Harlekin 21

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KITSCH "Zu Neo-Nippes inspiriert mitunter die Kunst von heufe: Casors überdimensionierter Daumen etwa, Tom Wesse/manns aggressive Sexualsignale oder

Armans poetische Zersförlwnst. Die Kleinkunst-Adefr tel} hoben vormals bürgerschreckende Pop-, Op- und Kinetik-Produkte auf ihren niedUchsfen Nenner g&bracht, vermarktet und durch die Hintertür als Zirnmerschmuck ;ns deutsche Heim geschmuggelt - leils verkitschte, feil demokratisierte Kunst. ,. So beobachtele DER SPIEGEL Nr. 5 1. 13.12. 1971, den neuen Trend im Kunstgewerbe und meinte vor allem Harlekin-Produkte, von denen viele als Beispiele fein säu-

berlich abgebildet woren. Soviel Publicily, und das nach nur 2 Jahren Harlekinl

Und doch war es höchste Zeit. Die Trödelmärkte begonnen zu florieren und auch viele Spiege~Redok­ teure entdeckten dank sentime ntal-nostolgischer Trödelschätzchen und -schnäppchen Opas und Omas Zeiten w ieder. Gefühle zeigen war wieder zur normalsten Sache der Weh geworden: Make love not war, die formel der Bewegung zu mehr Menschlichkeit. Der sogenannte ~Kitsch" half bei dieser Rückbesi nnung auf dos Gefühl. Dos lexikon sieht dos so: ~Kitsch, der. Herkunft unklar; vielleicht von kitschen, ",Schlamm zusammenscharren" - wertlose "Kunslwore" (so um 1870 bei Malern und Kunsthändlem in München), ein kunstfertig, doch ohne künstlerische Intension hergestellter Gegenstand (Bild, Plastik u.a.), der ohne den Filter der ästhetischen Distanz unmittelbar den sentimentalen Selbstgenuß anspricht. Neuerdings gilt Kitsch auch als Ausdruck eines "Trivialrealismus"; in der Pop Art werden seine Gegenstände als Zitat einer außerkünstlerischen Realität verstanden. Unterschieden wird der "süße Kitsch ", der schäne JIIusion und Rührung zu erwecken sucht, vom "souren Kitsch", der sich mit vorgetäuschter Tiefgründigkeif dem Zeitgeschmack anpaßt. Mit Andenkenkitsch werden industrielle Nachahmungen volkstümlicher Kunst bezeichnet. Gegenstände eines überholten Stils (z.B. Symbolismus, Jugendstil) können unter anderen Voraussetzungen (veränderte ästhetische Vorstellungen) z. T. als Kitsch empfunden werden." !Brockhaus 1984}

104. Kitsch

An der Kilschfrage lief so mancher Kitsch-Forscher zu Höchsrform auf. Reinhard Johler faßt d ie Hauptargumente so zusammen: ~Das Wort Kitsch ist zügig zum

Allerweltsbegriff geworden, der negative Begriffsinha/t blieb aber bestehen. Es genügt ein Blick in die dafür zuständigen Wärterbücher: Kitsch sei Formlosigkeit, ästhetische Versüßung, eine Verbeugung vor dem Publikum, schale Kopie, innere Unwahrhaftigkeit, Verschleierung der Realität, Minderwertigkeit; es komme dem Hang zur genießerischen Erfüllung billiger Wunschträume entgegen und diene - so das Lexikon für Theologie und Kirche schon phantasiereich - der eigenen Befriedigung. Da ist es kein Zufall mehr, daß in einem Buch über Kitsch die Frage "Ist Kitsch Sünde?" gestellt und in einem anderen die dafür passende Anlwort gegeben wird: "Kitsch ist ewig wie die Erbsünde/" Abseits des Sündenfalls wird dem Kitsch in den 50er und 60er Jahren mit einem entsprechenden Kalte-Kriegs-Vokabular Paroli gebolen. Ein weiterer Buchtitel heißt "Weltmacht Kitsch?"". Dieser sei geradezu universell und dement· sprechend in iede Ritze und in fast jede Gehirnrinde eingedrungen. " Daß ~Kilsch " weniger eine Frage der Herstellung als vielmehr eine der Wahrnehmung ist, brachten die zahllosen Kitsch-Symposien, Kongresse und Seminore wenigstens ans licht. Sonst aber wenig . Deshalb zog der Kunsthistoriker E.H. Gombrich einen Schlußstrich unter die ganze Debatte und verkündete: "Es ist besser, den leeren Streit !.Im Worte, die ewigen Fragen 'was ist Kitsch' und 'was ist Kunst'zu vergessen. Denn manche wirklich feinfühligen Menschen

werden heutzutage verhindert, sich einfach naiv an schönen Dingen zu freuen, weil sie dauernd fürchten, aufelwas 'hineinzufallen', was eigentlich'Kitsch' ist." Also Schluß mit dem uKilsch als Kultur des Fingerzeigs auf andere" (Gambrich). Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute! Obendrei n spricht auch noc h d ie Zeit ein gehöriges Wort mit, siehe Jugendstil und Art Deca. Und Burghard Schmidt stellt fest: ~In jedem Menschen steckt darum

Kitsch, weil Kitsch der kürzeste Weg zur Versöhnung mit den Lebensumständen zu sein scheint, und warum

soll man nicht den einfachsten Weg einschlagen?" 1973: Klingelrad, leierkasten 1974: Glaslahrzeuge; Krippen; Kut$Cher, gr. u. k1.; N\etaUouto, klein; Melollaulo mit Glocke; Tonband 1975: Chorlotle, lo$lwogen 1976: Aus liebe, Herzdose; Gotdfisch, Schliltelobjekl; Gold· sack; In liebe, Her>:dose; Muschet Wosserbtume; Schnee-Sou-


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