66 Jahre SchwäbischePost

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LOKALES

Samstag, 22. November 2014

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Das Leben muss erst wieder Tritt fassen Was hat die Menschen in Aalen und Umgebung vor 66 Jahren bewegt ? – Neue Währung schafft blühende Landschaften Wie haben die Menschen in Aalen und Umgebung im Jahr 1948 gelebt, als die Schwäbische Post zum ersten Mal erschien? In Deutschland wurde die D-Mark eingeführt. In Aalen wurde Otto Balluf als OB bestätigt, Vorgänger Karl Schübel hatte sein passives Wahlrecht noch nicht wieder. Viele Menschen hungerten, drei Jahre nach Kriegsende. Wie groß der Nahrungsnotstand 1948 war, darüber gibt der Bericht über eine Bauernversammlung in Bopfingen vom Februar Aufschluss. „Wir leiden unter Nahrungsnot“, hieß es da. Die Steigerung des landwirtschaftlichen Ertrages sei eine „zentrale Frage für die Zukunft für das deutsche Volk“, wurde erklärt. Im April wurde berichtet, wie sich jeden Tag lange Schlangen vor den Metzgerläden bildeten. Politisch mussten sich viele Amtsinhaber der Neuwahl stellen. In Aalen lieferte sich der amtierende OB Otto Balluff mit vier Herausforderern einen Wahlkampf: Der 53-jährige Paul Grotsch, Verwaltungsbeamter aus Thüringen, der 58-jährige Curt Prawitz, ein enteigneter ostdeutscher Gutsbesitzer, der Künzelsauer Bürgermeister Richard Dilger (40) und Heinz May (30) aus Böbingen waren seine Gegenkandidaten. Otto Balluff selbst war CDU-Mitglied, praktizierender Katholik. Er war 1945 dem abgesetzten Dr. Karl Schübel nachgefolgt. Balluff erklärte im Wahlkampf: „Ich habe nie nach Parteibuch und Taufschein gefragt. Es war mein Grundsatz, strengste Neutralität zu wahren.“ Doch die Parteien hielten sich bedeckt: Die CDU empfahl keinen Kandidaten, die SPD sprach sich lediglich gegen die Wahl Ballufs aus, ebenso die Freien Wähler. Dennoch setzte Balluff sich bei der Wahl im März 1948 deutlich mit 68 Prozent durch.

Otto Balluff, 1948 OB in Aalen Heinz Neubert erhielt 19,8 Prozent, Paul Grotsch 8,7 Prozent. Der frühere OB Schübel erhielt rund 2 Prozent der Stimmen, obwohl er gar nicht kandidiert hatte. „Ein solches Vertrauen und solche Verbundenheit verpflichten auch für die kommenden Zeiten“, sagte der wieder-

Luftbild der Stadt von 1948: Oben links die Reste der „Remonte“, wo die SchwäPo nach dem Krieg startete (heute: THG, Uhland-Realschule). Darunter die heutige AOK und die ausgesiedelte Maschinenfabrik Rieger. Unten links die Gartenschule. Unten, ganz rechts, die alte Gewerbeschule, an deren Stelle 1973 begonnen wurde, das neue Rathaus zu bauen. (Archivfotos) gewählte Balluff. Er sollte noch bis 1950 regieren, dann aber wieder von Karl Schübel abgelöst werden. Bei der Bürgermeisterwahl in Ellwangen stellte sich Amtsinhaber Alois Seibold gegen den 50-jährigen Josef Wostal und den 31-jährigen Bruno Heck, der aus Aalen stammte und in Tübingen Studentensprecher war. Seibold wurde nach einem heftigen Wahlkampf wiedergewählt, eine Stellungnahme des Gemeinderats zur Wahl war stark umstritten. Schließlich schlossen Bürgermeister und Räte einen „kalten Frieden“ nach der Wahl. Eine Kuriosität gab es in Wasseralfingen: Die KPD focht die Bürgermeister-

wahl vom Februar 1948 an, und bekam Recht: Die Wahlnischen in Wasseralfingen seien schon seit 30 Jahren so angebracht, dass die Mitglieder des Wahlvorstandes sehen können, ob ein Wähler den Zettel ankreuzt oder einfach einschiebt. Die Wahl von Hans Hegele wurde für ungültig erklärt. Bei der Neuwahl am 9. Juni stellte sich der 33-jährige Johannes Hegele neun Gegenkandidaten. Die SPD schickte Eberhard Sanwald ins Rennen, der 47-Jährige war Bürgermeister von Gschwend. Die Wahl brachte zunächst keine Entscheidung: Hegele erhielt 47,4 Prozent, der Kaufmann Albert Lenz 31,2 Prozent und der SPD-Kandidat Sanwald knapp 10 Prozent. In der

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Stichwahl erhielt Hegele 2226 Stimmen, sein Gegner Albert Lenz 1944. Ein großes Problem war der massenhafte Zuzug von Heimatvertriebenen. Allein im Kreis Aalen wurden 1948 rund 32 000 „Neubürger“ gezählt, insgesamt hatte der Kreis Aalen 122 000 Einwohner. Hinzu kamen viele Heimkehrer. Anfang Juni wurden in Aalen feierlich 200 entlassene Kriegsgefangene begrüßt. Von den Konflikten zeugt ein Vorfall in Stödtlen: Ein Landwirt vom Weilerhof hatte mit seiner Familie einen der Neubürger überfallen und bewusstlos geschlagen. Dieser hatte wohl im Vorjahr eine illegale Schlachtung angezeigt. In der SchwäPo hieß es dazu: „Wir Ost-

flüchtlinge wollen nichts als unser Recht, wir wollen als gleichberechtigte Bürger leben.“ Am 17. Juni wurde berichtet, dass sich in Ellwangen die Neubürger auf einer Versammlung dafür aussprachen, sich zusammenzufassen. Das war die Keimzelle von Vertriebenenparteien und -vereinen. Die Entnazifizierung und die Verhandlungen vor der „Spruchkammer“ haben die Bürger 1948 bewegt. Solche Prozesse waren an der Tagesordnung, fast täglich gab es neue Urteile. Ein prominentes Beispiel war Adolf Koelle, der ehemalige Kreisleiter des Großkreises Aalen und Bürgermeister von Ellwangen. Im Mai wurde er vor der Spruchkammer angeklagt, er wurde zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt. Sein Vermögen wurde bis auf 7000 Reichsmark eingezogen. Auch Karl Schübel wurde angeklagt, er war von 1935 bis 1944 OB in Aalen und NSDAP-Mitglied gewesen. Er wurde schließlich als „Minderbelasteter“ eingestuft und musste nur 150 Tage „Sonderarbeit“ leisten. Zudem wurde ihm das passive Wahlrecht drei Jahre entzogen. Fieberhaft wurde im Juni das neue Geld erwartet. Der 21. Juni mit der Einführung der Deutschen Mark (DM) wurde mit hohen Erwartungen verbunden. „Die Nervosität um die Währungsreform strebt ihrem Gipfelpunkt zu“, schrieb die Schwäbische Post. Bis ins kleinste Dorf hin wurden die Pläne zur Währungsreform diskutiert. Allein in der Stadt Aalen wurden 33 Ausgabestellen eingerichtet, um den „Kopfbetrag“ auszuzahlen: Jeder erhielt 40 Euro Startgeld. Die Schwäbische Post schrieb: „Mit 40 Deutschen Mark beginnt das neue Leben.“ Im Kreis Aalen wurden fünf Millionen D-Mark ausgegeben. Die Ausgabe verlief weitgehend ruhig, weil sie gut organisiert war. Es gab dennoch kurz vorher Zeichen von Torschlusspanik: Vor den Lebensmittelgeschäften bildeten sich lange Schlangen, jeder wollte noch mit dem alten Geld einkaufen. Am Samstag stürmten die Kunden die Geschäfte, jeder wollte noch ein letztes gutes Geschäft machen. Viele verloren auch einen großen Teil ihrer Schulden, die Verbindlichkeiten wurden mit 10:1 umgetauscht. Dann war die D-Mark da, anstelle der seitherigen, wertlos gewordenen Reichsmark. „Auf einmal gibt es wieder alles“, hieß es plötzlich. Tatsächlich gab es auch in den Städten plötzlich wieder Gemüse. Rettiche, Salat, Blumenkohl! In den Kaufhäusern gab es Nachttöpfe und Rasierspiegel. Banale Dinge für uns heute, die nach dem Krieg nicht selbstverständlich waren. In Aalen wurde auch der Wochenmarkt erstmals nach dem Krieg wieder eingeführt.


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