Wirz Tanner Jubiläumbuch 2022

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Räume und Geschichtenihre

Räume und ihre Geschichten

GmbH Gestaltung: Evelyne Piéta, Leiterin Marketing Wirz Tanner Immobilien AG Texte: Caroline Tanner, Autorin und Architekturphilosophin Lektorat: Anja Bögli, Lektorat Detailiebe Druck: Vögeli AG Auflage: 600 Exemplare Gedruckt in der Schweiz. © 2022 Wirz Tanner Immobilien AG

Konzept:www.wirztanner.chinfo@wirztanner.ch19Terminal8

Wirz Tanner Immobilien AG Europaplatz 1A 0313001PostfachBern38519

Allem voran kreist sie um die Alltagswelt, an der wir alle teilhaben.

Die Welt der Immobilien berührt Fragen der Architektur, der Soziologie, der Politik, aber auch der Ökonomie, der Finanzierung, der Investitionen.

PROLOG6

Die Arbeitswelt der Immobilien wird fernab von Vermarktungsprospekten im öffentlichen Raum wenig thematisiert. Immobilienspezialist:innen ha ben dennoch wesentlichen Anteil am komplexen Gemisch aus Akteur:in nen und Gegebenheiten, die unsere gebaute Umwelt mitbestimmen. Wie äussert sich das? In erster Linie hat auch die Wirz Tanner Immobilien AG als lokale Grösse in Bern in den letzten 20 Jahren Immobilien bewirt schaftet und verkauft. Immer wieder war sie jedoch auch an ihrer Ent stehung und Umgestaltung beteiligt. In ihrem Berufsalltag lernen Immobi lienspezialist:innen damit nicht nur eine grosse Menge an Gebäuden von innen kennen, sondern auch ihre Erbauer:innen, Nutzer:innen und Eigen tümer:innen. Sie sind ein Bindeglied zwischen Perspektiven. Im Bereich der Bewirtschaftung und Verwaltung beschäftigen sich Immobilienspezia list:innen über besonders lange Zeitabschnitte mit einer Liegenschaft. Die Jahrzehnte, in denen sich Bauten langsam, aber stetig verändern, können sehr aufschlussreich sein. Möglicherweise liegt in dieser Perspektive ein Schlüssel zu einem nachhaltigeren Umgang mit der gebauten Umwelt. Erst die Art und Weise, wie sich Gebäude verändern, zeigt, ob der gebau te Raum die an ihn gestellten Erwartungen, Bedürfnisse und Vorstellun gen langfristig erfüllt oder ob er als leere Floskel zerfällt.

PROLOG

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Die Geschichten in diesem Buch sind auch ein Aufruf dazu, für das Krea tive, das Unerwartete und das Gelebte im gebauten Raum einzustehen. Das Leben zeigt Haltung, Charakter und Diversität, wenn man es in seiner Komplexität ernst nimmt. Genau zuzuhören und nicht vorschnell zu urtei len sind Möglichkeiten, dieser Komplexität produktiv zu begegnen. Ob ein Gebäude schlussendlich funktioniert, bleibt immer gekoppelt an die unterschiedlichen Vorstellungen, die wir von der Welt haben. Um das Ge meinsame und das Individuelle zusammenzuführen, brauchen wir Vielheit, Offenheit und vielleicht etwas Spiel. Auch beim Lesen dieses Buches wird Ihnen schnell klar werden, was Wirz Tanner als Firma nicht zum Erfolg ge führt hat: der rein kalkulatorische, emotionslos wirkende Ansatz, Immo bilien kurzfristig und als reine Wertanlage zu vermarkten. Denn gebaute Räume, in denen sich das Leben abspielt, sind weder emotionslos noch zu hundert Prozent berechenbar. Stattdessen werden Sie merken, dass «Räume und ihre Geschichten» tatsächlich Geschichten erzählt. Mit ihnen können wir vielleicht anfangen, über das gelebte Element in Räumen zu sprechen, das sich mit Zahlen kaum thematisieren lässt. Anhand gebauter Projekte sollen diese Geschichten exemplarisch für all jene stehen, die Ähnliches ermöglichen und sich ebenfalls für ein Umdenken engagieren. In diesem Sinne laden wir Sie dazu ein, das Eigenleben unserer Geschich ten zu Carolineerkunden.Tannerund Evelyne Piéta

INHALT

Prolog 06 Zwei Gründer 10 Projektgeschichten 20 Chutzegruebe 20 PostParc 30 Bern Brünnen 40 Westen von Bern 58 Q-Matte 66 Hofgeschichte(n) 78 Crescendo 100 Uhlmann-Areal 106 Südhang 116 Équipe 126 Marktplatz Multengut 134 Immobilientreuhänder im Porträt 52 Bewirtschafterinnen mit Herz und Offenheit 94 Stimmen aus der Zusammenarbeit 142

(rechts)TannerRuediund(links)WirzHansFirmengründerbeidenDie

Ruedi Tanner «Ich gönne mir Zeit und Musse am Genfersee, um Projekte zum Fliegen zu bringen.»

INTERVIEW11

GRÜNDER2

Hans Wirz «Ich bin häufig im und unter Wasser, koche gerne und gönne mir danach eine feine Zigarre.»

Wie funktioniert ihr als Team in der Firma?

Externe Bereiche wie Akquisition und Kundenbetreuung liegen in Ruedis Verantwortung. Intern ist teilweise die Rede von Ruedi als Aussenminister und Hans als Innenminister.

Ruedi: Über Hans sagt man, er sei ein Zahlenmensch und Stratege, und ich der Kommunikator mit einem Händchen fürs Marketing. Dieser Unterschied, denke ich, ist Teil unseres Erfolgsrezeptes als Hans:Firma.

Neben verbindetUnterschied:diesemWaseuch?

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Dieser Unterschied wider spiegelt sich auch in unserer Auf gabenteilung: In erster Linie bin ich für die internen Angelegenheiten wie Managementsystem, Personal und Organisation verantwortlich.

Ruedi: Es bestehen auf mehreren Ebenen Gemeinsamkeiten: Wir spielen beide Tennis, joggen und tauchen. Zudem sind wir beide über unsere Firma hinaus sehr en gagiert. Wir sind und waren immer wieder in diversen kulturellen und öffentlichen Kommissionen tätig. Wo habt ihr kennengelernt?euch

Hans: Unser erster Kontakt ent stand im Zusammenhang mit Immobilienverkäufen der Wirz AG Bauunternehmung. Zu dieser Zeit bestanden die Tanner Immobi lien AG und die Wirz Immobilien AG. Letztere hatte ihren Schwer punkt in der Bewirtschaftung und betreute keine Verkäufe. Entsprechend vergab die Wirz Bauunternehmung AG wiederholt Verkaufsaufträge an die Tanner Immobilien AG. Ruedi: Ich glaube, schliesslich war es Beat Wirz, der Cousin von Hans, der Ende der 1990er-Jahre mit der Idee einer engen Zusammenarbeit auf mich zukam.

Was Firmengründung?euchveranlasste2002zur Hans: Der Ursprung für die Grün dung liegt bereits in den 1990erJahren. Er fällt in die oben ge nannte Zeit der Zusammenarbeit: Die Wirz Immobilien AG verfügte über grosse Kompetenzen in der Ein starkes Duo

Ruedi:Vollzeitstellen.Hanshatte damals ein, zu mindest für mich, legendäres Pa pier verfasst: eine Tabelle mit einer provisorischen Erfolgsrechnung, aus der ersichtlich wurde, dass wir mit den Kosteneinsparungen auf beiden Seiten und ohne Personal abbau eine gute Ausgangslage vor uns hatten. Darauf liess sich etwas aufbauen. Oftmals geht es beim Zusammenlegen zweier Firmen ums Optimieren. Man nutzt die Überschneidungen, um Stellen und damit Kosten abzubauen. Mit dem Überschreiten der kritischen Grenze in Sachen Stellenumfang sollte sich also ein positiver Effekt abzeichnen. Was war und ist eure Vision für Wirz Tanner? Hans: Wir hatten nie die Vision eines grossen Unternehmens. Dennoch erachteten wir es als sinnvoll, gemeinsam ein wenig zu wachsen. Dieses Wachstum ist in den letzten 20 Jahren eingetreten. Mit der heutigen Grösse sind wir momentan zufrieden. Wir können sicherlich noch etwas wachsen, aber nicht mehr viel. In diesem Fall würden wir wiederum die kritische Grösse überschreiten.

«Wir sionenchenundkulturellenderrensindengagiert.hinausunserebeidedemtauchen.joggenbeidespielenTennis,undZu-sindwirüberFirmasehrWirundwa-immerwie-indiversenöffentli-Kommis-tätig.»

Ruedi Tanner Ruedi: Zuletzt haben wir uns die Frage nach der richtigen Grösse von Wirz Tanner 2015 beim Umzug an den Europaplatz nochmals ge stellt. Mit der Platzreserve ist am neuen Ort Raum für ungefähr 32 Angestellte vorhanden. Das sind etwa 15–20 Prozent mehr als heute. Ein grösserer Zuwachs würde wiederum viele Kosten bedeuten. Als wir an den Europa platz umgezogen sind, war für uns klar, dass wir diesen Schritt für die Zukunft machen – für die nächsten 20 Jahre oder mehr. Das Ziel war es nicht, dass das nur eine Zwischenetappe wird. Am jetzigen Standort sind wir in der glück lichen Situation, dass wir zusätz liches Personal einstellen können, wenn sich gute Gelegenheiten bieten. Weshalb habt ihr euch für den Umzug an den Europaplatz entschieden?

Ruedi: Ein Grund war das Wachs tum unserer Firma. Im «City West» hatten wir im Erdgeschoss ein offenes Grossraumbüro mit Schwerpunkt Vermarktung und Entwicklung. Im ersten Oberge schoss befanden sich traditionelle Zweierbüros mit der Bewirtschaf tung und der Buchhaltung. Wir hatten mit dieser Konfiguration zwei separate Eingänge. Obwohl wir keine grosse Firma sind, ist es durchaus vorgekommen, dass man sich zum Teil bis zu zwei Wochen gar nie gesehen hat. Der Aus tausch fehlte.

Hans: Das «City West» war auch gebäudetechnisch etwas in die Jahre gekommen: Im Sommer wur de es in den Räumlichkeiten heis ser und im Winter kälter, als das in neueren Gebäuden meist der Fall ist. Auch der Umstand, dass es

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Bewirtschaftung, während die Tanner Immobilien AG ein grosses Know-how im Verkauf aufwies. Beide Unternehmen waren damals auf der Suche nach ihrer kritischen Grösse. Mit je vier bis fünf Mit arbeitenden hatten beide eine schwierige Grösse. Der Zusam menschluss stellte eine gute Er gänzung dar. Bei Wirz Tanner sind wir mittlerweile 28 Mitarbeitende. Insgesamt entspricht das ungefähr 23

Zum Glück trat dieses Unheil dann doch nicht ein, zumindest bis jetzt nicht … (lacht) An unserer weniger exponierten Lage am Europaplatz sind solche Geschehnisse zum Glück selten geworden.

Hans, ich habe gehört, dass du im Hinblick auf deine Pension dein Pensum bereits etwas reduziert hast. Wie sehen die nächsten Jahre für dich aus?

Hans: Aus Sicht der Bewirtschaf tung sind nicht immer klare High lights auszumachen. Interessant finde ich persönlich die technische Verwaltung von Liegenschaften einer grossen Pensionskasse in der Region Bern und Umgebung sowie der Region Bern-Mittelland.

Das ist ein grösserer Auftrag, der bis heute anhält. Das Mandat der Geschäftsführung einer gemischt wirtschaftlichen Aktiengesell schaft bei der «grossen Schanze» am Bahnhof Bern, das ich seit 1993 ausführe, ist auch auf grund der zentralen Lage und des hochkarätig soBrünnen,sowieErstvermietungHighlightsnenArchitekturpreisgebrachtichgruebe»gut»michRuedi:spannendeVerwaltungsratszusammengestellteneinebesondersTätigkeit.EinspannendesProjektfürwarderMarktplatz«MulteninMuri.Auchdie«Chutze-inBremgarten,welcheindie«Ehe»WirzTannereinhabeunddiespäterden«Atuprix»gewonhat,isteinHighlight.Unterdiefallenfürmichauchdiedes«PostParc»dieganzenProjekteinBernandiedamalsniemandrechtglaubenwollte.Ebenso die «Q-Matte», die uns seit nun fast zehn Jahren begleitet. Zudem führte die Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Graber Pulver in jüngerer Vergangenheit zu schönen Projekten, an denen wir mitwirken durften. Gibt es Anekdoten,lustigedie nicht alle in der Firma kennen?

Ruedi: Die Nähe zu Unterneh men aus der Baubranche ist sehr wichtig. Wir verstehen uns als planungsnahe Firma und nicht als «kaufmännische Bewirtschaf tungsmaschine».

Dieses Bedürfnis kann das Homeoffice erfüllen. Wie wichtig ist die Nähe von Wirz Tanner zum Baugewerbe?

Hans: Als unser Büro an der zen tralen Lage im «City West» war, kam es des Öfteren zu besonderen Begegnungen mit Menschen, die sich am Empfang meldeten. Eine Szene ist mir besonders geblie ben: Während eines regulären Arbeitstages wurde ich persönlich am Empfang verlangt. Dort er wartete mich ein Fakir mit Turban und kündigte mit ernster Miene an, dass bald ein Unheil über uns kommen werde. Wenn ich ihm jedoch Geld geben würde, dann könne er dieses Unheil aufhalten. Das war schon etwas unheimlich und ich habe ihn ohne Zahlung wieder nach draussen begleitet.

Hans: Mit dem Aufkommen von Homeoffice hat sich der Raum bedarf in den vergangenen Jahren geändert. Die neue Arbeitsform ermöglicht geteilte Arbeitsplätze, welche effizient genutzt werden können. Wir haben uns in diesem Punkt bewusst für eine Öffnung der Coronapande mie haben wir die Möglichkeit zum Homeoffice für unsere Mitarbei tenden eingeplant. Das Büro als Begegnungszone ist sicherlich immer noch relevant. Als Gegen bewegung zum Grossraumbüro wächst jedoch das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten.

INTERVIEW14

Ruedi:entschieden.Ja,seit

Natürlich gibt es viele Synergien, insbesonde re durch die Nähe von Hans zur Baubranche. Diese Nähe mussten wir nie bewusst suchen. Sie hat sich eigentlich stets durch unsere Tätigkeiten ergeben. Was sind beruflicheneureHighlights?

sich dabei nicht um günstige Büros handelte, hat innerhalb der Firma immer wieder zu Diskussionen geführt. Wie beurteilt ihr den Entscheid zum Umzug heute?

Hans: Ja, die Digitalisierung ist für uns ein wichtiger Entwicklungs fokus der nächsten Jahre. Einige Veränderungen konnten wir be reits erfolgreich umsetzen: In der Buchhaltung haben wir während der letzten vier Jahre den Umstieg auf die papierlose Kommunikation geschafft. Heute müssen 99 Pro zent der Unterlagen nicht mehr gedruckt werden. Weiter ist im Herbst dieses Jahres die Einfüh rung des elektronischen Miet übernahmeprotokolls mithilfe von Tablets geplant. «Wir hatten nie die Vision eines wachsen.»eingemeinsamesachtetenDennochUnternehmens.grossener-wiralssinnvoll,wenigzu

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Ruedi: Die Digitalisierung ist si cherlich ein Thema, welches uns beschäftigt. In den Bereichen, in denen es in erster Linie um Zahlen und nicht um zwischenmensch liche Kommunikation geht, sind wir diesbezüglich schon fortge schrittener. Zudem wird schwierigfeldberatenficer»damitNachdiplomstudiengangMarketingverantwortlicheunsereeinenbelegen,siedieFirmaals«DigitalOfindiesenFragenkompetentkann.DasganzeThemenistspannend,abergleichzeitigzugreifen.

Hans Wirz Wie hat sich Immobilienbranchedie in den letzten 20 Jahren verändert?

Hans: Einige Mandate wie die Grosse Schanze AG werde ich si cher noch weiter betreuen. Ebenso werde ich den Bereich der Buch haltung weiterhin unterstützen. Was steht in den kommenden Jahren allgemein bei Wirz Tanner an? Ruedi: Wir haben eine erweiterte Geschäftsleitung eingeführt, um den Generationenwechsel vor zubereiten. Dieses neu geschaf fene Gefäss lässt sich flexibel erweitern. Um diesen Prozess zu unterstützen, haben wir zudem für einige Mitarbeitende entsprechen de Weiterbildungen vorgesehen. Welche Themen sind für Wirz Tanner in den Jahrenkommendenwichtig?

Ruedi: Insgesamt ist eine Professionalisierung der Immobilienbranche in den letzten 30 Jahren feststellbar. Früher war das Angebot der Ausbildungen in diesem Bereich auf den Immobilientreuhänder und die Immobilienverwalterin beschränkt. Heute gibt es insgesamt fünf Fachausweise. Zudem bietet der SVIT (Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft) mit seinen fünf Kammern diverse Möglichkeiten für Weiterbildungen und Spezialisierungen. Es arbeiten aktuell über 40’000 Personen in der Schweizer Immobilienbranche. Die Anforderungen von aussen haben entsprechend zugenommen. Die nichtlen.grösserenehmenlassenbesonderedochkritischenmenzehnteDigitalisierungHans:neueOrchesterManagement,Spezialisierungstelltzunehmendeauchdaswelchesdasganzedirigierenmuss,vorHerausforderungen.SchliesslichstehtdurchdiederletztenJahrfürimmermehrUnternehwiederdieFragenachderGrösseimZentrum:DiewesentlichenKosten–insfürSoftwarelizenzen–sichbeigrösserenUnterentsprechendaufeineAnzahlPersonenverteiSolcheInvestitionenkannsichjedeFirmaleisten.

Erweiterte Geschäftsleitung: Hintere Reihe v. l. n. r.: Hans Wirz (Partner), Nicole Bosshard (Leiterin Bewirtschaftung), Reto Gehri (Immobilientreuhänder), Nino Wirz (Dipl. Betriebsökonom BSc)

Vordere Reihe v. l. n. r.: Barbara Felder (Projektentwicklerin), Michèle Krüttli (Immobilientreuhänderin), Ruedi Tanner (Partner), Jasmine Flückiger (Leiterin Buchhaltung)

Ruedi: Dasselbe wünsche ich mir auch für die Schweizer Immobi lienwirtschaft im Allgemeinen. Aus meiner Tätigkeit als Präsident der Schweizerischen Maklerkammer innerhalb des SVIT weiss ich, dass dieses Verantwortungsbewusst sein auch bei anderen Unterneh mer:innen vorhanden ist. Ich hoffe, dass es der Branche gelingt, diese innere Wahrnehmung zu einer äusseren zu machen, sodass auch breite Teile der Gesellschaft und die Politik die Branche als ver antwortungsbewusst und profes sionell wahrnehmen. Nach wie vor bestehen leider viele Vorurteile gegenüber Immobilienakteur:in nen. Ein aktuelles und ganz kon kretes Beispiel für die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwor tung durch die Immobilienbranche ist die Unterbringung von ukraini schen Flüchtlingen in der Schweiz. Gleiches zeigte sich während der Pandemie: Viele Immobilienunter nehmen waren zu Mieterlassen bereit.

Ruedi: Wir wünschen uns, dass wir weiter offen bleiben für Entwick lungen. Unser Geschäft nach haltig aufzustellen, heisst auch, sich mit aktuellen Themen wie der Digitalisierung, der ökologischen Nachhaltigkeit und den sozialen Veränderungen zu beschäftigen.

Hans: Aktuell sind elektrische Ladestationen für E-Fahrzeu ge in Einstellhallen ein konkretes Anliegen unserer Kundschaft. Wie und wo Fotovoltaikanlagen sinnvoll sind, ist nach wie vor ein Thema, das beschäftigt. Diskutiert werden vermehrt Erdsonden und Wärme pumpen, um nicht mehr vom Öl abhängig zu sein. Meiner Meinung nach wird der Stromgewinnung in der nahen Zukunft eine wesent liche Rolle zukommen. Was wünscht ihr euch für die Zukunft von Wirz Tanner?

INTERVIEW18

Es ist unsere Aufgabe, Wirz Tanner für diese Herausforderungen fit zu machen und entsprechend zu handeln. Finanziell müssen wir dafür natürlich ein gesundes Fun dament mitbringen, damit wir uns diese Veränderungen in der Firma auch leisten können. Als Unter nehmen haben wir eine soziale Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitenden und deren Fami lien, welche auf den Erfolg der Firma angewiesen sind. Dass die Verantwortung ernst genommen wird, darauf sollen sich die Leute verlassen können. Was wünscht ihr euch für die Zukunft Immobilienbranche?der

Die Frage für uns ist eher, ob wir diese Kompetenz intern aufbauen oder ob wir mit externen Part ner:innen zusammenarbeiten.

Inwiefern kann die Branche nachhaltiger werden? Ruedi: Die Frage nach der Nach haltigkeit spürt oder lebt man noch etwas weniger als jene der Digitalisierung. Mitbewerber:innen von uns haben in diesem Bereich begonnen, Stellen aufzubauen und Labels beizutreten. Mit dem Steigen der Energiepreise hat sich nun der finanzielle Druck er höht. So wird das Thema auch für Menschen relevant, die ein kleines Mehrfamilienhaus besitzen. Die Forderung nach Kompetenzen im Nachhaltigkeitsbereich wird sicher in den nächsten Jahren zunehmen.

INTERVIEW19 2015seitAGImmobilienTannerWirzderArbeistplatzDer

CHUTZEGRUEBE21

Bernb.Bremgarten«Chutzegruebe»,Überbauung

Andrea Roost prägt die schweizerische Architekturlandschaft seit den 1970er-Jahren. 1994 gewann er den Wettbewerb für die Wohnüberbauung «Chutzegruebe». Ihre Baukörper ragen skulptural aus einer ehemaligen Kiesgrube empor. Die Gebäude zeigen meisterhaft, wie sich durch geschickte Kombination von Wand und Öffnung eine räumliche Mehrschichtig keit erzeugen lässt, welche Rückzug und Ausblick ver eint. Wirz Tanner durfte die preisgekrönte Architektur in ihrer Entstehung begleiten.

UNDWILDNISZWISCHENIDYLLE

Das wusste auch die Kiesfirma, der das Areal noch immer gehörte.

Die komplexen Gegebenheiten boten ein gutes Fundament für einen Architekturwettbewerb. Ein Vorgehen, welches der damalige Bauherr und ehemalige Eigentü mer der Kiesgrube, Ueli Hofstetter, Dembegrüsste.Architekten Andrea Roost gelang mit seinem Siegerbeitrag schliesslich eine Symbiose zwi schen Neubau und umliegender Artenvielfalt. Sein Entwurf zeigte einen besonders rücksichtsvollen Umgang mit der vielfältigen und einzigartigen Natur vor Ort.

Die «Chutzegruebe» ist Architek tur. In ihr kommen Architekturprin zipien von internationalen Grössen wie Le Corbusier (1887–1965) oder Louis Kahn (1901–1974) zum Aus druck. So bringen sie das Material Sichtbeton in eine Form, welche die grüne Umgebung in Bremgar ten bei Bern eigensinnig prägt. Die «Chutzegruebe» umfasst insgesamt sechs kubische Beton bauten. Was hinter dem Namen steckt, wird schnell klar, wenn man sich die Geschichte des Ortes anschaut: Zunächst war das Areal viele Jahre als Kiesgrube genutzt worden. Die Grube wurde schliesslich stillgelegt und auf gefüllt. In der Folge entstand eine artenreiche Spontanvegetation.

Auf der «Chutzegruebe», die ihren Namen neben der Kiesgrube auch der angrenzenden Chutzenstrasse zu verdanken hat, bildete sich eine reichhaltige Wiese. Die Kiesgrube wurde zum Trockenbiotop, auf dem Pferde weideten.

Als Bauplatz brachte die «Chut zegruebe» somit eine Reihe an Besonderheiten mit sich. Die mittlerweile ökologisch interes sante Grube wurde als erhaltens wert eingestuft. Sie wurde zur wichtigen Ausgleichsfläche und ergänzte das kantonale Schutzge biet, insbesondere der Mager- und Trockenstandorte wegen.

Roost wählte dafür eine Bauform, die aus den eingereichten Wettbe werbsbeiträgen hervorstach: «Wir verzichteten auf teppich- oder zei entsprungen

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Die «Chutzegruebe» befand sich in einer Zone mit Planungspflicht. Sie zu überbauen, würde anspruchs voll werden.

Dem Kies

Andrea Roost, Roost Architekten

Durch das Zusammenkommen von wilder Wiese und markanten Betonvolumen wird eine spannen de Polarität erzeugt. Die Baukörper kontrastieren die gewachsene Landschaft mit ihrer Orthogonali tät, ihrer Plastizität und ihrem Ausdruck. Der roh geschalte Be ton verstärkt ihren skulpturalen Charakter. Es ist ein Baumaterial, das Roost noch heute in seinem Schaffen fasziniert. Mit seiner Flexibilität und seinem Ausdruck war der Beton prädes tiniert für das Ineinanderfügen der sukzessiven Raumabfolgen.

Roost beabsichtigte mit dem Freilassen eines Grossteils der Wiese, dass sich die Kiesgrube als ökologisch interessantes und wertvolles Naturparadies weiter entwickeln kann. Statt über private Aussengärten auf Bodenebene verfügen alle Wohnungen über grosszügige Loggien, Terrassen oder Dach gärten. Ihre Ausgestaltung ver weist auf die Architekturprinzipien Le Corbusiers. Es ist eine Archi tektur, die sich von innen nach aussen entwickelt. Sie ist für ihre Bewohner:innen gemacht: Die Wohnungen sind so gestaltet, dass es gegenseitig keine Einsicht gibt. Wer dort lebt, hat also trotz der kompakten Bauvolumen mit meh reren ineinander verschachtelten Wohnungen das Gefühl, allein im Haus zu sein. Das gelingt dank einer Verzahnung der Wohnein heiten, die sich jeweils über zwei oder drei Geschosse erstrecken.

Auch ihr grosser Umfang trägt zum Lebensgefühl einer luxuriösen Stadtvilla bei. Trotz der bewussten Zurückhal tung gegenüber der Landschaft gelingt eine Architektur, welche dieser in Selbstbestimmtheit und Stärke um nichts nachsteht.

lenartige Strukturen und setzten in das Areal der aufgefüllten Kies grube mit seiner durch Artenviel falt wertvollen Spontanvegetation drei archaische Wohnskulpturen in Sichtbeton», beschreibt Roost sein eigenes Projekt. «Wir zichtetenver- auf teppichSichtbeton.»turenWohnskulp-dreivegetationSpontan-wertvollenArtenvielfaltseinerKiesgrubeaufgefülltendasundStrukturenzeilenartigeodersetzteninArealdermitdurcharchaischein

Statt die Wiese also grossflächig zu überbauen, konzipierte Roost sechs kompakte Baukörper, die jeweils in Zweiergruppen auf der Wiese verortet sind und sich im Sockelbereich deutlich vom Boden abheben. Dadurch konnten auch Spuren der Vergangenheit des Kiesabbaus erhalten bleiben. Individuelle Gärten gibt es zum Schutz der Umgebung keine. Die Eingriffe in die Spontanvegetation konnten durch die Kompaktheit der Baukörper minimiert werden.

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Damit war es Roost möglich, in der «Chutzegruebe» eines der Archi tekturprinzipien zu verwirklichen, das ihn seit jeher inspirierte: «Mit dieser Wohnanlage in Bremgar ten konnten wir die Projektierung einer mehrschichtigen Trans parenz des Raumes mit seinem reizvollen Wechselspiel zwischen Licht und Schatten in die Realität umsetzen.» Hierzu passt auch das Tragwerk, das nach dem Schot tenprinzip funktioniert.

Das Zusammentreffen der reichhaltig gewachsenen Wiese mit der skulpturalen Wohnüberbauung schafft einen spannenden Kontrast

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Der Eigentümer Ueli Hofstetter suchte für die Umsetzung und Pro motion des Projektes aktiv nach Unterstützung. Er beauftragte einige Immobilienspezialist:innen, einen Vorschlag für die Umsetzung einzureichen. Ruedi Tanner, der damals noch in der Immobilien firma seiner Eltern angestellt war, konnte als 32-jähriger Immobilien fachmann schliesslich den Auftrag für sich gewinnen.

Ruedi Tanner

Einerseits mussten die Kosten ge senkt, andererseits Lifte und an dere Zusätze eingeplant werden.

Er übernahm dabei als Bauher renvertreter die Organisation des Bauprojekts. Mit Blick auf die Ver marktungs- und Betriebsaspekte zeigte sich, dass die Eins-zueins-Verwirklichung des Wettbe werbsprojekts nicht möglich war.

Ausserdem mussten verkaufbare Einheiten generiert werden. Eine sinnvolle Parzellierung in Stockwerkeigentum folgte. Tanner wollte der «Chutzegruebe» ein attraktives Storytelling verschaf fen, sodass sich auch Kundschaft inmitten einer Immobilienkrise für ein Eigenheim entscheiden würde. «Ich wusste damals, dass die Positionierung nicht einfach werden würde. Wir waren in einer schwierigen Zeit, was den Verkauf von Wohneigentum anging. Das sagte ich auch dem Eigentümer offen und ehrlich. Die Baukosten zu senken, war nicht einfach. Ich sagte damals: ‹So teure Wohnun gen ohne Lift in einer Grube, das

In der «Chutzegruebe» herrscht ein harmonisches Zusammenspiel zwischen offenen Räumen und ge schlossenen Flächen. Zunächst scheinen sich die Bau körper wie Kapseln räumlich von der Wiese freizuspielen. Als Form der Zuwendung zur einzigartigen Umgebung verfügt jede Wohnein heit über spektakuläre Ausblicke in die Landschaft und die Berner Alpen. Verschiedene Fenster und Öffnungen rahmen die Aussicht. An einigen Stellen erinnern die von Sichtbeton gerahmten Blicke in die Landschaft an die Atmosphä re in den Gemälden von Edward Hopper, dessen Bilder für Roost eine wichtige Inspiration sind. Der räumlich komplexe Aufbau ist auch nach aussen hin sichtbar: Immer wieder zeigen sich Einschnitte von verschiedener Tiefe und Höhe in den Fassaden. Gleichzeitig heben sich die Fassaden der «Chutzegruebe» in ihrer Gesamtheit stark von ihrer Umgebung ab. Die Rauheit ihrer Betonoberfläche trifft unmittelbar auf die Lieblich keit der Spontanvegetation. Simul tan ist diese Landschaft wild und die Baukörper sind in ihrem Inne ren wohnlich. Die mehrschichtige Wand zwischen innen und aussen verbindet und trennt zeitgleich. Diese Ambivalenz verleiht dem Entwurf ein Spannungsverhältnis, das die Betrachtenden in seinen Bann zieht. Als avantgardistisches Bauprojekt für das Bern der 1990er-Jahre gewann er schliess lich 2004 die Auszeichnung für Berner Baukultur «Atuprix». Immobilie – von Menschen bewohnt Die «Chutzegruebe» ist nicht nur preisgekrönte Architektur, sie ist auch Immobilie. Für Ruedi Tanner bedeutete sie den beruflichen Ein stieg in die Immobilienentwicklung. Nach dem Wettbewerbssieg von Roost galt es zunächst einige Hürden zu überwinden. Die Preise waren wegen der Immobilienkri se am Boden. Sich in dieser Zeit Wohneigentum zuzulegen, war rar. «Ich tumWohneigenVerkaufZeit,schwierigenwarendeneinfachnierungdiedamals,wusstedassPositio-nichtwer-würde.Wirineinerwasdenvon-anging.»

Ab der Akquisition im Jahr 1996 begleitete Tanner den Auftrag acht Jahre lang. Der Verkauf der Woh nungen der letzten Etappe fand bereits zur Zeit von Wirz Tanner statt: «Es ist also ein Projekt, das ich in die Ehe mit Wirz Tanner brin gen durfte», sagt er heute stolz.

die Planer:in nen, was für ein Bijoux die Archi tektur in der Grube sein würde. Dennoch stand die Unsicherheit im Raum, ob die einzigartige Architektur, die sich an der inter nationalen Moderne orientierte, auch Menschen in Bern begeis tern würde. «Ich sagte schliess lich auch dem Eigentümer, dass wir Mut haben müssen für dieses Projekt. Denn das Projekt nur an die ideale Marktperspektive an zupassen, hätte die Zerstörung dieser einzigartigen Architektur und ihrem starken Ausdruck be deutet», so Tanner. Die Entschei dungsträger:innen waren schliess lich bereit, das Risiko einzugehen und sich hinter die Architektur zu stellen. Zusammen entwickelten die Planer:innen einen Wohnungs mix, der aus architektonischer und wirtschaftlicher Perspektive auch ohne Lift funktionierte. Drei Etap pen gewährleisteten eine sinnvolle Risikoaufteilung: Eine Etappe sollte immer erst dann gebaut werden, wenn sie vollständig verkauft war.

CHUTZEGRUEBE27kauft niemand›», erzählt Tanner mit einem GleichzeitigSchmunzeln.wussten

Tanner vermarktete die «Chutzegruebe» mit Leidenschaft: «Ich zeigte die Wohnungen sehr gern. Sie waren ein Paradies im Grünen, umgeben von einer wunderbaren Natur.» Mit dem Verkauf sämtlicher Wohnungen war die «Chutzegrue be» auch als Immobilie zum Erfolg geworden. Die mit Sichtbeton gerahmten Ausblicke ins satte Grün erzeugen ein starkes Bild, das zwischen Wildnis und Idylle schwankt

ZusammenarbeitSymbiotische In der «Chutzegruebe» ist die Zusammenarbeit von Investor, Architekt und Entwickler geglückt. Nicht zuletzt ist dies dem regen Austausch zu verdanken, der zwi schen den drei Parteien bis zum Verkauf der letzten Wohneinheit stattfand. An den nebstRuedinachWennfehlen.DabeialleBauherrensitzungenregelmässigenwarenjeweilsdreiPerspektivenvertreten.durfteeinguterHumornichtmanAndreaRoostheutederZusammenarbeitmitTannerfragt,sonennterKompetenzundPflichtbewusstseinden«oftbahnbrechendenHumor».

Für Tanner ist sie ein persön licher Meilenstein: «Für mich war die ‹Chutzegruebe› Learning by Doing. Den Grossteil, den man sonst im Studiengang Immobilien entwicklung lernt, lehrte mich die ‹Chutzegruebe›. Ich verdanke dem Projekt meinen Ruf.»

Für eine erfolgreiche Planungsauf gabe darf wohl neben guter Archi tektur auch eine Prise Menschlich keit nicht fehlen. «Ich verdanke dem meinenProjektRuf.»

Jede Wohnung verfügt über grosszügige Aussenbereiche

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Ruedi Tanner

sichtbarhinaussennachauchistAufbauräumlichekomplexeDer

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ÜBER GLEISENDEN

POSTPARC31Bern«PostParc»,Überbauung

Bern ist seit jeher geprägt von Brücken. Neben der Aareschlaufe brachte die Eisenbahnlinie im 19. Jahr hundert eine neue Ader in die Stadt, die es zu überbrücken galt. Die Schienen trennten Quartiere voneinander. Direkt über ihnen, auf Höhe des Hauptbahnhofs, liegt der heutige «PostParc», der zu einer wichtigen Verbindung für die umliegenden Stadträume geworden ist. Der grossmassstäbliche Umbau zu Beginn des 21. Jahrhunderts stärkte diesen verbindenden Charak ter. Basierend auf dem Wettbewerbskonzept «Stadt collage» von Andrea Roost brachte er mehr Klarheit in den gewachsenen Stadtraum.

Die Stadt Bern hat ihre historische Bebauung wesentlich der Aareschlaufe zu verdanken. Seit sich die Hauptstadt an der Wasser schlaufe ansiedelte, war die Über querung des Flusses ein Thema. Bald begann die Stadt am Ufer der Aare auf Brücken in allen erdenk lichen Variationen zu setzen. Sie sind die Verbindung zum Umland und fordern die Flussschlaufe als natürliche Grenze seit jeher her aus. Mit der Eisenbahnlinie hielt im 19. Jahrhundert eine zusätzliche Trennlinie Einzug in das Berner AlsStadtgebiet.derBahnhof Bern um 1900 vom Kopf- zum seresichumgestaltetDurchgangsbahnhofwurde,verschärftedieseTrennung.NochgrösAbschnittederStadtwaren

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Stadt der Brücken

nun durch die Gleise voneinander Immergetrennt.wieder kam es zu verschie denen Massnahmen, welche die Stadt trotz Trennlinien zusam menhalten sollten. Besonders am Hauptbahnhof zeigte sich das als schwieriges Unterfangen: Dort trennten die Gleise das Quartier Länggasse von der Kernstadt. Verbunden blieben sie durch eine DerBrücke.Grossteil des Bahnhofareals entstand in den Jahren zwischen 1957 und 1973. Seine gebauten Teile, zu unterschiedlichen Zeiten erstellt, wiesen einen heteroge nen Charakter auf. Über die Jahre bahnte sich ein unübersichtlicher Zusammenbau verschiedener Strukturen an. Mehrmals wurde der Bahnhof um- und weiterge baut, um die wachsenden Pend lerströme aufzunehmen und die damit einhergehende Erschlies sungs- und Benutzungssituation zu Anfangrevidieren.derNullerjahre zeigten sich auch im westlichen Teil des Bahn hofs Bern mehrere nationalenanstalteteDiegesamthaftlichAnschlusslösungdirektfreizentrumsichsolltesanierungsbedürftig.GrossbautenGleichzeitigdasdortangesiedelte,ingeschlossenePostbetriebswegfallen.Fürdasgrosse,werdendeGebäudevolumenüberdenGleisenwareinegefragt.DasbaukomplexeUmfeldsolltedabeiverbessertwerden.SchweizerischePostverdaraufhineineninterProjektwettbewerb

Einerseits wurden die umgestal teten und neuen Baukörper mit einer geradlinigen Formensprache Lange war es die Aare, aber später auch die Eisenbahnlinie, die Bern immer mehr zu einer Stadt der Brücken machte

POSTPARC33für Generalplaner-Teams, den schliesslich der Berner Architekt Andrea Roost gewann.

Trennen und Verbinden Das Gewinnerprojekt widmet sich dem Trennen und Verbinden von Räumen. Es nimmt am Narrativ teil, welches die Schichten des Berner Bahnhofs erzählen. Statt eine komplett neue Ordnung aus dem Boden zu stampfen, arbeitet der Entwurf mit dem Bestehenden: Im Sinne des Stadttheoretikers Kevin Lynch wird auf städtebauliche Bezugnahmen und das sinnvolle Zusammenbringen der an den Bahnhof angrenzenden Gebiete Ingeachtet.seinerSchrift «The Image of the City» hielt Lynch 1960 fest, wie sich Menschen eine kognitive Karte der Stadt anfertigen, in der sie sich bewegen. Die Auswer tungen seiner Studie laufen auf die Empfehlung hinaus, dass das Stadtbild bei Verdichtungen nicht weiter verunklärt, sondern in sei ner Lesbarkeit und Einprägsamkeit gestärkt wird. Im Zentrum des an Lynchs Er kenntnisse anknüpfenden Vor schlags für den «PostParc» stand die Absicht, mehr Klarheit in den städtischen Alltag hineinzubringen und bereits funktionierende Struk turen hervorzuheben. Dass damit auch ohne extravertierte bauliche Gesten der Anonymität und Ge sichtslosigkeit entgegengewirkt werden kann, zeigt der Um- und Weiterbau des westlichen Bahn hofareals an mehreren Stellen.

Mit dem Vorschlag setzten Roost und sein Team bewusst Akzente in dem bis dahin unruhig überbauten Areal. Neu erstellte Verbindungen – speziell auf Fussgängerebene –waren für eine unkompliziertere und klarere Navigation in und um das westliche Bahnhofareal vor gesehen.

Die anonyme Projekteingabe von 2005 trug den Namen «Stadt collage». Aus der Überarbeitung resultierte schliesslich das Projekt, welches die Stadtberner:innen heute unter dem Namen «Post Parc» kennen.

POSTPARC Der grosszügige Umbau des «PostParc» führte zu klareren räumlichen Strukturen und verbesserten Verbindungswegen 34

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Nutzungen im Zentrum

Das Projekt von Roost und sei nem Team bedeutete nicht nur neu bauen, sondern in erster Linie rückbauen, umbauen und weiter bauen. «Von erreichen.»Vollvermietungnutzte,lichPostter,QuadratmenigeeintenPraxenfürtungsflächenDienstleisdiesen-Bürosundkonn-wirbisaufpaarwe-Hundert-welchedieschliess-selbstdie Gehri,

POSTPARC36versehen. Ihre Volumen sind klar definiert, nehmen die grossen städtischen Fluchten auf und brin gen sie miteinander in Dialog. Das Länggass-Quartier, die Innenstadt und der westliche Bahnhofsbe reich werden durch die Ausrich tungen der Bauten entlang der In frastrukturlinien in klare räumliche Verhältnisse zueinander gesetzt. So betont etwa der 111 Meter lange Neubau entlang der Bahn linie deren trennenden Charakter. Das über den Gleisen umgebaute Längsvolumen des ehemaligen Paketzentrums hingegen markiert eine klare Verbindung zwischen den Quartieren südlich und nörd lich der Gleise. Das nebenan gelegene Hoch haus basiert ebenfalls auf bereits bestehender Bausubstanz und schafft eine Akzentuierung. Damit setzt es die östlichen und nörd lichen Teile des Hauptbahnhofs zueinander in Bezug. Schliesslich nehmen die verschiedenen Fassa den jeweils die dahinter liegenden, zum Teil bereits bestehenden Rohbauten auf und sind dadurch Gleichzeitigunterschiedlich.finden sich in der Horizontalität und Materialität ihrer Gestaltung Gemeinsamkeiten. Damit entsteht ein städtischer Ort, der sowohl Eigenständigkeit auf weist als auch verbunden ist mit seinem Kontext.

Reto

Immobilientreuhänder201220072005

Der Wegfall des Postbetriebszent rums wirkte sich aber auch auf die Raumnutzungen aus. Im Zentrum der Stadt wurde dadurch viel Fläche frei für Neues. Statt des Brief- und Paketumschlagplatzes findet sich an prominenter Stelle zwischen Altstadt, Länggasse und «City West» heute ein breites Dienstleistungsangebot.

Direkt angrenzend durfte Hans Wirz seit den 1990er-Jahren als Geschäftsführer der Gros se Schanze AG Erfahrungen mit unterschiedlichsten Nutzungen machen und das dort wichtige Netzwerk mit SBB, Post und Stadt Bern Nachbetreuen.derRealisierung von 2011 bis 2016 stand im «PostParc» Raum für 50 Geschäfte und Dienstleis ter:innen auf 40’000 m2 Geschoss fläche zur Verfügung. Auch dank der langjährigen guten Zusammenarbeit mit der Nach barschaft konnte Wirz Tanner die Erstvermietung von 30’000 m2 Bü rofläche für sich entscheiden: «Es ist eine geräumige Fläche, die es im ‹PostParc› zu vermarkten galt. Von diesen Dienstleistungsflächen für Büros und Praxen konnten wir bis auf ein paar wenige Hundert Quadratmeter, welche die Post schliesslich selbst nutzte, die Voll vermietung erreichen», sagt Immo bilientreuhänder Reto Gehri. Noch heute dauert die Vollvermietung an – und dies gemäss Gehri zu hohen Preisen für die Stadt Bern. Die bestehenden Betonkerne konnten wiederverwendet werden

Einige prägende Elemente konnten wiederverwendet werden. So sind etwa die ausbetonierten Kerne, die ehemals als Postlifte genutzt wurden, heute für die Erdbeben sicherheit zuständig.

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StadtraumVielschichtiger

Der Bahnhof Bern wird auch in Zukunft weiterwachsen. Das Projekt «Stadtcollage» bietet dafür eine vielversprechende Referenz. Einerseits, weil es zeigt, wie be stehende Baustrukturen integriert werden können. Andererseits trug der grosse Umbau zu einem klareren Stadtbild bei, das den Menschen mehr Orientierungs punkte und Wegeverbindungen bietet. Navigation, Angebot und Aufenthaltsqualität haben sich ver Mitbessert.dem «PostParc» ist eine Art von städtischer Identität entstan den, die zwar selbstbestimmt den Stadtraum formt, ihn jedoch nicht zu stark einnimmt. Die städtische Alltagserfahrung am zweitgrössten Bahnhof der Schweiz ist seither eine andere. Der westliche Bahn hof hat sich zum vielschichtigen Stadtraum entwickelt.

Vermietet an grosse wie kleine Firmen, haben die volumetrischen Grossformen des «PostParc» ein vielseitiges Gesicht erhalten. Auf Bodenebene sind es vor allem Gastronomiebetriebe, die das All tagsgeschehen beleben. Der mar kante Terrainunterschied ist ein weiteres prägendes Element der Aussenräume. Geschickt führt das Wegenetz über die unterschied lichen Terrainhöhen und bringt die Schichten und Orte des Bahnhofs an mehreren Stellen zusammen: Wo früher Umwege eingeschlagen werden mussten, bestehen heute direkte Verbindungen über Trep pen, Lifte und Rampen.

1 D ie Fassaden zeichnen sich durch horizontale Bänder aus 2 M it dem Umbau sind neue öffentliche Plätze entstanden, die zu einer lebendigen Stadtatmosphäre beitragen S ituationsplan der Überbauung «PostParc» 1

Die verschiedenen Ebenen.einteDerweilenMobiliarAussenräumePlatzanlagenöffentlichengingDiesehofs.schliesslichstrasseschenTram-bunden:verständlicherVerkehrsinfrastrukturenöffentlichensindheutemiteinanderverdiePostautostation,dieundBushaltestellenzwiHirschengraben,SchanzenundLaupenstrasse–unddieGleisedesBahnZunahmevonVerbindungenauchmiteinerZunahmevonOrteneinher:Mehrereundverkehrsfreiesindmitstädtischembestückt,daszumVereinlädt.«PostParc»,sowieerheusteht,istfürdieBevölkerungMehrwertaufverschiedenen

3

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41 BERN BRÜNNEN Bümpliz«Holenacker»,Quartier

DIE ERWEITERUNGEINERGESCHICHTESTADT-

Mit einer Plakatwerbung erreichte Wirz Tanner 2011 schweizweite Aufmerksamkeit. Beworben hat die Firma darin das Format der Architekturwettbewerbe. Die Werbung sollte das Stadtentwicklungsprojekt «Bern Brünnen» sichtbarer machen. Das geplante Stück Stadt war seit den 1970er-Jahren ein Traum geblieben. Nach über zwanzigjähriger Bauphase ist dieser Traum 2022 Wirklichkeit geworden. Wirz Tanner durf te an verschiedenen Meilensteinen seiner Planungsgeschichte mitwirken. Sie erzählt von den Höhen und Tiefen beim Erweitern von Städten.

1 Bericht Brünnen: ein neuer Stadtteil entsteht» (Bern, 1973), Einleitung. 2 Vgl. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK: Siedlungen der Nachkriegszeit in Bümpliz-Bethehem (Bern, 2018), Seiten 46 bis 53.

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Von Ikonen inspiriert «Brünnen ist in mancher Bezie hung ein Testfall!»1, schrieb 1973 der amtierende Stadtpräsident von Bern. In dieser Zeit zeigte man sich gegenüber diesem Test noch zu versichtlich. «Bern Brünnen» sollte ganz in der Tradition der nach kriegszeitlichen Neubauentwick lungen der Hauptstadt stehen. Das «Tscharnergut» (Realisierung 1958–1965), das «Schwabgut» (Realisierung 1965–1969) und der «Gäbelbach» (Realisierung 1965–1968) waren durchaus grossmassstäbliche Eingriffe in die Stadtlandschaft. Mit ihnen wagte Bern baukulturelle Experimente. Akute Wohnungsnot und bessere Rentabilität trieben sie an. Zwischen den 1950er- und 1970erJahren erhielt Bern dadurch Tau sende neue Wohnungen. Während nur 15 Jahren wurde der Westen der Stadt zur prägenden Silhouet te der Nachkriegszeit. Ihre Wohn türme und -scheiben ragen dort noch heute mutig in die Höhe. Die Gebäude sind Zeugen einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, vor allem die logistische und orga nisatorische Leistung beeindruckt. Noch heute prägen die charakte ristischen Betonbauten nicht nur das Bild der Stadt, sondern auch die Identität ihrer Bewohner:innen. Einige von ihnen sind zu Ikonen geworden. In Liedtexten, Poesie und Filmen wurden sie bis weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Sie verkörpern einen Teil der Stadtgeschichte, während der die Einwohnerzahl von Bern rasant wuchs. Ihren bisherigen Höchststand erreichte sie 1965 mit 163‘084 Einwohner:innen.

In dieser Stimmung des Aufbruchs entstanden erste Ideen für das Stadtquartier «Bern Brünnen» als Teil einer Bandstadt, welche träumen.grösserJeihrenVernetzunggenossenschaftenaufSiedlungsprojektereich.1970er-JahreDerterschreiben20.StadterweiterungsgeschichtediedesJahrhundertseuphorischweisollte.Pioniergeistder1950er-biswarvoraussetzungsDiegrossmassstäblichenfusstenauchderstarkenRollederBauunddergutenderArchitekt:innenmitAuftraggeber:innen.2grösserdieParzellen,destokonntendiePlaner:innenDiesePlanungsbasisbot

Nachkriegszeit

auch für das Grossprojekt «Bern Brünnen» PlanungsvorlagebereitsdiedemwachsendeauchgegenübereinenDiesollte.14’00020’000Brünnen,PläneVoraussetzungen.vielversprechende1971entstandenfüreineStadterweiterungindieWohnraumfürEinwohner:innenundArbeitsplätzeschaffen1970er-JahreläutetenjedochKurswechselein.DieSkepsisGrossprojektenwuchsinBern.DieÖlkriseunddieHochhauskritikkamenProjekt«BernBrünnen»inQuere.WiederStadtpräsident1973indergescheitertenfesthielt,hatte

3 Bericht «Brünnen: ein neuer Stadtteil entsteht» (Bern, 1973), Einleitung.

der Begriff «Wachstum» mittler weile an Strahlkraft verloren.3

Die Planung des eingestellt.StadterweiterungskonzeptsambitioniertenwurdeEinzigdieÜberbauung «Holenacker» (Realisierung 1979–1986), geplant als Auftakt des neuen Stadtteils «Bern Brünnen», konnte unter Gegenwind gerade noch realisiert werden. 1978 erarbeitete der Gemeinde rat ein neues Gesamtkonzept für Brünnen aus. Mit Wohnraum für 6’000 Menschen war das Vorha ben wesentlich bescheidener. Die dafür erforderliche Überbauungs ordnung wurde 1984 an der Urne knapp abgelehnt. Die aufkommenden finanziel len Probleme der 1980er-Jahre führten schliesslich dazu, dass das Projekt «Bern Brünnen» in den Schubladen verschwand. In den 1990er-Jahren wurden die Bestrebungen in Brünnen erneut aufgenommen. Mit der Annahme der neuen Planung war politisch 1991 ein wichtiger Meilenstein gelungen. Diesmal verunmöglichte jedoch der Zusammenbruch des Immobilienmarktes deren Realisie rung. Das «Tscharnergut» ist eines der ikonisch gewordenen Neubauprojekte, die Berns Westen seit der begleiten (Aufnahme aus dem Jahr 1969)

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Umsetzung einen grossen Schritt näher gerückt. «Lange hörte man, der Fleck sei zu weit aussen, unattraktiv, angrenzend an die damals wenig beliebten Wohnlagen Bethlehem und Bümpliz – zu riskant.» Ruedi Tanner Wenn der Markt den Visionen im Weg steht Während die politischen Voraus setzungen für «Bern Brünnen» in den 1990er-Jahren immer besser wurden, wackelte das finanzielle Gerüst. Ruedi Tanner, damals ein junger Berufsmann, erlebte den einbrechenden Immobilienmarkt der 1990er-Jahre hautnah mit. Er arbeitete damals noch im Immobi liengeschäft seiner Eltern Inge und Rolf Tanner. Sie engagierten sich persönlich stark, aber schliesslich leider erfolglos für die Entwicklung von «Bern Brünnen». Einige Inves

44 BERN BRÜNNEN 1995 verabschiedete die Stadt ein neues räumliches Stadtentwick lungskonzept (STEK 95). Darin präsentierte sie «Bern Brünnen» als einen der Planungs schwerpunkte. Je näher die Jahrtausendwende rückte, umso stärker wurde schweizweit der Entwicklungsfokus auf urbane Wohnquartiere gelegt. Die Wohn fläche pro Person war seit der Nachkriegszeit stetig gewachsen. Dadurch wurden neue Wohnungs grundrisse bevorzugt, die gerne in Form von Neubauprojekten im ausserstädtischen Umland reali siert wurden. Die Stadt Bern, unterdessen seit Jahren von Abwanderung betroffen, wollte eine weitere Schrumpfung ihrer Bevölkerung verhindern. Um die Menschen aus dem Umland zurückzuholen, wollte man attraktive Wohnungen bieten, die den veränderten Bedürfnissen Rechnung trugen. Alle Zeichen standen auf Ausbau, denn auch die Leerstandsziffer der Wohnun gen lag bei unter 0,5 Prozent und damit weit tiefer als die emp fohlenen zwei Prozent für einen funktionierenden Wohnungsmarkt.

Diese Entwicklungen begünstigten schliesslich eine Auseinanderset zung mit den grossen Baulandre serven in Brünnen.

Mit der Ausarbeitung der STEK 95 erfolgte schliesslich ein städte bauliches Konzept für «Bern Brünnen», das politisch sowie planerisch funktionierte. Wichtiger Teil davon war die Idee einer Kom bination von Wohnen und einem Freizeit- und Einkaufszentrum. Weil das neue Konzept vorsah, dass mit «Bern Brünnen» auch die Lebensund Wohnqualität der Quartiere Bümpliz und Bethlehem verbessert würde, war die Einbettung einiger angrenzender, ikonisch geworde ner Grossprojekte – namentlich der «Gäbelbach», der «Holenacker» und das «Tscharnergut» – in die Überbauung Brünnens gefordert. «Bern Brünnen» sollte mitunter Platz für eine neue Primarschule, einen Kindergarten, eine Tages schule sowie Kinder- und Tages stätten bieten. Grosszügige Grünund Erholungsräume waren Teil des auchwarrestlichenTore.NamenüberregionaleLibeskindNachBernerwurdeDiekaufszentrumüberregionalerundeinBrünnen»vorlage.minentenlichenAuchStadterweiterungskonzepts.dieAnbindungandenöffentVerkehrbildeteeinenproFaktorinderPlanungsInsgesamtsollte«Bern2600Einwohner:innenneuesZuhausebietenund800ArbeitsplätzedurchdasFreizeit-undEinschaffen.neueÜberbauungsordnung1999anderUrnedurchdasStimmvolkangenommen.derArchitekturvonDanielerbaut,eröffnetedasZentrummitdem«Westside»2008seineDurchdieAufteilungderFlächenin21BaufelderdasGrossprojektschliesslichinSachenWohnraumder

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tor:innen, die er bis dahin beglei ten durfte, liessen ihn jedoch mit Mut in die gebaute Zukunft Berns Nachblicken.dem Ja des Stadtberner Stimmvolkes zum Verkauf des städtischen Wohnbaulandes in Brünnen im Jahr 2002 war von politischer Seite nun definitiv grünes Licht gegeben für eine Um setzung. 2006 kam der ehemalige Stadtpräsident Klaus Baumgartner auf Tanner zu und es resultierte eine konkrete Umsetzungsstra tegie. Im Fokus standen dabei die Baufelder 10, 11 und 12, die zu dieser Zeit der Stadt Bern gehör ten. Sie wollte diese wie geplant verkaufen, jedoch ohne Erfolg. In der angespannten Marktsituation Investor:innen für Brünnen zu fin den, schien nahezu unmöglich.

Viele hatten Brünnen abgeschrie ben und Tanner hatte das Gefühl, mit dem Projektvorhaben gegen den Strom der Zeit zu schwimmen: «Lange hörte man, der Fleck sei zu weit aussen, unattraktiv, angren zend an die damals wenig be liebten Wohnlagen Bethlehem und Bümpliz – zu riskant.» Baumgartner schlug vor, die drei Baufelder im Baurecht mit der Auflage abzu geben, innerhalb von drei Jahren einen menzunötigenTannerDevelopmentWettbewerbsbegleitergieEingungBaulandRechtfinden.tor:inneninnerhalbstehendurchzuführen.ArchitekturwettbewerbSobaldeinProjektwürde,wärenwiederumvonzweiJahrenInvesfürdieRealisierungzuAnsonstenwürdemandasaufBauenverlierenunddaswürdeohneEntschädiandieStadtzurückgehen.ersterVersuchdieserStrateglückteaufdemBaufeld11.NüeschhattesichmitWirzzusammengetan,umdieMittelundKompetenzengewährleisten.BeideübernaheinenDrittelderanfallenden

Lange Zeit blieb das Areal des heutigen Stadtquartiers «Brünnen» trotz grosser Pläne eine grüne Wiese

46 Nach Bauabschluss: das gesamte Brünnen-Areal im Jahr 2022 BERN BRÜNNEN

47 BERN BRÜNNEN

envertraukann,durchfWettbewerbTeamnerWenntekturzugehört‹Rentabilitätmichliessenwissen:fürunsguterArchi-dazu.WirzTan-miteinemdiesenührendann-wir.›»

Dasbewerben.Plakat

Ruedi Tanner Das Wettbewerbsverfahren ge samthaft begleiten konnte Wirz Tanner schliesslich nochmals auf den Baufeldern 19, 20 und 21. Wiederum in Zusammenarbeit mit Nüesch Development wurde ein öffentlicher währendnenweileTannerdurchgeführt.Projektwettbewerbwar–dankseinermittlergrossenErfahrunginBrün–wichtigerAnsprechpartnerdesWettbewerbs.

erreichte schliesslich schweizweit Aufmerksamkeit in der Baubranche, da die bekannte Architekturzeitschrift «Hoch parterre» unter der Überschrift «Private Plakatwerbung für die SIA 142» darüber berichtete.3 In der Folge kam der Wettbewerb auf dem Baufeld 12 zustande, welchen die Architekten Gmür Gschwentner aus Zürich gewannen.

3 In:«hochparterre.wettbewerbe 5», Jahrgang 39, Heft 5 (Zürich, 2011), Titel und Seite 1.

«Sie

48 BERN BRÜNNEN Kosten. Es brauchte jedoch noch einen weiteren Investor, der später das Ganze übernehmen würde. Diesen konnte Tanner schliesslich in Ulrich Hofstetter finden, mit dem er schon während der Immobilien krise erfolgreich Projekte realisiert hatte. Damit war die Finanzierung Ingesichert.denVordergrund rückte nun die architektonische Umsetzung. Der öffentliche Projektwettbewerb folgte 2007, wobei 16 Projekte ein gereicht Gewonnenwurden.hatihn das Berner Architekturbüro matti ragaz hitz mit dem Projekt «Rear Window». Das Projekt punktete durch seine u-förmige Bauweise, die einen Innenhof für die Bewohner:innen schaffen sollte. Die Erstvermietung lancierte Wirz Tanner im Jahr 2011. Bis heute ist die Liegenschaft bei der Firma in NochVerwaltung.vorBaubeginn von «Rear Window» ist ein Bauunternehmer bei Tanner erschienen. Dieser er zählte ihm von einer Pensionskas se, die am Projekt «Bern Brünnen» interessiert war. Aufgrund der Wettbewerbspflicht wollte diese jedoch nicht einsteigen. Es stand der Vorbehalt im Raum, dass durch ein Wettbewerbsverfahren eine Architektur begünstigt werden könnte, welche die Immobilienseite zu wenig einbinden würde. Tanner, der von der Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und guter Architektur überzeugt war, suchte mit der Pensionskasse das Ge spräch. «Sie liessen mich wissen: ‹Rentabilität gehört für uns zu guter Architektur dazu. Wenn Wirz Tanner mit einem Team diesen Wettbewerb durchführen kann, dann vertrauen wir.›» So entstand das Plakat, auf dem Wirz Tanner als Immobilienfirma mit der zunächst rätselhaft wirken den Zahl «142» warb. Die bekannte Ordnung 142 des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenver eins kurz SIA 142 regelt das Durchführen von Architekturwett

Vom Studio bis zur 5.5-Zimmer wohnung bietet die Überbauung verschiedenste Wohnangebote. Wirz Tanner erhielt wiederum die Erstvermietung und verwaltet das Objekt noch heute.

49 BERN BRÜNNEN

Als die Architekturbüros in der Fragerunde des Wettbewerbs genauer wissen wollten, an wen sich die Wohnungen richten soll ten, erläuterte er die Gesamtidee der drei Baufelder mit einer Prise Humor: «Es sollen drei Baukörper entstehen: Auf Baufeld 20 werden Serviced Apartments angeboten. Diese eignen sich für die Lebens situation, in der du plötzlich single bist oder sonst kurzfristig eine möblierte Bleibe suchst. Die Dauer des Aufenthalts ist flexibel. Du bleibst also so lange, bis du wieder Fuss gefasst hast. In der Folge kann eine 1.5- bis 2.5-Zimmer wohnung nebenan auf Baufeld 19 gemietet werden. Wächst der Haushalt wieder, bietet sich ein Umzug in eine 3-Zimmerwohnung auf Baufeld 21 an. Dort kann man sich gemütlich zusammen einrich ten, bis es wieder auseinander geht. Aber zum Glück ist dann das Baufeld 20 immer noch nebenan und kann dich auffangen.» Ein Konzept für das ganze Leben also, in dem für Tanner eben auch der Humor nicht zu kurz kommen sollte. Das Gewinnerprojekt von LYRA Lara Yves Reinacher Archi tekten aus Zürich bestand aus zwei Riegeln und einem Punkt haus, die das dreiteilige Wohnprin zip mühelos aufnehmen konnten. Urban schwierig, aber beliebt Heute ist Brünnen Neubau, Komfort, Aufbruch, Wachstum. Es weht ein frischer Wind durch die gebaute Umwelt. Das Quartier ist zu einem neuen Zuhause für rund 2’600 Menschen geworden. Eines findet man in «Bern Brün nen» jedoch nicht wirklich: das urbane Stadtleben. Dreh- und Angelpunkt ist das «Westside», ein grosser, in sich geschlossener EsBaukörper.gibtnicht das gemütliche Café um die Ecke, auch nicht die Bäcke rei von nebenan. Das urbane und geschäftige Stadtleben ist nicht entstanden. Ein Grund liegt darin, dass die meisten Erdgeschosse der vielen Neubauten Wohnungen beinhalten. Die Wohnüberbauung auf Baufeld 19 bietet 1.5- bis 2.5-Zimmerwohnungen

Das ist mitunter dem Überbauungs plan und der Wirtschaftlichkeit geschuldet: Einerseits durfte man nicht höher als vier Stockwerke bauen, andererseits verlangte die wirtschaftliche Rentabilität damit nach Wohnungen auf Erdgeschoss ebene. Tanner meint dazu: «Ich rechnete damit, dass «Bern Brün nen» zugerneQualität.DiewertederWahrheitBümplizklar,vonerfahrenGleichzeitigkönnen.baulicheimdeshalbinnachhabenAgglomerationscharakterwürde.DennmeinerAnsichtgabeseinStockwerkzuwenigderÜberbauungsordnungundwürdeauchkeinGewerbeErdgeschossmöglichsein.»DieDichtehättehöherseinhatTannerBestätigunginseinerEinschätzungBrünnen:«FürmichwarimmerdassdieserschlechteRuf,derundBethlehemanhängt,innichtzutrifft.Aufkeinem21BaufeldergabesnennensLeerständeüberdieJahre.WohnungenhabeneineguteDieMenschenwohnendort.»Undschliesslichbleibtfragen,obnichtdaszuletztzählt.

In Brünnen war Tanner letztendlich persönlich in neun von 21 Baufel dern engagiert. Bei einigen Bau feldern war er als Entwickler, bei anderen als Jurymitglied involviert. Mehrere Wohnprojekte sind heute bei Wirz Tanner in der Verwaltung. Auch in der Firmengeschichte nimmt «Bern Brünnen» damit einen wichtigen Teil ein. Abdruck einer vielschichtigen Geschichte Die Entstehungsgeschichte von «Bern Brünnen» ist geprägt von Konflikten, Träumen, Visionen und Krisen. Die vielen gescheiterten Versuche haben alle eine Rolle auf dem langen Weg zur Realisierung gespielt. Damit trugen zum Gelin gen von «Bern Brünnen» sehr viel mehr Menschen bei, als wir heute der offiziellen Projektdokumenta tion entnehmen können. Dass die Geschichte ihre Wendungen neh men kann, haben die Planer:innen bereits in ihrem Planungsbericht 1973 antizipiert: «Erstens: Brünnen wird nicht an einem Tag gebaut!

In der langen Zeit der Realisierung entwickeln sich die architektoni schen Auffassungen weiter. Aber auch die Wohngewohnheiten und damit die Anforderungen an künftige Bauten sind Wandlungen unterworfen.»4Trotzvielerfehlgeschlagener Pla nungsversuche ist «Bern Brünnen» rund 50 Jahre nach seiner Erstkon zeption gebaute Realität geworden. Die Entstehungsgeschichte zeigt auch, wie wichtig die Zusammenar beit von Bauträger:innen, Architek tur und Politik für die Realisierung unserer Städte ist. Die Finanzierungsfrage war ein besonders fragiles Element des Stadterweiterungsprojekts. Ebenso war es die Architektur. Und diesbe züglich behielten die Planer:innen von 1973 in einem weiteren Punkt recht: «Zweitens: Für eine Reihe von grösseren Bauaufgaben […] werden Wettbewerbe durchge Dieführt.»SIA 142 war für das Projekt «Bern Brünnen» der Weg zum Ziel. Und gerade das hat Wirz Tanner wie wenige andere Immobilienfir men der lokalen Architekturszene Nichtnahegebracht.nurbescherte ihnen das Plakat Publizität bis nach Zürich, auch sind aus mehreren Wett bewerben namhafte Schweizer Architekturbüros hervorgegangen. «Bern Brünnen» hat schliesslich als Experiment anderer Art an die pionierhaften Nachkriegssiedlun gen seiner Umgebung anknüpfen Überkönnen.die Erfolge und Misserfolge lässt sich streiten. Der Westen Berns bietet jedenfalls eine der spannendsten Schweizer Stadtent wicklungsgeschichten der letzten 100 Jahre.

4 Bericht Brünnen: ein neuer Stadtteil entsteht» (Bern, 1973), Seite 13.

50 BERN BRÜNNEN «Die Wohnungen haben eine gute Qualität. Die dort.»wohnenMenschengerne

Ruedi Tanner

51 BERN BRÜNNEN Die Plakatwerbung von Wirz Tanner für die SIA aus dem Jahr 2011 sorgte über die Stadtgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit Das Projekt «Rear Window» des Berner Architekturbüros matti ragaz hitz gewann den ersten Wettbewerb in Brünnen, an welchem Wirz Tanner mitwirken durfte Wohnung in der Überbauung «Weites Land», Baufeld 12Wohnung in der Überbauung «Cloud Flats», Baufeld 19

52 RETO GEHRI Immobilientreuhänder PORTRÄT

EIN

Welche Eigenschaften müssen Immobilientreuhänder:innen haben, um beruflich erfolgreich zu sein? Reto Gehri, Mitglied der Geschäftsleitung bei Wirz Tanner, zählt dazu Offenheit und Empathie. Es sind Eigenschaften, die viele als unbedeutend für diesen Beruf sehen. Sind es nicht rationale Argumente, ein Händchen für Zahlen und ein Riecher für vielver sprechende Investitionen, die zum Erfolg führen?

GeschäftsleitungerweitertenderMitgliedGehri,Reto PREISES?DESKALKULATORGUTEN

Wer dem erfahrenen Immobilientreuhänder zuhört, beginnt zu verstehen, weshalb man mit solchen Vorstellungen falschliegt.

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PORTRÄT

PORTRÄT54

Über die Hälfte der Liegenschaf ten, die Gehri verkauft – oder seltener auch vermietet –, gehören keinen professionellen Immobilien firmen, keinen Pensionskassen, keinen öffentlichen Bauträgern, sonstigen Zusammenschlüssen oder juristischen Personen. Sie ge hören stattdessen privaten Eigen tümer:innen. Von diesen Objekten fällt die Mehrheit in die Kategorie der Wohnimmobilien. Eine Kate gorie, in der wir täglich einen Teil unseres Alltags verbringen und mit der wir viel Herzblut und Eigensinn Dasverbinden.«Wie» des Wohnens ist vielen Menschen wichtig; wenn nicht explizit, so meist doch implizit. Denn Wohnen betrifft nicht nur die Grundbedürfnisse, sondern auch die Vorstellungen, die jeder und jede vom guten Leben hat. Woh nen ist eine persönliche Angele genheit, in der sich Bewusstes wie Unbewusstes aus dem eigenen Leben widerspiegelt. Auch des halb ist der Verkauf von Wohnim mobilien nicht immer einfach.

Die meisten Verkäufer:innen dieser Wohnliegenschaften sind oft ge nau die Menschen, die selbst jahr zehntelang darin gewohnt haben.

Ein paar Tausend Quadratmeter Bürofläche im professionellen Um feld zu vermieten, könne deshalb schnell einmal einfacher sein, als eine kleine Zweizimmerwohnung in Randlage zu verkaufen, so Gehri. Die Wohnung der Eltern, das eigene Einfamilienhaus in familienfreundlicher Lage oder die Ferienwohnung in den Bergen sind die klassischen Mandate, die sein Tagesgeschäft ausmachen.

Und Wohnarchitektur ist Trägerin von Lebensgeschichten: Unwider rufliche Erinnerungen verbinden uns mit unserem Elternhaus, mit dem Haus, in dem wir aufgewach sen sind oder auch jahrelang gear beitet haben. Und genau auf diese Erinnerungen trifft Gehri, wenn die – oft nicht einfache – Entscheidung zum Verkauf gefallen ist.

Es geht um Fragen der eigenen Identität, der OnkelweiseEineverschiedeneWeltbilderkontrastierendeFamiliengeschichte,VorliebenundundoftgrundsätzlichSelbstverständnisse:TanteverstehtsichbeispielsalsrationaleVerkäuferin,derwillsichalssozialerEigentü Menschen

Ein Gespür für

passt«Deshalbder Job super zu mir.»

PORTRÄT55mer für eine nachhaltige Nutzung einsetzen. Beteiligte bringen alle ihre individuellen Lebenseinstel lungen in die Verhandlungen mit ein. Dort treffen sie aufeinander und werden dadurch besonders Wassichtbar.sich im ersten Moment als ra tionales Argument zeigt, entpuppt sich auf einer zweiten Ebene nicht selten als emotional motiviert. Welche Argumente in die Debatte gebracht und verteidigt werden, kann auch von Angst, Neid oder angestauter Wut geprägt sein. Für Gehri ist der Umgang mit solchen Faktoren liensektor.bürokratischengezeichnetesfürtreuhänder:inUmniertvondaslichOberhandden,Wogennichtundsind.ernstunsereDienstleister:innenalle.Platz.«Vorurteilematchentscheidend:sinddavölligfehlamManmussoffenseinfürAlsImmobilienprofissindwirundhabenKund:inneninersterLiniezunehmenalsdas,wassieVerständnisistsehrwichtiggehörteinfachdazu.ManistPartei,sondernVermittler.»glättenundKonsensfinohnedassdieEmotionendiegewinnen.DiesbezügistesvonVorteil,dassGehripsychologischeFunktionierenMenschenschonimmerfaszihat.gutimJobalsImmobilienzusein,brauchtesGehrimehralsnureinausVerständnisfürdieAbläufeimImmobi

Reto Gehri Vor allem braucht es ein diploma tisches Gespür für Menschen und Erfahrung im Umgang mit Ängsten und Sorgen bezüglich der Wohnund Lebenssituation. Das mag zunächst überraschend klingen – machen doch Kauf- und Mietver tragsabschlüsse emotional einen eher kühlen Eindruck. Unterschrie bene Verträge stehen jedoch erst am Ende eines oft herausfordern den Prozesses.

mittler.»sondernnichtdazu.hörttigistVerständnisfehlsind«VorurteiledavölligamPlatz.sehrwich-undge-einfachManistPartei,Ver-

Der richtige Preis wird auch durch die vielen Begegnungen und Gespräche geprägt, in denen unterschiedlichste Menschen als Verkäufer:innen, Käufer:innen, Mieter:innen und Eigentümer:in nen ihre Interessen und Anliegen äussern. Und da kann es in der Tat zu Unstimmigkeiten kommen, wie Gehri nur zu gut aus eigener Berufserfahrung weiss.

Für ihn ist klar, dass Empathie der Konfrontation in solchen Situa tionen vorzuziehen ist: «Was mir in diesem Job hilft, ist, dass ich von meinem Naturell her eher ein Diplomat und Vermittler bin. Ich gehe nicht so sehr auf Konfron tation, sehe auch nicht immer nur eine Seite. Ich scheue mich sogar ein wenig vor Konfrontationen, vielleicht auch grundsätzlich in meinem Leben. Ich fühle mich wohler, wenn alles etwas geord neter ist. Deshalb passt der Job super zu mir.» Obwohl sich der Konsens aller Beteiligten schliesslich im unter schriebenen Vertrag zeigt: Für Gehri ist ein Auftrag erst erfolg reich, wenn alle Beteiligten auch mit gutem Gewissen unterschrei ben. «Wenn das funktioniert, ist das die schöne Seite meines Berufs», sagt Gehri und fügt hinzu: «Werde ich selbst hie und da mal zur Zielscheibe, ist das die unan genehme Seite meines Berufs. Ein Projekt scheitert an den Men schen, nicht an den Objekten.»

Reto Gehri

Denn dass jede Immobilie ihr eige nes Potenzial bietet, hat ihn seine über 20-jährige Tätigkeit in der Immobilienbranche gelehrt: «Rein auf Immobilien bezogen, kann ich mich nicht erinnern, dass wir je die Erfahrung gemacht hätten, dass es hoffnungslos ist.» Überraschender weise trifft diese Aussage auch auf Problemliegenschaften zu, die der Immobilientreuhänder nur zu gut kennt: demgutenImmobilienman,amschaften«Gewitterwetter-LiegensindfürdieAnalysesogarinteressantesten.Daranerkenntdasseskeineschlechtengibt,sondernnureinenundschlechtenUmgangmitGebauten.»

«Rein auf Immobilien bezogen, kann ich mich nungslosdassmachtfahrungwirerinnern,nichtdassjedieEr-ge-hätten,eshoff-ist.»

Reto Gehri Seinen Weg in der Immobilienbran che bezeichnet Gehri als den «ganz klassischen»: 1986 hat er die kauf männische Lehre bereits in einer Immobilienfirma begonnen. Nach der Lehre arbeitete er zunächst als Immobilienbewirtschafter. Auf den Abschluss der Ausbildung zum eidg. dipl. Immobilientreuhänder folgte der Schritt in die Spezialdis ziplin Immobilienvermarktung. Im Rahmen der 2015 vollzogenen Kooperation zwischen der Wirz Tanner Immobilien AG und der MATRIX Immobilien AG ist er Teil von Wirz Tanner geworden. 2022 erfolgte der Eintritt in die erweiterte Geschäftsleitung. Ob Alter oder Er fahrung oder beides – mit der Zeit gewinne man auch an Glaubwür digkeit, so Gehri. Die Vermarktung ist mittlerweile sein Kernbereich. Der Geschäfts zweig ist breit gefächert und beinhaltet vom Vermitteln von Gewerbeflächen über Schätzungen bis hin zum Verkauf verschiedene ausPreisRolleVieleVorstellungenSchlussihreunterschiedlichausgeklammertAufgabenAuchAuftragsvolumen.beigrossmassstäblichenkannderMenschnichtwerden.DennsodieAufträgeundRahmenbedingungensind:AmspiegelnsichimmerdiederMenschendarin.Faktorenspielendabeieineundwirkensichauchaufdenaus.EintypischesBeispielGehrisAlltag:«Wenneinem

PORTRÄT56

selbst etwas gehört und es zum Verkauf kommt, neigt der Mensch dazu, sein Eigentum wertmässig zu Undüberschätzen.»genauansolchen Faktoren, bei denen die eigene Identität mit wirkt, können Mandate auch schei tern. Klare Trennlinien zwischen Markt und Psychologie sind weder erstrebenswert noch realistisch. Für Gehri ist es deshalb besonders wichtig, Immobilien gemeinsam mit den Auftraggeber:innen zu besich tigen. So erhält er ein Gefühl für die Menschen und den Ort. Zudem verlangt eine gute Einschät zung auch nach einem genauen Inspizieren der Liegenschaft: Wie ist die Lärmbelastung tatsächlich? Wie ist die Belichtungssituation? Welche Sichtbeziehungen gibt es vor NachhaltigesOrt? Verkaufen oder Ver mieten berücksichtigt schliesslich die menschlich und architektonisch komplexe Situation, in der sich die gebaute Umwelt befindet. Und die beinhaltet eben mehr als nur ein paar zusammengefügte Baumate rialien mit einem Preisschild.

PORTRÄT57 EuropaplatzamBüroräumlichkeitenneuendieinTannerWirzzog2015

Die 20 Jahre, in denen Ruedi Tanner nun schon als Partner der Wirz Tanner Immobilien AG unterwegs ist, haben ihm Berns Westen nahegebracht. Viele der grösseren Entwicklungsprojekte, die auch in diesem Buch zu finden sind, haben den Westen von Bern in den letzten Jahrzehnten erneuert, verdichtet, weiter gebracht. Nicht nur Wirz Tanner, auch Tanner selbst ist schliesslich 2020 nach Bümpliz gezogen. Für seinen neuen Lebensmittelpunkt durfte er im Rahmen des Wettbewerbs «Ausserholligen» im selben Jahr einen Text über den Entwicklungsschwerpunkt im Westen Berns schreiben. Lesen Sie ihn auf den folgenden Seiten selbst und erfahren Sie, weshalb Bern (auch) eine Weltstadt ist. PULS IM VONWESTENBERN

DER

59 WESTEN VON BERN «Europaplatz»Gebäude

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durch den Fabriknamen «Gang loff» verdrängt. Gangloff stellte Nutzfahrzeuge her und ist heute europaweit im Kabinenbau für Bergbahnen ein Begriff. Die florierende Wirtschaftspro duktion brauchte Tausende von Arbeiter:innen. So erstaunt es nicht, dass rund um Ausserholligen riesige Wohnkomplexe mit einem Ausländeranteil von bis zu 40 Pro zent entstanden. Ein wirtschaft licher Aufbruch, wie wir ihn zum Beispiel von MAILAND kennen. In den letzten Jahrzehnten zogen die meisten Produktionsbetrie be weg und hinterliessen grosse Areale, welche zuerst als Unorte galten und heute mehr und mehr eine innere Verdichtung erfahren.

Die Firma Hasler produzierte in den 1960er-Jahren im Quartier mit über 6’000 auchderliefertepraktischTelefonapparate,Mitarbeiter:innenversorgtedamitdieganzeSchweizundauchinsAusland.GanzIndustriegläubig,wurdederName«Ausserholligen»

Spät nachmittags steht die Sonne tief im Westen von Bern und im Osten beginnt sich die Alpenket te langsam rot einzufärben. Wir schauen aus dem 3. Stock des neuen Wohn-, Geschäfts- und Kulturgebäudes am Europaplatz Richtung Norden. Dort drüben auf der anderen Seite des Weyermannshaus-Bads gas tierte vor 66 Jahren zum letzten Mal der Formel-1-Zirkus. Am Renn sonntag pilgerten alle Jahre über 100’000 Besucher:innen an den Grand Prix Suisse. Ausserholligen und Weyermannshaus genossen mit dem angrenzenden Bremgar tenwald in der Generation unserer Grosseltern Weltruf, heute ver gleichbar mit dem Grand Prix von SINGAPUR Das Weyermannshaus-Bad kennt aber nicht nur Motorenlärm. Die grosszügige Parkanlage lädt zur Erholung ein. Mit einem Volumen von 25’000 m3 gilt es als das grösste Wasserbecken von West europa, etwas, das man wohl eher in BERLIN vermuten würde. In der Zeit nach dem Grand Prix Suisse setzte der Wirtschaftsaufschwungweltweiteein und machte auch vor dem damaligen Entwicklungszentrum nicht Halt.

Manifest für eine Metropole

Weyermannshaus-BadzumNordenRichtungEuropaplatzvomBlick

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62 Der Westen von Bern mit Blick auf den Europaplatz, das Weyermannshaus-Bad, den Autobahnviadukt sowie den Bremgartenwald WESTEN VON BERN

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Als die Verantwortlichen dem Platz vor sechs Jahren den Namen «Europaplatz» gaben, galt das in der Wahrnehmung einiger Ber ner:innen als grössenwahnsinnig – für andere war es der Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses.

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Aus den Baracken des BernersollgegenübernunArealAufdemGartengekröntengutdichtenSprachenwirrwarrGrillierenbergärtenwegWirdasGanzen,undnachgebaut.zähligenTausendeneinerBesucher:innen.wirModell-Eisenbahn-ClubsBernerhörenbegeisterteStimmenvonDawurdeaufFlächevonrund100m2invonStundenmitunDetailsdiehalbeSchweizJedeseinzelneDetailjedeFiguralsTeilvoneinemunseresLandesseit1848;führtunsweiter.spazierendenLadenwandhinunter,linksandenSchrevorbei.EinDuftvonliegtinerLuftundeindringtdurchdieBüsche.DieSzenekönntealsGrundlagefürdenpreisDokumentarfilm«UnserEden–GeschichtenausSchrebergarten»dienen.deranderenSeiteliegtdasvonEnergieWasserBernimSchatten.Gleichdahinter,desAutobahnviadukts,2026derneueCampusderFachhochschuleeröffnet und die S-Bahn-Station «Europa platz» zum Nahverkehrshub um gestaltet sein. Stehen dann auch die drei neuen Bauten auf dem Areal von Ener gie Wasser Bern, so werden sie diesem Schmelztiegel den Raum für Kreativität und Weiterentwick lung geben und Jahre später wird es scheinen, als seien sie schon immer da gewesen – NEW URBAN LIFE. Wir biegen rechts ab unter der Bahnlinie durch und gönnen uns in der 200 Meter entfernten Kult-Mi kro-Bierbrauerei «Schuum» ein Feierabendbier mit dem sinnigen Namen «Blueme-Meitschi». Auf der anderen Seite des grossen Parkplatzes präsentieren sich die alten, denkmalgeschützten Shed dachhallen, wo die «Gelateria di Berna» ihre Glace produziert und einen Pop-up-Store betreibt. Doch wir sind in BERN – WELTSTADT Ruedieben! Tanner, 2020

Geblieben ist hingegen eine multi kulturelle Gesellschaft, die von verschiedensten Ethnien geprägt ist. Der Migrationshintergrund ist allgegenwärtig und gestaltet den Alltag in Ausserholligen seit 20 Jahren unübersehbar und un überhörbar mit – ein idealer Nähr boden für typisch urbane Musik wie Rap oder Worldbeat. «Baze» und «Greis» treten heute in der ganzen Schweiz auf, «Sirens of Lesbos» wurden weltweit über 21 Millionen mal gestreamt und haben in ihrer Generation die «W. Nuss vo Bümpliz» längst ver drängt. Eintauchen in das, was da ist, und die Reise nach LONDON kann warten. Die letzten Sonnenstrahlen er leuchten nun das vor uns liegende Wettbewerbsareal von Energie Wasser Bern. Es scheint, als würden die Autos auf dem sechs spurigen Autobahnviadukt in der Abendsonne praktisch ins Büro fliegen. Ein Besucher hat mir mal gesagt, das sei eben wie in TOKIO Wir verlassen nun das Gebäude und treten auf den neuen Platz, an dessen Ende mit dem «Haus der Religionen» die verschiedenen Kulturen mit grossen Anstrengun gen auch eine gemeinsame spiri tuelle Heimat gefunden haben.

65 WESTEN VON BERN Areal von Energie Wasser BernSechsspurigerEuropaplatz Autobahnviadukt Schrebergärten Ladenwandweg

Städte stehen für Innovation, Zeitgeist und Lebendigkeit. Doch auch im Dorf lässt es sich kreativ, flexibel und am Puls der Zeit leben. Das verspricht zumindest die neue Wohnüberbauung «Q-Matte» in Frauenkappelen. Unweit der Stadt Bern gelegen, vermengt sie den urbanen Lebensstil mit einem ländlichen Umfeld. Ein Bericht über das Wohnen an der vermeintlichen Grenze zwischen Stadt und Land.

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LEBENDORF(T)RÄUME

Frauenkappelen«Q-Matte»,Überbauung

war für die Archi tekt:innen wegweisend bei der Setzung der neuen Baukörper: «Uns ging es im Entwurf vor allem darum, die Massstäblichkeit des Ortes wiederzufinden. Wir wollten das Bebauungsmuster, in dem die Gemeinde gewachsen ist, weiter führen», sagt der Architekt Roland Hitz, Partner des Gewinnerbü ros matti ragaz hitz. Statt einen grossen Wohnblock auf die Wiese zu stellen, wollten die Architekt:in nen das quartierartige Bauge flecht weiterführen. Mit Fokus

ZusammenwachsenHarmonisches

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Dieserwerden.Kontext

Charakteristisch für das Dorf sind insbesondere die vielen Bauern häuser. Unweit des Projektperi meters ist ausserdem die Industrie mit einigen Grossbauten präsent. Direkt neben dem Projektperi meter finden sich auch ein altes Feuerwehrmagazin und Werkstät ten. Und in den vielseitigen Räu men zwischen Gärten, Strassen, Wegen und Plätzen macht hie und da ein Unterstand oder ein Schopf auf sich aufmerksam.

Als 2013 die häuserspaziert,Dennaufeinekonzipiert.warenDiegrössereGleichzeitigbewerbseingaben.vorhitzner«D’ChueherstenrangiertekappelenWohnungsneubautenWettbewerbsprojekteeingereichtenfürdieinFrauenvorlagen,stachdaserstProjektbereitsaufdenBlickheraus:DasProjektamWaldrand»desBerArchitekturbürosmattiragazschlugvielkleinereBaukörperalsdiemeistenanderenWettbedeutetedieseineAnzahlanBaukörpern.Gebäude,13anderZahl,zudemunterschiedlichDieseKleinteiligkeitwarReaktionderArchitekt:innendieörtlichenGegebenheiten.werdurchFrauenkappelenfindetsowohlEinfamilienwieauchWohnblöcke.

Die Umgebung der mittlerweile umgetauften Wohnüberbauung «Q-Matte», auf der zu Zeiten des Wettbewerbsprojekts noch die Kühe weideten, ist also äusserst divers und heterogen gewachsen. Über die Zeit materialisierten sich verschiedene Interessen in ihr –und dies in ebenso unterschied lichen Stilen wie Massstäben. Die «Q-Matte», damals die letzte grös sere zusammenhängende Bau landreserve in Frauenkappelen, sollte Teil dieser bunten Mischung

Q-MATTE69auf Grösse und Ausrichtung der bereits bestehenden Häuser von Frauenkappelen konnten sie einen fliessenden Übergang zur Umge bung herstellen.

Andererseits findet sich direkt angrenzend die üppig gewach sene Wiesenfläche, die bis an die gartenartig gestalteten Aussenflä chen einiger länglicher Haustypen wächst. Fingerartig greift sie in die Zwischenräume der drei neuen Gebäudegruppen in Hanglage hinein, die jeweils eine Art Weiler bilden. Auf der Wiese führt ein geschwun gener Weg Richtung Wald, der im Norden der Parzelle auf Erkundung wartet. Dazwischen gibt es immer wieder bewusst gestaltete Grün flächen. «Uns ging es im Entwurf vor allem darum, die weiterführen.»gewachsendiemuster,Bebauungswolltenzufinden.OrtesblichkeitMassstä-deswieder-Wirdas-indemGemeindeist, Roland Hitz, matti ragaz hitz architekten Wie lebt es sich derzeit auf der «Q-Matte»? Ein Besuch zeigt: Es ist ruhig, die Stimmung ist freund lich wie das Wetter an diesem sonnigen Nachmittag. Zwei Kinder spielen in einem Riesentrampolin auf der Wiese in der Nähe des Waldes. Auf der Grünfläche am oberen Ende des Grundstücks tummeln sich ein Dutzend Kinder auf dem grossen neuen Holz klettergerüst. Die Bewohner:innen haben sich auf ihren Terrassen, Balkonen und Eingangsbereichenvorgelagertengemütlich ein gerichtet. Fremde Blicke und Lärm scheinen weit weg. Es gibt viel Freiraum, dennoch ist man nicht allein. Ein Dorf eben. Die höher gelegenen Wohngeschosse geben den Blick in die Ferne frei – man sagt bis auf den Wohlensee. Die Entfernung zur Stadt würden viele wohl weiter schätzen, als sie es tatsächlich ist.

Der Entwurf «D’Chueh am Wald rand» erlaubte schliesslich ein harmonisches Zusammenwachsen zwischen dem dörflichen Kon text und der neuen Überbauung. Im Sinne des Weiterbauens des Quartiers spricht Hitz aber bei der «Q-Matte» nur ungern von einer Siedlung: «Eine Siedlung ist für mich etwas Autonomes, ein in sich geschlossenes Ensemble. Die «Q-Matte» lesen wir eher als Teil des Dorfes, verwoben mit ihrem PrägendKontext.»für das Ineinandergreifen der Kontexte sind auch die unter schiedlich gestalteten Aussen räume: Zwischen den neuen Baukörpern, die jeweils mehrere Wohneinheiten umfassen, gibt es einerseits Hartplätze mit Bänken. Es bleibt viel freier Raum, der zum Spielen oder zum Grillfest einlädt.

Mehrschichtige Vielfalt Trotz der Einbettung in den Kon text war es den Architekt:innen wichtig, dass die neuen Baukörper Eigenständigkeit aufweisen. Der neue Dorfteil sollte schliesslich auch eine eigene Identität aus Diesstrahlen.zeigt sich vor allem an der Vielfalt der Häusertypen: Das «Waldhaus» greift wie das «Süd haus» mit ausstülpenden Balkonen in verschiedene Richtungen, das «Laubenhaus» und das «Reihen haus» sind als Riegelbauten in Ost-West-Ausrichtung konzipiert. Vier Gebäude – je eines pro Haus typ – kombinieren sich jeweils zu einem Weiler, der einer Bauetappe Angrenzendentspricht. an die Weiler in Hanglage steht strassenseitig das «Dorfhaus», welches nur einmal vorkommt. Das zum Wald abfallen

Roland Hitz, matti ragaz hitz architekten

Q-MATTE70de Terrain führt zu feinen Unter schieden in den Gebäudehöhen. Jedes Haus ist dadurch etwas anders. «Wir glauben, dass dualitätnachdemkommtistKeineleistenBevölkerungmischungzurgeneinenGrundrissenpologienrichtigentekturArchi-mitdenTy-undwichti-BeitragDurch-derkann.Wohnunggleich,dasauchAnspruchIndivi-nach.»

Die Diversität der Häuser war ent scheidend für das Schaffen einer Vielfalt. «Wir glauben, dass Archi tektur mit den richtigen Typologien und Grundrissen einen wichtigen Beitrag zur Durchmischung der Bevölkerung leisten kann. Keine Wohnung ist gleich, das kommt auch dem Anspruch nach Indivi dualität nach», erläutert Hitz den Entwurf und fährt fort: «Es soll ten Wohnungen sein, die einen Wiedererkennungswert haben und bei denen das Gefühl entsteht, dass es sich um die ganz eigene Wohnung handelt.» So brauche es zwar mancherorts Ähnlichkeitsty pen, aber nicht in Frauenkappelen. Dort treffen Menschen mit unter schiedlichen Lebensrealitäten zusammen: «Die Bevölkerung ist vielfältiger und konzentrierter als im urbanen Raum. Wir wollten des halb verschiedenen Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen eine geeignete Wohnung bieten», fasst Hitz die Situation vor Ort zu Bereitssammen.im

Thematisch ist der Ausblick in den offenen Grünraum. Alle Wohnein heiten sind schliesslich mehrseitig ausgerichtet. Einige haben private Gärten, andere grosse Terras

sen mit Sichtbezügen zum Wald oder nach Süden. Geschoss- und Maisonettewohnungen finden sich ebenso wie Eigentums- und Miet

Im Unterschied zu anderen grösseren Wohnprojekten ist die «Q-Matte» weder für eine be stimmte Generation noch für einen bestimmten Lebensstil gebaut. Sie richtet sich an Menschen, die sich als urban, wie auch an solche, die sich als dörflich bezeichnen. Was jedoch viele Interessent:innen verbindet, ist der Wunsch nach In dividualität. Barbara Felder, die bei Wirz Tanner für die Vermarktung verantwortlich zeichnete, erzählt hierzu: «Die Menschen hatten sich wirklich gut überlegt, weshalb sie dort wohnen wollten. Sie hatten oft auch eine klare Vorstellung davon, welche Wohnung sie genau möchten.» Sie freut sich, dass die bisher fertiggestellten Wohnungen entsprechend individuell einge richtet und ausgestattet worden sind.

Beiwohnungen.derVermarktung und Vermie

tung hat sich die erwartete Vielfalt an Lebensentwürfen bestätigt. Beworben haben sich Einzelper sonen, Paare, Eltern, die nach dem Auszug der Kinder ein neues Zu hause suchten, aber ebenso junge Familien. Durch die Behinderten gerechtigkeit ist die Überbauung auch für Menschen mit Einschrän kungen geeignet.

Wettbewerbsprogramm wurde ein vielfältiger Wohnungs mix gefordert. So ist nicht nur die äussere, sondern auch die innere Erscheinung der Häuser unter schiedlich: Die insgesamt 115 neuen Wohneinheiten decken ver schiedene Wohnbedürfnisse ab. Sie umfassen über 30 verschie dene Wohnungstypen von der 2.5-Zimmerwohnung bis hin zum 5.5-Zimmer-Reihenhaus.

Gemeinsam leben Gemeinschaft wird auf der «Q-Matte» grossgeschrieben. Die hohe Identifikation mit Wohnort und -form ist einerseits spannend, andererseits wird auch vieles ernster genommen als in einer Überbauung, in der Menschen nur vorübergehend wohnen. So wie das Gemeinsame verbindet, ist es ebenso eine – wenn auch willkom mene – Herausforderung. Die Ge meinschaft bringt schliesslich die ganze Diversität und Vielfalt auf der «Q-Matte» auf einen gemein samen Nenner. Sie speist sich vor allem aus der Idee des nachbar schaftlichen Zusammenhalts. Ein wichtiger Ort für das Gemeinsame ist der Dorfladen auf der «Q-Mat te». Hier treffen sich mittlerweile die Menschen aus dem ganzen Dorf. Der Dorfladen funktioniert als Genossenschaft, an der Inte ressierte Anteile kaufen können. So entsteht ein Kollektiv, das die Menschen über die «Q-Matte» hinaus verbindet. Der Quartier laden steht auch für einen neuen Aufbruch der Gemeinde Frauen kappelen, die seit Längerem ohne Dorfladen funktionierte. Mit ihm schafft die «Q-Matte» einen wich tigen Impuls für das ganze Dorf. Innenhof der ersten Bauetappe Blick auf ein «Laubenhaus»

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Q-MATTE Aufnahme der «Q-Matte» aus dem Jahr 2022 mit der letzten Etappe im Bau. Das Gesamtprojekt umfasst 115 Wohneinheiten bei insgesamt drei Etappen 72

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Direkt vor dem Dorfladen befindet sich eine neue Postautostation, welche die Überbauung unmittel bar an den öffentlichen Nahver kehr anbindet. Neben Faktoren wie Naherholung, Wohnungsangebot und Infrastruktur war die Anbin

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dung an Bern für viele Interes sent:innen entscheidend. Felder ist diesbezüglich zunächst auf Skep sis gestossen: «Damit wir mit dem Bau beginnen konnten, musste die Hälfte der ersten Etappe verkauft sein. Die Berner:innen waren am Anfang skeptisch gegenüber der Lage. Viele dachten, Frauenkap pelen sei relativ weit weg von der Stadt. Das war wohl dem Stigma des Dorfes geschuldet. Erst als sie zur Besichtigung herkamen, merkten sie, dass es eigentlich ziemlich nahe liegt.» Tatsächlich sind es vom Berner Freizeit- und Einkaufszentrum «Westside» nach Das «Dorfhaus» gibt der Überbauung strassenseitig ein Gesicht

Da der Dorfladen eine Zentrums funktion übernimmt, war seine Situierung besonders wichtig. Er befindet sich im oberen Teil der Überbauung im sogenannten «Dorfhaus» und grenzt direkt an die Hauptstrasse von Frauenkap pelen. Es ist das grösste Gebäude der «Q-Matte» und war Teil der ersten Bauetappe. 2020 fertiggestellt, beinhaltet es zwar unter anderem Wohnungen, soll aber auch das Gesicht der neuen Überbauung sein. Denn nähert man sich der «Q-Mat te» von der Hauptstrasse, ist das «Dorfhaus» lange das einzige Gebäude, das man sieht. Es ver tritt die «Q-Matte» nach aussen, macht sie sichtbar. Mit seinem gestalterischen Ausdruck und den eingemieteten Geschäften im Erd geschoss bildet das «Dorfhaus» den Auftakt zum Wohnen, das sich hinter ihm abspielt.

Frauenkappelen sieben vermietet und verkauft und der Grossteil der «Q-Matte» gebaut ist, fährt auch das Postauto regelmässig bereits etwas befüllter seine Strecke in die Stadt. «Die Berner:innen waren am Anfang skeptisch gegenüber der Lage.

Der leitende Architekt Hitz meint dazu: «Architektur kann ihren Bei trag nur leisten, wenn sie mit einer guten Bauherrschaft zusammen kommt. Unsere Arbeit ist immer nur so gut wie unsere Beziehung zur Bauherrschaft.»

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nur etwa

Erst als sie nahelichdassmerktenherkamen,Besichtigungzursie,eseigent-ziemlichliegt.»

Den Planer:innen gemeinsam war auch ein Verständnis für Nach haltigkeit: Ziel war es, eine öko logisch durchdachte Überbauung zu schaffen. Dabei wollten sich die Planer:innen jedoch nicht unhinterfragt von Zertifizierungs bedingungen leiten lassen. So wurde zum Beispiel bewusst auf eine Komfortlüftung verzich tet. Obwohl sämtliche weiteren Energiestandards erfüllt wurden, war damit keine Minergie-Zertifi zierung möglich. Ein Fokus wurde hingegen auf das Heizsystem gelegt, das aus einer zentralen Holzschnitzelheizung besteht. Auf Initiative eines Miteigentümers wird das dafür erforderliche Holz aus den umliegenden Wäldern gewonnen. Der Miteigentümer, der

Gemeinsam planen Auch auf Planungsebene war eine gemeinsame Herangehensweise, mit der sich alle Beteiligten identi fizieren konnten, sehr wichtig. Die «Q-Matte» bedeutete für die Gemeinde Frauenkappelen eine merkliche Vergrösserung. Deshalb war es von Beginn weg wichtig, mit der örtlichen Bevölkerung in Kontakt zu treten. Dieser Prozess war nicht ganz einfach und so nahm die Überbau ungsordnung entsprechend viel Zeit in Anspruch. Politisch wurde viel Aufklärungsarbeit geleistet. Damit ein möglichst passendes Projekt gewählt werden konnte, war auch der damalige Gemeinde präsident Teil der Wettbewerbs Zujury.Gute kam dem Projekt auch, dass viele beteiligte Eigentü mer:innen des Baulandes beruflich im Bauwesen tätig waren. Dass damit die meisten Entscheidungs träger:innen mit dem Bau- und Immobilienwesen vertraut waren, hat zu klaren Abläufen und einer hohen baulichen Qualität beige Sotragen.war Wirz Tanner in diesem Projekt nicht nur für Verkauf und Vermarktung zuständig, sondern selbst Teil der Bauherrschaft und verantwortlich für die Geschäfts führung. Damit war einmal mehr das Langzeitinteresse garantiert, das der Firma in Projekten wichtig ist. Denn betrifft das Interesse an einer funktionierenden Wohn liegenschaft eine Zeitspanne, die über die eines individuellen Lebens hinausgeht, ist meist auch der Stellenwert von Qualität und Langlebigkeit höher.

Barbara Felder

Jetzt,Autominuten.daalles

Die gute Gesprächskultur über sämtliche Planungs- und Bau prozesse hinweg hat schliesslich massgeblich zur hohen Qualität beigetragen. Für viele Beteiligte ist die «Q-Matte» deshalb zu einem Vorzeigeprojekt geworden.

Nachhaltiges Bauen

Eine sehr hohe gegenseitige Akzeptanz war laut den Beteiligten entscheidend für das Bauprojekt.

Diebegünstigen.dörflichen

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Qualitäten sind mit dem grosszügigen Grünraum und den freien Flächen garantiert. Wer in Frauenkappelen wohnt, wird sich wahrscheinlich nicht über Dichtestress beklagen. Ob das Leben auf der Matte tatsächlich so vielseitig bleiben wird, ist jedoch von ihren künftigen Bewohner:in nen Bestimmendabhängig.ist

Q-MATTE76selbst in Frauenkappelen wohnt, stellte dafür eine Zusammenarbeit mit einem lokalen Fuhrmann auf die Beine. Ein gewichtiger Nach teil von Dörfern in Sachen Nach haltigkeit ist deren Erschliessung. So verursacht der motorisierte Individualverkehr einen erheb lichen CO2-Ausstoss. Dieser Tat sache wollten die Planer:innen mit einem mehrschichtigen Mobilitäts konzept entgegenwirken. Deshalb verfügt die «Q-Matte» heute über ein Mobility-Carsharing, gedeckte Veloabstellplätze, eine Elektrola destation und E-Bikes. Zudem soll der Dorfladen, der die wichtigsten Lebensmittel und Hygieneartikel anbietet, die ein oder andere Fahrt in die Stadt überflüssig machen. Angeboten werden dort bewusst auch lokale und ökologisch produ zierte Produkte. Statt auf bekannte Zertifikate zu fokussieren, verfolgten die Beteiligten in Sachen Nachhal tigkeit eine Gesamtbetrachtung. Schliesslich ist auf der «Q-Mat te» auch Platz für eine natürliche Vegetation vorgesehen. Die freien Grünräume zwischen den Weilern und zum Wald hinunter geben nicht nur Menschen, sondern vielen anderen Lebewesen Raum, um sich zu entfalten. Weideten die Kühe vorher auf der Matte, so könnten sie das auch nach Bau abschluss tun, denn noch immer befindet sich eine zusammen hängende Wiesenfläche auf dem Areal.

Auf der «Q-Matte» lassen sich die vermeintlich städtischen Attri bute Innovation, Zeitgeist und Lebendigkeit auf das Dorfleben anwenden. Auch wenn die über baute Matte diesbezüglich noch eine Vorreiterin sein mag, lässt sich sagen: Der Zeitgeist verlangt nach nachhaltigen Wohnungen und ein lebendiges Quartier er fordert Gemeinschaft. Das steht in einem gewissen Kontrast zu uniformen Wohnblöcken, in denen oft Menschen derselben Gene ration mit ähnlichen Lebensent würfen wohnen. In diesem Sinn ist Innovation auch Durchmischung, Reibung, Vielfalt. Schliesslich sind das alles Faktoren, die Kreativität

nicht zuletzt die Art, wie wir als Gesellschaft zwischen Stadt und Land unter scheiden. Unsere heutigen Wohn(t)räume haben entschei denden Einfluss darauf, wie wir in Zukunft leben werden.

Q-MATTE77Die Ausstattung variiert aufgrund der Vielfalt an Wohnungstypen: 1 E igentumswohnung im «Waldhaus », 1. Etappe 2 3 .5-Zimmer-Mietwohnung im «Dorfhaus », 1. Etappe 3 4 .5-Zimmer-Mietwohnung im «Südhaus », 2. Etappe 4 «Reihenhaus », 1. Etappe 2 4

Seit Jahrhunderten sind Höfe als Aussenräume Bestandteil der Planung von Wohngebäuden. Die Architektur eröffnet immer wieder neue Möglichkeiten für ihre Gestaltung. Heute sind Innenhöfe aus verschiede nen historischen Zeiten in unsere Städte eingeflochten. Auch in Bern sind in den letzten Jahrzehnten viele Gebäude entstanden, die mit Innenhöfen arbeiten. Die Bauprojekte «Largo», «Cortile» und «Vechigen-Höfe» zeigen, wie Höfe in der Umsetzung variieren können –und wie verschieden darin gelebt wird.

Liebefeld«Largo»,Überbauung

HÖFE UND GESCHICHTEIHRE

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Ob Licht, Wind, Geruch, Blick oder Lärm: Innenhöfe schützen vor Fak toren, die der Mensch von blossem Auge nicht sehen kann. Dennoch sind sie essenziell für die Lebens qualität. In diesem Sinn ist der Hof geprägt durch das Unsichtbare. Städtebau, Nutzung und Ästhetik sind weitere Faktoren, welche die physische Form des Hofes mit bestimmen. Die gebaute Hofarchi tektur antwortet demnach auf eine hohe Komplexität von Anforderun gen, Vorstellungen und Bedürf Historischnissen. hat sich die Art und Weise, wie Innenhöfe gestaltet werden, immer wieder gewandelt. Die meisten städtischen Innenhöfe in Europa finden sich innerhalb sogenannter Blockrandbebau ungen. Dabei handelt es sich um eine Gruppierung von Gebäuden in geschlossener Bauweise um einen gemeinsamen Hof. Die Vorderseite schmiegt sich als repräsentative Häuserfront entlang der Grund stücksgrenzen, sodass strassen seitig eine klare Front entsteht. Der Innenhof auf der Rückseite wirkt oftmals wie ein ruhiger Gegenpol.

Als sich die Städte im Zuge der Industrialisierung ausdehnten, er fuhr die Blockrandbebauung einen Schub. Die Bauweise verbreitete sich über Berlin nach Wien bis in die Städte der Schweiz. Unter anderem mit dem Schweizer Archi tekten Le Corbusier (1887–1965) erhielt die Blockrandbauweise einen namhaften Gegenspieler.

Die Hofarchitektur verspricht vor allem eines: Sie schafft einen Innenraum, der gleichzeitig ein Aussenraum ist. Der architektoni sche Hof ist ein Raum unter freiem Himmel. Geschützt wird er durch die Gebäude, teilweise auch durch Mauern, die ihn umgeben. Die Verwendung des Wortes «Hof» ist bereits seit dem 9. Jahrhun dert belegt. In Althochdeutsch bedeutet es «eingehegter Platz, umschlossene Fläche». Ein Ge hege ist heute selten anzutreffen. An dessen Stelle sind vorwiegend Gebäudekörper getreten. Häuser, die sich um einen Innenhof grup pieren, schaffen auf ihrer Rück seite oft intime Orte. Sie erkunden kann erst, wer den Blick hinter die Häuser wagt.

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Höfe historisch betrachtet

Es ist eine Vorstellung, die sich von der Anonymität und der Verein zelung, wie man sie aus Diskussio nen über das Leben in Grossstäd ten kennt, abzuwenden versucht.

Das Projekt «Largo» aus dem Jahr 2020 zeigt, wie ein Hof dank Um bau vom Parkplatz zur gartenarti gen Wohnraumerweiterung für die Anwohner:innen wurde. Wie Höfe hingegen in Neubauprojekten als Begegnungsorte eingesetzt wer den, veranschaulichen die beiden Wohnüberbauungen «Cortile» und «Vechigen-Höfe», die Bern seit 2018 begleiten und die Hofidee bereits in ihrem Namen tragen.

Für ihn war eine aufgelockerte Bauweise die Lösung für die Enge der modernen Städte. Zeilenbau ten und in der Folge auch Hoch häuser waren angesagt.

Statt Platz für Gewerbe, Aussen gastronomie oder Parkplätze zu bieten, werden Innenhöfe nun bevorzugt mit Sitzgruppen und Spielplätzen bestückt.

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Als Folge des neuen Urbanismus der 1980er-Jahre fanden block randartige Bebauungen mit Innen höfen wieder vermehrt Eingang in Neubauprojekte. Dies schliesslich auch, weil sie Wohnqualität mit einer Einsparung von Ressour cen versprachen – ein Vorteil, der mit der wachsenden Brisanz der Nachhaltigkeit immer gewichtiger wurde. Anfahrtswege, Heiz- und Infrastrukturkosten liessen sich mit ihr Dieseoptimieren.historische Entwicklung ver anschaulicht auch, wie sich Archi tektur stetig ändert. Einerseits wirken kulturelle Gegebenheiten auf sie ein, andererseits altert sie in ihrer Materialität selbst. Ihr Veränderungsprozess ist jedoch besonders träge. Ihr Entstehen dauert im Vergleich zum Möbel oder zum Kleidungsstück um eini ges länger.

In der Zwischenzeit sind womög lich die Bedürfnisse, Vorstellungen und Erwartungen an sie bereits andere. Bauten überdauern in der Regel individuelle Menschenleben und haben damit auch eine andere Zeitlichkeit als Individuen. Oft ha ben wir das Bedürfnis, Architektur zu schaffen, die möglichst lange bestehen bleibt. Diese Langlebig keit wurde einst eher von einem Bedürfnis nach der Unsterblichkeit eigener Wertvorstellungen und der Aufrechterhaltung bestehen der Machtstrukturen angetrieben. Heute ist es auch der Wunsch nach einem nachhaltigeren Um gang mit Architektur, welcher die Nutzungsspanne von Gebäuden aus guten Gründen möglichst ver längern Innenhöfewill.bieten ein besonders langlebiges Beispiel für die Träg heit gebauter Umwelt, da sie sich in ihrer Funktion und Ausgestal tung verhältnismässig einfach an die Vorstellungen der Zeit anpassen lassen. Schon nur ihre Schutzfunktion bezieht sich auf immer andere Dinge. So ist etwa der Gestank, der früher das Leben in Städten belastete, kaum noch ein Thema. Relevant ist heute vor allem, dass ein Hof störende Lärmund Wettereinflüsse abschirmt. Gelingt das, kann ein Innenhof zum attraktiven Aussenraum werden; klimatisch mild und vor zu viel Sonneneinstrahlung ge schützt – wohltemperiert also. Ein Ort, an dem man auch an heissen Sommertagen draussen verweilen Zurzeitkann. ist der Innenhof in Pla nungskontexten vor allem als Ort relevant, der die Gemeinschaft einer Siedlung stärkt. Er soll den Austausch über die eigenen Wohnungsgrenzen hinaus fördern. So soll ein Miteinander entstehen, eine lebendige Nachbarschaft, in der man sich wohlfühlt.

Das führt zu einer programmati schen Verschiebung der Nutzung und Ausstattung von Hofarchi tekturen. Was lange vor allem als wirtschaftliche Fläche genutzt wurde, soll nun in erster Linie dem Austausch, der Erholung und der Freizeit dienen.

Ein Blick auf diese unterschied lichen Hofprojekte zeigt: Es lebt sich ganz unterschiedlich mit Hof.

Die neue Wohnfunktion machte den Aussenbereich zum be grünten Herzstück der Siedlung. Auffälligstes Umbaumerkmal ist die vorgelagerte Loggia-Schicht auf der Hofseite. Sie zeugt von einem innovativen Umgang mit einem verbreiteten Problem in der Transformation von Gewerbe- oder Industriebauten in Wohngebäude: Oft fehlen ersteren Balkone, die in Wohnungen heute sehr gefragt sind. Auch sonstige Räume, die zu Balkonen oder Loggien umgestaltet werden könnten, sind selten. Die Neuschaffung der privaten Aussen räume mit einer grosszügigen, vorgelagerten Loggia-Konstruktion löst dieses Problem im «Largo».

Fast alle der insgesamt 54 Miet wohnungen erhalten durch die Loggia-Schicht einen eigenen Aussenraum mit Holzdeck. Ge schützt werden sie durch eine Laubenkonstruktion, die auch der Erschliessung dient. Barbara Felder, die bei Wirz Tanner die Vermarktung und Erstvermietung verantwortete, erhielt von Interes sierten oft die Rückmeldung, dass diese Laubenräume mit viel Holz besonders gut gefallen haben.

Largo

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Die Überbauung «Largo» in Bern Liebefeld hat ihren begrünten Innenhof durch einen Umbau er halten. Die drei Gebäude aus den Jahren 1925 und 1947, die sich u-förmig um den umgestalteten Innenhof gruppieren, waren ein Ort zum Arbeiten. Der Hof innerhalb der Gewerbebauten wurden lange als Parkplatz genutzt.

Der Projektvorschlag von Brügger Architekten aus Thun ermöglichte den weitgehenden Erhalt der Bau substanz. Statt die drei über die Zeit zusammengewachsenen Ge bäude mit Neubauten zu ersetzen, sollten sie umgebaut werden.

Die geschwungenen Stützen in den Laubengängen erfüllen einer seits eine statische Funktion, sind aber auch optisch ein Hingucker.

Sie sind im Abstand von etwa fünf Meter entlang der Fassade ange bracht und mit ihr verbunden. Ihre Form bringt ein weiches Element in den Raum zwischen den Gebäu den und erinnert gleichsam an die Stützensysteme von Gewerbebau ten. Die geschwungenen Stützen nehmen somit ein Charakteris tikum des Bestehenden auf und überführen dieses in eine zeitge nössische Ästhetik.

Die laubenartigen Aussenräume richten sich allesamt zum Innen hof, was ein Gefühl von Gemein schaft entstehen lässt. Man sitzt sich gewissermassen gegenüber.

Das Projekt «Largo» zeigt schliess lich exemplarisch, wie Gewerbe bauten erfolgreich zu Wohnbau ten umgestaltet werden können.

Besonders spürbar wird das an warmen Tagen, an denen sich die Bewohner:innen in ihren hofsei tigen Aussenräumen aufhalten. Wem Sichtbarkeit oder Lichteinfall zu viel wird, kann die jeder Loggia angefügte Stoffstore nutzen.

Neben dem Erhalt der historischen Bausubstanz sind es vor allem die Umgestaltung des Innenhofes und die daran angegliederten Aussen räume, die dem Gebäudeensem ble einen besonderen Charakter Damitverleihen.istder Innenhof nicht nur Begegnungsort, sondern iden titätsstiftend für die gesamte Siedlung.

Parkplatzfläche genutzt, ist der Hof zum lebendigen Kern stück der Siedlung geworden. Heute finden sich die Parkplätze allesamt auf der Strassenseite der zusammengewachsenen Baukör per. Der Innenhof schützt dabei auch vor dem Verkehrslärm, ins besondere entlang der Schwarz Ertorstrasse.istaberalles andere als intro vertiert: Laut Felder wird der Hof rege genutzt. Durch die Ausrich tung der privaten Aussenräume in den Hof wird seine Begegnungs funktion unterstrichen. Die Aus gestaltung der Hoffläche selbst in verschiedene Teilbereiche schafft zusätzliche Aufenthaltsqualität.

Der Innenhof wurde bewusst als Treffpunkt ausgestaltet. Ein Teil seiner Fläche ist begrünt, lädt zum Spielen oder Sitzen auf der Wiese ein. Ein etwas grösserer Teil ist mit Kies bedeckt, auf dem verschiedenartige Bänke plat ziert sind. Immer wieder wird die Kiesfläche von einzelnen Bäumen durchbrochen. Die verschiedenen Teilbereiche des Innenhofs sind in mehrere Stufen ausgestaltet, was den Hofraum etwas auflockert und räumlich differenziert.

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Die Wohnungen im «Largo» profi tieren nicht nur von ihrer Lage am Hof, sondern auch von weiteren Gegebenheiten, welche schliess lich durch die historische Bau substanz bedingt sind. So bieten die ehemals gewerblich genutz ten Baukörper besonders hohe Räume. Im Innenausbau wurde diese Thematik aufgenommen: Mit offen gestalteten Räumen stärkten die Architekt:innen den ästheti schen Charakter des Bestandes. In einigen Wohnungen kommen ausserdem alte Holzbalken des Gewerbebaus zum Vorschein. Durch diesen offenen Umgang mit der gebauten Vergangenheit erhalten die 2.5- bis 4.5-Zimmer wohnungen ein spezielles Flair. Auch die Nutzungsgeschichte des Ortes ging mit dem Umbau nicht ganz verloren. Anlehnend an seine Nutzung als Arbeitsraum bieten die Gebäude noch immer eini ge zusätzliche, flexibel nutzbare Gewerbeflächen. Diese Möglich keit wurde im Sinn des Wohnens und Arbeitens unter einem Dach Beigeplant.derErstvermietung des «Lar go» im Jahr 2020 vermarktete Wirz Tanner damit neben Wohnungen offene Atelierräume, mehrere Dienstleistungs- und Büroflächen sowie einen sogenannten «Craft EinstRoom».als

Wo vorher Parkplätze waren, ist heute ein attraktiver Aussenraum: Die Wohnüberbauung «Largo» hat ihren Innenhof durch einen Umbau erhalten

Cortile HOFGESCHICHTE(N)

86 Das italienische Wort für «Hof» gibt dem Neubau in Ostermundi gen eine einschlägige Klarheit.

Mit seiner Funktion als Aufent haltsraum von hoher Qualität reiht er sich in ein zeitgenössisches Verständnis von Innenhöfen ein.

Dieaufgenommen.Baubewilligung erfolgte in rekordverdächtigen elf Wochen nach Eingabe. Ruedi Tanner, der seinerseits in der Jury des Stu dienauftrages vertreten war, führt das auch darauf zurück, dass politische Vertreter der Gemeinde sehr früh in die Planung einbezo gen wurden: «Der Jurypräsident war der damalige Gemeinde präsident von Ostermundigen. Auch der Stadtpräsident von Bern und der damalige Chef Hochbau waren in der Jury dabei. Somit war also die Politik als Vertreterin der Öffentlichkeit bereits eingebunden und konnte ihre Anliegen früh zeitig äussern. Das hatte positive Auswirkungen auf den Prozess der DerBaubewilligung.»Neubauwarschliesslich im Jahr 2018 bezugsbereit. Unter dem Slogan «Wohnen im grünen Hof» stand der Hof im Zentrum der Erstvermietung von Wirz Tanner.

Die Tatsache, dass Höfe bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts noch für hauswirtschaftliche Tä tigkeiten genutzt wurden, könnte dem Projekt «Cortile» nicht ferner sein.

Entstanden ist das dreigeschos sige Wohngebäude im Rahmen eines Studienauftrages, den die Architekturgemeinschaft Kauf mann, Bysäth, Glaus schliesslich für sich gewinnen konnte.

Die städtebauliche Ausformulie rung ihres Vorschlages spielte dabei eine zentrale Rolle. Sie schlugen einen Gebäudekörper vor, der auf drei Seiten einen In nenhof umfasst. Die Form reagiert so auch auf erwartete Änderun gen im städtischen Gefüge: Auf den Parzellen, die an das offene Ende des Hofes angrenzen, be finden sich derzeit Bauten aus den 1980er-Jahren. Würden einst Er satzbauten folgen, könnten diese ohne Weiteres der Grossform des Hofes angeschlossen werden. Da mit wurde ein zeitlich erweiterter Planungshorizont in den Neubau

Und vielleicht wird er eines Tages durch weitere Planungen auf den angrenzenden Parzellen ver grössert. Planungsprozesse sind schliesslich nur bis zu einem ge wissen Grad ein Kontrollinstrument für den gebauten Raum. Die Ge schichten schreiben sich durch die Aneignung der Menschen, die dort einen Teil ihres Alltags verbringen, schliesslich selbst zu Ende.

HOFGESCHICHTE(N)

ment für die Interessenten. Bei der Weitervermietung war der Hof selbst dann nicht mehr so relevant, weil er als Begegnungszone nicht wirklich aktiv genutzt wird», erläu tert Krüttli. So ist der Hofraum im Zentrum des «Cortile» bisher ein ruhiger Ort geblieben. Und es ist ja eigentlich eine gute Sache, dass öffentliche Räume im Quartier mehr Aufenthaltsqualität erhalten. Der Hof des «Cortile» hat jedenfalls das Potenzial, zu einer späteren Zeit eine wichtige Frei raumfunktion zu erfüllen.

87 Damals gab es in den Höfen meist Funktionsbauten wie Wasch- und Gerätehäuser sowie Teppichstan gen. Das Wohnen im «Cortile» ist auch deshalb besonders beliebt, weil jede der 23 Mietwohnungen über einen eigenen Waschturm und ein eigenes Réduit verfügt. «Auch die Zugänge zu mosphäre.»sondereOrtbenliegendeüberErschliessungpenhaus.seneseinwieerfolgenWohnungendennichtüblichübergeschlos-Trep-DieaussenLau-gebendemeinebe-At-

Michèle Krüttli, Immobilientreuhänderin Der Hof könnte sich damit nicht eleganter von seiner alten Funk tion freispielen. Die 2.5- und 3.5-Zimmerwohnungen zu markt üblichen Mietzinsen bieten also eine grosse Flexibilität. Michèle Krüttli von Wirz Tanner, welche noch heute im «Cortile» die Ver mietung verantwortet, meint dazu: «Nicht nur die Waschtürme, auch der Innenausbau ist für Miet wohnungen speziell: Man läuft auf dunklem Parkettboden aus Kirsche, kocht auf Chromabde ckungen. Auch die Zugänge zu den Wohnungen erfolgen nicht wie üblich über ein geschlossenes Treppenhaus. Die Erschliessung über aussen liegende Lauben geben dem Ort eine besondere AuchAtmosphäre.»demThema Nachhaltig keit wird mit einer warwerde.eigentlichplätze,genügendKrüttli:auf.DergegnungszoneWasbeliebtdiewirtschaftungAuchwohnenauchAusbauschätzendieKrüttliaufgetragen.Holzpellets-HeizungCO2-neutralenRechnungDiesesHerausstechenmehrerenEbenenhatnachauchAuswirkungenaufMieterschaft:«DieMenschendieseBesonderheitenimsehr.Vielejüngere,aberälterePersonenundPaaredort.Esistbuntgemischt.jetztinderordentlichenBestelleichfest,dassWohnungennachwievorsehrsind.»aberistausderIdeederBeimHofgeworden?Hofistbegrünt,weistBäumeDereinzigeHakengemässImQuartiergebeesheuteGrillstellenundSpielsodassdiesergrüneHofgarnichtgebraucht«BeiderErstvermietungderInnenhofklareinArgu

Im Projekt «Cortile» ist der Innenhof dreiseitig durch den u-förmigen Baukörper gefasst

Die kleine Gemeinde im Osten der Stadt Bern hat mittlerweile rund 5’500 Einwohner:innen.

HOFGESCHICHTE(N)90

In der Überbauung «Vechigen-Hö fe» spielen sie die Hauptrolle. Die Baukörper gruppieren sich jeweils um kleine Höfe, die viel Licht, frische Luft und wenig Lärm ver sprechen. Benannt sind sie nach Baumarten: der «Birnenhof», der «Kirschhof», der «Magnolienhof», der «Buchenhof» und der «Tulpen Diebaumhof».Höfesind nicht alle gleich gestaltet: Einige verfügen über Hart- oder Kiesbeläge, andere sind begrünt. In der Wohnsiedlung sol len die Höfe aber insgesamt den Austausch unter Nachbar:innen Undfördern.das

sind nicht wenige: Der Neubau aus der Feder des Archi tekturbüros d-company bietet insgesamt 65 Parteien seit seiner Fertigstellung im Jahr 2018 ein neues Zuhause. Barbara Felder, welche die Erstvermietung und Vermarktung der «Vechigen-Höfe» leitete, meint dazu: «Die Funktion der Höfe ist klar: Es sind Begeg nungszonen, ausgestattet mit Tischen, Bänken und Spielflächen. Jeder Hof ist nach einer Baumart benannt, die man jeweils auch dort pflanzen wollte.»

Nicht nur Höfe, sondern Architek tur allgemein folgen oft Faktoren, die von blossem Auge nicht sicht bar sind. Die mangelnde Sicht barkeit sagt jedoch wenig über den Einfluss aus, den sie auf uns ausüben. Licht, Luft und Lärm sind drei dieser Faktoren.

«Bei der Erstvermietung konnte ich viele Neuzuzüger:innen begeis tern. Es waren relativ viele junge Paare, die sich bewarben. Für die grösseren Wohnungen interes sierten sich vor allem Familien», so Felder.

Die Siedlung nimmt nach aussen hin die Funktion eines neuen Ortseingangs für Vechigen ein.

Die Immobilienspezialistin hat vor Ort schnell gemerkt, weshalb die Höfe einen zusätzlichen Vorteil bieten: «Die Bahn führt direkt an der Aussenseite der Überbauung entlang. Die Höfe sind Treffpunkte, an denen man sich geschützt vor dem Lärm der Bahngleise unter halten kann.»

Vechigen-Höfe

Barbara Felder, Projektentwicklerin Diese Durchmischung war mög lich, da die neue Siedlung ver schiedene Wohnungsgrössen mit 2.5- bis 4.5-Zimmerwohnungen Aufbot.die Frage, weshalb Leute dort hinzogen, antwortet Felder: «Es sind Standardmietwohnungen mit Eichenparkett und hellen Küchen.

Schliesslich ist der Boden wie an dere wichtige Ressourcen endlich.

Bei einem flächigen Grossprojekt wie den «Vechigen-Höfen» wird damit zwar im Vergleich zu Einfa milienhäusern auf verhältnismässig wenig Fläche einiges an Wohn raum erstellt. Aber die Dichte birgt auch architektonische Heraus forderungen. Höfe können dabei einen willkommenen Ausgleich für räumliche Qualität bieten. Höfe haben Zukunft

Ausserdem gab es Parkplätze und teilweise ziemlich grosse Aussen Oftflächen.»wirdheute auf die Forderung nach mehr Wohnraum immer noch mit Neubauprojekten geantwor tet. Mit hoher baulicher Dichte wird auch in den «Vechigen-Hö fen» versucht, dem Problem der Zersiedelung entgegenzuwirken.

HOFGESCHICHTE(N)91«Bei der begeistern.»züger:innenvielekonntevermietungErst-ichNeuzu-

Im Zuge der Erkenntnis, dass Ar tenvielfalt langfristig unerlässlich für unser menschliches Leben auf diesem Planeten ist, wuchsen die Forderungen nach verdichtetem Bauen. Konkret heisst das: mehr Wohnfläche auf kleinerem Raum.

Die Verbauung von Wiesen und Wäldern ermöglicht zwar mehr Wohnraum, wirkt sich aber un günstig auf den Klimawandel aus.

Im Hof ist es kühl, wenn draussen die Hitze drückt. Im Hof ist es still, wenn draussen der Wind weht.

Die «Vechigen-Höfe» umfassen fünf Höfe, der «Cortile» und das «Largo» nur einen. Obwohl die drei Überbauungen mit Innenhöfen arbeiten, ist ihre Architektur kaum vergleichbar. Doch grundsätzlich beabsichtigten alle Projekte, mit dem Hof eine Aufenthaltsqualität für die Bewohner:innen zu schaf fen.

Denn er ist nicht nur der Lebens raum der Menschen, sondern auch anderer Lebewesen. Und von der Biodiversität hängen wir mehr ab, als wir lange zu glauben dachten.

Ihnen gemeinsam ist die Prägung, die sie den Gebäuden geben: Die Höfe verändern ihre klimatischen und lärmtechnischen Gegeben heiten – meist zum Besseren. Was macht einen guten Hof aus? Er kann den angrenzenden Gebäu deteilen im Block Licht spenden. Er kann die Sonneneinstrahlung auffangen und zu einem besse ren Mikroklima beitragen. Er kann eine neue Form des Gartens sein, die nachhaltiger ist als der grüne Umschwung des Einfamilien hauses. Der Hof kann aber auch misslingen: tote Fläche, ungenutz ter Beton. So sind Höfe seit jeher verschieden. Aber Potenzial haben sie.

Der Hof liegt zwar ausserhalb des Hauses, aber innerhalb des Lebens. Ein Dazwischen.

Aus dieser Sicht ist der Boden längst zum Politikum geworden.

Die Beweggründe sind vielseitig:

Die Leute schätzten, dass es keine spezielle Farbgebung gab, da sie so mit der Einrichtung flexibler spielen konnten. Viele stamm ten aus dem Berner Umland und waren froh um einen Neubau.

Er kann zum qualitativ hochwerti gen Aussenraum ausgestaltet wer den, Begegnungsort sein, belebt sein, angenehm sein, ja sogar laut werden. In einigen Höfen trifft man sich tatsächlich. In anderen bleibt diese Zusammenkunft geplant.

Insgesamt fünf Höfe bringen Licht in die Wohnungen der Siedlung «Vechigen-Höfe»

INTERVIEW94SANDRA & SABINA Bewirtschafterinnen

AGImmobilienTannerWirzJungen,SabinaundMischlerSandra

INTERVIEW95

MIT UNDHERZOFFENHEIT

Sabina Jungen und Sandra Mischler sind seit vielen Jahren als Immobilienbewirtschafterinnen tätig. Ein Job, den nicht wenige nach einigen Jahren aufgeben. Viele wechseln den Arbeitgeber oft, die Fluktuation ist hoch. Dass die beiden bereits seit 20 Jahren bei Wirz Tanner arbeiten, zeugt von einer nicht selbstverständlichen Beständigkeit. Was hinter diesem Beruf steckt und weshalb er nichts für schwache Nerven ist, erzäh len die beiden im Interview.

INTERVIEW96

Wie sieht ein gelungenes Wohnprojekt aus Sicht einer wichtigfürWasbewirtschafterinImmobilien-aus?sinddieDinge,dieeuchbesonderssind?

Solche

zustimmen: Mein Job macht dann Spass, wenn ich passende neue Mietparteien finde. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Wenn die neuen Mieter:innen ihre Wohnung ge funden haben, ist es für beide Parteien eine Win-win-Situation.

anspruchsvollmirmüssen.Mieter:innendassbedeutenUmbauprojekteoftauch,diebestehendenausziehenIchstellediesenProzessvor.

Zum Erfolg gehört für mich aber auch die Möglichkeit, aus Altem etwas Neues machen zu können.

Ein Job für Kontaktfreudige

Sabina: Wir betreuen etwas, das sich verändert. In meinem Bereich hat das wenig mit Neubau zu tun. Wenn ich aber zum Beispiel eine Gesamtsanierung mitverfolgen darf, dann sind einige Punkte für mich entscheidend. Zunächst ist das ein gut geplanter Ablauf wäh rend der Bauphase. Als Nächstes heisst das für mich auch, eine Mieterschaft von Grund auf zusam menstellen zu können. Wenn die Mieterschaft nach Einzug glücklich ist und für einige Jahre beständig bleibt, ist es für mich ein gelunge nes Sandra:Projekt.Dakann ich Sabina nur

Da gehören auch oft unsichtba re Dinge wie die Sanierung von Leitungen dazu. Eine Liegenschaft schliesslich in einem «neuen Kleid» erstrahlen zu lassen, macht mir immer grosse Freude.

Sabina: Ja, ich habe da schon bei mehreren intensiv.DiesermusstenWegenfastHausgesamtwohnte.Haus,dieEinmalschwierigeAltbauliegenschaftenSituationenerlebt.trafichaufeineFamilie,sehreingeflochtenwarindasindemsieseitvielenJahrenSiemieteteeinevoninsdreiWohnungenunddaswarüberdieJahrehinwegzuihremeigenengeworden.dernötigenKernsanierungwirderFamiliekündigen.AblösungsprozesswarsehrZuersttrifftmannatürlich

Sandra Mischler

INTERVIEW97auf Opposition. In einer solchen Situation ist es auch verständlich, dass Erstreckungen der Mietver hältnisse angefragt werden und die Schlichtungsbehörde kontak tiert wird. Das sind zwar Ausnah megeschichten, die aber immer wieder mal auftreten und einem auch als Bewirtschafterin nahe gehen können. «Mein tesgibtteienneueichSpass,machtJobdannwennpassendeMietpar-finde.Dasmireingu-Gefühl.»

Sandra: Den Mieter:innen einer Liegenschaft zu kündigen, das geht nicht ohne Emotionen. Man trifft da zum Beispiel auf ältere Leute, die schon 40 oder 50 Jahre in dem Haus wohnen. Oft sind das auch Menschen, die am Existenz minimum leben. Mit ihrer AHV können sie sich knapp eine kleine Wohnung leisten – oft zu einem Mietzins, der kaum noch markt fähig ist. Nun müssen sie wegen eines Umbaus etwas Neues suchen. Zu solch tiefen Mietzinsen finden sie meist nichts und sind verständlicherweise verzweifelt. Es kam in den Liegenschaften, die ich betreue, auch schon vor, dass Menschen wegen so einer Kündi gung in ernsthafte Lebenskrisen gerieten. Das lässt einen nicht kalt und tut weh. Doch wir geben dann nicht auf, irgendwie eine An schlusslösung für diese Menschen zu finden. Ihr trefft unweigerlich auf die Schicksale der Menschen. Gleichzeitig wird wahrscheinlich aus der zuinskann.Lösungsolchenbeste,GeschichteschlimmstenschnelldiewennineinemFalleinegutegefundenwerdenAusderTragikGlück–oderistdasrosiggedacht?

Ich nehme an, dass in solchen Situationen Übung und Erfahrung von Vorteil sind?

Sandra: Wir sind in solchen Si tuationen die erste Anlaufstelle: Wir sind zuständig für die Vor orientierung und verschicken die Kündigungen. Die Reaktionen darauf landen demnach als Erstes bei uns. Und ja, manchmal fallen sie aufbrausend, verängstigt und emotional aus. Man lernt zwar mit der Zeit, damit umzugehen – res pektive ist hier emotionale Intelli genz gefragt –, aber schliesslich ist jede Situation wieder anders.

Aus Erfahrung kann ich aber sagen: Emotionen gehören dazu, immer. Es ist Teil unserer Arbeit, diese aufzufangen. Gleichzei tig versuchen wir, eine gewisse Distanz aufzubauen. Das klappt mal besser und manchmal weni ger gut. Doch selbst wenn man zu

Sabina: In den meisten Fällen finden wir zusammen tatsächlich eine gute Lösung. Das Schlimmste ist vor allem dieser Schock am An fang, ausgelöst durch die tatsäch liche Kündigung. Der tritt oft auch dann auf, wenn bereits vorher – etwa auf Mieterversammlungen – über den Umfang des Umbaus informiert wurde. Meist ist bereits im Vorfeld klar, worauf es hinaus läuft. Dass sich die Betroffenen mit der Zeit wieder etwas fassen können, ist nicht zuletzt dem Um stand geschuldet, dass wir wirklich probieren, frühzeitig vor dem Aus zugstermin zu kündigen, sodass alle Mieter:innen genügend Zeit haben, sich darauf einzustellen. Meistens finden sie dann wäh rend dieser Zeit auch eine Lösung – und das trifft zum Glück auch auf diejenigen zu, die sich das zu Beginn wirklich gar nicht vorstellen können. Das war übrigens auch bei dem vorher erwähnten Beispiel mit den drei Wohnungen so: Alle Parteien fanden etwas Tolles für ihre Familien und konnten sogar im Quartier bleiben.

Beginn keine Lösung sieht und das Rad der Zeit im Schockmoment stillzustehen droht: Die Zeit läuft dennoch weiter und eine Lösung ist früher oder später immer in Sicht. Indem ihr ein Gebäude länger als die meisten anderen GebäudeberuflichlangeihrergewissermassenzuBerufbegleitet,MenschendieinihremmitImmobilientunhaben,seidihrTeilBeständigkeit.WiehabtihrimSchnittmitdemselbenzutun?

INTERVIEW98

Sabina: Ich zum Teil seit 20 Jahren (lacht). Also seit ich meine Stelle bei Wirz Tanner angetreten habe. Ich kenne auch die Menschen, die dort wohnen, viele mittlerweile persönlich. Da lernt man natürlich auch, Situationen vor Ort besser einzuschätzen. Das hilft zum Bei spiel, wenn es Reklamationen gibt. Mein Fazit: Je länger ich mit einer Liegenschaft arbeiten kann, desto Sandra:besser.

Genau. Je länger ich mit Mietparteien zu tun habe, umso besser ist die Beziehung zu ihnen. Was die persönlichen Bekanntschaften angeht, so sind es gerade Dinge wie ein Wasser schaden oder ein Umbau, die uns stärker verbinden. Da spielen die Menschlichkeit und das Mitein ander eine grosse Rolle. Ich hatte beispielsweise mal einen Notfall an einem Samstagabend um 22 Uhr. Es lag ein Wasserschaden vor und die betroffene Mietpartei war abwesend. Ich holte im Büro den Passe-Partout, um die Wohnungs türe zu öffnen. Anschliessend half ich den Nachbarmieter:innen beim SolcheTrocknen.Aktionen verbinden un gemein, sodass wir heute per Du sind. Mitten im Geschehen zu sein, bietet eine ganz andere Perspek tive. Manchmal wird es auch zu persönlich, dann trete ich wieder etwas in Distanz und sehe die Angelegenheit sachlich vor mir. Voraussetzungen für eine gute Beziehung sind das Zuhören, der gegenseitige Respekt, Akzeptanz und ein transparentes Auftreten. Ein kleines

erwartetWelchebewirtschafterinnen.seidsagtbekanntderberuflichkennenlernt,demzuexperiment:Gedanken-IhrgehteinemAnlass,anihrMenschendiewedernochprivatmitImmobilienbranchesind.Ihrdann,ihrImmobilien-Reaktionenihr?

Sabina Jungen Sabina: Ja, solche schlechten Er fahrungen werden schnell auf uns übertragen. Auch ich merke in sol chen Momenten, dass die meisten Menschen von unserem konkreten Berufsalltag keine Ahnung haben. Viele haben die Vorstellung, dass mit dem Einzug alles geklärt ist. All die kleinen Dinge und Konflikte, die den Alltag in Gebäuden be gleiten, sehen viele nicht. In der Vorstellung werden sie oft ausge blendet.

Sabina: Ich treffe in solchen Situationen oft auf Menschen, die sich nicht vorstellen kön nen, welche Tätigkeiten meinen Berufsalltag begleiten. Manchmal müssen wir pro Tag 20 Entschei dungen treffen, sei es in Bezug auf Reparaturen oder Probleme der Mieter:innen untereinander. Viele denken bei unserem Job an das Zeigen von Wohnungen und stellen sich das ganz idyllisch vor. Was jedoch alles dazuge hört, ist ihnen oft nicht bewusst. Vorurteile sind vor allem dann zu spüren, wenn jemand schon selbst schlechte Erfahrungen gemacht hat bei einer Wohnungsübergabe oder Ähnlichem. «Je länger ich mit destoarbeitenLiegenschafteinerkann,besser.»

Schäden oder Reparaturen, die ich melden müsste. Aber die vielen Wohnungen in meinem Berufsall tag zu sehen, beeinflusst mich. Ich finde es immer sehr spannend, zu sehen, wie Menschen leben. Das inspiriert mich auch für mein eigenes Wohnen. Ich kann mich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen, der mir gefällt. Oft ist es das mit Liebe Gemachte, das Selbstgemachte, die Dekoration, die mir gefallen und mich inspi rieren. Wenn man sieht, dass sich da jemand Mühe gegeben hat. Ich mag es, wenn es in einer Wohnung bunt ist, nicht unbedingt nur mit Farben, sondern wenn man merkt, dass hier gelebt wird.

Sabina: Als Mieterin spüre ich das vor allem dadurch, dass ich ein Verständnis für meinen Vermie ter habe. Ich weiss, bei welchen Problemen mein Vermieter nicht die richtige Ansprechperson ist und wann ich etwas melden sollte. Ich bin da sehr zurückhaltend. Ich würde sagen, ich bin gerade wegen meines eigenen Berufs be sonders respektvoll und achtsam. Sandra: Als Eigentümerin werde ich nicht gross konfrontiert mit

Sandra: Ich glaube, das Wichtigste ist, offen und kontaktfreudig zu sein. Der Kontakt mit Menschen ist unumgänglich, was eine ge wisse Offenheit voraussetzt. Das Spektrum reicht von sehr dank baren Mieter:innen und sachlichen Verhandlungen bis hin zu recht lichen Auseinandersetzungen vor renteSabina:Schlichtungsbehörden.Ja,ichglaube,introvertierMenschenhabeneinenschweStand.Manmussesmögen,

oft mit Menschen in Kontakt zu stehen. Denkt ihr, dass ihr durch euren Beruf das eigene Wohnen anders erlebt?

Wenn ein:e Schulabgänger:in sich für euren Beruf interessiert, was würdet ihr ihm oder ihr raten? Wann ist der Beruf für sie geeignet?

Aus einem grösseren Wohnblock meldeten Mietparteien bei Sandra immer mehr komische Vorfälle: Es wurden Keller aufgebrochen, diverse Sachen wie Wein, Kleider und Pakete gestoh len. Auf der Terrasse wurden Gegenstände absichtlich aufgeschlitzt und demoliert. Es wurden Fallen gestellt, Krähen angeschossen, Türschlösser mit Klebstoff verschlossen, Abläufe mit Glasscherben und Zuckerwasser gefüllt. Nach drei Wochen war der Übeltäter identifiziert: ein praktizierender Neurochirurg. Die Kündigung folgte umgehend. Bei der Wohnungsabnahme fand Sandra Skalpelle und Instrumente aller Art. Der ehemalige Mieter hatte einen Schaden von rund 45‘000 Franken an der Liegenschaft verursacht. «Das Geld erhielt ich am nächsten Tag. Der Fall beschäftigte und bewegte mich noch eine ganze Weile, da ich den Beweggrund suchte, wieso jemand, der beruflich erfolgreich und in der Gesellschaft breit akzeptiert ist, einen solchen Scha den verursacht hatte. Diese Geschichte zeigt auch, dass Schemadenken oder Vorurteile fehl am Platz sind», so Sandra abschliessend.

Eine unglaubliche Geschichte

INTERVIEW99

Was Wirz Tanner als Immobilienfirma auch auszeichnet, ist die Nähe zum Berner Baugewerbe. Als Mitbe gründerin der Stadtwohnung Bern AG und der Regio Wohnbau AG hat die Geschäftsführung dieser Gesellschaften Tradition. In Zusammenarbeit sind so einige spannende Projekte entstanden. Eines davon ist die gemeinnützige Wohnsiedlung «Crescendo» in Bern Ausserholligen.

CRESCENDO

Bern«Steigerhubel»,Quartier«Crescendo»,Überbauung

101

IM NÜTZIGKEITDERZEICHENGEMEIN-

Da die Bodenpreise für die ge meinnützigen Bauträger:innen ein Hindernis darstellten, stellte die Stadt das Land im Baurecht mit einer Vergünstigung des Bau rechtszinses um 20 Prozent zur Verfügung. Im damaligen Bern sei klar gewesen, dass es mit der Auf lage der Gemeinnützigkeit nur eine Handvoll Eingaben geben würde, erinnert sich Ruedi Tanner. Als Geschäftsführer der damaligen Regio Wohnbaugenossenschaft Bern profitierte er von der Erfah rung und dem Netzwerk des Prä sidenten der Gesellschaft, Franz Biffiger. Sie wurden Teil eines der kombinierten Wettbewerbsteams. Die Teilnahme erfolgte gemein sam mit den Architekturbüros arb Architekten und Schwaar & Partner AG. Als Bietergemeinschaft würde das Team Planung, Finanzierung, Baurealisation und Betrieb über nehmen. Mit dem Projekt «Cre scendo» gewann es schliesslich den Wettbewerb. Gebaut wurde «Crescendo» in den Jahren 2008 bis 2010. Das Verfahren hat sich auch für die Stadt Bern ausgezahlt und wurde in weiteren Arealen, beispielsweise im Stadtquartier «Holligen», weiterentwickelt.

CRESCENDO102

Neue Wege im Wohnungsbau

2004 hiess die Berner Stimmbe völkerung einen neuen Zonenplan gut, der auf dem ehemals gewerb lich genutzten Areal des heutigen «Crescendo» Wohnungen er möglichen sollte. Die betroffenen Grundstücke in Ausserholligen waren damals im Eigentum der Stadt Bern. Diese schrieb 2007 als Pilotversuch einen Investorenwett bewerb aus, zu dem nur gemein nützige Bauträger:innen einge laden wurden. Dieses Verfahren sollte möglichst preisgünstige Wohnungen möglich machen, ab geschirmt von den Einflüssen des freien Marktes.

Nachhaltiges Bauen

Im Projekt «Crescendo» war Nach haltigkeit Programm. Das betrifft nicht nur die ökologische, sondern auch die soziale Nachhaltigkeit.

Tiefe Mieten und gleichzeitig ein kleiner ökologischer Fussabdruck wurden angestrebt. Zwei Faktoren, die nicht immer einfach zusam menkommen. Das Architekturbüro arb bezeichnet diese Kombination als Alltag: «Unsere Herangehens weise war beim Projekt «Crescen do» nicht grundsätzlich anders als bei anderen Aufgabenstellungen.

Unter den acht Atelierwohnungen im Sockelgeschoss befindet sich eine Einstellhalle. Ausserdem sind neben verschiedenen Aufenthaltsund Spielbereichen gleich zwei Kitas in «Crescendo» vorhanden.

Auch die Form der Baukörper folgt der Idee, dass das Grundstück möglichst durchlässig bleibt und weiterhin Durchblicke möglich sind.

Architekt:innen haben immer alle Aspekte der Nachhaltigkeit in einem Entwurf zu vereinen. Wir suchen generell das langfristig Gültige oder das Wandelbare, weil die Lebenszyklen von Gebäuden für die Beurteilung einer sozialen Nachhaltigkeit und einer guten Ökologiebilanz eine zentrale Rolle spielen», erläutert Christine Oder matt, Partnerin bei arb. Die Architektin, die das Projekt «Crescendo» massgeblich mitge prägt hat, betont zudem die Kos tenfrage unter den spezifischen Umständen der Gemeinnützigkeit: «Die grösste Herausforderung in allen Phasen der Planung und der Realisierung war die Einhaltung der budgetierten Erstellungskos ten, um das übergeordnete Ziel der preisgünstigen Wohnungen zu erreichen. Dabei wollten wir möglichst wenig Abstriche bei der Nachhaltigkeit machen. So haben wir uns deshalb für eine kostengünstige Konstruktion und Materialisierung entschieden, aber nach dem Minergie-Standard eine Lüftung und eine Pelletheizung eingebaut.» Damit konnten die Pla ner:innen die Minergie-Bauweise einhalten, wie sie im Wettbewerb gefordert war. Akzente setzen Um trotz des engen Kostendaches eine möglichst hohe Wohnqualität zu schaffen, waren einige Kunst griffe nötig. Das erforderte insbe sondere das genaue Hinschauen bei den Details. Diese wurden ein fach gehalten; auf Überflüssiges wurde verzichtet. Den Aussenraum zieren statt teurer Naturstein platten normale Betonverbund steine. Im Innenausbau setzten die Planer:innen bewusst Akzente, die die Wohnqualität positiv beeinflus sen. Die insgesamt 51 Wohnungen zeichnen sich durch weiss lasier ten Eichenparkett und Sichtbeton decken aus. «Wir

Die zwei Kitas, die anfänglich noch auf Widerstand stiessen, sind heute laut Wirz Tanner bei der Ver mietung ein grosser Vorteil. Eine öffentliche Wegverbindung sorgt für die Integration der Gebäude ins umliegende Quartier.

RolleeineÖkologiebilanzeinerhaltigkeitsozialenurteilungfürvonLebenszyklenbare,dasGültigelangfristiggenerellsuchendasoderWandel-weildieGebäudendieBe-einerNach-undgutenzentralespielen.»

Von Westen nach Osten wachsen die Gebäudetiefen, womit beste hende Strassenfluchten aufge nommen wurden und eine erhöhte Dichte entstand. Die Vielfalt der Wohnungsgrundrisse ergab sich durch die trapezförmigen Baukör per. Es ist eine Architektur, die sich von aussen nach innen entwickelt.

CRESCENDO103

Christine Odermatt, Partnerin arb

Der städtebauliche Kontext in Aus serholligen war nicht einfach. Das Grundstück wies eine trapezför mige Form auf. Mit drei kompakten Baukörpern reagierte «Crescendo» gekonnt auf diese Gegebenheiten.

Bei der Beurteilung der Beiträge wurde den Anforderungen an preisgünstigen Wohnraum, an die nachhaltige Bauweise sowie an die Vernetzung mit dem Quartier «Ausserholligen» eine hohe Be deutung beigemessen. «Crescendo» zeigt, wie hohe Anforderungen an soziale und ökologische Nachhaltigkeit vereint werden können, wenn die richti gen Rahmenbedingungen mit den richtigen Planer:innen zusammen kommen.

Bei der Innenausstattung setzen Eichenparkett und Sichtbetondecken bewusst Akzente

CRESCENDO104

Für Odermatt ist klar, dass die Architektur von «Crescendo» schliesslich nicht nur eine gute Wohnqualität, sondern auch ein lebendiges Quartier ermöglichen kann. Die Architektin betont die Zusammenarbeit der Planer:innen als wichtigen Aspekt des Projekt erfolgs: «Ich bin überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit einem zweiten Architekturbüro mit ein Grund war, dass sich das Projekt «Crescendo» im Wettbewerb durchgesetzt hat. Jeder planeri sche Entscheid wurde von zwei Architekturbüros kritisch durch leuchtet und musste alle im Team überzeugen. Dabei war wohl das Ringen um das richtige und mass volle städtebauliche Bebauungs konzept der Schlüssel zum Erfolg.»

Viele Augen führen zum Erfolg

CRESCENDO105 LoggiengrosszügigebietenBaukörperkompaktendreiDie

UHLMANN-AREAL107

Wer am Rand von Bümpliz in den Bremgartenwald spaziert, passiert seit 2020 eine Wohnüberbauung, deren Frontfassade ins Auge sticht – vor allem wegen der vorderseitigen Aussenräume, die an amerikanische «Porches» erinnern. Sie versprühen einen Hauch Inter nationalität in dem ruhigen Wohnquartier. Der ausge zeichnete Wohnbau aus der Feder des Architekturbüros Graber Pulver leistet auch einen Beitrag zu nachhaltigerem Wohnen. Lesen Sie auf den folgenden Seiten vom Umgang mit knappen Ressourcen und weshalb Typologien bei der Umweltfrage entscheidend sind.

Bern«Uhlmann-Areal»,Überbauung

TIGESFÜRTYPOLOGIENNACHHAL-WOHNEN

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/gebaeude/kategorie.html1

einheiten um ein Vielfaches tiefer liegt.2 Es gibt schliesslich viele gute Gründe, die Typologie des Einfamilienhauses zu hinterfragen. Das findet auch Thomas Pulver, Partner des Architekturbüros Graber Pulver.

2https://viz.bfs.admin.ch/assets/09/ga-09.01/de/index.html

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Ruedi Tanner

Die beliebte Typologie erleidet heute in Nach haltigkeitsdiskussionen einen Imageschaden, denn das Woh nen im Einfamilienhaus mit Um schwung ist beiistHausbrauchtEinewendig.nötigenantieferhäusernpronurVerhältnismässigressourcenintensiv.grossistnichtdiebeanspruchteWohnflächePerson,dieinMehrfamilienbereitsimSchnitteinigesliegt.AuchdasAnbindenStrassenunddasErstellenderInfrastrukturensindaufEinfahrtundeineHeizungesinderRegelfürjedeseinzeln.EntsprechendhochauchderHeizungsaufwand,dermehrseitigangebautenWohn

WohntypologienZukunftsfähige

cen fest.» Trotzdem: Besonders bei Familien sind Einfamilienhäuser nach wie vor sehr beliebt. «Die Meinungen inDonalds-Drive-mitmanOffenbarauseinander.gingenhattedortehereinemMc-gerechnet.»

Die Schweiz hat ein Einfamilien hausproblem. Über die Hälfte der Wohngebäude in der Schweiz sind Einfamilienhäuser.1

Der Architekt beobachtet je doch auch eine Veränderung der Mentalität: «Das frei stehende Einfamilienhaus mit Garten scheint auch heute für viele Menschen die ideale Wohnform zu sein – ein grosses Desiderat schlechthin. 10’000 solcher Einfamilienhäuser entstehen jährlich in der Schweiz. Insbesondere bei Städter:innen stellen wir aber ein zunehmendes Bewusstsein für den Erhalt unserer Landschaften und für einen ent sprechend nachhaltigen und haus hälterischen Umgang mit Ressour

Das Einfamilienhaus sowiedichtung,AnreizementarischeEinfamilienhauszonenbegrüssen:auchlationenUmFussabdruckzuzugverbrauchestragEigentumswohnungengeworden.fürmann-Areal»EigentumswohnungenInteressanterweiseAlternativen.fehlenlösungtisch,ElternteileSchweiz.HälfteseltenzweiofttauglichwenigstenObwohlHausausziehensiertMenschendannressourcentechnischschneidetvorallemschlechtab,wennwenigedarinwohnen.Daspasmeistens,sobalddieKinderunddieElternalleinimwohnenbleiben.EinfamilienhäuserindenFällenbesondersalterssind,lebenimAnschlussüberJahrzehntenureineoderPersonendarin.DasistnichtundbetrifftderzeitfastdiederEinfamilienhäuserinderFürdieverbleibendenistesnichtunproblemaeinepassendeAnschlusszufinden.Unteranderemattraktiveundbezahlbaresindeinigederim«UhlzurAnschlusslösungdasEinfamilienhausmitGartenDamitleistendieseeinenBeizurVerkleinerungdesLandproPerson.EinUmins«Uhlmann-Areal»kannsoeinemkleinerenökologischenführen.nachhaltigereWohnkonstelzufördern,würdePulverpolitischeMassnahmen«GenerellsolltenfürbauregleMöglichkeitenundfüreineräumlicheVerArealausnutzungsbonisteuerlicheVorteilege schaffen werden. Interessant wäre auch eine Vorgabe von minimalen Ausnützungs- oder Baumassen Franzziffern.»Arnold und Ursula Trachsel haben den Wechsel in eine klei nere Wohnung gewagt. Nachdem sie lange in einem frei stehenden Einfamilienhaus auf drei Etagen mit Umschwung gewohnt hatten, kauften sie sich mit Blick auf das Alter eine Eigentumswohnung im «Uhlmann-Areal». Ihr ehemaliges Haus konnten sie an eine Familie mit Kindern verkaufen. Mit ihrer neuen 3.5-Zimmerwoh nung auf 93 m2 haben sich Arnold und Trachsel sehr bewusst dafür entschieden, ihren Wohnraum zu reduzieren. Obwohl der Entscheid von langer Hand geplant war, fiel es schliesslich nicht ganz leicht, das gemeinsame Haus aufzuge ben. Wohn(t)räumeUnterschiedliche Dass das «Uhlmann-Areal» zu einem Ort für Eigentumswohnun gen wurde, kam unerwartet. Ruedi Tanner erinnert sich an grosse Wi derstände: «Die Meinungen gingen auseinander. Auf Planungsebene schwebte einigen ein Grossvolu men für Mietwohnungen vor. Im umliegenden Quartier spürte ich nach Bauabschluss eine freudige Erleichterung. Offenbar hatte man dort eher mit einem McDonaldsDrive-in gerechnet.»

Die Erwartungen der Planer:innen und der gendasbasiertenQuartierbewohner:innenaufderVorstellung,dassArealunattraktivfürWohnunsei.SeineLageamSiedlungsrand,unweitderAutobahnundderIndustriezone,empfandenvieleals«Unort».DerehemaligeEigentümerkamaufTannerzuundstellteihmdieMachbarkeitsstudievonGraberPulverArchitektenvor.AlsTannerdieneunVariantenausImmobiliensichtbeurteilte,warerüberzeugt:MietwohnungenwürdenandiesemStandortaufgrundderplanerischbegrenztenAusnützungnichtrentieren.StattdessenempfahlerpreislichattraktiveEigentumswohnungen.AlsEntwicklerundGeschäftsführerbegleiteteTannerschliesslichdenBauvonBeginnwegundachteteaufeinentsprechendesKostenmanagement.Im«Uhlmann-Areal»gibtesaberauchräumlicheFaktoren,welchedieWohnungenbesondersattraktivmachen.DenndempotenziellenEngegefühl,daskleineGrundflächenerzeugenkönnen,habendieArchitekt:innenbewusstentgegengewirkt.PulverbetontdabeivorallemdiedoppelgeschossigenRäumeunddiemehrseitigenAusrichtungenderWohnungen:«DasübertiefeHochparterre-Geschossnimmtachtdurchgesteckte,loftartigeWohneinheitenauf,welchejeübereinengrosszügigenWohn-Ess-undKochbereichverfügen.

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Die Betonelemente fügen die Fassade visuell zusammen und geben dem Gebäude sein charak teristisches Gesicht. Als gerüstartiger Raumkörper entwickeln sie sich ohne Unterbruch entlang der Frontfassade, wo sie bei den Eingangsbereichen die Funktion der Überdachung und räumlichen Markierung übernehmen. Die Porches machen das «UhlmannAreal» auch zu einer Adresse, an die man sich erinnert: «Als starkes, einprägsames Bild verfügt die Porch überdies über eine sug gestive Kraft, erinnert sie doch an die gedeckten

Im Aussenbereich sind es vor allem die sogenannten «Porches», die der Architektur vorderseitig eine starke Identität geben. Diese mit dem Haus verbundenen An bauten kennen wir hierzulande vor allem aus amerikanischen Filmen.

AussenräumeCharakterstarke

AspektwirddeMitlassen»,gänge,dieamerikanischerAussenbereicheLandhäuserundgrossartigenSonnenunterdiesichvondortgeniessenerklärtPulver.densichausderFrontfassaentwickelndenAussenräumenschliesslicheinemweiterenRechnunggetragen,der

Die Wohnung von Trachsel und Arnold etwa setzt mit Parkettbo den dem kühlen Sichtbeton eine angenehme Wärme entgegen. Nebenan wohnen Evelyne und Ruedi Tanner, die sich mit einem dunklen fugenlosen Boden und zurückhaltenden Farben dafür entschieden haben, die markante Formensprache der Architektur zu unterstreichen. Allen Wohnungen gemeinsam ist, dass die Küchen ihr Zentrum bilden. Sie sind offen gestaltet und befinden sich jeweils ungefähr in der Mitte der Gebäu detiefe. Die Wohnräume entwi ckeln sich um sie herum. In den vier Attikawohnungen werden die Küchen jeweils durch ein rundes Oblicht zu hellen Orten. In den acht 3.5-Zimmerwohnun gen auf Ebene des Hochparterres sind die Küchenräume doppelge schossig. Sie fallen auf und schaf fen eine Grosszügigkeit in den schlank bemessenen Wohnungen. Gedeckelt werden auch sie jeweils durch ein rundes Dachfenster, das, wie ein Auge, den Blick auf den Himmel freigibt. Eingerahmt wird das täglich wechselnde Wetterbild von rohem Sichtbeton. «Dieser partiell versorgt.»TageslichtzenitalRaumgeschossigedoppel-wirdmit

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Im Gegensatz zu Terrassen befin den sie sich nicht hinter, sondern vor dem Haus und sind überdacht. Im «Uhlmann-Areal» werden sie räumlich durch markante Beton stäbe gefasst, die auf Bodenhöhe Einigebeginnen.dickere Pfosten ziehen sich weiter an der Fassade hinauf, wo sie die Überdachung der Porches tragen. Die 15 m2 grossen, über hohen Aussenräume lassen sich mit Stoffmarkisen beschatten und Betontreppen führen in die vor gelagerten Gärten.

Dieser partiell doppelgeschossige Raum wird zenital mit Tageslicht versorgt. Darüber liegen vier At tikawohnungen, die aufgrund der Ausdrehung der Gebäudegeomet rie über eine attraktive mehrseitige Orientierung verfügen.» Trotz der verdichteten Bauweise sei es ein Anliegen gewesen, den Bewohner:innen ein hohes Mass an Individualität zu bieten. Das sei nicht zuletzt auch eines der Hauptattribute von Einfamilien Denhäusern.Käufer:innen wurde es be wusst ermöglicht, sich in Innen ausbau, Ausstattung und teils auch Grundrisse einzubringen. Die Wohnatmosphären sind individuell, vielseitig und widerspiegeln die Vorlieben ihrer Bewohner:innen.

Thomas Pulver, Graber Pulver Architekten

UHLMANN-AREAL111Oblicht sorgt in den Küchenräumen für ein Gefühl von Grosszügigkeit

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wird an warmen Tagen zum zweiten Wohnzimmer des Ehepaars. Auch Ursula Trachsel schätzt den Aussenbereich ihrer Eigentumswohnung: «Dank des weiten Aussenraums verdoppelt sich unsere Wohnfläche von Früh ling bis Herbst.» «Dank des weiten bisvonWohnflächesichverdoppeltsenraumsAus-unsereFrühlingHerbst.»

kubisch gegliederten Baukörper. Einen wichtigen volumetrischen Ansatzpunkt bildete dabei der ehemalige LKW-Unterstand des Transportunternehmens, der einst die Parzelle flächig besetzte. Über dessen Fussabdruck entwickelten wir den neuen Wohnbau», führt Pulver weiter aus. Mit baulichen Vor- und Rücksprün gen entstand trotz der grossen Gebäudegrundfläche ein aufge lockerter Eindruck. Das Gebäude verträgt sich damit auch mit den vis-à-vis liegenden Einfamilien

an Einfamilienhäusern besonders geschätzt wird: der eigene Garten sowie grosszügige Terrassen. Umschwung hatten auch Trachsel und Arnold in ihrem Einfamilien haus in Spiez. Dass der Garten in ihrem neuen Zuhause etwas weniger gross ist, kam den beiden gelegen. Denn der grosse Garten bedeutete auch viel Arbeit. «Zu viel fürs hohe Alter, deshalb haben wir bereits jetzt beschlossen, das Haus mit Garten einer jungen Familie zu überlassen», so Franz DieArnold.Porch

Derhäusern.Waldweg in das zukehren»,immerJahrendembezüglich«BernwegenhabenIhrendernisfreilicheWohnungendieParkplätzenfreiemParkplätzeeinehintereHausBernNaherholungsgebietgrösstederStadtbeginntdirekthinterdemundwirdregegenutzt.DieFassadeführtdabeiaufAsphaltfläche,dieüberdachtewieauchsolcheunterHimmelbietet.VondenführteineTürdirektinTreppenhäuser,diejeweilsdreierschliessen.SämtWohnungensindzudemhinmiteinemLifterreichbar.neuenLebensmittelpunktTrachselundArnoldauchderUmgebunggewählt:überzeugtunsschonlangeWohnattraktivität.Nachwirbeidebereitsinfrüherenhiergelebthaben,waresunserPlan,einmalzurückmeintUrsulaTrachsel.

Ursula WohnungseigentümerinTrachsel, Uhlmann-Areal Zwar blicken die beiden nicht mehr wie früher in Spiez jeden Morgen auf den See und in die Berge. Doch die Porches, ausgerichtet gegen Südwesten, bieten reich lich Abendsonne. Rückseitig führt der Blick direkt ins satte Grün des Bremgartenwaldes. Anbindung Quartierlebenans Das Quartier direkt am Bremgar tenwald war mit ein Grund für das unübliche Bauvolumen. Die Ar chitekt:innen nahmen die hetero gene Atmosphäre vor Ort auf und führten sie weiter: «Gesichtslose Wohnblocks aus den 1980er-Jah ren, chaletartige Einfamilienhäu ser aus den 1950er-Jahren sowie achtgeschossige Gewerbebauten im Süden prägen den Ort eben so wie die Autobahn, die unweit nordöstlich durch den Stadtwald rauscht. Diesen Kontext nahmen wir zum Anlass, einen eigenständi gen Wohnbau mit starker Identität zu entwickeln», so Pulver. Diese Identität brachte Wirz Tanner be wusst auch in der Vermarktung der Wohnungen zum Ausdruck. Mit der grossen und hätte,es«Stattfürder«Uhlmann-Areals»dieArchitekt:innenGebäudegrundflächeflächigenspielendieausserdemaufhistorischeEntwicklungdes–benanntnachfrüherdortansässigenFirmaMuldentransport–selbstan:zweioderdreiVolumen,wiedieRegelbauweisevorgesehenplantenwireinenlangen,

UHLMANN-AREAL113

Und die Kinder, die sie früher im Einfamilienhaus besuchten, kom men gerne. Schnell sind sie mit dem Postauto, dessen Haltestelle nur drei Minuten von der Haus türe entfernt ist, bei den Eltern zu DasBesuch.Areal ist zu einem lebendigen Stück Stadt geworden. Arnold und Trachsel stehen in ihrem Alltag re gelmässig mit ihren direkten Nach bar:innen, aber auch mit anderen Bewohner:innen des Quartiers im Austausch. «Die enge Verknüpfung mit der unsschaftNachbar-gefälltgut.»

Franz WohnungseigentümerArnold, Uhlmann-Areal Das Quartierleben trägt zur Lebensqualität bei: «Die enge Ver knüpfung mit der Nachbarschaft gefällt uns gut», meint Arnold. Er und seine Partnerin engagieren sich aktiv im Quartier, in dem es verschiedene wiederkehrende Anlässe gibt, an denen sich alt eingesessene und neue Gesichter Estreffen.sind schliesslich verschie dene Aspekte, die Trachsel an ihrem neuen Zuhause besonders schätzt: «Wir haben grosse Freude an unserem Wohnraum, unserer unmittelbaren Umgebung, der städtischen Ambiance, dem kultu rellen Angebot und allem, was das Quartier und die Stadt sonst noch zu bieten haben.»

Die Gründe für eine Verkleinerung des Wohnraums sind vielseitig. Der Umzug von Trachsel und Arnold in das «Uhlmann-Areal» ist ein Bei spiel, das zeigt, wie diese Umstel lung gelingen kann. Geschickt nimmt die neue Wohn überbauung am Waldrand einige Attribute der Einfamilienhaus-Ty pologie auf und fügt neue hinzu.

Erfolgreiche Mischung

Die Demografie der heutigen Bewohner:innen und ihre Wohnund Lebensgeschichten sprechen dafür, dass im «Uhlmann-Areal» die richtigen Faktoren zusammen gekommen sind, um eine Lebens weise auf kleinerem Raum zu begünstigen. Die Anbindung an die Stadt, die Einbindung ins Quartier, die attraktiven Aussenräume, die Naherholungsmöglichkeiten, aber auch die räumlichen Qualitäten ih rer Architektur und die individuel len Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Wohnungen haben dazu beigetragen. Mit dieser Mischung hat der Bau schliesslich auch die internationale Jury des «best architects award» überzeugt, der ihm 2020 verliehen wurde.

Ansicht auf die Porsches im «Uhlmann-Areal»

Herrenschwanden ist seit 2022 um eine Wohnsiedlung reicher. Mit dem Projekt «Südhang» propagiert das Architekturbüro Graber Pulver nicht nur eine Abkehr vom Einfamilienhaus, das weite Landstriche im Schweizer Mittelland belegt. Es bleibt auch einem Baustoff treu, der in Verruf geraten ist: dem Beton. Die Projekt geschichte veranschaulicht, weshalb gerade der «Südhang» ortsgeschichtlich mit dem Beton verbunden ist. Sie erzählt vom kritischen Umgang mit Baumaterialien und wie gemeinsame Planungsüberzeugungen gute Architektur begünstigen.

SÜDHANG117Herrenschwanden«Südhang»,Überbauung HÄRTE WEICHETRIFFT

Das widerspiegelt die Entwurfshal tung von Graber Pulver: «Grund sätzlich gilt: zuerst die Stadt, dann das Haus. Das heisst also, Städte bau vor Typus», so Thomas Pulver, Partner und Mitbegründer des situationsichdenDiesenenwerdenrenschwandendaskeitfügenDieArchitekturbüros.vierDoppeleinfamilienhäusersichinihrerMassstäblichundihrenVolumennahtlosingewachseneDorfbildvonHerein.AufeinerKartesieimkleinkörniggewachKontextkaumauffallen.WohnungenprofitierenvonGeländeterrassierungen,diebereitsbeiderAnkunftsentlangderBernstrasse

WegeUnkonventionellegehen

Auf Basis der erfolgreichen Zu sammenarbeit im «Uhlmann-Areal» entstand eine weitere Projektidee zwischen dem Architekturbüro Graber Pulver und Wirz Tanner. Eine marktunübliche Typologie und das damit einhergehende Risiko hatten sich bereits in Bern Bethle hem gelohnt. Das Wohnprojekt «Südhang» – be nannt nach seiner Lage am südlich abfallenden Hang zur Aare – baute auf dieser Planungserfahrung auf. Wieder standen unkonventionelle Ansätze im Zentrum, diesmal et was ausserhalb der Stadt Bern. Mit seinen rund 3‘000 Einwohner:in nen weist das dörfliche Herren schwanden einen ganz anderen Kontext auf.

Über dem Flusseinschnitt gele gen, wird die bäuerlich geprägte Gemeinde jedoch topografisch durch denselben Fluss geformt wie die Stadt Bern. Mit 12-minüti ger Fahrdistanz sind die wenigen Kilometer zum nördlichen Bern schnell überbrückt. Der Bus hält in Herrenschwanden direkt vor der neuen dasdenDennochalleindasKontrastSichtbeton.ihroffenenneueAutoBesucher:innen,Wohnüberbauung.diemitdemankommen,offenbartdieÜberbauungbereitsimhalbPark-undUntergeschossprägnantestesMaterial:denDieserstehtinklaremzumaltenBauernhaus,nochvorwenigenJahrenaufdieserParzelleweilte.führendieneuenHäuserCharakterdesDorfesweiter,sieumgibt.

SÜDHANG118

In ihrer Grösse und Kubatur spre chen die vier neuen Baukörper die Sprache der umliegenden Bauten.

nach Südosten hin wurde ausserdem als Schutz vor den Verkehrsemissionen der alten Bernstrasse konzipiert, welche die Parzelle passiert. Die mehrgeschossigen Wohnungen umfassen zwischen 120 und 160 m2 Wohnfläche und richten sich vor allem an Familien.

Thomas Pulver, Graber Pulver Architekten

Waren vor dem Neubauprojekt nur zwei Parteien auf dem Areal wohn haft, so sind es heute neun. Darum lässt sich trotz der gross bemes senen Wohnungen von einer Ver dichtung sprechen.

aufspannen: Das nach Südosten abfallende Terrain wurde mithilfe von unterschiedlichen Zwischen ebenen aufgenommen. Diese sind so ausgestaltet, dass sie das Fundament für öffentliche und pri vate Aussenräume bilden und den insgesamt acht Wohneinheiten jeweils verschiedene Ausrichtun gen Dieseermöglichen.Abtreppung

baualso,Dasdannerstlich«Grundsätz-gilt:zu-dieStadt,dasHaus.heisstStädte-vorTypus.»

SÜDHANG119

Die Sache mit dem Beton Die Referenz für den Sichtbeton fanden die Architekt:innen in di rekter Nachbarschaft: Unweit des Bauplatzes befinden sich die gros se Halenbrücke, welche die Aare hin zur Stadt Bern überbrückt, und direkt daneben die berühmte Halensiedlung. Zum Beton inspirierte unter anderem die nahe gelegene Halenbrücke

Die Überbauung «Südhang» umfasst vier Doppeleinfamilienhäuser, die auch in ihren Aussenräumen von der Hanglage profitieren

wurden von den Architekten selbst verkauft – damals eine Neuheit. Mit Blick auf diese Referenz führt Pulver aus: «Der baukulturelle Wert einer sorgfältig gestalteten und über aus langlebigen Architektur ist unbezahlbar, weshalb uns Beton als Inbegriff eines dauerhaften Materials interessiert.» Aus umwelttechnischen Gründen wird dem Beton heute eine weit aus grössere Skepsis entgegen gebracht als zu Zeiten des Baus der Halensiedlung. Auf die Frage, ob es einen Widerspruch zwi schen dem grosszügigen Einsatz von Beton und einer nachhaltigen Architektur gibt, antwortet Pulver: «Beton steht für einen grossen Teil der weltweiten CO2-Emissionen Holz ist nachwachsend und bindet CO2. Dennoch sind Baustoffe nicht einfach in schlecht oder gut einzu teilen. Vielmehr muss es in Zukunft darum gehen, diese sparsam und angemessen einzusetzen.»

Diekriegszeit.grossmassstäbliche Siedlung ist mit ihrem prägenden Baumate rial Beton zur Ikone des Brutalis mus in der Schweiz geworden. Der strukturalistische Bau gilt mittler weile als Kulturgut von nationaler DieBedeutung.78Wohneinheiten

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Thomas Pulver, Graber Pulver Architekten Pulver verweist dabei auch auf die derzeitigen Bestrebungen, die Emissionen in der Herstellung von Beton zu reduzieren. Es geht aber auch um eine Verbesserung der Materialeigenschaften. Dazu ge hören einerseits Anstrengungen, die Mengen an Zementklinker in den Endprodukten zu verringern. Weiter sollen dadurch schlanke re Tragstrukturen und somit ein verringerter Materialverbrauch möglich werden. Dabei könnte die Schweiz ihr grosses Know-how im Umgang mit Beton ausbauen. Denn auch mit Blick auf die Ver fügbarkeit von Ressourcen liegt der Beton der Schweiz nicht ferner als Holz: «Beton ist ein robuster, prägender und identitätsstiften der Baustoff aus Kies, Sand und gebranntem Kalk. In der glazial geformten Moränenlandschaft des Aaretals sind diese Materialien in grossen Mengen vorhanden», ruft Pulver in Anbetracht der Kritik in ImErinnerung.Projekt«Südhang» kommt der Beton schliesslich sehr bewusst zum Zug. Gestalterisch ermög lichte er den Architekt:innen, eine Kontinuität zwischen innen und aussen zu schaffen. Das monolithi sche Material findet im Bereich der Fassade jeweils als glatt geschalte und gestockte Oberfläche seinen identitätsstiftenden Ausdruck. Insgesamt zeichnet der Beton auch für das harmonische Ganze, das die Überbauung «Südhang» verkörpert, horizontalenPfeilern«Zusammenmitverantwortlich:mitdenvertikalenderTalfassadeunddenBändernundVordächernunterstützendieBetonfassadendenmarkantenDuktusunddieGliederungderBaukörper»,begründetPulverdieMaterialwahlweiter.DashatnichtzuletztauchpragmatischeGründe:«InderspezifischenHanglage,indersichdasProjektbefindet,dientBetonzurStabilisierungdesBaugrundes.AuchbildeterdenidealenBaustofffüreineArtfestesinneresRückgrat:dieErschliessungsanlagemitParkingunddieZugängezudenWohnungen.InderAusformulierungvonStützmauernundTerrainanschlüssenundzurAusbildungderabgestuftenGebäudesockelistdermineralischeBaustoffunersetzbar»,soPulver.

Die Siedlung Halen (Realisierung 1955–1962) des Berner Archi tekturbüros Atelier 5 ist eines der bekanntesten Bauwerke der Nach

«In der spezifischen Hanglage, in der sich das Projekt befindet, dient Beton zur Baugrundes.»bilisierungSta-des

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sichtbarMaterialidentitätsstiftendesalsBetonderistinnenwieAussen

AusrichtungenVielseitige

Anders als in Einfamilienhäusern gibt es im «Südhang» mehrere ge meinsam genutzte Räume: «Zwei geteilte Aussenräume mit Kies flächen bieten genügend Platz für Grill und Pétanque. Die offene Einstellhalle ist gleichzeitig ein gedeckter Raum mit Brunnen und Zugängen zu den Wohnungen. An sie angrenzend finden sich Atelierund Hobbyräume», erläutert Pul ver. Damit nimmt die Überbauung «Südhang» einen Aspekt auf, den auch die nahe liegenden Halen siedlung aufweist: die Gemein schaft und die Räume, in denen sie stattfinden kann.

«Der teressiert.»MaterialsdauerhaftenbegriffBetonweshalbunbezahlbar,Architekturlanglebigenundtigeinerturellebaukul-Wertsorgfäl-gestaltetenüberausistunsalsIn-einesin-

Thomas Pulver, Graber Pulver Architekten Die Aussicht in

Von diesem inneren betonierten Rückgrat aus entwickeln sich die Gebäudesockel und die Aussen räume. Beide beziehen sich in Form und Setzung nicht nur auf den gebauten Kontext. Die vier Baukörper sind so ausge richtet, dass Ausblicke in verschie dene möglich Dersind.«Südhang» ist für solche Aus blicke optimal gelegen: Ostseitig wendet er sich mit Aussicht auf den Bantiger dem Morgenlicht zu. Der Blick in den Süden ver eint mehrere Bergansichten der Alpenkette – vor ihnen schneidet der Aarelauf sichtlich eine Linie in die Landschaft. Hangseitig nach Nordwesten führt der Blick auf eine Weide, die allabendlich zur Kulisse für den Sonnenuntergang Umwird.diese Aussichtsmöglichkei ten einzufangen, arbeiteten die Architekt:innen schliesslich auch mit grossformatigen Fensterfron ten. Zudem haben sie in zwei der Häuser die Wohnungen geschoss weise so miteinander verzahnt, dass sie auf dem Folgegeschoss an der gegenüberliegenden Haus seite liegen und damit jeweils die vollen Aussichtsmöglichkeiten des Gebäudekörpers ausschöpfen können.

Himmelsrichtungen

Schritt«Südhang»raumnungbieten.QualitätendiebehutsamGraber«Südhang»gebracht.familienhäusernLinieHimmelsrichtungenverschiedenewirdinerstermitalleinstehendenEininVerbindungMitderÜberbauungschafftdasTeamvonPulverArchitektenfolglichverdichteteBaukörper,dennocheinigeentscheidendeeinesEinfamilienhausesDadurchdassjedeWohübereinenprivatenAussenverfügt,unternimmtdernocheinenweitereninRichtungder–oftidea

lisierten – Vorstellungen des Ein familienhauses. Geschützt werden diese Aussenräume talseitig durch eine Pergola, bergseitig durch ein grosszügiges Vordach.

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Dies ist eine Eigenheit, die laut Pulver in Einfamilienhausquartie ren oft fehlt: «Ein qualitätsvoller Sozialraum ist in solchen Gebieten praktisch inexistent. Die Besitz verhältnisse in diesen Quartieren sind zu starr, als dass sich über geordnete Strategien umsetzen liessen.» Deshalb wandten sich die Architekt:innen im Projekt «Süd hang» offen gegen die Einfamilien haus-Typologie: «Bereits zu Beginn unserer Tätigkeit entschieden wir uns bewusst gegen die Planung von Einfamilienhäusern. Der Land- und Ressourcenverbrauch ist maximal und die Typologie und die Struktur des einzelnen Ein

SÜDHANG125familienhauses kann kaum oder nur schwer auf sich verändernde Lebensformen reagieren», äussert Pulver bestimmt. Wie die Eingangssituationen und Treppenhäuser im «UhlmannAreal» sind auch im «Südhang» die kollektiv zugänglichen Bereiche bewusst auf das beitragen.Umweltlein,entsteht.fühlen,unsdieEshen.inAustauschBegegnung.demdiewerdenderRäumenoderElementevermassgeschneidert.GemeinsameGraberPulnutztdazuarchitektonischewieÜberdachungenPergolen,dieinsolchenaucheineAtmosphäreGeborgenheitschaffen.DamitdieseÜbergangsbereiche,zwischendemEigenenundAnderenliegen,zumOrtderSiewendensichdemzu,kurzbevorsichalleihreprivatenRäumezurückziesindschliesslichdieNischen,Zwischenräume,indenenwirwederausgestelltnochalleinindenenGemeinschaftSiekommtnichtvonalerfordertArbeit.DiegebautekannzuihrerEntstehung

Gemeinsame Visionen Pulver lehrte seine jahrelan ge Erfahrung, wie Architektur ihre Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft erfüllen kann: «Grundsätzlich betrachten wir uns nicht als Spezialist:innen, die alle Antworten schon zum Voraus wis sen. Wir sind aber fähig, mit kom plexen Fragestellungen umzuge hen», führt der Architekt aus und fügt hinzu: «Entscheidend für gute Architektur ist immer eine gute Bauherrschaft. Die persönliche Beziehung zwischen Architekt:in und Endnutzer:in ist zunehmend aufgelöst. Nicht selten bauen wir als Architekt:innen für Immobilien entwickler:innen, die die Vorlieben ihrer Kund:innen bedienen, die sie zu kennen glauben, dabei aber oft falschliegen. Glücklicherweise gibt es auch Ausnahmen.»

Ruedi Tanner Dass Wirz Tanner eine solche ist, zeigt nicht nur die erneute Zu sammenarbeit. Einer der Sätze, die Ruedi Tanner immer wieder sagt, lautet: «Liegenschaften erzählen Geschichten von Menschen und ihrem Leben. Räume zu hinterfra gen bedeutet, sich mit dem Leben zu befassen.» Es ist erstaunlicherweise nicht weit entfernt von dem, was auch Pulver über das Entwerfen künf tiger Lebensrealitäten ausführt: «Architektur kann gesellschaft liche Probleme nicht kurieren, aber Räume schaffen. Diese sind immer Orte von Erfahrungen. Im Woh nungsbau müssen wir uns bewusst sein, dass wir nicht in erster Linie abstrakte Architekturen, sondern Lebensräume schaffen.» Was in der Halensiedlung die Be rufsgruppe der Architekt:innen als Verkäufer:innen ihrer Wohneinhei ten zusammenhielt, hielt auch das interdisziplinäre Planer:innenteam im «Südhang» zusammen: eine ge teilte Leidenschaft, die in gemein samen Wettbewerbsteilnahmen und nicht zuletzt in einen freund schaftlichen Dialog mündete. Im «Südhang» ist es gelungen, gute Architektur gemeinsam um zusetzen.

zumitbedeutet,hinterfragenben.undvonGeschichtenten«Liegenschaf-erzählenMenschenihremLe-RäumezusichdemLebenbefassen.»

MONOLITHIMSPIEGELUNGENGOLDENEN

NordBümpliz«Équipe»,Überbauung

Die grössten Bauten von Bümpliz Nord tragen aussen die raue Oberfläche des Betons. Einige weniger be kannte, kleinere sind mit Putzfassaden bestückt. Spa ziert man durch die Strassen von Berns Westen, gibt es aber auch Ausnahmen. Eine besonders einprägsa me ist der Neubau «Équipe»: Seine goldgelbe Fassade bleibt in Erinnerung. Diese Andersartigkeit spiegelt sich auch im Inneren des Wohnbaus, der sich an neuen Lebenskonzepten orientiert.

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Christine Odermatt, Partnerin des Architekturbüros arb, meint dazu: «Durch die Auseinandersetzung mit der Umgebung ist ein neuer Genius Loci entstanden. Das Pro jekt bildet neue Erlebnisräume. Es weist einen eigenständigen Aus druck und eine starke Identität auf, integriert sich aber problemlos in die bereits existierenden Quartier strukturen.»

Seine lichtreflektierende, metal lische Hülle zieht sich über die Fassade hinauf bis über das Dach

Seine Einzigartigkeit verdankt das Gebäude laut den Architekt:innen auch dem Prinzip des Genius Loci.

Steigt man am Bahnhof Bümpliz Nord von Bern her kommend aus, trifft man links auf grossmass stäbliche Hochhäuser geprägt von Sichtbeton. Die angrenzende Um gebung zeigt: Dieser Ausdrucks stärke in puncto Volumen und Material ist kaum etwas entgegen Eszusetzen.seidenn, man sucht in der Welt der Farbe: Nach zwei Minuten Gehweg macht sich bereits die goldgelbe Farbe des «Équipe» bemerkbar. Der Neubau aus der Feder des Berner Architekturbüros arb schafft seit seiner Fertigstel lung im Jahr 2021 einen neuen Akzent im Quartier. Typologisch als kompakter Körper ausgestaltet, reagiert er mit klaren Facetten auf die heterogene Umgebung.

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Goldgelb bekleidet

Nach dem Prinzip des Genius Loci spielt der Bezug der Architektur zum Ort also die Hauptrolle.

– ein Bekleidungsprinzip, das dem Haus einen monolithischen Cha rakter verleiht.

Dieses Prinzip, das in verschie denen Disziplinen unterschiedlich aufgefasst wird, bedeutet in der Architektur, dass diese sich aus den Merkmalen des Ortes hinaus entwickelt. Bei der Analyse des Bauplatzes und seiner Umgebung wird dabei bewusst nach Anknüp fungspunkten gesucht, die durch die architektonische Intervention in die Zukunft überführt werden können. Dabei von Bedeutung sind etwa das Wissen, die Erinnerung, die Wahrnehmung und die Deu tung eines Ortes, die Teil einer Gesamtinterpretation sein können.

Die Bäder sind mit ihren schach brettartigen Bodenplatten ein Hin gucker. Ein fugenloser Gussboden sowie Chromstahlabdeckungen in den Küchen tragen zur rauen und klaren Atmosphäre mit industriel lem Flair bei. Krüttli wurde als Immobilienspe zialistin bereits sehr früh in den Prozess miteinbezogen. Dieses Vorgehen ist nicht üblich und hat zu einem sehr engen Austausch der Bewirtschafterin mit den Pla ner:innen geführt. An herigeneinbringen,ziellenzuBeispielsteuern.fahrungenvieleerarbeiten.gesamteBewirtschaftungjeweilsjekt:KrüttliBewirtschaftungauswarenBaukommissionssitzungendemnachVertreter:innenArchitektur,Eigentumundanwesend.FürwareseineinmaligesPro«AndenSitzungendeckteichdenpraktischenTeilderabunddurftedasBetriebskonzeptselbstIchkonntealsosehrDingemitgestaltenundErausderVermietungbeiDadurchkonnteichzumgewisseEinschätzungenMaterialienundderenpotenAbnutzungserscheinungendieichbereitsausvorBauprojektenkannte.»

Michèle Krüttli, Immobilientreuhänderin Im Gegenzug soll der private Wohnraum genügend Rückzugs möglichkeiten bieten. Die Materia lisierung hebt sich vom regulären Mietwohnungsbau ab. Ziel waren neutral und zurück haltend wirkende Materialien, die gleichsam charaktervolle und frei gestaltbare Räume schaffen würden. Das gelingt mit einem Innenausbau, der weiche und rohe Materialien zusammenbringt. Prä gend sind Oberflächen in Sicht beton und schwarze Fensterrah men, die mit weissen Küchen und Schränken kontrastiert werden.

Dass es sich nicht um ein gewöhn liches Wohnhaus handelt, signali siert jedoch nicht nur das Bild von aussen. Das Prinzip des Neuarti gen spiegelt sich auch im Inneren des vierstöckigen Gebäudes. Die darin enthaltenen 22 Studio wohnungen richten sich an Men schen, die Wohnraum zu flexiblen und kurzen Vertragslaufzeiten su chen. Die Kleinwohnungen sind für urbane und mobile Einzelmieter:in nen – insbesondere sogenannte digitale Nomaden – gedacht. Gemäss Michèle Krüttli, die bei Wirz Tanner im «Équipe» die Bewirtschaftung verantwortet, wird solches Wohnen zukünftig besonders beliebt sein: «Dieses Wohnkonzept verspricht hohe Flexibilität, welche in unserer modernen und schnelllebigen Zeit immer gefragter ist. Vermietet sind die Wohnungen an Studierende, Personen mit zeitlich begrenzten Arbeitseinsätzen oder Menschen, die sich gerade in Trennung be Derfinden.»Gemeinschaftsraum mit Aus senterrasse zeigt, dass dabei der Austausch mit anderen nicht zu kurz kommen soll. Ausgestattet ist er als eine Art grosses Wohnzim mer. Odermatt war dieser Punkt bei der Planung sehr wichtig: «Es ist seit jeher die Auffassung im Büro arb, dass wir als Archi tekt:innen soziale Kontakte unter Bewohner:innen eines Hauses mit ergänzenden halbprivaten Raum angeboten unterschwellig fördern können. Im Projekt «Équipe» funk tionieren der Gemeinschaftsraum und die Gemeinschaftsterrasse, aber auch der Veloraum neben dem Haupteingang und das gross zügige Treppenhaus als Treffpunk te für die Mieter:innen.» «Dieses Wohnkonzept verspricht fragterimmerlebigenundrerwelcheFlexibilität,hoheinunse-modernenschnell-Zeitge-ist.»

Neuartiges Wohnkonzept

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hat die Zusammen arbeit mit Krüttli in guter Erinne rung: «Wir sind überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen

Veronika Malek, Teo Jakob

Möblieren für Mobilität

Das Gebäude funktioniert wie eine Art Blickfang, der sich von den umgebenden Wohnhäusern und Betonblöcken abhebt. Das Innen leben wurde passend zu diesem Prinzip gestaltet – teilweise bis hin zur Ausstattung. Denn wer viel reist und unterwegs ist, mag wohl kaum Möbel und Einrichtungs gegenstände mit sich herum Besondersschleppen. fällt diese Herange hensweise in den vier möblierten Studiowohnungen auf. Mieter:in nen haben die Möglichkeit, eine solche für mindestens drei Monate mit Option auf Verlängerung zu mieten. In den möblierten Studios wichtig waren die maximale Fle xibilität der Infrastruktur und eine Ästhetik, die den Geschmack von möglichst vielen trifft. In Zusammenarbeit mit der Möbelund Einrichtungsfirma Teo Jakob entstanden in den vier möblierten Studios minimalistische und prag matische Wohnwelten. Auf kleinem Raum findet sich das Wichtigs te – vom Besteck über Möbel bis zur Bett- und Frotteewäsche. Als Inspiration diente unter anderem die Formensprache des Gebäudes, wie Veronika Malek, Projektleiterin bei Teo Jakob, erläutert: «Diese aufzugreifen und im Innenraum zu einer stimmungsvollen, wohnli chen Atmosphäre zu interpretieren war unser Ziel. Wir wählten dazu Mobiliar, das frisches und zeitge nössisches Design verkörpert. Ein besonderes Augenmerk wurde auf den Farb- und Materialmix gelegt. Dort spielen naturbelassenes Mas sivholz und schlichte Farben eine grosse Rolle.» Das Team von Teo Jakob wählte die drei Farbwelten «Pine», «Sage» und «Salt», um das architektoni sche Konzept mit seinen klaren Formen und neutralen Farbtönen zu komplettieren. Damit der an sich kleine Raum dennoch gross zügig wirkt, schuf das Team ver schiedene räumliche Zonen und achtete bewusst auf die Auswahl und Anordnung von Farben und Materialien. «Wir wählten dazu Mobiliar, das frisches und mixundaufmerkresEinverkörpert.sischeszeitgenös-Designbesonde-Augen-wurdedenFarb-Material-gelegt.»

Die Beliebtheit der möblierten Studios im «Équipe» lässt die Hypothese zu, dass in der nahen Zukunft das Angebot an möb liertem Wohnraum mit flexiblen Vertragslaufzeiten auch in Bern zunehmen wird.

Die langfristige Perspektive auf die Nutzung von Gebäuden kann die Lebenszyklen der Architektur und deren Qualität positiv beein Odermattflussen.

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Nicht nur Krüttli und Odermatt, auch die Verantwortlichen von Teo Jakob sehen die möblierten Studiowohnungen als zukunfts weisende Option zwischen Hotel und eigenem Apartment. Trotz Digitalisierung und Umwelt problematik ist es in der Arbeits welt noch immer relevant, an un terschiedlichen Orten flexibel tätig sein zu können. Möblierte Woh nungen vereinen dieses Bedürfnis mit dem Bedürfnis nach einem eigenen Heim. Sie erfreuen sich besonders in Städten wachsen der Beliebtheit. Krüttli beobachtet diesbezüglich in Bern noch etwas Nachholbedarf: «Im Raum Bern hat sich dieser Trend noch nicht ganz so etabliert wie beispielsweise in Zürich. Ein Anstieg der Nachfrage ist, basierend auf dem Wandel der Zeit, jedoch absehbar.»

ÉQUIPE131 FlairurbaneneinemmitRäumecharakterstarke«Épuipe»dasbietetInnernImZeitgeistModernerzwischenaltenMauern

Langfristige Perspektive

Auf der einen Seite ist das «Équipe» extrovertiert: Es fällt auf – in der Innen- wie auch in der Aussengestaltung. Das liegt nicht zuletzt an der goldgelben Fassade.

Auch die frühe Einbindung der Be wirtschaftungsanliegen im Projekt «Équipe» ist aussergewöhnlich, womit der auffällige Neubau schliesslich für Krüttli ein Projekt wurde, das sie nicht so schnell vergessen wird: «Es war eine spannende Ausgangslage, in die ich auch meine Erfahrung aus der Bewirtschaftung einbringen und dazulernen durfte. Solche Momen te mag ich bei meiner Arbeit bei Wirz Tanner besonders.» In Planungsprozessen verges sen geht hingegen laut Krüttli oft die langfristige Perspektive, deren Scheitern oder Erfolg sich oft erst später in der Bewirt schaftung zeigt. Krüttli liest den Erfolg schlussendlich auch an den Mietanfragen ab: «Das ‹Équipe› hat einen Effekt. Immer wieder rufen mich Interessierte an, die spezifisch nach dem goldenen Haus fragen. Die Mieter:innen sind zufrieden. Für mich heisst das: Ziel Daserreicht.»«Équipe» ist also ein Haus, das von selbst auf sich aufmerk sam macht. Der Mut zur Anders artigkeit hat sich schlussendlich auf mehreren Ebenen bewährt.

«Immer wieder rufen erreicht.»heisstden.sindMieter:innenfragen.goldenenfischan,Interessiertemichdiespezi-nachdemHausDiezufrie-Fürmichdas:Ziel

ÉQUIPE132Freude.»soforthatAuchziemlichtungSichtdassoRaumkonzeptionenschnelllebigenundImmobilienbewirtschafter:innenPlaner:innengeradeinunsererZeitnachhaltigerefördernkann»,dieArchitektin.Schliesslichist«Équipe»auchausKrüttliseinErfolg:«DieErstvermieistsupergelaufen,wirwarenschnellvollvermietet.beiderWeitervermietungsichgezeigt:Wirfindenmeistjemanden.DieLeutehaben

Michèle Krüttli, Immobilientreuhänderin

ÉQUIPE133 aufVorbeigehenbeimfälltFassadegoldeneDie

Muri«Multengut»,Marktplatz

EIN

Oft genügt ein Blick, ein erster Eindruck und wir ha ben ein Urteil gefällt. Das trifft auch auf Bauwerke zu. «Dieser graue Block gefällt mir gar nicht, viel zu kalt», könnte ein:e Einwohner:in beim Anblick des Marktplatzes «Multengut» nach dem Einkauf dort sagen. Doch was steckt hinter den grauen Fassaden? Und wie kam es, dass sie trotz ihrer offensichtlichen Zurückhaltung einen lebendigen Treffpunkt für die lokale Bevölkerung ermöglichen? Klar ist: Der oberflächliche Schein trügt. Im Fall der Überbauung «Multengut» in Muri bei Bern eröffnet ein Blick hinter die Fassaden den Zugang zu einer ganz anderen Geschichte.

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FASSADEHINTERBLICKDIE

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Architektur ist Schauplatz des Alltags. Das Leben spielt sich in ihr ab. Sie erfüllt nicht nur ästhe tische, sondern auch funktionale, rechtliche und ökonomische Be Esdürfnisse.warenvor allem die ökonomi schen und rechtlichen Gegeben heiten, die der Vision des Markt platzes «Multengut» anfangs zu schaffen machten. Dort sollte einige Jahre nach der Jahrtau sendwende ein öffentlicher Raum entstehen, an dem zusammenkommen,Menschenumihren all täglichen Bedürfnissen nachzuge hen. Ein Ort, um Alltagsgeschäfte zu erledigen, aber auch, um sich zu treffen und zu geniessen. Für unsere Gesellschaft sind solche Räume unabdingbar.

Den Inhaber:innen von Dorf- und Einkaufsläden mangelte es an nutzbaren Flächen und Kund schaft. Einige wenige Läden liefen zwar gut. Besonders aber denjeni gen Läden und Praxen, die grosse Flächen oder anspruchsvolle Infra struktur benötigten, machte die verwinkelte und enge Architektur des damaligen Murizentrums zu Dieschaffen.örtliche Bevölkerung fuhr mit dem Auto in die weiter weg ge legenen Einkaufszentren, um ihre Grosseinkäufe zu erledigen. Haare schneiden oder Kleider reinigen lassen oder gemütlich auf der Ter rasse essen – all das konnte man im alten Murizentrum nicht. Der Vorplatz war geprägt von gepark ten Autos. Ein Ort zum Verweilen fehlte und das Murizentrum hatte Fürausgedient.dendamaligen Gemeinde rat von Muri war klar: Es muss ein neues Zentrum her.

Gerade deren Umsetzung ist aber oft von Konflikten geprägt. Nicht selten werden derartige Planungs projekte nach kurzer Zeit wieder aufgegeben. Immer wieder erfor dert es den Einsatz von politischen und gesellschaftlichen Kräften, um öffentlichen Raum zu erhalten und zu stärken. So geschah es auch im Berner Vorort Muri: Das in die Jahre ge kommene Murizentrum entsprach den ökonomischen und gesell schaftlichen Anforderungen nicht mehr. Ausserdem war der Standort etwas versteckt gelegen.

Ein Ort zum Verweilen

Die Architekturmodelle des ge planten Marktplatzes «Multengut» des Berner Büros Rykart Archi tekten standen damals bei Tanner im Büro. Einige, die sein Büro für verschiedenste Besprechungen aufsuchten, fragten nach dem EinerHintergrund.vonihnen war Ulrich Hofstetter, der mit Tanner bereits in den 1990er-Jahren erfolgreich das Wohnbauprojekt «Chutzegruebe» realisiert hatte. Mit Hofstetter konnte Tanner den ersten Investor für seine frisch gegründete AG gewinnen: «Zusammen mit Ulrich Hofstetter habe ich dann nach weiteren Interessenten gesucht. Insgesamt haben wir an 42 Türen von potenziellen Investor:innen geklopft, bis wir schliesslich die erforderlichen sechs Millionen Schweizer Franken zusammenhat ten.» Die Hartnäckigkeit hatte sich gelohnt.

Ruedi Tanner Hierfür brauchte es nun noch Investor:innen. Kein einfaches Unterfangen – zumal die Schweiz zu Beginn der Nullerjahre noch im mer die Auswirkungen der Immo bilienkrise spürte, die das Planen im Jahrzehnt vorher stark geprägt hatte. «Das Projekt war nicht ein fach zu vermarkten: Wir waren im Baurecht, hundert Prozent Gewer be und Stockwerkeigentum mit anderen. Für damalige Verhält nisse war klar, dass kein institutio neller Bauherr einsteigen würde», erläutert Tanner und fügt an: «Das wäre in Zeiten wie heute anders.» Für die im Anschluss gegründete Marktplatz Multengut Immobilien AG suchte er geeignete Inves tor:innen, die Teil des Projekts werden wollten.

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Glücklicherweise gab es auf dem Gemeindegebiet an zentraler Lage genügend grosse Parzellen. Über 6000 m2 grüne Fläche standen dort für einen neuen Marktplatz zur Verfügung. Die ehemals als Kuhweide genutz te Fläche gehörte zum Bauern hof «Multengut», der zu dieser Zeit seinen Betrieb einstellte. Um dort den Weg für einen Neubau des Dorfzentrums freizumachen, erarbeitete die Gemeinde eine entsprechende Überbauungsord nung. Der Standort war perfekt: gleich neben der Tramstation Muri, wo auch ein Hotel und die Ge meindeverwaltung situiert sind, gut sichtbar von der angrenzenden DerHauptstrasse.Wunschwar klar formuliert, trotzdem stand die Umsetzung auf wackligen Beinen. Die anfängliche Euphorie wich schnell den Dis kussionen über die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingun gen für das neue Zentrum. Ein Neubau schien aufgrund man gelnder Finanzierbarkeit in weiter Ferne. Als Mitglied der damaligen Pro Gebau (Genossenschaft für gewerbliches Bauen Muri-Güm ligen) ergriff Ruedi Tanner die DerInitiative.hohe Gewerbeanteil war der Knackpunkt in Sachen Finanzie rung. Im Austausch mit den Betei ligten wurde dem Immobilienspe zialisten schnell klar, dass keiner der Gewerbeunternehmer:innen für sich Flächen kaufen wollen würde. Die Umsetzung verlangte also nach einer anderen Lösung: Festgelegt wurde ein Eigentums teil, gestaltet in Form zweier Geschosse im Stockwerkeigentum mit Wohnungen. Die übrig bleiben de Mehrheit der Flächen war als Gewerbenutzung zur Vermietung geplant. «Heute sagt man mit etwas Humor: Sämtliche für das Leben wichtige keinennehmentungsunterEinzigangeboten.werdenleistungenDienst-hierBestat--findenPlatz.»

Der neue Marktplatz «Multengut» ist bis auf zwei Jahre während der Coronapandemie immer zu sehr guten Preisen vollvermietet gewe sen. Von den grossen Erträgen, die Detailhändler:innen heute im «Mul tengut» erwirtschaften, haben die politischen Initiant:innen gar nicht zu träumen gewagt. Wirz Tanner verwaltet die Räumlichkeiten noch Finanziellheute. ist der Marktplatz «Mul tengut» also für die Investor:innen wie für die Mieter:innen der Ge werbeflächen zu einer Erfolgsstory geworden. Was sich im Prozess jedoch als schwierig herausstellte, war die architektonische Umset zung. Wieso? «Damals bestand ein Druck seitens der Baurechts geberin, was die maximal mögliche Bruttogeschossfläche anging», erinnert sich Tanner und fährt fort: «Gleichzeitig war der Baurechts zins sehr hoch.»

Der ohnehin schon begrenzte Spielraum für die architektonische Gestaltung wurde damit noch enger. Planungsideen mit schönen Laubengängen, Kaskaden, einen

Zur Zeit der Immobilienkrise sei diese Zurückhaltung jedoch auch verständlich gewesen: «Die Angst zu scheitern ist eine menschliche Herausforderung, die nicht ein fach zu meistern ist. Die Bauherrin hat verständlicherweise einen Schlussstrich gezogen», erklärt Tanner und gesteht ein: «Damit war klar: Selbst wenn die geplante Architektur weniger Ausnützung gehabt hätte, hätte dennoch für 100 Prozent Baurechtszins bezahlt werden müssen. Deshalb wurde schliesslich das grösstmögliche Volumen verbaut.»

Dank des Marktplatzes kann ein:e Bewohner:in von Muri jetzt vieles erledigen, ohne die Gemeinde grenzen zu übertreten. «Heute sagt man mit etwas Humor: Sämtli che für das Leben wichtige Dienst leistungen werden hier angeboten. Einzig Bestattungsunternehmen finden keinen Platz», erzählt Tanner mit einem Schmunzeln. hatten.»zusammenzerlionenchendiewirgeklopft,Investor:innenpotenziellen42haben«InsgesamtwiranTürenvonbisschliesslicherforderli-sechsMil-Schwei-Franken-

Mit der Finanzierung war ein wich tiger Meilenstein für den neuen Marktplatz «Multengut» gesetzt. Tanner hatte sich nicht nur als erfahrener Immobilienentwick ler, sondern auch als engagierter Bewohner von Muri dem Projekt verpflichtet. Zusammen mit Wirz Tanner beschäftigte er sich in den Anfangsjahren intensiv mit Ideen, die den neuen Treffpunkt beleben Alssollten.Immobiliendienstleisterin or ganisierte die Firma in den ersten Jahren nach der Fertigstellung auf eigene Kosten einen Weihnachts markt, einen Flohmarkt und ver schiedene Events auf dem Platz in der Mitte der zwei Baukörper. Der Ort gewann mit den Jahren an Lebendigkeit. Auch ein Wasser spiel und die Bepflanzung mit Sitz bänken sorgten für frischen Wind. Schliesslich brachte auch das Restaurant «La Caletta» eine Prise Italianità auf den Marktplatz. Die Dienstleistungsräume des neuen Marktplatzes konnten erfolgreich an Geschäfte aus ver schiedensten Sparten vermietet werden. Auch den grossen Detail händler Coop konnte Muri mithilfe von Wirz Tanner für sich gewinnen. Die Vielfalt der Läden ist gross und die Infrastruktur wie auch die Räume erfüllen die Anforderungen, die an sie gestellt werden.

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Es sind Büsche und Bäume, die dort mitten auf dem Marktplatz in grosszügigen Beeten an son nigen Tagen Schatten spenden. Am Nachmittag kommt eine äl tere Dame von der Altersresidenz nebenan frisch frisiert aus dem Coiffeurladen «Haar und Mehr». Ob sie sich wohl auch die Nägel hat machen lassen? Eine Frau sucht ihren Physio therapeuten auf. Neben ihr in die andere Richtung geht eine Person schnellen Schrittes die Treppe hinauf. Ob sie den Termin mit der Notarin verpasst? Auf der Treppe hinter dem Haus huschen im Au genwinkel noch einige frisch ge bügelte Hemden um die Ecke der grauen Fassade. Ein Mann trinkt einen italienischen Cappuccino auf der Aussenterrasse des Restau rants «La Caletta». Nur wenige Meter entfernt in der Platzmitte rennen Kinder durch das Brunnen spiel. Hinter ihnen machen Schau fenster auf neuste Hörgerät-Tech nologien und Luxusvillen am Meer aufmerksam. Jemand scheint auf dem Weg in die Apotheke zu sein.

Ob er sich eine der selbst herge stellten Hausarzneien der Apothe kerfamilie Petri kauft?

Die Atmosphäre ist lebendig. Der Marktplatz «Multengut» – ein grauer Block? Der Blick hinter die Fassaden zeigt ein anderes Bild: ein lebendiger Ort, an dem die Menschen einen Teil ihres Alltags zusammen verbringen.

nur den momentanen Stand der Vereinfachung ab. Die Komplexität des gebauten Raumes lässt sich schliesslich nicht restlos ein fangen. Wer Menschen und ihre Räume ernst nimmt, erzählt kom plexe Geschichten, für die es nur vorübergehende Enden gibt. Was lässt sich heute über die Menschen und ihre Bedürfnisse sagen, die am Marktplatz «Mul tengut» zusammentreffen? Ein Besuch zeigt: Man kennt sich und man kommt oft hierher. Der Wunsch nach einem dörflichen Marktplatz hat sich erfüllt. Hie und da grüssen sich die Menschen, bleiben auch mal für ein Schwätz chen stehen. Zwischendurch setzt sich jemand auf eine der Holzbän ke im Zentrum des Platzes. «Die Angst zu scheitern ist eine ternfachdieforderung,lichemensch-Heraus-nichtein-zumeis-ist.»

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MARKTPLATZ139MULTENGUTstärkeren Auftritt des Zentrums nach aussen und die Aufteilung der zwei Baukörper in feinglied rigere Volumen waren damit be graben. Auch die von den Archi tekt:innen geplanten grosszügigen, inneren Verbindungen wurden zugunsten von mehr vermietbarer Fläche reduziert. Diese Fakto ren haben schliesslich zu einer uniformen AuchderPlanungsebeneGebnomischebeispielhaft,Geschichteerstenihrermischenstechen.cher:innenNutzungzudrohenzwingen.JahralsoDaserdenNutzungsmtekturdassvielewahrscheinlichUmsetzungZeichentrotzdem.diebeigetragen.ArchitekturerscheinungSolidgebautwurdenbeidenschlichtenBaukörperHeutewürdendiefürdiearchitektonischeandersstehen.UndwürdendennochEinwohner:innenzustimmen,mandieentstandeneArchiwegenihrervielseitigenöglichkeiten,diesiedortlebendenMenschenöffnet,willkommenheisst.neueEinkaufszentrumhattebiszuseinerEröffnungim2005soeinigeHürdezubeImvisuellenEndergebnisdieseschnellvergessengehen.DieArchitekturunddiesindes,diedenBesuheutesofortinsAugeDiepolitischen,ökonoundrechtlichenFaktorenEntstehungsindaufdenBlicknichtersichtlich.Diedes«Multengut»zeigtwiestarkgeradeökoundrechtlicheFaktorenäudeprägenkönnen.AufspielensienebenArchitektureinewichtigeRolle.diePlanungbildetimmer

MARKTPLATZ MULTENGUT Der Marktplatz und sein Brunnen bringen Leben zwischen die zwei anthrazitfarbenen Baukörper des «Multengut» 140

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«Die Zusammenarbeit mit Wirz Tanner würde ich als stets offen, kommunikativ und lösungs orientiert bezeichnen. Ein kompetentes Team, welches unaufhörlich miteinander und nicht gegeneinander in Richtung Zukunft geht – im mer bestrebt, das Beste herauszuholen. Unse re gemeinsamen Projekte sind geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Akzeptanz. Der respektvolle Umgang, die gute Gesprächs kultur und auch ein Verständnis für Architektur sind Dinge, die ich an unserem Austausch schätze.»

STIMMEN AUS ZUSAMMENARBEITDER

TESTIMONIALS142

«lm Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens der Post AG als Eigentümerin erhielt die Firma Wirz Tanner den Auftrag für die Vermietung sämtlicher administrativer Flächen des neuen «PostParc» – eine Arbeit, die im komplexen Umfeld sehr erfolgreich verlief. Während der Zusammenarbeit mit Wirz Tanner schätzte ich die hohe Professionalität, die Geradlinigkeit und Zuverlässigkeit sowie die Menschlichkeit im Umgang mit den am Tisch gegenüber sitzenden Verhandlungs partner:innen.» Andrea Roost, Roost Architekten

Roland Hitz, matti ragaz hitz architekten

«Bei der Entwicklung und Vermarktung unkon ventioneller Projekte wie dem «UhlmannAreal» oder dem «Südhang» und auch wäh rend der Zusammenarbeit bei Wettbewerben durften wir Wirz Tanner wiederholt als ebenso professionellen wie innovativen Sparrings partner kennenlernen. Mit Ruedi Tanner sitzt uns ein hervorragend vernetzter Kenner der Immobilienszene gegenüber – ein schlauer Fuchs, der jederzeit mit grossem Interesse, viel Leidenschaft und einer guten Portion Ri sikofreude den engen und freundschaftlichen Dialog mit uns pflegt.»

Christine Odermatt, arb Architekten

TESTIMONIALS

Thomas Pulver, Graber Pulver Architekten 143 «Unsere langjährige, aussergewöhnliche Zusammenarbeit basiert auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt. Über die Jahre sind mehrere freundschaftliche Beziehungen zwi schen den Partner:innen und Mitarbeitenden entstanden. Wir nehmen Wirz Tanner als sehr fortschrittlichen und äusserst dynamischen Immobiliendienstleister wahr. Ruedi Tanner ist in der Schweiz breit vernetzt und interessiert sich für die Architektur- und Wettbewerbs szene. Für uns als Planer:innen ist die Zusam menarbeit immer sehr anregend. Bisher waren die gemeinsamen Projekte auf alle Fälle immer Erfolgsgeschichten. Was will man also mehr?»

Foto Seite 43 ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz/Fotograf: Friedli, Werner Foto Seite 45 S. Mesaric, Stadtplanungsamt Bern Fotos Seite 46/47 Nicole Stadelmann Fotografie Foto Seite 49 Nicole Stadelmann Fotografie

Anzeige Seite 51 Grafikarbeit Laszlo Horvath

Fotos Seite 20–29 Nicole Stadelmann Fotografie

Fotos Seite 66–77 Nicole Stadelmann Fotografie

Foto Seite 94 Nicole Stadelmann Fotografie

Fotos Seite 126, 132/133 VMZINC, Paul Kozlowski Fotos Seite 131 Nicole Stadelmann Fotografie Fotos Seite 134–141 Nicole Stadelmann Fotografie

Foto Seite 111 Alexander Jaquemet Photography

Fotos Seite 78, 84/85 Roland Juker Fotografie GmbH Fotos Seite 88/89 Nicole Stadelmann Fotografie

Fotos Seite 33–37/ 39 Nr. 3 Andrea Roost, Roost Architekten

Foto Seite 40 Raphael Sollberger, Berner Heimatschutz, Region Bern Mittelland

Foto Seite 52 Nicole Stadelmann Fotografie Fotos Seite 57–65 Nicole Stadelmann Fotografie

Fotos Seite 30/38/39, Nr. 1 + 2 Seraina Wirz, Atelier für Architekturfotografie

Fotos Seite 51 Nicole Stadelmann Fotografie

Fotos Seite 10, 16/17/19 Nicole Stadelmann Fotografie

Foto Seite 92/93 Damian Poffet Architekturfotografie und Industriefotografie

Bildnachweise

Fotos Seite 100–105 arb Architekten

Fotos Seite 106/114/115 Nicole Stadelmann Fotografie

Fotos Seite 116–123 ARCHPHOT, Peter Tillessen

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