JAHRESBERICHT 2023
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Impressum Redaktion: Fachstelle und Verein
Illustrationen: Serafine Frey
Gestaltung: Andrea Stebler
Druck:
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Impressum Redaktion: Fachstelle und Verein
Illustrationen: Serafine Frey
Gestaltung: Andrea Stebler
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Wenn Sie diesen Jahresbericht in den Händen halten, steht XENIA bereits im 40. Jubiläumsjahr – 40 Jahre Einsatz für die Rechte von Sexarbeitenden!
Damit dieser Einsatz für die Rechte der Sexarbeiter*innen geleistet werden kann, braucht es Mitarbeiterinnen auf der Fachstelle, die laufend professionelle Angebote aufbauen und umsetzen. Eines der neuen Angebote, welches die letzten Jahre auf- und ausgebaut wurde, ist das Online-Beratungsangebot. Zusätzlich hat die Fachstelle die aufsuchende Beratung verstärkt. Ziel dieser Angebote ist es, noch mehr Sexarbeiter*innen zu erreichen und neue niederschwellige Zugänge zu schaffen. Die Mitarbeiterinnen der Fachstelle haben für den Auf- und Ausbau dieser Angebote einen grossen Einsatz geleistet, für welchen ich an dieser Stelle nochmals danken möchte. Nur dank diesem Engagement ist die Unterstützung, welche Sexarbeiter*innen im Kanton Bern brauchen, gewährleistet!
Wie Sie im Themenbericht lesen können, ist der Druck auf die Sexarbeit weiterhin gross: Obwohl alle Formen der Kriminalisierung Sexarbeiter*innen den Zugang zu Menschenrechten erschweren oder diese gar verletzen, verabschiedete das EU Parlament im Herbst 2023 eine Resolution, die die Freierkriminalisierung befürwortet. Umso mehr fordert XENIA die Umsetzung der Rechte der Sexarbeiter*innen. Denn Sexarbeiter*innenrechte sind Menschenrechte!
Wir freuen uns, Sie im Jubiläumsjahr an unseren Veranstaltungen zu treffen und danken Ihnen für die wertvolle Unterstützung von Xenia – Sexarbeit ist Arbeit! Dafür wird sich Xenia auch in den nächsten Jahren engagiert einsetzen. Zudem gibt es in diesem Jahr die Möglichkeit Xenia-Solibier für Feste und Veranstaltungen zu bestellen, Informationen dazu auf Seite 19.
Nadia Bisang Co-PräsidentinDer nationale und internationale Austausch zeigen: Sexarbeitsfeindlichkeit ist in Europa wieder zunehmend. Generell steht es schlecht um die Wahrung von Menschenrechten. XENIA setzt sich seit der Gründung für eine Entkriminalisierung der Sexarbeit und eine Stärkung der Arbeiter*innenrechte ein und versucht dieser negativen Entwicklung durch die Vermittlung von Fachwissen und Informationen entgegenzutreten. Dabei verfolgt XENIA einen menschenrechtsbasierten Ansatz.
Sexarbeit ist eine prekäre Arbeit. Dies trifft nicht nur für Personen zu, die sich aus einer ökonomischen Notlage heraus entscheiden, in der Sexarbeit tätig zu sein, sondern auf praktisch alle Sexarbeiter*innen. Aufgrund der Stigmatisierung und den spezifischen Diskriminierungen, die Ruby Rebelde als «Sexarbeitsfeindlichkeit» definiert hat (siehe Infokasten S. 8), sind die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Regel von grosser Unsicherheit geprägt. Der Zugang zu verschiedenen Menschenrechten ist erschwert.
Der Menschenrechtsgerichtshof hat im August 2023 entschieden, auf eine Klage 1 von 261 Sexarbeiter*innen aus Frankreich gegen die französische Gesetzgebung, die die Freier kriminalisiert, einzutreten. Tlaleng Mofokeng, UN-Sonderberichtserstatterin zum Recht auf Gesundheit, begrüsste diesen Entscheid in einem klaren Statement. Sie forderte die Staaten nachdrücklich auf, dem Wohlergehen von Sexarbeiter*innen im Einklang mit ihren Menschenrechtsverpflichtungen Vorrang einzuräumen, indem sie ihnen das Recht auf Gesundheit, das Recht, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, und das Recht auf sichere Arbeitsbedingungen ohne Diskriminierung garantieren 2. Dennoch hat das EU-Parlament ein paar Tage später, Anfang September, eine Resolution verabschiedet, die die Freierkriminalisierung als «gute Lösung gegen Gewalt» präsentiert.
Wo sich Sexualität und Geld die Hand geben – zwei Themen, über die es vielen Menschen schwerfällt, offen zu sprechen – fehlt oft der Fokus. Individuelle Stereotypen, Vorurteile, Wertehaltungen, Viktimisierung von Sexarbeiter*innen und migrantischen Sexarbeiter*innen im Besonderen dominieren in den meisten Diskussionen. Der Wunsch nach einfachen Antworten auf vielschichtige Fragen wird laut und für «Lösungen» oftmals die eigene Lebensrealität als Referenzrahmen genommen. Dies verhindert
oft den Blick der aus Sicht von XENIA relevanten Fragestellungen: Welche Rahmenbedingungen benötigen Sexarbeiter*innen, um sich gute Arbeitsbedingungen schaffen oder diese einfordern zu können und um Zugang zu den Menschenrechten zu haben?
Folgend werden ein paar notwendige Veränderungen im schweizerischen Kontext aufgezeigt. Dies im Wissen darum, dass ein Artikel in einem Jahresbericht aufgrund der Vielschichtigkeit nicht annähernd vollständig sein kann.
Die Stigmatisierung verletzt unter anderem das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Sexarbeiter*innen müssen damit rechnen, dass sie private, rechtliche oder materielle negative Konsequenzen erfahren, wenn das Gegenüber weiss, was er*sie arbeitet. Dieser permanente Stress ist eine psychische Belastung. Zur Überwindung des Stigmas sind die Politik, die Gesellschaft und das Individuum gefordert: Die Andersmachung, Viktimisierung usw. schlägt sich in Gesetzgebung, Bauordnung, Institutionen, Sprache, Verhalten und vielen weiteren Bereichen nieder.
Sexarbeit ist durchzogen von Rechtsunsicherheiten. Diese sind mutmasslich auf die Stigmatisierung zurückzuführen und ein Ausdruck der institutionellen Diskriminierung. Rechtssicherheit im Bereich der Sozialversicherungen, Verträgen mit Betreiber*innen/Vermieter*innen und auch im Bereich der Arbeitsbewilligungen fehlt, der schweizerische Flickenteppich erschwert die Ausgangslage. Der Rechtsweg ist schwer zugänglich. Eine grosse Hürde ist, dass man dafür den Schutz vom Arbeitsnamen verlassen muss und sich so auch als Privatperson verletzlich macht – wo das Umfeld oft nicht weiss, was man arbeitet.
Faire Arbeitsbedingungen
Die Wahl zwischen verschiedenen Arbeitsorten und -modellen; zahlbare Mieten; klare und einheitliche Kriterien, ob jemand selbständig oder unselbständig arbeitet; Selbstbestimmung bezüglich Dienstleistungsangebot, Kunden und Preisen sowie ein gutes Betriebsklima sind ein paar wesentliche Punkte, um gute Arbeitsbedingungen zu haben.
Jene Personen, die in der Sexarbeit tätig sind und keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, sind besonders verletzlich. Damit diese Situation nicht ausgenutzt werden kann und auch diese Personen ihre Rechte einfordern können, braucht es sichere und legale Migrationswege. Bis dies umgesetzt ist, sollte eine Praxisänderung beim Kontakt mit der Polizei stattfinden: wer sich bei der Polizei meldet, weil er*sie Unterstützung sucht, muss die Sicherheit haben, nicht abgeschoben zu werden – unabhängig vom Verfahrensverlauf.
Die Erfahrung aus anderen Branchen zeigt: Selbstorganisation von Arbeiter*innen ist ein wesentlicher Bestandteil, um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen und um mehr Rechte und Gleichberechtigung zu erlangen. Neben dem Stigma, das dazu führt, dass nicht alle das Privileg haben, selber sichtbar für sich einzustehen, sind Mobilität, Vielsprachigkeit und die Heterogenität eine Herausforderung für die Selbstorganisation.
Auf den Punkt gebracht
Um die Förderung und Einhaltung von Rechten zu gewährleisten und Sexarbeiter*innen dabei zu unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen, ist eine vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit nötig. Sämtliche Kriminalisierungsformen führen zu Diskriminierung und erschweren den Zugang zum Recht. Denn: Sexarbeiter*innenrechte sind Menschenrechte.
STELLUNGNAHME GEGEN EINE KRIMINALISIERUNG DER SEXARBEIT («SEXKAUFVERBOT»)
Lust bekommen sich vertieft Klarheit zu schaffen, weshalb die Kundenkriminalisierung schadet? Dann empfehlen wir die Lektüre des Papers von unserem Dachverband ProKoRe, der Aids-Hilfe Schweiz, frieda (ehemals cfd), Brava (ehemals Terre des femmes Schweiz) und der plateforme traite.
Sexarbeitende sind Sexarbeitsfeindlichkeit in Folge ihrer Stigmatisierung ausgesetzt. Sie werden durch Kriminalisierung, Andersmachung und Abwertung in kultureller, institutioneller, materieller und individueller Hinsicht diskriminiert.
Kulturelle Diskriminierung: Kulturell manifestiert sich Sexarbeitsfeindlichkeit in der Verwendung historischer und moderner Berufsbezeichnungen für Sexarbeit als Schimpfwort auch für nicht-sexarbeitende Personen. Medial werden Sexarbeiter*innen abwertend und als homogene Gruppe dargestellt, nur in rund 10% aller Beiträge mit dem Thema Prostitution kommt eine Sexarbeiter*in selbst zu Wort.
Institutionelle Sexarbeitsfeindlichkeit: Institutionelle Sexarbeitsfeindlichkeit besteht in zusätzlichen gesetzlichen Pflichten und Auflagen, die Sexarbeitende erfüllen müssen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Privatwohnung wurde für Sexarbeiter*innen durch das ProstSchG 2017 eingeschränkt. Es gibt gesetzliche Regelungen, die ausschließlich Sexarbeitende betreffen. Die Hurenbewegung spricht in diesem Zusammenhang von Sondergesetzen.
Materielle Diskriminierung: Materielle Diskriminierung besteht u.a. darin, dass Sexarbeiter*innen nur erschwert oder gar nicht Kredite erhalten, Bankkonten eröffnen oder Versicherungen abschließen können. Auf dem Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt werden Sexarbeitende diskriminiert. Die Stigmatisierung von Sexarbeit wirkt sich auf die Prostitutionsstätten aus, die oft höhere Mieten als vergleichbare Betriebe zahlen müssen und diese an die Sexarbeiter*innen weitergeben. Sexarbeitende erfahren ökonomische Ausschlüsse und werden von Plattformen und Zahlungssystemen «deplatformed».
Individuelle Diskriminierung: Individuelle Diskriminierung von Sexarbeitenden besteht u.a. darin, dass Sexarbeit in der Mehrheitsgesellschaft tabuisiert und nicht als Arbeit anerkannt wird. Viele Sexarbeiter*innen führen daher ein Doppelleben und sind auf Anonymität angewiesen. Dadurch werden sie strukturell aus der Gesellschaft ausgeschlossen und besonders vulnerabel für alle Formen von Gewalt. Alle Formen von Beziehungen (z.B. romantisch, freundschaftlich, familiär) werden durch die individuelle Diskriminierung von Sexarbeitenden beeinträchtigt. Sexarbeiter*innen sind Gewalt und Diffamierung durch Anti-Sexarbeits-Organisationen ausgesetzt, die die Daseinsberechtigung von Sexarbeit in Frage stellen und für eine weitere Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen eintreten. Aktivistische Sexarbeiter*innen und ihre Verbündeten sind besonders getroffen von dieser Gewalt. Sie werden geothered und diffamiert.1
Das Jahr 2023 konnte mit einem kleinen Defizit abgeschlossen werden. Das Projekt «Aufsuchendes und Onlineberatungsangebot für Sexarbeiter*innen ohne festen Wohnsitz im Kanton Bern» wird 2024 abgeschlossen werden. Die Erkenntnisse daraus und auch die ausgebaute Online-Beratung werden wir im Grundangebot integrieren, da sie einen Bedarf abdeckt. Für ein neues Projekt «Aufbau eines Online-Angebots für hochmobile Sexarbeiter*innen ohne festen Wohnsitz im Kanton Bern» konnten wir bereits einen wesentlichen Teil der Finanzierung sichern und haben so die Möglichkeit, weitere Antworten auf die zunehmende Digitalisierung zu erarbeiten.
XENIA wird in den kommenden Jahren vermehrt auf Spenden angewiesen sein, da die Beiträge von langjährigen Spender*innen wie den Kirchgemeinden und auch der Beitrag der Aids-Hilfe Schweiz aufgrund von eigenen Einnahmeeinbussen deutlich abgenommen haben. Zusätzlich ist noch unklar, wie die neuen Bestimmungen im Gesetz über die Sozialen Leistungsabgaben (SLG) umgesetzt werden, was auch einen erheblichen Einfluss auf die Finanzen des Vereins, insbesondere das Organisationskapital haben könnte. Gleichzeitig beobachten wir auf der Seite der Zielgruppe einen hohen Beratungsbedarf und komplexe Beratungssituationen. Vor diesem Hintergrund werden wir die Fundraisingmassnahmen des Vereins ausbauen.
Ohne finanzielle Unterstützung wäre unsere Arbeit nicht möglich. Ohne Spenden von Kirchgemeinden, Stiftungen und Privatpersonen könnten wir weder unser Grundangebot sicherstellen noch neue Projekte lancieren. Zudem könnten wir keine individuelle Nothilfe leisten oder Sexarbeiter*innen zum Weihnachtsessen einladen. Dinge also, die uns wichtig sind, dass wir sie anbieten können und den Klient*innen Freude oder Entlastung bieten.
Für Beiträge und Sachspenden bedanken wir uns bei:
… den evangelisch-reformierten Kirchgemeinden Muri-Gümligen, Kehrsatz, Kirchlindach, Thun, Wohlen, Kirchberg, Jegenstorf-Urtenen, Vechigen, Ostermundigen, Köniz, Hilterfingen.
… der Gemeinde Lengnau, dem Soroptimist International Club Burgdorf, dem Verein Schweizer Ameisen Sektion Bern.
… allen Privatpersonen, die uns immer wieder unterstützen.
Wir bedanken uns bei der Direktion für Gesundheit, Soziales und Integration (GSI) des Kantons Bern, die XENIA über einen Leistungsvertrag subventioniert, sowie bei der Aids-Hilfe Schweiz, bei welcher XENIA Aktivmitglied ist und die unsere Arbeit ebenfalls finanziell unterstützt.
Dank der finanziellen Unterstützung der Glückskette, des Bundesamts für Polizei (fedpol), und der Burgergemeinde Bern konnte das Projekt Aufsuchende Beratung und Online-Beratung für Sexarbeiter*innen ohne festen Wohnsitz in der Schweiz im Jahr 2023 weitergeführt werden.
Für die Mitfinanzierung des Beratungsangebots in Thun und Biel bedanken wir uns bei den Städten Thun, Biel und Nidau sowie bei der Missione Cattolica Italiana Biel für die Sachspenden in Form von Beratungsräumen. In Biel fanden im vergangenen Jahr 76 Beratungen statt und in Thun 29, Nachfrage zunehmend. Wir haben deshalb beschlossen das Angebot nach Ablauf des Pilotprojekts Ende 2023 weiterzuführen.
Auch unser Vernetzungsapéro konnte durch Spenden von Privatpersonen wieder ermöglicht werden, wir bedanken uns herzlich!
Neu haben wir auch den Arbeitsaufwand der Vorstandsfrauen, die ehrenamtlich tätig sind, erfasst: 293 Stunden haben sie 2023 für XENIA aufgewendet.
Vorstand
Andrea Schneider (Co-Präsidium, im Mutterschaftsurlaub von März–Sept.)
Nadia Bisang (Fundraising, Co-Präsidium)
Stephanie Meyer (Fundraising und Organisatorisches), bis 31.12.2023
Anita Hauser (Finanzen und Recht)
Sina Liechti (Öffentlichkeitsarbeit), bis 31.12.2023
Stellenleiterin
Christa Ammann
Beraterinnen Fachstelle und ASA und Online-Projekt
Sujaree Junbua Flück
Olivia Jost
Zoe Frank
Tanja Kunz
Paulina Estremadoyro, bis 31.10.2023
Barbara Bütler, seit 01.08.2023
Mediatorinnen des Gesundheitsförderungs- und Aids-Präventionsangebotes
Mathilde Bürgin-Ndo
Tatjana Kunz
Olga Vasiliuc
Aura Zapuc, seit 15.04.2023
Raumpflegerinnen:
Paula Carpio
Lisandra Muller Carpio (Vertretung)
Veränderungen im Vorstand und Team
Wir bedanken uns bei Paulina Estremadoyro (Beratung und Projektmitarbeiterin), Sina Liechti (Vorstand) und Stephanie Meyer (Vorstand) für ihren Einsatz für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter*innen im Kanton Bern. Neu bei XENIA sind Barbara Bütler (Beratung und Projektmitarbeiterin) und Aura Zapuc (Mediatorin, befristet bis 31.1.2024). Herzlich willkommen, den beiden im XENIA Team!
Die Rechtsunsicherheiten, mit denen Sexarbeiter*innen konfrontiert sind, waren auch 2023 in den Beratungen sichtbar und spürbar. Wo darf ich mit welcher Bewilligung arbeiten? Was bedeutet die Änderung der Prostitutionsgewerbeverordnung für mich? Diese und viele andere Fragestellungen bearbeiteten die Beraterinnen in den Beratungsgesprächen. Bei der Beratung von Sexarbeiter*innen, die im Meldeverfahren in der Schweiz arbeiten, waren die Beraterinnen vor allem mit Fragen rund um selbständige Erwerbsmöglichkeiten gefordert. Da Personen im Meldeverfahren oft sehr mobil sind und sich in jedem Kanton neu anmelden müssen, werden hier die kantonal unterschiedlichen Praktiken am deutlichsten. Weiter bestehen immer noch viele Fragen zur unterschiedlichen Einstufung der Sexarbeiter*innen im Bereich Steuern, Sozialversicherungen und Aufenthaltsrecht – die Widersprüche führen zu vielen Fragen und Unsicherheiten.
Zu den Hauptaufgaben der Mediatorinnen gehört das Verteilen von Arbeitsmaterialien und Informationen zur Gesundheitsprävention sowie zum Beratungsangebot von XENIA. Ein bewusst gewählter Schwerpunkt für 2023 war, dass Sexarbeiter*innen die Orte für STI- und HIV-Tests inkl. Kosten in ihrer Region kennen und diese auch nutzen (z.B. Checkpoint Bern in der Stadt Bern). Die Preise für Tests sind je nach Ort sehr unterschiedlich. Kostengünstige Testangebote für Sexarbeiter*innen in allen Regionen des Kantons wären wünschenswert, um einen niederschwelligen und breiten Zugang zu gewährleisten, der nicht von individuellen finanziellen Möglichkeiten oder der Übernahme der Kosten durch eine Organisation abhängt. Erste Ideen sind im Austausch mit der Aidshilfe Bern am Entstehen.
Projekt «Aufsuchende Beratung und Online-Beratung für Sexarbeiter*innen ohne festen Wohnsitz im Kanton Bern»
Viele Sexarbeiter*innen haben keinen Wohnsitz in der Schweiz und bleiben nur kurz an einem Arbeitsort. Da die gesetzlichen Rahmenbedingungen kantonal unterschiedlich sind, ist es für viele schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen und an Unabhängigkeit zu gewinnen. Genau dort setzt unser aktuelles Projekt an. Die Mitarbeiter*innen von XENIA sind laufend im ganzen
Kanton aufsuchend unterwegs, insbesondere in den Randregionen, wo der Zugang zur Fachstelle schwieriger ist. Sie bieten den Sexarbeiter*innen Beratungen direkt an ihren Arbeitsorten an. 2023 ist es uns im Rahmen vom Projekt gelungen, neue online Beratungsgefässe aufzubauen. Die Sexarbeiter*innen können rund um die Uhr auf diversen digitalen Kanälen ihre Fragen an XENIA stellen. Die Arbeit trägt Früchte, es konnten viele Sexarbeiter*innen erreicht werden, die wir von der physischen aufsuchenden Arbeit noch nicht gekannt haben. Das Resultat macht uns Freude und spornt uns an, weiterhin an unserem Ziel zu arbeiten, die Niederschwelligkeit von XENIA auch für hochmobile Sexarbeiter*innen ohne Wohnsitz in der Schweiz zu erhöhen.
Erleichterungen für Kleinsalons von zwei Sexarbeiter*innen
Was wir im letzten Jahresbericht ankündigten, wurde per 1. August 2023 umgesetzt: Kleinsalons (= zwei Sexarbeiter*innen) brauchen neu keine Betriebsbewilligung mehr, sofern der Mietvertrag auf eine*n der Arbeiter*innen läuft. Der*die Hauptmieter*in muss sich jedoch aktiv bei der Gemeinde melden (Meldepflicht) und gewisse Auflagen aus dem Prostitutionsgewerbegesetz (PGG) erfüllen.
Leider wurde es versäumt, die Abläufe rechtzeitig abzuklären, so dass die Verordnungsänderung zwar am 1. August in Kraft trat, die konkrete Umsetzung in der Praxis aber erst ab Januar 2024 transparent war.
XENIA begrüsst die Änderung und erhofft sich, dass diese zu mehr selbstständigen Arbeitsplätzen für Sexarbeiter*innen führt. Denn für viele Sexarbeiter*innen ist dies nach wie vor die bevorzugte Arbeitsform. Die Anpassung ermöglicht auch das Teilen von Mietkosten, ein nicht unerheblicher Kostenpunkt.
Da ein Teil der Umsetzung in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden fällt und die Meldung bei der Gemeinde erfolgen muss, empfiehlt XENIA aktuell noch folgendes Vorgehen: Sexarbeiter*innen, die bereits allein in einer Wohnung arbeiten und diese neu mit einem*einer Kolleg*in teilen möchten, sollen sich vor der Meldung bei der Gemeinde mit XENIA in Verbindung setzen, um die gemeindespezifischen Besonderheiten abzuklären. Dadurch soll vermieden werden, dass bestehender Arbeitsraum durch einen Fehler beim Ablauf verloren geht. Da der Kanton Bern aus 337 Gemeinden besteht, wird sich XENIA bei den Vorabklärungen aufgrund beschränkter Ressourcen auf die grösseren Gemeinden konzentrieren und die kleineren nur bei konkreten Anfragen kontaktieren.
Wie jedes Jahr war das XENIA-Team am 8. März, dem internationalen feministischen Kampftag, in den Salons unterwegs, um den Sexarbeiter*innen Rosen zu schenken. Die Rosen sind ein willkommenes Geschenk und der 8. März auch Anlass, um einerseits die Menschen und ihre Arbeit zu würdigen, und um andererseits die Diskriminierung zu kritisieren, die sie in unserer Gesellschaft nach wie vor tagtäglich erfahren.
Im Spätsommer haben wir Zusammenarbeitspartner*innen, Sexarbeiter*innen, Vereinsmitglieder und andere Unterstützer*innen zu unserem Vernetzungsapéro eingeladen. Maew, Tanja und Zoe leisteten viel Vorarbeit, um mit Unterstützung von Sponsor*innen, Vorstand und freiwilligen Helfer*innen trotz etwas Wetterpech einen gelungenen Anlass zu ermöglichen. Die Pflege von Kontakten ist wesentlich, damit sich XENIA das ganze Jahr über für die Klient*innen einsetzen kann.
Im Herbst war Christa zu einer Sitzung der Sicherheitskommission (SiK) des Grossen Rates eingeladen. Diese nahm die oben erwähnte Verordnungsänderung zum Anlass, sich über die Herausforderungen von Sexarbeiter*innen zu informieren. Der Austausch war angeregt und bot Gelegenheit, die Anwesenden dafür zu sensibilisieren, dass Rechtssicherheit und eine Entstigmatisierung von Sexarbeit und Sexarbeiter*innen wesentliche Voraussetzungen für gute Arbeits- und Lebensbedingungen sind.
Olivia, Zoe und Christa beteiligten sich an verschiedenen Treffen von ProKoRe (nationales Netzwerk für die Rechte und Anliegen von Sexarbeitenden in der Schweiz). Christa und Paulina pflegten den internationalen Austausch mit Beratungsstellen. Der Fachaustausch über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus ist essenziell, um eine hohe Beratungsqualität für die meist interkantonal und teilweise international tätigen Sexarbeiter*innen sicherzustellen.
211
aufsuchende Touren, die zwischen 2 und 10 Stunden dauerten
3246
Kontakte durch aufsuchendes Gesundheitsangebot
327
Kurzberatungen telefonisch
423
Kurzberatungen online – davon 185 durch das Projekt «Aufsuchende Beratung und Online-Beratung für Sexarbeiter*innen ohne festen Wohnsitz in der Schweiz»
1047
Kurzberatungen aufsuchend durch Beraterungsteam
402
aufsuchende Beratungen durch das Projekt
93
Kurzberatungen im Büro
229 Weihnachtsgeschenke überreicht
6 Referate, Podien und Fachinputs
73 Studierende erhielten Informationen zum Thema Sexarbeit
133 Sexarbeiter*innen mit Falleröffnung haben 1263 Beratungsgespräche wahrgenommen, davon 324 in den Büroräumlichkeiten von XENIA
16 Medienanfragen
200 Rosen verteilt am internationalen feministischen Kampftag
Anfang Jahr übernahm Nadia Bisang das Co-Präsidium des XENIA Vorstands. Da Co-Präsidentin Andrea Schneider sich im Frühling in den Mutterschaftsurlaub verabschiedete, musste der Vorstand für ein halbes Jahr in einer etwas kleinen Formation arbeiten.
Im Juli verbrachten Vorstand und Mitarbeiterinnen einen gemeinsamen Tag auf, im und am Bielersee. Wir genossen diesen gemütlichen Tag. Der Ausflug bietet die Möglichkeit, dass sich Team und Vorstand in unkomplizierter Atmosphäre austauschen können. Abgeschlossen haben wir den Tag mit einem leckeren Abendessen im St. Gervais in Biel.
Die Herbstretraite nutzte der Vorstand, um die XENIA Strategie 2024–2028 zu diskutieren. Schwerpunkte waren die nachhaltige Finanzierung von XENIA über Fundraising und Mitglieder, das 40-Jahre Jubiläum von XENIA sowie die Verstärkung des Vorstands.
Abschliessen durften wir das Jahr wie immer mit einem wunderschönen Weihnachtsessen im XENIA Häuschen. Danke auch hier an alle, die einen Beitrag dazu leisteten, dass wir ein so schönes Fest feiern durften.
Stephanie Meyer und Sina Liechti haben entschlossen, sich per Ende 2023 vom XENIA Vorstand zu verabschieden. Wir danken ihnen beiden für den wertvollen Einsatz für XENIA! Stephanie hat in den letzten vier Jahren Texte geschrieben und redigiert, Öffentlichkeitsarbeit geleistet und Anlässe wie den oben erwähnten Teamausflug organisiert. Sina hatte das Ressort Kommunikation und darin die Erarbeitung einer neuen XENIA Website und einer Fundraising Strategie vorangetrieben. Auch im Jubiläumsjahr 2024 werden wir die Mitarbeit der beiden noch wahrnehmen: Sina sorgte unter anderem dafür, dass wir so tolle Jubiläumsartikel haben und Stephanie gleiste das XENIA Soli-Bier auf.
Ein weiteres XENIA-Jahr geht zu Ende und wir freuen uns darauf, unser 40-jähriges Bestehen zusammen mit Ihnen zu feiern! Informationen zu unseren Jubiläumsveranstaltungen erhalten Sie auf unserer Website sowie auf unseren Social-Media-Kanälen.
Ein gutes Bier geniessen und dabei unsere Arbeit unterstützen? Das ist 2024 möglich! XENIA feiert 2024 das 40-jährige Bestehen. Dazu haben wir zwei Jubiläumsbiere im Angebot!
• Ein Session IPA 3.8%
• Ein alkoholfreies Märzen
Pro Flasche geht CHF -.50 bis CHF 1.-an den Verein XENIA. Die Biere sind in den Lola-Läden, im Biershop Bier-Bienne und in diversen Bars und Restaurants im Angebot. Die Verkaufsstellen werden laufend auf unserer Webseite aktualisiert, wir freuen uns, wenn Sie uns unterstützen während dem Sie sich einen guten Moment gönnen!
Wollen Sie Mitglied von einem Verein werden, der sich seit 40 Jahren für die Rechte der Sexarbeiter*innen einsetzt und sich in den Beratungen und durch Öffentlichkeitsarbeit für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter*innen im Kanton Bern stark macht? Für nur CHF 50 im Jahr treten Sie als Person und für CHF 100 als juristische Person dem Verein XENIA bei.
Selbstverständlich freuen wir uns auch über Gönner*innenbeiträge und Spenden! Für jeden Betrag bedanken wir uns herzlich.
IBAN CH61 0900 0000 30 03 7914 2
Verein XENIA, 3011 Bern