auf hatte oder was er dort gemacht habe.

„Du bist mit Mama bei Oma gewesen.“ Es war Cyril, der antwortete.

Egons Gesicht erhellte sich. „Ach ja, da war ich. Also nein, ich war nicht am Plätzchen.“

„Dann war es sicher jemand anders.“ Paul lehnte sich wieder zurück und schaute aus dem Fenster nach draußen. Kurz darauf dreht er den Kopf zu

Julian und lächelte. Es war ein beruhigendes Lächeln.

Julian verstand überhaupt nichts mehr. Er hatte nichts gehört woraus hervorging, dass Egon am Plätzchen gewesen war. Mehr noch, er dachte, dass Cyril sich etwas ausgedacht hatte mit dem Egon beweisen konnte, dass er nicht am Plätzchen gewesen war. Julian seufzte. Erst einmal Fußballspielen, dachte er.

Kapitel 13

„Heute geht es um hop oder top. Jetzt oder nie. Alles oder nichts.“ Joachim ging im Umkleideraum auf und ab. „Wenn das Spiel nachher vorbei ist, möchte ich, dass wir fix und fertig sind. Dass wir alles gegeben haben. Auch wenn wir es dann vielleicht nicht geschafft haben, dann haben wir doch auf jeden Fall alles dafür getan.“

Julian seufzte. Seine Nerven lagen blank.

Joachim ging zur Tafel, auf der ein Fußballfeld aufgezeichnet war und fuhr fort Anweisungen zu geben. Lauflinien, feste Absprachen für den Wiederanpfiff nach Spielunterbrechungen wo man stehen sollte, wenn der Gegner im Ballbesitz war. Vor dem Warming-up hatte Joachim die Aufstellung bekannt gegeben und wie erwartet gehörte Julian zur Anfangsmannschaft. Überraschend war, dass er im Mittelfeld und nicht in der Spitze spielen sollte.

„Ihre Stärke ist das Umschalten. Wenn wir den Ball verlieren müssen wir also dafür sorgen, dass wir gut stehen. Im Auswärtsspiel hatten sie nicht viele Chancen, aber die Chancen, die sie hatten, entstanden dann, wenn wir den Ball verloren haben.“

Daran konnte Julian sich noch gut erinnern. Auch der Strafstoß, der letztendlich zum Unentschieden geführt hatte, war ein solcher Moment.

Joachim zeichnete eine Situation bei einem Eckstoß des Gegners auf die Tafel. Anschließend zeigte er was er von seinen Spielern erwartete, wel-

che finnischen Spieler kopfballstark waren und wie sie sich meistens vor dem Tor bewegten.

Julian merkte, dass Joachim auch nervös war. Er gab nur noch selten diese Art von Anweisungen kurz vor dem Spiel. Die Jungen hatten dies schon einige Male gehört und gesehen.

Joachim wurde von einem Mann gestört, der die Umkleideraumtür öffnete und rief, dass das Spiel beginnen würde. „Okay, Leute. Jetzt geht´s los. Sorgt dafür, dass wir im Sommer bei einem wichtigen Turnier mitspielen können!“

Die Spieler standen auf, schlugen sich ab und riefen Ermunterungen. Julian spürte wieder wie die Nerven an ihm zerrten. Er wusste, dass dies bis zum Anstoß anhalten würde. Danach war dieses Gefühl verschwunden und er konzentrierte sich nur noch auf den Fußball.

Die Finnen durften anstoßen und spielten den Ball nach hinten. Von ihrer Verteidigung aus wollten sie das Spiel ruhig aufbauen.

Julian hatte mit dem Stürmer vereinbart, dass sie sofort Druck machen würden. Sie machten das öfter, wenn der Gegner den Anstoß bekam. Die Verteidiger spielten sie oft einfach aus und manchmal führte das zu einem langen Ball von der Verteidigung aus nach vorne. Sehr selten konnten sie die Verteidigung in Panik versetzen.

Der Angreifer folgte dem Ball und Julian war kurz dahinter, um die Abspielmöglichkeiten zu versperren. Dieses Mal lief der Ball genau zu den Spielern, die sie für die Deckung ausgewählt hatten. Julian deckte die Nummer fünf von Finnland, die von der

Nummer vier angespielt wurde. Er tat dies, weil der Angreifer der DFB-Jugend so nah gekommen war, dass er zu keiner Seite ausweichen konnte.

Der finnische Verteidiger drehte sich nach rechts, genau zu der Seite, die Julian gewählt hatte. Julian schob seinen Körper zwischen den Finnen und den Ball und nahm den Ball mit.

Der andere Verteidiger sah das voraus. Er versuchte, Julian den Weg zum Tor zu versperren.

Dadurch kam der Stürmer frei.

Julian hatte genügend Übersicht, um zu sehen, dass der Stürmer viel günstiger stand als er selbst.

Er wartete noch kurz und deutete an, dass er schießen würde, um den Verteidiger aufzufordern ihn noch schärfer zu verteidigen. Das geschah und in dem Moment spielte Julian den Ball zum Stürmer.

Dieser stand Auge in Auge mit dem Torwart und versagte nicht. Er lüpfte den Ball über den fallenden

Torwart hinweg und der Ball rollte dicht neben dem Pfosten ins Netz.

Der Stürmer riss die Arme in die Luft, rannte sofort zu Julian und sprang in seine Arme. „Klasse, Julian.“

Julian fing ihn auf. „Es musste doch einmal klappen!“ sagte er.

Die anderen Spieler kamen sofort und gratulierten ihnen und kurz danach liefen sie in ihre eigene Hälfte zurück. Einen besseren Anfang hätte sich die DFB-Jugend bei diesem wichtigen Spiel nicht wünschen können. Kaum zwei Minuten gespielt und schon jetzt führten sie mit 1:0. Jetzt mussten die Finnen punkten und das bedeutete, dass sie im

Verlaufe des Spiels Risiken eingehen mussten. Dadurch bekam die DFB-Jugend sicherlich Platz zum Angreifen. Und das war die Stärke von Julian: Bewegung zwischen den Linien und Nutzung der Räume, die der Gegner zuließ.

Der Rest der ersten Halbzeit ähnelte mehr einem Schachspiel als einem Fußballspiel. Die DFB-Jugend ging kein Risiko ein und überließ Finnland die Initiative.

Die Finnen wussten nicht so recht was sie machen sollten. Schon jetzt auf Ausgleich spielen mit der Gefahr, ein zweites Tor um die Ohren gehauen zu bekommen oder geduldig auf die eine Chance warten, die immer irgendwann einmal kam. Sie entschieden sich für das Letztere, so dass beide Mannschaften mit einem Halbzeitspielstand von 1:0 in die Umkleideräume gingen.

Kapitel 14

Nach der Pause wurde alles anders. Die Finnen kamen wie die Verrückten aus dem Umkleideraum. Sie waren erheblich aggressiver als in der ersten Hälfte und spielten von Anfang an auf Risiko. Hinten spielten sie auf Manndeckung, dadurch hatten sie einen Spieler mehr im Mittelfeld.

Julian hatte schon innerhalb weniger Minuten durchschaut, dass sich ihre Strategie geändert hatte. Er versuchte seine Mitspieler zu dirigieren und die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Das klappte überhaupt nicht. Die Finnen wechselten häufig die Position, was die Mittelfeldspieler und Verteidiger der DFB-Jugend verwirrte und sie wussten nicht mehr, wen sie verfolgen sollten. Die drei Angreifer der DFB-Jugend taten nichts oder kaum etwas für die Verteidigung, so dass die Finnen leicht den freien Mann finden konnten.

Julian schrie sich die Seele aus dem Leib und tat sein Bestes, um wieder Ordnung in die Mannschaft zu bringen. Es half nichts, dass Joachim von der Seitenlinie her ebenfalls Anweisungen brüllte. Dadurch steigerte sich die Verwirrung bei einigen Spielern nur noch mehr.

Die Finnen nutzten das Chaos in der Mannschaft der DFB-Jugend optimal aus und landeten innerhalb einer Viertelstunde zwei Treffer. Julian war wütend. Er fand die Panik in der Mannschaft unnötig und ärgerte sich darüber. Der 1:2-Rückstand erschien aussichtslos. Die DFB-Jugend musste jetzt

zwei Treffer landen um sich für die Europameisterschaft zu qualifizieren.

„Spielen wir jetzt Mann gegen Mann?“ Julian nahm an der Trainerbank einen Schluck aus einer Flasche.

Joachim stand neben ihm. „Das ist noch zu früh.“

„Zu früh? Wir müssen zwei Tore schießen. Jetzt geht es um alles oder nichts.“ Julian goss sich einen Strahl Wasser auf den Kopf.

„Die letzten zehn Minuten vielleicht.“ Joachim war kein Freund von gewagtem Fußball. Das wusste Julian, aber in dieser Situation hätte er mehr Mumm von seinem Trainer erwartet.

Julian schüttelte den Kopf. „Dann regel ich es eben selbst,“ murmelte er, während er zurück ins Spiel lief. „Wir spielen Mann gegen Mann.“ Er war zu den Verteidigern gelaufen, um ihnen dies mitzuteilen. Um Joachim nicht zu alarmieren wollte er es nicht über das Spielfeld brüllen. Der letzte Mann spielte als verteidigender Mittelfeldspieler für seine Verteidigung. Er selbst würde dicht hinter dem Stürmer spielen, der noch tiefer stehen musste. Er hoffte, auf diese Weise die Finnen stärker unter Druck setzen zu können.

Joachim hatte schnell durchschaut, dass seine Mannschaft anders spielte. Unter Rufen versuchte er dies rückgängig zu machen, aber da Julian bei der Vorhut stehen blieb, blieben die anderen Spieler auch in ihrer neuen Rolle. Wenn sie das nicht tun würden, würde der Raum im Mittelfeld zu groß sein. Nach einigen Minuten gab Joachim auf und

mit einem missmutigen Gesicht und verschränkten Armen setzte er sich auf die Bank.

Die Finnen hatten weniger Schwierigkeiten mit der Umstellung bei der DFB-Jugend, als die Deutschen kurz nach der Pause mit der geänderten finnischen Spieltaktik hatten. Mit einigen Anpassungen fingen sie die Angriffswellen der DFB-Jugend ab.

Trotzdem wurde die Mannschaft von Julian gefährlicher und es entstanden einige Chancen. Je näher das Spiel auf das Ende zuging, umso nervöser wurden die Finnen. Die Aussicht auf die Europameisterschaft ließ sie erzittern.

Als nur noch fünf Minuten zu spielen waren, bekam Julian den Ball am Rand des Strafraums. Er drehte sich von seinem Gegenspieler weg, spielte den Stürmer an und lief hinter dem Ball her. Das Einzige was der Stürmer tat, war den Ball abzulegen und wegzulaufen, wodurch er seinen direkten Gegenspieler weglockte.

Julian war dreizehn Meter vom Tor entfernt und war in dem Gedränge etwas schneller am Ball als ein anderer Verteidiger. Mit der Fußspitze schoss er den Ball auf das Tor. Durch einen Wald aus Beinen verschwand der Ball in der Ecke.

Die Spieler der DFB-Jugend nahmen sich nicht die Zeit zum Jubeln. Dafür war die Zeit bis zum Spielende zu kurz. Julian wurde vom Torwart behindert, als er den Ball schnell aus dem Tor holen wollte, um ihn zur Mittellinie zurückzubringen. Mit einem kräftigen Stoß schob er ihn zur Seite. Der Schiedsrichter musste dazwischen gehen, um die Situation zu klären.

Die letzten Minuten waren Einbahnstraßenfußball. Alle Bälle wurden hoch in den Strafraum gespielt in der Hoffnung, dass er einmal optimal fallen würde.

Die Finnen waren jedoch nicht die Kleinsten und gewann die meisten Kopfballduelle. Da viele Spieler dicht zusammengedrängt standen, war es unmöglich mit einem Kombinationsspiel eine Möglichkeit zu erarbeiten und so war dies die einzige Chance. Es lief bereits die Nachspielzeit, als ein finnischer Verteidiger wieder einmal einen hohen Ball aus dem Strafraum köpfte. Julian sah den Ball auf sich zukommen und beschloss ihn direkt aus der Luft zu nehmen. Er traf den Ball gut. Einer der Verteidiger warf sich in die Flugbahn des Schusses und der Ball traf unglücklich auf seinem Arm auf.

„Elfmeter!“ tönte es sofort von allen Seiten. Der Schiedsrichter pfiff.

Julian schaute, wo der Schiedsrichter stand und sah, dass er zweifelte. Dass es Handspiel war, war klar. Aber der Verteidiger stand am Rand des Strafraums. Die Frage war, ob der Ball auf dem Elfmeterpunkt landen würde oder unmittelbar außerhalb des Sechzehn-Meter-Raums.

Der Mann in Schwarz lief zu seinem Assistenten, um sich mit ihm zu beraten. Spieler beider Mannschaften versuchten die Meinung zu beeinflussen, sie wurden jedoch weggeschickt. Nach einer kurzen Besprechung lief der Schiedsrichter wieder zurück und zeigte energisch auf den Elfmeterpunkt. An der Seitenlinie ertönte Jubel. Die Finnen protestierten heftig.

Der Angreifer der DFB-Jugend hatte den Ball genommen. Es war abgesprochen, dass er die Strafstöße übernehmen sollte. Mit dem Ball in der Hand lief er zu Julian und drückte ihm den Ball in die Hand. „Schieß du. Ich bin mir nicht so sicher.“

Julian schluckte. Ob die DFB-Jugend im nächsten Sommer an der Europameisterschaft teilnahm, lag jetzt in seiner Hand.

Kapitel 15

Es dauerte eine Weile, bis die protestierenden Finnen den Strafraum verlassen hatten. Dadurch hatte Julian Zeit zum Nachdenken und das war nicht so gut. Vorher eine Ecke wählen und davon nicht mehr abweichen, sagt er sich. Feste mit der Innenkante des Fußes und mit einem kräftigen Anlauf. Denn je höher die Anlaufgeschwindigkeit ist, desto höher ist auch die Ballgeschwindigkeit.

Der Schiedsrichter zeigte noch einem der Finnen die gelbe Karte wegen Protestierens. Das war für die anderen das Zeichen den Strafraum zu verlassen,

Julian hatte den Ball immer noch in den Händen. Er seufzte tief und legte ihn vorsichtig auf den Elfmeterpunkt. Der Schiedsrichter schaute genau zu, ob Julian auch alles richtig machte. Der Ball rollte zuerst ein kleines Stück zur Seite. Daraufhin trat Julian den Kalk am Elfmeterpunkt flach. Dann legte er den Ball erneut hin. Dieses Mal blieb er liegen.

Der Torwart hatte sich in die Nähe gestellt und zeigte jetzt auf den Ball. Er gestikulierte, dass der Ball nicht korrekt lag. Dies tat er natürlich nur, um die Konzentration von Julian zu stören.

Julian ließ sich jedoch nicht ablenken und ging mit dem Rücken zum Tor an den Rand des Sechszehn-Meter-Raums. Erst dort drehte er sich um.

Der Schiedsrichter hatte den Torwart unter Androhung einer gelben Karte zurückgeschickt. Dieser stellte sich mit weit auseinandergerissenen Armen auf die Linie.

Hart mit der Innenkante des Fußes, dachte Julian. Und in die Ecke rechts vom Torwart.

Der Pfiff beendete die Stille. Atemlos schauten die Feldspieler, die Ersatzspieler, das technische Team und das Publikum zu wie Julian anlief. Er traf den Ball gut, aber in dem Augenblick als der Ball sich von seinem Fuß löste hatte Julian das Gefühl, dass er zu weit neben die Ecke gezielt hatte. Das Leder blieb einige Zentimeter über dem Boden und ging Richtung Pfosten.

Der Torwart hatte die falsche Ecke gewählt und lag auf der Seite. Zusammen mit allen Anwesenden verfolgte er den Ball mit den Augen und sah, dass er gegen den Pfosten rollte.

Julian machte einen kleinen Sprung, als ob er damit helfen konnte dem Ball die richtige Richtung zu geben. Der Ball rollte vom Pfosten aus über die Torlinie.

Julian war – wahrscheinlich zusammen mit dem Torwart – der Erste, der sah, dass es geklappt hatte. Erleichtert riss er die Arme in die Luft. Danach erklang eine Welle des Jubels von allen, die mit der DFB-Jugend sympathisierten. Julian wurde unter einem Berg von Mitspieler begraben.

Der Schiedsrichter hatte den Ball inzwischen an sich genommen und abgepfiffen. Die DFB-Jugend hatte mit Hängen und Würgen die Endrunde der

JULIAN

Europameisterschaft erreicht und Julian hatte dabei eine mehr als entscheidende Rolle gespielt.

Zuerst wurde ausführlich auf dem Spielfeld gefeiert. Danach fand die Fortsetzung mit allen, die zur DFB-Jugend gehörten, im Umkleideraum statt. Am Schluss saß nur noch Julian allein im Umkleideraum. Er hatte als Letzter geduscht. Die anderen vermieden das, weil sie wussten, dass sie dann den Umkleideraum fegen mussten. Julian machte das nichts aus.

Er schob den Besen vor sich her und war fast fertig, als die Umkleideraumtür geöffnet wurde und Joachim hereinkam.

„Junge, da bist du der Held des Spiels und dann musst du noch fegen.“ Er setzte sich auf die Bank.

„Regeln sind Regeln,“ grinste Julian. „Dann hätte ich mich halt beeilen müssen.“

„Eigentlich musst du eine Verwarnung bekommen.“ Joachim legte seinen Kopf ein wenig schief.

Julian war erstaunt. Er dachte, dass er im Gegenteil ein Kompliment verdient hatte. „Was?“

„Wegen der Missachtung von Traineranweisungen.“

Julian lächelte. „Ach das. Tja, es hieß doch alles oder nichts. Und es war zu wenig Zeit zum Warten.“

Joachim nickte. „Es ist gut ausgegangen.“

„Zum Glück.“

„Es sind die großen Fußballspieler, die sehen was auf dem Feld passiert und es wagen die Initiative zu ergreifen,“ fuhr Joachim fort. „Du hast das heute getan.“

„Es hätte auch schief gehen können. Dann hätte ich die Verwarnung bekommen.“ Julian wusste genau, wie das funktionierte.

„Das ist wahr. Aber es ist nicht schief gegangen. Und genau das ist der Unterschied.“

Julian stellte den Besen in die Ecke und setzte sich neben den Trainer. Das war die Chance eine Frage über Cyril zu stellen. Aber Julian zweifelte. Er wusste nicht so recht wie er anfangen sollte. Er konnte doch kaum fragen, ob Joachim wusste, dass Cyril Mitglied einer kriminellen Organisation war. Und warum sollte Joachim das wissen? Wenn das der Fall wäre, wäre Cyril schon lange entlassen worden. „Und jetzt auf zur Europameisterschaft.“

„Da habe ich Lust drauf.“ Joachim rieb sich die Hände. „Das wird mein erstes Endspiel. Das stelle ich mir so cool vor!.“

Julian nickte. „Ich auch. Wenn ich mitfahren darf natürlich.“

Joachim stand auf. „Da muss schon viel daneben gehen, wenn wir dich nicht mitnehmen. Und ich glaube sogar, dass du noch viele Endturniere erleben wirst.“

„Meinst du?“ Julian strahlte.

„Ich denke schon, ja.“ Joachim stand auf. „Komm, wir gehen in die Cafeteria.“

Julian stand ebenfalls auf und nahm den Besen.

„Eben noch das hier fertig machen.“

Kapitel 16

„Sagte er das wirklich?“ Paul biss in sein Krokettenbrötchen. Er hatte nicht viel gegessen, weil seine Eltern oft später aßen. Mehr als ein schnelles Butterbrot hatte es nicht gegeben und jetzt hatte er Hunger. Zum Glück hatte er noch einen Euro in der Tasche.

„Ja, dass ich eine große Chance habe diesen Sommer mit zur Europameisterschaft zu fahren.“

Paul schluckte das Brötchen runter. „Klasse, Mann. Ich finde es supercool so etwas mal zu erleben.“

„Klar.“ Julian grinste innerlich. Dass ausgerechnet Paul so etwas sagen würde. Der Junge, der absolut nichts von Fußball verstand.

Julian stellte seine Fußballtasche auf den Boden und setzte sich an den Tisch. Er hatte eine Flasche Cola geholt, zog den Strohhalm heraus den die Frau hinter der Theke hineingesteckt hatte und nahm einen Schluck. „Hast du noch mit Egon gesprochen?“

Paul schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn kaum gesehen. Ich weiß also nicht ob er dahinter steckt.“

Julian seufzte. „Es sind auch alles sehr vage Beweise. Ein Junge mit Kapuze, und sonst nichts.“

„Stimmt.“

Paul hörte auf zu sprechen, weil Egon sich zu ihnen stellte. „Darf ich mich zu euch setzen? Mein Vater ist noch im Massageraum beschäftigt.“

Julian schob einen Stuhl zurück und lud Egon auf die Art ein sich dazu zu setzen. Das Gespräch mit Paul war sofort zu Ende..

„Du hast heute sehr gut gespielt,“ sagte Egon.

„Danke.“ Julian lächelte.

„Sicher schwierig, so ein Strafstoß in der letzten Minute?“

„Vor allem, wenn man weiß, was davon abhängt. Ich hatte zunächst Angst, dass er gegen den Pfosten oder daneben gehen würde. Aber es ging zum Glück gut.“

Sie unterhielten sich zunächst noch weiter über das Spiel und später über andere Dinge, bis Cyril und Joachim in die Cafeteria kamen und sich zu ihnen setzten.

„So,“ sagte Cyril. „Das haben wir auch wieder hinter uns gebracht.“

„Du wirst noch einige Zeit damit zu tun haben, oder?“ fragte Joachim.

Julian verfolgte das Gespräch. Es ging um einen verletzten Spieler, der in der letzten Phase des Spiels nach einem Luftkampf unglücklich gestürzt war. Sie hatten bereits drei Mal ausgewechselt, der Spieler musste also verletzt bis zum Spielende weiterspielen.

Paul stieß Julian an. “Guck mal.“ Mit einem Kopfnicken wies er zur Cafeteriatür.

Julian sah Pepe und seinen Vater hereinkommen, denen zwei Polizisten folgten, ein Mann und eine Frau. „Oh, oh.“

Pepe lief voraus und suchte mit den Augen die Cafeteria ab. Als sein Blick den Blick von Julian kreuzte, erschien ein Zeichen des Erkennens auf

seinem Gesicht. Er suchte Kontakt zu einem der beiden Polizisten und zeigte auf den Tisch, an dem Julian und Paul saßen.

„Sie kommen hierher.“ Paul rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

In der Cafeteria wurde es still. Jeder blickte auf die beiden Polizisten.

„Das sind sie.“ Pepe zeigte auf Julian und Paul. „Sie haben den Umschlag mit allen Daten.“

Das Gesicht von Hildebrand Landman verkündete ein Donnerwetter. Julian sah, dass er schnell atmete und rote Flecken im Gesicht hatte. Das ließ nichts Gutes erwarten. „Wo ist der Umschlag?“

Julian dachte, dass es nur gut war, dass sie den Umschlag zurückgelegt hatten. Wäre das nicht der Fall gewesen, wären sie jetzt dran. Er schaute zur Seite, zu Paul. Meistens war er derjenige, der das Wort führte.

Aber Paul sagte nichts. Er blickte von Pepe auf die Polizisten und wieder zurück.

Pepe warf nervös einen kleinen Ball von der rechten in die linke Hand und wieder zurück.

Julian sah Egon an. Er müsste doch jetzt total nervös werden. Zwei Polizisten, die in die Cafeteria spazieren und nach dem Umschlag fragen, der sich in seinem Besitz befindet. Julian war überrascht, dass er so entspannt sitzenblieb. Es schien so, als wäre er überhaupt nicht erschrocken.

Paul stand auf und ging zu Pepe. „Ich dachte, Egon hätte den Brief. Das sagtest du doch, als wir bei dir waren.“

Pepe spielte weiter mit dem Ball. Er blickte kurz zu Egon rüber, der sich jetzt vornüber gebeugt hatte und plötzlich die Aufmerksamkeit in Person war. Pepe bekam einen roten Kopf. „Überhaupt nicht. Das habe ich nie gesagt.“

Julian fühlte Wut in sich aufsteigen. Er stand ebenfalls auf. „Wohl,“ begann er. Paul drehte sich jedoch zu ihm um. „Schhht,“ sagte er. Julian begriff, dass er sich da nicht einmischen sollte.

Paul griff in seine Innentasche. Kurz darauf hatte er den Umschlag in der Hand.

„Was?“ Julian fiel vor Erstaunen beinah um.

„Konntest du ihn nicht finden?“ Paul sah Egon an. Egon reagierte überrascht. „Ich?“

„Ja. Laut Pepe müssen wir uns vor dir in Acht nehmen, weil du Teil einer kriminellen Organisation bist.“ Paul sah Egon fragend an.

Dieser blickte mit einem vernichtenden Blick zu Pepe. „Ich weiß nicht wovon du sprichst.“

„Hast du zufällig eine schwarze Jacke mit Kapuze?“ fuhr Paul fort.

Es dauerte eine Weile bis Egon antwortete. „Nein.“

„Das habe ich mir schon gedacht,“ murmelte Paul. Er ging zu Hildebrand Landman und übergab ihm den Umschlag. „Ich denke, dass der Ihnen gehört.“

Hildebrand nahm den Umschlag und öffnete ihn.

„Das ist tatsächlich mein Umschlag.“ Er nahm den Zettel mit den Codes heraus.

„Dann muss ich euch jetzt auffordern, mit zur Polizeiwache zu kommen.“ Die Polizistin ging zu Paul und hielt die Handschellen schon bereit.

Kapitel 17

„Warten Sie mal.“ Paul hielt mit erhobener Hand die Polizistin auf Abstand. Diese hatte wahrscheinlich keine Lust in einer vollen Cafeteria eine Szene zu machen und blieb mit den Handschellen im Anschlag stehen.

Julian fand, dass Paul erstaunlich ruhig blieb, obwohl die Polizistin ihm jederzeit die Handschellen anlegen konnte.

„Warum stehen so viele Codes darauf?“ fragte Paul.

Hildebrand Landman schaute auf das Papier in seinen Händen. „Das mache ich immer. Wenn es in die falschen Hände gelangt weiß derjenige nicht welche Codes die richtigen sind. Das scheint zu funktionieren.“

„Nicht, wenn Sie das E von Einloggen und das P von Passwort vor den Codes verwenden.“ Paul lächelte.

Hildebrand runzelte die Stirn. Er warf einen Blick auf Cyril und zog die Nase hoch. „Darüber habe ich nie nachgedacht. Es sind die Anfangsbuchstaben unserer Söhne. E von Egon und P von Pepe.“

„Wir haben den Code geknackt.“ Paul ging von Hildebrand zu Pepe. „Und Ihr Konto ist geplündert. Das haben wir gesehen.“

„Nein.“ Hildebrand schüttelte den Kopf. „Sobald wir wussten, dass der Umschlag weg war haben wir das Geld vom Konto abgehoben. Alle Scheckkarten und Codes sind gesperrt. Unser Geld war nur kurze

Zeit in Gefahr.“ Hildebrand holte tief Atem. „Ich frage mich nur, wie es euch gelungen ist, den Umschlag zu stehlen.“

Die Polizistin machte einen Schritt auf Paul zu.

„Wir haben ihn nicht gestohlen. Wir haben ihn in den Sträuchern am Plätzchen in der Nähe Ihres Hauses gefunden.“ Paul berichtet von dem Murmelspielen und ihrem Fund. Er fand es doch ziemlich spannend, denn er wischte sich kleine Schweißtropfen von der Stirn.

„Das kann jeder sagen,“ sagte Pepe. Seine Stimme klang unsicher.

„Ich kann es beweisen,“ sagte Paul erheblich sicherer.

Julian fragte sich, wie Paul das machen wollte. Er sah keinerlei Möglichkeit dazu. Wenn Egon darauf beharrte, dass er von nichts eine Ahnung hatte, wussten sie weder mehr ein noch aus. Sie hatten keinen Beweis, dass er damit etwas zu tun hatte. Und Paul hatte den Umschlag aus seiner Innentasche geholt.

„Es ist nämlich so...“ Paul gewann Zeit, um gut nachzudenken und seine Worte sorgfältig zu wählen. „Pepe hat den Umschlag in den Sträuchern versteckt.“

Was? dachte Julian. Er kniff die Augen zu. Wie dumm konnte Paul sein? Jetzt zog er Pepe mit hinein und wenn einer nichts damit zu tun hatte, dann war es Pepe. Das war eine falsche Fährte.

Pepe lachte auf. „Ich? Als würde ich meinen eigenen Vater bestehlen.“

Paul trat einige Schritte zur Seite, um kurz auf Distanz zu gehen und auf diese Weise noch besser nachdenken zu können.

Die Polizistin trat sofort auf ihn zu, blieb allerdings in einer Entfernung von einem Meter stehen.

Paul wandte sich an Pepe: „Ja, das hast du wohl.

Als Egon den Umschlag abholen wollte, hast du getan, als ob du nicht zu Hause warst. Danach hast du den Umschlag behalten. Aber du wolltest nicht, dass er bei dir zu Hause gefunden wurde und deshalb hast du ihn im Gebüsch versteckt.“

„Lächerlich.“ Pepes Stimme überschlug sich.

„Ach ja?“ fragte Paul. „Du wolltest Egon den Diebstahl anhängen, weil er dich in der Schule ständig ärgert.“ Er wandte sich zu Egon.

Dieser blickte beschämt zu Boden.

„Dein Facebook ist öffentlich. Jeder kann dort mitlesen und sehen, dass Egon und du nicht die besten Freunde sind.“ Paul fuhr unbeirrt fort. „Aber dann fanden wir plötzlich den Umschlag und damit hattest du nicht gerechnet. Aber mit deinem Fernglas hast du das Plätzchen beobachtet.“

Aha, dachte Julian. Deshalb hat Paul die ganze Zeit mit dem Fernglas gespielt als sie bei Pepe waren. Er hat kontrolliert wie gut man von dort aus das Plätzchen beobachten konnte.

Pepe blickte voller Verachtung, aber immer noch voller Vertrauen in die Runde. „Hör doch auf, Mann.“ Er klatschte demonstrativ. „Geschickt, wie du versuchst euch hier zu retten und die Schuld auf einen anderen abzuwälzen.“

Paul machte unerschütterlich weiter. „Du hat gesehen, dass wir den Umschlag an uns genommen haben und hast dich erschrocken. Du hast nachgesehen, ob er dort noch lag. Um nicht erkannt zu werden, hast du dir eine Kapuze über den Kopf gezogen.“

„Lächerlich.“ Pepe versuchte die Geschichte von Paul unglaubwürdig zu machen.

„Heute passierte das Gleiche. Wir haben so getan, als würden wir den Umschlag zurücklegen, aber stattdessen habe ich den Brief behalten. Nicht lange, nachdem wir weg waren, erschienst du mit der Kapuze auf dem Kopf auf der Bildfläche.“

Pepe wischte Schweißtropfen von seiner Oberlippe. „Wahnsinn. Das sind alles vage Behauptungen. Du hast den Umschlag in der Hand und das ist bis jetzt der größte Beweis.“

„Da irrst du dich.“ Paul stellte sich dicht vor Pepe. „Bis vor zehn Minuten hättest du Recht gehabt. Aber du hast gerade selbst den Beweis geliefert, dass ich Recht habe.“

Die selbstsichere Haltung von Pepe nahm plötzlich ein Stück weit ab.

Julian war neugierig, was sein Freund vorbringen würde. Es musste etwas Gutes sein.

Kapitel 18

Paul blieb dicht vor Pepe stehen. „In deiner rechten

Jackentasche ist eine Murmel.“ Er sprach langsam und deutlich, so dass alle es hören konnten.

Pepe griff in seine Tasche.

„Nicht herausholen.“ Paul hob seinen Zeigefinger. Es ist eine große bunte Murmel. Auf der Murmel ist mit einem schwarzen Stift die Zahl neun geschrieben.“ Paul beobachtete Pepes Reaktion. „Jetzt zeig´ sie mal.“

„Ich habe keine Murmel,“ sagte Pepe.

Hildebrand Landman schritt vor, hielt Pepe ungestüm fest und griff in seine Jackentasche.

Unmittelbar danach zeigte er zwischen Daumen und Zeigefinger die bunte Murmel. „Und was ist hiermit?“

Pepe war besiegt. Er hatte bestritten, dass er eine Murmel hatte und jetzt konnten alle sehen, dass er gelogen hatte.

„Na und, was ist hiermit?“ wiederholte Hildebrand seine Frage.

Paul gab die Antwort. „Diese Murmel gehört

Julian.“ Er nahm sie von Hildebrand. „Und sie ist der Grund, weshalb wir den Umschlag fanden. Wir haben mit den Murmeln gespielt und diese besondere Murmel rollte ins Gebüsch. Julian und ich haben sie gesucht, aber wir fanden den Umschlag. Die Murmel haben wir nie gefunden.“

Pepe hatte die Augen zu Boden gesenkt. Er sah schuldbewusst aus.

Paul legte sein Hand auf Pepes Schulter. „Aber zum Glück hat unser Freund hier sie gefunden.

Eigentlich genau umgekehrt: Er suchte den Umschlag und fand die Murmel.“

„Du?“ Hildebrand stellte sich vor Pepe hin. „Hast du wirklich den Umschlag mit den Bankdaten in das Gebüsch gelegt?“ Er holte tief Luft und ging dann kopfschüttelnd von seinem Sohn fort.

„Ja! Das habe ich gemacht.“ Pepe brüllte. „Du denkst nur noch an deine Stiftung. Die Kinder in Afrika sind dir wichtiger als deine eigenen Kinder.“

Hildebrand stand ein wenig entfernt und versuchte seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen.

„Du bist nie zu Hause. Entweder bist du beim FORTUNA DRESDEN oder du beschäftigst dich mit Weltleben.“ Pepes Unterlippen zitterten. „Mich siehst du nie. Du guckst nie zu, wenn ich Hockey spiele.“

Hildebrand machte eine Schritte auf Pepe zu und suchte nach Worten.

Pepe hob seine Hände um anzudeuten, dass er stehen bleiben solle. „Ich hoffte, dass du damit aufhören würdest, wenn das ganze Geld weg wäre.“ Mit einem schrägen Blick schaute er zu Egon. „Und gleichzeitig konnte ich den schlimmsten Typen der Schule angreifen.“ Er schüttelte den Kopf und ging zu der Polizistin, die die Handschellen immer noch festhielt. Er streckte seine Hände vor. Anschließend ging er zwischen den Polizisten hinaus ins Freie.

Hildebrand ging hinter ihm her. Er machte einen niedergeschlagenen Eindruck.

„Wieso wusstest du, dass Pepe die Murmel in seiner Tasche hatte?“ fragte Julian.

Paul setzte sich auf den Tischrand. Da Julian und er nicht mehr verdächtigt wurden, überkam ihn eine große Müdigkeit. „Er hat die ganze Zeit damit gespielt. Ich sah, dass die schwarze Neun darauf stand. Das musste also deine Murmel sein. Und entweder lag sie noch im Gebüsch oder er war derjenige, der mit der Kapuze den Umschlag gesucht hatte.“ Paul lächelte.

Julian stand wieder auf und schlug Paul auf die Schulter. „Klasse, Mensch!“

„Wirklich ein schöner Sport, dieser Fußball,“ sagte Paul. „Da gibt´s ja echt was zu erleben.“ Er grinste.

Julian hing sich die Fußballtasche über die Schulter. „Na, was für ein Theater.“ Er sah Paul an. „Sollen wir gehen?“

Cyril ergriff Egons Arme. „Mit dir habe ich auch noch ein Hühnchen zu rupfen, mein Freund.“

Paul grinste und legte seinen Arm um die Schulter von Julian. „So mein Freund, das hätten wir dann auch mal wieder geschafft.“

Julian tat dasselbe und mit den Armen um ihre Schultern verließen die beiden Freunde die Cafeteria. „Zum Glück.“

Neun Jahre später

Der Journalist machte seine letzten Notizen. „Tolle Geschichte, wirklich. Nett, dass du bereit warst sie zu erzählen.“

Julian stand auf. „Das habe ich gern getan.“

„Wie ist es Pepe ergangen?“

„Pepe hat Glück gehabt. Die Stiftung hat die Anzeige zurückgezogen. Hildebrand hat den Vorsitz beim FORTUNA DRESDEN niedergelegt und ist fortan jedes Wochenende mit seinem Sohn zum Hockey gegangen.“

„Na so was.“ Der Journalist schrieb noch etwas auf und steckte dann alles in seine Tasche.

„Vielleicht mache ich ein Buch daraus.“ Er lachte.

„Das kann durchaus sein.“

Julian musste auch lachen. „Und wie lautet dann der Titel?“

‘Julian, Kapitän der Nationalmannschaft.“ Der Journalist schaute zur Decke und machte mit der rechten Hand eine Bewegung, als ob er es schon vor sich sah.

Julian machte eine wegwerfende Geste. „Die Mühe kannst du dir sparen. Das will wirklich niemand lesen.“

Der Journalist gab Julian die Hand. „Wir werden sehen. Auf jeden Fall vielen Dank.“

Julian nickte.

„Und viel Erfolg im EM-Finale.“

„Danke,“ sagte Julian.

Kapitel 19

Sonntag, 11. Juli 2021

Julian schaute durch das Busfenster nach draußen. In der Umgebung des Wembley Stadion in London war schon ziemlich viel los. Obwohl die deutsche Mannschaft gegen Spanien spielte, waren die Farben schwarz, rot und gold vorherrschend. Die beiden Fangruppen gingen freundschaftlich miteinander um.

Das Stadion war eindrucksvoll. Julian hatte in seiner Karriere schon viele große Stadien gesehen, dieses war jedoch sicherlich eines der Schönsten. Es würde noch sehr viel voller werden, da das Stadion beinahe 90.000 Zuschauer fasste.

Während des Inspizieren des Spielfelds, des Umkleidens und der letzten Anweisungen von Joachim Löw stieg die Spannung bei Julian. Er machte sich klar, dass dies für alle Zeit ein einzigartiger Augenblick in seiner Karriere sein würde. Ein Europameisterschaftsfinale gegen Spanien.

Das Warming-up bewirkte, dass die Spannung etwas weg ebbte, aber erst, als der Schiedsrichter anpfiff und der Ball rollte, war Julian nur noch mit dem Spiel beschäftigt.

Die Spanier starteten furios. Angefeuert von Tausenden von Landsleuten versuchten die Spanier sofort das Spiel zu bestimmen. Vor allem Koke, der Star, der bei Atlético Madrid spielte, war mit einigen guten Aktionen sehr gefährlich.

Die Verteidigung von der DFB-Elf wusste jedoch unter Leitung von Antonio Rüdiger die Angriffswellen zu parieren.

Ungefähr in der Mitte der ersten Spielzeit war der spanische Sturm abgeflaut. Die deutsche Mannschaft bekam das Mittelfeld besser in den Griff und auf diese Weise kam Julian etwas häufiger in den Ballbesitz. Der angreifende Mittelfeldspieler hatte mit einem schönen Steilpass Leroy Sané schon einige Male in Stellung gebracht. Dessen Schuss ging jedoch neben das Tor.

Das Doppelpassspiel zwischen Julian und Rüdiger nach ungefähr einer halben Stunde Spielzeit war so schön, dass sogar manche Spanienanhänger klatschten. Die Vorlage von Rüdiger von der Grundlinie aus wurde von Toni Kroos weiter geköpft.

So kam die DFB-Elf langsam in Schwung und die in Rot-Blau spielenden Spanier merkten, dass der Sieg der Spanier keine Selbstverständlichkeit war. Oder – wie der Fernsehreporter es ausdrückte: „Julian Schmidt entwickelt sich mehr und mehr zum Regisseur dieser DFB-Elf.“

Der Halbzeitstand war 0:0. Aber im Gegensatz zu dem, was das Zwischenergebnis nahelegte, war es alles andere als eine langweilige erste Halbzeit gewesen.

Wie immer ergriff Joachim Löw das Wort in der Halbzeitpause. Er wies seine Spieler auf die gefährlichen Momente zu Beginn des Spiels hin, aber auch auf die Chancen, die sie gehabt hatten. Er zeigte, wo die Chancen waren und wie sie diese nutzen konnten.

Julian hörte zu. Er saß neben Leroy Sané. Dieser stieß ihn an.

„Ihr letzter Mann hat keine Rückendeckung. Wenn ich also zum Ball gehe, gibt es in meinem Rücken Raum.“

„Du meinst Sergio Ramos?“ fragte Julian. Sané nickte. „Versuche mal, ihn darüber zu legen. Mal sehen, was passiert.“

„Dann muss Jordi Alba wohl mit dir mitlaufen.“

„Der macht nichts anderes.“ Sané grinste. „Er ist die ganze erste Halbzeit näher bei mir gewesen als mein eigener Schatten.“

Eine über der Tür hängende Klingel teilte den Spielern mit, dass sie wieder hinaus mussten. Beim Auflaufen auf das Spielfeld jubelte das Publikum.

Überall waren große Gruppen in den DeutschlandFarben zu sehen, aber hinter dem Tor, auf das sie jetzt spielen mussten, befanden sich die meisten deutschen Anhänger.

Das Spiel wogte zu Beginn der zweiten Halbzeit hin und her. Spanien hatte zwei sehr große Chancen. Bei der ersten rettete Manuel Neuer mit dem Fuß. Bei der zweiten hatte Koke gegen den Pfosten geschossen. Der Abpraller landete vor den Füßen von Boateng, der den Ball hart nach vorne schoss.

Die DFB-Elf konnte fußballerisch zwar mithalten, hatte jedoch Schwierigkeiten, Chancen herauszuspielen. Eine Viertelstunde vor dem Ende stand Julian im Mittelfeld frei. Er nahm den Ball mit und sah Kai Havertz auf den Ball zukommen. Jordi Alba saß ihm im Nacken. Das ist der Moment, dachte

Julian. Mit einem gefühlvollen Pass legte er den Ball in den Raum hinter den beiden Spielern.

Havertz drehte sich in dem Augenblick, als Julian den Ball traf, blitzschnell um und sprintete in die Tiefe. Der Ball fiel genau vor ihn. Er nahm ihn sofort mit und mit diesem Ballkontakt legte er den Ball sofort richtig. Am Rand des 16-Meter Raums holte der Angreifer des Borussia Dortmund aus.

Der Ball verschwand halbhoch hinter dem überraschten Torwart David de Gea in der kurzen Ecke. Ein lauter Jubel aus dem Anhängerblock hinter dem Tor war die Folge. Dort glich es jetzt einem Tollhaus.

Kai Havertz rannte mit hoch erhobenen Armen auf den Block zu und kletterte am Gitter hoch. Die anderen Spieler folgten.

Als sie nach dem kleinen Fest in ihre eigene Hälfte zurückliefen, erwischte Havertz Julian. „Toller Ball, Julian,“ lobte der Torjäger seinen Zuspieler.

„Danke, antwortete Julian. „Er ist aber auch schön abgeschlossen worden.“

Kai Havertz grinste.

Julian klatschte in die Hände und feuerte seine Mitspieler an. Noch zehn Minuten durchhalten, dann wären sie Europameister. Eine absolute Sensation.

Kapitel 20

Der spanische Nationaltrainer Luis Enrique setzte alles auf eine Karte. Er wechselte zwei Verteidiger gegen zwei Angreifer aus. Es ging um alles oder nichts.

Durch die ständigen Angriffe der Spanier stand die DFB-Mannschaft mit dem Rücken zur Wand. Nur hin und wieder konnte sich die DFB-Elf dem Druck entziehen. Der von Löw als Reaktion auf die Angriffswellen eingewechselte Rüdiger beherrschte die Luft und köpfte alles weg.

Kurz vor Ende der Spielzeit landete ein Kopfball vor den Füßen von Timo Werner, der den erschöpften Kroos ersetzt hatte. Der willensstarke Außenstürmer schickte einen langen Ball zum schnellen Kai Havertz. Der nutzte den Raum dankbar aus.

Sané eilte nach vorn und auch Julian drehte noch einmal auf, um ebenfalls rechtzeitig im Elfmeterraum des Gegners zu sein.

Werner bemächtigte sich des Balls zwanzig Meter von der Grundlinie entfernt an der Seitenlinie mit seinem guten Fuß. Mit einem platzierten Schuss versuchte er Sané anzuspielen. Der Ball war jedoch zu hoch.

Julian stand dahinter und war schon in der Luft. Mit einem spektakulären Rückzieher verschob er den Ball in Richtung Tor, wo das Leder knallhart ins Netz einschlug. Julian selbst sah es nicht, er konnte jedoch an dem Jubel hören, dass der Ball im Tor

JULIAN

gelandet war. Sané und Werner lagen als erste oben auf Julian. Schnell waren auch die anderen da.

„Das schönste Tor des Turniers,“ sagte Werner, als er neben Julian in die eigene Hälfte zurücklief.

Julian lächelte. „Das ist schön. Aber den Weltpokal finde ich wichtiger.“

„Den haben wir in der Tasche,“ antwortete Werner. „Das geht nicht anders.“

Die beiden Tore brachen die Moral der Spanier. In den wenigen Minuten, die noch gespielt werden mussten versuchten sie zwar noch zu stürmen, aber sie hatten die Hoffnung aufgegeben. Hinter dem Tor, hinter dem die Deutschland-Anhänger saßen, erschollen Gesänge. Auch sie waren davon überzeugt, dass der Sieg nicht mehr zu nehmen war.

Nach dem Schlusspfiff fielen sich die Spieler vom DFB in die Arme. Die Spanier lagen enttäuscht hier und da auf dem Spielfeld. Julian wurde von Joachim Löw hochgehoben.

Nachdem Julian den Pokal entgegengenommen hatte und die Spieler sich reichlich Zeit genommen hatten eine Ehrenrunde zu laufen, verschwanden sie im Umkleideraum. Dort wurde das Ereignis noch einmal durchgesprochen . Julian war der Mittelpunkt der Freude. Mit einer Vorbereitung und einem wunderbaren Tor hat er dem Spiel seinen Stempel aufgedrückt.

Julian ging als einer der Letzten zu dem Raum, in dem die DFB-Auswahl für einige offizielle Formalitäten erwartet wurde. Julian konnte das nicht ausstehen, aber es gehörte zum Job. Dort waren lauter Menschen, die er nicht kannte und die

mit ihm redeten, als ob sie seine besten Freunde wären.

Julian hatte sich gerade mit einer Cola aus einer Gruppe von Geschäftsleuten befreit, als er wieder angesprochen wurde.

„Kenne ich dich nicht von irgendwo her?“ war der nicht sehr originelle Einleitungssatz.

Julian wandte sich um und blickte in das Gesicht eines Mannes, den er nicht kannte. Er hatte einen Stoppelbart und leuchtende, funkelnde Augen. „Ich glaube nicht,“ seufzte Julian.

„Guck mal genau hin,“ sagte der Mann.

Julian gab sich keine Mühe. „Ich kann mich nicht erinnern.“ Er blickte in die Runde, um zu sehen, ob er irgendwohin flüchten konnte.

„Ging es nach der Pressekonferenz um unser Abenteuer mit der Murmel?“

Julian war sofort aufmerksam. Er kniff die Augen halb zu und betrachtete das bärtige Gesicht genau. „Oh Mann. Paul, bist du das?“

Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mannes, der Julian gegenüber stand.

„Was machst du hier?“ fragte Julian.

„Ich wohne hier.“

„In London?“ Julian traute seinen Ohren kaum.

Paul nickte. „Als Computerspezialist bei einem Unternehmen, das auf der ganzen Welt vertreten ist und das zufällig auch noch einer der Sponsoren der Europameisterschaft ist. Jetzt bin ich hier. In drei Wochen bin ich in Indien.“

„Puh!“ war das einzige, was Julian herausbekam.

„Und als ich hörte, dass du hier im Endspiel mitspielen würdest, musste ich meinen alten Kumpel aus der Schule doch aufsuchen.“

Julian machte einen Schritt nach vorne und umarmte Paul. „Das ist fast noch schöner als die Europameisterschaft zu gewinnen.“

Paul grinste. „Nicht übertreiben, Julian.“

„Ich sagte fast,“ grinste Julian. „Junge, Junge, Computerspezialist. Ich hätte es wissen müssen.“

Paul nickte. „Junge, Junge, Kapitän der Nationalmannschaft. Hattest du das nicht selbst einmal prophezeit?“

Als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft sitzt Julian einen Tag vor dem Finale der Europameisterschaft in London auf einer Pressekonferenz. Ein Reporter fragt Julian, ob er jemals mit der Polizei in Kontakt gekommen ist. Der Weltstar muss nicht drauf antworten, macht es aber trotzdem. Nach der Pressekonferenz erzählt er dem Journalisten die besondere Geschichte: Als Kind findet Julian mit seinem besten Freund Paul einen Briefumschlag mit einer EC-Karte und einem Passwort. Über die Website der Bank kommen sie an das Konto auf dem sich 1,2 Millionen Euro befinden! Julian will die EC-Karte der Polizei übergeben, aber Paul will lieber selbst Nachforschungen anstellen. Genau das tun sie dann auch, aber bevor sie wissen was geschieht, sind die Freunde in großen Schwierigkeiten und werden fast verhaftet. Am Tag nach dieser Geschichte spielt Julian mit der Nationalmannschaft im Finale gegen Spanien. Es wird ein besonderes Spiel, aber nicht so besonders wie die Begegnung die Julian nach dem Spiel macht.

Eine spannende Fußballgeschichte, die Gerard van Gemert für die Fußball EM 2021 geschrieben hat.

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