XAVER - November '09

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Literatur

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Buch-Tipp des Monats

Mal der Liebe

Der Assistent der Sterne Linus Reichlin 380 Seiten Galiani, 19,95 Euro xxxxxo

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in Polizist vom Bodensee, der im belgischen Brügge den Dienst quittiert, um seinem Hobby, der Physik, nachzugehen und dabei in kühne Abenteuer stolpert: Das ist Hannes Jensen. Dessen äußerst empfehlenswerter ersten Fall „Die Sehnsucht der Atome” wurde mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Und jetzt wird er schon wieder in eine haarsträubende, aber nicht unglaubwürdige Melange aus Sex, Schicksalsglaube und Spiritualität hineingezogen: Ein afrikanischer Wahrsager warnt ihn vor einer Frau, eine Reise nach Island endet dramatisch und ein Gefallen für seine schwangere Freundin wächst sich zu einem riesengroßen Schlamassel aus. Das alles einem etwas unbeholfenen, aber streng rational den-

kenden Menschen passieren zu lassen, ist das Spielfeld, das Linus Reichlin in seinem zweiten und nicht minder spektakulären Roman absteckt. Denn abseits der gängigen Erzähllogik klassischer Krimis entwirft Reichlin einen Kosmos, in dem alles zusammenhängt und sich beeinflusst. Da mag sich der Empiriker Hannes Jensen noch so dagegen wehren. Wer sich also durch sehr verständlich gemachte Erklärungen höherer Physik (Quantenverschränkung!!!) nicht abschrecken lässt und auf geistreiche Krimiliteratur mit einem ordentlichen Maß Komik steht, wird hier wieder bestens bedient.

Spiel der Zahlen Vergeltung für Hund

Winter in Maine

Gerard Donovan aus dem Irischen von Thomas Gunkel 208 Seiten, Luchterhand, 17,95 Euro xxxxxo

Schurken, die einen auf ihre Seite ziehen, haben ja immer etwas Magisches an sich. Julius Winsome, so etwas wie ein intellektueller 51-jähriger Waldschrat, ist so einer. Er lebt allein in einer Hütte voller Bücher dort in den USA, wo man schon fast auf die kanadische Grenze spucken kann. Nachdem Jäger seinen Pitbullterrier Hobbes erschossen haben, entwickelt sich dieser friedfertige Charakter in einen unberechenbaren und doch allzu menschlichen Mörder. Denn die Reaktion auf den Tod seines treuesten Gefährten bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen präzise kalkulierter Rache und beiläufiger Blutorgie à la Quentin Tarantino. Gerard Donovans „Winter in Maine” ist ein genaues und trotz all seiner Blutlust doch sehr ruhiges Buch von einem Kerl, der die Gesellschaft anderer Menschen vielleicht zu lange gemieden hat und voller Abscheu auf das moderne Leben und die blödsinnige Lust am Töten unschuldiger Tiere - schaut. Gerade mal eine Woche, eine Woche in der der Winter beginnt und die Welt zu einem Stillstand kommt, begleitet der Leser diesen Julius Winsome in seinem altmodischen Leben. Und: Mörder hin oder her, er ist einem nicht unsympathisch.

Die Fußball-Matrix

Christoph Biermann 256 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, 16,95 Euro xxxxxo

Kann Fußball je ein Spiel der Zahlen werden, wie es US-amerikanische Sportarten wie Baseball oder Football schon längst sind? Wir sind auf dem besten Weg dazu, sagt der passionierte Fußballfan und Autor Christoph Biermann, der hier zeigt, wie bloße Meinungen durch gesichertes Wissen ersetzt werden. Denn als im Jahr 2003 in den USA ein Buch mit dem Titel „Moneyball” erschien, das eine spannende Geschichte vom Umdenken in der Statistikbewertung im Baseball und den Erfolg eines relativ finanzschwachen Teams mit der richtigen Einkaufsstrategie erklärte, war das eine Revolution. Auf ähnlichen Pfaden bewegt sich Christoph Biermann: Er versucht zu beschreiben, wie im Fußball immer mehr Daten erhoben und ausgewertet werden, um richtige Prognosen zu stellen - und im besten Fall ein Fußballwunder wie die TSG 1899 Hoffenheim zustande zu bringen. Wobei „Wunder” das falsche Wort wäre. Denn dahinter steckt viel und harte Arbeit. Biermann taucht also tief ein in die Welt der Zahlenerheber und -analysten, der Trainer, die untersuchen, wie überhaupt am gewinnbringendsten trainiert werden soll und erklärt das „Zidane-Clustering-Theorem”. Für den gewöhnlichen Fußballfan klingt das bisweilen wie Science Fiction. Für Biermann ist aber sicher: Wer sich nicht intensivst mit den Zahlen auseinandersetzt, der spielt oben nicht mit.

Rat für Suchende

Dr. Ankowitschs kleiner Seelenklempner Christian Ankowitsch 320 Seiten, Rowohlt, 19,90 Euro xxxxxo

Man hat es ja schon immer geahnt: Karriere, Familie, Haus, gute Freunde und massig Freizeit. Das alles kann man nicht zusammen haben. Und wo andere Ratgeberautoren mit den ultimativen Glücksformeln um sich schmeißen, da sagt Christian Ankowitsch: „Schlag dir das aus dem Kopf ”. Es ist diese radikale Ehrlichkeit, die diesen Ratgeber für Ratgeber-Verweigerer so sympathisch macht. Darüber hinaus ersetzt er spielend und spielerisch gefühlte drei Regalmeter anderer Ratgeber. Denn ob es ums Abnehmen geht, ums Wegwerfen von Dingen, die Suche nach einem Partner, das richtige Führen einer Beziehung, darum, wie man Kinder erzieht oder gar den Sinn des Lebens findet: Ankowitsch singt das Hohelied des Durchwurstelns: Weil wir mit den großen Lebensentwürfen nicht mehr durchkommen, setzt er aufs Improvisieren, das Aufteilen großer Probleme in kleine und überschaubare Abschnitte. Dabei tut der Journalist und Kunsthistoriker Ankowitsch nicht so, als hätte er das alles erfunden. Letztlich hat er nur durchforstet, was im Dschungel der Ratgeberbücher so kursiert und das auf sehr unterhaltsame Art vom Kopf auf die Beine gestellt. [Wolfgang Brenner]

Lug und Betrug

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Clancy Martin aus dem Amerikanischen von Robin Detje 317 Seiten, Berlin Verlag, 19,90 Euro xxoooo

Erst von der Highschool und dann von Kanada in die USA fliegt der 16-jährige Bobby Clark. Die Siegelringe seiner Abschlussklasse hat er versetzt und damit schon sein Talent bewiesen für seinen neuen Job: Denn er fängt mit seinem Bruder Jim bei einem mehr als zwielichtigen Großjuwelier in Texas an, knechtet sich vom Boten zum Topseller hoch und verkauft Rolex Presidents wie andere Kartoffeln. Dabei hilft diesem Bruder Leichtfuß seine zwielichtige Ader ziemlich. Bobby und sein Bruder Jim sind im ersten Roman des (noch jungen) Philosophie-Profs Clancy Martin zwei arg schlimme Klischees: Wo es etwas abzuzocken gibt, da machen sie es, die Nasen sind immer weiß vom Koks und wenn es Geld gibt, dann hauen sie es postwendend auf den Kopf. Und der Leser wird dabei ganz, ganz müde. Weil der Autor Martin selbst im Juweliers-Geschäft unterwegs war, packt er auch so viel Fachwissen rein, wie man es seinem jugendlichen Erzähler gerade noch abnimmt. Die mäßige Übersetzung und der zweite Erzählstrang, ein bemühtes Abarbeiten an einem Vater-Söhne-Konflikt und dessen schmalziges Ende lassen selbst den Ahnungslosesten erkennen: Hinter diesem ansprechend gestalteten Buchumschlag steckt eine Mogelpackung.

Medien - Literatur | 16


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