Career portrait
74 – careernetwork
Freitag, 29. Juni 2012
„Ich habe mich nie als Bonzenboss gesehen“ Welches Geschenk er sich zu seinem 40er selbst machte, warum kein Goldschmied aus ihm geworden ist und warum er kein Chef sein will, vor dem man „buckeln“ muss, verrät on tour Marketing-Chef Oliver Kenn im Gespräch.
Wien. Eigentlich wollte er als Kind ja Kranführer werden – „mit fünf sechs Jahren haben mir die Männer, die in schwindelerregende Höhen hochkraxeln, ungemein imponiert“. Nach der AHS-Unterstufe hat man ihm dann bei einer Potenzialanalyse das Goldschmiedehandwerk ans Herz gelegt. „Natürlich gibt man sich Tagträumen hin und fragt sich, was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich diesen Weg eingeschlagen hätte“, sinniert Oliver Kenn. Und mit 30 schwebte ihm eine Karriere als Operntenor vor – „ich habe zu diesem Zeitpunkt meine Liebe zur Oper entdeckt. Singen tue ich mittlerweile aber ausschließlich unter der Dusche.“ Geworden ist aus ihm schlussendlich aber der Eigentümer der auf PoS-Marketing spezialisierten Agentur „on tour Marketing“.
Wenig überraschend zögert er auch bei der Frage, was er sich als alternativen Broterwerb zu seinem Engagement bei on tour Marketing vorstellen könnte, keine Sekunde: „Radrennprofi wäre ein Traumjob von mir.“ Dass er dieser Idee und auch seinen Kindheitsträumen beruflich nicht nachgegangen ist, bereut er nicht: „Wenn ich das Rad der Zeit zurückdrehen könnte, würde ich vermutlich vieles wie bisher machen. Ich würde vielleicht statt Wirtschaftsinformatik gleich an der WU studieren und vielleicht auch nicht mit so vielen Freunden Geschäfte machen. Aber ich würde dieselbe Frau wieder heiraten und dasselbe Rad noch einmal kaufen“, so Kenn abschließend. (jawe)
10 Fragen An O liver Kenn
Als Kind wollte ich immer … groß werden. Mein Lebensmotto ist … „Keep on running!“ Mein letztes Geld würde ich ausgeben für … einen Strauß Sonnenblumen für meine Frau.
© privat
„Ich habe sieben Jahre lang in der Telekomindustrie gesehen, dass alle Marketingvorbereitungen am Reißbrett und im Büro nur eingeschränkt fruchten, wenn man die letzte Meile im Geschäft nicht geht“, erklärt er die Beweggründe für die Gründung seines eigenen Unternehmens im Februar 2004. „Es muss ‚pieps‘ an der Kassa machen und das Produkt über den Ladentisch gehen, dann ist das Marketing auch erfolgreich gewesen“, beschreibt er seinen Zugang zur Materie. „Viel zu oft habe ich gesehen, wie falsch eingeschlichtete Regale im Handel die Verkaufszahlen negativ beeinflussen. Und das hat mich immer schon ‚genervt‘. Da wollte ich helfen, gewisse Reibungsverluste zu minimieren“, so Kenn weiter. „Außerdem wollte ich mich immer schon selbstständig machen – ein eigenes Konstrukt aufbauen und dem institutionalisierten Umfeld von globalen Konzernstrukturen entfliehen.“ Den Drang in die Wirtschaft habe er dabei aus dem Elternhaus mitbekommen: „Als ich mit vierzehn vor der Entscheidung gestanden bin, ‚Goldschmiedelehre oder HAK‘, ist mein Vater prägend gewesen. Er war 30 Jahre lang sehr erfolg-
© medianet
Und es hat piep gemacht
reich bei IBM tätig und war mir sicherlich auch ein entscheidendes Vorbild“, erklärt Kenn gegenüber medianet. Dieser Einfluss erstrecke sich bis zu seinem heutigen Wirken: „Mein Vater hat einen absolut offenen Führungsstil gepflegt. Und das versuche ich auch selbst zu leben: Ich sehe mich als offen und liberal meinen Mitarbeitern gegenüber und versuche ihnen – sofern mit der Firmenphilosophie vereinbar – alle Möglichkeiten zur Entwick-
1971–1997
lung zu geben“, so Kenn: „Ich habe mich einfach nie als ‚Bonzenboss‘ gesehen, vor dem alle ‚buckeln‘ und den man erfurchtsvoll siezen muss.“
Der Ironman Den Hut ziehen könnte man vor Kenn jedoch allemal – vor allem wegen seiner Willensstärke und seines Durchhaltevermögens: Bereits vier ‚Ironman‘ (Anm.: der längste kommerziell durchgeführte
1998–2004
Triathlon mit 3,86 km Schwimmen, 180,2 km Radfahren, 42,195 km Laufen) hat der Wiener erfolgreich absolviert: „Zum 40er habe ich mir selbst einen Startplatz beim ‚Ironman‘ in Lanzerote geschenkt. Ich weiß, das klingt verrückt, aber ich musste mir selbst beweisen, dass ich das schaffe“, kommentiert er 12 Stunden und 42 Minuten Tortur in Spanien. „Danach ist man zwar zwei Wochen physisch komplett fertig. Aber das ist es mir wert gewesen.“
2004–Heute
Darüber kann ich lachen … so ziemlich über alles. Das letzte Buch, das ich gelesen habe, war … „Steve Jobs: Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers“ von Walter Isaacson. In 20 Jahren werde ich … hoffentlich vor einem Häuschen in der Provence sitzen, mit meiner Frau und meinen Freunden ein gutes Flascherl Rotwein trinken und den Anblick der Blumenkulisse genießen. Davor habe ich Angst … Spritzen, Nadeln, Blutabnahme – und vor dem Radweg am Ring. Das ist meine größte Stärke … mein hemdsärmeliger Pioniergeist. Das ist meine größte Schwäche … Schwimmen und Administration.
Am 3. Mai 1971 in Wien geboren, maturiert Oliver Kenn an der Vienna Business School/HAK 1. 1992 inskribiert er Wirtschaftsinformatik an der TU Wien.
1998 bricht er das Studium ab und heuert bei One als Key Account und Product Manager an. 2001 wechselt er als Marketing Operations Officer zur Hutchison 3G Austria GmbH und ist später als Head of Communications federführend beim Markenlaunch von „3“ dabei. Parallel absolviert Kenn den Universitätslehrgang für Marketing und Verkauf an der WU Wien.
Im Februar 2004 wagt Kenn den Sprung in die Selbstständigkeit und gründet die on tour Marketing, die on tour Consulting und in weiterer Folge die Cocoon Sportbekleidungs GmbH; er führt die Unternehmen bis heute als Managing Partner. Aktuell absolviert er berufsbegleitend ein MBA-Studium an der WU Wien.
Mit dieser Person würde ich gerne für 24 Stunden die Rollen tauschen … dem Sieger der ersten Tour de France 1903, Maurice-François Garin. Das Abenteuer der letzten 24 Stunden dieses Rennens selbst einmal zu erleben, wäre eine wirklich tolle Geschichte.