H e a lt h : c a r e
40 – healtheconomy
Kommentar
Ärzte als Patientenanwälte
Freitag, 12. April 2013
Investition Pharmakonzern Boehringer Ingelheim wächst und sichert am Standort Wien weitere Arbeitsplätze
Boehringer Ingelheim baut auf die Zukunft in Wien Deutsches Pharmaunternehmen investiert in Wien weitere 16 Mio. € in eine Standorterweiterung.
D
ie Ärztekammer will eine eigene Patientenanwaltschaft aufbauen. Das ist aus zwei Gründen kurios: Erstens gibt es bereits öffentliche Patientenanwälte. Doch die sind der Ärztekammer zu unabhängig, weil sie von der Politik bestellt werden. Die Ärzte wollen gewählte Anwälte und machen das gleich auch selbst. Zum Zweiten haben die Ärzte in allen Gesundheitsreformen sich selbst immer als Anwälte der Patienten positioniert; sie selbst wüssten, welche Sorgen und Nöte die Patienten hätten und hätten nur deren Wohl im Sinn. Jetzt also doch anders. Allerdings lässt die Auswahl der Kandidaten auch wieder mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Die Vorwauswahl – von einer unabhängigen Jury – hat folgende Bewerber ergeben: Franz Bittner ist ehemaliger Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse und war viele Jahre für den Hauptverband der Sozialversicherungsträger tätig. Der Jurist Josef Kandlhofer war bis 31. März Generaldirektor des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Andrea Schwarz-Hausmann ist ebenfalls Juristin und Gesundheitsökonomin sowie seit 2002 bei der Pensionsversicherungsanstalt tätig. Ausgerechnet mit den Krankenversicherungen hatten die Ärzte in der Vergangenheit immer wieder heftige Kämpfe gefochten ...
GRAFIK DER WOCHE ÜBERGEWICHT IST VOR A L L E M M Ä N N E R S A C HE Normalgewicht Adipositas
Übergewicht Untergewicht
Männer 14,9%
47,7% 37,4%
Frauen
9,7%
4,2
17,9% 68,2%
Quelle: APA; Grafik: Raimund Appl
Wien. Frühlingserwachen mit regem Wachstum. Am Donnerstag wurde der Grundstein für den Erweiterungsbau des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim in Wien-Meidling gelegt. Das neue Gebäude wird Raum für über 200 Büroarbeitsplätze bieten, rund 16 Mio. € kosten und voraussichtlich Mitte 2014 fertiggestellt werden. „Für die Entscheidung zum Ausbau des Standorts Wien hat unsere Funktion als Mittel- und Osteuropa-Zentrale den Ausschlag gegeben“, erklärt Christian Schilling, CEO Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV). „Das RCV ist nicht nur für unser Geschäft in mehr als 30 Ländern der Region Mittel- und Osteuropa verantwortlich, sondern koordiniert von Wien aus auch die klinische Forschung in diesen Ländern.“
Familienunternehmen
Gemeinderat Al-Rawi, Elger, Boehringer, Schilling, Gettinger (alle vier Boehringer Ingelheim) und Vizebürgermeisterin Brauner
Das deutsche Familienunternehmen Boehringer Ingelheim wurde 1885 in Ingelheim am Rhein gegründet. Heute ist es hinter Bayer das zweitgrößte Pharmaunternehmen in Deutschland und gehört zu den größten 15 Pharmakonzernen auf der Welt. „Und er ist der einzige Konzern, der noch in 100 Prozent in Privatbesitz ist“, führt Schilling aus. 1948 wurde in Wien die erste Auslandsniederlassung, eine Apotheke unter dem Namen Bender + Co GesmbH, gegründet. Neben Arzneimitteln stellte Boehringer Ingelheim im Laufe der ersten Jahre in Österreich verschiedene Produkte wie etwa Mittel zur Gesundheitspflege, Diagnostika, Pflanzenschutzmittel und sogar Backmittel her.
Heute sind am Standort Wien über 1.200 Mitarbeiter beschäftigt. Er ist auf die Bereiche Biopharmazie, Forschung und Vertrieb spezialisiert. Im Rahmen der feierlichen Grundsteinlegung lobte Vizebürgermeisterin Renate Brauner (SPÖ): „Die Wiener Stadtregierung freut sich über den Entschluss des internationalen Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim, seinen Wiener Standort weiter auszubauen. Diese Entscheidung unterstreicht die wirtschaftliche Attraktivität unserer Stadt für internationale Unternehmen und sichert Arbeitsplätze.“ Der Wiener Teil von Boehringer Ingelheim ist besonders auf die Krebsforschung spezialisiert. „Dieser Teil ist kontinuierlich gewachsen und hat mit seiner Innovati-
onskraft dazu beigetragen, dass wir bald die ersten Gehversuche am Markt mit den ersten in Wien entwickelten onkologischen Produkten wagen“, sagt Schilling. Auch in der Grundlagenforschung engagiert sich Boehringer Ingelheim und ist hier mit dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie Wien (IMP) vertreten. Dieses befindet sich auf dem Campus des Vienna Biocenters; hier arbeiten rund 220 Forscher aus 30 Ländern. Das IMP kooperiert mit der Universität Wien, der Meduni Wien und auch mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Die Ideen und Entwicklungen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen“, kommentiert Vizebürgermeisterin Brauner.
Pro Jahr betragen die Forschungsinvestitionen der Wiener Tochter mehr als 150 Mio. €. Etwa 25% der weltweiten Forschung des Konzerns werden hier durchgeführt. Damit ist die österreichische Filiale von Boehringer Ingelheim eines der führenden Unternehmen im österreichischen Life-Science-Bereich.
736,2 Mio. € Umsatz Insgesamt erzielte das RCV Boehringer Ingelheim im Geschäftsjahr 2011 Gesamterlöse in der Höhe von 736,2 Mio. € und beschäftigte mehr als 3.000 Mitarbeiter in der Region Mittel- und Osteuropa. Weltweit arbeiten bei Boehringer Ingelheim mehr als 44.000 Menschen in 145 Gesellschaften für das Unternehmen.
e-Health Pharmaindustrie und Ärztekammer ziehen an einem Strang und wollen Compliance verbessern
Neue App für mehr Therapiesicherheit Wien. Die Pharmig, der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, und die Wiener Ärztekammer präsentierten am Donnerstag en mit „Meine Medizin“ eine App, mit welcher der Patient seine eigenen Gesundheitsdaten sowie die Informationen zu seinen Medikamenten immer griffbereit hat. Robin Rumler, Präsident der Pharmig, sieht in der App einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der individuellen Gesundheitskompetenz: „Dem Konzept der Health Literacy entsprechend, fördern wir mit dieser App die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Patientinnen und Patienten.“ Es gehe darum, Patienten zu befähigen, ihren Gesundheitszustand betreffende Informationen zu beschaffen, zu verstehen und anzuwenden. Das Smartphone stelle dabei ein wesentliches Kommunikationsinstrument dar, ist Rumler überzeugt: „Laut einer repräsentativen, österreichweiten Umfrage besitzen 92 Prozent der Österreicher ein Handy; 69 Prozent aller verwendeten Handys sind heute bereits Smartphones. Im Jahr 2011
waren es noch etwa 30 Prozent. 85 Prozent der mobilen InternetUser laden Apps. Der Trend ist also eindeutig, und damit ist auch eine immer stärkere Nutzung von Apps zu erwarten.“ Für Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer für Wien, stellt die App einen entscheidenden Mehrwert für die Patienten dar: „Für eine erfolgreiche Therapie ist eine gewissenhafte und genaue Einnahme der Medikamente
sehr wichtig. Die App schafft die ideale Voraussetzung dafür und ist deshalb eine wichtige Unterstützung.“
Übersicht über Medikamente Mit „Meine Medizin“ sollen Nutzer einfach relevante Gesundheitsdaten selbst generieren, sammeln und bei Bedarf ihrem Arzt oder ihren Angehörigen verfügbar ma-
© Markus Prantl
Martin Rümmele
© Architekt Podsedensek ZT
Christian Resei
Pharmig-Präsident Robin Rumler präsentierte mit Ärztekammer eine neue App.
chen; zentrale Elemente sind dabei die Verlaufsübersicht über die Medikamenteneinnahme und die Erinnerungsfunktion. Sie sollen die Compliance, also die Therapietreue der Patientinnen und Patienten und damit die Wirksamkeit der von den Ärztinnen und Ärzten verordneten Medikamente, erhöhen. „Die wirksamste Therapie nutzt nichts, wenn der Patient auf die Einnahme des Arzneimittels vergisst“, sagt Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig, zur Bedeutung der Compliance. Um das Projekt Patienten-App sowohl für Patienten als auch für Ärzte mit dem größtmöglichen Nutzen zu versehen, erfolgte die Realisierung in Kooperation mit der Ärztekammer für Wien. Die App bietet die Möglichkeit, alle Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel, die regelmäßig eingenommen werden, einzutragen, abzufotografieren und zu speichern. Die Medikamentenliste kann exportiert und – falls gewünscht – an den behandelnden Arzt gemailt werden. Dadurch lassen sich auch Wechselwirkungen erkennen. (iks)