herbst. THEORIE ZUR PRAXIS 2015

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gefallen und dass es genau diese Sätze sind, mit denen er dann als Komponist arbeiten wird können. Scheib: Wie haben Sie als Komponist auf Klang, Rhythmus und Form des Textes reagiert? Ist das etwas, das die Musik berührt? Staud: Ich habe ja nicht rhythmisiert vertont. Außerdem fiel früh die Entscheidung, dass ein Schauspieler zum Einsatz kommt, dass nicht gesungen wird, um die Autonomie beider Sphären zu gewährleisten. Kaup-Hasler: Wir wissen, wie schwierig es sein kann, einen zeitgenössischen Text gesungen zu hören. Vielleicht hängen wir zu sehr noch einer alten Vorstellung von Oper und von „dramatis personae“, also von handelnden Personen, nach und nehmen zu wenig diese musikalische Kraft wahr, die in epischen Texten zum Beispiel von Elfriede Jelinek steckt, die man auch einmal so stehen lassen soll. Wir waren uns jedenfalls sehr schnell einig, dass wir uns den Text nicht als gesungenen vorstellen können. Aus dieser Einigkeit entstand die Überlegung, ein Musiktheater zu entwickeln, das sozusagen wie eine Konzertinstallation funktioniert. Und das den einzelnen Stärken des Genres auch gerecht wird, ohne sie falsch zusammenzumixen. Staud: Ich habe Josefs Text dann ein halbes Jahr lang gar nicht angerührt. Das war mir

zu stark, hat mich komplett blockiert, ich konnte das nicht chronologisch vertonen. Ich habe dann eine reine Ensemblemusik komponiert, als großen Gegenentwurf. Im Anschluss daran haben wir uns noch einmal an den Text gemacht, und sind dabei davon ausgegangen, dass der Abend rund 65 Minuten dauern und – als Hausnummer – zu einem Drittel aus Text, zu einem Drittel aus Musik und zu einem Drittel aus Text und Musik gemeinsam bestehen soll. Dafür mussten wir radikal einkondensieren. Es hat mich auch gewundert, dass du mit deinem eigenen Text dann so großzügig warst. Ich war eher vorsichtig, und du bist mit deinem Stift gekommen und hast – ratsch! – gestrichen. Dann dachte ich mir, mit dieser Härte, mit der du umgehst, muss ich jetzt auch an mich heran. Das heißt: auch beim Komponieren nicht geschwätzig sein. Scheib: Gibt es unabhängig von der Endversion auch eine, die als Konzertstück ohne jegliche Inszenierung funktionieren würde? Staud: Ja, das könnte man so als Monodram aufführen. Scheib: Wie ein Schumann-Monodram. Staud: Oder Schönberg. Scheib: Und könnte daraus umgekehrt aus dem Text auch das nächste Josef-WinklerBuch entstehen? In einer Version, in der Sie keine Rücksicht auf die Musik nehmen müssen? Winkler: Ich habe immer genau gewusst, dass ich einen Text herstellen werde, ich versuchen werde, einen schönen Spiegel zu schleifen. Aber ich habe auch immer gewusst, dass dieser schöne Spiegel, damit ein Komponist etwas damit anfangen kann, auf den Boden gehauen wird und dann in tausend Splitter zerfällt, die wiederum mit dem Ton erneut zusammengestellt werden. Gleichzeitig war mir aber auch klar, dass es ein Text wird, der auch literarisch funktioniert. So etwas wie ein Prosagedicht, das dann sicherlich irgendwo in einem Bändchen, in dem ich kürzere Texte versammeln werde, einfach drinnen steht.

Josef Winkler zählt zu den herausragenden zeitgenössischen Autoren Österreichs, für sein Werk (darunter die Roman-Trilogie „Das wilde Kärnten“, „Domra“ oder zuletzt „Winnetou, Abel und ich“) wurde er unter anderem mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Beim steirischen herbst war in den Jahren 2001 und 2002 sein Text „Tintentod“ in einer Inszenierung von Tina Lanik zu sehen. In enger Kooperation mit Winkler entwickelte Johannes Maria Staud, einer der international renommiertesten österreichischen Komponisten seiner Generation, der u. a. mit den Wiener Philharmonikern oder dem BBC Symphony Orchestra zusammengearbeitet hat, seine Komposition für die 22 Instrumentalisten des Ensemble Modern unter Emilio Pomàrico, die „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“ zusammen mit dem Schauspieler Johannes Silberschneider zur Aufführung bringen werden. Staud war wiederholt beim musikprotokoll im steirischen herbst zu Gast, zuletzt 2014 mit der Uraufführung von „Dichotomie“. Der Musikwissenschafter Christian Scheib ist Redakteur und Producer für zeitgenössische Musik bei Radio Österreich 1 und Co-Kurator des musikprotokoll, das er viele Jahre lang auch selbst leitete. Veronica Kaup-Hasler ist Intendantin des steirischen herbst.

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