TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 4/2015

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37. JAHRGANG 4 / 2015

Die Zukunft der Internetgesellschaft Chance für den Mittelstand

FLÜCHTLINGSWELLE

Die große Herausforderung BUND-LÄNDER-FINANZEN

Lackmustest für den Föderalismus EU-DATENSCHUTZREFORM

Neuregelung verspielt digitale Zukunft


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Foto: Franz Bischof

EDITORIAL

Werner M. Bahlsen Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

as Jahr 2015 ist zweifelsfrei ein Jahr, das in die Geschichtsbücher eingehen wird – vergleichbar mit dem Mauerfall 1989 oder dem 11. September 2001. Die Anschläge von Paris und die Flüchtlingswelle werden unseren Kontinent verändern. Dass sich viele Menschen angesichts der Entwicklungen sorgen, ist verständlich. Und doch bin ich überzeugt, dass wie in jeder Krise auch in dieser eine Chance steckt. Wir stehen vor einer europäischen Gretchenfrage: Was sind uns unsere Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Demokratie und freie Meinungsäußerung wert?

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Der Wirtschatsrat setzt sich in der Flüchtlingsdebatte für eine konsistente Einwanderungs- und Asylpolitik ein. Diese könnte am besten durch einen Integrationsrat, ein Expertengremium wie die Hartz-Kommission, erarbeitet werden. Vorbilder von Australien über Kanada bis hin zur Schweiz gibt es genug für eine humanitäre, dennoch stringente Politik gegenüber Verfolgten und Wirtschatslüchtlingen. Gleichzeitig müssen wir die Integration in Deutschland erleichtern. Neben Sprachangeboten müssen niedrigere Hürden in den Arbeitsmarkt die Antwort sein. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit wird die Stärkung des Wirt-

Titelbild: Fotolia.com ©Stocksnapper

Europa braucht eine gesellschatliche Wertedebatte. Sind wir bereit, für die europäische Kultur, die auf jüdisch-christlichen Fundamenten basiert, zu kämpfen, am Ende auch militärisch? Schafen wir es in Europa, unsere inneren Widersprüche, nationale Egoismen zu überwinden? Oder überlassen wir das Feld fundamentalistischen oder radikalen Gruppierungen? Europa braucht eine gesellschatliche Wertedebatte. Darin liegt unsere Chance. Wir haben etwas aus den Augen verloren, dass Europa viel mehr ist als eine Währungsunion, viel mehr als eine Kommission mit ihrer ermüdenden Bürokratie. Wir müssen wieder über das reden, was uns und unsere Lebensweise ausmacht. Der Wirtschatsrat setzt deshalb das hema Werte auf seine politische Agenda. Nur wenn wir uns unserer europäischen Kultur und Werte bewusst sind, können – und müssen – wir diese einfordern, von jedem, der zu uns kommt. Klare Botschaten sind nötig.

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schatsstandorts Deutschland sein. Wir werden konkrete Forderungen und Konzepte in die politische Debatte einbringen. Unsere Bundesfachkommissionen haben dazu bereits wertvolle Arbeit geleistet. Unsere Unternehmen sind im europäischen Vergleich gut aufgestellt. Sie haben bewiesen, dass sie in schwierigen Zeiten stabiler Anker für Volkswirtschat und Gesellschat sind. Der Wirtschatsrat kämpt dafür, dass dies auch in Zukunt so bleibt. Ihnen persönlich, Ihren Familien und Mitarbeitern wünsche ich ein besinnliches Weihnachten und ein erfolgreiches Jahr 2016.

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INHALT

Inhalt TITEL INNOVATION 8 Die Zukunft der Internetgesellschaft E Prof. Dr. Winkeljohann E Wolfgang Steiger

8 TITEL Innovation: Die Zukunft der Internetgesellschaft Die Digitalisierung verändert unser Leben, Wirtschaft und Gesellschaft in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Entscheidende Trends sind die vernetzte Produktion und Big Data. Ist der deutsche Mittelstand fit für das digitale Zeitalter?

10 „Im Silicon Valley brennt die Luft“ E Günther H. Oettinger 12 Breitbandausbau: Deutschland muss in der Dynamik an die Spitze E Alexander Dobrindt MdB 14 Grundlage für europäische Cloud-Branche schaffen E Ulf Ewaldsson

AKTUELL BUND-LÄNDER-FINANZEN 16 Lackmustest für den Föderalismus E Dr. Dirk Freigang 18 Nach zähen Verhandlungsrunden Durchbruch erreicht E Peter Hahne

6 AUSSENANSICHT Die große Herausforderung Schaffen wir das wirklich? Die Frage kann derzeit niemand seriös beantworten. Voraussetzung ist jedoch, dass die Politik endlich Strukturen schafft, um zu einem geordneten Verfahren gegen den unverändert hohen Flüchtlingsstrom zu kommen.

START EDITORIAL 3 E Werner M. Bahlsen AUSSENANSICHT 6 Die Große Herausforderung E Sven Afhüppe

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ERBSCHAFTSTEUERREFORM 20 Weichenstellung für den Standort Deutschland E Christian Freiherr von Stetten MdB EU-DATENSCHUTZ 22 Neuregelung verspielt die digitale Zukunft E Axel Voss MdEP 24 Pseudonyme und anonyme Daten E Prof. Niko Härting EU-URHEBERRECHT 26 Fairen Interessenausgleich finden E Sabine Verheyen MdEP SMART CITIES 28 Digitalisierung: Fundament smarter Städte E Dr. Helge Maas E Michael Jahn

AUTOMATISIERTES FAHREN 30 Mit mobiler Digitalität zu mehr AUTO-nomie E Alexander Dobrindt MdB KLIMAPOLITIK 32 Erfolgsmaßstab Lastenverteilung E Dr. Thilo Schaefer FLÜCHTLINGSKRISE 34 Zuwanderung begrenzen, Intergration vorantreiben EKlaus-Hubert Fugger, Dr. Holger Fricke GEWERBESTEUER 36 Gesetzgeber gefragt E Prof. Dr. Gerrit Adrian E Frank W. Grube MEHR PRIVAT FÜR EINEN STARKEN STAAT 38 Wirtschaft fest in staatlicher Hand? E Herwart Wilms INTERNATIONALE WIRTSCHAFTSPOLITIK 40 China-Deutschland: Strategische Partnerschaft DIGITALISIERUNG 42 Auf Kooperationen setzen E Torsten Küpper ENERGIEWENDE 43 Energie nutzen statt verschwenden! E Dr. Martin Grundmann WERBEWIRTSCHAFT 44 Werbung ist keine Erziehung E Andreas F. Schubert

16 BUND-LÄNDER-FINANZEN Lackmustest für den Förderalismus Der Beginn nächsten Jahrzehnts wird für Bund und Länder einer Zäsur gleichkommen. Das staatliche Finanzsystem in Deutschland muss grundlegend neu geordnet werden, Transparenz erreichen und Anreize zum Sparen bieten. Die Verhandlungen sind der Lackmus-Text für den Föderalismus. TREND 4/2015


INHALT

WIRTSCHAFTSRAT STANDPUNKT STEIGER 45 Europa ist mehr als Wohlfahrtsbündnis! INNENANSICHT 46 Neues aus den Bundesfachkommissionen FACHKRÄFTEMANGEL 48 Wir müssen alle Register ziehen

ENGAGEMENT 50 Familienunternehmen: Garanten für nachhaltiges Wirtschaften E Prof. Rolf Schnellecke JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 52 Junger Wirtschaftstag 2015: Digitalisierung als Chance begreifen

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 56 Rückblick | Einblick | Ausblick 64 Impressum

FORUM 65 Im Spiegel der Presse 66 Zahlen des Quartals Spindoktor

22 EU-DATENSCHUTZ-REFORM Neuregelung verspielt die digitale Zukunft Bürger, Regierungen, Verbraucherschützer, Industrie und Interessenvertreter – sie alle schauen mit großer Erwartung nach Brüssel. Hier wird seit 2012 an der Datenschutzgrundverordnung gearbeitet. Nun steuern das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission in den sogenannten Trilogverhandlungen auf ihre finale Phase zu.

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AUSSENANSICHT

rei Worte haben Deutschland in den vergangenen Monaten nachhaltig verändert. „Wir schafen das!“ Ein kurzer Satz mit großer Wirkung. Mittlerweile wirkt das Versprechen der Bundeskanzlerin, alle Hilfe und Schutz su-

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Die Einigung der drei Parteichefs der Großen Koalition auf spezielle Aufnahmezentren für Flüchtlinge mit geringen Bleibeaussichten ist vor diesem Hintergrund ein notwendiger und überfälliger Schritt – auch wenn die neuen Regeln einige Härten darstellen.

Schafen wir das wirklich? Die Frage kann derzeit niemand seriös beantworten. Voraussetzung ist jedoch, dass die Politik endlich Strukturen schat, um zu einem geordneten Verfahren gegen den unverändert hohen Flüchtlingsstrom zu kommen. Text: Sven Afhüppe

chenden Menschen ins Land zu lassen, wie der größte Belastungstest für die deutsche Gesellschat nach der Wiedervereinigung. Ob Angela Merkel Anfang September bewusst war, dass rund eine Million Flüchtlinge diesem Hilfsangebot folgen werden, muss man bezweifeln. Zurückgenommen hat sie den Satz bisher nicht. Obwohl ihre Umfragewerte gesunken sind, viele Kommunen völlig überfordert sind und die Zahl fremdenfeindlicher Angrife auf Asylbewerberunterkünfte ein erschreckendes Ausmaß angenommen hat. Schafen wir das wirklich? Die Frage kann derzeit niemand seriös beantworten. Fakt ist, dass die Bundeskanzlerin ungewöhnlich unvorbereitet in die Flüchtlingskrise gegangen ist. Anders als sonst üblich existierte im Kanzleramt kein ausgefeilter Plan, wie man mit den Hunderttausenden Menschen umgehen sollte. Der Kontrollverlust manifestiert sich nicht allein in der schlechten Stimmung gegen die Große Koalition aus, sondern auch in wachsender Fremdenfeindlichkeit. Dabei ist Deutschland ökonomisch stark genug, um die Flüchtlingskrise zu meistern. Voraussetzung ist jedoch, dass die Politik endlich Strukturen schat, um zu einem geordneten Verfahren gegen den unverändert hohen Flüchtlingsstrom zu kommen. Die Willkommenskultur muss durch eine Wirklichkeitskultur ergänzt werden.

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Wie die Beschränkung des Familiennachzugs für bestimmte Gruppen, wie die eingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb eines Landkreises, wie der Entzug von Zuwendungen bei Verstößen gegen diese Residenzplicht. Ob diese Aulagen dazu führen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wird man sehen. Eine Entlastung der Kommunen lässt sich zumindest durch die geplante Beschleunigung der Asylverfahren erhofen. Doch allein mit schnelleren Verfahren ist es nicht getan, der Staat muss die abgelehnten Asylbewerber zeitnah wieder abschieben. Das jedoch ist höchst fraglich. Schon jetzt liegen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Selbst in Bayern, der Heimat

von Merkel-Kritiker Horst Seehofer, leben mehrere Zehntausende abgelehnte Asylbewerber, die nicht in ihre Heimat zurückgeschickt wurden. So schwer es in Einzelfällen auch sein mag, der Rechtsstaat muss sich an dieser Stelle behaupten. Nur wenn Flüchtlinge aus sicheren Herkuntsländern auch wieder das Land verlassen, kann sich der Staat um die wirklich notbedürtigen Menschen angemessen kümmern. Das alles zu organisieren ist schon schwer genug, aber erst der Anfang. Die Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben, müssen integriert werden, sie brauchen Perspektiven für Wohnraum, Bildung, Arbeit und kulturelle Teilhabe. Diese Integrationsleistungen sind nicht kostenlos. Das Bundesar-

Asylbewerber nach Alter und Geschlecht (Januar bis Juli 2015)

männlich

66 %

601

> 65

751

708

60 – 64

624

1.373

55 – 59

1.137

weiblich

50 – 54

1.620

33 %

2.504 4.637 7.353

10.987 16.676 25.087 39.778 37.820

45 – 49 40 – 44 35 – 39 30 – 34 25 – 29 19 – 24 0 – 18

2.490 3.665 5.566 7.165 8.394 10.502 28.781 Quelle: BAMF

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Foto: ©European Union, 2015; Johanna Leguerre

AUSSENANSICHT

Die große Herausforderung

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ofengelassen hat. Die meisten anderen Länder Europas werden dagegen neue Schulden zur Bewältigung der Flüchtlingskrise aufnehmen müssen. Die Flüchtlingskrise allein auf die inanziellen Lasten zu reduzieren, greit jedoch zu kurz. Angesichts der demograischen Entwicklung ist Deutschland auf junge, gut ausgebildete Arbeitskräte angewiesen. Das Problem ist, dass viele Flüchtlinge nicht sonderlich gut ausgebildet sind, mehr als die Hälte kann ofenbar weder lesen noch schreiben. Doch es gibt auch viele leistungsbereite und motivierte Flüchtlinge, die sich aus eigener Krat in Deutschland eine neue Heimat aubauen wollen. Die Qualiizierung der Flüchtlinge zu Facharbeitern ist kein einfacher Weg, aber auch nicht unmöglich. Voraussetzung ist, dass anerkannte Asylbewerber auch die deutsche Sprache lernen, im Zweifel mit dem notwendigen Druck. So machen Länder wie Dänemark die Teilnahme an Sprach-

kursen zur Bedingung für den Erhalt staatlicher Leistungen. Das Prinzip Fördern und Fordern, das Deutschland mit den Agenda-2010-Reformen in die Arbeitsmarktpolitik eingeführt hat, sollte in die Integrationspolitik übertragen werden. Sven Afhüppe Chefredakteur Handelsblatt Foto: Frank Beer

beitsministerium rechnet im nächsten Jahr damit, dass bis zu einer halben Million Menschen zusätzlich Hartz IV beantragen werden, was den Staat rund zwei Milliarden Euro kostet. In den nächsten Jahren müssen zudem mehrere Hunderttausende Wohnungen gebaut werden, und in den Schulen fehlen mittelfristig rund 20.000 Lehrer. Die acht Milliarden Euro, die Bundesinanzminister Wolfgang Schäuble im nächsten Jahr für die Versorgung der Flüchtlinge bereitgestellt hat, decken nur einen Teil der Kosten. Die gesamtstaatlichen Ausgaben liegen nach Meinung von Experten 2016 bei etwa 20 Milliarden Euro. Es ist gut zu wissen, dass Bund und Länder in den vergangenen Jahren die öfentlichen Haushalte soweit konsolidiert haben, dass Deutschland diese ungeplanten Ausgaben verkraten kann. Zumindest im nächsten Jahr sieht Finanzminister Schäuble keine Gefahr für die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt. wenngleich er sich eine Tür

Wenn es Deutschland gelingt, die vielen jungen Menschen in Arbeit zu bringen, belebt das nicht nur die Wirtschat. Eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge wird Deutschlands Rolle als Einwanderungsland in der Welt stärken. Dann hätten die drei Worte der Kanzlerin Historisches erreicht. Aber bis dahin ist es noch ein l weiter Weg.

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TITEL Innovation

Die Digitalisierung verändert unser Leben und unsere Wirtschat. Zentrale hemen sind die vernetzte Produktion und Big Data. Ist der deutsche Mittelstand it für das digitale Zeitalter?

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Winkeljohann, Sprecher des Vorstands, PricewaterhouseCoopers AG WPG und Vorsitzender des Innovationsforums des Wirtschaftsrates die Veranstaltung. Die

PWC AG sehe zwei große Trends. Das seien die vernetzte Produktion und Big Data/Analytics. „Die deutsche Wirtschat ist grundsätzlich gut aufgestellt. Die Industrie hat sich schon als anpassungsfähig gezeigt“, so Winkeljohann. Die digitale Transformation sei dennoch eine noch nie dagewesene Herausforderung, vor allem für den Mittelstand. „Inzwischen liegen jedoch auch im Mittelstand sehr konkrete Planungen und Umsetzungsprojekte vor. Das haben wir so vor zwölf Monaten noch nicht erwartet.“ Nach Winkeljohanns Einschätzung ist die Wirtschat 4.0 in Deutschland insgesamt auf einem guten Weg. Für den Wirtschatsrat stehe die Digitalisierung schon lange ganz oben auf der Agenda. Auch die Bundesregierung verfolge mit ihrer „Digitalen Agenda“ das klare Ziel, Deutschland als digitales Wachstumsland Nummer eins in Europa zu positionieren. Gleichwohl seien noch einige Hausaufgaben zu machen, betonte Winkeljohann. „Wir haben noch keine Vorreiterposition, wie wir sie vielleicht als Industriestandort haben sollten – deshalb müssen wir jetzt extrem agil weiterarbeiten.“ Das sei die richtige Einstellung im Wettbewerb mit China und den USA. Hierbei müssten jedoch auch die wirtschatspolitischen Rahmenbedingungen passen. „Die stimmen leider noch nicht überall – und das führt weiterhin zu Rechts-

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unsicherheit und Skepsis“, mahnte der PWC-Vorstand. Winkeljohann führte drei Stichworte an. Erstens: Datensicherheit und Datenschutz. „Der EuGH hat das Safe Harbor Abkommen leider gerade für ungültig erklärt. Damit stellt sich für international tätige Unternehmen die Frage nach Alternativen, mit denen man schnell weiterarbeiten kann.“ Zweitens: Investitionen. „Der Investitionsbedarf für den Umbau unserer Wirtschat ist gigantisch. In den nächsten fünf Jahren wird wenigstens jeder zweite Euro in digitale Lösungen gehen.“ Als drittes Stichwort führte der Vorsitzende des Innovationsforums die Veränderung der Arbeitswelt an. Die Digitalisierung lasse die Anforderungen an die Beschätigten steigen. Komplexe, vernetzte Arbeitsläufe grifen zunehmend Raum, der Fokus der Fähigkeiten rücke stärker in den Mint-Bereich. „Hier ist ein sehr enger Schulterschluss zwischen Wirtschat und Wissenschat entscheidend“, betonte Winkeljohann. Wie wichtig es sei, dass sich neben zahlreichen Fachverbänden auch ein branchenübergreifender, der Sozialen Marktwirtschat verplichteter Verband wie der Wirtschatsrat des zentralen Zukuntsthemas Digitalisierung annehme, machte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

deutlich: „Die Digitalisierung ist weltweit zum Wachstumstreiber Nummer Eins geworden. Nationale Alleingänge bringen uns nicht weiter. Am besten wären globale Lösungen. Aber es wäre schon viel erreicht, wenn wir auf europäischer Ebene weiterkommen.“ Insbesondere der deutsche Mittelstand könne von der Digitalisierung der Wirtschat proitieren. „Das hema Industrie 4.0 ist dabei ein ganz her-

Die Foto: Jens Schicke

ie Digitalisierung verändert Wirtschat und Gesellschat in allen Lebensbereichen in einer unglaublichen Geschwindigkeit“, eröfnete Prof. Dr. Norbert

ausragendes Stichwort für die Herausforderung der Zukunt“, führte Steiger aus. „Es wäre allerdings falsch, wenn wir sagten, die Politik müsse diese Herausforderung allein bewältigen. Auch die Wirtschat, insbesondere die vielen starken mittelständischen Unternehmen in Deutschland, müssen sich fragen, ob sie sich dem hema ofensiv, neugierig und zukuntsorientiert stellen“, mahnte er. „Politik und Wirtschat müssen hier Hand in Hand arbeiten.“ Der Wirtschatsrat habe festgestellt, dass die Digitalisierung in den Großunternehmen bereits weit vorangeschritten sei. Vor allem bei der

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TITEL Innovation

Zukunft der Internetgesellschaft mittelständischen Industrie gebe es jedoch vielerorts noch Nachholbedarf, berichtete der Generalsekretär. „Der Wirtschatsrat ist deshalb sehr froh, dass sich Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, bereit erklärt hat, die Schirmherrschat unserer Kampagne ,Industrie 4.0 – Chance für den deutschen Mittelstand´ zu übernehmen.“

Abschließend erinnerte Generalsekretär Steiger an Ludwig Erhard, von dem 1963 der Impuls zur Gründung des Wirtschatsrates ausging. „Die Politik kann den Sachverstand der wirtschatlich Erfahrenen nicht entbehren. Und das ist mein Appell an Sie: Der Wirtschatsrat ist heute das verbandspolitisch größte Unternehmensnetzwerk in Europa. Wir haben

„Die Digitalisierung ist weltweit zum Wachstumstreiber Nummer Eins geworden.“ Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates

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nicht nur rund 11.000 Mitgliedsunternehmen, sondern auch 4.000 aktive Unternehmer in unseren Reihen. Menschen, die bereit sind, in unseren Kommissionen mitzuarbeiten und ihre Gedanken einzubringen. Aber ich bin ganz sicher: Diejenigen, die noch nicht dabei sind, die fehlen uns! Die fehlen uns, weil wir im Deutschen Bundestag unsere Interessen nachhaltig vertreten müssen. Es gibt nur ganz wenige Abgeordnete mit einem unternehmerischen Hintergrund. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns den gutwilligen Abgeordneten zur Verfül gung stellen!“

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TITEL Innovation

Die Digitalwirtschat verändert die gesamte Industrie. Europa braucht deshalb einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt. Deutschland muss vor allem in Qualiikation investieren.

ie Stärken der deutschen Digitalwirtschat rückte Günther

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H. Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesell-

schaft, zunächst in den Mittelpunkt

Foto: ©European Union, 2015

seiner Rede. Stark sei Deutschland in der Ausrüstungsindustrie, bei der Unternehmenssotware und bei den Telekomunternehmen. „Je näher wir aber zum Verbraucher und zu den Daten kommen, desto schwächer werden wir “, kritisierte der EU-Kommissar. „Hinter uns liegt der digitale Sektor selbst – und jetzt geht das Ganze in die Realwirtschat.“ Zunächst seien die Verlagshäuser in die „Waschmaschine der digitalen Revolution“ geraten. Nunmehr habe der Chef des weltweit expandierenden

Günther H. Oettinger EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft

sagte Oettinger. „Ich schaue gerne ZDF – mein Sohn freiwillig nie. Den muss ich auf dem Sofa festbinden und anschnallen. Außer es läut Fußball, Monopol, kommt vor. Oder der Vater wird am Freitagabend in der heute-Show veralbert, kommt auch vor.“ Inzwischen verändere die Digitalwirtschat aber nicht nur die Medien, sondern die gesamte Industrie. „In revolutionären Zeiten braucht man eine Strategie“, mahnte Oettinger. „Wenn die Industriefelder hinzukommen, kann man entweder alles gewinnen oder alles verlieren.“ Die Strategie der Amerikaner sei klar. Sie wollten ihre digitale Überlegenheit für eine gesamtwirtschatliche Überlegenheit nutzen. „Das zielt nicht gegen Nordkorea oder Kuba – das zielt ins Herz der stolzen deutschen Industrie.“ Oettinger nannte einen Dreiklang von Instrumenten, mit dem die Amerikaner ihre Überlegenheit zu festigen suchten: Niedrige Energiepreise, digitale Überlegenheit, Kapitalstärke. Für Europa sei es deshalb wichtig, eine gemeinsame digitale Strategie zu entwickeln. „Nationale Strategien allein gehen nicht mehr gut“, warnte der Digitalkommissar. Beispiel Datenschutz: „Wir brauchen ein hohes Niveau an Datenschutz, der aber trotzdem Datennutzung ermöglichen muss.“ Datensicherheit sei wichtiger als Datenschutz. „Höchstmaß an Datensicherheit, pragmatisches Maß an Datenschutz“, umriss Oettinger das Ziel. „Nur wenn man 28 unterschiedliche Datenschutzgesetze hat und in Deutschland 16 in den Ländern, dann funktioniert das nicht. Unser Vorschlag: der europäische Binnen-

„Merken Sie sich 5G. Das ist wichtiger als Mütterrente oder Maut.“ Online-Videodienstes Netlix, Reed Hastings, bereits angekündigt, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Deutschland würden in einigen Jahren von der Bildläche verschwunden sein. „Klare Ankündigung, klare Provokation. Ich glaube es zwar nicht, aber ganz falsch ist es auch nicht“,

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markt. Das ist noch immer der größte Markt der Welt. Auf diesen Markt will niemand verzichten. Wer aber in unserem Markt agiert, muss unsere Regeln beachten, sofern es welche gibt“, so Oettinger. Binnenmarkt und europäisches Copyright könnten so zu zwei Seiten

einer „dann werthaltigen Medaille“ werden. „Wir glauben, dass nicht alle digitalen hemen europäisiert werden müssen. Aber notwendig ist eine klare Kompetenzordnung“, so Oettinger. Im Folgenden rückte der Digitalkommissar die fundamentale Bedeutung der schnellen 5G-Netze für die wirtschatliche Entwicklung in den Fokus. „Merken Sie sich 5G. Das ist wichtiger als Mütterrente, Maut oder Homo-Ehe.“ 5G werde die Grundlage für E-Health, mHealth, connected cars und autonomous driving. Oettinger betonte, dass auch für die Standards im 5G-Bereich dringend ein europäischer Ansatz gefunden werden müsse. „Weil Wirtschatsräume nicht von nationalen Gebietsgrenzen abgetrennt sind.“ Der EU-Kommissar wies ferner darauf hin, dass nach den Berechnungen der EU-Kommission rund 160.000 IT-Spezialisten fehlten. Deshalb setze man sich für politisch verbindliche Abkommen ein. „Wenn Auträge wegen der Qualität ins Silicon Valley gehen – akzeptiert. Das ist Wettbewerb. Wenn uns aber Auträge verloren gehen, weil uns IT-Spezialisten fehlen – nicht akzeptiert. Das ist unsere Herausforderung. Wir brauchen weniger sozialwissenschatliche Studiengänge, wir brauchen weniger rechtswissenschatliche Studiengänge, wir brauchen dafür mehr IT-Studiengänge“, forderte Oettinger. Dies sei zwar mit hohen Kosten verbunden, aber unabdingbar. „Gerade Deutschland tut gut daran, das hema Qualiikation ernst zu nehmen“. Industrie 4.0 heiße schließlich nicht nur machine to machine, sondern Industrie 4.0 bedeute auch, dass die Techniker von morgen digitale Grundkompetenzen benötigten. In diesem Zusammenhang erinnerte Oettinger an die demograische Lage in der Bundesrepublik. „Wir sind neben Japan das älteste Volk. Wir brauchen skills. Ich bin dankbar, dass die Kammern und die Gewerkschaften begonnen haben, eine lächendeckende Angebotspalette für digitale Grundkompetenz anzubieten.“ Dies müsse durch Veranstaltungen, auch des Wirtschatsrates, fortgesetzt werden. „Das darf nicht nur ein Stroh-

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Foto: ©European Union, 2015; Echard Christof

„Im Silicon Valley brennt die Luft!“

feuer werden, das muss eine Dauerveranstaltung der nächsten Jahre sein. Man könnte sagen: 95 Prozent aller Arbeitsplätze werden mit ihrem heutigen Einkommen in fünf Jahren nicht mehr bestehen, wenn keine digitale Grundkompetenz hinzukommt“, warnte Oettinger. Außerdem müsse

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auf europäischer Ebene mehr Geld in Forschungsprojekte investiert werden. „Wir müssen weniger konsumieren, wir müssen gezielt in diesem Sektor investieren.“ Oettinger warnte abschließend vor zu großer Selbstzufriedenheit in Deutschland und Europa. „Die Ame-

rikaner sind ausgeschlafen und hellwach. Im Silicon Valley brennt die Lut. Und die Chinesen kopieren die USA mit Huawei und Alibaba planwirtschatlich eins zu eins. Brandgefährlich! Deshalb bin ich dankbar, dass sich der Wirtschatsrat des hel mas angenommen hat!“

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Auch in einer digitalen Welt ist ein funktionierender Wettbewerb nicht selbstverständlich. Deutschlands Herausforderung bleibt es deshalb, die Soziale Marktwirtschat auch hier umzusetzen. icht allein Unternehmen, sondern auch Länder stehen in einem digitalen Wettbewerb, machte Alexander

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Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, deutlich.

„Wir beinden uns inzwischen auch in einem Wettbewerb der Staaten. Das ist die Fortsetzung dessen, was wir aus dem 19. und 20. Jahrhundert kennen. Damals wetteiferten die neuen Nationalstaaten um die Kolonien, später um die Rohstofe – und so wird heute um die Digitalität und die Daten gewetteifert“, sagte Dobrindt. „Die Frage, wer am Ende der Gewinner sein wird und ob die Innovationsgesellschat von heute noch die von morgen sein wird, ist bei weitem nicht entschieden.“ Deswegen müsse sich Deutschland anstrengen, diesen Wettbewerb mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschat zu begleiten. „Denn diese haben uns in der Vergangenheit in

Alexander Dobrindt MdB Foto: Steffen Kugler

Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

„Der Wettbewerb geht nicht mehr um die old economy. Der Wettbewerb geht darum, der old economy die Wertschöpfung wegzunehmen.“ eine Marktführerposition gebracht. Wettbewerb als Schlüssel der Sozialen Marktwirtschat, Innovation und Wertschöpfung“, betonte der Minister. Aber auch in einer digitalen Welt sei ein funktionierender Wettbewerb nicht selbstverständlich. Dobrindt erinnerte an die Debatte um Monopolstrukturen und mögliche

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Wettbewerbsbeschränkungen durch marktbeherrschende amerikanische Internetkonzerne. „Trotzdem: Es bleibt unsere gemeinsame Herausforderung, die Soziale Marktwirtschat mit ihrem Wettbewerb und ihrem Innovationspotenzial auch in einer digitalen Welt weiterhin umzusetzen“, unterstrich der Bundesminister. Der Minister vertrat die Einschätzung, dass die Unternehmen gegenwärtig dabei seien, ihre „Hausaufgaben“ in Sachen Digitalisierung zu machen. „Wir haben aber eine große Gefahr in unserem Land und vielleicht in ganz Europa“, mahnte der CSU-Politiker. „Wir haben eine latente Innovationsfeindlichkeit, einen Technologiepessimismus, den wir an allen Ecken und Enden immer wieder feststellen können, wenn es um neue Technologien, Erindungen oder neue gesellschatliche Entwicklungen geht.“ Als Beispiel nannte Dobrindt die Versuchsstrecke für selbstfahrende Autos auf der A9. Sowohl Fachleute aus dem Verkehrsministerium als auch Ministerialbeamte aus dem Bundesjustizministerium hätten zunächst Bedenken geäußert statt die Chancen zu sehen. „Wenn das die Denke ist, die uns bei allen Erneuerungen entgegenschlägt, dann wird es relativ schwer sein, den Wettbewerb zwischen den Staaten zu unseren Gunsten zu entscheiden“, kritisierte Dobrindt. „Der Wettbewerb geht nicht mehr um die old economy. Der Wettbewerb geht darum, der old economy die Wertschöpfung wegzunehmen.“ Dobrindt sprach von einem „Kapern“ der alten, analogen Produkte durch neue, digitale Sotwarelösungen. „Die Wertschöpfung wird über die Sotware und die Digitalisierung erreicht.“ Wer die Sotwareentwicklung nicht selber beherrsche, werde küntig einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung verlieren. „Recht viel komplizierter ist es an dieser Stelle

gar nicht; und ein Geheimnis ist es auch nicht.“ Der Minister empfahl den Deutschen, die Debatte mit ein bisschen mehr „digitalem Selbstbewusstsein“ zu führen. „Wir haben in Deutschland und Europa das Gefühl, dass wir bei diesen Fragen ganz hinten, ganz schlecht, ganz abgehängt sind und zwischen Amerika und China zerrieben werden.“ Die Realität sei völlig anders. Wer sich die Grundlage der Digitalisierung, den Breitbandausbau, ansehe, der stelle fest, dass die Amerikaner nicht an der Spitze stünden. „Amerika ist bei LTE gut, wir aber auch. Und bei Fiber ist die Herausforderung in den USA mindestens genauso groß wie in Deutschland. Sonst käme Google nicht auf die Idee, ein eigenes Google-Fiber-Netz aufzusetzen. Und auch nicht auf die Idee, mit Google Loon die Breitbandtechnologie über Ballons überall in die Welt zu bringen“, stellte Dobrindt fest. „Übrigens hat bei Google keiner die Idee, Loon in Europa aufzubauen – weil jeder weiß, dass unser Kontinent stark genug ist, das selber zu organisieren.“ Der Minister verwies in diesem Zusammenhang auf die Digitale Agenda der Bundesregierung und die Fortschritte beim marktgetriebenen Ausbau der Breitbandnetze durch ein Förderprogramm. „Wir sind damit bei der Dynamik in Europa inzwischen an der Spitze“, so Dobrindt. Der Staat stelle 2,7 Milliarden Euro bereit, um weiße Flecken zu beseitigen und unterversorgte Gebiete mit Breitbandanschlüssen zu versorgen. Die Wirtschatlichkeitslücke beim Breitbandausbau werde so geschlossen. Dies sei über die Versteigerung der 700 MHz-Frequenzen gelungen. Deutschland sei das erste Land in Europa, dass diesen Weg eingeschlagen habe. „Und ich hofe, dass uns andere folgen, denn wir brauchen diese 700 MHz-Frequenzen – spätestens dann, wenn es an 5G geht.“ Ein weiterer Punkt, warum Deutschland mit mehr Selbstbewusstsein autreten solle, sei die Industrie 4.0. „Wenn bis 2020 weltweit rund 50 Milliarden Dinge über das Internet miteinander verbunden sind, dann sind davon allein 15 Milliarden Din-

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Foto: Fotolia.com ©alphaspirit

TITEL Innovation


TITEL Innovation

Breitbandausbau:

Deutschland muss in der Dynamik an die Spitze ge in Deutschland. Und warum? Weil wir die Industrie haben, die die Dinge herstellt. Derjenige, der die Industrie und die Dinge nicht hat, der wird am Schluss auch die Vernetzung nicht organisieren können. Man kann nicht das digitalisieren, was man nicht hat.“ Solange es seiner Überzeugung treu bleibe, werde Deutschland auch die

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Digitalisierung und Vernetzung der Maschinen mitorganisieren. Dobrindt kritisierte jedoch die Angst der Deutschen vor Big Data. „Wir führen eine Diskussion, bei der man das Gefühl hat, es ist nicht verstanden worden, dass küntig alle Daten in irgendeiner Form einer Verwendung zugeführt werden, die wertschöpfend ist und

Wohlstand erzeugen kann.“ Wenn nach wie vor Datensparsamkeit als Maßstab gelte, dann würden Deutschland und Europa den Wettbewerb um die Daten nicht gewinnen können. „Wenn wir Big Data aber als Chance begreifen, dann kann old europe durchaus mit Amerika und China in l den Wettbewerb treten.“

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TITEL Innovation

Schon heute nutzen 20 Millionen Menschen in Deutschland das schnelle LTE-Netz. Die nächste Generation der Breitbandtechnologie ermöglicht jedoch völlig neue digitale Dienstleistungen. uf die hohe Durchdringungsrate mit schnellen LTE-Netzen in Europa machte Ulf

A

Ewaldsson, Global CTO von Ericsson, aufmerksam. In Deutsch-

land verwendeten schon 20 Millionen Menschen LTE. Die schnellen Netze zögen eine höhere Datennutzung nach sich und mehr „Dinge“ würden angeschlossen. Die generierte Datenmenge werde in den nächsten Jahren um das neun- bis zehnfache steigen. „Dafür müssen die Netze ausgelegt sein“, sagte Ewaldsson. Derzeit steige insbesondere der datenintensive Videoverkehr über das Internet rasch an. „Zuerst wurden Menschen miteinander verbunden, jetzt Dinge – 50 Milliarden werden es bis 2020 sein.“ Das beschleunigte Wachstum lasse sich auch an der Durchdringung Europas mit Breitbandtechnologien ablesen.

Foto: Jörgen Hildebrandt

Ulf Ewaldsson Global CTO von Ericsson

„Wir nennen das die fünte Revolution der industriellen Entwicklung“, sagte Ewaldsson. „Die fünte Generation des mobilen Internets kann mit der Cloud-Technologie ganz neue Zwecke und Aufgaben erfüllen. Diese Ingredienzien verändern die Gesellschat, die dann Rückgrat und Grundlage jeder Industriebranche wird.“ Deutschland wird nach Einschätzung des Ericsson-CTO mit seiner starken Wirtschat eine führende Rolle einnehmen können. „Sie können in Europa zeigen, was man mit dieser Technologie alles erreichen kann, indem man neue Märkte für Konnektivität schat!“ Ewaldsson erklärte, dass die Entwicklung des Internets und der Digitalisierung in eine Phase übergehe, in der die traditionellen Industriebranchen die erste und zweite Generation der Entwicklung für sich nutzen und etwas Neues daraus schafen. „Sie transformieren ihre Unternehmen und schafen dadurch neue Geschätsmöglichkeiten“, so Ewaldsson. Deshalb sei es unerlässlich, die Grundlage für eine europäische Cloud-Branche zu schafen. Die Mehrheit der Cloud-

„Das Netz ist der Flaschenhals für die Innovationen, die in der Cloud stattinden können. Es gäbe kein Netlix, wenn die Netze diese Dienstleistungen nicht tragen könnten.“ 14

Investitionen würden immer noch in den USA getätigt. „Aber die europäischen Unternehmen müssen in der Lage sein, Daten umsonst zu transferieren.“ Ewaldsson wies auf das enorme Potenzial von 5G-Netzen hin, die völlig neue digitale Dienstleistungen ermöglichten. „Wir haben festgestellt, dass IKT für viele Unternehmen ganz besonders wichtig wird, um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten“, so Ewaldsson. Dabei spiele auch die neue Datenschutzverordnung eine Rolle, die für Unternehmen in Europa besonders wichtig sei. Bei 5G gehe es darum, alle Clouds mit allen Geräten zu verbinden. „Wir haben zehn- bis hundertmal mehr Kapazitäten, zehnbis hundertmal mehr Geräte, wir werden fünf Mal mehr Latenz haben. Das sind harte Anforderungen“, betonte Ewaldsson. „Das Netz ist der Flaschenhals für die Innovationen, die in der Cloud stattinden können. Es gäbe kein Netlix, wenn die Netze diese Dienstleistungen nicht tragen könnten.“ „Wir sollten keine Angst vor der Zukunt haben, wir müssen sie angehen!“, sagte Ewaldsson. Dies erfordere einen gemeinschatlichen Ansatz von Politik, Wissenschat, Wirtschat und Gesellschat. „Wir brauchen Partnerschaten, die es vorher nie gegeben l hat.“

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Grundlage für europäische Cloud-Branche schaffen


Fotos: Jens Schicke

TITEL Innovation

Innovationsforum – Diskussion im kleinen Kreis Generalsekretär Wolfgang Steiger und der Vorsitzende des Innovationsforums des Wirtschatsrates, Prof. Dr. Norbert Winkeljohann, diskutierten in kleiner Runde von 60 hochkarätigen Unternehmern unter dem Motto „Die Zukunt der Internetgesellschat“ mit EU-Kommissar Günther Oettinger und Bundesminister Alexander Dobrindt MdB sowie dem global Chief Technical Oicer von Ericsson, Ulf Ewaldsson. 4/2015 TREND

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AKTUELL Bund-Länder-Finanzen

Das staatliche Finanzsystem in Deutschland muss entlochten und grundlegend neu sortiert werden. Ziel sollte es sein, Transparenz zu erreichen und Anreize für eine solide Wirtschats- und aktive Standortpolitik zu setzen. Text: Dr. Dirk Freigang

er Beginn des nächsten Jahrzehnts wird für den deutschen Föderalstaat einer Zäsur gleichkommen. Das staatliche Finanzsystem muss grundlegend neu geordnet werden. Große Herausforderungen für unsere Gesellschat wie der demograische Wandel werden die Rahmenbedingungen prägen. Die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist deshalb zurecht als eines der wichtigsten Ziele im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert. Die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, sind mindestens fünfacher Art: Der Länderinanzausgleich läut Ende 2019 aus ebenso wie die „Osttransfers“ aus dem Solidarpakt II für die neuen Bundesländer. Die Schuldenbremse gilt ab 2020 auch verbindlich für alle Bundesländer. Der Solidaritätszuschlag gehört 25 Jahre nach der Wiedervereinigung abgeschat. Der mehrjährige EU-Finanzrahmen läut nur noch bis 2020 und muss neu verhandelt werden. Die Große Koalition hat die notwendige Mehrheit für Grundgesetzänderungen und kann das Finanzgebaren unseres föderalen Staates auf ein festeres Fundament stellen: Das muss Maßstab der Verhandlungen sein. Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen erreichen jährlich neue Rekordwerte: Allein seit dem Ausbruch Wirtschatskrise 2009 stieg das Aukommen um knapp 23 Prozent oder 120 Milliarden Euro – bis 2020 werden es weitere 124 Milliarden Euro sein. Die Politik muss diese Mehreinnahmen nutzen, um die Haushalte zu sanieren, sowie zugleich Strukturen hin zu höheren Investitionen in Infrastruktur und Bildung korrigieren. Die Reform des Länderinanzausgleichs muss das schwer durchschaubare System einfacher, verständlicher und transparenter machen. Keinesfalls darf das bestehende System fortgeschrieben und die Zuzahlungen des Bundes hoch getrieben werden. Deutschland braucht eine echte Reform: Dafür sind mehr als nur drei dauerhate Geberländer notwendig. Entscheidend ist auch, den Ausgleichsgrad der Ländereinnahmen spürbar abzusenken, um jedem Land mehr Anreize für eine aktive Standortpolitik zu geben. Es darf nicht länger sein, dass von einem zusätzlich verdienten Euro nur zwischen 26 Cent (Baden-Württemberg) und acht Cent (Brandenburg) in der jeweiligen Landeskasse bleiben.

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Der Wirtschaftsrat empfiehlt für mehr Transparenz und Effizienz des Ausgleichssystems: E Abschafung des Umsatzsteuervorwegausgleichs E umfassende Berücksichtigung der kommunalen Finanzkrat E Herauslösung der Hauptstadtfunktion aus dem System E Vergabe etwaiger Finanzhilfen nach Strukturdeiziten E Hilfen in Haushaltsnotlagen nur gegen Konsolidierungsaulagen Zur Stärkung der kommunalen Finanzkraft: E Ersatz der Gewerbesteuer durch weniger schwankende Steuerarten E Übernahme der Finanzierung bundesinduzierter Sozialleistungen durch den Bund E Neuregelung der Lohnsteuerzerlegung nach Wohn- und Arbeitssitz E Reduktion der sog. Einwohnerveredelung für Stadtstaaten als Kompensation zur Neuregelung der Lohnsteuerzerlegung Mit der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz bekamen die Bundesländer bis 2020 Zeit, ihre Haushalte auszugleichen. Bereits 2009 wurde festgelegt, „mit dem Abbau des bestehenden Deizits im Haushaltsjahr 2011 zu beginnen“. Besorgnis erregend ist, dass sich einstige Musterländer wie Baden-Württemberg oder das häuig über die Stränge schlagende Nordrhein-Westfalen nicht an diese Vorgaben gehalten haben. Gerade die sprudelnden Steuerquellen und die historisch niedrigen Zinsen sollten die Länder dringend nutzen, um ihre Haushalte und die ihrer Kommunen zu sanieren. Die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2020 darf nicht gefährdet werden. Konkret empfiehlt der Wirtschaftsrat das Ausnutzen der günstigen Rahmenbedingungen zur Haushaltsanierung: E Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben zum kontinuierlichen Deizitabbau (Art. 143d GG) E Länderinitiativen für kooperative Altschuldenlösungen mit Kommunen in Notlagen E Anstieg des Zinsniveaus in Finanzplanungen antizipieren E Haushaltswirksamkeit von Pensionsverplichtungen vollständig in die kurz- und mittelfristige Haushaltsplanung einkalkulieren E Einführung eines Zuschlagsrechts auf Gemeinschatsteuern

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AKTUELL Bund-Länder-Finanzen

Zur Einhaltung der Schuldenbremse: E Verankerung der Schuldenbremse in den Länderverfassungen E konsequenter Deizitabbau bzw. Sicherung des Budgetausgleichs E Einhalten der Vorgaben zur Schuldenbremse durch Bund und Länder E keine Aufweichung der Schuldenbremse

E Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag E verfassungsfeste und mittelstandsfreundliche Reparatur der Erbschatsteuer E objekt- statt wertorientierte Reform der Grundsteuer E Einkommensteuertarif zur Bekämpfung der kalten Progression an dauerhat die Inlation anpassen E Konzentration auf eine Bundessteuerverwaltung, Erhalt der Ländersteuerverwaltungen nur für Ländersteuern Für eine effizientere Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen: E Stärkung des Stabilitätsrats durch Sanktionierungskompetenz E Grundgesetzänderung für eine bundesweite Verkehrswegeinfrastrukturgesellschat E Einführung einer am Ressourcenverbrauch ausgerichl teten Buchführung ausweiten

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Darüber hinaus muss das Finanzierungsgelecht zwischen Bund und Ländern sowie Ländern und Kommunen kontinuierlich gelockert werden. Gemeinsame Kompetenzen wie Konsequenzen erfordern ein kooperatives Miteinander aller föderalen Ebenen – zum Wohle Deutschlands, das damit auch seiner Vorbildfunktion in Europa gerecht wird. Dies gilt für die Einnahmen- und die Ausgabenseite der öfentlichen Haushalte. Steuerpolitik wird ein immer wichtigerer Standortfaktor, und solide Staatsinanzen schafen Vertrauen in das staatliche Handeln am Standort Deutschland.

Konkret empfiehlt der Wirtschaftsrat zur maßvollen Anwendung von Besteuerungskompetenzen:

Lackmustest für den Förderalismus 4/2015 TREND

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AKTUELL Bund-Länder-Finanzen

ie Zeit wird knapp. Nach der Verständigung der Länder auf eine Reform der föderalen Finanzordnung geht es nun an die Verhandlungen mit dem Bund. 2016 soll eine Einigung stehen. Entscheidend sei, das Finanzierungsgelecht zwischen Bund, Ländern und Kommunen erfolgreich zu entstricken, ohne die Handlungsfähigkeit der jeweiligen Ebene zu gefährden, betonte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschatsrates. Dr. Michael

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Meister MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, machte auf die Dringlichkeit ei-

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nes Ergebnisses noch in der laufenden Legislaturperiode aufmerksam. Dabei müsse man sich zunächst vor allem der Aufgaben vergewissern, welche die unterschiedlichen föderalen Ebenen zu übernehmen hätten. „Dann ist die Frage zu beantworten, welche inanzielle Ausstattung zu dieser Aufgabenzuordnung gehört“, erläuterte Meister. Diese zentrale Perspektive komme im politischen Alltag ot zu kurz. Der Staatssekretär wies auf die derzeit exzellenten wirtschatlichen Voraussetzungen hin. Konjunktur, Beschätigungslage und hohe Steuereinnahmen erleichterten das Umfeld für eine umfassende Finanzreform. „Ich glaube, wir sollten diese Chance dringend nutzen“. Meister forderte mehr Eizienz und Transparenz für das föderale Fi-

„Wir müssen klare Verantwortlichkeiten schafen.“ Dr. Michael Meister MdB Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

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nanzgelecht. Diese beiden Punkte seien zwei Kernelemente einer richtig verstandenen Reform. „Das bedeutet natürlich auch, dass wir klare Verantwortlichkeiten schafen müssen“, sagte Meister. So müsse etwa die Stellung des Stabilitätsrates gestärkt werden, damit auch in konjunkturell schlechten Zeiten klare Verbindlichkeiten eingehalten werden. „Wir müssen zweitens darauf achten, dass wir uns ab 2020 inanziell

Nach zähen Die Bundesländer haben sich nach langem Ringen auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Neuordnung des Länderinanzausgleichs verständigt. Jetzt wird mit dem Bund verhandelt. Die Bundesebene darf bei der Neuordnung der Finanzenbeziehungen nicht überfordert werden. Text: Peter Hahne

wechselseitig nicht überbeanspruchen“, stelle Meister klar. Die drei Hauptzahlerländer und der Bund dürten von den Empfängerländern nicht überfordert werden. Meister regte an, den Ländern im Bereich der Sozialgesetzgebung mehr Freiheiten einzuräumen, um dort zielgenauer agieren zu können. Im Hinblick auf die Verwaltung der Bundesfernstraßen machte Meister darauf aufmerksam, dass nicht hinreichend Mittel für Investitionen in Erhalt und Neuausbau zur Verfügung stünden. „Deshalb sind wir der Meinung, dass wir darüber nachdenken sollten, ob wir im Bereich der Bundesfernstraßen nicht zu einer anderen Aufgabenverteilung kommen sollten“, regte Meister an. Dabei sollten auch private Investitionen mehr Berücksichtigung inden. Die Regierungschefs der Länder schlagen vor, den Umsatzsteuervorwegausgleich abzuschafen. Eine Position, die Meister für den Bund unter-

stützt, um mehr Transparenz in den Finanzbeziehungen zu schafen. „Im eigentlichen Bund-Länder-Finanzausgleich plädieren wir dafür, dass wir die kommunale Finanzkrat stärker als bisher miteinbeziehen“, führte Meister aus. Finanzschwache Länder wie das Saarland und Bremen sollten küntig klar konditionierte und zeitlich befristete Hilfen bekommen. Der Bund sei bereit, Solidarität mit den Ländern zu leben. „Dann müssen die Länder aber auch bereit sein, Solidarität mit anderen Ländern zu leben.“ Der Bund sei unter diesen Voraussetzungen bereit, einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer ins Gesamtsystem zu geben. „Wenn man in dieser Form zusammenkommt, hätte man dafür gesorgt, dass kein Land geschwächt aus diesen Verhandlungen heraus geht.“ Kompromiss setzt zentrale Kernforderungen des Wirtschaftsrates um Die größte Hürde ist genommen. Anfang Dezember räumten die Re-

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AKTUELL Bund-Länder-Finanzen

Finanzkrat der Kommunen in Zukunt mit 75 Prozent statt bisher 64 Prozent stärker bei der Berechnung der Finanzkrat der Länder berücksichtigt. Die ostdeutschen Flächenländer stellen sich dabei nicht schlechter, sie bekommen weiterhin rund zwei Milliarden Euro im Jahr. Die inanzschwachen West-Länder Bremen und das Saarland werden mit rund 800 Millionen Euro unterstützt. Und schließlich sollen auch die bisherigen

Verhandlungsrunden Durchbruch erreicht

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Mehrwertsteuer. Der komplizierte, bislang praktizierte Umsatzsteuervorwegausgleich wird abgeschat und durch ein transparenteres einstuiges Verfahren ersetzt. Gut vier Milliarden Euro sollen den Ländern küntig

Foto: Jens Schicke

gierungschefs der Länder nach monatelangen Verhandlungen das zentrale Hindernis für eine grundlegende Reform der Bund-Länder-Finanzen aus dem Weg. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz in der Bremer Landesvertretung einigten sich die Länder auf eine grundlegende Neuordnung des föderalen Finanzausgleichs. Der Bund muss jedoch noch zustimmen. Insbesondere deshalb, weil die Länder für ihren Vorschlag mehr als neun Milliarden Euro zusätzlich aus der Bundeskasse von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einplanen. Aber eine Zustimmung scheint sich abzuzeichnen. Nach Einschätzung von Dr. Thomas Schäfer MdL, Finanzminister des Landes Hessen, stand bis zum Schluss vordringlich die strittige Frage im Raum, wie die Ost-Länder nach Auslaufen des „Solidarpakts II“ im Jahr 2019 ohne explizite Ostförderung in den Länderinanzausgleich integriert werden können. Der Kompromissvorschlag setzt zentrale Kernforderungen des Wirtschatsrates um. Kern der jetzt gefundenen Einigung: Der Finanzausgleich zwischen armen und reichen Ländern erfolgt küntig im Wesentlichen über die

zusätzlich aus der Mehrwertsteuer zuließen. Insgesamt wird der Bund nach den Vorstellungen der Länder jedes Jahr mehr als neun Milliarden Euro beisteuern. Schließlich wird die

drei maßgeblichen Geberländer, Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, um rund zwei Milliarden Euro entlastet werden. Alle Länder sehen sich als Gewinner, oder zumindest nicht als Verlierer. „Durch die Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen steht kein Land inanziell schlechter da“, heißt es aus Länderkreisen. Das ist freilich nur möglich, weil der Bund sich noch stärker engagiert und den föderalen Finanzausgleich küntig deutlich stärker als bislang alimentieren könnte. Man darf also gespannt sein, wie die Verhandlungen der Länder mit der Bundesregierung verlaufen. Denn eines ist klar: Auch der Bund darf inanziell nicht überfordert werden, trägt er doch ohnehin schon die größte Schuldenlast im föderalen Finanzsystem. Hessens Finanzminister Dr. homas Schäfer wies außerdem darauf hin, dass auch in Zukunt dicke Bretter zu bohren bleiben: „Wir werden auf Dauer weitere Strukturfragen diskutieren müssen. Der Länderinanzausgleich ist das größte Hemmnis für eine Neugliederung des Bundesgebietes. Da müssen wir ran.“ Nach der Reform ist damit auch beim Länderl inanzausgleich vor der Reform.

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AKTUELL Erbschaftsteuer

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den Regierungsentwurf im Kabinett verabschiedet. Das Besondere dabei war, dass sowohl die Minister der CSU als auch die Minister der SPD jeweils eine Protokollerklärung abgaben, mit denen Änderungen im parlamentarischen Verfahren angemahnt wurden. Dass sich die dort protokollierten Änderungswünsche in weiten Teilen widersprechen zeigt, wie uneinig sich die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Regierungsentwurfs war. Nun ist der Deutsche Bundestag am Zug. Als Berichterstatter der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Parlamentskreis Mittelstand habe ich und viele meiner Kollegen im

einem Unternehmen, bei dem gesellschatsvertraglich festgelegt ist, dass beispielsweise 70 Prozent der Gewinne nicht ausgeschüttet werden dürfen, kein Bewertungsabschlag vorgenommen werden darf, obwohl der Gesellschater nur über 30 Prozent der Gewinne verfügen kann. Es ist aber ofensichtlich, dass eine solche hesaurierungsregelung bei einem Verkauf des Anteils auf dem Markt zu einer Wertminderung des Anteils führen würde. Insofern ist es nur konsequent, wenn man solche wertmindernden Faktoren bei der Bewertung für die Erbschatsteuer ebenfalls wertmindernd berücksichtigt. Richtig wäre es,

Noch verhandelt der Deutsche Bundestag über die Erbschatsteuerreform. Dabei wird an vielen Stellen verkannt, dass wir dabei sind, die Axt an unseren Mittelstand anzulegen, um den uns viele andere Staaten beneiden. Text: Christian Freiherr von Stetten MdB

Foto: bmf; Ilja C. Hendel

ie ganze Welt beneidet uns um unsere großen Familienunternehmen und den deutschen Mittelstand. Parteiübergreifend wird der Mittelstand in Sonntagsreden als „das Rückgrat unserer Wirtschat“ gelobt. Aber wenn es konkret wird, wird die Bedeutung des Mittelstands und der Familienunternehmen von der Politik leider häuig vergessen. Derzeit verhandelt der Deutsche Bundestag – aber auch die Bundesländer – über eine Reform der Erbschat- und Schenkungsteuer. Dabei erleben wir eine Diskussion, bei der große Teile verkennen, dass wir gerade dabei sind, die Axt an den Mittelstand zu legen. Wir laufen Gefahr, die Strukturen, die unsere Wirtschat so stark und krisenfest machen, unwiederbringlich zu zerstören. Notwendig ist diese Diskussion wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014, in dem das Erbschatsteuerrecht in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde.

Erbschaftsteuer: für den Standort Foto: Freiherr von Stetten MdB

Nachdem das Bundesministerium der Finanzen bereits Ende Februar Eckwerte für eine Erbschatsteuerreform vorgelegt hat, hat die Bundesregierung am 8. Juli den entsprechen-

Christian Freiherr von Stetten MdB Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand und mittelstandspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrates

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letzten Jahr mit vielen betrofenen Unternehmen und Verbänden über die Erbschatsteuer gesprochen. Und auch die Sachverständigenanhörung hat viele Fragen und ofene Punkte aufgeworfen. Dabei geht es unter anderem um die folgenden Aspekte: Ein ganz entscheidender Gesichtspunkt ist die Frage der Unternehmensbewertung. Nach dem geltenden Bewertungsrecht sind persönliche Verhältnisse wie etwa Verfügungsbeschränkungen bei der Bewertung des Unternehmens nicht zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass bei

den Unternehmenswert entsprechend der gesellschatsvertraglich festgelegten prozentualen Ausschüttungsbeschränkung zu reduzieren. Derzeit berücksichtigt der Gesetzentwurf Verfügungsbeschränkungen und Ausschüttungsbegrenzungen bei der Frage, ab wann für ein Unternehmen eine sog. Bedürfnisprüfung beim Erben durchzuführen ist. Hierfür nennt der Entwurf drei Kriterien, die kumulativ zu erfüllen sind und die über einen Zeitraum von insgesamt 40 Jahren, nämlich zehn Jahre vor der Übertragung und mindestens 30

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AKTUELL Erbschaftsteuer

dürte in der Realität nur selten erzielt werden. Eine Festschreibung dieses Faktors in dieser Höhe würde aber bereits zu einer deutlichen Verbesserung führen. Über diese Aspekte hinaus enthält der Gesetzentwurf viele weitere Gesichtspunkte, die geändert werden müssen, damit der Entwurf zustimmungsfähig wird. Ob das die Neude-

„Was nicht sein darf ist, dass ein Unternehmen Deutschland wegen der Erbschatsteuer verlassen muss.“ inition des begünstigten Vermögens, die Feinjustierung des Abschmelzmodells oder die Voraussetzungen der privaten Bedürfnisprüfung sind, hier ist noch viel zu tun. Leider stellt sich die SPD gegen fast alle unserer Änderungswünsche. Die SPD möchte vielmehr das Gegenteil erreichen und spricht sich für eine weniger unternehmensfreundliche Erbschatsteuer aus. Wir als Union werden weiter für eine unternehmensfreundliche Erbschatsteuer kämpfen. Einen ersten Erfolg haben wir bereits dadurch erzählt, dass die ursprünglich für Anfang November geplante Verabschiedung im Bundestag auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Eines muss klar sein: Wenn ein Unternehmen Deutschland wegen der Lohnkosten oder der Energiepreise verlassen muss oder weil seine Kunden ins Ausland gehen, dann ist das das eine. Was aber nicht sein darf ist, dass ein Unternehmen Deutschland wegen der Erbschatsteuer verlassen muss. Wie wir eine unternehmensfreundliche Erbschatsteuer erreichen ist offen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir nochmals ganz neu denken müssen. Zum Beispiel in Richtung eines Niedrigsteuermodells mit breiter Bemessungsgrundlage, das die Besonderheiten der Familienunternehmen l angemessen berücksichtigt.

Weichenstellung Deutschland Jahre nach der Übertragung im Gesellschatsvertrag enthalten sein müssen. Unabhängig von der Frage, ob die dort genannten Kriterien so formuliert sind, dass sie überhaupt erfüllt werden können, ist der Zeitraum von 40 Jahren fernab jeglicher Realität. Besonders unverständlich ist dabei die zehnjährige Vorlaufrist, die Gestaltungen verhindern soll. Es stellt sich die berechtigte Frage, was einer Volkswirtschat besseres geschehen kann, wenn ein Unternehmer sich rechtlich verplichtet, Teile des Gewinns im Unternehmen zu lassen. Dies ermöglicht

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Innovationen und Investitionen und schützt Arbeitsplätze. Daher ist eine solche Gestaltung sogar wünschenswert und sollte nicht als Umgehung in Misskredit gebracht werden. Gleichzeitig führt die anhaltende Niedrigzinsphase zu einer Überbewertung der Unternehmen nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren. Derzeit bestimmt sich der Unternehmenswert nach dieser Methode nach dem 18,22-fachen des Unternehmensgewinns. Ein Wert, der auf dem Markt für kaum ein Unternehmen erzielt werden kann. Selbst der Faktor zwölf

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AKTUELL EU-Datenschutzgrundverordnung

s handelt sich bei der Novelle des EU-Datenschutzrechtes um ein legislatives Mammutprojekt. Das Europäische Datenschutzrecht ist aktuell noch durch eine Richtlinie aus dem Jahr 1995 (95/46/ EG) geregelt und aus heutiger Sicht digitale „Steinzeit“, sie gilt als technisch überholt – die rasante Entwicklung von Technologie und Internet hat die Grundannahmen von 1995 überrollt. Darüber hinaus trägt die Richtlinie in

E Foto: Axel Voss MdEP

Axel Voss MdEP Stellv. Vorsitzender des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments; Berichterstatter der EVPFraktion für die Überarbeitung der EU-Datenschutzverordnung

ihrem Umfang auch der Etablierung des Datenschutzrechts als Grundrecht nicht mehr Rechnung, und ist somit auch rechtlich veraltet. Durch die Reform soll der freie Fluss von Daten im Binnenmarkt ermöglicht

und der efektive Schutz des Grundrechts auf Datenschutz für den Einzelnen gewährleistet werden. Zuküntig soll es anstelle eines Flickenteppichs von 28 Gesetzeswerken in 28 Staaten eine einheitliche Verordnung für ganz Europa geben. Als Novum wird das Marktortprinzip eingeführt. Es besagt, dass die neuen EU-Regeln auch für alle Unternehmen gelten sollen, die außerhalb der Europäischen Union (EU) ihren Hauptsitz haben, sich mit ihren Waren und Dienstleistungen aber an Kunden in der EU wenden. Das bedeutet konkret: Da wo Daten von EU-Bürgern verarbeitet werden, soll auch EURecht gelten. Soweit klingt das alles gut. Aber, der Vorschlag, der derzeit verhandelt wird, ist nicht mehr zeitgemäß. Europa hinkt mit seiner Gesetzgebung der technischen Entwicklung und der Realität hinterher. Zwar wird das Datenschutzrecht durch die Reform gewiss besser sein als die Richtlinie von 1995. Dennoch fahren wir derzeit in den Verhandlungen in eine digitale und grundrechtliche Sackgasse und müssen aufpassen, dass wir nicht gegen die Wand fahren!

Die Bedeutung von Daten hat sich seit den 80er Jahren fundamental gewandelt. Damals ging es um die simple Bearbeitung von Daten zum leichteren Auinden, Verändern und Archivieren von Informationen. Eine einfache Information blieb eine einfache Information. Es wurden keine Zusammenhänge zwischen akkumulierten Daten hergestellt. Heute werden solche Art von Daten im Alltag in einer Fülle und Weise erzeugt und verarbeitet, dass man Aufenthaltsorte, Interessen, Gefühle und Verhaltensweisen ablesen kann. Die Vernetzung dieser Ergebnisse mit Daten anderer Personen oder mit Umwelt-, Gesundheits- oder Sozialdaten bringen heute folglich neue, ganz andere Erkenntnisse und Geschätsmodelle hervor. Daten und deren weitreichende Analysen sind ein Riesengeschät geworden, welches Wachstum und Wohlstand generiert. Daten sind die neue Währung der Gegenwart und der Zukunt! Auch wenn man diese Entwicklung ablehnt, kann man sich ihr nicht entziehen. Dies wäre auch gesamtwirtschatlich fatal, da der glo-

EU-Datenschutz

Neuregelung verspielt die digitale Zukunft

Bürger, Regierungen, Verbraucherschützer, Industrie und Interessenvertreter – sie alle schauen mit großer Erwartung nach Brüssel. Hier wird seit 2012 an der Datenschutzgrundverordnung gearbeitet. Nun steuern das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission in den sogenannten Trilogverhandlungen auf ihre inale Phase zu. Text: Axel Voss MdEP

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AKTUELL EU-Datenschutzgrundverordnung

wir selbst erzeugen und Anderen den Zugang dazu gewähren, ändern. Wenn die sozio-grünen Datenschutzideologen noch mehr Datenschutz fordern und der Gesetzestext so bleibt, wie er derzeit auf dem Verhandlungstisch liegt, dann verhindern wir die leichte und notwendige Anwendung von großen Datenmengen und verspielen unsere digitale Wettbewerbsfähigkeit. Durch das neue Da-

Es muss Aufgabe eines neuen europäischen Datenschutzrechts sein, die Herausforderungen der wirtschatlichen datengetriebenen Zukunt mit dem Schutz der Privatsphäre zu verbinden! So könnte die intensivere Nutzung von pseudonymen Daten den Einzelnen besser schützen, aber gleichzeitig die massenhate Datenverwendung bei ausreichendem Schutz erlauben.

Das Datenschutzrecht ist heute eben nicht mehr nur ein Grundrecht, sondern auch ein Wirtschats- oder Wettbewerbsrecht. Das Maß an Datenschutz ist zudem zu einem Indikator der allgemeinen Sicherheit geworden. Und wir müssen endlich akzeptieren, dass Datenschutz allein nicht unsere Privatsphäre sichern kann. Eine Privatsphäre, wie wir sie vor 10 Jahren noch kannten, wird es in der Zukunt so nicht mehr geben. Sie wird sich durch die Daten, die

tenschutzrecht werden wir Big-DataAnwendungen Steine in den Weg legen und so die europäische Wirtschat ausbremsen und gleichzeitig den großen US-amerikanischen oder chinesischen Firmen die Entwicklung neuer Produkte durch die Anwendung von Big-Data überlassen. Dabei wären gerade der freie Fluss der Daten und deren Analyse durch Big-Data-Anwendungen die Grundlage für neue wirtschatliche Möglichkeiten und Wachstum.

Wenn es uns nicht gelingen sollte, den derzeitigen Kompromiss noch so umzustrukturieren, dass für Europas Bürger und Wirtschat der bestmögliche Ausgleich im Datenschutzrecht erreicht wird, müssen wir auch den Mut haben, diesen Text abzulehnen und ein zukuntsfähigeres Datenschutzrecht in Europa zu etablieren! Wenn die Wirtschat jetzt dazu schweigt, kann das schwerwiegende l Folgen haben.

Foto: SAP; Reto Klar

bale Wettbewerb sich zunehmend an dieser technologischen Wettbewerbsfähigkeit ausrichten wird, ansonsten droht Bedeutungslosigkeit. In den derzeitigen Verhandlungen geht es deshalb nicht nur um den Schutz der personenbezogen Daten. Es geht dabei auch um unsere wirtschatliche Wettbewerbsfähigkeit in der EU und um den Schutz unserer Privatsphäre.

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AKTUELL EU-Datenschutzgrundverordnung

Text: Prof. Niko Härting

as Pseudonym ist eine der ältesten Methoden des Datenschutzes. Der falsche Name an der Hotelrezeption, die Initialien am Klingelschild, der Phantasiename in der Rotlichtbar: Der Deckname schützt vor unerwünschten Zudringlichkeiten. Auch in Zeiten, in denen wir per Smart Phone, Smart Car und Smart Home, am laufenden Band Daten produzieren, können Pseudonyme die Privatsphäre schützen. Wenn Standortdaten und Daten über das Fahrverhalten und den Stromverbrauch nicht unter dem „Klarnamen“, sondern unter einer Ordnungsnummer etwa „123456789“ gespeichert werden, empinden wir dies als spürbaren Schutz sensibler Informationen. So etwa wird in der medizinischen Forschung von jeher mit Pseudonymen gearbeitet.

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Prof. Niko Härting Foto: Niko Härting

Rechtsanwalt Härting Rechtsanwälte

Man nehme das Beispiel einer Datenbank mit Informationen über Tumore: Von der Auswertung derartiger Daten versprechen sich Mediziner erhebliche Fortschritte bei der Behandlung von Erkrankungen. Zugleich handelt es sich um sensible Gesundheitsdaten, so dass ein wirksamer Schutz notwendig ist. Eine Pseudonymisierung ist dabei der beste Weg. Die Privatsphäre der Betrofenen wird geschützt, ohne dass die Tumordaten der

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Forschung verlorengehen. Und anders als eine vollständige Anonymisierung schat das Pseudonym die Möglichkeit, den Tumordaten weitere individuelle Informationen des Patientenpseudonyms hinzuzufügen und so die Krankengeschichte nachzuvollziehen. Nicht nur bei medizinischen Informationen können Pseudonyme die Privatsphäre schützen. Auch in anderen Bereichen wahren Pseudonyme die notwendige Balance. Wenn Daten über unsere Einkäufe und über unsere Suchbegrife pseudonymisiert werden, können diese Daten genutzt werden, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Wenn die Bewegungsdaten von Autofahrern pseudonymisiert ausgewertet werden, kann der Verkehr intelligent gesteuert werden, sodass wir nicht mehr so viel nutzlose Zeit in Verkehrsstaus verbringen müssen. Wenn Smart Meters pseudonymisiert analysiert werden, können neue Methoden entwickelt werden, um den Stromverbrauch von Waschmaschinen und Kühlschränken zu drosseln und Belastungen der Umwelt zu reduzieren. Auf der Zielgeraden zu einem neuen europäischen Datenschutzrecht ist daher zu hofen, dass das neue Recht Anreize für eine Pseudonymisierung setzen wird. Ob sich diese Hofnung erfüllt, bleibt abzuwarten. Überzeugende Vorschläge sind bislang Mangelware. Als die Europäische Kommission Anfang 2012 einen Vorschlag für eine Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) vorlegte, hielt sie Regelungen zu Pseudonymen für verzichtbar. Stattdessen setzte sie auf die Einwilligung als Schutzinstrument. Dies ist kontraproduktiv: Wenn Unternehmen

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Wenn europäische Unternehmen nicht endgültig den Anschluss an die US-Konkurrenz verlieren sollen, brauchen wir ein Datenschutzrecht, das die Pseudonymisierung fördert und Rechtssicherheit gewährleistet.

Einwilligungen benötigen, werden sie die Erklärungen im Zweifel weit fassen. Hat das Unternehmen einmal die Zustimmung zur Verarbeitung von Daten, gibt es keinen Anreiz zum Verzicht auf den „Klarnamen“ und zur Pseudonymisierung. Für Patienten könnte das etwa bedeuten, dass sie vorab Ärzten oder Krankenhäusern Einwilligungen geben für Studien, deren Inhalte sie noch nicht einmal erahnen können. Das Europäische Parlament hat dieses Problem erkannt, ist jedoch bei seinen Bemühungen um Anreize für eine Pseudonymisierung auf halbem Weg steckengeblieben. So soll die Pseudonymisierung zwar ein gewichtiger Umstand sein, der bei einer Interessenabwägung für die Zulässigkeit der Datenverarbeitung spricht. Dies erleichtert Unternehmen die Verarbeitung pseudonymer Daten, schat jedoch keine Rechtssicherheit. Rechtssicherheit erlangt der Datenverarbeiter auch nach den Vorstellungen des Parlaments nur durch eine Einwilligung. Wenn ohnehin eine Einwilligung formuliert werden muss, gibt es indes keine Veranlassung mehr, die Einwilligung auf pseudonyme Daten zu beschränken und auf „Klarnamen“ zu verzichten. Auch im Europäischen Rat wurde intensiv um Anreize für die Pseudonymisierung gerungen. Kritiker sahen in der Pseudonymisierung ein „Trojanisches Pferd“ und befürchteten eine Aushöhlung der strengen Regelungen zur Einwilligung. Unter dem Motto „Meine Daten gehören mir“ versuchte man, das Datenschutzrecht an einem Wunschbild auszurichten und davon auszugehen, dass mündige Verbraucher mit Unternehmern von Fall zu

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AKTUELL EU-Datenschutzgrundverordnung

Fall die Konditionen einer Preisgabe von Informationen verhandeln. Bei der Vorstellung eines Zwiegesprächs mit einzelnen Verbrauchern oder auch Patienten blendet man aus, dass die digitale Wirtschat ein Massengeschät ist, das keine individuellen Verhandlungen zulässt. Vor allem aber blendet man die Bedürfnisse der Kunden aus. Kunden wollen die Be-

ten nicht selbst überlassen, ob er mit einem Einwilligungshäkchen auf den Schutz seiner Daten verzichtet. Den Vorschlägen des Rates zur Pseudonymisierung merkt man das zähe Ringen an, das zu diesen Vorschlägen führte. Einerseits gibt es einen kompliziert formulierten Erwägungsgrund 23 c, der eine „allgemeine Analyse“ pseudonymer Daten auch

würde auch die bewährte Arbeit der Auswertung von Patientendaten in der Forschung betrefen. Um Anreize für eine Pseudonymisierung zu setzen, bedarf es zumindest eines klaren „Opt Outs“- es bedarf einer Regelung, die klarstellt, dass eine Einwilligung verzichtbar ist, wenn Datenbestände anonymisiert werden. Wenn europäische Unternehmen

Mythen und Fakten der Datenschutzreform:

Pseudonyme und anonyme Daten dingungen für ihre Einwilligung nicht einzeln mit Unternehmen oder Ärzten verhandeln. Sie wollen Unternehmen oder Ärzten vertrauen, die mit hohen Schutzstandards arbeiten. Ein zeitgemäßes Datenschutzrecht sollte sich um Schutzstandards für die datenverarbeitende Wirtschat bemühen und es dem Verbraucher oder Patien-

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ohne Einwilligung der Betrofenen ermöglichen soll. Andererseits wird betont, dass das Datenschutzrecht auf pseudonyme Daten in vollem Umfang Anwendung indet. Die Pseudonymisierung wäre kein „Königsweg“, der aus dem Datenschutzrecht herausführt. Die Einwilligung bliebe der einzige Weg zur Rechtssicherheit. Das

nicht endgültig den Anschluss an die amerikanische Konkurrenz verlieren sollen, brauchen wir ein Datenschutzrecht, das die Pseudonymisierung fördert und Rechtssicherheit gewährleistet. Ohne klare Rechtsfolgen, die sich an eine Pseudonymisierung knüpfen, wird eine überzeugende Regelung l nicht gelingen.

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AKTUELL EU-Urheberrecht

ben unterwegs einen Song auf Deezer abspielen, über das Tablet im Urlaub den Netlix-Account nutzen oder den sonntäglichen Tatort auch auf der Geschätsreise im Ausland nicht missen wollen: Unsere Nutzungsgewohnheiten urheberrechtlich geschützten Materials haben sich im digitalen

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form aussehen sollte, auseinandergesetzt. Anfang 2015 wurde unter meiner und der Leitung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Pavel Svoboda, eine fraktionsinterne und ausschussübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, mit dem Ziel, eine gemeinsame EVP-Position zum hema Urheberrecht zu verabschieden und

die mit den eigentlichen Urhebern nicht immer fair geteilt werden. Aus diesem Grund fordert die Fraktion die Kommission auf, die rechtliche Stellung von Plattformen und Inhalteanbietern zu klären und Deinitionen für die verschiedenen Plattformtypen zu inden. Ebenso spricht sich die Fraktion für eine Neubewertung

Das veraltete EU-Urheberrecht an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen, ist ein Schwerpunkt der Juncker-Kommission. Kommission und Parlament sind gefordert, die richtige Balance zwischen den Forderungen der Konsumenten und den Befürchtungen des Kreativsektors zu inden.

Zeitalter stark verändert. Das veraltete EU-Urheberrecht an die neuen Herausforderungen anzupassen, ist ein Schwerpunkt der Juncker-Kommission. Wie aber die verschiedenen Interessen unter einen Hut bringen? Die Nutzer kreativer Inhalte möchten Zugang zu diesen zu jeder Zeit, an jedem Ort, von jedem Endgerät. Die Künstler und Kreativen befürchten, durch einen uneingeschränkten Zugang zu ihren Werken nicht mehr von ihrer Arbeit leben zu können, und bangen um die kulturelle Vielfalt Europas.

Sabine Verheyen MdEP Foto: www.fkph.net

Sprecherin der EVP-Fraktion Ausschuss für Kultur und Bildung

Die Argumente beider Seiten haben durchaus ihre Berechtigung, und nun ist es die Aufgabe der Kommission und des Europäischen Parlaments, die richtige Balance zwischen den Forderungen der Konsumenten und den Befürchtungen des Kreativsektors zu inden. Die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament hat sich früh mit der Frage, wie eine EU-Urheberechtsre-

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noch vor dem ersten Legislativvorschlag den strategischen Austausch mit der Kommission zu suchen. Den Mitgliedern der Arbeitsgruppe war es wichtig, eine ganzheitliche Position zu inden, die die sozialen, kulturellen, juristischen, wirtschatlichen und digitalen Aspekte des Urheberrechts aufnimmt und dem Doppelcharakter der kulturellen Vielfalt als wirtschatliches aber auch gesellschatliches Gut Rechnung trägt. In insgesamt zehn Trefen der Arbeitsgruppe mit unterschiedlichsten Experten von allen Seiten der Urheberrechtsdebatte wurde ein breites hemenfeld abgedeckt. Denn: Das Urheberrecht stellt die wirtschatliche Grundlage des kreativen Schafens dar und ist Garant für kulturelle Vielfalt. Ebenso kann eine Vollharmonisierung von Ausnahmen und Urheberrechtsbeschränkungen nicht im Interesse der Kreativwirtschat liegen. Allerdings könnte eine weitere Harmonisierung in einigen Bereichen durchaus gerechtfertigt und sinnvoll sein, zum Beispiel im Bildungs- und Forschungsbereich oder im Bereich des Zugangs zu Online-Inhalten für Menschen mit Handicap. In Bezug auf Plattformen und Intermediäre stellt die EVP-Fraktion mit Sorge fest, dass diese häuig Proite aus fremden Inhalten schlagen,

Foto: Fotolia.com ©Monkey Business

Text: Sabine Verheyen MdEP

der Hatung von Diensteanbietern für Urheberrechtsverstöße sowie für eine Anwendung der Sorgfaltsplicht der Anbieter aus. Die Europäische Kommission plant, das Urheberrechtspaket schrittweise anzugehen. Nach Informationen aus der Kommission wird am 9. Dezember der erste legislative Vorschlag

TREND 4/2015


AKTUELL EU-Urheberrecht

EU-Urheberrecht:

Einen fairen Interessenausgleich finden INTERNET – Wie das Urheberrecht

unser Leben beeinflusst

Europäer, die das Internet täglich nutzen

315 Millionen Bevölkerung Europas

507 Millionen Geoblocking (Produkte können nicht gekauft und Dienstleistungen nicht in Anspruch genommen werden, da sie im Land des Internetnutzers nicht angeboten werden) 52 % Online-Streaming innerhalb der EU Personen, die Inhalte aus anderen EU-Mitgliedsstaaten sehen oder hören möchten

19 %

Personen, die Filme oder Serien streamen und dies auch im Ausland versuchen

31 %

Anzahl dieser Personen, die diese Inhalte im Ausland nicht aufrufen können

43 %

Personen, die Veranstaltungen wie Sportereignisse live streamen und dies auch im Ausland versuchen 38 %

51 %

EU-Kulturindustrie in Zahlen Arbeitsplätze in Branchen, in denen Urheberrecht eine große Rolle spielt (audiovisuelle Medien, Musik, Bücher) 7 Millionen

der Kommission zum hema Portabilität vorgestellt werden. Parallel dazu wird die Kommission einen Fahrplan herausgeben, der die weiteren geplanten Initiativen vorstellt. Vorschläge der Kommission zu den hemen Territorialität, der Reform der audiovisuellen Mediendiensterichtlinie sowie Plattformen und Intermediäre erwarten

4/2015 TREND

wir in der ersten Jahreshälte 2016. Die AG Urheberrecht der EVP-Fraktion wird auch weiterhin in engem Austausch mit der Kommission daran arbeiten, eine zukuntsorientierte Lösung im Urheberrecht zu inden, welches auf die Bedürfnisse der Nutzer eingeht, ohne die kulturelle Vielfalt in l Europa zu gefährden.

Beiträge der Branchen, in denen Urheberrecht eine große Rolle spielt, zum BIP in der EU im Jahr 2013 509 Milliarden Man geht davon aus, dass die Ausgaben für die digitale Unterhaltunsangebote und Medien innerhalb der kommenden fünf Jahre weltweit um 12,1 % ansteigen werden 12,1 % C Eine der beliebtesten Aktivitäten im Internet ist der Konsum von digitalen (urheberrechtlich geschützten) Inhalten.

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Quelle: Europäische Kommission, Eurobaometer

Anzahl dieser Personen, die diese Dienste im Ausland nicht aufrufen können


AKTUELL Smart Cities

ir leben im digitalen Zeitalter. Wir kommunizieren ständig und überall, rund um den Globus, 24 Stunden täglich. Kaum ein Bereich unseres Lebens, unserer Gesellschat und unserer Wirtschat bleibt von der Digitalisierung unberührt. Smart Phones und Tablets erobern Deutschlands Haushalte. Online-Shopping und Online-Banking sowie „Always On“ und „Social Media“ sind die neuen Formen von Kommunikation und Unterhaltung. Big-

W

am politischen Willensbildungsprozess beteiligt werden. Dies ist auch notwendig, denn Bürger fordern Online-Serviceleistungen der kommunalen Verwaltung heute ebenso selbstverständlich ein, wie sie sich mehr Transparenz bei politischen Vorgängen wünschen. Die voranschreitende Digitalisierung hat Bürger und Unternehmen bezüglich der Verfügbarkeit digitaler Infrastruktur und Dienstleistungsangebote anspruchsvoller gemacht. Um daher als Standort attraktiv zu bleiben, muss die Stadtent-

Nur wenige Städte verfügen über eine Digitalisierungsstrategie oder auch einen Digitalisierungsbeautragten, einen so genannten Chief Digital Oficer. Kommunen sollten das hema ganzheitlich angehen. Die Formulierung eines digitalen Leitbildes und einer darauf aubauenden Strategie sind wesentliche Voraussetzungen für den Digitalisierungsprozess. Gleiches gilt für die ländlichen Räume, die bei der Diskussion um Smart Cities zu ot vernachlässigt werden. Smarte Lösungen können nicht

Deutschlands Städte entdecken die Digitalisierung und ebnen den Weg für die Smart City.

Data-Analysen und „Internet of hings“ bieten noch ungeahnte Möglichkeiten hinsichtlich Zugang und Nutzung von Daten und Informationen. Zunehmend beschätigten sich auch Deutschlands Städte mit den Möglichkeiten der digitalen Vernetzung für die Stadtentwicklung. Sie beinden sich auf dem Weg zur „Smart City“. Eines der Kernelemente einer Smart City Entwicklung ist die Digitalisierung der Stadt. E-Government Lösungen zeigen, dass Verwaltungsabläufe dank digitaler Unterstützung deutlich eizienter gestaltet werden können. Allein durch die Einführung von Dokumentenmanagementsystemen, können die Personalkosten um bis zu 15 Prozent reduziert werden. Eine efektive Verwaltung stärkt zudem den Wirtschatsstandort und die Bürger können noch umfassender

Dr. Helge Maas Foto: Willi Nothers

Senior Consultant Advisory Finance & Regulation PwC AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

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wicklung diesen neuen Entwicklungen gerecht werden. PwC zeigt in der Studie „Deutschlands Städte werden digital“, dass Digitalisierung und wirtschatlicher Erfolg von Kommunen Hand in Hand gehen. Digitalisierung ist zu einem Standortfaktor geworden. Grundvoraussetzung für die Digitalisierung der Städte ist eine schnelle digitale Infrastruktur. Die Ziele der Bundesregierung für den Ausbau der Breitbandverfügbarkeit auf 50 Mbit/s lächendeckend bis zum Jahr 2018 gelten dabei bereits heute als überholt. Der Glasfaserausbau muss daher schnell vorangebracht werden. Viele deutsche Städte und Gemeinden haben die Bedeutung der Digitalisierung für ihre Zukuntsfähigkeit bereits erkannt. In einer von uns bundesweit durchgeführten Umfrage mit über 200 Kommunen und Landkreisen messen sieben von zehn Kommunen der Digitalisierung eine „große“ oder „sehr große“ Bedeutung zu. Es zeigt sich jedoch auch, dass bei der Entwicklung und Umsetzung zukuntsfähiger digitaler Strategien große Unsicherheit in der kommunalen Politik und Verwaltung herrscht. Die strategische Verankerung in der Stadtentwicklung ist bisher kaum erfolgt.

Foto: Fotolia.com ©Sergey Nivens

Text: Dr. Helge Maas / Michael Jahn

nur dichtbesiedelten Regionen helfen, sondern ihre Potentiale gerade im ländlichen Raum voll entfalten. Die Digitalisierung bietet ideale Werkzeuge um gewisse Deizite von ländlichen Regionen auszugleichen, beispielsweise durch intelligente Verkehrslösungen, E-Health und digitale Einkaufs-

TREND 4/2015


AKTUELL Smart Cities

zen der Digitalisierung aufgebaut wird: der Vernetzung. Der interkommunale Aubau gemeinsamer Open-Data-Plattformen, Investition in Ratsinformationssysteme und digitale Verwaltungsabläufe ermöglichen Kommunen die kosteneiziente Umsetzung der DigitalisieBedeutung der Digitalisierung in den Entwicklungsstrategien rung. Ebenso können aus Sicht der Kommunen durch ein gemeinsames, zentrales System, 3% 3% besonders im Bereich der Verwaltung und sehr große Bedeutung

24 %

20 %

Michael Jahn Senior Manager Advisory Finance & Regulation PwC AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Foto: Willi Nothers

möglichkeiten. Die Digitalisierung ermöglicht Bürgern und Unternehmen zeit- und vor allem ortsungebunden ihren Aufgaben nachzugehen. Genau deshalb ist auch in ländlichen Regionen eine digitale Infrastruktur,

eines Systembaukastens für lächendeckende Standardlösungen für alle Kommunen denkbar und wünschenswert. Für den Beginn der lächendeckenden Digitalisierung muss das

große Bedeutung geringe Bedeutung

50 %

gar keine Bedeutung weiß nicht / keine Angabe Quelle: PwC

Digitalisierung: Fundament smarter Städte allem voran der Glasfaserausbau, elementar. Nur so können auch ländliche Gegenden ihre Attraktivität für Bürger und Unternehmen erhöhen. Der Aubau einer digitalen Infrastruktur kann ressourcenschonend geschehen. Nämlich genau dann, wenn auf eine der Kernkompeten-

4/2015 TREND

der Online-Beteiligung, Skalen- und Lernefekte generiert werden. Kooperationen sind dabei nicht nur interkommunal, sondern auch mit Unternehmen, Bürgern oder Hochschulen denkbar. Anstelle von Insellösungen, die nur individuell für eine Kommune funktionieren, ist die Entwicklung

„Kirchturmdenken“ überwunden und die Augen für Neues geöfnet werden. Die Digitalisierung lebt von der Skalierbarkeit. Kommunen, die den Weg in die smarte, digitale Zukunt noch nicht eingeschlagen haben, raten wir, jetzt aktiv zu werden und die Zukunt l zu gestalten.

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eutschland ist für Historiker die bewegte Nation, für Automobilisten eine bewegende Nation. Nirgendwo sonst ist der Antrieb zum Antrieb größer. Alle wichtigen Erindungen rund um das Auto kommen aus Deutschland – vom Viertaktmotor bis zum Antiblockiersystem. Diese Mobilitätsneugier der Deutschen mag etwas mit einem individualistischen Freiheitsdrang oder auch der europäischen Mittellage zu tun haben. Fest steht, dass sie eine unserer Stärken ist, auf der mehr als nur ein wesentlicher Teil unseres Wohlstands beruht. Deshalb ist es wichtig, dass Deutschland bei der nächsten großen Mobilitätsrevolution vorangeht: dem autonomen und vernetzten Fahren. Damit bekommt Mobilität eine völlig neue Dimension. Das Auto wird

D

Gleichzeitig reduziert das automatisierte Fahren den größten volkswirtschatlichen Schaden, den Stau, um etwa 40 Prozent. Außerdem werden die Unfallzahlen massiv zurückgehen, da heute rund 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind. Experten rechnen vor, dass die Vision vom automatisierten und vernetzten Fahren 2025 wahr wird. Ich glaube, wir werden schneller sein. Weil schon heute gilt: total digital – total normal. Das iPhone hat es vorgemacht. Vor nicht einmal zehn Jahren eine radikale Innovation, sind Smartphones heute selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags. Auch ein moderner Serienwagen ist heute oline nicht mehr denkbar und hat bereits einen komplexeren Sotware-Code als ein Spaceshuttle. Bis

Foto: Audi AG

AKTUELL Automatisiertes Fahren

Mit mobiler Digitalität Alle Erindungen rund ums Auto kommen aus Deutschland. Deshalb ist es so wichtig, dass unser Land bei der nächsten Mobilitätsrevolution vorangeht: dem autonomen und vernetzten Fahren. Text: Alexander Dobrindt MdB

zum „hird Place“, einem weiteren Lebensmittelpunkt neben Büro und Zuhause. Das Fahren entwickelt sich von der zweckgebundenen Notwendigkeit zu einem neuen, produktiven Zeitfenster. Gleichzeitig macht Echzeit-Daten-Kommunikation zwischen Autos und Infrastruktur den Verkehr vorhersehbar – und vermeidet Stau und Unfälle. Die Potenziale dieser Entwicklung sind enorm. Studien zeigen, dass wir mit dem automatisierten Fahren die Kapazität im Stadtverkehr um bis zu 40 Prozent und auf Autobahnen um bis zu 80 Prozent erhöhen werden.

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zu 70 kleine Computer sammeln unzählige Fahrinformationen und produzieren jede Fahrstunde Daten von über 25 Gigabyte. Technologien wie Brems- und Spurhalteassistenten sind längst in Serie. Das autonome Fahren führt diese Systeme zusammen und ist der nächste logische Schritt. Die entscheidenden Impulse für diese Innovationen kommen aus dem Autoland Nummer Eins, aus Deutschland. Ich will, dass das so bleibt. Dafür müssen wir alle drei Innovationsakte beherrschen: Erindung, Standardisierung und Wertschöpfung. Fax, Scanner und GMR-Efekt, heute Grundlage

fast jeder Festplatte, wurden hierzulande erfunden und anderswo auf der Welt kommerziell vermarktet. Unser Land ist Europameister und weltweiter Spitzenreiter bei der Anmeldung neuer Patente. Aber wir sind nicht immer vorne dabei, wenn es darum geht, internationale Standards zu deinieren und Innovationen zu kapitalisieren. Die Erfolgsgeschichte des Automobils zeigt: Es geht auch anders. Daran wollen wir anknüpfen und unsere Innovationsführerschat auch in der digitalisierten Welt behaupten. Deshalb hat die Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog aufgelegt – mit drei zentralen Elementen: Wir haben ein Milliardenpaket für die lächendeckende Versorgung mit High-Speed-Internet geschnürt – einer grundlegenden Voraussetzung für die Mobilität 4.0. Dafür investieren wir insgesamt 2,7 Milliarden Euro, um

TREND 4/2015


AKTUELL Automatisiertes Fahren

zu mehr AUTO-nomie Wirtschatlichkeitslücken beim Breitbandausbau zu schließen. Zusätzlich haben wir eine „Netzallianz Digitales Deutschland“ als Plattform der innovations- und investitionswilligen Unternehmen gegründet, die allein in diesem Jahr weitere acht Milliarden Euro in den Ausbau geben. Dadurch wird Deutschland ein digitales Leistungszentrum. Auf der A 9 in Bayern bauen wir das „Digitale Testfeld Autobahn“ – die erste intelligente und voll-digitalisierte Straße mit modernster Sensorik, den Mobilfunkstandards der nächsten Generation und hochpräzisen Geo- und Mobilitätsdaten. Das „Digitale Testfeld Autobahn“ ist ein technologieoffenes Angebot an Automobilindustrie

4/2015 TREND

und Digitalwirtschat, um gemeinsam Innovationen der Mobilität 4.0 zu erproben und weiterzuentwickeln. Weil Wertschöpfung dort entsteht, wo geforscht, entwickelt, getestet und produziert werden kann. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA habe ich eine Strategie für das automatisierte und vernetzte Fahren vorgestellt. Damit schafen wir die Voraussetzungen, um Leitanbieter zu bleiben, Leitmarkt zu werden und den Regelbetrieb für das Auto mit Autopilot einzuleiten. Deutschland leistet hier Pionierarbeit. Als erstes Land legen wir eine Strategie vor, die alle relevanten Handlungsfelder – von Recht über Infrastruktur bis Datenschutz – berücksichtigt und

Die entscheidenden Impulse für Innovationen kommen stets von den deutschen Autoherstellern. So auch für das autonome Fahren. Bundesminister Alexander Dobrindt kann sich auf der eigens eingerichteten Teststrecke auf der A9 entspannt zurücklehnen.

das automatisierte und vernetzte Fahren zusammen denkt. Nicht nur ein Mensch, sondern auch ein automatisiertes und vernetztes Fahrsystem kann Fahraufgaben übernehmen – und Datennutzung und Datensouveränität Hand in Hand gehen. Wir haben das Auto erfunden und individuelle Mobilität als Massenphänomen ermöglicht. Wir haben es immer weiter entwickelt und den Mobilitätsfortschritt aktiv gestaltet. Jetzt geht es darum, die nächste Mobilitätsrevolution zu demokratisieren – und die Wachstums- und Wohlstandschancen der Mobilität 4.0 zu nutzen. Der Sprung zu mehr Auto-nomie durch mobile Digitalität ist eine Aufgabe der l bewegenden Nation.

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AKTUELL Klimapolitik

nfang Dezember hat die internationale Klimakonferenz in Paris darüber beraten, wie die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden kann. Können die Ergebnisse als Erfolg bewertet werden? Das ist nur dann der Fall, wenn die Vereinbarungen verbindlich umgesetzt werden, was sich erst noch zeigen muss. Und wenn es gelungen ist, eine Lastenverteilung zwischen den wichtigsten Industrieund Schwellenländern hinzubekommen.

A

Foto: Dennis Straßmeier

Dr. Thilo Schaefer Leiter Kompetenzfeld Umwelt, Energie, Infrastruktur Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.

Teil der Emissionen auf sich vereinen und daher auch den größten Klimaschutzbeitrag leisten müssen. Denn eine wirkungsvolle Klimapolitik wird nicht ohne die drei großen Emittenten China, die USA und die EU möglich sein. Maßstab der Lastverteilung ist das Wohlstandsniveau der Länder, so dass wohlhabende Staaten einen höheren Beitrag zur Reduktion der globalen Treibhausgase leisten als weniger wohlhabende. Das bedeutet nicht, dass die Reduktionsverplichtungen allein im eigenen Land realisiert werden müssen. Unabhängig von der Verteilung der Lasten müssen die Klimaschutzziele möglichst kostengünstig erreicht werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch weiter Geld für Investitionen und soziale Zwecke vorhanden ist. Solche Zielkonlikte lassen sich entschärfen, indem Emissionen dort

„Eine wirkungsvolle Klimapolitik wird nicht ohne die drei großen Emittenten China, die USA und die Europäische Union möglich sein.“ Trotz jährlicher Konferenzen und laufender Verhandlungen ist es im vergangenen Vierteljahrhundert nicht gelungen, die Emissionen von Treibhausgasen zu senken. Für die globale Herausforderung, klimaschädliche Emissionen zu senken ist es unerheblich, wo die CO2-Reduktion erfolgt. Dementsprechend bringen ambitioniertere EU-Ziele global keine Trendwende, solange der Treibhausgasausstoß in anderen Regionen ungebremst steigt. Das gilt vor allem für China, das seit 2006 der größte Verursacher von CO2-Emissionen ist. Ohne die Schwellenländer, deren wirtschatliches Wachstum den Treibhausgasausstoß verstärkt, geht es also nicht. Das Institut der deutschen Wirtschat Köln (IW) hat bereits im Vorfeld der Klimakonferenz einen Vorschlag entwickelt, der die Lasten fair verteilen soll. Demnach ist es gar nicht nötig, jetzt alle Länder in die Plicht zu nehmen. Als Zwischenschritt reicht es, wenn sich die Unterhändler auf die Gruppe jener 15 Länder und Regionen konzentrieren, die den größten

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vermieden werden, wo das am günstigsten ist. So könnte man es einem Land gestatten, seine Klimaschutzverplichtungen dadurch zu erfüllen, dass höhere Emissionen im eigenen Land durch entsprechende Maßnahmen in einem anderen Land ausgeglichen werden. Für die Länder, die am europäischen Emissionshandel teilneh-

men, ist dies bereits der Fall. Denn dort gilt ein einheitlicher CO2-Preis unabhängig von den Landesgrenzen. Doch solange dieser Preis nur in einigen Ländern gilt, in anderen aber nicht, ergeben sich unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen. Eine erste Lösung wäre es, den Geltungsbereich des CO2-Preises so weit wie möglich auszudehnen. Dazu könnten weitere Staaten in das Emissionshandelssystem aufgenommen werden. Dadurch würden für die Länder im System gleiche Wettbewerbsbedingungen bestehen, jedoch Nachteile gegenüber Staaten, in denen dieser CO2-Preis nicht gilt. Auch Länder, in denen eine CO2-Steuer gilt, können teilnehmen. Wichtig ist allein, dass über die Landesgrenzen hinaus der gleiche oder zumindest ein ähnlicher Preis gilt. Eine zweite Möglichkeit wäre es, Zertiikate für zusätzliche Maßnahmen in Staaten außerhalb des Emissionshandelssystems zu erhalten. Voraussetzung wäre dafür jedoch ein glaubwürdiger zuverlässiger Nachweis echter Zusätzlichkeit. Daran hat es im bestehenden System zuweilen gehapert. Die dritte Option besteht darin, Projekte in Ländern außerhalb des Emissionshandelssystems aus den Einnahmen des Zertiikatshandels auch ohne Anrechnung auf das eigene Zertiikatskonto zu inanzieren, so wie dies bereits mithilfe des Klimaschutzfonds angelegt ist. Auf diese Weise werden zusätzliche Maßnahmen zur

Emissionen der sechs größten Emittenten seit 1990 in 1.000 Tonnen CO2 10.000 8.000

China USA

6.000

EU Indien

4.000

Russland Japan

2.000 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Quelle: IW Köln

TREND 4/2015


AKTUELL Klimapolitik

Emissionsreduktion durchgeführt und es kann zu einem Technologietransfer in Schwellen- und Entwicklungsländer kommen. Auch wenn die Verhandlungen von Paris nicht das gewünschte verbindliche Abkommen erzielen konnten, führt an multilateralen Ansätzen kein Weg vorbei. Ein solcher ist beispielsweise der Versuch, sektorale Abkommen zu schließen. Damit könnte erreicht werden, dass einzelne Sektoren wie beispielsweise der Flugverkehr international einheitlich behandelt und die Emissionen schrittweise reduziert werden. Auch dies stellt eine

Belastung für die Branchen dar, würde aber zumindest alle Wettbewerber gleichermaßen trefen. Eine Auswahl der eizientesten Klimaschutzmaßnahmen über die Sektorengrenzen hinweg wäre dann jedoch nicht mehr möglich. Zwar sind Klimaschutzkosten nur ein Faktor bei der internationalen Standortwahl eines Unternehmens. Wenn Unternehmen jedoch in Europa weiterhin mit steigenden und wesentlich höheren Kosten rechnen müssen als in anderen Weltregionen, kann dies der entscheidende Faktor für die Wahl des Investitionsstandorts sein.

Umso wichtiger ist es die Investitionen weiterhin dort zu ermöglichen, wo ambitionierte Klimaschutzanforderungen bestehen, denn nur auf diese Weise wird der internationale Klimaschutz Fortschritte machen können. Erst wenn in allen relevanten Wettbewerbsländern ein vergleichbares Klimaschutzniveau besteht und vergleichbare Regeln für die Unternehmen der betrofenen Branchen gelten, kann die europäische Politik ihre Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der kohlenstointensiven Branchen spürbar l verringern.

Trotz jährlicher Klimakonferenzen ist es nicht gelungen, den Ausstoß an Treibhausgasen mit den beschlossenen Maßnahmen zu senken. Eine wirkungsvolle Klimapolitik wird nicht ohne die drei großen Emittenten China, die USA und die EU möglich sein. Text: Dr. Thilo Schaefer

Foto: Fotolia.com ©adri76

Klimagipfel in Paris:

Erfolgsmaßstab Lastenverteilung 4/2015 TREND

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AKTUELL Flüchtlingskrise

ie Zahlen sind dramatisch: Schätzungen gehen 2015 von bis zu 1,5 Millionen Zuwanderern nach Deutschland sowie jeweils knapp einer Million in den Folgejahren aus. Dieser Flüchtlingswelle muss die Bundesregierung gleich in doppelter Hinsicht gerecht werden: Einerseits darf sie die Aufnahmefähigkeit unseres Landes nicht länger überstrapazieren. Deswegen brauchen wir dringend nationale und europäische Obergrenzen für Flüchtlinge. Andererseits gilt es, der großen Zahl von Immigranten Perspektiven für Integration zu bieten. Umso wichtiger ist eine zeitnahe Reform des Asylrechts. Schlüssel sind die Konzentration des Asylrechts auf wirklich Verfolgte, die europaweite Anpassung der Leistungskataloge und Maßnahmen zur Integration. Hinzukommen müssen die Linderung der Fluchtursachen in den Herkuntsländern, eine internationale Lastenteilung, Maßnahmen zur Integration sowie die Flexibilisierung des Einstiegs von Immigranten in Beschätigung. Der bewundernswerte Einsatz ehrenamtlicher Helfer erleichtert Flüchtlingen ot die Aufnahme in Deutschland. Doch hat die Mehrheit der Bevölkerung erkannt: Der Zuzug von bis zu 1,5 Millionen Menschen allein 2015 bringt Härten für unser Land. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erwartet, dass die Zahl der Hartz IV-Empfänger 2016 um knapp eine halbe Million steigt, bis 2019 gar um eine Million. Dies belastet unsere Staatsinanzen und birgt abgesehen vom persönlichen Drama für die Flüchtlinge, eine gewaltige soziale Sprengkrat. Die Politik muss deshalb entschlossen handeln. Vorrangig sind:

D

1. Asylrecht auf die wirklich Verfolgten konzentrieren Der unkontrollierte Zuzug von Asylbewerbern muss dringend begrenzt werden. Zudem zwingen uns die Terroranschläge von Paris, Immigranten noch sorgfältiger zu registrieren. Asylverfahren müssen schneller abgeschlossen und abgelehnte Bewerber konsequent abgeschoben werden. Nur so vermeiden wir die Überforderung der Kommunen und unserer Sozialsysteme. Dringend erforderlich sind: E Einrichtung einer Task Force Bund – Länder, die die Umsetzung der Verschärfungen des Asylrechts evaluiert E Ausweitung des bewährten „Flughafenverfahrens“ auf alle Asylbewerber. Asylverfahren können zügig abgeschlossen werden und Abschiebungen sofort erfolgen

Angesichts der massiven Flüchtlingswelle nach Deutschland muss die Politik handeln: Die Lasten müssen international und europäisch verteilt sowie die Integration der Immigranten gelingen.

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E Begrenzung des Familiennachzugs im Rahmen verfassungs- und völkerrechtlicher Zulässigkeit E Absenkung der Leistungen für Asylbewerber auf ein europaweit einheitliches Niveau E Einführung einer Obergrenze für Asylbewerber in Deutschland in Abstimmung mit den EU-Partnerländern 2. Digitalisierung des Asylverfahrens Angesichts der Antragslut können Asylverfahren ot nicht schnell genug abgearbeitet werden. Gerade hier kann die Digitalisierung helfen. Dafür entscheidend: E Die schnelle Vernetzung der IT-Systeme der beteiligten Behörden auf Bundes-, Landes- wie kommunaler Ebene, aber auch europaweit E Eine einheitliche elektronische Akte, auf die beteiligte Behörden zugreifen können, macht Abläufe transparenter, schneller und kostengünstiger. E Standardisierte Datenerhebungen, digitale Abarbeitung und juristische Prüfung beschleunigen die Verfahren und machen sie formaljuristisch sicherer. 3. Flüchtlingslasten international und europäisch verteilen, Fluchtursachen bekämpfen Deutschland allein kann die Flüchtlingskrise nicht bewältigen, eine faire Verteilung der Lasten auf alle EU-Mitgliedsländer ist erforderlich. E Strikter Schutz der EU-Außengrenzen E Zeitnahe Inbetriebnahme der Aufnahme- und Verteilzentren in Griechenland und Italien sowie Harmonisierung der Leistungen für Asylbewerber EU-weit. E Fortentwicklung des Dublin-III-Verfahrens. Um den Flüchtlingsdruck auf Europa zu lindern, sind entscheidend: E Finanzielle Unterstützung für Flüchtlingsunterkünte in krisennahen Aufnahmeländern wie die Türkei und Jordanien E Registrierung und Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei, die von dort die EU erreicht haben E Fortsetzung friedenssichernder Maßnahmen in Afghanistan mit Einrichtung von Schutzzonen für innerstaatliche Flüchtlinge

Zuwanderung Integration TREND 4/2015


AKTUELL Flüchtlingskrise

E Efektive Umsetzung bestehender Vereinbarungen und neuer Rückübernahmeabkommen, u. a. durch die Kopplung von Entwicklungshilfe hieran 4. Gesellschaftliche Integration fördern, Einstieg in Beschäftigung flexibilisieren! Politischen Flüchtlingen, die länger in Deutschland bleiben, müssen wir bestmögliche Perspektiven auf Integration bieten, etwa durch Teilhabe an Beschätigung, Bildung oder medizinischer Versorgung. So vermeiden wir Parallelgesellschaten, entlasten die Sozialsysteme und lindern den Fachkrätemangel in Betrieben. Voraussetzung für Integration sind das schnelle Erlernen der deutschen Sprache sowie das Verständnis für die Rechts- und Werteordnung des Grundgesetzes. Deshalb muss der rasche Zugang für Immigranten zu Sprach- und

Integrationskursen verplichtend sichergestellt werden. Der Wirtschatsrat fordert für eine schnelle Beschätigung: E Bessere Erhebung und schnellere Anerkennung der Qualiikationen von Immigranten E Verzicht auf die zeitraubende „Vorrangprüfung“ beim Arbeitsmarktzugang E generelle Erlaubnis zu Ausbildung/Beschätigung nach spätestens drei Monaten für mit hoher Wahrscheinlichkeit Asylberechtigte E sofortige Zulassung zu Zeitarbeitsverhältnissen E Einbeziehung der Flüchtlinge in die für Langzeitarbeitslose geltenden Ausnahmen vom Mindestlohn Letztlich kann Deutschland nur durch Konzentration auf wirklich Verfolgte die große Aufgabe bewältigen, Zuwanderer in Arbeit und Gesellschat zu integrieren, ohne die l Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu überschreiten.

Woher kommen die Flüchtlinge? Erstanträge zwischen Januar und September 2015 Syrien

25,6

Albanien

16,1

Kosovo Afgahnistan

5,8

Irak

5,5

Serbien

Foto: European Union, 2015; Tzortzinis Angelos

11,4

5,2

Mazedonien

2,7

Eritrea

2,7

Pakistan

1,8

BosnienHerzegowina

1,4

Quelle: BAMF Karte: www.weltkarte.com

begrenzen, vorantreiben 4/2015 TREND

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AKTUELL Gewerbesteuer

Die Gewerbesteuer hat sich für die Wirtschat seit der Unternehmensteuerreform 2008 deutlich verschärt. Eine Vielzahl von Hinzurechnungen zum Gewinn führen zu einer Besteuerung ihrer Substanz. Neue Auslegungen könnten die deutsche Reisebranche in ihrer Existenz gefährden. Der Gesetzgeber ist gefragt, die Gewerbesteuer zu reformieren. Text: Prof. Dr. Gerrit Adrian / Frank W. Grube

ie Gewerbesteuer wird zu einer immer stärkeren Belastung für die Unternehmen. Sie macht heute in vielen Fällen den Löwenanteil der efektiven Ertragsteuerbelastung bei Kapitalgesellschaten aus. Die Gewerbesteuer führt insbesondere durch die zahlreichen Hinzurechnungen zum Gewinn zu einer Substanzbesteuerung. Es wird also mit der Hinzurechnung ein zusätzlicher Betrag besteuert, obwohl das Unternehmen keinen Erfolgszuwachs zu verzeichnen hat. Diese an sich schon belastende Situation wird durch die

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Prof. Dr. Gerrit Adrian Foto: KPMG AG

Steuerberater Director, Tax KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

zierungsanteile“ sind aber nicht nur Zinsen auf Darlehen. Auch Miet- und Pachtzahlungen, einschließlich Leasingraten, und Lizenzzahlungen werden erfasst. Zinsen werden pauschal mit 25 Prozent, Mieten für bewegliche Wirtschatsgüter mit 5 Prozent, für unbewegliche Wirtschatsgüter des Anlagevermögens, insbesondere Immobilien, mit 12,5 Prozent und Lizenzen mit 6,25 Prozent dem Gewinn hinzugerechnet. Aufgrund der Hinzurechnungen ergeben sich potentiell Doppelbesteuerungen, da die Zahlungen beim Leistenden nicht abzugsfähig sind, jedoch beim Empfänger den Gewerbeertrag erhöhen. Die erdrückende Wirkung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung führt zu vermehrten Streitfällen, die nicht nur die einfachgesetzliche Auslegung, sondern auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit betrefen. Verfassungsrechtlich hatte der Bundes-

„Nach Verwaltungswillen sollen die weltweit von deutschen Reiseveranstaltern eingekauten Unterkuntsleistungen inklusive Nebenkosten in die gewerbesteuerliche Hinzurechnung einließen.“ sehr weitgehende Auslegung von Hinzurechnungstatbeständen durch die Finanzverwaltung verschärt. Entsprechend mehren sich die streitigen Fälle in der Betriebsprüfungspraxis. Die grundlegende Verschärfung bei der Gewerbesteuer trat mit der Unternehmensteuerreform 2008 ein. Seither darf die Gewerbesteuer nicht mehr als Betriebsausgabe vom Gewinn abgezogen werden. Zudem wurde die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage durch die Ausweitung von Hinzurechnungen deutlich verbreitert. Dabei stand die Hinzurechnung von Finanzierungsanteilen im Fokus. „Finan-

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inanzhof im Urteil vom 4.6.2014 aber keine Zweifel an der Zulässigkeit von gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen (BFH, Urteil v. 4.6.2014, I R 70/12, BStBl. II 2015, 289). Und dies obwohl ein Fall der Weitervermietung zu entscheiden war, in dem die Hinzurechnung des Mietaufwands besonders deutlich der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit widerspricht, weil sich Mietertrag und Mietaufwand ausgeglichen gegenüberstehen. Der BFH verweist auf eine weite Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung, Typisierung und Pauschalierung. Ein anderes Verfahren zu

den Hinzurechnungstatbeständen hat es aber bis vor das Bundesverfassungsgericht geschat. Dabei geht es um die Hinzurechnungen von Schuldentgelten sowie von Miet- und Pachtzinsen (1 BvL 8/12, Vorlage vom FG Hamburg v. 29.2.2012, 1 K 138/10). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu steht noch aus. In der Praxis sind gemischte Verträge besonders umstritten. Das sind Verträge mit Vereinbarungen über mehrere Leistungskomponenten. Nach Verwaltungsmeinung ist jede Komponente einzeln zu prüfen, ob eine gewerbesteuerliche Hinzurechnung vorzunehmen ist. Das erfordert häuig eine detaillierte Analyse. Stellt der Vertrag hingegen ein einheitliches und unteilbares Ganzes dar, ist zu prüfen, welche Leistung den Gesamtvertrag dominiert. Eine Auteilung unterbleibt in diesen Fällen. Dominiert eine hinzurechnungsplichtige Leistung, wird in voller Höhe hinzugerechnet. Prägt hingegen die nicht hinzurechnungsplichtige Leistung, fällt keine zusätzliche Gewerbesteuer an. Aktuell im Fokus der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung bei gemischten Verträgen ist die Reisebranche. Nach Verwaltungswillen sollen die weltweit von deutschen Reiseveranstaltern eingekauten Unterkuntsleistungen inklusive Nebenleistungen wie die Zimmerreinigung, die Rezeption und die Schwimmbadnutzung hinzugerechnet werden. Die Finanzverwaltung versteht die Zahlungen für diese eingekauten Leistungen als Mietaufwand für unbewegliche Wirtschatsgüter des Anlagevermögens und rechnet daher einen pauschalen Zinsanteil in Höhe von 12,5 Prozent dem Gewinn zu. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob das Hotel im In- oder im Ausland gebucht wird.

TREND 4/2015


AKTUELL Gewerbesteuer

„Der Gesetzgeber sollte korrigierend in die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungstatbestände eingreifen, damit eine sachlich nicht zu rechtfertigende Belastung vermieden wird.“ rechnung für Mietaufwendungen für unbewegliche Wirtschatsgüter des Anlagevermögens ausgeschlossen. Eine sachgerechte, nicht ausufernde Interpretation der Hinzurechnungstatbestände ist dringend notwendig. Dies gilt insbesondere für die Ermittlung von Finanzierungsanteilen aus gemischten Verträgen. Die Besteuerung nach der wirtschatlichen Leistungsfähigkeit sollte dabei im Blick gehalten werden. Auch die Durchleitung von Vergütungen darf nicht zu einer zusätzlichen Besteuerung führen. Hier

Frank W. Grube Vorsitzender Bundesfachkommission Steuern, Haushalt und Finanzen im Wirtschaftsrat Mitglied des Vorstands

Foto: Jens Schicke

Für die Reisebranche wären dramatische Folgen mit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung verbunden. Die Zusatzbelastung würde zu einem internationalen Wettbewerbsnachteil führen. Negative Konsequenz für den Standort Deutschland könnte die anschließende Ausweichreaktion der betrofenen Reiseunternehmen ins Ausland sein. Noch ist die steuerrechtliche Streitfrage aber nicht gerichtlich entscheiden. Eine Klage ist beim FG Münster bereits anhängig (9 K 1472/12 G). Vom Reiseveranstalter wird gegen die gewerbesteuerliche Hinzurechnung argumentiert, dass die Anmietung der Zimmer lediglich kurzfristig erfolge und daher auch nicht zum Anlagevermögen gehören könne. Somit sei auch eine Hinzu-

sollte der Gesetzgeber korrigierend in die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungstatbestände eingreifen, damit eine sachlich nicht zu rechtfertigende l Belastung vermieden wird.

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Gesetzgeber gefragt

4/2015 TREND

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AKTUELL Mehr privat für einen starken Staat

Es begann mit den Apotheken. Im dünnbesiedelten Osten der Republik schlossen viele, weil infolge der Landlucht die Nachfrage fehlte. Zuerst gab es noch mobile Apotheken, aber auch die lohnten sich irgendwann nicht mehr. Als sie den Betrieb einstellten, meldeten sich die ersten Stimmen, die vom Versagen der Marktwirtschat sprachen. Es dauerte nicht lange und der Beschluss wurde gefasst: Apotheken gehören zur Daseinsvorsorge und sind zu verstaatlichen, damit die Grundversorgung der Menschen gewährleistet wird.

Herwart Wilms Foto: Remondis AG

REMONDIS-Geschäftsführung

ie Apotheker stellten keine so große Wählergruppe in Deutschland dar, dass die Große Koalition sich dagegengestemmt hätte. Auch wahltaktisch fanden es die Vorsitzenden beider großen Koalitionsparteien vernüntig, sich nicht vom linken Rand des Parteienspektrums die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Und so waren nach wenigen Fernsehberichten über Proteste, auf denen sie Schilder hochhielten mit Sätzen wie „Wehret den Anfängen“ oder „Erst die Apotheken, dann die Krankenhäuser“, die Apotheker schnell vergessen. Es ging wie von selbst, der Gedanke war ja schon ausgesprochen:

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+ 25 Prozent Die Zahl der kommunalen Unternehmen ist zwischen 2000 und 2012 auf insgesamt 13.453 gestiegen. Der Bund der Steuerzahler hat feststellt, dass der Großteil der kommunalen Verschuldung in diesen Firmen lagert.

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Weil Apotheken zur medizinischen Grundversorgung gehören, müssen es doch auch Krankenhäuser und Ärzte. Es brach eine hetige Debatte aus, von vielen Gutachten begleitet. Dem Zeitgeist entsprechend lagen die Gutachten weit oben, die das Prinzip der Daseinsvorsorge ausweiteten. In den Branchen, die schon früher an der Grenze der Verstaatlichung standen, ging jetzt alles sehr schnell. In öfentliche Hände kamen die Entsorgungswirtschat – das kannte man aus Ungarn –, der Garten- und Landschatsbau, das Verkehrssicherungsgewerbe und natürlich die gesamte Versorgung der Menschen mit Wasser. Gleiches galt für alle privaten Brunnen – von Gerolstein bis zu Bad Liebenwerda. Schließlich ist Grundversorgung Daseinsvorsorge, gerade und vor allem beim Wasser! Und die gehört nicht unter das Gewinnoptimierungsdiktat der privaten Wirtschat. Als das nächste Gutachten vorschlug, dass doch auch die Versorgung mit Nahrung und warmer Kleidung der Grundversorgung dient, war es der Lebensmitteleinzelhandel, der verzweifelt versuchte, deutlich zu machen, wieviel sein Mehrwertsteueraukommen und seine Gewerbesteuerbeiträge zum gesellschatlichen Wohlstand beitragen. In einer großen Debatte machte der Wirtschatsminister und Vizekanzler deutlich, dass die Verstaatlichung des Lebensmitteleinzelhandels von Vorteil sei, schließlich könne die Ware billiger

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Glosse: Herwart Wilms

140 Milliarden Euro Ende 2014 betrug die Gesamtschuldenlast aller deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände 140 Milliarden Euro. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

verkaut werden, da die Mehrwertsteuer in Staatsbetrieben nicht anfalle. Er sei es den Menschen, seiner Partei und sich selbst schuldig, dies umzusetzen. Seine Chein sagte nichts dazu. So war es nur konsequent im Wirtschatsministerium alte Unterlagen auszupacken: Die Privatisierung der Telekommunikation sei ein Fehler gewesen ebenso die Liberalisierung des Schienennetzes. Fehler, die sofort korrigiert werden müssten. Und so war

6,169 Milliarden Euro So viel betrugen die Verluste innerhalb eines Jahres durch Aktiengeschäfte – RWE und VW – der Kommunenan Rhein und Ruhr sowie des Landes Niedersachsen.

TREND 4/2015


AKTUELL Mehr privat für einen starken Staat

Hintergrund: Eine Pass- und Personalausweisbehörde bietet in Verbindung mit der Erstellung von Ausweispapieren die kostenlose Erstellung von Fotos an. Geklagt hatte gegen diese Praxis die Betreiberin eines Foto-Fachgeschäftes. Entscheidung Verwaltungsgericht Münster: Das Anbieten von Passbildern erfüllt nicht den Tatbestand der wirtschaftlichen Betätigung gemäß GO NRW. Begründet wird dies damit, dass die Erstellung nicht am Markt, sondern nur im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zum Tragen kommt. Die Bilder seien nur zur Erstellung des Ausweises und nicht für einen weiteren Gebrauch bestimmt.

Deutschland 2020:

Selbst wenn man – so das Gericht – die Tätigkeit als wirtschaftliche Betätigung sehen würde, könnte man trotzdem nicht dagegen vorgehen, da das Erstellen von Passbildern zu einer öffentlichen Aufgabe gehört, zu der die Gemeinde verpflichtet ist.

Wirtschaft fest in staatlicher Hand?

Anmerkungen / Fragen: Nicht geprüft wurden in diesem Zusammenhang Beihilfetatbestände. Diese liegen vor, wenn der Staat ein Unternehmen subventioniert / bevorteilt. Greift das hier?

nach der Verstaatlichung von Telekommunikation, Post und Bahn auch die des Logistiksektors logische Folge. Die Branche stellt schließlich die Versorgung mit Grundmitteln sicher. Also: Daseinsvorsorge, also: verstaatlichen!

4/2015 TREND

Es war der Bundesinanzminister, der die Rechnung für den Staat aufmachte. Er beklagte, dass fehlender Wettbewerb zu hohen Qualitätsverlusten führe, und wies auf seine leere Staatskasse hin. Gehälter, Renten und Pensionen könne er nicht

mehr auszahlen. Die Länderkollegen hatten längst die weiße Fahne gehisst. Als er seinen Rücktritt erklärte, kommentierte ein Regierungssprecher: „Niemand hat die Absicht, einen Staatssozialismus zu errichten.“ l

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Kommunale Passfotos – bestätigt durch das VG Münster


AKTUELL Internationale Wirtschaftspolitik

Deutsch-Chinesischer Wirtschaftsdialog:

Strategische Partnerschaft Die chinesische Wirtschat wächst so langsam wie schon lange nicht mehr. Trotzdem bleibt das Land ein besonders wichtiger Markt für deutsche Unternehmen und umgekehrt. Text: Britta Vasters

ange kannte die chinesische Wirtschat nur einen Trend: Wachstum, Wachstum und noch mehr Wachstum. Doch seit diesem Jahr wächst sie so langsam wie seit 1990 nicht mehr. In den ersten beiden Quartalen wuchs sie „nur“ um sieben Prozent. Seit Mitte Juni fallen die chinesischen Börsen trotz staatlicher Maßnahmen zur Stützung der Wirtschat. Shi Mingde, Botschater der Volksrepublik China in der Bundesrepublik Deutschland, bezeichnete diese Entwicklung als „neue Normalität“: „Die Phase des zweistelligen Wachstums in China ist vorbei. (…) Jetzt beginnen wir mit einer Phase der Konsolidierung, Stabilisierung und Strukturanpassung. Wir wollen nicht mehr in erster Linie auf Quantität setzen, sondern auf mehr Qualität“. Die chinesische Führung sucht ein neues Wirtschatsmodell, das auf Binnennachfrage und Innovationen basiert. Die verlängerte Werkbank der Welt hat ausgedient. Doch obwohl das Wachstum zurückgeht, bleibt China für deutsche Unternehmen ein wichtiger Markt. Das neue Wirtschatsmo-

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dell bietet große Chancen für Firmen, besonders in den Bereichen Automatisierung, Energieeizienz und Klimaschutz. Gleichzeitig etablieren sich führende chinesische Firmen und Investoren auf internationalen Märkten. Aus diesem Grund hat der Wirtschatsrat einen Deutsch-Chinesischen Wirtschatsdialog ins Leben gerufen, dessen gelungener Autakt mit mehr als 200 Unternehmern, Politikern und prominenten Gästen in der Chinesischen Botschat in Berlin stattfand. Dieser Diskurs soll von nun an eine Tradition begründen. Unternehmer können als Botschater ihres Landes voneinander lernen und Brücken für weitere Initiativen bauen. Gleichzeitig setzt sich der Wirtschatsrat dafür ein, dass die Perspektive der Unternehmen zu deutsch-chinesischen Wirtschats- und Handelsthemen an die politischen Entscheidungsträger herangetragen wird. Marktzugang von entscheidender Bedeutung Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschat und Energie, Matthias Machnig, fordert eine Debatte über die Weiterentwicklung der deutsch-chinesischen Partnerschat und sieht den Wettbewerb beider Länder weniger mit Sorge als vielmehr als

Triebkrat für Innovation wie auch Investition. Dieser „muss jedoch auf einem Level Playing Field, auf der Grundlage von gleichen Möglichkeiten für die Partner auf beiden Seiten

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AKTUELL Internationale Wirtschaftspolitik

fragekonstellation her – beide Volkswirtschaten sind in höchstem Maß komplementär und zunehmend enger miteinander verbunden. Allein 2014 betrugen die deutschen Ausfuhren 74,5 Milliarden Euro – eine Steigerung von 11,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Einfuhren aus China lagen 2014 bei knapp 80 Milliarden Euro – auch eine Steigerung von 6,6 Prozent.

zwei erfolgreiche Nationen eng zusammenarbeiten und wirtschatlich weiter wachsen können. Ob vom Stand der industriellen Entwicklung, vom Marktumfang oder der Nach-

Die deutsch-chinesische Partnerschaft als Erfolgstandem Die deutsch-chinesische Partnerschat ist trotz der enormen Herausforderungen, die sie meistern muss, ein Erfolgstandem. Deutschland gilt etwa im wachstumsstarken Bereich Industrie 4.0 als Chinas Wunschpartner. Das chinesische IT-Unternehmen Huawei hat Deutschland deshalb bewusst als Europazentrale gewählt und kooperiert in zahlreichen Innovationsund Forschungspartnerschaten etwa mit der Deutschen Telekom, Siemens oder Audi. Eine erfolgreiche Partnerschat bilden zudem der chinesische Maschinenbauer Sany und der Mittelständler Putzmeister aus Deutschland: Die Firma Sany, die bereits 1990 mit ihrem „Lehrmeister“ kooperierte, stieg nach dem Zusammenschluss 20 Jahre später mit einer gemeinsam erweiterten Produktpalette zum Weltmarktführer auf. Jiang Foto: Jens Schicke

Fotos: Jens Schicke

möglich sein. Deswegen bleibt das hema Marktzugang von entscheidender Bedeutung“, betonte Machnig. Die Voraussetzungen für eine weitere Öfnung sowie Reformen sind durchaus positiv zu sehen. Für China wie für Deutschland als globale Handels- und Wirtschatsmächte ist der jeweilige Partner unverzichtbar. „Wer versucht, nach seinem einseitigem Vorteil zu trachten, wird am Ende scheitern“, mahnte der chinesische Botschater. „Wir werden mehr Rechtsstaatlichkeit aubauen, mehr Markt, mehr Liberalisierung der chinesischen Märkte. Wir wollen auch für alle unsere Freunde den gleichen Marktzugang haben.“ Dr. Jürgen Geißinger, Vorsitzender der Bundesfachkommission Internationaler Kreis im Wirtschatsrat, ist davon überzeugt, dass durch die deutsch-chinesische Partnerschat

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Staatssekretär Matthias Machnig fordert eine Debatte über die Weiterentwicklung der deutsch-chinesischen Partnerschaft. Wettbewerb ist die Triebkraft für Innovation wie auch Investition.

Xiangyang, Geschätsführer Sany Europe GmbH, betonte die zentralen Erfolgsfaktoren der Partnerschat, ein Zusammenspiel von Technologie, dem Umfeld und qualiizierten Fachkräten, das sich daher auch nicht beliebig transferieren ließe. Alexander Reinhardt, Vorstandsbeautragter Airbus Group, hingegen sprach im Rahmen der strategischen Partnerschat seines Unternehmens mit chinesischen Betrieben von bewusstem Technologietransfer, um die Wertschöpfungskette von Airbus sowie die Inbetriebnahme der Flugzeuge langfristig sichern zu können. Neben weiteren vielversprechenden Partnerschaten, etwa zwischen der Deutschen Börse und der Shanghai Stock Exchange oder der METRO AG mit dem Amazon-Konkurrenten Alibaba, sieht der nationale Energieversorger State Grid Corporation of China noch großes Potential in der Zusammenarbeit mit dem deutschen Mittelstand. Jiang Longhua, Generalbevollmächtigter der Europäischen Vertretung von State Grid Corporation of China, bezeichnet die Transformation Deutschlands bei den umweltfreundlichen Energien als Vorbild für China und plädiert für verstärkte Kooperationen, um durch deutsche Technologie und Expertise die aktuellen Probleme Chinas bewältigen zu können. Der deutsche Mittelstand proitiert so vom Zugang zum chinesischen Markt mit einer hohen Nachl frage.

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AKTUELL Digitalisierung

it dem Deutsch-Chinesischen Wirtschatsdialog leistet der Wirtschatsrat einen wichtigen Beitrag für die wirtschatliche Partnerschat der beiden Länder. Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa und das Reich der Mitte immerhin unser drittwichtigster Handelspartner weltweit. Laut IT-Branchenverband BITKOM wurden 2014 ITK-Produkte im Wert von 21,6 Milliarden Euro aus China in die Bundesrepublik importiert. Gleichzeitig wird allein für Deutschland mit einem Wertschöp-

Digitale Standortpolitik anstatt Streben nach Autarkie Um die durch die Digitalisierung und Globalisierung freigesetzten Wertschöpfungspotenziale zu heben und gleichzeitig nicht die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates wie

Foto: Huawei

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fungspotenzial von etwa 700 Milliarden Euro durch die Vernetzung der physischen Welt gerechnet. Diese Zahlen zeigen: Lieferketten reichen über den gesamten Globus, Geschätsmodelle sind im Umbruch, die Globalisierung erfasst sämtliche Lebens- und Wirtschatsbereiche.

international agierenden Unternehmen. Ein solcher partnerschatlicher Ansatz, der unter der Prämisse „digitale Standortpolitik anstatt nationaler Industriepolitik“ auch ausländische Unternehmen einbezieht, die sich in unserem Land engagieren, stärkt das hiesige Innovationsklima und Geschätsumfeld und damit den gesamten Wirtschatsstandort Deutschland. Nationale und internationale Champions müssen kooperieren Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass Deutschland ein hervorragendes Forschungsumfeld besitzt. Gemeinsam mit vielen deutschen Industrieund Wissenschatspartnern arbeitet Huawei in seinem Europäischen Forschungszentrum in München zu-

Internationale Partnerschaten sind der Schlüssel zu Innovationen. Deutsche und chinesische Unternehmen ziehen hier an einem Strang. Text: Torsten Küpper

Digitalwirtschaft:

Auf Kooperationen setzen Torsten Küpper

Foto: Huawei

Vice President, Director Corporate & Public Affairs, Huawei Technologies Deutschland GmbH

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die digitale Mündigkeit der Bürger aus den Augen zu verlieren, ist eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Digitalwirtschat notwendig. Dies reicht von der internationalen Kooperation bei der Vereinheitlichung der rechtlichen Rahmenbedingungen und dem Setzen von Industriesicherheitsstandards über das Teilen von Best Practices in Branchenverbänden bis hin zu Win-Win-Partnerschaten zwischen

sammen. Innovationspartnerschaten sind der Schlüssel, um beispielsweise 5G, die nächste Mobilfunkgeneration nach LTE, Industrie 4.0-Lösungen und avancierteste Cybersicherheitslösungen zu entwickeln. Digitale Innovationen, die Gesellschat und Wirtschat nutzen und erschwinglich sind, brauchen globalen Wettbewerb unter fairen Rahmenbedingungen genauso wie globale Kooperation und vor l allem: die Ofenheit für beides.

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2013 9,1 %

1.477

2012 9,4 % 2011 9,5 %

1.340

2010 8,9 % 2013 25,3 %

AKTUELL Energiewende

1.381

1.466 596

2012 23,6 %

608

2011 20,4 %

607

2010 17,0 %

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Endenergieverbrauch nach Sektoren in TWh

2013 <– 5,5 %

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regenerativ konventionell

2012 <– 6,1 %

610

2011 <– 5,7 %

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2010 <– 5,9 %

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Quelle: Zeitreihen zur Entwicklung der EE in Deutschland BMWi, August 2014

Strom aus Erneuerbaren nicht weiter verschwenden, sondern die Sektorkopplung jetzt einleiten. Text: Dr. Martin Grundmann

Erneuerbare Energie nutzen statt verschwenden!

ter Handlungsbedarf: Im Strommarktgesetz muss eine Option integriert werden, mit der Unternehmen den Strom wirtschatlich nutzen können, der nicht in das Stromnetz abgegeben werden kann (Engpassmanagement) oder soll (Spitzenkappung).

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Sektorkopplung jetzt einleiten!

Das Energiesystem von morgen baut grundlegend auf erneuerbaren Energien auf. Immer mehr Strom, der künftig zu Grenzkosten von nahe Null zur Verfügung steht, sollte daher in speicherbare Energieformen – Power-to-X – nutzbar gemacht werden. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD und im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zum Strommarktgesetz wurde mit der so genannten „Sektorkopplung“ bereits eine Alternative zur Zwangsabschaltung genannt.

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Energiewende statt nur Stromwende! Die Kopplung der bisher weitestgehend voneinander unabhängigen Sektoren Strom, Wärme und Mobilität ist die nächste Stufe im Transformationsprozess zur ganzheitlichen Energiewende. Denn Strom macht nur rund ein Füntel des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus. Die Graik verdeutlicht die enormen Potentiale einer Wärme- und Verkehrswende. Ziel muss es sein, die vollständige Integration der erzeugten erneuerbaren Energie in das gesamte Energiesystem zu erreichen. Leider fehlen im Strommarktgesetz konkrete Formulierungen, wie diese Chancen genutzt werden können. Nachbesserungen im Strommarktgesetz notwendig! Entschädigungen für Zwangsabschaltungen sind richtig und stehen für die Bedeutung des Investitionsschutzes in Deutschland. Bei zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Energien wird es politisch schwer zu vermitteln sein, warum der bezahlte Strom aus erneuerbaren Energien weiter verschwendet wird. Es besteht daher aku-

Schlüsseltechnologien Power-to-X stärken! Mit dieser Option werden kostenneutrale Anreize geschafen, in innovative Systemlösungen wie Power-to-X-Technologien zu investieren. Beispiele hierfür können lexible Speicherlösungen sein, wie Power-toHeat, die Erzeugung von Wärme für Industrieprozesse oder zum Heizen, Power-to-Liquid – die Erzeugung synthetischer Kratstofe oder chemischer Grundstofe, oder Power-to-Gas – die Erzeugung von Wasserstof bzw. von synthetischem Methan. Wenn die politischen Weichen zur Sektorkopplung jetzt richtig gestellt werden, inden Erzeuger und Industrie nach dem Jahr 2020 bereits etablierte Märkte vor. l

Dr. Martin Grundmann Geschäftsführer der ARGE Netz GmbH & Co. KG ARGE Netz entwickelt für mehr als 300 kleinere und mittelständische Gesellschafter aus dem Bereich der Erzeugung von erneuerbaren Energien (Wind, PV, Biomasse, Wärme, Speicher) marktorientierte Geschäftsmodelle.

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Foto: ARGE Netz

ufgrund des schleppenden Ausbaus der Stromnetze konnte im vergangenen Jahr mehr als ein Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nicht genutzt werden. Der erzwungene Produktionsausfall von 1580 GWh aus Wind- und Solarparks sowie Biomassekratwerken kostete immerhin 83 Millionen Euro. Im laufenden Jahr wird bereits eine Verdopplung der Kosten erwartet. Dieser Negativtrend muss jetzt durchbrochen werden. Energiewirtschatlich kann schon heute deutlich mehr getan werden.


AKTUELL Werbewirtschaft

Die deutsche Werbewirtschat wird umfangreich reguliert. Darüber hinaus wollen Politiker in Brüssel und Berlin Werbung umfunktionieren: Sie soll vermeintlich überforderte Konsumenten nicht nur informieren, sondern erziehen. Text: Andreas F. Schubert

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und in der Marktforschung für einen Umsatz von rund 40 Milliarden Euro. Sie bauen in einer Marktwirtschat die Brücken zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen Anbietern und Kunden. Spätestens seit Beginn des Internetzeitalters sind das keine Einbahnstraßen mehr in Richtung Zielgruppe; Kenntnis und Einluss der Kunden wird immer größer und vielfältiger. Der Staat setzt für das Gesamtsystem die Leitplanken – und übrigens in sehr großem Umfang auch die Werbewirtschat selbst mit ihren so efektiven wie eizienten Selbstregulierungseinrichtungen Deutscher Werberat und Datenschutzrat Online-Werbung (DDOW). Trotz dieses umfangreichen Leitplankensystems, dessen faktische

Andreas F. Schubert Vorsitzender der Geschäftsführung aquaRömer GmbH & Co. KG und Präsident des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V.

„Die Regulierung der Werbewirtschat setzt ein efektives Leitplankensystem: umfangreich, vielfältig und eng – das ist das faktische Tempolimit der Wirtschatskommunikation.“

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Foto:Thomas Trutschel

ie Leistungsfähigkeit einer Marktwirtschat steht in direkter Beziehung zu ihren Freiheitsgraden: Die Leistungskrat zu steigern bei stetig kleineren Gestaltungsmöglichkeiten – das funktioniert nicht. Die Notwendigkeit und Bedeutung eines vom Staat gesetzten wettbewerbsneutralen Ordnungsrahmens bestreitet niemand. Doch wenn die Politik versucht, die zunehmende Komplexität der Verhältnisse und die enorme Dynamik der Veränderungen in der Gesellschat wie der Wirtschat dadurch in den Grif zu bekommen, dass sie immer mehr immer detaillierter reguliert, beindet sie sich auf einem Irrweg. Das gilt für viele Bereiche und Branchen der deutschen Volkswirtschat, aber gerade auch für die Werbung und andere Formen der kommerziellen Kommunikation; hier sorgen mehr als 900.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den werbenden Unternehmen, Medien, Agenturen, im Handel

Foto: Andreas F. Schubert

Werbung ist keine Erziehung

Enge zudem wie ein massives Tempolimit wirkt, sowie der großen volkswirtschatlichen und darüber hinaus auch verfassungsrechtlich verankerten Bedeutung der kommerziellen Kommunikation versuchen Politiker in Brüssel und Berlin sie umzufunktionieren: Danach soll Werbung die vermeintlich überforderten Konsumenten nicht nur informieren, sondern sie vielmehr erziehen. Für dieses Ziel ist die Politik bereit, die staatliche Werberegulierung zu verschärfen. Doch gerade wegen der Komplexität der Verhältnisse und Strukturen müssen die Nebenwirkungen von weiteren Regulierungen auf der soliden Basis von Fakten bewertet werden und dürfen nicht nur mit Parteiprogrammen abgeglichen werden. Das gilt für die bestehenden Regulierungen und die geplanten Verschärfungen. Aktuelle Pläne der Bundesregierung lassen befürchten, dass die wirtschatspolitischen Kollateralschäden beträchtlich sein können: Marken werden beschädigt, im schlimmsten Fall zerstört, Innovationen und Investitionen werden ausgebremst und der Wettbewerb wird in vielfacher Hinsicht geschwächt. Gerade ein fairer und dynamischer Wettbewerb gehört zu den efektivsten Instrumenten des Verbraucherschutzes und ist wahrscheinlich das eizienteste. Aber dieser Wettbewerb braucht l Werbung.


Wolfgang Steiger Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Europa ist mehr als ein Wohlfahrtsbündnis! ehn Millionen Griechen bestimmen seit Jahren die Agenda für 500 Millionen Europäer und eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Folge: Die Euro- und Staatsschuldenkrise hält Europa fest im Grif. Sie hat den Kontinent polarisiert und zu einem tiefen Bruch zwischen Nord und Süd geführt. Mit der Ankunt Hunderttausender Flüchtlinge zieht sich ein zweiter Riss durch Europa diesmal zwischen Ost und West. Auf der ständigen Suche nach Kompromissen ist zu befürchten, dass Europa nur noch Schauplatz eines großen Geschachers wird. Pakete geschnürt werden, wie etwa die Aufnahme von Flüchtlingen gegen die Einführung einer gemeinsamen Einlagensicherung. Dabei verliert Brüssel nicht nur den Ordnungsrahmen, sondern auch eine zukuntsfähige Stabilitätspolitik aus dem Auge. Diese Dynamik, die die Soziale Marktwirtschat mit ihrem Prinzip Handlung und Haftung unglaubwürdig macht, hat dem europäischen Projekt massiven Schaden zugefügt. Viele Mitgliedsstaaten brechen die Regeln wie Griechenland oder weichen sie auf wie Frankreich, das erneut den Stabilitätspakt reißt, und sich hinter Flüchtlingswelle und Kampf gegen den IS versteckt. Hinzu kommt eine expansive Geldpolitik, die keine Anreize zum Sparen setzt und deren Wachstumsimpulse ausbleiben. Die EU-Rettungspolitik stößt an ihre Grenzen, das zeigt nicht zuletzt das Erstarken europafeindlicher Parteien. Eine echte Zäsur ist überfällig. Nur wenn die Einhaltung von Regeln wieder Bindeglied der europäischen Einigung wird, kann die

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EU Vertrauen zurückerlangen und der Euro sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen. Griechenland im Hinterkopf sollte uns vorsichtig sein lassen, aus politischem Wunschdenken notwendige Entwicklungsschritte zu überspringen. Rufe nach einem EU-Finanzminister, einer gemeinsamen Einlagensicherung und Arbeitslosenversicherung, laufen dem Gefühl der meisten Bürger diametral entgegen. Deshalb würde eine übereilt ausgetütelte vertiefende Integration Europa an den Abgrund manövrieren. Transferzahlungen dürfen nicht länger Mittel sein, um an den Integrationsgedanken reformunwilliger EU-Staaten zu appellieren. Der Prozess muss anders angestoßen werden. Zuerst brauchen wir eine Insolvenzordnung für Staaten, eine verbindliche Austrittsmöglichkeit aus dem Euro und eine risikogewichtete Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen. Europa muss mehr sein als ein reines Wohlfahrtsbündnis, das nur funktioniert, wenn mehr Geld zu verteilen ist. Die EU muss wieder Wertegemeinschat mit Zukuntsperspektive werden. Dazu braucht es nationale Regierungen, die sich an Abmachungen halten. Europa muss auch endlich mit liebgewonnen Traditionen brechen: Es kann nicht sein, dass Staaten seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse leben. Hier wäre ein vorübergehender Austritt aus der Eurozone wie Bundesinanzminister Schäuble mit dem Grexit vorgeschlagen hat, eine saubere Lösung. Und das neue Europa braucht Regierungschefs, die nicht nur auf Zeit spielen, ohne sie dafür zu nutzen, ofenl sichtlich gewordene Probleme anzugehen.

STANDPUNKT STEIGER

Foto: Jens Schicke

„Transferzahlungen dürfen nicht länger Mittel sein, um an den Integrationsgedanken reformunwilliger EU-Staaten zu appellieren.“

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

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NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN 

MODERNE VERWALTUNG UND BÜROKRATIEABBAU Foto: Jens Schicke

Unter dem Vorsitz von Boris Freiherr von Chlebowski, Mitglied der Geschätsführung, Accenture GmbH, beriet die Bundesarbeitsgruppe Moderne Verwaltung und Bürokratieabbau gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern über die Digitalisierung des Asylverfahrens, um die dringend erforderliche Entlastung der Behörden und eine Beschleunigung der Verfahren zu erreichen. Notwendig, so die Forderung des Kreises, sei eine digitale Flüchtlingsverwaltung. Die zwischenzeitlich eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung kämen nach Aufassung der Arbeitsgruppe spät und müssen daher umso konsequenter vorangetrieben werden. Von essentieller Bedeutung seien sowohl die Vernetzung der IT-Systeme der beteiligten Bundes-, Landes- wie Kommunalbehörden als auch die Einführung einer einheitlichen elektronischen Akte, auf die alle beteiligten Behörden zugreifen können. Um Doppelarbeit und Chaos im Verwaltungsablauf zu beenden, solle eine Chipkarte für Asylsuchende eingeführt werden. Eine besondere Entlastungswirkung sieht die Arbeitsgruppe zudem in der Einführung eines digitalisierten juristischen Prüfverfahrens für die Asylanträge selbst. Derartige Verfahren verhinderten Fehlerquoten, die durch Überlastung und Überforderung der zuständigen l Beamten entstehen.

STEUERN, HAUSHALT UND FINANZEN

Aktionsplan Steuerpolitik der EU Unter der Sitzungsleitung von Dr. Martina Baumgärtel, Head of Group Regulatory Afairs, Allianz SE, diskutierten die Mitglieder der Bundesfachkommission Steuern, Haushalt, Finanzen mit dem Generaldirektor Steuern und Zollunion bei der Europäischen Kommission, Heinz Zourek, den Aktionsplan Steuerpolitik der EU. Mit zwei neuen im Jahr 2016 erscheinenden Richtlinien solle ein unter den EU-Mitgliedsstaaten möglichst konsistentes Vorgehen bei der Umsetzung der OECD/G20-Empfehlungen zum sogenannten BEPS-Projekt sichergestellt werden. Prof. Dr. Stephan Eilers, Partner Freshields Bruckhaus Deringer, Vorsitzender der Wirtschatsrat-Arbeitsgruppe zu diesem Projekt, warnte davor, mögliche Spielräume der OECD-Empfehlungen durch zusätzliche EU-Richtlinien weiter einzuschränken. Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesinanzhofs, thematisiert die unzulässige Vermischung von Besteuerungsverfahren einerseits mit Steuerstrafverfahren andererseits. Dies werde in der Betriebsprüfungspraxis von vielen Unternehmen immer häuiger beobachtet l und müsse küntig korrigiert werden.

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT

Flüchtlingspolitik dominiert die Beratungen in Brüssel Der Junge Wirtschatsrat tagte zur ersten oiziellen Bundesvorstandssitzung in Brüssel und diskutierte die aktuellen Herausforderungen, vor denen Europa gegenwärtig steht, mit dem langjährigen Europaabgeordneten und Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Herbert Reul MdEP. Um die allgemeine Europaverdrossenheit einzufangen, müsse die EU sich wieder mehr auf die großen Linien konzentrieren und die wichtigen Fragen lösen, betont Reul die aktuelle Lage. Denn nur durch Stärke und Einigkeit könne Europa eine führende Rolle in der Welt wahrnehmen. In Brüssel sei die Flüchtlingspolitik aktuell das beherrschende hema, das dringend einer Lösung bedürfe. So solle insbesondere klargestellt werden, dass Solidarität auch in schlechten Tagen gelten müsse. Denn die EU sei eine Werte- und Solidaritätsgemeinschaft zu der es auch gehöre, dass „nicht nur Geldkuchen aus dem EU-Haushalt verteilt werden“, so Reul. Das gleiche Engagement, das viele Regierungen beim Anzapfen der EU-Fördertöpfe an den Tag legten, solle jetzt dringend bei der Aufnahme von Flüchtlingen erwartet werden dürfen, wenn Europa keine Sonntags- und Schönwetterveranstaltung sei. Vorrangig sei daher, dass jetzt die gerechte l Lastenverteilung nach Einwohnerzahl und Wirtschatskrat europaweit geregelt werde.

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Foto: Philippe Veldemann

Foto: Jens Schicke

Digitalisierung von Asylverfahren


WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

INTERNATIONALER KREIS UND DEUTSCH-TÜRKISCHE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN

WR-Unternehmerreise in die Türkei Um den unmittelbaren und persönlichen Dialog zu türkischen Unternehmern und wichtigen Regierungsstellen herzustellen und gleichzeitig konkrete Projekte anzustoßen, reiste eine hochrangige Delegation des Wirtschatsrates in die Türkei. Die Programmteilnehmer tauschten sich vor Ort mit Experten und Praktikern zu Chancen und Risiken im Wachstumsmarkt Türkei aus und trafen Entscheidungsträger der neuen Regierung. Der Vorsitzende der Bundesfachkommission Internationaler Kreis, Dr. Jürgen Geißinger, Mitglied des Aufsichtsrates der MTU Aero Engines AG und Sandvik AB, unterstrich die steigende Bedeutung des türkischen Wirtschatsraumes für die deutschen Unternehmen. So seien Mitte der 1990er Jahre erst etwa 500 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der türkischen Wirtschat ak-

tiv gewesen. Mittlerweile sei diese Zahl auf annähernd 6.000 angestiegen. Positiv sei insbesondere, dass es neben großen Konzernen auch immer mehr mittelständische deutsche Unternehmen in die Türkei ziehe. Sie proitierten ebenfalls von dem strategisch günstig gelegenen Produktionsstandort für Exporte nach Nahost, Asien und Afrika. Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe deutsch-türkische Wirtschatsbeziehungen, Ministerin a. D. und Bundesvorstandsmitglied Aygül Özkan betonte, dass die wirtschatlichen Beziehungen beider Länder schon viel weiter seien als die Politik. Daher sei es umso wichtiger, dass Unternehmer ihre Schwerpunkte sichtbar machten und Handl lungsalternativen für die Politik erarbeiteten.

BUNDESARBEITSGRUPPE MEDIENWIRTSCHAFT

Geschäftsmodell der Verlage im Wandel

4/2015 TREND

schriften und das Kartellrecht in Deutschland sei-

en zu streng, und warum seien Google und Facebook im Gegensatz zu den deutschen Verlagen nicht daran gebunden? Jäkel kritisierte auch die Macht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ein Medienunternehmen müsse sich der aktuellen Entwicklung anpassen und sich selbst erneuern. Auch die öfentlich-rechtlichen Sender sollten diesem marktwirtschatlichen Prinzip unterliegen. Prof. Dr. Friedrich-Carl Wachs, Koordinator der Arbeitsgruppe Medienwirtschat, betonte: „Die deutsche Medienlandschat leidet besonders unter Wettbewerbsverzerrungen und einer fehlenden international ausl gerichteten Gesetzeslage.“

Fotos: Jens Schicke

Zur Autaktveranstaltung der Bundesarbeitsgruppe Medienwirtschat berichtete Julia Jäkel, CEO der Gruner + Jahr GmbH & Co. KG, über die Herausforderungen des Traditionsverlags im Digitalen Zeitalter. Die Verlagsbranche sei nach der Musikbranche am zweitstärksten von der Digitalisierung betrofen, so Jäkel. Seit Jahren sinken die Aulagen von Printmedien und das traditionelle Geschätsmodell der Verlage stehe vor einem grundlegenden Wandel. Auch Gruner und Jahr musste Arbeitsprozesse umstellen und schlanker gestalten. Digital sei der Verlag mittlerweile auf einem guten Weg, betonte Jäkel. Doch nicht nur die Verlage, sondern auch die Politik müsse ihre Hausaufgaben machen. Die Marktund Machtstellung von Medienagenturen sei besorgniserregend. Die Datenschutzvor-

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uf dem Arbeitsmarkt vollzieht sich ein Paradigmenwechsel: Nicht mehr Arbeitsplätze sind in Deutschland knapp, sondern Arbeitskräte. Personalengpässe bestehen bereits in 96 von 619 Berufen, ermittelte das Institut der deutschen Wirtschat (IW Köln). Bis 2030, so das Statistische Bundesamt, geht die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter um fast acht auf rund 42 Millionen zurück. Tendenz: weiter sinkend. Auch nach 2035 wird der Aderlass hier geborener Fachkräte weitergehen: Seit 40 Jahren ist die Geburtenrate mit rund 1,4 sehr stabil. Deshalb ist auch küntig davon auszugehen, dass die Zahl der Neugeborenen um ein Drittel niedriger liegt als in der Vorgängergeneration. Die Folge sind Engpässe an qualiiziertem Personal: Das Wirtschatsforschungsinstitut Prognos warnt, dass in fünf Jahren 1,7 Millionen Fachkräte fehlen werden, 2035 dann bereits vier Millionen.

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basis und damit die Stärke des Standorts Deutschland. Jedes vierte Mädchen, das das Licht der Welt erblickt, wird seinen 100. Geburtstag feiern. Jeder vierte männliche Nachkomme wird immerhin 95. Betrug die durchschnittliche Rentenlaufzeit mit Einführung der Rente sieben Monate, sind wir heute bei fast 20 Jahren angekommen. Bei aller Freude über die zusätzliche Lebenszeit: Ohne weitere Reformen sind unsere sozialen Sicherungssysteme dem nicht gewachsen. Sollen die Renten nicht drastisch sinken und die Beitragssätze nicht dramatisch steigen, kann die Lösung nur in einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit liegen. Eine längere Lebensarbeitszeit bietet bessere Perspektiven auf einen auskömmlichen Lebensabend und dämmt den Fachkräteaderlass ein. Die Deutschen leben nicht nur länger, sondern sind auch länger gesund und erwerbsfähig. Prof. Axel

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WIRTSCHAFTSRAT Fachkräftemangel

Fachkräftemangel:

Wir müssen alle Register ziehen Schon heute leiden einige Branchen darunter, kein geeignetes Fachpersonal zu inden. Tendenz steigend. Wirtschat und Politik sind gefordert, an allen Stellschrauben für eine höhere Zahl qualiizierter Fachkräte zu drehen. Text: Dr. Holger Fricke

Nur eine bessere Integration Älterer in den Arbeitsmarkt, eine Qualiizierungsofensive in naturwissenschatlich-technischen Berufen, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine höhere qualiizierte Zuwanderung sichern die Fachkräte-

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Börsch-Supan, Direktor des Munich Center for the Economics of Aging (MEA), hat ermittelt, dass heute 70-Jährige die gleiche körperliche und geistige Fitness aufweisen, wie vor 30 Jahren 65-Jährige. Zudem erbrächten Teams mit Älteren die gleiche Leis-

tung wie Gruppen, die sich nur aus jüngeren Beschätigten zusammensetzen. Senioren bilden also ein entscheidendes Fachkrätepotenzial für die Wirtschat. Tatsächlich hat sich die Erwerbstätigenquote Älterer von 37,4 Prozent

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WIRTSCHAFTSRAT Fachkräftemangel

Top 10 der anhaltenden Engpassberufe für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung Durchschnittliche Zahl an Arbeitslosen je 100 gemeldeter offener Stellen zwischen August 2011 und Juli 2015 o.S.: ohne Spezialisierung

Kältetechnik Altenpflege (o.S.) Mechatronic Bauelektrik Triebfahrzeugführung Eisenbahn (o.S.) Hörgeräteakustik Elektrische Betriebstechnik Sanitär-, Heiung-, Klimatechnik Automatisierungstechnik

31 35 39 40 46 47 48 52 56

Gesundheits-, Krankenpflege (o.S.)

63

Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2015. Sonderauswertungen; Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft e.V.

im Jahr 2000 auf 63,5 Prozent 2013 erhöht. Doch statt diesen Weg weiter zu verfolgen, hat die Bundesregierung mit der „Rente mit 63“ ein verheerendes Signal gesetzt. Als nicht mehr als ein Trostplaster macht sich der gleichzeitig beschlossene lexible Renteneintritt aus. In Dänemark soll das Renteneintrittsalter von 67 Jahren ab 2027 mit der Lebenserwartung ansteigen. Auch in Sachen Transparenz in der Altersvorsorge ist das Land Vorreiter: Bürger können auf einer Informationsplattform nachvollziehen, welche Anwartschaten sie aus gesetzlicher Rente, Betriebsrente und privater Vorsorge angespart haben. So lassen sich Versorgungslücken aufdecken und durch höhere Beiträge oder längeres Arbeiten schließen. Gerade in den MINT-Berufen macht sich der Fachkrätemangel bemerkbar: 150.000 fehlende Arbeitskräte führen laut IW Köln zu einem jährlichen Wertschöpfungsverlust von fast 30 Milliarden Euro. Bereits 2020 könnten rund 1,4 Millionen quali-

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izierte MINT-Arbeitskräte fehlen. Umso wichtiger ist es, dass Wirtschat, Politik und Schulen gemeinsam gegensteuern: MINT-Berufe müssen bekannter werden. Ein erster Erfolg ist der Anstieg an MINT-Hochschulabsolventen von 31,3 Prozent im Jahr 2005 auf heute über 35 Prozent. Vor allem die Familienunternehmen in Deutschland schafen familienfreundliche Arbeitsplätze. Die Politik ist gefordert, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu erleichtern. Wegen mangelnder Betreuungsmöglichkeiten arbeiten viele Mütter gegen ihren Willen Teilzeit. Ziel muss es sein, allen die es wünschen, einen Vollzeit-Job zu ermöglichen. Dem Ausbau der Ganztagsbetreuung kommt daher höchste Priorität zu. Da diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, ist die bessere Erschließung des Potenzials ausländischer Fachkräte entscheidend, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Umso wichtiger ist es, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Wirtschatsrat folgt und ein Einwande-

rungsgesetz für Fachkräte auf ihre politische Agenda gehoben hat. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz um mehr Fachkräten außerhalb der EU den Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt zu ebnen. Fundament muss ein transparentes Punktesystem für Fachkräte sein, das auf einen Blick zeigt, ob sie in Deutschland arbeiten dürfen. Ausländer sollten zudem leichter eine Beschätigung aufnehmen können. Der Wirtschatsrat empiehlt, auch für Fachkräte aus nicht-akademischen Mangelberufen die Vorrangprüfung abzuschafen. Entscheidend sind zudem die schnellere Anerkennung von Abschlüssen, ein zügiger Ausbau des elektronischen Bewerberpools für Bewerber und Unternehmen sowie einfachere Anerkennungsverfahren innerhalb eines Unternehmens. Klar zu trennen von der wirtschatlich sinnvollen qualiizierten Zuwanderung ist der Zuzug von Asylbewerbern ohne Chance auf Anerkennung, der unsere Sozialsysteme belastet. Die Deckung des Fachkrätebedarfs ist eine gesamtgesellschatliche Herkulesaufgabe. Es gilt, den Anteil von Frauen und Älteren zu erhöhen, das Bildungsniveau insbesondere im MINT-Bereich anzuheben und Deutschland für Fachkräte aus dem Ausland attraktiver zu machen. Nur so lassen sich Engpässe in den Betrieben abwenden und die wirtschatliche Leistungsfähigkeit Deutschlands stärken. l

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Prof. Rolf Schnellecke ist neuer Vorsitzender der Bundesfachkommission Familienunternehmen und Mittelstand im Wirtschaftsrat. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender bei Schnellecke Logistics, einem international agierenden Logistikdienstleister und Zulieferer der Automobilindustrie. Zusätzlich produziert das Unternehmen auch selbst für den Fahrzeugbau. Schnellecke erwartet von der Politik eine mittelstandsfreundliche Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen.

Text: Mirja Meyerhuber

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Familienunternehmen sichern Zukunft Umso größer ist seine Sorge über den Kabinettsentwurf zur Erbschatsteuerreform, den das Bundesinanzmi-

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nisterium vorgelegt hat. „Wir respektieren natürlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Aber wir erwarten von der Politik, dass sie alles tut, um die Unternehmensübertragung auf die nachfolgenden Generationen nicht zu erschweren und zu hemmen, sondern zu fördern und möglich zu machen“, so Schnellecke. „Dafür sichern die Mittelständler und Familienunternehmen Millionen von Arbeitsplätzen, geben der Jugend Ausbildungs- und Zukunftsperspektiven und stärken die besondere Wirtschatsstruktur Deutschlands, um die uns die ganze Welt beneidet.“ Der Unternehmer war selbst viele Jahre in Niedersachsens Landespolitik aktiv und ist nicht bereit, vorschnell aufzugeben: „Ich habe die Hofnung, dass in den laufenden Diskussionen noch weitere Schritte erfolgreich sein werden und man am Ende des Tages sagen kann: Ja, die Unternehmen bleiben in Deutschland, sie müssen nicht verkaufen. Es ist ein Weg gefunden, um die Nachfolge zu ermöglichen.“ Unternehmen in Deutschland zu halten durch eine mittelstandsfreundliche Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen, für den Niedersachsen ist das eine zentrale Aufgabe der Politik. Eine Aufgabe, der Foto: Fotolia.com ©lassedesignen

er Mittelstand muss sich mehr Gehör verschafen, davon ist Prof. Rolf Schnellecke überzeugt. Der Aufsichtsratsvorsitzende des international tätigen Logistikdienstleisters Schnellecke Logistics und frühere Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg steht seit wenigen Wochen an der Spitze der Bundesfachkommission Familienunternehmen und Mittelstand im Wirtschatsrat. „Familienunternehmen sind als tragende Säule für unsere Wirtschat unverzichtbar. Insbesondere in Krisenzeiten zeigt sich, dass die Unternehmer soziale Verantwortung übernehmen und Arbeitsplätze bewahren. Sie sind Garanten für nachhaltiges Wirtschaten und Wertgebundenheit. Es muss immer wieder deutlich gemacht werden, welchen Stellenwert Familienunternehmen in und für Deutschland haben“, erläutert Schnellecke sein politisches Engagement. So sei es wichtig für das Verständnis von Familienunternehmen herauszustellen, dass eben nicht die kurzfristige Proitmaximierung im Vordergrund stehe, sondern das langfristige und nach Möglichkeit auch generationenübergreifende Denken. Damit fühle sich jeder Familienunternehmer verantwortlich für die Gesellschat und die Zukunt unserer Kinder.

die Politik nicht immer ausreichend Gewicht einräumt. „Ich habe den Eindruck, dass alles so selbstverständlich geworden ist. Dass der Mittelstand Arbeits- und Ausbildungsplätze bereitstellt und ganz aktuell dabei hilt, die Arbeitsmarktprobleme im Zuge der Flüchtlingssituation zu regeln und zu lösen. Die Erwartungen sind immer groß, aber die Anerkennung und Wertschätzung von uns Familienunternehmern insbesondere in der politischen Meinungsbildung lassen manchmal zu wünschen übrig“, kritisiert Schnellecke. Dabei steht der Mittelstand selbst vor großen Herausforderungen wie der globalen Konkurrenzsituation mit kapitalstarken Großkonzernen oder einer grundsätzlichen Veränderung der Arbeitswelt im Zuge des fortschreitenden Digitalisierungsprozesses. Insbesondere den Auswirkungen der Digitalisierung und der Umsetzung

von Industrie 4.0 widmet die Bundesfachkommission unter Schnelleckes Vorsitz viel Raum und lässt zahlreiche Experten mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu Wort kommen. Mit Sorge sieht er in Deutschland die immer stärkere Regulierung und Einengung der Arbeitswelt von morgen: „Gerade das Gegenteil ist richtig. Bei allen notwendigen Schutz der Arbeitnehmer brauchen wir mehr Flexibilität und Öfnung, um im Zeitalter der Vernetzungen bestehen zu können.“ Der Unternehmer ist überzeugt davon, dass der deutsche Mittelstand nicht von der sogenannten „Fortschrittsangst“ betrofen ist: „Die Di-

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

„Es sind gerade die innovativen Gründer, die mit ihren neuen Ideen und ihrer unternehmerischen Risikobereitschat den Wohlstand unserer Gesellschat sichern.“ Gründungskultur in Deutschland stärken Trotz des berechtigten Optimismus sieht der Familienunternehmer die rückläuigen Zahlen von Unternehmensgründungen in Deutschland mit Sorge. „Denn es sind gerade die innovativen Gründer, die mit ihren neuen Ideen und ihrer unternehmerischen Risikobereitschat den Wohlstand unserer Gesellschat sichern“, sagt Schnellecke. Die großen Unternehmen von heute haben auch einstmals als Startup begonnen und waren in

Familienunternehmen:

Foto: Jens Schicke

gitalisierung lässt sich nicht auhalten, sie ist das große hema. Aber ich spüre in unserem Mittelstand keine Angst davor. So, wie jeder Unternehmer sich dem notwendigen Wandel der Zeit stellt, so wird auch der Mittelstand diese Herausforderung bewältigen und sich darauf einstellen. Ich bin überzeugt, wenn Deutschland die Zukunt als Chance begreit, dann werden wir auch in einer globalisierten Welt weiterhin erfolgreich sein“, betont Schnellecke. Bestätigung für seine Einschätzung bekommt der

Garanten für nachhaltiges Wirtschaften neue Kommissionsvorsitzende während seiner zahlreichen Auslandsreisen, die ihn rund um den Globus zu den 50 Standorten von Schnellecke Logistics führen. „Die deutsche Wirtschat hat einen guten Ruf im Ausland und einen hervorragenden Stand, insbesondere wenn es um Leistungskrat, Innovation und Qualität geht. Darauf können wir weiter aubauen“, ist sich Schnellecke sicher.

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der Regel geprägt durch mutige Unternehmerpersönlichkeiten. Wie kann man also einer Gesellschat den Mut zum Risiko wieder schmackhat machen? Ein Patentrezept kennt auch der gestandene Unternehmer nicht. „Aber wir müssen alles tun, um Mut und Gründermentalität zu stärken. Man sieht es in den USA, wo eine andere Gründungskultur herrscht, da klappt auch nicht jede Idee oder ist erfolg-

reich, aber vieles kommt zum Durchbruch.“ Aber auch in dieser Frage bleibt Schnellecke mit seiner Heimat versöhnlich und blickt optimistisch in die Zukunt: „Ich sehe, dass es sich bessert. Dass auch wir erkennen, dass hier mehr getan werden muss. Ich sehe mit Freude phantastische Gründer, Ideen, die dahinter stehen und habe insofern keine Sorge, dass wir l total zurückfallen werden.“

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftstag 2015

Text: Philipp Schwartz

elche Rahmenbedingungen fehlen Deutschland zu einem perfekt funktionierenden Ökosystem für Start-ups und welchen Platz nimmt der Mensch in einer zunehmend digitalisierten Welt ein? Mit diesen Fragen

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„Mit Blick auf die demograische Entwicklung und den Rückgang der Zuschüsse von Bund und Europäischer Union muss der Haushalt weiter konsolidiert werden.“ Mirko Kolakovic Landesvorsitzender Junger Wirtschaftsrat Thüringen

lotste der Junge Wirtschatsrat knapp hundert Studenten, Unternehmer, Politiker und Führungskräte zu seiner wichtigsten Veranstaltung im Jahr. Unter dem Motto „25 Jahre geeintes Deutschland – durch Innovation und Wachstum unsere Position in der Welt stärken“ fand der Junge Wirtschatstag dieses Jahr in Erfurt statt. Großen Herausforderungen entgegentreten Prof. Hans Helmut Schetter, Vizepräsident des Wirtschatsrats, kom-

mentierte zur Autaktveranstaltung die chaotische Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: „Gerade eine Große Koalition hat keine andere Legitimation, als großen Herausforderungen mit großer Entschlossenheit und höchster Priorität entgegenzutreten“. Was sich in der Wirtschat bewährt habe, müsse auch für die Politik gelten. Dazu zählten messbare Ziele und ein gutes Controlling. Nur daran lasse sich Regierungsarbeit messen und nicht an Schlagworten. Kritische Worte zur Politik der Großen Koalition fand Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschat und Gesellschat, in seiner Videobotschat. „Die Tagesordnung der deutschen Politik schat eher Umverteilung als Wachstumsimpulse“, mahnte Oettinger. „Wir konsumieren zu viel und investieren zu wenig.“ Wichtige Bereicherung „Unser Alleinstellungsmerkmal ist die enge Vernetzung mit politischen Entscheidungsträgern“, sagte der Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschatsrats, Dr. Alexander Bode, und dies sei der Grund für die positive Resonanz aus Politik und Wirtschat. So sei CDU-Ge-

neralsekretär Dr. Peter Tauber MdB jüngst von einer Zusammenkunt mit jungen Familienunternehmern im Wirtschatsrat begeistert gewesen und werde gern weiteren Einladungen folgen. Punkten kann der Junge Wirtschatsrat auch in der öfentlichen Wahrnehmung. So berichtete am Tag zuvor das Handelsblatt über den eigenen Forderungskatalog zur zügigen Umsetzung der Digitalen Agenda. „Der Junge Wirtschatsrat hat eigene Akzente im Verband gesetzt und mit dem Beirat Next Generation und der Bundesfachkommission Junge Generation den Wirtschatsrat um wichtige inhaltliche Aspekte bereichert“, freute sich Generalsekretär Wolfgang Steiger. Dies sei auch notwendig, denn in zahlreichen hemenaspekten müsse sich die Junge Generation Gehör verschafen. Darunter ielen insbesondere die Digitale Agenda, die Flüchtlingskrise, eine verfehlte Rentenpolitik und die endlose Griechenlandkrise.

Fotos: Antje Kaunzner

Die Junge Generation setzt auf dem Wirtschaftstag eigene Akzente: Im Vordergrund steht die Digitalisierung.

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftstag 2015

Foto: Fotolia.com ©Gstudio Group

Digitalisierung als Chance begreifen

„Sind Roboter zuküntig die besseren Chirurgen und kommen Häuser bald aus dem 3D-Drucker?“, fragte Albert Weiler MdB, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Doch der technologische Wandel sei nur ein Aspekt. Für immer mehr Beschätigte rücke auch das individuelle Wohlbeinden in den Mittelpunkt. Wie wollen wir arbeiten und welche Gestaltungschancen haben Arbeitgeber und Politik? Bei diesen Herausforderungen stehe die Junge Generation im Mittelpunkt. Herausforderung Digitalisierung „Zahlreiche Berufe, in denen Erfahrungswissen auf Anwendung stößt, werden durch die Digitalisierung wegfallen, da sie Computer schneller und günstiger erledigen“, mahnte Paul Ziemiak, Bundesvorsitzender der Jungen Union. Für die jüngere Generation sei das eine „extreme Herausforderung“.

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„Gerade eine Große Koalition hat keine andere Legitimation, als großen Herausforderungen mit großer Entschlossenheit und höchster Priorität entgegenzutreten.“ Prof. Hans Helmut Schetter Vizepräsident des Wirtschaftsrates

In Deutschland mangele es jedoch nach wie vor an der notwendigen Förderung von zukuntsorientierten Innovationen. Eine völlig verfehlte Weichenstellung „in Richtung Vergangenheit“ sah Ziemiak in der Rentenpolitik der Großen Koalition: Die Junge Generation müsse hier vereint ihre Stimme dagegen erheben. Startup-Ökosystem 2015 Auf dem Podium unter dem Motto „Das Startup-Ökosystem 2015 – Bestandsaufnahme und Ausblick, forderte Tobias Bürger, Investment Ma-

nagement bei German Startups Group Berlin, einen behutsamen Umgang mit der Start-up-Szene: „Wir sind aktuell in einer sehr guten Wachstumsphase und müssen jetzt aufpassen, dass wir dieses Wachstum nicht durch Überregulierung abschneiden“. Zufrieden mit der politischen Leistung der Bundesregierung zeigte sich Tankred Schipanski MdB, Obmann im Ausschuss Digitale Agenda der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Günstige politische Rahmenbedingungen und die Einstufung der Digitalen Agenda zur Chefsache auf bundespolitischer Ebene zeigten Wir-

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kung, sagte er in der Diskussion. Dem konnte sich Karsten Schaal, Mitglied des Vorstandes vom Bundesverband Deutsche Startups e.V., nicht anschließen und verwies auf den deutschen Start-up Hotspot Berlin: „Die dortige Lage ist nicht wegen, sondern trotz der Politik entstanden“. Optimistischer schätzte horsten Schreiber, Geschätsführer der Zeilenwert GmbH, die Lage ein. Die Unterstützung der Start-ups sei von Seiten der Politik „gut genug“, so der Podiumsteilnehmer, allerdings müssten die Gründer alle „mehr miteinander reden, um sich gegenseitig helfen zu können.“

„Unser Alleinstellungsmerkmal ist die enge Vernetzung mit politischen Entscheidungsträgern.“ Dr. Alexander Bode Bundesvorsitzender des Jungen Wirtschaftsrats

Die Arbeitswelt von morgen Die Kommunikation werde immer schneller und der Mensch immer ungeduldiger, beklagte homas Kemmerich, Vorstandsvorsitzender, Friseur Masson AG und Bundesvorsitzender, Liberaler Mittelstand e.V., das steigende Stresslevel in einer digitalisierten Arbeitswelt auf dem zweiten Podium des Jungen Wirtschatstages „Arbeitswelt von morgen gestalten – Soziale Sicherheit versus Flexibilisierung.“ Dies erschwere die Arbeitsmotivation. Wilhelm Bauer, Institutsleiter des Frauenhofer-Instituts für Arbeitswirtschat und Organisation, brachte seine Beobachtungen in die Diskussion ein, dass immer mehr Beschätigte den Wunsch nach lexiblen Arbeitszeiten äußern würden und Unternehmen vermehrt auf dieses Bedürfnis eingehen. Für Podiumsteilnehmer Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschat Deutscher Lokomotivführer, haben die Gewerkschaten es verpasst, sich der „veränderten Arbeitswelt anzupassen.“ Gerade der Mindestlohn sei für sie „ein Ofenbarungseid“ gewesen, da sie nicht in der Lage waren, für ein „vernüntiges Ein-

Foto: Fotolia.com ©Sunny studio

Premiere hatten auf diesem Jungen Wirtschatstag zwei durchgeführte Workshops zu Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und der neuen Sozialen Marktwirtschat. Im lebendig-lockeren Informationsaustausch kamen Referenten und Publikum zu dem Schluss, dass im Gegensatz zu starren Arbeitszeitmodellen vor allem Flexibilität und Agilität die Zukunt des Arbeitsmarktes bestimmen wer-

den. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass Fortschritte bei der Digitalisierung nicht zu Lasten des gesellschatlichen Solidaritätsprinzips der Sozialen Marktwirtschat gehen dürfen.

Junge Unternehmen entwickeln oft Innovationen für mehr Wachstum

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kommen zu sorgen“. Wenn eine Krat, eine Seite oder eine Partei nicht mehr stark genug ihre Interessen vertrete, müsse die Politik eingreifen. Überregulierung dürfe nicht sein, aber die Frage, warum es sich überhaupt in diese Richtung entwickelt hat, müsse gestellt werden, so Weselsky. Für Diskutant Kai Whittaker MdB, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales der CDU/CSU Bundestagsfraktion, atmet das aktuelle Arbeitszeitgesetz „schwer den Geist der Siebziger und Achtziger“. Der starke Fokus auf Schichtbetriebe darin bedürfe dringend der Anpassung. Soli hat sich gelohnt „Mit Blick auf die demograische Entwicklung und den Rückgang der Zuschüsse von Bund und Europäischer Union muss der Haushalt weiter konsolidiert werden, anstatt weitere Ausgaben zu planen“, kritisierte der Landesvorsitzende des Jungen Wirtschatsrats hüringen, Mirko Kolakovic, die Haushaltspolitik der hüringer Landesregierung. Die rot-rot-grüne Regierungskoalition habe innerhalb von zehn Monaten den Erfolg von sieben Jahren Haushaltskonsolidierung zunichte gemacht, beklagte auch der Landesvorsitzende und Vorsitzende der CDU-Fraktion im hüringer Landtag, Mike Mohring, die Situation im Bundesland. „Im vorgelegten Doppelhaushalt setzt die Landesregierung die Schuldentilgung aus, erhöht die Ausgaben um 1,1 Milliarden Euro, räumt alle Rücklagen leer, verschiebt Reformen und steuert das Land in die falsche Richtung“, kritisierte Mike Mohring. Das kleine und junge hüringen – einst Musterschüler unter den neuen Bundesländern – leide nun unter einer verantwortungslosen Schuldenpolitik zu Lasten der jüngeren Generationen. Dennoch, so Mohring, sollten die Teilnehmer des Jungen Wirtschatstags nicht in dem Glauben nach Hause fahren, der Aufbau Ost sei falsch gewesen. „Erzählt zu Hause, es hat sich gelohnt, Solizuschlag zu zahlen“, so Mohring. Die deutsche Einheit ist nach 25 Jahren ein l Erfolgsprojekt!

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Fotos: Antje Kaunzner

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftstag 2015

Junger Wirtschaftsrat diskutiert Herausforderung Digitalisierung Welche Rahmenbedingungen fehlen Deutschlands Startup Ökosystem und welchen Platz nimmt der Mensch in einer zunehmend digitalisierten Welt ein? Junge Unternehmer und Führungskräte diskutierten über das Potenzial der Digitalisierung für Wirtschat und Gesellschat. 4/2015 TREND

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Baden-Württemberg 4. Süddeutscher Wirtschaftstag: Fortschritt fördern – weg von der Verhinderungsmentalität

Foto: Wolfgang List

Schnell, effizient, sicher – das sind die Ansprüche an Breitbandnetze in Baden-Württemberg. Die Realität sieht anders aus: Kaum Empfang dort, wo man ihn gerne hätte. Etwa im großen Konferenzraum der Sparkassenakademie in Stuttgart, in dem der 4. Süddeutsche Wirtschaftstag stattfand. Der Tagungsort ist unverdächtig: zentrale Lage und moderne Systeme. Netzverfügbarkeit und Netzqualität machen eben einen Unterschied. Deshalb setzen sich die Unternehmer im Wirtschaftsrat für einen Breitbandausbau ein, der das Land angemessen in die digitalisierte Zukunft bringt. Eines wurde auf dem Wirtschaftstag deutlich: Selbst vom Minimalziel der Bundesregierung, 50 Mbit/s in Unternehmen und Haushalte zu bringen, ist Baden-Württemberg vielerorts noch weit entfernt. Die Unternehmer zeigten sich entschlossen, gegenüber der Politik mit einer Stimme zu sprechen. Sie mahnten dringenden Handlungsbedarf an. Wenn sich die wichtigsten Vertreter der Wirtschaft im Süden treffen, darf Reinhard Clemens, Vorstand der Telekom AG, nicht fehlen. Clemens kenne das Gebiet aus seiner Zeit in Fellbach sehr gut, so der neu gewählte Landesvorsitzende Joachim Rudolf. „Hier im Ländle, ist man fleißig“, sagte der Telekom-Vorstand. Die Gegend zeichne sich durch die Vielzahl an erfolgreichen mittelständischen Unternehmen aus – bloß tue man recht wenig, um sie zu unterstützen. Ein leistungsfähiges Datennetz werde zentraler Standortfaktor. Während Bayern bis zu 1,5 Milliarden Euro in den Breitbandausbau investiere, stelle Baden-Württemberg nicht einmal 40 Millionen jährlich.

Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft, und Guido Wolf MdL

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Dabei müsse das Ziel klar sein: „Baden-Württemberg muss gerade seine kleinen Zentren an die Glasfaser kriegen“, so Clemens. Das Grundgerüst dafür, die Glasfaser im Boden, sei ja da. „Aber es muss auch jeder Betrieb an diese Glasfaser ran, wenn man hier wettbewerbsfähig bleiben will. Rufen Sie zur Not mich an und sagen Sie, was Sie brauchen!“ rief der Telekom-Vorstand den begeisterten rund vierhundert Gästen zu. Auch Johannes Pichler von der Globalways AG, Anbieter für IT-Infrastruktur, fand deutliche Worte: „50 Mbit/s für Unternehmen? Da brauchen wir ein neues Breitbandausbauziel. Die Unternehmen hier brauchen bessere Rahmenbedingungen als das – keine Verhinderungsmentalität, wie sie derzeit in Baden-Württemberg herrsche. Einer, der unser Land als Ministerpräsident voran gebracht hat, war Günther Oettinger, begrüßte Dr. Ulrich Zeitel, neuer Ehrenvorsitzender des Landesverbands den heutigen EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Oettinger richtete sich ans Publikum: „Während Sie die Antwort Ihrer Suchanfrage lesen, weiß Google schon längst mehr, als Sie jemals aus Ihrer Antwort herauslesen können.“ Man müsse sich bewusst machen, dass die Nutzung von Daten die Währung der Zukunft sei. Der EU-Kommissar betonte: „Die digitale In-

Foto: Wolfgang List

Rückblick Einblick Ausblick

Branchen-Panel mit: v.l.n.r. Dr. Ulrich Zeitel, Norbert Heckmann, Adolf Würth GmbH & Co. KG, Dr. Werner Götz, TransnetBW GmbH, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Brun-Hagen Hennerkes, Stiftung Familienunternehmen, Prof. Georg Fundel, Flughafen Stuttgart GmbH, Joachim Herrmann, Sparkassenverband BadenWürttemberg

frastruktur wird wichtiger als der Bau neuer Autobahnen. Und wir müssen entscheiden, ob es eine Transformation oder Disruption für uns bedeutet. In jedem Fall müssen europäische Standards geschaffen werden – auch bei der Frage, wem gehören eigentlich die Daten, die Ihr Auto bald mit anderen Autos austauscht.“ Doch wie sieht der Bedarf in den Unternehmen der Region tatsächlich aus? Im Branchenpanel und Experten-Dialog diskutierten Stellvertreter verschiedenster Unternehmen. Klar wurde, dass wenn Baden-Württemberg Teil der digitalen Fahrt bleiben wolle, gerade auch nach seinen Betrieben fernab der Ballungsgebiete schauen müsse. Diese „Hidden Champions“, sagte Norbert Franchi, Vorstand SolidLine AG, stünden vor gleichen Herausforderungen und bedürften der Förderung. Zwischen Unternehmergrößen wie Dr. Wolf Osthaus, Unitymedia, Prof. Georg Fundel, Geschäftsführer des Stuttgarter Flughafens, Dr. Joachim Herrmann vom Sparkassenverband Baden-Württemberg, Dr. Werner Götz, Geschäftsführer der TransnetBW, Norbert Heckmann von Adolf Würth und Prof. Dr. Brun-Hagen Hennerkes, Vorsitzender der Stiftung Familienun-

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

v.l.n.r. Der neue Landesvorstand: Reinhard Schlegel, Sven Schulz, Konrad Walter, Jürgen Heizmann, Joachim Rudolf, Dr. Ulrich Zeitel, Dr. Markus Binder, Norman Mürdter, Julia Alice Selzer-Bleich und Daniel Imhäuser (v.li.)

ternehmen, fand sich schnell ein gemeinsamer Nenner: Die Politik stehe in der Verantwortung. In der aktuellen Legislaturperiode sei versäumt worden, richtig auf die Digitale Agenda zu reagieren. 200 oder 50 Mbit/s, Bürgern sagt das oft nicht viel. Für Unternehmen wird dies den Unterschied machen – gerade beim Datenaustausch. Hier kann die Cloud Abhilfe schaffen. In einem Punkt zeigten sich die Unternehmer einig: Der Servicegedanke ist das Herzstück der Digitalisierung. Industrie 4.0 bedeutet Einzel- statt Massenproduktion und die Neuordnung der Nutzerkommunikation. Das stellt die Wirtschaft vor Herausforderungen, birgt aber auch Chancen. „Baden-Württemberg kann hier die Ideenschmiede Europas sein“, so Guido Wolf, Spitzenkandidat für die Landtagswahl und CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag. Seine Vision: „Zunächst heißt es unnötigen Ballast abwerfen. Weniger Bürokratie, weniger Regulierung, die Unternehmen daran hindert, mit technologischen Entwicklungen Schritt zu halten.“ Baden-Württemberg müsse seine Exzellenz behalten – und dies beim Ausbau des Breitbands beweisen. Der 4. Süddeutsche Wirtschaftstag hat gezeigt: Die Dateninfrastruktur im Land ist in keinem zukunftssicheren Zustand. Aber sie kann es werden, und der Unternehmergeist ist da. Was fehlt, ist die Rückenstärkung der Politik im Breitbandausbau und bei den Sicherheitssystemen. Nur gezielte Konzepte und eine solide Finanzierung garantieren keinen Kurzschluss in der Entwicklung. Kurzum: Ein digitaler Ruck muss durch Baden-Württemberg, Deutschland und Europa gehen.

Nordrhein-Westfalen Wirtschaftstag NRW 2015: Verkehrsinfrastrukturoffensive notwendig! Bröckelnde Brücken, Schlagloch-Straßen, Staus und Stillstand: Die Infrastruktur des einwohnerstärksten Bundeslandes ist in desolaten Zustand. Die vielzitierte Leverkusener Rheinquerung ist nur ein Symptom des an Sanierungsstau erkrankten Systems aus Straße, Schiene und Kanälen. Wie bringt man den Patienten wieder auf die Beine? Das war das zentrale Thema beim Wirtschaftstag 2015 des Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen.

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Armin Laschet: NRW muss Industrieland bleiben „Was können wir tun, damit Nordrhein-Westfalen im Ländervergleich nicht hinten bleibt?“, fragte CDU-Landtagsfraktionschef Armin Laschet. Ein Problem sei etwa der Mangel an fertigen Planungen, die der Landesbetrieb Straßen dann, wenn Berlin Finanzmittel freigebe, aus der Schublade ziehen könne. „In Bayern liegen für eine Investitionssumme von zwei Milliarden Euro Pläne parat. Und hier?“, fragte Laschet. „Oliver Wittke hat das mal so ausgedrückt: Aus Berlin regnet es Brei – und wir haben keine Löffel!“ Die eklatanten Mängel an der Infrastruktur seien für ein Industrieland nicht hinnehmbar: „Wenn ein LKW von den Fordwerken in Köln-Niehl auf die andere Rheinseite zu Bayer will, dann muss er wegen der Sperrung in Leverkusen 40 Kilometer Umweg fahren. Da waren die Römer schon weiter!“, rief Laschet. Er kritisierte deshalb die Vorbehalte der rot-grünen Landesregierung gegenüber ÖPP-Projekten beim Autobahnausbau. Hier verhindere Ideologie eine praxisgerechte Lösung.

Foto: Wirtschaftsrat

Foto: Wolfgang List

„Verkehrsinfrastrukturoffensive für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen“ und „Nordrhein-Westfalen: Industrieland mit Zukunft“, das waren die Kernthemen der Veranstaltung, zu der Wirtschaftsrats-Landesvorsitzender Paul Bauwens-Adenauer gut 700 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft in der Düsseldorfer WGZ-Bank begrüßen konnte. Plenum wie Podium waren sich einig: Es muss dringend etwas passieren, damit Unternehmen, Industrie und Bürger nicht weiter unter dem Stillstand im Land leiden.

Weitere Baustellen – im Wortsinn – sah der Landespolitiker im Ausbau des Breitbandnetzes – „zum Teil eine katastrophale Situation“ – und in der Regulierungswut der Landesregierung. Das Tariftreue- und Vergabegesetz etwa habe nicht mehr Gerechtigkeit, aber mehr Bürokratie gebracht. Für Laschet liegt die Auflösung des Sanierungsstaus auf der Hand: „Planen, planen, planen – und dann schnell bauen.“ Hochkarätiges Expertenpaneel diskutiert So sahen es auch die Podiumsteilnehmer. Sogar Landesverkehrsminister Michael Groschek, SPD signalisierte, „aus den Nackenschlägen der letzten Jahre gelernt zu haben“ und versprach etwa den zügigen Ausbau der A 45, um den Industriestandort im südlichen Westfalen zu stärken. „Im Übrigen müssen wir Planungsprozesse beschleunigen.“ Mit dieser Forderung traf der Minister auf offene Ohren. Klaus Voussem, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

im Landtag, forderte eine „Beschleunigung der Verfahren“ und sprach Groschek direkt an: „Da ist ganz klar Regierungshandeln erforderlich.“ Hans-Paul Kienzler, Bereichsleiter Mobilität & Transport der Prognos AG, unterstützte ihn: „Ein Hindernis ist das Planungsrecht, das derzeit den Planungszeitraum verlängert.“ Dazu komme die „Not-In-My-Backyard“-Mentalität vieler Bürger, die etwa bei Strom- oder Eisenbahntrassen wie dem Rhein-Ruhr-Xpress schnell den Klageweg beschritten. Sein Fazit: „Wir brauchen einen Masterplan Infrastruktur.“

lingswelle bis hin zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit und setzte auch wirtschaftspolitische Akzente: „Wir müssen uns dazu bekennen, Industrieland zu sein und es auch bleiben zu wollen.“ Die Chance, in einer globalisierten Welt bestehen zu können, sah Bosbach in Forschung, Bildung und Innovation. „Wer nichts im Boden hat, muss etwas in der Birne haben.“ Nicht nur für dieses Bonmot erhielt „WoBo“ viel Beifall.

Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland

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Hochkarätiges Expertenpanel

In die gleiche Richtung zielte Ralf Kersting, Präsident der IHK Nordrhein-Westfalen: „Wir werden in den nächsten Jahren eine drastische Zunahme des Güterverkehrs erleben. Da wird die Brückenertüchtigung nicht reichen, wir müssen auch den Straßenneubau fördern.“ Geld gebe es genug, so Kersting, „zum Beispiel 35 Milliarden Euro aus der Mineralölsteuer im Jahr.“ Es gelte angesichts der maroden Infrastruktur, Bündnisse zu schmieden und die Interessen Nordrhein-Westfalens „kraftvoll in Berlin“ zu vertreten. Eine Sichtweise, die Landesvorsitzender Paul Bauwens-Adenauer unterstützte. Den Blick in die Zukunft mit selbstfahrenden Fahrzeugen und einer IT-Vernetzung von Straße und Fahrzeugen, lenkten die Experten aus der Logistikwirtschaft. Für Frank M. Schmid, stellv. Vorsitzender der Bundesfachkommission Verkehr, Logistik, Infrastruktur des Wirtschaftsrates, ist die Optimierung der Ladungskapazitäten im Güterverkehr mit den bestehenden Mitteln bereits jetzt erreicht. Um die „offenen Paul Bauwens-Adenauer, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat NRW Fenster für die Logistik“ optimal zu nutzen, gelte es Standards zu setzen für die Vernetzung zwischen Straße und Fahrzeug und die Datensicherheit zu forcieren. Die Technologie des autonomen Fahrens, da waren sich alle Diskutanten einig, werde sich zuerst im Güterverkehr durchsetzen – auch dafür muss die Infrastruktur fit gemacht werden. Industrieland: Forschung, Bildung und Innovation Zum Schluss trat mit Wolfgang Bosbach MdB ein Gast des Wirtschaftsrates ans Rednerpult, der in bekannt brillanter Rhetorik seine Sicht der politischen Herausforderungen darstellte. Er spannte einen Bogen von der Ukraine-Krise über die Flücht-

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Für die CDU im deutschen Südwesten ist die Digitalisierung der Wirtschaft eher Chance als Gefahr. Das machten auf dem Wirtschaftstag der drei Landesverbände Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland des Wirtschaftsrates in Mainz, die Spitzenkandidatin der Union für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, und die saarländische Ministerpräsidentin, Annegret Kramp-Karrenbauer, klar. Sie streben unter Einschluss von Hessen eine ,,Digitale Agenda für den Südwesten“ an, wenn die Union in Mainz die Landesregierung übernimmt.

Foto: Wirtschaftsrat

Foto: Wirtschaftsrat

Der Wind des Fortschritts soll aus dem Südwesten wehen

v.l.n.r. Wolfgang Holzhauer, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Saarland, Annegret Kramp-Karrenbauer MdL, Ministerpräsidentin Saarland, Frank Gotthardt, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Rheinland-Pfalz

Julia Klöckner sprach sich unter dem Beifall der rund 400 Teilnehmer im ZDF-Konferenzzentrum auf dem Lerchenberg für einen ,,digitalen Pakt“ der drei Bundesländer aus. Rheinland-Pfalz habe digital einiges aufzuholen, weil die gegenwärtige Landesregierung zu wenig Geld fürs ,,schnelle Internet“ bereitgestellt habe. Darunter hätten vor allem die ländlichen Räume zu leiden. Mit der Digitalisierung, so die Stellvertretende der CDU Deutschlands, könne jedenfalls die Landflucht bekämpft werden. Sie kündigte ein spezielles Programm nach ihrer Regierungsübernahme an, um die Lücke zu anderen Bundesländern zu schließen. Die saarländische Ministerpräsidentin, Annegret Kramp-Karrenbauer, zeigte sich überzeugt, dass das Saarland digital schon gut aufgestellt ist; sie nannte als Beispiel mehrfach die ZF Friedrichshafen AG. Das Technologieunternehmen vom Bodensee unterhält an der Saar seine größte Fabrikationsstätte. Durch den hohen Industrialisierungsgrad des Saarlandes komme der Digitalisierung – Wirtschaft 4.0 – für die zukünftige Entwicklung große Bedeutung zu.

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen

v.l.n.r. Annegret Kramp-Karrenbauer MdL, Ministerpräsidentin Saarland, Frank Gotthardt, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Rheinland-Pfalz, Prof. Hans Helmut Schetter, Vizepräsident des Wirtschaftsrates, Peter E. Eckes, Ehrenvorsitzender des Wirtschaftsrates Rheinland-Pfalz

Foto: Wirtschaftsrat

Wichtig sei aber die Verbindung zu den Hochschulen. Auch hier habe das Saarland einiges zu bieten. Kramp-Karrenbauer wörtlich: ,,Der Wind des Fortschritts soll aus dem Südwesten wehen!“ Der Vorsitzende des Wirtschaftsrates in Rheinland-Pfalz, Frank Gotthardt, sieht die Wirtschaft vor einer umfassenden Revolution. Die Digitalisierung sei weit mehr als eine Prozessveränderung, global bringe sie möglicherweise sogar Machtverschiebungen mit sich. Die Wertschöpfungsketten bildeten sich neu; mit der Plattformwirtschaft habe sich sogar eine neue Ebene zwischen Produzenten und Kunden entwickelt, die ganz neue Marktchancen eröffnet. Für den Landesvorsitzenden des Wirtschaftsrates aus dem Saarland, Wolfgang Holzhauer, ,,leben wir bereits im digitalen Zeitalter, hinken dabei aber hinter den USA und China hinterher“. Wegen der Digitalisierung müsse jedenfalls überall umgedacht werden. ,,Industrie 4.0“ sei zwar in aller Munde, doch wüssten die meisten noch nicht, was das wirklich bedeutet. René Obermann, früherer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom und heute Managing Director bei Warburg Pincus LLC, sieht Deutschland nicht schlecht aufgestellt für das digitale Zeitalter, doch sei man nur Mittelmaß. Es müsse deshalb weiter investiert werden. Zum Abschluss der Veranstaltung sprach sich Prof. Hans Helmut Schetter, Vizepräsident des Wirtschaftsrates und Vorsitzender des Landesverbandes Hessen, in der Flüchtlingsfrage dafür aus, den Radikalen den Weg nach Europa abzuschneiden.

Julia Klöckner MdL, Stellv. Bundesvorsitzende der CDU, Vorsitzende Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz

4/2015 TREND

„Wir sind nur gemeinsam der ‚echte Norden‘!“ eröffnete Reimer Tewes, Vorsitzender des Landesverbandes Schleswig-Holstein, den 5. Norddeutschen Wirtschaftstag der Landesverbände Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, in Lübeck. Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Daniel Günther MdL, richtete ein Grußwort an die Unternehmer: Der Stillstand in Schleswig-Holstein könne nicht überraschen: Die Investitionsquote im Haushalt breche beständig Minusrekorde und es gäbe kein baureifes Straßenbauprojekt. Trotz einer Milliarde Mehreinnahmen gegenüber der Vorgängerregierung werde nur nach mehr Geld gejammert, anstatt die Hausaufgaben zu machen.

Foto: Frank Soens

Foto: Wirtschaftsrat

5. Norddeutscher Wirtschaftstag: Der „echte Norden“ gemeinsam für eine zukunftsfähige Infrastruktur

Die fünf Landesvorsitzenden zusammen mit dem Präsidenten des Wirtschaftsrates mit der Bundesministerin als Ehrengast auf dem Norddeutschen Wirtschaftstag: v.l.n.r. Anja Osterloe, (Niedersachsen, stellv.), Gunnar Uldall (Hamburg), Andreas Mau (Mecklenburg-Vorpommern), Bundesministerin Prof. Dr. Johanna Wanka, Reimer Tewes (Schleswig-Holstein), Imke Wilberg (Bremen) mit dem Präsidenten Werner M. Bahlsen

Die Landespolitiker sollten für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort Deutschland stärker an einem Strang ziehen, betonte Werner M. Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrates. Der Wertekompass in Freiheit und Verantwortung habe uns 70 Jahre Wachstum beschert: „Ein Familienunternehmer erbt kein Unternehmen, sondern borgt es sich von seinen Kindern.“ Die Neuregelung der Erbschaftsteuer treffe den familiengeführten Mittelstand ins Mark und gefährde generationenübergreifende Investitionen sowie Beschäftigung und den Standort. Die Politik solle dies beachten ebenso wie, dass vor der Umverteilung das Verdienen komme. Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka MdB ermunterte den Mittelstand, Industrie 4.0 für sich zu nutzen: „Wir wollen die Erfahrungen der Meister in diesen Prozess einbinden und herausfinden, wie Arbeitsplätze der Zukunft aussehen.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass Deutschland sich an

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Thüringen 21. Weimarer Wirtschaftsgespräch: Zuwanderung von Flüchtlingen mindert Fachkräftebedarf nicht Der Wirtschaftstag Thüringen, traditionell abgehalten als Weimarer Wirtschaftsgespräch, hatte angesichts der Flüchtlingskrise mit seinem bereits Anfang 2015 gesetzten Motto „Fachkräfte durch Zuwanderung“ nichts an Aktualität eingebüßt. Vor knapp 150 Gästen blieb das Podium aus Unternehmern, Wissenschaftlern und Politikvertretern unter der Moderation von Journalist Bernd Hilder situationsorientiert sachlich, und verirrte sich nicht in einen politischen Schlagabtausch zwischen Parteifronten. Die Wirtschaft sei zu einem Beitrag zur Integration von Zuwanderern bereit, müsse jedoch genügend Freiheit zum verantwortlichen unternehmerischen Handeln von der Politik zugestanden bekommen.

Foto: Karsten Seifert

die Spitze einer solchen Bewegung setze. Die digitale Infrastruktur erfordere Wissenschaft und Forschung über leistungsfähige Netze. Der Bund habe die Mittel für die Wissenschaft deutlich aufgestockt. Davon habe der Norden überproportional profitiert. Für eine Spitzenposition brauche es noch mehr Engagement der Landesregierungen ebenso wie Drittmittel aus der Wirtschaft. Dr. Philipp Murmann MdB, Unternehmer und Bundestagsabgeordneter, kam zur Schlussfolgerung, dass die Hanseregion auch bei Spitzenclustern und Forschungsprojekten stärker länderübergreifend denken sollte. Auf dem Podium „Norddeutschland als logistisches Drehkreuz: Ahrensburger Liste 4.0“ diskutierten unter der Moderation von Jens Broder Knudsen, Stellv. Landesvorsitzender Schleswig-Holstein, Reimer Böge MdEP, Enak Ferlemann MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Dr. Max Johns, Geschäftsführer Verband Deutscher Reeder, Dr. Peter Dill, Generalbevollmächtigter Deutsche See GmbH, und Michael Zeinert, Hauptgeschäftsführer Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg, über die Priorisierung der Ahrensburger Liste und die Möglichkeiten ihrer Realisation. Für die nördlichen Bundesländer ist die Verkehrsinfrastruktur der zentrale Wirtschafts- und Standortfaktor. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der großen Seehäfen entscheidet über den Wohlstand der Region. „Norddeutschland als Zentrum der regenerativen Energien: Anforderungen an das EEG 3.0“ – dieses Thema diskutierten unter der Moderation von Reinhold von Eben-Worlée, Geschäftsführender Gesellschafter Worlée-Chemie GmbH, Dr. Paul-Georg Garmer, Senior Manager Public Affairs, TenneT TSO GmbH, Ulf Gehrckens, Vice President Corporate Energy Affairs, Aurubis AG, Dr. Martin Grundmann, Geschäftsführer ARGE Netz GmbH & Co. KG sowie Dr. Ingo Luge, Vorsitzender der Geschäftsführung, E.ON Deutschland. Deutlich wurde, dass Deutschland und Europa dem Klimaschutz und dem Umbau der Energieinfrastruktur einen hohen Stellenwert einräumen müssen. Entscheidend seien verlässliche Rahmenbedingungen. Deutschland müsse raus aus der Isolation und eine wettbewerbsfähige EU-Energieunion vorantreiben. Trotz wichtiger Reformen werde bei der Energiewende weiter der Wettbewerb weiter ausgehebelt. Der Wirtschaftsrat fordert daher die Neuausrichtung der Energie- und Klimapolitik. Bildung als Teil der Infrastruktur? Was im ersten Moment ungewöhnlich klingt, ist praktisch von großer Bedeutung. Nur durch einen strategischen Aus- und Umbau des Bildungssystems kann Norddeutschland als Innovations- und Wissenschaftsstandort mit dem Süden Schritt halten. Das Podium „Innovations- und Bildungspolitik für Norddeutschland – Chancen für den Wirtschaftsstandort“ widmete sich unter der Moderation von Prof. Dr. Stefan Behringer, Präsident NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn, Stefan Dräger, Vorsitzender des Vorstands Drägerwerk AG & Co. KGaA, Prof. Dr. Dirk Loerwald, Geschäftsführer An-Institut Carl-von-Ossietzky-Universität, Lars Reger, VP R&D & New Business, NXP Semiconductors Germany GmbH und Thies Rixen, Vice President Sales & Purchasing Germany, T-Systems International GmbH, diesem Thema. Ergebnis: Nur ein Bildungssystem, das offen für den technischen Fortschritt ist, das Leistungsträger gezielt unterstützt und unternehmerischen Geist fördert, kann Grundlage für Wachstum und Wohlstand in Norddeutschland sein.

v.l.n.r. Mihajlo Kolakovic, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Thüringen, Dr. Michael Mertin, Vizepräsident Wirtschaftsrat, Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen, Bernhard Helbing, Geschäftsführender Gesellschafter, TMP Fenster + Türen GmbH

Gegenüber dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow formulierte der Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates, Mihajlo Kolakovic die Kernforderungen der Wirtschaft gegenüber der rot-rot-grünen Landesregierung. So müssten auf Landesebene die „neu angelegten Fesseln“, wie etwa das Thüringer Vergabegesetz und das Bildungsfreistellungsgesetz, wieder gelöst und auf Bundesebene der Mindestlohn bezogen auf Flüchtlinge überdacht werden. All dies setze jedoch als erstes eine geordnete Zuwanderung und Registrierung voraus. Dr. Wido Geis, Zuwanderungsexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft, adressierte an die Politik, dass die Flüchtlinge zuerst fachliches und umgangssprachliches Deutsch sprechen und verstehen müssten, um den Unternehmen ihre Integration in Arbeit zu ermöglichen. So müsse auf die bürokratische Vorrangprüfung verzichtet, die Hochschulbildung ermöglicht, die Abschiebung bei Beginn einer Ausbildung ausgesetzt und der Zugang zu Integrationskursen für Asylbewerber bereits nach drei Monaten gestattet werden. Pragmatisch schlug Thomas Kemmerich, Vorstandsvorsitzender der MASSON AG, „Talente-Scouts“ vor, die bereits bei Ankunft aktiv werden müssten. Mike Mohring, Thüringens CDU-Parteichef und Oppositionsführer, plädierte für realistische Bleibeperspektiven, was gegebenenfalls auch schnelle Abschiebungen bedeuten könne.

TREND 4/2015


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Berlin-Brandenburg Volkswirtekreis ins Leben gerufen Ein zentrales Anliegen des Wirtschaftsrates ist das Werben für eine bessere Wirtschaftspolitik in Deutschland und in Europa gemäß den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft. Die im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (1967) niedergelegten Ziele – Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum – werden zu oft verfehlt, der Mut zu durchgreifenden Reformen fehlt. Gerade die großen langfristigen Herausforderungen – Demografie, Energie und Umwelt, Staatsverschuldung und Europa – werden nicht oder nur sehr zögerlich angepackt. Die Volkswirte haben eine besondere Verantwortung im Sinne von Aufklärung der Öffentlichkeit und Mahnung an die politisch Verantwortlichen. Um den Austausch untereinander zu fördern und mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu diskutieren, rief Dr. Jürgen Pfister für den Landesverband Berlin-Brandenburg des Wirtschaftsrates den Berliner Volkswirtekreis in Leben.

Brüssel Brüssel und Berlin im Dialog Auf der Zielgeraden nach Paris, wo Ende des Jahres die UN-Klimakonferenz stattfinden wird, begrüßte der Landesvorsitzende Christof-S. Klitz Mitglieder der Arbeitsgruppe Umwelt der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag und des Wirtschaftsrates Brüssel zur fünften ‚Berlin-meets-Brussels‘-Veranstaltung. Gemeinsam mit Brüsseler Unternehmens- und Verbandsvertretern diskutierten die Arbeitsgruppenvorsitzende, Marie-Luise Dött MdB, und ihre Stellvertreterin, Dr. Anja Weisgerber MdB sowie Dr. Thomas Gebhart MdB, zentrale umweltpolitische Herausforderungen wie die bevorstehende Verhandlung

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Einzig durch Ausbildung und Beschäftigung könne der Integrationsprozess in die deutsche Gesellschaft ohne das Entstehen von Parallelgesellschaften erfolgreich verlaufen. Politische Rahmenbedingungen dürften das verantwortliche, unternehmerisch freie Handeln an dieser Stelle nicht blockieren. Schon ohne diese sei der Weg lang und mühsam und eher in Dekaden, als in Jahren zu bewältigen, sagte Mohring.

Wirtschaftsrat Brüssel im Gespräch mit Vertretern der Arbeitsgruppe Umwelt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion und Herwart Wilms, Geschäftsführer von REMONDIS

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der globalen Klimaschutzziele, den EU-Emissionshandel sowie die Abfall- und Kreislaufwirtschaft. Dabei waren sich die Teilnehmer einig, dass die Förderung eines ressourceneffizienten und nachhaltigen Europas mit ambitionierten, aber auch erreichbaren Klimazielen und einem gleichzeitigem Augenmaß für Wirtschaftlichkeit einhergehen und Ziel der nationalen und europäischen Umweltpolitik sein muss.

Sachsen Mittelstand: Industrie 4.0 aktiv gestalten

Wie vergleichbare Einrichtungen in Frankfurt und in München treffen sich die Chefvolkswirte von Verbänden der Kreditwirtschaft und von Industrie und Handel, Vertreter des Senats, der Industrie- und Handelskammer, der Bundesbank, großer Unternehmen und in Berlin ansässiger Forschungsinstitute dreimal im Jahr zu einer Aussprache und zum Gedankenaustausch. Themen sind unter anderem die sogenannte Investitionslücke in Deutschland, die Perspektiven für die Europäische Währungsunion oder die Erfahrungen im Euro-Raum mit der Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank.

4/2015 TREND

„Die Sorge um die Zukunft der Industrie müssen wir wandeln in die Industrie der Zukunft“, ist Prof. Dr. Werner Olle, Mitglied des Direktoriums des Chemnitz Automotive Institute sicher. Deutschland liegt mit einem Anteil der Verarbeitenden Industrie an der Bruttowertschöpfung von mehr als 22 Prozent weit über dem europäischen Durchschnitt. Aufgrund der Anforderungen des Marktes nach einer Individualisierung der Produktion, höherer Flexibilität mit geringen Stückkosten, hoher Wettbewerbsstärke sowie neuer Geschäftsmodelle und Arbeitswelten, bedarf es einer intelligenten Vernetzung zur Steuerung von Unternehmen und ganzen Wertschöpfungsketten in nahezu Echtzeit. Prof. Dr. Werner Olle geht auf der Mikro-Ebene von Produktivitätssteigerungen im Rahmen von Industrie 4.0 von bis

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zu 30 Prozent aus. Besonders den deutschen Mittelstand gilt es für die industrielle Zukunft zu sensibilisieren. Die zusätzlichen Wertschöpfungspotenziale werden laut dem Digitalverband Bitkom und der Unternehmensberatung Roland Berger bei 250 bis 400 Milliarden Euro für die deutsche Industrie bis 2025 gesehen. Volkswirtschaftlich rechnet die Boston Consulting Group mit einer Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes von plus ein Prozent pro Jahr bei international steigender Wettbewerbsfähigkeit trotz demographischen Wandels. Jedoch lässt sich das wirtschaftliche Potenzial von Industrie 4.0 nicht ohne den Mittelstand heben. Viele Unternehmen im sächsischen Mittelstand sind bereits weit, so Prof. Dr. Werner Olle. Aus Expertengesprächen mit Unternehmern der Region im Rahmen seines Projekts „Digitalisierung der Produktion in KMU“, weiß er, dass sie auf vielfältige Weise Projekte zur Vernetzung und Digitalisierung realisieren, aber die Strategie der kleinen Schritte praktizieren. Einige dieser Projekte stellte Dietke Clauß, Geschäftsführer der CARNET GmbH, am Beispiel der Auftrags- und Produktionssteuerung als Einstieg für auch kleine mittelständische Unternehmen vor. Ulrich Vellguth, Sprecher Sektion Zwickau, resümierte, dass für das Thema Industrie 4.0 neben den Themen smart-factory, plug-and-produce sowie Big Data eine zentrale Voraussetzung die jederzeit verfügbare Dateninfrastruktur sei. Insofern müsse der flächendeckende digitale Ausbau unbedingt beschleunigt werden und dürfe keinesfalls bei 50Mbit/s enden.

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v.l.n.r. Peter Löbus, Stellv. Vorsitzender Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft, Jens Hennicke, Vorsitzender Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft; Ministerpräsident Reiner Haselhoff, Dr. Michael Moeskes, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Sachsen-Anhalt

len Wissensströmen und einem zunehmenden Engpass des Arbeitskräftepotentials, insbesondere hochqualifizierter Fachkräfte erwachsen. Der politische Kurs im Gesamtsystem Gesundheitswirtschaft müsste in Richtung Effizienz, Innovation, Wachstum, Verantwortung, Kompetenz und Werthaltigkeit neu justiert werden. Die wichtigsten politischen Aufgaben sieht der Wirtschaftsrat Sachsen-Anhalt in der Sicherstellung des Zugangs der Bevölkerung zu qualitativ hochwertigen gesundheitswirtschaftlichen Dienstleistungen. Schwerpunktaufgaben seien u. a. die Berücksichtigung der Auswirkungen des demografischen Wandels.

Rheinland-Pfalz Positionspapier: Nördliches Rheinland-Pfalz – Region der Chancen

Sachsen-Anhalt Wirtschaftsrat übergibt Positionspapier Gesundheit an Ministerpräsident Haseloff Der Gesundheitswirtschaft kommt als Wachstumsmotor eine starke Bedeutung in Sachsen-Anhalt zu. Der Wirtschaftsrat Sachsen-Anhalt hat Ministerpräsident Reiner Haseloff deshalb ein Positionspapier seiner Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft überreicht. In der Gesundheitswirtschaft ergeben sich Herausforderungen, die nicht nur aus wachsenden Bedarfen im Gesundheitssystem des Landes, sondern auch aus neuen innovativen Technologien, den internationa-

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Die Landesfachkommission „Wirtschaftsregion Nördliches Rheinland Pfalz“ hat ein Positionspapier zur Zukunft der Region vorgestellt. Der Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates Frank Gotthardt und der Vorsitzende der Kommission HansJörg Assenmacher unterstrichen die Bedeutung des Themas: „Es geht darum, eine starke Region mit Chancen für die Zukunft zu präsentieren. Die Zukunft des nördlichen Rheinland-Pfalz entscheidet sich auch an der Attraktivität für Arbeitskräfte.“ Unternehmensgründer und Unternehmen, die stark wachsen, spüren schon heute diese Frage. Der Wirtschaftsrat ist der Überzeugung, dass in der Zukunft zur Sicherung und Dynamik in der Region viel gelernt werden muss. So schlägt er unter anderem die Gründung einer internationalen Schule zur Stärkung des Bildungsstandortes vor und fordert nicht nur den Bau der Mittelrheinbrücke, sondern eine weitere Querung zwischen Koblenz und Bonn. Starken Raum nimmt auch die digitale Entwicklung ein. Ein flächendeckender Netzanschluss mit höchster Ausstattung müsse ebenso Ziel für das nördliche Rheinland-Pfalz sein wie die Förderung von Start-ups.

TREND 4/2015


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Baden-Württemberg Wirtschaftswasn: Voller Erfolg Fast 200 Anmeldungen zählte der Wirtschaftswasn – eine vielbeachtete Traditionsveranstaltung der Sektion Stuttgart, die gleichermaßen Unternehmer und Politiker lockt. Bei Göckele und Gerstensaft diskutierten sie über Lokales, Wirtschaft und Politik, unter anderem mit Redakteur Ingmar Volkmann von der Stuttgarter Zeitung. Letzterer gab in diesem Rahmen auch Hörproben seines neuen Buches „55 1/2 Orte auf dem Wasen“, in dem er facettenreich Menschen, Attraktionen und Kultur des riesigen Volksfestes beschreibt. Gastgeber Daniela und Karl J. Maier, Festzelt Göckelesmaier, erneuerten prompt ihre Einladung an den Wirtschaftsrat für nächstes Jahr, was wiederum Sektionssprecher Joachim Rudolf und Landesgeschäftsführer Daniel Imhäuser freute.

nehmen von der Deutschen Börse verabschiedet, gegenüber gerade rund 100 Neuzugängen. „Weniger als 700 gelistete Unternehmen sind sichtbares Zeichen für das langsame Sterben des Kapitalmarkts für mittelständische Unternehmen in Deutschland“, so Stewens. Die Gründe hierfür seien vielfältig. „Unser Ziel ist es, die Attraktivität des deutschen Kapitalmarktes für mittelständische Unternehmen zu steigern, ihren Exodus von den Börsen zu reduzieren und Neuzugänge zu erleichtern. Ein funktionierender Eigenkapitalmarkt ist wichtig für Hessen und Deutschland. Er kann systemische Risiken erheblich reduzieren, macht die Unternehmen stabil gegen Krisen und kann die Finanzierungslücke für Gründer schließen. Funktionen, die heute mehr denn je gefragt sind und die zu fördern es sich lohnt“, sagte Stewens.

Hamburg

Joachim Rudolf, Karl J. Maier, Daniela Maier, Ingmar Volkmann, Daniel Imhäuser, Steffen Beck, Dr. Stefan Kaufmann MdB

Hessen

Foto: Thomas Stewens

Arbeitskreis Banken & Börse wiederbelebt Der hessische Arbeitskreis Banken & Börsen wurde wiederbelebt: Unternehmer, Finanzmarktexperten und Banker vereint dabei die Sorge um die Zukunft des mittelständischen Kapitalmarktes in Deutschland. „Anders als in anderen entwickelten Volkswirtschaften, befindet sich der deutsche Kapitalmarkt in besorgniserregendem Zustand“, erklärt Thomas Stewens, Vorstand der BankM, neuer Vorsitzender des Arbeitskreises. Annähernd unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich seit 2008 über 1.100 zumeist Thomas Stewens mittelständische Unter-

4/2015 TREND

Deutschland steht im Fokus des seit Monaten andauernden Flüchtlingszustroms. Inner- und zwischenparteilich wird mit teils harten Bandagen um Lösungen gerungen. Als Ministerpräsidentin des Saarlandes ist Annegret Kramp-Karrenbauer mittendrin im Geschehen. Beim Wirtschaftsrat Hamburg sprach sie über die Herausforderungen der Flüchtlingskrise und stellte sich den Fragen der Mitglieder. „Die Hauptaufgabe, die vor uns liegt, wird das Thema Integration sein“, erklärte die Politikerin. Dies betreffe vor allem das Lernen der deutschen Sprache und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Hier sieht sie auch die Unternehmen gefordert, „dass sie wirklich den engen Schulterschluss suchen“ mit Behörden und Arbeitsverwaltung. Viele Unternehmer seien bereit, Flüchtlinge über Praktika oder Ausbildungsplätze aufzunehmen, aber die bürokratischen Hürden verhinderten dies. Kramp-Karrenbauer appellierte, der Politik konkrete Hürden aufzuzeigen und Beispiele zu nennen, damit Bundestag und Bundesrat die Gesetze so anpassen, dass „wir die Dinge positiv verändern können.“ Gleichzeitig machte die Ministerpräsidentin deutlich, dass der Flüchtlingszustrom besser geordnet und begrenzt werden müsse. Das deutsche Asylrecht Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerpräsidentin sei eine Medaille mit zwei des Saarlandes Seiten: Wer anerkannt wird, solle bleiben können und schnell integriert werden. Wer aber kein Recht auf Asyl habe, müsse das Land schnell und konsequent wieder verlassen. Im Anschluss nutzte das Publikum die Gelegenheit, der Ministerpräsidentin kritische Fragen zur Flüchtlingsthematik zu stellen. Dabei ging es unter anderem um die Rolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, um die langfristige Entwicklung der Arbeitsmarktsituation und die „Leitkultur“-Debatte.

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Foto: Wirtschaftsrat

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#refugeeswelcome: Warum es so einfach nicht ist


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Bremen

Niedersachsen

Innovative Raumfahrt made in Bremen

Wettbewerbsfaktor Gesundheit

Impressum Herausgeber: Werner Michael Bahlsen, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V. Redaktion: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redakteurin Wissenschaftliche Beratung: Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de Projektleitung: Information für die Wirtschaft GmbH Geschäftsführerin: Iris Hund (v.i.S.d.P.) Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-401, Telefax 0 30 / 2 40 87-405

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Zum Thema „Wettbewerbsfaktor Gesundheit“ kamen Mitglieder des Wirtschaftsrats bei der Deutschen BKK in Wolfsburg zusammen. Nach einführenden Worten des stellvertretenden Landesvorsitzenden des Wirtschaftsrates, Dieter Lorenz, brachte BKK Vorstandsmitglied Gerhard Stein den Gästen den Wettbewerbsfaktor Gesundheit mit dem Schwerpunkt neues Präventionsgesetz näher.

Foto: Wirtschaftsrat

Foto: Wirtschaftsrat

Warum Raumfahrt in Bremen? Das Land vereint in Europa auf einzigartige Weise eine Kompetenz und Vielfalt in Raumfahrtthemen bei gleichzeitig extrem kurzen Wegen. Mit etwa 100 Firmen und rund 12.000 Beschäftigten ist Bremen einer der bedeutendsten Luft- und Raumfahrtstandorte in Deutschland. Die Vielfalt von Forschung und Entwicklung sowie Produktion in Bremen reicht von Kleinsatelliten bis hin zum Weltraumlabor. Dazu kommt die enge Zusammenarbeit der Universitäten vor Ort mit der Branche. Begeistert berichtete Claudia Kessler, CEO von HE Space, dem Wirtschaftsrat von einem Start-Up Weekend Space, das rund 80 Teilnehmer aus 18 Nationen nach Bremen geholt hat. Dort wurden verschiedene Ideen für Unternehmensgründungen erarbeitet und am Ende dem Plenum vorgestellt. Aus allen Ideen wurden drei Sieger gekürt, die durch verschiedene Coachings die Möglichkeit haben, ihre Unternehmensideen auszuweiten. Dieser Erfolg soll in einem weiteren Programm (#DisruptSpace) fortgesetzt werden. Hier erhalten junge Raumfahrt-Pioniere erneut die Chance, zusammenzuarbeiten und Ideen weiterzuentwickeln. Dies soll jungen Unternehmern aus der Luft- und Raumfahrtindustrie die Vorzüge eines solchen Clusters aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung am Standort Bremen aufzeigen. Auf dem BusinessFrühstück hatten erfahrene Unternehmer die Gelegenheit, junge Entrepreneure und ihre konkreten Bedürfnisse näher kennenzulernen und sich gegenseitig auszutauschen.

Sebastian Kubalski, Fachbereichsleiter, Deutsche BKK; Dieter Lorenz, Stellvertretender Landesvorsitzender, Wirtschaftsrat Niedersachsen; Gerhard Stein, Mitglied des Vorstands, Deutsche BKK; Katja Rothe, Bettina-Harms GmbH; Martin Möhrmann, Spedition Gübau; Christian Degenhardt, Deutsche BKK; Jan Christian Janßen, Landesgeschäftsführer, Wirtschaftsrat Niedersachsen

Bereichsleiter Sebastian Kubalski referierte zum Thema betriebliches Gesundheitsmanagement, welches durch eindrucksvolle Beispiele aus der Praxis greifbar wurde. Ein besonderer Dank geht hier an den Ambulanten Pflegedienst Schwester Annemarie und die Spedition Gudau.

Bankverbindung: Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380 Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH Anzeigenkontakt: Katja Sandscheper, Telefon 0 30 / 2 40 87-301 Gesamtherstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück Telefon 05 41 / 9 59 00-0, Telefax 05 41 / 9 59 00-33 Erscheinungsweise: quartalsweise Anzeigenpreise: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 17 Bestellungen: Beim Verlag Bezugsbedingungen: Einzelpreis 7,50 Euro (einschl. MwSt.) Jahresabonnement 25,– Euro (einschl. MwSt.), zzgl. Versandkosten. Abonnements (vier Ausgaben) werden für ein Jahr berechnet. Kündigungen müssen sechs Wochen vor Ablauf des Abonnements schriftlich vorliegen, andernfalls verlängert es sich für ein weiteres Jahr.

TREND 4/2015


Die Welt vom 26.11. 2015: „Rote, grüne und dunkelrote Kräfte in den Landesregierungen träumen von einem regionalen Wettbewerb um die Frage, auf welchem Weinberg und welchem Schwarzwaldhügel der beste Windradstandort ist. Wenn sich das durchsetzt, sehe ich angesichts der ausufernden Kosten schwarz für unser Industrieland“, kritisierte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, die geforderte Regionalisierungskomponente für Windkraftstandort-Ausschreibungen. In der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.11.2015: Gegenüber dem Blatt positionierte Präsident Werner M. Bahlsen: „Wir müssen in Deutschland keine Asyl- und Einwanderungsregeln neu erfinden. Anerkannte Demokratien wie die Einwanderungsländer Australien und Kanada oder unser Nachbar Schweiz haben sie erfolgreich erprobt. Und in Deutschland? Hier streitet die Große Koalition über jeden Trippelschritt. Vertrauen flößt das nicht ein. Denn mit der aktuellen Bewältigung der Flüchtlingskrise sind die „großen Fragen“ längst nicht beantwortet. Die Welt vom 21.11.2015: „Die Große Koalition hinkt mit ihren beschlossenen Maßnahmen hinter den Folgen der Flüchtlingskrise her“, sagt der Präsident des Wirtschaftsrates, Werner Bahlsen. Es sei überfällig, die Zuwanderungszahlen durch eindeutige Maßnahmen und Botschaften nachhaltig deutlich zu begrenzen. „Die spezielle Sogwirkung nach Deutschland ist auch Ergebnis von hier ausgesendeter Signale.“

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ImSpiegel der Presse

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Die Rheinische Post vom 02.11.2015: Generalsekretär Wolfgang Steiger sagte im Interview mit der Rheinischen Post: „Das Rentenpaket hätte nicht verabschiedet werden dürfen. Es handelt sich dabei um reine Geschenke.“ Zudem ist es „völlig kontraproduktiv gewesen, Hunderttausende von Fachkräften vorzeitig in Rente zu schicken. Eine ehrliche Aussage wäre, dass wir das Renteneintrittsalter mit der höheren Lebenserwartung in der Zukunft eher auf 70 Jahre erhöhen müssen.“ Gefunden am 19.10.2015 in der Welt am Sonntag: „Seit Monaten diskutiert ein ‚Bündnis für bezahlbares Wohnen‘ aus Politik und Wirtschaft über günstigen Neubau von Wohnungen in den Städten. Die Flüchtlingswelle macht die Aufgabe noch dringender. Der Wirtschaftsrat hat einige deutliche Forderungen an das Bündnis vorgelegt: So solle der Kauf von Grundstücken für Flüchtlingsunterkünfte und Studentenwohnheime von der Grunderwerbsteuer befreit werden. Generell dürfe Bauland nicht nach dem Höchstbieterverfahren verkauft werden. Kommunale Auflagen, die teils noch aus den 1960er-Jahren stammen, müssten weg.“ Am 24.09.2015 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung: Präsident Werner M. Bahlsen, hat Korrekturen an der Erbschaftsteuerreform eingefordert. Ziel muss es sein, wenigstens die „gröbsten handwerklichen Fehler“ zu beseitigen. „Es ist absurd, dass wir für ein Aufkommen von fünf Milliarden Euro einen Aufwand von 2,5 bis 3 Milliarden Euro nur in der Staatsverwaltung haben.“ Die Kosten der Unternehmen seien dabei noch nicht berücksichtigt. Im Tagesspiegel am 15.09.2015: „Nicht nur Wolfgang Schäuble ist der Auffassung, dass die Rettungspolitik in Europa längst an ihre Grenzen stößt. Eine Insolvenzordnung für Staaten ist ein zentraler Baustein für die Reform der Währungsunion. Ein Vorschlag, den der Wirtschaftsrat – was er zu Recht für sich reklamiert – seit Jahren fordert. Bloß wollte all die Jahre keiner etwas davon wissen, solche Ideen galten auch in Unionskreisen als defätistisch.“

Handelsblatt vom 18.11.2015: Arbeitsministerin Nahles setze „ihren Kurs der Staatseingriffe unbeirrt fort“, kritisierte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Der Kündigungsschutz in Deutschland sei viel strikter als in anderen Industriestaaten. „Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen zumindest durch den Einsatz von Zeitarbeitern mit der Auftragslage atmen können.“

4/2015 TREND

©Klaus Stuttmann

Auf Handelsblatt Online am 09.11.2015 entdeckt: „Ein flächendeckend schnelles Internet muss in einem Industrieland zur infrastrukturellen Basisausstattung gehören“, sagte der Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrates, Dr. Alexander Bode, gegenüber dem Portal.

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5,2

44,9 Staatslasten bei Industriestrompreisen: Mit 44,9 Prozent ist Deutschland mit weitem Abstand Spitzenreiter in der Europäischen Union. Italien folgt mit 32,2 Prozent auf Platz 2.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer für die Bearbeitung von Asylanträgen dauert immer noch 5,2 Monate. Damit ist die Bundesregierung von der mit dem Flüchtlingsstrom von vermutlich allein in diesem Jahr 1,5 Millionen Menschen jetzt angestrebten Quote von drei Monaten nach wie vor weit entfernt. Quelle: Tagesschau/ARD

Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft

Zahlen des Quartals 47 Die vom Staat verursachten jährlichen Bürokratiekosten bei deutschen Unternehmen betragen 47 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Bulgarien.

2.900.000.000

Quelle: ATKearney

Diese Summe in Euro könnten deutsche Kommunen durch die Digitalisierung ihrer häufigsten Verwaltungsprozesse sparen. Quelle: Handelsblatt

1,8 Noch nicht einmal zwei öffentlich zugängliche WLAN-Hotspots gibt es in Deutschland statistisch betrachtet pro 10.000 Einwohner. In Frankreich sind es fünf und in Südkorea 37. Quelle: ECO – Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.

63 Kleine und mittlere Unternehmen in der EU wenden im Schnitt 173 Arbeitsstunden für ihre Steuererklärung auf. In Deutschland liegt der durchschnittliche Mittelständler bei 218 Stunden während Schweizer Unternehmen mit 63 und Firmen in Norwegen mit 83 Stunden auskommen.

Die globale Karriere der Aussage „Wir schaffen das“ belegt eindrucksvoll, markante Botschaften gehen schneller um die Welt, als es sich die Absender und viele professionelle Kommunikatoren vorstellen können. Dieser Satz war wie viele andere in diesem Sommer und Herbst vor allem an das deutsche Publikum gerichtet. Pegida & Co. heizen als Trittbrettfahrer die Stimmung an, „Pack“ griff Flüchtlingsheime an – und die Bundeskanzlerin wollte dem eine positive innenpolitische Botschaft entgegensetzen. So weit, so gutgemeint. Die Wirkmächtigkeit dieser und anderer Aussagen aus der deutschen Politik, die kurzfristige Öffnung der Grenze zuvor, entfaltete sich im Internet bis in entlegene Orte im Nahen Osten und am Hindukusch. Wenn es vorher schon nicht allzu schwer recherchierbar war, dass Deutschland neben Schweden für die höchsten Leistungen, längsten Verfahrenswege und die seltensten Zurückführungen abgelehnter Bewerber stand, steckt hier das „Geheimnis“ der aktuellen Sogwirkung, die unser Land ausübt. Die tausendfach verbreiteten Botschaften und Bilder könnten nur durch ebensolche dementiert werden. Davor schreckt man hierzulande zurück – und überlässt es Ungarn, Kroaten oder Mazedoniern für unfreundliche Bilder zu sorgen. Europäische Aufgabenteilung: für die Moral bleibt Deutschland zuständig.

Quelle: Studie Paying Taxes, Weltbank/PWC

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TREND 4/2015

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Kraftstoffverbrauch kombiniert 6,1–3,4 l/100 km; CO2-Emission kombiniert 141–90 g/km (gemäß VO (EG) Nr. 715/2007). Effizienzklasse C–A+

• Proil: Iso Coated v2 • 4C • 1ed


Was der Sozialismus nicht schaffte, schaffen andere: Einheitsprodukte. Die Einführung von Einheitsprodukten mit großen Schockbildern, standardisierten Verpackungen oder gar mit Verbot von Markenlogos ist nicht allein ein Problem der Tabakbranche. Sind erst Tabakprodukte zu einer neutralisierten Verpackung ohne produktspezifische Angaben gezwungen, müssen auch Alkohol-, Süßwaren- oder Fast-Food-Hersteller den Verlust ihrer Markenrechte und Produktvielfalt fürchten. Das wirft fundamentale Fragen in der Industrieund Ordnungspolitik auf und kommt einer Beschneidung von Grundrechten von Unternehmen gleich. Marken sind allen Branchen ein wertvolles Gut, denen durch Vereinheitlichung jedoch die Identität geraubt wird. Auch der erwachsene Verbraucher wird so weiter entmündigt. Dabei sind Konsumenten auch ohne staatliche Gängelung lebenstauglich: Nach einer repräsentativen dimap-Umfrage fühlen sich 94 Prozent der Deutschen gut oder sehr gut über gesundheit-

liche Risiken des Rauchens informiert und verspüren kein Informationsdefizit zu den Gefahren des Tabakkonsums. Wir meinen daher: Vielfalt statt Einheitsbrei. Es braucht weder neue Verbote für Genussmittel noch Einheitsverpackungen und vereinheitlichte Konsumgüter. Denn damit steigt nur die Produktpiraterie. www.zigarettenverband.de


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