YADOS Fachartikel "Sektorkopplung in Bosbüll" | emw Ausgabe 5/21

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5 21 Auszug aus Ausgabe 5 Oktober 2021

Erzeugung & Infrastruktur

Sektorkopplung  in Bosbüll

ISSN: 1611-2997

Von Sven Mahlitz, Vertriebsleiter Energiesysteme, Yados Vertriebs GmbH


Erzeugung & Infrastruktur

Sektorkopplung Alte Erzeuger werden zu neuen Gewinnern Ob Solarenergie vom Dach oder aus der Fläche, Windkraft vom Wasser oder an Land oder Strom aus anderen regenerativen Energiequellen, für alle Anlagen gilt: Die Förderung nach EEG läuft nach 20 Jahren aus. Jetzt sind alternative Energienutzungskonzepte gefragt. Wie das geht, zeigt die nordfriesische Gemeinde Bosbüll mit ihren Power-to-Heatund Power-to-Gas-Projekten, die dank einer umfassenden Sektorenkopplung weiterhin für einen wirtschaftlichen „Post-EEG-Betrieb“ sorgen. Von Sven Mahlitz, Vertriebsleiter Energiesysteme, Yados Vertriebs GmbH

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ie EEG-Förderungen von Solarund Windkraftanlagen wird in den kommenden Jahren sukzessive wegfallen. Für diese Anlagen braucht es daher Perspektiven.

Doppelter Power-to-X-Ansatz

Auch in der kleinen Gemeinde Bosbüll mit seinen 250 Einwohnern nahe der dänischen Grenze verlieren zwei der Bürgerwindenergieanlagen Ende 2021 ihre EEG-Vergütung. Weitere fallen in den kommenden Jahren aus dem Förderrahmen. Auch der Freiflächensolarpark verliert seine Bezuschussung Ende des Jahr-

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Auszug aus e|m|w Heft 05|2021

zehnts. Ein neues Konzept, das über das Förderprogramm „Wärmenetzsysteme 4.0“ des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gefördert wird, soll die regenerativen Energieerzeuger wieder wirtschaftlich machen. Das Power-to-XProjekt steht auf zwei Säulen: Zum einen sorgt eine ausgeklügelte Power-to-HeatLösung über Luft-Wasser-Wärmepumpen für die Wärmeversorgung via eigenem Fernwärmenetz und auf der anderen Seite produziert eine innovative Power-to-GasAnlage Wasserstoff, der BrennstoffzellenBusse des öffentlichen Personennahverkehrs mit Treibstoff versorgt.

Für die Konzeption, Planung und Umsetzung des Verbundprojekts zeichnet die GP Joule GmbH verantwortlich. Die technische Realisierung der Power-to-Heat-Lösung hat die Yados GmbH übernommen. Das Unternehmen aus Hoyerswerda lieferte und installierte das Leit- und Kommunikationssystem der Energiezentrale (vgl. Abb. 1).

Grüne Wärme für neues Fernwärmenetz

Das neue 2.700 Meter lange Fernwärmenetz versorgt zunächst 25 Bosbüller Wohngebäude sowie einen Schweinemastbetrieb. Das Mastunternehmen


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benötigt etwa 900 MWh pro Jahr, die es bislang über einen Ölkessel bezog. Die Wohnhäuser haben einen thermischen Energiebedarf von rund 252 MWh pro Jahr. In einem zweiten Anschlussschritt sollen weitere Privatgebäude und auch Großabnehmer an das Fernwärmenetz angeschlossen werden.

Versorgt wird das Fernwärmenetz durch drei vorlaufgeregelte Luft-Wasser-Wärmepumpen mit insgesamt 240 kW Leistung. Sie wandeln den regenerativ erzeugten Strom in thermische Energie um (im Durchschnitt rund 820 MWh/Jahr). Hinzu kommen etwa 370 MWh Wärmeenergie pro Jahr, die ein Elektroheizstab in

Foto: © GP Joule

in Bosbüll einem 14 Meter hohen und 84 m³ großen Speicher mit einer Leistung von 750 kW erzeugt. Bis zu vier Wochen kann der Speicher die thermische Energie zwischenspeichern (vgl. Abb. 2). Apropos Speichermöglichkeit: Volatile Leistungsspitzen und negative Residuallasten

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ie neue Energiezentrale und der 14 Meter D hohe Wärmespeicher (Foto: Yados)

Blick in die Energie-Effizienzzentrale für Bosbüll (Foto: Yados)

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Anlieferung der Betonzellen für die Energiezentrale. (Foto: Yados)

so ins System ein, dass nur notwendige Lade- und Entladevolumenströme durch den Speicher fließen. Somit minimiert sie die Durchmischung innerhalb des Speichers und hält die Temperaturschichten möglichst stabil. Durch den Einsatz des übergeordneten Steuer- und Regelungssystems Yadolink stellen die Energieingenieure sicher, dass alle beteiligten Energieerzeuger mit idealem Wirkungsgrad arbeiten. Nur so kann die maximale Effizienz des Gesamtsystems erreicht werden. Um die wichtigsten Anlagenparameter direkt zu koordinieren, regelt und vernetzt das Steuersystem neben sämtlichen Anlagen der Energiezentrale auch die Wärmeübergabestationen und ihre eingebauten Direct-DigitalControl (DDC)-Regler.

bedingt durch die volatile Stromerzeugung aus alternativen Energiequellen maximieren den Bedarf an Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen, wie Abregelungen nach §14 EEG 2021 (Einspeisemanagement bzw. Einsman-Schaltungen). Eine Möglichkeit, das Stromnetz trotz mangelnder Speichermöglichkeiten stabil und ohne massive Einbußen durch Abregelungen führen zu können, liegt in der Umwandlung des überschüssigen Stroms in Wärme oder einen anderen Energieträger, wie das bei Power-to-X-Projekten der Fall ist.

Effizienz durch optimierte Hydraulik und smartes Leitsystem

In einer 60 Tonnen schweren Betonzelle ist die Energiezentrale des Leuchtturmprojektes untergebracht (vgl. Abb. 3). Sie besteht aus zwei Einzelzellen, die vor Ort zusammengeführt und aufgebaut wurden. Hier stehen zur Spitzlastabdeckung ein Hoval Max-3 Gasheizkessel, eine Notheizung und eine Hydraulikstation für die Wärmeverteilung bereit. Letztere ermöglicht ein optimiertes Zusammenspiel von Wärmeerzeuger, Wärmespeicher und Wärmeverteiler. Die Hydraulikstation

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stellt sicher, dass thermische Energie zur geplanten Zeit in der gefragten Menge am richtigen Ort zur Verfügung steht – unter Verwendung möglichst geringer Antriebsenergie. Sie bindet den Wärmespeicher

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Die Nutzer können auf einem großflächigen und bedienfreundlich eingerichteten 21,5 Zoll-Display in Echtzeit alle anlagenrelevanten Daten und Informationen abrufen und einsehen: Temperaturen, Drücke, Störmeldungen usw. (vgl. Abb. 4). Das Steuerungssystem nimmt zwei wichtige Aufgaben wahr. Erstens optimiert es durch eine kontinuierliche Auswertung aller systemimmanenten Soll- und Ist-Daten die Anlagenführung strategisch. Dazu leitet es aus gesammelten Informationen wiederkehrende Trends und langfristige Prognosen ab. Gibt es auf Erzeuger- oder Verbraucherseite Abweichungen von der Prognose, greift zweitens die Regelungsfunktion des Steuersystems und passt den Betrieb der betreffenden Komponente entsprechend an. Im akuten Bedarfsfall, beispielsweise bei technischen Störungen

Transparentes und aussagekräftiges Monitoring (Quelle: Yados)


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oder Ausfall, bei veränderter Leistungsabfrage oder unerwartet wechselnden Außenbedingungen durch einen Temperatursturz oder eine Hitzewelle, können hiermit regulierende automatisierte oder personelle Eingriffe in die laufenden Produktions-, Verteil- und Speichervorgänge verzögerungsfrei vorgenommen werden.

Stabile Netzführung durch effiziente Wärmeübergabestationen

Stellschraube und Herzstück eines optimal betriebenen Fernwärmenetzes sind die Wärmeübergabekomponenten. In Bosbüll verbinden Smart-Home-fähige Wärmeübergabestationen die Heizungsanlagen der Gebäude mit dem Fernwärmenetz. Hydraulisch durch einen Plattenübertrager getrennt, übertragen die Anlagen als regulierende Verbindungseinheit das Wärmemedium abhängig von Temperatur, Druck und Bedarf. Zentral für den bedarfsgerechten Fernwärmenetzbetrieb sind möglichst niedrige Rücklauftemperaturen. Denn je niedriger diese sind, desto höher ist die thermische Übertragungskapazität, entsprechend sind die notwendigen Volumenströme geringer, ebenso wie die Strömungs- und Wärmeverluste sowie der elektrische Pumpenaufwand. Das Fernwärmenetz der Gemeinde Bosbüll zeichnet sich durch eine Vorlauftemperatur von 75 bis 85 Grad Celsius und eine Rücklauftemperatur von 50 bis 55 Grad aus. Die DDC-Regelungen der Übergabestationen berechnen abhängig von den jeweiligen Witterungsverhältnissen und den Zeit- und Komfortvorgaben der Nutzer die für eine effiziente und stabile Netzführung notwendigen Vorlauftempe-

raturen. Künftig sollen auch die Heiz­ systeme der Abnehmer abgeglichen werden. Um Wärmeverluste im Netz so gering wie möglich zu halten, sind die Rohre zusätzlich maximal gedämmt.

Wasserstoff für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)

Das Besondere am Bosbüller Energiekonzept besteht vor allem in der dreifachen Sektorenkopplung der Bereiche Energie, Gebäude und Mobilität. Die Power-toHeat-Anlage wird dabei durch Power-toGas ergänzt. Die Elektrolyseure sind Teil des nordfriesischen „eFarm“-Projekts, dem größten nachhaltigen WasserstoffMobilitätsprojekt in Deutschland. Mit dem Verbundprojekt wird im Kreis Nordfriesland eine Wasserstoff-Infrastruktur auf ausschließlicher Basis erneuerbarer Energien von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zur Flottennutzung in Brennstoffzellenfahrzeugen realisiert.

Der Wasserstoff wird an zwei WasserstoffTankstellen in Niebüll und in Husum vertrieben. Nachdem eine Verdichtungsanlage den Treibstoff auf den zum Tankvorgang benötigten Druck von 500 bis 1.000 bar gebracht hat, können zwei speziell dafür angeschaffte Brennstoffzellen-Busse sowie weitere Last- und Personenkraftfahrzeuge mit dem CO2-freien Kraftstoff betankt werden. Eine Tankfüllung der Linienbusse reicht für rund 400 Kilometer, was in etwa einem regulären Betriebstag im ÖPNV entspricht (vgl. Bild 5).

Fazit Das Bosbüller Energiekonzept ist eine durchweg runde und nachhaltige Sache. Der Ort spart dank seiner Power-toHeat-Anlage nicht nur bis zu 180.000 Liter Heizöl, sondern auch 760 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr. Darüber hinaus zeigt das Projekt, wie volatile Leistungsspitzen und negative Residuallasten, die ein großes Problem bei der Erzeugung erneuerbarer Energien darstellen, gewinnbringend genutzt werden können. Die Power-to-Heat-Anlage nutzt den regenerativen Strom insbesondere zu Zeiten der Einsman-Schaltung, etwa in Starkwindphasen. Anstatt wie üblich zur Sicherung der Netzstabilität abzuregeln, beziehungsweise die Leistung zu begrenzen, wandeln die Power-to-Heat-Komponenten die „überschüssige“ Energie in Wärmeenergie um. Diese fließt dann entweder direkt ins Fernwärmenetz oder wird im Speicher zwischengepuffert.

In Bosbüll produzieren zwei von insgesamt fünf Polymer-Elektrolyt-Membran (PEM)-Elektrolyseuren, die im Kreisgebiet verteilt stehen, aus regional erzeugtem Solar- und Windstrom grünen Wasserstoff. Die Bosbüller Anlagen erzeugen täglich mit jeweils 225 kW Leistung insgesamt etwa 400 kg Wasserstoff. Durch die Abwärmenutzung aus der Wasserstoffproduktion liegt der Wirkungsgrad der Elektrolyseure bei 95 Prozent. Auch in diesem Fall übernimmt das übergeordnete Steuerungssystem eine wichtige Funktion: Es wertet die Kommunikation zwischen den Windanlagen und den Elektrolyseuren, die im Sekundentakt erfolgt, aus und überträgt unter anderem Wärmebedarfsmeldungen an die Elektrolyseure.

Durch das sektorenkoppelnde Projekt von Bosbüll bleiben die Ü20-Anlagen höchst wirtschaftlich, zumal zu keiner Zeit elektrische Leistung aus dem öffentlichen Netz bezogen wird und vorhandene Effizienzpotenziale und Synergieeffekte maximal ausgeschöpft werden.

SVEN MAHLITZ

Jahrgang 1970

Wirtschaftsingenieur B.Sc Energietechnik tätig für verschiedene BHKW-Hersteller (u.a. als Vertriebsleiter) 05

Die neue Wasserstoff-Tankstelle in Niebüll mit Brennstoffzellen-Bus (Foto: GP Joule)

seit 2018 Vertriebsleiter Energy, YADOS Vertriebs GmbH sven.mahlitz@yados.de

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