TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 2/2015

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37. JAHRGANG 2 / 2015

Vorsprung

INDUSTRIE 4.0 ausbauen:

Digitale Autobahnen beschleunigen AUSSENANSICHT

Deutschland geht es (zu) gut ERBSCHAFTSTEUERREFORM

Verfassungsrechtliches Gutachten zeigt Spielräume der Großen Koalition ZUWANDERUNG

Gesetz jetzt modernisieren



Foto: Jens Schicke

EDITORIAL

Prof. Dr. Kurt J. Lauk Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

lles hat seine Zeit. Nach 15 Jahren als Präsident des Wirtschatsrates ist dies mein letztes Editorial. Ich schaue auf eine spannende Zeit zurück, gleichzeitig freue ich mich auf ein bisschen mehr Freizeit und neue Aufgaben. Heute halten Sie unser Wirtschatsmagazin Trend in einer moderneren Aufmachung in der Hand. So wollen wir dieses „Magazin für Soziale Marktwirtschat“ aufwerten. Die Idee der Sozialen Marktwirtschat ist freilich so aktuell wie eh. Und unser Wirtschatsrat ist gerade heute in unserem Land so wichtig wie lange nicht. Deutschland leistet sich eine wachsende Technikfeindlichkeit gegen Neues. Die tonangebenden, lautstarken Minderheiten hätten früher wahrscheinlich auch die Einführung der Eisenbahn oder des Autos verboten. Gleichzeitig droht mit der übermotivierten Energiewende immer die De-Industrialisierung unserer führenden Industrienation in Europa. Sonderfaktoren wie die Euro-Schwäche, niedrige Zinsen und das preiswerte Erdöl übertönen die Stagnation, sorgen für eine Wohlfühlatmosphäre bei immer noch mehr

Titelbild: Fotolia.com ©eevl

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Beschätigung und steigenden Steuereinnahmen. Das wird nicht so bleiben. Auch die Euro-Krise birgt noch große Risiken. Griechenland selbst wäre unsere geringste Sorge, wenn die Reformunfähigkeit und -unwilligkeit Athens sich nicht als Negativ-Vorbild auf die gesamte EU-Innenpolitik auswirken würde. Tsipras, Varoufakis &

Deutschland leistet sich eine wachsende Technikfeindlichkeit gegen Neues. Co. leiten Wasser auf die Mühlen der Europa-Gegner von Front Nationale, über UKIP bis hin zu Wahren Finnen. Für unseren Wirtschatsrat bleibt deshalb in Deutschland und Europa viel zu tun. Wir müssen – das Kompetenzzentrum hat es wieder gezeigt – noch erhebliche Anstrengungen unternehmen, die Digitale Agenda zum Erfolg zu bringen und die Chancen für unser Land und unseren Kontinent zu nutzen.

Von Ihnen verabschiede ich mich mit dem guten Gefühl, mit Werner M. Bahlsen einen Nachfolger gewonnen und der Mitgliederversammlung vorgeschlagen zu haben, der unseren Wirtschatsrat weiter voranbringen kann. Werner M. Bahlsen bereichert seit Jahren durch seine klaren Positionen unser Präsidium und ist als Vorsitzender der Bundesfachkommission Familienunternehmen inhaltlich stark engagiert. Ich wünsche ihm und dem neugewählten Präsidium wie dem Bundesvorstand eine gute und glückliche Hand und viel Erfolg. Bei Ihnen, liebe Mitglieder und Freunde des Wirtschatsrates, bedanke ich mich für 15 Jahre breiter Unterstützung und großes Engagement in unserer „Mitmach-Organisation“.

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INHALT

Inhalt

8 TITEL Vorsprung Industrie 4.0 ausbauen: Digitale Autobahnen beschleunigen Die Digitalisierung ist zum wichtigsten Wachstumstreiber geworden. Die Bundesregierung ist deshalb gefragt, die richtigen Schwerpunkte bei der Umsetzung der Digitalen Agenda zu setzen. Nur dann kann Deutschland digitales Wachstumsland Nummer Eins in Europa werden.

TITEL

AKTUELL

INTERNET UND DIGITALE WIRTSCHAFT 8 Investment in Innovation: Schnelle Datenautobahnen bauen

ERBSCHAFTSTEUERREFORM 28 Gesetzgeber muss Gestaltungsspielräume nutzen BETRIEBLICHE ALTERSVORSORGE 30 Wandel schafft Chancen  Anja Karliczek MdB

10 Industrie 4.0 – Deutschland hat die Chance auf eine Spitzenposition  Prof. Dr. Johanna Wanka 12 Die Digitalunion: Chance für Europas Wirtschaft  Günther H. Oettinger 14 Gründerkultur: Dorffußball gegen Champions League 16 Ein digitales Wirtschaftswunder entfesseln  Interview mit Philipp Justus, Google 18 Innovative Netze: Finanzierung, Wettbewerb und Netzneutralität sicherstellen 20 Disruptive Innovationen: Perspektiven für das Internet im 21. Jahrhundert entwickeln

6 AUSSENANSICHT Die Großmeisterin der Preise Deutschland geht es gut. Man müsste sich keine Sorgen machen, wäre da nicht eine übermächtige Bundesregierung, deren Gesetzgebungsmaschinerie von keiner Opposition gebremst wird und bislang auch nicht von konjunkturellen Warnsignalen.

START EDITORIAL 3  Prof. Dr. Kurt J. Lauk AUSSENANSICHT 6 Die Großmeisterin der politischen Preise  Heike Göbel

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22 Digital Health: Chancen für Patienten und das deutsche Gesundheitssystem nutzen! 24 Industrie 4.0: Kann sich Deutschland die Pole Position sichern?

CHINESISCHE INVESTOREN IN DEUTSCHLAND 32 Wechselseitige Erfahrungen  Prof. Dr. Ulrike Reisach ZUWANDERUNG 34 Die doppelte Dividende nutzen für ein neues Zuwanderungsgesetz  Prof. Dr. Michael Hüther ZEITARBEIT 36 Neue Einschränkungen sind überflüssig und gefährden die Tarifautonomie  Interview mit Sven Kramer, iGZ ARBEITSMARKT 38 Berufstätig mit Rheuma  Prof. Dr. med. Erika Gromnica-Ihle BILDUNG 40 Kein Widerspruch: Mehr Bildungsgerechtigkeit und qualifizierte Auszubildende  Philip Ihde

26 Wie nutzt Deutschlands Wirtschaft die Chancen der industriellen Revolution?

28 ERBSCHAFTSTEUERREFORM Verfassungsrechtliches Gutachten: Gesetzgeber muss Gestaltungsspielräume nutzen Seit die Eckpunkte für die Reform der Erbschaftsteuer im Raum stehen, sind mittelständische Unternehmer in Aufruhr. Der Wirtschaftsrat hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen. Fazit: Der Gesetzgeber muss die Entscheidung keineswegs so restriktiv auslegen wie er es derzeit tut.

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INHALT

WIRTSCHAFTSRAT INNENANSICHT 42 Neues aus den Kommissionen SOZIALE MEDIEN 44 Mehr als bloße Präsenz STANDPUNKT STEIGER 45 Investieren in Infrastrukturen VERKEHRSINFRASTRUKTUR 46 Effizienz in der Verkehrswegefinanzierung  Dr. Werner Kook KLIMAPOLITIK 48 Ohne Paris kein internationales Klimaabkommen  Dr. Wolfgang Große Entrup DEUTSCH-TÜRKISCHE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN 50 Dialog im Zeichen der deutschen G7- und der türkischen G20-Präsidentschaft

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VIP-LOUNGE 52 Relaunch des exklusiven Mitgliederbereichs JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 54 Mit eGovernment Bürokratie abbauen ENGAGEMENT 56 Stärken Sachsen-Anhalts deutlich herausstellen  Dr. Michael Moeskes

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 58 Rückblick – Einblick – Ausblick 64 Impressum FORUM 65 Im Spiegel der Presse 66 Zahlen des Quartals | Spindoktor

34 ZUWANDERUNG Die doppelte Dividende für ein neues Gesetz nutzen Die geringere Zuwanderung aus NichtEU-Staaten belegt, dass Deutschland handeln muss. Die Zuwanderung aus demografiestarken Weltregionen setzt nicht einfach ein. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Netzwerke von Migranten bilden, die Wanderungsbewegungen anziehen.

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AUSSENANSICHT

Deutschland geht es gut. Man müsste sich keine Sorgen machen, wäre da nicht eine übermächtige Bundesregierung, deren Gesetzgebungsmaschinerie von keiner Opposition gebremst wird und bislang auch nicht von konjunkturellen Warnsignalen. Text: Heike Göbel

er wissen will, wie es Deutschland geht, muss keine Daten studieren. Er kann die Wachstumsprognosen getrost ignorieren, auch Arbeitslosenraten, Tarifabschlüsse oder den Zuwachs der Steuereinnahmen. Einen verlässlichen Indikator für die Konjunktur liefern die wirtschatspolitischen Debatten im Land. Wenn der Deutschlandfunk zur besten Sendezeit

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Die Großmeisterin der sonntagmorgens ungebremst Kapitalismuskritiker aufmarschieren lässt, wenn in den Talkrunden zunehmend Luxussorgen thematisiert werden – Burnout, Git in Nahrungsmitteln – und wenn sich an Rhein und Ruhr Menschenketten besorgter Klimaschützer bilden, um ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze oder Strompreise nach den Atomkratwerken auch den Kohlekratwerken den Stecker zu ziehen – dann, ja dann geht es Deutschland wirklich gut. Mehr Beispiele gefällig? Nirgendwo wird das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten härter bekämpt als beim Export-Vizeweltmeister Deutschland. Und zum „Tag der Arbeit“ darf der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschatsbundes, Reiner Hofmann, im Staatsfernsehen in seiner Maianspra-

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che „menschengerechte Arbeit“ fordern, als lebe man nach 125 Jahren Gewerkschatskampf in einem Land furchtbarer Ausbeutung. Die unsichtbare Dynamik des Mindestlohns ist gefährlich Diese Debatten könnte man entspannt verfolgen, in der Gewissheit, dass sie im nächsten Abschwung schlagartig verschwinden, weil es Wichtigeres zu tun gibt. Wäre da nicht eine übermächtige Bundesregierung, deren Gesetzgebungsmaschinerie in dieser Wahlperiode von keiner Opposition gebremst wird und bislang auch nicht von konjunkturellen Warnsignalen. Eine Bundesregierung, in der eine große und eine mittelgroße Partei entschlossen sind, sich im Streben um sozialpolitische Gefälligkeiten nicht vom anderen übertrumpfen zu lassen.

Was die Sozialpolitik der Großen Koalition so gefährlich macht, ist nicht nur der lange nachwirkende sichtbare Kostenschub durch die neuen Leistungen in der Renten- und Plegeversicherung, die die Sozialbeiträge und damit die Arbeitskosten belasten. Als wirtschatlich schädlicher könnte sich die unsichtbare Dynamik erweisen, die der gesetzliche Mindestlohn auslöst, der nach und nach alle Tarilöhne nach oben drücken wird. Hinzu kommt die schleichende Verteuerung der Arbeit durch allerlei Einschränkungen des lexiblen Arbeitseinsatzes, etwa die neuen Teilzeitansprüche, ob zur Kinderbetreuung oder zur Plege von Angehörigen. Geplant sind Regeln zur Begrenzung der Zeitarbeit, obwohl diese Beschätigungsverhältnisse durch Tarifverträge nun ausreichend abgesichert sind. Eindämmen

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Foto: Bundesregierung/Plambeck

AUSSENANSICHT

ventionslüsse regeln immer größere Teile der Produktion. Marktpreise sind aber kein Fetisch „neoliberaler“ Ökonomen. Sie bündeln die täglichen Wirtschatsentscheidungen aller Bürger und zeigen damit ihre wahren Bedürfnisse an. Sie zeigen, welche Güter und Dienste knapp sind. So erfahren Unternehmer, wo sich Investieren und Forschen – zum Beispiel nach günstigen Energieformen – oder das Bauen – neuer Wohnungen – lohnt. Immer wenn die Politik in diesen Mechanismus eingreit, verteilt sie Geld um: vom Vermieter zum Mieter, vom Unternehmer oder Kunden zum Mindestlohnempfänger, vom Stromnutzer zum Windmüller. Das ist politisch attraktiv, weil diese Transfers nicht aus dem öfentlichen Haushalt kommen und die Einhaltung der

politischen Preise

Die Regierung will den Wert von Berufsfeldern feststellen In Vorbereitung sind schon neue gleichstellungspolitisch motivierte Vorschriten. Sie zielen auf die bessere Entlohnung von Arbeitsplätzen, die vor allem Frauen innehaben, das betrit den Einzelhandel, Plege- und Kinderbetreuung oder das Hotelge-

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werbe. Die Regierung hat sich vorgenommen, den „Wert von Berufsfeldern“ festzustellen. Der schon mit dem Mindestlohn krätig ausgeweitete Einluss des Staates in der Lohnindung soll also noch weiter ausgedehnt werden. Doch politisierte Löhne sind marktferne Löhne, sie verzerren den Wettbewerb, eines der wichtigsten Prinzipien der Marktwirtschat. Nicht allein die Eingrife in den Lohnmechanismus bestätigen, dass der Sachverständigenrat sein letztes Gutachten zu Recht mit der Forderung nach „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“ überschrieben hat. Mit der gesetzlichen Mietpreisbremse hat die Koalition ein neues staatliches Instrument zur Preislenkung geschafen. Für die Energieversorgung gilt auch nach der Reform der Einspeisevergütung: Nicht Marktpreise sondern Sub-

Heike Göbel Verantwortliche Redakteurin Wirtschaftspolitik Frankfurter Allgemeine Zeitung Foto: FAZ

wollen Union und SPD selbst die Nutzung von Werkverträgen, einem Instrument, das Unternehmen auch hilt, mit dem starren Kündigungsschutz zurechtzukommen. Während die Bundeskanzlerin die Wirtschat dringlich ermahnt, ihre Unternehmen auf die Erfordernisse der lexiblen, vernetzten, digitalisierten Produktion auszurichten, zerstört ihre Regierung die Möglichkeiten einer beweglichen Nutzung der knappen Arbeitskräte.

Schuldenbremse erleichtern. Doch gefährdet es den Wohlstand, wenn das Geld auf immer mehr Märkten nicht den Weg dahin indet, wo es volkswirtschatlich den größten Nutzen stitet. Die Große Koalition ist auch Großmeisterin politisch administrierter Preise. Damit nimmt sie Deutschland Wachstumschancen. Im Aufschwung fällt das nicht auf. Im Abschwung könnte Deutschland an l diesem Erbe schwer tragen.

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Foto: Fotolia.com ©Silvano Rebai

TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

Investment in Innovation Schnelle Datenautobahnen bauen Die Digitalisierung ist zum wichtigsten Wachstumstreiber geworden. Die Bundesregierung ist deshalb gefragt, die richtigen Schwerpunkte bei der Umsetzung der Digitalen Agenda zu setzen. Nur dann kann Deutschland digitales Wachstumsland Nummer Eins in Europa werden.

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ir beinden uns mitten in einer Zeitenwende“, erklärte Prof. Dr. Kurt J. Lauk,

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Präsident des Wirtschaftsrates, zum Autakt des sechsten Kom-

petenzzentrums Deutschlands und machte auf die zentrale Bedeutung des digitalen Wandels für Wirtschat und Gesellschat aufmerksam. „Die vierte industrielle Revolution entscheidet nicht nur über die Geschätsmodelle der Zukunt, sondern auch über die Sieger in einem neuen Wettbewerb der Kontinente“, erklärte der Ratspräsident. Das Verständnis von Industrie werde sich in den nächsten Jahren so fundamental verändern wie nie-

mals zuvor in der Geschichte. Ganze Branchen und Wertschöpfungsketten würden küntig um ihre Position im Wettbewerb ringen. „Das Disruptionspotenzial der digitalen Revolution ist enorm“, sagte Lauk. Einige Branchen wie der Einzelhandel seien davon bereits stark betrofen. „Andere Branchen, in denen wir stark sind, wird es auch noch erwischen: Banken, Pharma, die Automobilindustrie, die Landwirtschat: Alles was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert werden“, prophezeite Lauk. Noch sei Deutschland weltweit die Nummer Eins im Maschinen- und Anlagebau. Doch erste Sorgen würden

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

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Bundesfachkommission Internet und Digitale Wirtschat. „Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, hat der Wirtschatsrat ein ,Digitales Haus‘ entwickelt. Und es geht nur mit vereinten Kräten, dieses so schnell wie möglich zu bauen.“ Wirtschat, Politik und Nutzer müssten nun die Fundamente legen, um darauf unsere Sozial- und Wirtschatsstruktur so

Fotos: Jens Schicke

den Köpfen der politischen Entscheibereits artikuliert. „Es wird uns jedoch der und der Unternehmensführer annicht helfen, große US-Unternehmen gekommen.“ Die positiven Entwickmit dem Kartellrecht zu bekämpfen“, lungen sollten allerdings nicht den mahnte Lauk. „Sondern allein, unsere Blick darauf verstellen, dass es noch eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärerheblichen Handlungsbedarf gebe. ken.“ Nach einer IDC-Studie für Microsot Die größten Deizite liegen nach sagten zwar 80 Prozent der Mittelden Worten Lauks derzeit in der Entständler, dass Informationstechnolowicklung von IT- und Sotware-Ungie einen immer größeren Einluss auf ternehmen. Bislang nutzten vor allem große amerikanische und asiatische Unternehmen das gigantische Wirtschaftsrats-Präsident Wachstumspotenzial von Prof. Dr. Kurt J. Lauk eröffnet „SMAC – Social Media, das Kompetenzzentrum Mobile, Analytics und Cloud“. Lauk verwies auf die gewaltige WertWirtschaftsrats-Präsidiumsmitglied Dorothee Belz im Gespräch mit schöpfung im InterGründer Russ Shaw und Wirtschaftsnet-Bereich, die bereits ratsmitglied Johannes Grabisch bald eine Größenordnung von 20 Billionen US-Dollar erreichen werde. Ein Alarmsignal: Mehr als zwei Drittel des weltweiten Venture Capitals ließen aktuell in die USA, die Hälte davon wiederum ins Silicon Valley. Lauk hob hervor, dass die Digitalisierung bislang vor allem ihr Geschätsmodell habe. 52 Prozent ein hema für Großunternehmen sei. aber glaubten dessen ungeachtet, dass „Dabei bietet sie gewaltige Chancen sie ihr eigenes Geschätsmodell nicht gerade auch für mittelständische Beverändern müssten. „Der Mittelstand triebe und Unternehmensgründunerkennt also die Zeichen der Zeit, hangen.“ Laut dem „Europäischen Index delt aber nicht entsprechend“, monierfür die digitale Wirtschat und Gesellte die Microsot-Managerin. schat“ nimmt Deutschland unter 29 Belz kritisierte ferner den schlepuntersuchten Ländern lediglich Platz penden Ausbau der Daten-Netze. zehn ein. „Wollen wir bei der IndustZwar solle bis 2018 ein lächenderie 4.0 einen weltweiten Spitzenplatz ckender Ausbau der Breitbandnetze erreichen, muss das Internet zur Chefmit 50 Mbit pro Sekunde realisiert sache werden“, mahnte Lauk. Dorothee Belz, Mitglied der Gewerden. Jedoch liege Deutschland bei schäftsführung Microsoft Europa und der Versorgung mit schnellen GlasfaVorsitzende der Bundesfachkommission ser-Netzen im europäischen Vergleich Internet und Digitale Wirtschaft im Wirtan letzter Stelle. Kritisch äußerte schaftsrat der CDU e.V., erinnerte daran, sich Belz auch zur Digitalen Agenda dass der Wirtschatsrat bereits vor drei der Bundesregierung. „Die Digitale Jahren die Forderung erhoben habe, Agenda zeigt eher eine Liste von Akdass IT zur Chefsache werden müsse tivitäten als eine umfassende gesellund Netzpolitik Wirtschatspolitik schats- und industriepolitische Umsei. „Heute kann man feststellen: Die setzungsstrategie.“ Nunmehr sei es digitale Revolution und die Wirkung Zeit zu handeln: „Es muss ein digitaler der Digitalisierung auf die Märkte und Ruck durch Deutschland und Europa die Bürger ist da“, sagte Belz. „Sie ist in gehen“, forderte die Vorsitzende der

zu verändern, dass ein digitaler Ruck durch Deutschland und Europa gehen könne, forderte Belz. Drei grundsätzliche Ziele stünden dabei im Zentrum: „Wir brauchen die digitalen Autobahnen. Wir brauchen einen ordnungspolitischen Rahmen. Und wir brauchen mündige Nutzer und mündige Unternehmer.“ Nach vielen Diskussionen mit Unternehmen stelle der Wirtschatsrat fest, dass das Leitbild der mündigen Bürger und Unternehmen bei der Konstruktion des „Digitalen Hauses“ im Mittelpunkt stehen müsse. „Das hat wesentliche Auswirkungen auf das Fundament, aber auch auf die Säulen“, stellte Belz klar. „Der Wirtschatsrat ist überzeugt, dass Deutschland eine führende Rolle bei der vierten industriellen Revolution einnehmen kann. Aber da müssen Taten folgen – und das ist in erster Linie Aufgabe der l Unternehmen.“

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

Deutschland hat mit seinem hohen Industrialisierungsgrad eine gute Ausgangsposition für Industrie 4.0. Jetzt gilt es jedoch zu handeln, denn die Wettbewerber schlafen nicht. Vor allem der Mittelstand unterschätzt die Bedeutung des hemas für alle Bereiche der Produktion.

Industrie 4.0 Deutschland hat die Chance auf eine weltweite Spitzenposition

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n Deutschland halten wir jetzt seit 2000 den Industrialisierungsgrad. Wir liegen ungefähr bei 22 Prozent“, erinnerte Prof. Dr. Johanna

Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, daran, dass alle In-

dustrienationen in der zweiten Hälte des vergangenen Jahrhunderts den Industrialisierungsgrad ihrer Volkswirtschaten kontinuierlich reduziert haben. Im gleichen Zeitraum sei in den USA und Großbritannien der Anteil der Industrie an der volkswirtschatlichen Wertschöpfung radikal reduziert worden und betrage heute nur noch elf Prozent. „Das heißt: Wenn man dort mit den neuen Möglichkeiten der Industrie 4.0

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produzieren will, muss man Industrie-Kapazitäten zum Teil erst wieder aubauen“, sagte Wanka. „Das ist ein wichtiger Punkt.“ Für die Industrie 4.0 sei ferner wichtig, inwieweit die Wirtschat bereits heute mit Industrierobotern versorgt sei. So kämen aktuell in China auf 10.000 Industriearbeitsplätze nur 14 Industrieroboter, in Deutschland seien es hingegen 282. „Der Automatisierungsgrad in Deutschland ist also ein ganz anderer“, erläuterte die Bildungsministerin. Hinzu komme Deutschlands hohe Kompetenz im Bereich der digitalen Infrastruktur bei großen Maschinensystemen. „Das alles sind Dinge, die nicht unwichtig

sind“, betonte die Ministerin. „Denn sie sind ein Indiz dafür, dass die Ausgangsposition Deutschlands für die Industrie 4.0 richtig gut ist.“ Zugleich müsse man sich aber auch im Klaren darüber sein, dass die Wettbewerber Deutschlands nicht warteten. „Aus dieser guten Ausgangsposition muss man dringend handeln. Das ist ganz entscheidend“, betonte die Forschungsministerin. „Es gibt keinen Grund für Fatalismus, auch wenn wir in Deutschland dazu neigen, zuerst die Schwierigkeiten zu sehen.“ Wanka wies in diesem Zusammenhang auf die „Plattform Industrie 4.0“ hin, die auf der Hannover-Messe vorgestellt wurde. „Die ist ganz wichtig. Zum

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Beispiel für die Kooperation von Wissenschat und Wirtschat. Denn ohne wissenschatliche Ergebnisse geht es nicht. Wir brauchen dort neue Methoden“, forderte Wanka. „Deswegen ist es wichtig, auf einer solchen Plattform alle zusammenzubringen und dann die Spielregeln zu deinieren, unter denen wir Industrie 4.0 entwickeln wollen.“ Nach den Worten der Ministerin sind die deutschen Großunternehmen beim hema Industrie 4.0 auf einem sehr Referenten und Mitglieder guten Weg. „Aber die Stärke im Gespräch mit Deutschlands ist der MittelBundestagsabgeordneten stand. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, dass unsere Großunternehmen bei der Digitalisierung gut aufgestellt sind. Das reicht nicht“, mahnte Wanka. „Wenn Deutschland dort die erste Position haben will, dann geht das nur, wenn der breite Mittelstand in diesem Bereich mitspielt.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fühle sich deshalb in der Plicht, dem Mittelstand Junge Unternehmer tauschen sich auf unter die Arme zu greifen. „Wir dem Digitalkongress des Wirtschaftsrates aus beobachten große Skepsis bei vielen Mittelständlern, weil sie die Bedeutung des hemas un-

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Gemeinsam mit Gewerkschaten und Arbeitgeberverbänden wolle man die Frage beantworten, wie die innovative Arbeitswelt von morgen gestaltet werden könne. „Wir wollen auch dort keine abstrakten Publikationen, sondern alle diese Dinge sollen in Verbindung Prof. Dr. Johanna Wanka

Foto: Bundesregierung/ Steffen Kugler

terschätzen.“ Ihr Ministerium habe deshalb eine Initiative mit dem Titel „Industrie 4.0 – Forschung auf den betrieblichen Hallenboden“ auf den Weg gebracht. „Wir wollen mit unseren Projekten zeigen, wie für mittelständische Unternehmen Industrie 4.0 ganz konkret funktionieren kann“, sagte Wanka. Mit der kommunikationstechnischen Einbindung bewährter Maschinen in digitale Netzwerke könnten kostenintensive Neuanschafungen obsolet werden. Altbestände könnten nahtlos in Industrie 4.0-orientierte Infrastrukturen transferiert werden. „Es geht also nicht nur um Grundlagenforschung, das machen wir an den Universitäten und an den außeruniversitären Einrichtungen“, betonte Wanka. Sondern es gehe darum, handhabbare Lösungen für den Mittelstand zu inden. „Deshalb inde ich die Initiative des Wirtschatsrates, mit seiner hohen unternehmerischen Akzeptanz in die Regionen zu gehen, sehr gut.“ Die Ministerin mahnte, dass viele Erkenntnisse aus der Forschung ot nur besser umgesetzt werden müssten. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Transformation zur Industrie 4.0 sei die Ausbildung der Beschätigten. „Wir müssen den Arbeitnehmern Sorgen nehmen und Antworten auf die neuen Herausforderungen geben.“

Bundesministerin für Bildung und Forschung

stehen mit konkreten Unternehmen, wo Arbeitsmodelle auch getestet werden.“ Schließlich wies Wanka auf die Relevanz von Sicherheit hin. Jedes dritte Unternehmen sei bereits heute von Cyber-Kriminalität betrofen. Durch die stetig wachsende Rechnerleistung wüchsen auch die Anforderungen an Verschlüsselungstechnologien. „Da muss man vordenken. Und das kann man nicht mit einem kleinen Programm, da ist grundlegende Forschung notwendig“, sagte die Ministerin. Deutschland habe wegen seiner starken Akzentuierung sicherheitsrelevanter Aspekte bei der industriellen Vernetzung gute Chancen, daraus einen Wettbewerbsvorteil zu machen. l

Fotos: Jens Schicke

Foto: Fotolia.com ©habrda

TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

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AKTUELL Internet und Digitale Wirtschaft

Foto: Fotolia.com ©VanderWolf Images

Die Digitalunion ist die Chance für Europas Wirtschaft

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H. Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, den Wirt-

schatsrat für seine hochkarätig besetzen Veranstaltungen. „Vielen Dank für die gute Arbeit! Mir ist die Zusammenarbeit mit dem Wirtschatsrat sehr wichtig, weil ich glaube, dass sie

Foto: European Union, 2014

Günther H. Oettinger EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft

ein entscheidendes Netzwerk für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in zentralen hemenfeldern und Bereichen der Wertschöpfung bildet.“ Oettinger hob in seiner Rede hervor, dass Deutschland an der Spitze

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Für eine gute Digital-Strategie muss nicht Brüssel alles regeln. Aber mit einer europäischen Digitalunion können alle Nationalstaaten viel besser ihre globale Wettbewerbsfähigkeit sichern. Ein Grund dafür ist der Datenschutz.

seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit angelangt sei. „Wenn man aber weiß, dass der Produktivitätsfortschritt der Wirtschat pro Jahr bei zwei Prozent liegt, dann sind zwei Prozent Wachstum das Mindeste – und kein Grund zu Zufriedenheit.“ In anderen Weltregionen lägen die Wachstumsraten deutlich höher. „Ich vermisse deshalb unverändert genügenden Ehrgeiz für Wertschöpfung, für Wettbewerbsfähigkeit und für den Erfolg im nächsten Jahrzehnt“, so Oettinger. „Wenn nicht jetzt die Saat gesät wird, wird Deutschland im nächsten Jahrzehnt möglicherweise wieder der kranke Mann Europas, der wir vor zwölf Jahren schon einmal waren.“ Der EU-Kommissar kritisierte in diesem Zusammenhang die Sozialleistungen, welche die Große Koalition nach ihrem Amtsantritt auf den Weg

Breitbandanschlüsse in der Bevölkerung 2013 (2012) Rang

1.

Indexwert (2.)

Dänemark

100

(97)

1.

(1.)

Niederlande

100

(100)

3.

(3.)

Frankreich

97

(94)

4.

(3.)

Südkorea

95

(94)

5.

(5.)

Großbritannien

89

(86)

6.

(6.)

Deutschland

86

(85)

7.

(7.)

Finnland

77

(76)

8.

(8.)

Japan

72

(71)

9.

(9.)

USA

71

(71)

10. (10.) Spanien

64

(61)

11. (11.) Italien

56

(56)

12. (12.) Polen

39

(39)

34

(32)

25

(23)

3

(3)

13. (13.) China Brasilien

14. (14.) 15. (15.)

Indien

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Quelle: BmWI

er Wirtschatsrat führt Symposien durch, die zum richtigen Zeitpunkt wichtige hemen ansprechen – und damit für die Mitglieder des Wirtschatsrates, aber auch für den Dialog zwischen Wirtschat und Politik, hervorragend geeignet sind“, lobte Günther


TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

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abgestimmte digitale Ausbauplanung. Wir müssen Milliarden in das Netz investieren“, forderte Oettinger. „Solange aber das Durchschneiden eines Bandes für eine neue Autobahn oder eine Umgehungsstraße in den lokalen Medien vor der Wiederwahl des Bürgermeisters große Aufmerksamkeit

Freizeitgesellschat, die immer älter wird, ist sinnvolle Beschätigung hoffentlich durch kreative und kulturelle Angebote geprägt – und nicht allein durch konsumtive Angebote. Das hema Kreativwirtschat wird gerade in Europa und in Deutschland wegen unserer Geschichte eine hervor-

Prof. Dr. Johanna Wanka und WirtschaftsratsPräsident Prof. Dr. Kurt J. Lauk im Dialog

Frank Klaas, Managing Director Global Public Affairs, Deutsche Börse, und Referentin Hauke Stars, Mitglied des Vorstands, Deutsche Börse AG, hören die Vorträge

Florian Jörg Weber, Vorsitzender Junger Wirtschaftsrat NRW, und Dr. Alexander Bode, Bundesvorsitzender Junger Wirtschaftsrat, diskutieren über die Digitale Agenda

bringt, das Breitband im Boden aber nicht sichtbar ist, ist das Ganze nicht so populär. Wir brauchen dringend mehr Debatten zum hema Breitband!“ Günther Oettinger rief die Mitglieder des Wirtschatsrates dazu auf, die Arbeit der EU-Kommission hinsichtlich des Schutzes des geistigen Eigentums zu unterstützen. „Wirken wir gemeinsam mit – denn Wirtschatsrat heißt nicht nur Industrierat. Kreativund Kulturwirtschat sind aufstrebende Formen der Wirtschat. In einer

Fotos: Jens Schicke

gebracht hat. „Schlimm genug – aber das muss jetzt eine Tagesordnung der Vergangenheit sein“, forderte Oettinger. „Die Tagesordnung der Zukunt muss aus anderen hemen bestehen: Aus Innovation, aus Zumutung, aus Forschung, aus Infrastruktur, aus Modernisierung, aus Investitionen und sie muss auf einer sinkenden Staatsquote aubauen. Das hema der digitalen Kompetenz gehört entscheidend dazu“, betonte Oettinger. Der zuständige EU-Kommissar wies auf die enorme Geschwindigkeit der digitalen Revolution hin. „Sie indet weitgehend in diesem Jahrzehnt statt – und die Gewichte der Welt werden in diesem Jahrzehnt geprägt. Derzeit beinden wir Deutsche und Europäer uns allerdings in einer Auholjagd.“ Der Ehrgeiz eines Hochlohnlandes mit einer Altersstruktur wie der Bundesrepublik müsse darin bestehen, in allen Sektoren der Wirtschat aktiv zu sein. „Im Automobilbau wollen wir vorne bleiben. Wir sollten aber auch den Ehrgeiz entwickeln, die digitale Wettbewerbsfähigkeit zu halten beziehungsweise zurückzuholen oder neu aufzubauen.“ Bei wichtigen Technologiefeldern der Wirtschat von morgen sei Europa nicht mehr dabei, kritisierte der EU-Kommissar. „Das ist ideologisch gewollt. Wir sollten beim digitalen Sektor aber sagen: Dort, wo wir stark sind, bleiben wir stark. Und dort, wo wir schwach sind, müssen wir stark werden“, so Oettinger. „Ich fordere eine stärkere digitale Autorität und digitale Souveränität ein.“ Der EU-Kommissar erklärte weiter, man müsse für eine gute Digital-Strategie nicht alles europäisieren. „Aber ich sage Ihnen voraus: Nationale Strategien gehen schief!“ Nur mit einer europäischen Digitalunion könne der Kontinent seine globale Wettbewerbsfähigkeit sichern. Ein Grund dafür sei der Datenschutz. „Ich baue auf eine Datenschutz-Grundverordnung bis zum Jahresende. Und auch darauf, dass diese auch in Deutschland ohne zusätzliche Regelungen akzeptiert wird.“ Oettinger wies zudem auf die europäische Dimension der Infrastruktur-Netze hin. „Wir brauchen eine

ragende Bedeutung einnehmen können, wenn die Balance zwischen den Schöpfern und Konsumenten geistigen Eigentums gewahrt bleibt.“ Abschließend erklärte Oettinger: „Wir brauchen mehr Veranstaltungen wie diese. Tragen Sie die Tatsache der digitalen Revolution hinaus. Machen Sie Ihre Mitarbeiter, Kollegen bösgläubig. Jeder soll in diesem Jahr einen Quantensprung machen. Wenn Sie in diesem Jahr einen Abendkurs besuchen, dann bitte nicht für Bonsai oder l Bauchtanz – digital ist gefragt!“

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AKTUELL Internet und Digitale Wirtschaft

Dorffußball gegen Champions League

Eine Startup-Kultur muss über Jahre wachsen, aber das Wachstum lässt sich fördern: durch Infrastrukturen und ein Netzwerk aus Kompetenzen, Kontakten, Kapitalgebern, Experten, Eliten und Unternehmern.

nter der Diskussionsleitung von Moderator Dr. Wulf Schmiese erörterten die Teilnehmer des Autaktpanels die Gründerkulturen in verschiedenen Ländern.

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Dr. Stefanie Lemcke, Co-Founder, New York International,

hält den häuig angeführten Vergleich von europäischen Gründungsmetropolen wie Berlin oder London mit dem Silicon Valley für wenig hilfreich. Dort seien die Netzwerke zwischen Unternehmen und Universitäten in den vergangenen 50 Jahren entstanden. „Das kann man nicht in kurzer Zeit nachholen“, sagte die Startup-Beraterin. „Was ich viel spannender inde sind Beispiele aus London, New York oder Boston. Man muss sich anschauen, was dort in den vergangenen sechs bis zehn Jahren passiert ist“, regte Lemcke an. „Das kann man viel besser auf Städte wie Berlin übertragen.“ Ähnlich wie in London habe die Finanzkrise in New York zunächst einen Mangel an Arbeitsplätzen hervorgerufen. „Sehr viele qualiizierte Leute hatten plötzlich keinen Job mehr und haben dann Firmen gegründet – auf eigenes Risiko und ohne große politische Unterstützung“, berichtete Lemcke. Ihr Vorteil: Die Gründer konnten an bestehende Branchen-Strukturen wie den Einzelhandel, Banken oder die Gesundheitswirtschat anknüpfen, obgleich nach der Finanzkrise auch an der Ostküste kaum große VentureCapital-Geber zur Verfügung gestanden haben. Dr. Alexander Bode, Vorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates im Wirtschaftsrat der CDU e.V., berichtete als Unter-

nehmensberater von seiner China-Erfahrung. In seiner Promotion untersuchte er deutsche Unternehmen in China.

„China ist im Grunde das Mutterland der Unternehmensgründungen“, sagte Bode. „Die Chinesen sind per se extrem unternehmerisch eingestellt. An dieser Stelle gibt es keine Lenkung durch den Staat“, stellte der Geschätsführer der CONABO UG fest. „Die marktwirtschatlichen Rahmenbedingungen sind sogar in vielen Bereichen liberaler als wir das mittlerweile in Europa erleben.“ Bode hob zudem die Bereitschat der chinesischen Führung für den Ausbau der Infrastruktur hervor. So sei beispielsweise die erste U-Bahn Shanghais erst im Jahr 1995 eröfnet worden. Die fünf Kilometer lange Strecke habe sich binnen nur 15 Jahren zum größten U-Bahnnetz der Welt entwickelt, erklärte der Vorsitzende des Jungen Wirtschatsrates. Ähnliches gelte für die Qualität der Mobilfunknetze. Diese seien in China besser als in Deutschland. „Hier haben die Chinesen uns einiges voraus. Die Voraussetzungen sind zumindest in den entwickelten Gebieten ot besser als in Europa.“ Johannes Reck, Geschäftsführer und Co-Founder, Get Your Guide, erklärte im Gegensatz dazu, Deutschland müsse sich

keineswegs verstecken. „Wir haben ganz tolle Gründer und eine unglaubliche Ingenieurskultur. Gerade auch in Großbritannien und in den USA schätzt man die deutschen Mitarbeiter sehr, auch im Silicon Valley arbeiten viele Deutsche in der Unternehmensspitze“, sagte Reck. „Es stimmt aber auch, dass es in Israel oder im Silicon Valley ganz einzigartige Dinge gibt.“ So stelle in Israel das Militär einen ganz entscheidenden Faktor dar. „Das Militär selektiert die Top-Ingenieure und bildet sie extrem gut aus in den Bereichen

Was können wir von der Gründerkultur anderer Länder lernen? 14

TREND 2/2015


Verfügbarkeit von Venture Capital, 2013 (2012) Indexwert

1.

(1.)

USA

100

(100)

2.

(2.)

3.

(5.)

Finnland

93

(95)

China

88

(85)

4. 4.

(3.)

Großbritannien

81

(93)

(3.)

Niederlande

81

(93)

6.

(6.)

Indien

77

(83)

7.

(7.)

Deutschland

74

(78)

8.

(8.)

Japan

72

(73)

9.

(9.)

Frankreich

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(68)

10.

(9.)

Brasilien

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11. (11.) Dänemark

56

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12. (13.) Polen

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12. (12.) Spanien

53

(61)

14. (14.) Südkorea

49

(54)

15. (15.) Italien

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49)

Telekommunikation, Big Data und Datenanalyse.“ Die Israelis hätten so Cluster aufgebaut, wo diese Stärken ausgespielt werden. „Was wir lernen können in Deutschland ist, dass auch die meisten Startups und disruptiven Technologien otmals aus dem universitären oder militärischen Umfeld kommen.“ Russ Shaw, Gründer TECH LONDON ADVOCATES, erklärte, als privates Lobbyunternehmen fördere seine Organisation den Hightech-Sektor in London und arbeite daran, dass London eine führende Stadt im Hightech-Bereich werde. „Nach der Finanzkrise hat der Sektor inzwischen eine Basis gefunden“, berichtete Shaw. „Unsere Regierung und unser Bürgermeister Boris Johnson sind für diesen Prozess sehr wichtig. Ich muss sagen: Unsere Regierung hat das hema in den letzten Jahren ungeheuer ernst genommen.“ So verfüge London über viele Talente, die jedoch auch von der Regierung ermutigt worden seien. Etwa durch Steuervergünstigungen für Investoren, die neue Unternehmen unterstützen.

„Angel-Investment war hier sehr wichtig, um diese Unternehmen zu gründen. Auch die Einwanderungspolitik und die Schulpolitik seien bedeutende Erfolgsfaktoren. „Wir haben also eine Regierung, die den Hightech-Sektor nach Kräten unterstützt. Nicht nur in London, sondern auch anderswo in Großbritannien.“ Zwar mache auch die britische Regierung nicht alles richtig. Aber unterm Strich arbeite sie sehr gut mit dem privaten Sektor zusammen. Shaw kritisierte, dass die Rentenfonds und Versicherungsunternehmen in Deutschland nicht in Hightech-Unternehmen investieren dürfen. „Ich würde vorschlagen: Sehen Sie sich das noch mal an. Solche Investitionen sind vielleicht etwas riskanter. Aber dieser Sektor braucht dringend Kapital. Die Regiel rung in Großbritannien hat das schon sehr früh verstanden.“

Das Podium stößt auf Interesse: Eine Gründerkultur muss über Jahre wachsen

Dorothee Belz, Mitglied Geschäftsführung Microsoft Europa, begrüßt Günther H. Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft

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Rang

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AKTUELL Internet und Digitale Wirtschaft

Auf dem Podium heiß diskutiert: Rahmenbedingungen für Start-ups in Deutschland

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

Ein digitales Wirtschaftswunder entfesseln Trend sprach auf dem Kompetenzzentrum Deutschland des Wirtschatsrates zur Digitalen Agenda mit Philipp Justus, Vice President, Google Deutschland, Österreich und Schweiz sowie Zentral- und Osteuropa, über die Chancen Deutschlands und Europas als Digital-Standort.

Die USA haben Google, Facebook und Apple. Wo sind sie denn, die europäischen Visionäre? Nehmen Sie das Berliner Unternehmen Zalando. Die Gründer sind digitale Pioniere. Das Unternehmen wurde 2008 gegründet. Heute beschäftigt Zalando in Deutschland mehr als 7000 Menschen. Das steht für mich stellvertretend für den Boom der europäischen Startup-Hauptstädte. Das reicht aber nicht, um der amerikanischen Übermacht in der Digitalwirtschaft Paroli zu bieten.

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Es sind nicht nur die ganz großen Erfolgsgeschichten wie Zalando, die mich optimistisch stimmen. Es sind auch Geschichten von kleinen mittelständischen Unternehmen, die die Chancen der Digitalisierung mutig ergreifen. Wir von Google können mit einigem Stolz sagen, dass viele dieser kleinen und mittelgroßen Unternehmen auch unsere Kunden sind. Sie nutzen Google nicht nur als Suchmaschine – sondern als Wachstumsmaschine für ihre Unternehmen. Um neue Märkte zu entdecken, neue Kunden zu inden und um eizienter zu arbeiten.

Philipp Justus: Es ist eigentlich egal, ob Sie Kuckucksuhren schnitzen, Kakteen züchten oder Industriekräne bauen: Der globale digitale Markt bietet gewaltige Chancen für jedes Unternehmen

Ihnen wird manchmal vorgeworfen, dass Ihr Geschäft auf möglichst vielen Nutzerdaten basiert. Stimmt das? Um Anbieter und Nachfrager zusammenzubringen, brauchen wir gar keine detaillierten Daten. Es genügt uns zu erkennen, dass irgendwo auf der Welt jemand gerade zum Beispiel nach Kuckucksuhren sucht. Dann schaltet Google eine Anzeige von einem Anbieter für Kuckucksuhren neben den Suchergebnissen. Das ist das ganze Geheimnis. Wir bringen Angebot und Nachfrage auf der Basis von Suchbegrifen zusammen. Dazu benötigen

Foto: Jens Schicke

Herr Justus, Skeptiker haben Europa als Digital-Standort längst abgeschrieben. Sie auch? Diesen Pessimismus teile ich überhaupt nicht. In Europa steckt eine ungeheure Krat, ein riesiger Ideenreichtum. Es ist sehr wichtig, Pionieren Freiraum und Anreize zu geben, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Nur allzu ot wird die Zukunt der europäischen Wirtschat in düsteren Farben gemalt. Zu viel Bürokratie, zu wenig Kapital, zu wenig Risikobereitschat, zu wenig Gründer, heißt es ot. Richtig ist: Europa verfügt noch immer über großartige Erinder, Entwickler und Visionäre.

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

wir keine komplizierten Proile der Nutzer. Wir müssen auch keine Daten absaugen, wie gelegentlich behauptet wird. Google versteht sich also als Enabler für Geschäftsmodelle? Es ist eigentlich egal ob Sie Kuckucksuhren schnitzen, Kakteen züchten oder Industriekräne bauen: Der globale digitale Markt bietet gewaltige Chancen für jedes Unternehmen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass jedes kleine Unternehmen lokal sehr begrenzt war. Globaler Vertrieb war im Grunde nur für die wirklich großen Player denkbar. Das hat sich radikal geändert. Heute kann jedes digitale Unternehmen zugleich auch ein globales Unternehmen sein. Dabei ist nicht die Größe entscheidend. Sondern der clevere Einsatz digitaler Technologien. Und das lohnt sich? Heute sind 40 Prozent der Weltbevölkerung online. Bis zum Jahr 2020 werden es 80 Prozent sein. Europa

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muss dann bereit sein. Denn die Konkurrenz in anderen Regionen schlät nicht. Wir freuen uns, dass in Deutschland immer mehr Unternehmen die Chance ergreifen und dabei – auch – auf Google setzen. Das Institut der deutschen Wirtschat hat errechnet, dass allein zwischen 2007 und 2011 in Deutschland mit der Unterstützung von Google-Diensten 28.000 neue Unternehmen und mehr als 100.000 neue Jobs entstanden sind. Also: Google ist nicht nur eine Suchmaschine, sondern ein Wachstumsmotor für die deutsche Wirtschat. Die EU-Kommission wirft Ihnen trotzdem vor, Ihre Marktmacht zu missbrauchen, um Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Google hat in den vergangenen Jahren einen klaren Kurs verfolgt und stets konstruktiv mit der europäischen Kommission zusammengearbeitet. Bedenken gibt es zu unserem Dienst Google Shopping. Es ist wichtig festzuhalten, dass es sich bei Google Shopping klar um als “Anzeige” ge-

kennzeichnete Werbeeinblendungen handelt. Von einer Manipulation der Suchergebnisse kann also keine Rede sein. Unseren Wettbewerbern im Bereich Shopping geht es übrigens bestens. Neue Teilnehmer in diesem Markt und hohe Investitionen sind ein deutlicher Beleg für hohe Dynamik und Wettbewerbsintensität. Warum ist der digitale europäische Binnenmarkt aus Ihrer Sicht so wichtig? Wir müssen mehr Unternehmen in Europa den Zugang zu neuen Märkten, neuen Partnern und neuen Technologien ermöglichen. Vor 30 Jahren schuf Europa den Binnenmarkt, damit der Kontinent weiter wachsen konnte. Heute haben wir die Chance, das gleiche für den digitalen Markt zu wiederholen. Bis 2020 könnte ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt das BIP um mindestens vier Prozent oder 250 Milliarden Euro steigern. Die EU-Kommission hat die Vollendung des digitalen Binnenmarktes deshalb zu Recht zur Top-Priorität erklärt. l

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

Innovative Netze Finanzierung, Wettbewerb und Netzneutralität sicherstellen Die Datenverkehre werden in den nächsten Jahren weiter deutlich steigen. Deutschland muss deshalb lächendeckend mit schnellem Internet versorgt werden. Ganz besonders im ländlichen Raum stockt der Breitbandausbau.

ber die Bedeutung und Voraussetzungen für schnelle Daten-Netze unter der Leitung von Wolf-

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gang D. Bock, Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group GmbH, diskutierten die

Teilnehmer des Podiums I. „Man kann durchaus sagen, dass Europa und Deutschland beim Ausbau der Breitband-Netze schon weiter sein könnten“, sagte Bock zum Autakt der Diskussion.

Dr. Christoph Clément, Mitglied der Geschäftsleitung, Vodafone GmbH, hob hervor, dass die digitale Vernetzung

und lächendeckende Hochleistungsnetze der entscheidende Treiber für Wachstum und Wohlstand seien. „Die Netze sind dabei die Lebensader und das Rückgrat der Industrie“, unterstrich Clément. Die Anforderungen an die Netze stiegen dabei hinsichtlich der Kapazität und der Übertragungsqualität rasant. „Das erfolgreichste Rezept für einen lächendeckenden Breitbandausbau in Deutschland ist der infrastrukturbasierte Wettbewerb“, sagte Clément. Stefan Koetz, Vorsitzender der Geschäftsführung, Ericsson GmbH, berichtete, dass sich das Datenvolumen in Mobil-

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funknetzen nach einer Ericsson-Untersuchung zwischen 2014 und 2020 verachtfachen werde. „Dabei ist insbesondere Video ein wesentlicher Treiber der Entwicklung“, erläuterte Koetz. Die zunehmende Vernetzung von kritischer Infrastruktur, Gesundheitsdienstleistungen und Industrie 4.0 bedeute auch, dass Verzögerungen und Übertragungsstörungen in den Netzen küntig immer weniger akzeptabel seien. „Wir können also feststellen: Die Datenverkehre werden massiv zunehmen und die Anforderungen an die Reaktionszeiten in den Netzen weiter steigen.“ Um die Herausforderungen zu bewältigen, werden nach Einschätzung Koetz’ küntig auch vollständig neue Technologien wie 5G notwendig sein. Holger Enßlin, Vorstand, SKY Deutschland AG, sagte, Sky erfreue sich eines sehr starken Wachstums. In den vergangenen zwölf Monaten habe das Unternehmen fast 500.000 neue Kunden hinzugewonnen. „Ein wichtiger Grund dafür sind natürlich auch die Dienste, die wir über das Internet anbieten“, sagte Enßlin. „Die Zukunt sehen wir sehr, sehr positiv.“ Sky arbeite deshalb auch sehr eng mit allen Netzbe-

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

treibern zusammen. „Aus unserer Sicht sollte man das jetzt alles nicht so negativ sehen: Natürlich sind Investitionen in die Netze notwendig, keine Frage“, so Enßlin. „Wenn die Märkte aber wirklich so wachsen wie prognostiziert, schauen wir in eine sehr rosige Zukunt.“ Valentina Daiber, Mitglied der Geschäftsleitung, Telefónica Germany GmbH & Co. OHG, sagte, die Zukunt der Digitali-

sierung sei mobil. „Die mobile Datennutzung hat im vergangenen Jahr um 50 Prozent zugelegt, die Prognosen sind ausgesprochen gut“, berichtete Daiber. Im vergangenen Jahr seien 30 Millionen Smartphones verkaut worden, auch dort steige die Tendenz. „Die Zukuntschancen sehen rosig aus, insbesondere wenn man berücksichtigt, wie viel Prozent von diesen Smartphones bislang LTE-fähig sind“, so Daiber. „Hier ist der Anteil noch deutlich geringer, da steckt also noch viel Potenzial drin.“ Insofern wolle die neue Telefónica zusammen mit E-Plus ihren Teil dazu beitragen, diese Entwicklung zu befördern. „Das Rückgrat der mobilen Kommunikation sind die Netze. Wir alle investieren massiv in die mobile Infrastruktur.“

das Bestreben der Bundesnetzagentur bei der Auktionierung der neuen Mobilfunklizenzen bestehe nicht darin, den Erlös zu maximieren. „Unser Bestreben ist es, die digitale Dividende, also die Frequenzen, unter die Unternehmen zu bringen. Wir wollen, dass die Breitbandnetze ausgebaut werden und dafür der notwendige Rohstof in Form von Frequenzen vorhanden ist“, betonte Homann. Der Präsident der Bundesnetzagentur wies darauf hin, dass sich der Breit-

Die Teilnehmer des Digitalkongresses diskutieren das Problem Netze

Interesse an der Diskussion: Deutschland könnte beim Breitbandausbau weiter sein Fotos: Jens Schicke

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Jochen Homann, Präsident, Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, erklärte,

bandausbau in der Fläche mancherorts für die Unternehmen nicht rechne. „Deswegen reden wir über Förderprogramme, damit wir dem ländlichen Raum die Chance geben, an der digitalen Entwicklung teilzuhaben.“ Zusätzlich sei die Frage zu beantworten, wo die Reise technologisch hingehe. „Das ist auch eine schwierige Frage, die die Politik im Rahmen der Förderprogramme ein Stück weit diskutieren muss.“ Auf der anderen Seite wies Homann darauf hin, dass zahlreiche Nutzer, die bereits heute Zugang zu einer schnellen Internet-Verbindung mit 50 Mbit pro Sekunde hätten, diese gar nicht nutzten, weil entsprechende Inhalte gar nicht angeboten würden, die einen solchen Anschluss attraktiv machten. „Trotzdem müssen wir bei der Infrastruktur vorausbauen – das ist die Aufgabe für die nächsten Jahre.“ Walter Haas, CTO, Huawei Technologies, bestätigte, dass der Trend zum Mobilfunk gehe. Gleichwohl würden auch in Zukunt noch beide Technologien, Festnetz und Mobilfunk, benötigt. „Trotz der wachsenden Bedeutung des Mobilfunks sind 90 Prozent des Internet-Traics noch immer festnetzbasiert“, sagte Haas. „Diese Kapazitäten wird man nicht so einfach ins Mobilfunknetz schieben können.“ Huawei sieht nach den Worten von Haas bereits den „5G-Horizont“. Die Investitionszyklen würden kürzer. „Wenn wir sehen, wie schnell wir heute LTE in Deutschland ausrollen, dann ist das viel schneller als das bei UMTS passiert ist.“ Haas betonte, dass der Ausbau der Netze schrittweise erfolge – am Ende werde man jedoch nahezu überall Glasfasernetze sehen. l

Einigkeit auf dem Podium: Datenmengen und Reaktionszeiten der Netze werden steigen

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Disruptive Innovationen Perspektiven für das Internet im 21. Jahrhundert entwickeln Vor allem die Weiterentwicklung der Informationstechnologien wird für einen radikalen Wandel vieler Geschätsmodelle sorgen und neue hervorbringen. Dafür kann eine engere Verknüpfung klassischer Unternehmen, Startups, Verwaltung und Politik helfen.

ie Diskussion auf Podium II des Kompetenzzentrums Deutschland drehte sich unter der Moderation von Christian Rast, Chief Solution Officer, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, um disruptive Innovationen im digitalen Zeitalter. Hauke Stars, Mitglied des Vorstands, Deutsche Börse AG, erinnerte in ihrem Impulsvortrag an Joseph Schumpeter, der mit dem Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ bereits ein ähnliches Gedankenmodell wie das der „disruptiven Innovationen“ geschafen habe. Der Auslöser für die schöpferische Zerstörung seien Innovationen, die insbesondere von jungen Unternehmen getrieben werden, betonte Stars. Diese Entwicklung habe sich in den vergangenen Jahren erheblich beschleunigt. „Disruptive Innovationen haben heute praktisch immer mit Informationstechnologie zu tun. Und ich bin mir sicher, dass derartige Innovationen das prägende Kennzeichen des 21. Jahrhunderts sein werden“. Stars sagte voraus, dass die Informationstechnologien in den nächsten Jahren einen radikalen Wandel von vielen Geschätsmodellen herbeiführen werden. Auch bei der Entwicklung der Finanzmärkte spielten Technologien eine zentrale Rolle.

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Alexander Kudlich, Mitglied des Vorstands, Rocket Internet SE: „Meistens bringen wir Oline-Geschätsmodelle on-

line.“ Deswegen konzentriere sich Rocket Internet schwerpunktmäßig auf Schwellenländer. „Wir glauben, dass die Leute in jedem Land der Welt irgendwann online Schuhe kaufen, online Pizza bestellen und online Flüge buchen. Das wird sich alles wiederholen. Das ist die Kernthese von

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dem, was wir machen.“ Die Kritik, Rocket Internet sei nicht innovativ und baue nur copy cats, wies Kudlich mit dem Argument zurück, dass sich Rocket auf erprobte Geschätsmodelle konzentrieren wolle. „Ganz vorne steht bei uns immer Risikominimierung durch die Auswahl des richtigen Geschätsmodells.“ Dr. Christian Grobe, Geschäftsführer, Zencap Deutschland GmbH, erläuterte, wie sein Unternehmen das Geschäts-

modell von Banken und Sparkassen angreit. „Zencap ist Deutschlands führender Marktplatz für Unternehmenskredite. Wir bringen die ganz alte Idee des genossenschatlichen Bankings ins 21. Jahrhundert“, sagte Grobe. „Wir bringen Geldgeber und Unternehmen auf unserem Online-Marktplatz direkt zusammen. Man braucht also keine Bank mehr, die Einlagen annimmt und diese an die Unternehmen verleiht.“ Damit stehe Zencap pars pro toto für die große Bewegung Fintech (Financial Technology). Diese lasse sich in die drei großen Bereiche Kreditgeschät, Zahlungsabwicklung und Vermögensverwaltung einteilen. „Das alles kann man mittlerweile online machen.“ Bisher sei die Bank die Spinne im Netz der Finanzwirtschat. „Jetzt gibt es zahlreiche digitale Unternehmen, die sich Teile dieser Wertschöpfungskette herausgreifen und damit den Banken die Möglichkeit nehmen, sich zu entfalten.“ Grobe erwartet, dass das System der Universalbanken in Deutschland in zehn bis 15 Jahren überholt sein wird.

man eine gewisse Regelungsbefugnis, gleichwohl müssten sich Innovationen entfalten können. Dr. Tom Kirschbaum, Chief Operating Officer, allryder, erläuterte, dass sich die Mobilität in großen Städten durch moderne Technologien stark verändere. „Intelligente Technologien werden dafür sorgen, dass Vehikel, Ressourcen und Personen zusammengeführt werden und so den Transport in der Stadt verändern.“ Kirschbaum betonte, dass die Nutzung von Innovationen auch einen Preis für den Nutzer habe. „So wie früher Dinge Geld gekostet haben, zahlt der Nutzer heute mit der Preisgabe seiner Daten. Ich inde das überhaupt nicht schlimm. Das ist Teil der industriellen Revolution, die wir gerade erleben.“ Fabien Nestmann, Deutschlandchef, UBER, betonte, auch sein Unternehmen sei für einen vernüntigen und pragmatischen Ordnungsrahmen der Personenbeförderungsbranche. Die Sicherheit des Fahrgastes und der Taxi-Fahrer müssten gleichermaßen sichergestellt werden. „Aber die Frage kann ja nicht sein, wie wir aufgrund von 40 Jahre alten Gesetzen und Verordnungen verhindern, dass überhaupt Wettbewerb stattindet.“ Innovationen müssten im Sinne der Verbraucher l und der Fahrer eingesetzt werden, empfahl Nestmann.

Nadine Schön MdB, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte, disruptive Geschätsmo-

delle stellten Wirtschat und Gesellschat von den Füßen auf den Kopf. „Das bringt uns als Volkswirtschat wahnsinnige Chancen, aber auch große Risiken“, warnte Schön. „Als Politikerin ist es sehr komplex, mit dem hema umzugehen.“ Die Politik diskutiere intensiv über das hema und suche den engen Kontakt mit der Wirtschat. „In Deutschland fehlt es indes an einer noch engeren Verknüpfung von klassischen Unternehmen, Startups, Verwaltung und Politik“, merkte Schön an. „Das läut alles noch sehr getrennt nebeneinander her – und das können wir uns nicht mehr lange leisten.“ Mit Blick auf die Finanzbranche erklärte Schön, dass Regulierung sinnvoll ist. Die Frage sei indes, ob jede Regulierung immer noch zeitgemäß sei. Als Staat brauche

Frank Sportolari, Generalbevollmächtigter UPS Deutschland, und Thomas Firnkorn, Geschäftsführender Gesellschafter T&T CloudCrowding Solutions GmbH, fragen EU-Digitalkommissar Günther H. Oettinger zu seiner Strategie

Diskussion in der Pause: Die digitale Revolution bringt neue Geschäftsmodelle hervor

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Nadine Schön MdB auf dem Podium: Der Staat braucht eine gewisse Regelungsbefugnis, aber Innovationen müssen sich entfalten können

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Digital Health Chancen für Patienten und das deutsche Gesundheitssystem nutzen! Deutschland ist beim hema Digital Health einen großen Schritt weitergekommen. Die Telematik-Infrastruktur und das E-Health-Gesetz sind eine solide Basis für neue Anwendungen und eine stärkere Patientenzentrierung. it der digitalen Zukunt des deutschen Gesundheitswesens befassten sich die Teilnehmer von Podium III auf dem Kompetenzzentrum Deutschland. Moderator Istok Kespret, HMM Deutschland GmbH, gab zum Autakt der Diskussion Frank Gotthardt, Vorsitzender des Vorstands, CompuGroup AG, das Wort. „Beim hema Digital Health hat sich in den letzten Wochen sehr viel getan“, berichtete Gotthardt. „Glücklicherweise sind wir in Deutschland wirklich gute Schritte vorangekommen.“ Dies betrefe vor allem die Telematik-Infrastruktur und das E-Health-Gesetz. „Wir stehen kurz vor dem Start der Erprobung der Telematik-Infrastruktur“, erläuterte der Vorstands-

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Wirtschaftsrats-Präsident Prof. Dr. Kurt J. Lauk begrüßt Bundesministerin Prof. Dr. Johanna Wanka zum Kompetenzzentrum 2015

vorsitzende der CompuGroup AG. „Damit starten die ersten Anwendungen im Echtbetrieb in einem der größten Infrastrukturprojekte, die es in Deutschland je gegeben hat.“ Max Müller, Vorstand, DocMorris N.V., rückte Chancen und Umsetzungsperspektiven der digitalen Zukunt in den Mittelpunkt. „Wir haben in Deutschland kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagte Müller. Der DocMorris-Vorstand zog einen historischen Vergleich zu Bismarck. Dieser habe erkannt, dass die Industrialisierung völlig neue Arbeitsstrukturen schuf und somit eine Bedrohung für viele Menschen dargestellt habe. „Machtkalkül statt Gesinnungsethik ist natürlich im Bereich der Sozialpolitik ein Frevel. Doch im Ergebnis wurde damit der Weg in die zweite industrielle Revolution geebnet und Mitglieder und Gäste des Wirtschaftsrates: eines der besten Gesundheitssysteme Die Digitale Agenda ist der Welt aus der Taufe gehoben.“ auch in der Pause Thema

Fotos: Jens Schicke

Dr. Katja Leikert MdB, Berichterstatterin für das Thema E-Health, hob CDU/CSU-Bundestagsfraktion,

Angeregte Diskussion: Deutschland hat kein Erkenntnis-, aber ein Umsetzungsproblem

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hervor, dass mit dem aktuellen EHealth-Gesetz allenfalls ein Anfang gemacht sei. „Wir haben jetzt das E-Health-Gesetz 1.0, danach muss ein E-Health-Gesetz 2.0 mit einer stärkeren Patientenzentrierung kommen“, unterstrich Leikert. Die CDUPolitikerin zeigte sich überzeugt, dass zunächst eine Telematik-Infrastruktur aufgebaut werden müsse und dann neue Anwendungen aufgesetzt werden könnten. „Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir als Gesetzgeber intervenieren müssen – damit die Strukturen in Anwendung kommen und wir die Versorgung der Menschen verbessern.“

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Dr. Ellen Lundershausen, Mitglied des Vorstandes, Bundesärztekammer, wies darauf hin, dass Ärzte und Patienten

ben, wenn das Nutzen-Postulat beachtet werde. „Das ist für den Markt wichtig und auch für den Export.“

die Möglichkeiten der digitalen Technologien mit Leben füllen müssten. „Dass das ein riesiger Wirtschatsmarkt ist, ist sicherlich unzweifelhat. Aber der muss bearbeitet werden“, betonte die Ärztin. „Ich habe kein Problem mit der elektronischen Gesundheitskarte, mit dem elektronischen Arztausweis und mit dem elektronischen Rezept. Aber wir müssen uns überlegen, wer das Ganze anwenden soll“, gab Lundershausen zu bedenken. „Wenn das der einzelne Arzt vor Ort in der Gemengelage seiner täglichen Praxis nicht schat, bekommt er Geld abgezogen.“ Küntige Ärztegenerationen, die in einer digitalen Welt aufgewachsen sind, würden weniger Probleme in der Anwendung digitaler Technologien haben. „Aber wir müssen uns ja den Gegebenheiten stellen, dass das Durchschnittsalter der Ärzte bei 55 Jahren liegt. Und die sind nicht alle computer-kompatibel.“

Norbert Niedworok, Geschäftsführer, Vitaphone Deutschland, berichtete von der zunehmenden Internationalisie-

Prof. Dr. Marc O. Schurr, Vorstand, Ovesco Endoscopy AG,

lenkte den Blick auf den Nutzen von Gesundheitsinnovationen. „Alles, was man in der Medizin macht, muss sich zunächst daran messen lassen, ob es unmittelbar und unzweifelhat klinischen Nutzwert stitet.“ Eine dauerhate Nachfrage nach E-Health Anwendungen wird es nach Auffassung des Vorstandes der Ovesvo Endoscopy AG nur ge-

rung seines Unternehmens. „Wir sehen, dass in anderen Ländern, wie in den USA, Technologien, die heute möglich sind, eben auch angewendet werden. Deshalb sind die USA für uns nicht unbedingt der Markt um zu entwickeln, aber um zu verkaufen“, sagte Niedworok. „Niemand will den Arzt obsolet machen. Das geht überhaupt nicht. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir einen starken demographischen Wandel bewältigen müssen und bereits heute ländliche Gebiete haben, die mit Ärzten unterversorgt sind.“ Hier könnten E-Health-Lösungen einen Beitrag zu einer besseren Versorgung leisten. Dr. Volker Leienbach, Verbandsdirektor, Verband der Privaten Krankenversicherung e.V., kündigte an, dass die privaten

Krankenversicherungen sicherstellen werden, dass man die Funktionalitäten der Gesundheitskarten den Patienten zuteil werden lasse. „Wir werden darüber hinaus aber noch weitergehen. Wir haben schon heute vieles in der Anwendung, etwa mit Blick auf elektronische Abrechnungen und die Terminvergabe. Und ich bin sehr sicher: Wenn man mit dem identischen Ziel unterschiedliche Wege geht, kommt l am Ende etwas Besseres dabei raus.“

Unser Maßstab: PFLEGEBERATUNG ZU HAUSE Um Pflegebedürftige bestmöglich beraten zu können, müssen wir ihr Umfeld kennen. Deswegen besuchen wir sie in ihren eigenen vier Wänden. Sie müssen nirgendwohin, unsere Berater kommen zu ihnen. Damit setzen wir Maßstäbe. Und machen Pflege für alle besser. www.pkv.de

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Industrie 4.0 Kann sich Deutschland die Pole Position sichern? m Gespräch mit Moderator Dr. Wulf Schmiese erörterten die Teilnehmer des Podiums IV auf dem Kompetenzzentrum Deutschland die Chancen und Herausforderungen für die digital vernetzte Industrie. „Nach meiner Einschätzung haben wir bisher nur an der Oberläche von Industrie 4.0 gekratzt“, sagte Dr. Michael Mertin, Vorsitzender des

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Vorstands, Jenoptik AG und Vizepräsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V., zum Autakt der Diskussion. „Das holistische

Prinzip und Potenzial ist sicher noch nicht zu 100 Prozent verstanden.“ Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung sei zu erwarten, dass sich die klassischen globalen Wirtschatsstrukturen und Geschätsmodelle fundamental verändern. Dr. Werner Struth, Geschäftsführer, Robert Bosch GmbH,

hob die Bedeutung der „Plattform Industrie 4.0“ hervor, an der die Verbände Bitkom, VDMA und ZVEI beteiligt sind. „Das ist ein ganzheitlicher, holistischer Ansatz. Aber: Wir müssen schnell sein. Wir dürfen kein Tempo verlieren“, mahnte Struth. Der Bosch-Geschätsführer forderte einen schnelleren Ausbau der Datennetze. „Wir brauchen auch mehr Unterstützung von der Politik, indem die richtigen Rahmenbedingungen geschafen werden“, forderte Struth. „Deutschland hat eine hervorragende Position. Wir haben ein phantastisches Ökosystem aus Herstellern, Zulieferern und Forschung. Wir kriegen das hin. Aber wir müssen uns sputen, um aus der Pole Position letztlich auch als erster die karierte Flagge zu sehen.“ Der Geschätsführer berichtete, dass Bosch an über 150 Industrie-4.0-Projekten an seinen Standorten arbeite. „Ich habe da überhaupt keine Sorge, dass uns die Kreativität ausgeht. Ich spüre, dass die Beschäftigung mit der vernetzten Fertigung bei unseren Ingenieuren und Logistikern neue Energien freigesetzt hat.“

Zentrale Ergebnisse der Studie „Industrie 4.0 – Chancen und Herausforderungen“ der PWC AG

Quelle: PWC AG

Investitionen bis 2020

40 Mrd. Euro pro Jahr Effizienzsteigerung

80 Prozent

Zusätzlicher Umsatz

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Digitalisierungsgrad der Wertschöpfungskette

30 Mrd. Euro pro Jahr

Deutschlands Ausgangslage für Industrie 4.0 ist sehr gut. Aber jetzt sind Unternehmen und Politik gleichermaßen gefragt: Die Politik, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und die Wirtschat, sich digital it zu machen und sich untereinander zu vernetzen.

Michael Kretschmer MdB, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte, nach der Ver-

anstaltung des Wirtschatsrates habe er einen sehr guten Eindruck von den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Industrie 4.0-Zukunt. „Das heißt nicht, dass jetzt keine Arbeit vor uns liegt. Im Gegenteil: Jetzt müssen wir uns erst richtig reinhängen.“ Die Bundesrepublik gebe derzeit mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus denn je, an den Hochschulen gebe es Top-Leute. „Ich glaube, dass der überwiegende Teil der deutschen Unternehmen sich auf die Digitalisierung einstellt.“ Dietmar Ratzsch, Geschäftsführer, Jena-Optronik GmbH,

machte deutlich, dass die Raumfahrt bereits heute ein Beispiel für die „Industrie 4.0“ sei. Aber auch in der Raumfahrt würden derzeit die Spielregeln für die Veränderung in den USA gemacht, merkte Ratzsch kritisch an. „Nur wenn die deutsche Industrie klug investiert und die Politik die richtigen Weichen stellt, kann Deutschland weiterhin ein erfolgreicher Produktionsstandort bleiben und die Industrie 4.0 zum Jobmotor werden.“ Dr.-Ing. Oliver Riedel, Leiter Planungssteuerung, Informationsprozesse, Produktion, Audi AG, bezeichnete „Industrie

4.0“ als einen „Weckruf “ für die deutsche Industrie, der dringend nötig war. „Die Impulse, die jetzt gesetzt wurden,

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sind sehr gut.“, sagte Riedel. „Wenn wir das, was wir haben, in die Waagschale werfen, gewinnen wir das Spiel.“ Zur Frage, ob Google eine Bedrohung für die Automobilindustrie werde, sagte Riedel: „Ich halte das für eine interessante Diskussion, aber ich halte sie auch für sehr weit hergeholt.“ Olaf Siemens, Geschäftsführer, TÜV Rheinland i-sec GmbH,

wies auf die zentrale Bedeutung von Datenschutz bei der Digitalisierung von Produktionsprozessen hin. „Wenn ich als Unternehmen schon heute in einer noch weitgehend abgeschotteten Welt nicht richtig mit Datenschutz umgehen kann, dann wird das in einer zunehmend vernetzten Welt sicher zu einer sehr großen Herausforderung.“ Da das Internet aber eine sehr weit verzweigte „Maschine“ sei, müsse man nicht damit rechnen, dass küntig eine Art „digitale Atombombe“ das ganze System lahmlegt. „Sorgen machen müssen wir uns im Bereich der kritischen Infrastruktur. Da hat die Bundesregierung ja auch Initiativen ergrifen.“

Foto: Fotolia.com ©Oliver Sved

Frank Sportolari, Generalbevollmächtigter, United Parcel Service Deutschland Inc. & Co. OHG, sagte, man solle nie gegen

deutsche Unternehmer wetten. „Ich glaube, die meisten verstehen sehr wohl, was sie tun müssen.“ Industrie 4.0 sei ein schleichender Prozess. „Wir haben alle schon Industrie 4.0 in unseren Häusern und Betrieben, ob wir das wissen oder nicht. Für mich geht es darum, die Vorstellungskrat aufzubringen, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass ein Land wie Deutschland mit tausenden innovativen Unternehmern den richtigen Weg inden wird.“ Dr. Hans Jörg Stotz, Senior Vice President, Products & Innovation, SAP SE, forderte, dass mittelständische Unternehmen

erst einmal dazu in die Lage versetzt werden müssten, mit großen Datenmengen umgehen zu können. „Deshalb müssen wir vor allem bei den Mittelständlern die Skills zusammenbringen, um die Chancen der Datenauswertung überl haupt wahrnehmen zu können.“

Wirtschaftsrats-Bundesgeschäftsführer Dr. Rainer Gerding im Gespräch mit VCI-Hauptgeschäftsführer Dr. Utz Tillmann

Wirtschaftsrats-Vizepräsident Dr. Michael Mertin: Der digitale Fortschritt verändert alle Geschäftsmodelle grundlegend

Fotos: Jens Schicke

Robert-Bosch-Geschäftsführer Dr. Werner Struth: Wir müssen schnell sein, die Politik muss unterstützen

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Wie nutzt Deutschlan Chancen der industri Um den Wettbewerbsvorteil bei Industrie 4.0 zu halten, ist es entscheidend, sich nicht nur mit der Herausforderung der Datenmenge, sondern auch der Datenqualität auseinanderzusetzen. Insbesondere der Mittelstand braucht mehr Mut zur Transformation.

mit Verweis PWC-Studie

M

auf eine berichtete

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Foto: SAP AG/Stephan Daub

Petra Justenhoven, Vorstand, PricewaterhouseCoopers

AG WPG, dass Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie Automobilzulieferer in den nächsten Jahren eine nahezu vollständige Transformation ihrer Unternehmen zur Industrie 4.0 erwarteten. Nahezu die Hälte aller Ausrüstungsinvestitionen in diesen Branchen lössen nach eigener Einschätzung der Unternehmen in den nächsten fünf Jahren in die digitale Aufrüstung ihrer Produktion. Bis 2020 werden hochgerechnet jedes Jahr rund 40 Milliarden Euro für digitale Investitionen ausgegeben. „Investitionen und Nutzen sind in ihrer Abwägung aber noch etwas nebulös“, sagte Justenhoven. Zwar besetzen die großen Industrieunternehmen das hema mit konkreten Projekten. „Der deutsche Mittelstand hat die Chancen jedoch noch nicht erkannt.“ Viele Mittelständler hätten noch keine Umsetzungspläne, Investitionen seien noch nicht beschlossen. „Warum zaudern wir?“, fragte Justenhoven. „Fehlt uns wirklich einfach nur der Mut?“ Die Gefahr, im globalen Wettbewerb ins Hintertrefen zu geraten, führt Justenhoven auf vier wesentliche Phänomene zurück. Die Technologieführerschat der deutschen Industrie,

die Komplexität des hemas, die allgemeine Risikoaversion der Deutschen und schließlich auf ein erhebliches Missverständnis, was Transformation eigentlich bedeute. So habe die Technologieführerschat Deutschland „satt und träge“ gemacht, die Bedrohung durch die Digitalisierung werde viel zu langsam erkannt. „Meine zweite Hypothese lautet: Die Komplexität des hemas betäubt uns und verzögert pragmatisches Handeln“, so Justenhoven. Reduktion von Komplexität erscheine Deutschland, geprägt von seiner Ingenieurkultur, als sinnvolle Strategie. „Ein mit Industrie 4.0 verknüptes Komplexitätsproblem ist Big Data. Es ist nicht nur die schiere Datenmenge, die uns Probleme bereitet. Daten sind ot unstrukturiert, häuig uneindeutig und an ihrer Authentizität herrschen bisweilen Zweifel“, sagte Justenhoven. „Das alles ist Git für die industrielle Produktion, bei der es auf Struktur, Eindeutigkeit und Verlässlichkeit ankommt. Die Flutwelle der Daten schüchtert uns ein.“ Schließlich forderte das PWC-Vorstandsmitglied „mehr Mut zur Transformation“ ein. Der Begrif „Transformation“ werde in Deutschland missverstanden. „Deshalb ist er angstbesetzt.“ Transformation sei jedoch kein Angrif „auf die Substanz“, sondern ein „Eingrif in die Substanz“. „Transformation bedeu-

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TITEL Internet und Digitale Wirtschaft

Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.,

resümierte zum Abschluss der Veranstaltung, die erste Halbzeit der Digitalisierung habe Europa verloren. Im Hinblick auf seine Industrie sei Deutschland zwar sehr gut aufgestellt. „Die ganze Welt beneidet uns um unseren Mittelstand und vor allem um unsere Familienunternehmen.“ Eine Umfrage des Wirtschatsrates bestätige gleichwohl, dass die Digitalisierung noch nicht in den Chefetagen vieler mittelständischer Unternehmen angekommen sei. „Noch haben wir keinen Vorsprung. Noch ist uns keine Meisterschat sicher“, sagte der Generalsekretär. „Deshalb sind wir sehr dankbar, dass wir mit Ministerin Wanka eine Verabredung getrofen haben, dass der Wirtschatsrat eine Kampagne ,Industrie 4.0 – Chance für den deutschen Mittelstand‘ durchführen wird. Die Ministerin hat ausdrücklich darum gebeten und steht hier als Schirmherrin zur Verfügung“, berichtete Steiger. Der Generalsekretär erinnerte daran, dass die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Digitale Agenda auf den Weg gebracht hat. Der Wirtschatsrat habe dafür gekämpt, dass dieses hema in den Mittelpunkt der Politik rücke. „Was wir damit aber

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Digitales Haus: Deutschland und Europa müssen die Fundamente legen. Der Wirtschaftsrat hat dazu die Broschüre „Wachstumstreiber Internet – Digitaler Ruck durch Deutschland und Europa“ produziert.

nicht gemeint haben, ist, dass sich jetzt ein halbes Dutzend Ministerien darum bemüht, die Federführung zu übernehmen – und dass so viele Ressourcen verloren gehen“, kritisierte Steiger. „Das begleitet uns mit einer gewissen Sorge.“ Deutschland brauche dringend eine Bündelung seiner digitalen Maßnahmen. Die Digitale Agenda formuliere auf 40 Seiten gute Absichtserklärungen. „Was jetzt aber fehlt ist ein realistischer, pragmatischer Maßnahmenkatalog und eine ausreichende Finanzierungsbasis.“ Der Wirtschatsrat habe mit dem „Di-

IT-Gründer & Start-ups

Zukunft der Arbeit

Digitale Verwaltung

Digital Health

Digitale Bildung Digitaler Rahmen und Ordnungspolitik (Wettbewerbs- und Medienrecht, Datenpolitik, Urheberrecht, Sicherheit & Vertrauen, Ko-Regulierung)

Digitale Infrastruktur

gitalen Haus“ einen guten und praktikablen Vorschlag gemacht. „Für mündige Bürger und Unternehmen, für einen klaren ordnungspolitischen Rahmen, für eine wettbewerbsfähige Infrastruktur und damit für unseren Leitsatz: Für ein Leben in Freiheit und in Verantwortung!“ Der Wirtschatsrat sei fest davon überzeugt, dass die Digitalisierung der weltweit wichtigste Wachstumstreiber sei. „Mit unserem Digitalen Haus wollen wir dafür Sorge tragen, dass wir diese gewaltigen Potenziale in Deutschland und l Europa heben können.“

Fotos: Jens Schicke

tet im Wortsinne Umformung. Und nach der Umformung ist die Substanz noch da“, sagte Justenhoven. „Sie sieht nur anders aus. Und wenn es gut läut, wächst sie sogar.“ Deshalb müssten Politik, Wirtschat und Gewerkschaften erklären, dass durch die Industrie 4.0 die Anforderungen für alle Beschätigten steigen. „Darin liegen aber mehr Chancen als Risiken. Das Potenzial ist enorm. Seien wir mutig! Machen wir etwas daraus!“

Wachstumstreiber Internet – Digitaler Ruck durch Deutschland und Europa!

Industrie 4.0

ands Wirtschaft die iellen Revolution?

Diskussionen auf dem Kompetenzzentrum Deutschland zur Digitalen Agenda – Innovation und Investition für die Zukunft Deutschlands: Breitbandausbau und Industrie 4.0 bewegen

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AKTUELL Erbschaftsteuerreform

Gutachten zu Eckpunkten des Bundesfinanzminis

Gesetzgeber muss Gestaltungsspielräume H

Foto: BMF/Hendel

eiß diskutiert werden in Politik und Wirtschat die Eckpunkte des Bundesinanzministeriums (BMF) zur Erbschatsteuerreform. Keineswegs sei der Gesetzgeber bei der Reparatur des Erbschatsteuerrechts gebunden, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so restriktiv auszulegen. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier in seinem Gutachten für den Wirtschatsrat. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Gesetzgeber analysiert und streicht die großen Bewertungs- und Entscheidungsspielräume des Gesetzgebers heraus.

Seit die Eckpunkte für die Reform der Erbschatsteuer im Raum stehen, sind mittelständische Unternehmer in Aufruhr. Der Wirtschatsrat hat ein Gutachten in Autrag gegeben, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen. Fazit: Der Gesetzgeber muss die Entscheidung keineswegs so restriktiv auslegen wie er es derzeit tut. Text: Dirk Freigang

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Gesetzeszweck auf Familienunternehmen ausweiten Die Verfassungsrichter benennen klar die verfassungswidrigen Regelungen der aktuellen Rechtsgrundlage, schreiben dem Gesetzgeber jedoch nicht vor, was er im Einzelnen zu tun hat. Das Verfassungsrecht kann ohnehin nur den Rahmen für die Steuergesetzgebung setzen. Die Richter stellten allerdings und in Konsistenz zu früheren Entscheidungen eindeutig klar, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, mit dem Steuerrecht auch Lenkungszwecke zu verfolgen. Prof. Papier bestätigt, dass sich der Gesetzgeber von Verfassungs wegen klar für eine erbschatsteuerliche Förderung von Unternehmensstrukturen, die durch personale Führungsverantwortung, persönliche Leitung und Hatung der Eigentümer geprägt sind, entscheiden darf.

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AKTUELL Erbschaftsteuerreform

steriums

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Rückgrif auf das Privatvermögen eindeutig abzusehen. Einerseits sei der Gesetzgeber nach der Gerichtsentscheidung dazu nicht gehalten. Andererseits liege eine Problematik der Einbeziehung des Privatvermögens zur Zahlung der Erbschatsteuer darin, dass das Schutzziel des Gesetzes dann nicht mehr zu erreichen sei, wenn die Erben die Erbschatsteuerverschonung auf Betriebsvermögen aus dem Privatvermögen ausgleichen müssten. Die abstrakte Gefährdung für die vom Gesetzgeber als schützenswert angesehenen Strukturen bestünde dann weiter fort. Einen Rückgrif auf das Privatvermögen hält Papier für verfassungsrechtlich äußerst problematisch. Mehr Transparenz für Begriffsabgrenzungen notwendig Ziel der Verschonungsregeln ist der Schutz des produktiven Vermögens der Unternehmen. Diese Regeln müssen aber stärker als bisher zielgenau und normenklar ausgestaltet werden, um dem Autrag des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen. Es hat den Gesetzgeber auch beautragt, bestehende Gestaltungs- und Umgehungsmöglichkeiten in der aktuellen Rechtsgrundlage zu beseitigen. Das gilt sowohl für den Fall, dass zur Abgrenzung des produktiven Vermögens auf das nicht zu verschonende Verwaltungsvermögen abgestellt werde, als auch für den Fall einer Positivdeinition des zu „begünstigenden Vermögens“. Gleichwohl sei, erläutert der frühere Gerichtspräsident, eine maßvolle Typisierung akzeptabel. Für die Familienunternehmen ist zudem die Anrechnung ihrer Schulden besonders wichtig. Dies ist etwa angesichts der steigenden Bedeutung von Pensionsverplichtungen der Betriebe zugunsten ihrer Beschätigten oder der hohen Bedeutung von Gesellschaterdarlehen für die Finanzierung von Familienunternehmen auch notwendig. Hier haben die Richter dem Gesetzgeber für die Umsetzung

Ja 53 % Nein 24 %

Unentschieden, keine Angaben

23 %

abermals einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum zugesprochen. Zur Beseitigung der verfassungswidrigen Freistellung von über 90 Prozent der Unternehmen im Rahmen der Kleinbetriebsregelung stehe es dem Gesetzgeber frei, auf andere Prükriterien wie etwa eine Grenze für den Unternehmenswert überzugehen. Alternativ könne er sich aber auch weiterhin für die einfach zu handhabende Zahl der Beschäftigten entscheiden, die dann jedoch deutlich unter 20 liegen müsse. Wo die Grenze dann allerdings verlaufen sollte, sei gerade auch vor dem Hin-

Foto: Jens Schicke

Der Erhalt und die Förderung als besonders wertvoll eingeschätzter Unternehmensstrukturen – also der Schutz des weltweit einzigartigen Modells „German Mittelstand“ – ist insofern ein legitimer Gesetzeszweck. Sogar eine Vollverschonung des Betriebsvermögens bei der Übertragung von Unternehmen halte das oberste deutsche Gericht für zulässig. Der Gesetzgeber stehe allerdings in der Verantwortung, den Schutz dieser Strukturen im Gesetzestext oder der Begründung klar darzulegen, das heißt bei der Umsetzung normenklare und zielgenaue Regelungen zu deinieren und sie folgerichtig auszugestalten. Die Verfassungsrichter stellten eindeutig fest, dass die Förderung mittelständischer Strukturen weder abhängig von der gewählten Gesellschatsform noch beschränkt ist auf kleine oder mittlere Unternehmen. Eine sog. „Bedürfnisprüfung“, mit der große Familienunternehmen ihr „Bedürfnis“ bzw. die Notwendigkeit für eine Verschonung von der Erbschatsteuer belegen sollen, sei – so Papier – aber gerade nicht als behördliche Einzelfallentscheidung oder Härtefallregelung zu interpretieren. Vielmehr dürfe der Gesetzgeber im Falle von Familienbetrieben eine „abstrakte Gefährdung“ besonders schützenswerter Unternehmensstrukturen annehmen. Auch könne er zur inhaltlichen Ausgestaltung eines Prüfprozesses auf qualitative Kriterien zurückgreifen. Insbesondere mit Blick auf das Ziel, eine verfassungsfeste Lösung für das deutsche Schenkung- und Erbschatsteuerrecht zu schafen, sei von einem

Sollen Unternehmen weiter von der Erbschaftsteuer befreit werden, wenn der Erbe die Firma weiterführt und die Arbeitsplätze erhält? Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach/FAZ

nutzen

Keine Steuer für die Erben

v.l.n.r. Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident Bundesverfassungsgericht a.D.; Frank W. Grube, Vorsitzender Kommission Steuern, Haushalt und Finanzen des Wirtschaftsrates; Dr. Ullrich Fechner, Geschäftsführer PROFUNDA Verwaltungs-GmbH

tergrund, dass 52 Prozent aller im Unternehmensregister des Statistischen Bundesamtes erfassten Betriebe gar keine sozialversicherungsplichtigen Beschätigten zählten, anhand empirischer Prüfungen zu untermauern, l betonte Papier.

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AKTUELL Betriebliche Altersvorsorge

er globale Wandel der Arbeitswelt und moderne Technologien lösen die starre Verbindung von Arbeitswelt und Anwesenheit immer mehr auf. Wir haben mehr Freiheit zu entscheiden, wann und wo wir arbeiten möchten. Wir können die Zeit unseren Bedürfnissen entsprechend besser einteilen und gleichzeitig berulichen Verplichtungen nachkommen. Das birgt viele Chancen, den Arbeitsplatz stärker eigenverantwortlich zu gestalten und ein Gehalt zu bekommen, das sich an Leistung und nicht an der Anwesenheit am Arbeitsplatz orientiert. Dies ist eine Facette dieser grundlegenden Veränderungen der Arbeit.

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Neue Anforderungen erfordern neue Lösungen Eine andere ist, dass immer seltener das gesamte Berufsleben mit einem unbefristeten Vertrag bei einem Arbeitgeber verbracht wird. Die Zahl befristeter und informeller Beschätigungsformen wächst. Viele fürchten angesichts dessen um den Arbeitsplatz und den Verlust der sozialen AbsicheAnja Karliczek MdB Foto: Tobias Koch

Mitglied des Finanzausschusses des Bundestages und dort Berichterstatterin für Altersvorsorge

rung. Häuig überlagert dies das Bewusstsein für die Chancen, die diese neuen Entwicklungen bieten. Unsere sozialen Sicherungssysteme wurden immer dem Wandel der Zeit angepasst. Sonst hätten sie keinen Bestand haben können. Auch heute ist es unsere Aufgabe, die passenden Lösungen zu inden, damit unser Sozialsystem neuen Entwicklungen gerecht wird.

Wandel schafft Chancen Eine lexiblere Arbeitswelt erfordert Veränderungen in unseren sozialen Sicherungssystemen. Die Bundesregierung möchte die betriebliche Altersvorsorge stärken. Das erfordert Anpassungen. Text: Anja Karliczek

Die betriebliche Altersvorsorge ist ein wichtiger Baustein der Altersvorsorge. Fast 60 Prozent der sozialversicherungsplichtig Beschätigten verfügen über eine aktive Betriebsrentenanwartschat. Das sind rund 18 Millionen Arbeitnehmer. Im Durchschnitt wurden im Jahr 2012 pro Beschätigten dafür 362 Euro ausgegeben. Dabei reicht die Bandbreite allerdings von 1.115 Euro bei hohen Verdiensten bis 36 Euro pro Jahr bei Leiharbeitern.1 Der Grad der Verbreitung variiert zudem stark nach Branchen und Einkommen. Insbesondere bei geringen Verdiensten und in kleinen und mittleren Unternehmen gibt es große Lücken in der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. Die unionsgeführte Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgelegt, die betriebliche Altersvorsorge zu stärken. Das bedeutet auch, die

Anpassung an sich verändernde Erwerbsbiographien und die Schafung eines Rahmens, der auch unabhängig von langjähriger Beschätigung zur verlässlichen Altersvorsorge beiträgt. Mitnahme bei Arbeitsplatzwechsel ist entscheidend Viele Vorschläge dafür sind im Gespräch. Ich möchte drei Aspekte aufgreifen, die mir besonders wichtig sind: Die Zahl der Abschlüsse einer betrieblichen Altersvorsorge stagniert. Ursachen dafür sind ein großes, ja unübersichtliches Angebot an Verträgen, hohe Abschlusskosten für die Versicherten und ein großer bürokratischer Aufwand bei der Umsetzung der Entgeltumwandlung. Wollen wir mehr Abschlüsse einer betrieblichen Altersvorsorge, muss es sich lohnen, 1 FAZ vom 6.3.2015, „Ein bisschen was geht noch“

Wir müssen den passenden Rahmen schaffen, damit sie genutzt werden können 30

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AKTUELL Betriebliche Altersvorsorge

könnte sein, die Vorteile der Riester-Förderung auf die betriebliche Altersvorsorge zu übertragen. Kombiniert man heute die Riester-Rente mit der betrieblichen Altersvorsorge, müssen Krankenkassen- und Plegeversicherungsbeiträge in der Ansparund der Auszahlungsphase geleistet werden. Das ist eine entscheidende Einbuße in der Vorsorge. Der Wegfall der Sozialabgaben in der Auszahlungsphase könnte Anreize schafen, die Riester-Förderung für die betriebli-

Wollen wir mehr Abschlüsse, muss es sich lohnen, in jungen Jahren und mit kleinen Beträgen vorzusorgen. che Altersvorsorge einzusetzen. Dazu müssen der Krankenversicherung keine wesentlichen Beitragseinnahmen verloren gehen. Der Arbeitnehmer hat ohnehin die Möglichkeit, außerhalb der Betriebe zu „riestern“, und in der Auszahlungsphase fallen die Beiträge der Krankenversicherung und Plegeversicherung sowieso nicht an.

Bestand aktiver Anwartschaften in der betrieblichen Altersvorsorge nach Durchführungswegen Angaben in Millionen Verträgen (Ende 2013) Direktversicherung

4,9

Pensionskassen

4,8

Direktzusagen / U-Kassen 4,6 Pensionsfonds

0,45 Quelle: BMAS, TNS Infratest (2014)

Die Menschheit erlebt fortlaufend gravierende soziale und wirtschatliche Umwälzungen. Immer jedoch hat haben wir uns an neue Entwicklungen angepasst, ja wir erleben einen stetig wachsenden Lebensstandard und bessere Lebensbedingungen. Das heißt, dass wir die Chancen, die diese Herausforderungen bislang geboten haben, insgesamt auch genutzt haben. Chancen ergreifen zu können, setzt Zuversicht und Optimismus voraus. Damit die Menschen diese haben können, ist es unsere Aufgabe, mit der Anpassung der Altersvorsorge an eine sich verändernde Arbeitswelt ein verlässliches und attraktives Standbein für ein Auskommen im Alter zu l schafen.

Foto: Fotolia.com ©Boggy

bereits in jungen Jahren und mit kleinen Beträgen Vorsorge zu betreiben. Wir brauchen Angebote der Versicherungswirtschat, die übersichtlich und verständlich sind und nicht durch zu hohe Verwaltungs- und Vertriebskosten für die Arbeitnehmer unattraktiv werden. Nicht zuletzt, muss das Verfahren für Arbeitgeber auch in kleinen und mittleren Betrieben zu bewältigen sein. Durch häuigere Arbeitsplatzwechsel entstehen mehr Ansprüche an die betriebliche Altersvorsorge. Insbesondere bei Geringverdienern sind die Beträge jeweils sehr niedrig. Um die Anwartschaten übersichtlich zu erhalten und mit Eintritt der Rente einen Gesamt-Anspruch zu haben, sollten die Möglichkeiten erweitert werden, mit denen erworbene Anwartschaten bei einem Arbeitgeberwechsel mitgenommen werden können. Dies könnte den Anreiz zum Abschluss einer betrieblichen Altersvorsorge bei Geringverdienern erhöhen, auch weil für sie das Verfahren deutlich einfacher würde. Ein Vorschlag für die bessere Akzeptanz der betrieblichen Altersvorsorge und mehr Systemgerechtigkeit

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Foto: Fotolia.com ©sukporn

AKTUELL Chinesische Investoren in Deutschland

Text: Prof. Dr. Ulrike Reisach

Foto: Kion Group AG

Seit China Investments im Ausland lockerer handhabt und die Wirtschat langsamer wächst, drängen auch weniger bekannte Investoren nach Deutschland. Es bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob Strategie und Budget des Investors darauf ausgelegt sind, den Standort Deutschland nachhaltig auszubauen. Die chinesische Weichai Power hält mehr als 38 Prozent des Augsburger Gabelstaplers Kion (vormals Linde)

China investiert in Deutschland Wechselseitige Erfahrungen 32

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AKTUELL Chinesische Investoren in Deutschland

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Erfahrungen deutscher Firmen mit chinesischen Käufern Einige der ersten chinesischen Firmenkäufer waren mit der Illusion gekommen, insolvente deutsche Firmen durch günstige Zulieferungen und (Teil-)Verlagerung nach China ohne Qualitätseinbußen wieder lott zu machen. Diese Vorstellung hat sich nach den Misserfolgen von TCL/Schneider, D’Long/Fairchild Dornier und anderen gewandelt. Der chinesische Staat führte ein komplexes Genehmigungsprocedere ein, das dazu beitrug, dass viele Investitionen der letzten Jahre durch große Konzerne mit staatlichem Rückenwind erfolgten und aus deutscher Sicht sehr erfolgreich waren. So ist die Kooperation mit einem potenten chinesischen Investor eine willkommene Verstärkung für Unternehmen, die wirtschatliche Schwierigkeiten, ein unzureichendes Auslandsnetzwerk oder Nachfolgeprobleme haben. Chinesische Aukäufer übernehmen Marke, Mitarbeiter, Vertriebsstrukturen, Kundenstamm und teils auch die Technologie deutscher Firmen. Deutsche Firmenleitungen und Arbeitnehmer berichten von positiven Erfahrungen mit chinesischen Investoren, die Investitionspläne aufstocken um gezielt in Europa und außerhalb des RMB-Raums zu investieren. Fast immer bleibt das deutsche Management und wird durch einen chinesischen Finanzvorstand ergänzt. Chinesische Investoren wissen, dass Personalkontinuität notwendig ist,

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um das Vertrauen von Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten zu behalten. Deutsche Experten werden für die Einhaltung von rechtlichen und Qualitätsstandards und als Ausbilder für die chinesischen Kollegen gebraucht. Seit die chinesischen Behörden die Antragsverfahren für Investments im Ausland gelockert haben und die Wirtschat in China langsamer wächst, drängen zunehmend auch weniger bekannte Firmen, chinesische Private Equity Fonds und Privatinvestoren nach Deutschland. Es bleibt in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Strategie und Budget des chinesischen Investors darauf ausgelegt sind, den Standort Deutschland nachhaltig auszubauen. Erfahrungen chinesischer Firmenkäufer in Deutschland Das chinesische Ministerium für die Wirtschatszusammenarbeit mit dem Ausland und die Chinesische Handelskammer Deutschland bieten, auf Basis der Informationen von Bund und Ländern in Deutschland, chine-

und Freunde in Deutschland, die als Helfer, Kontaktvermittler und Dolmetscher agieren. Um zu prüfen, ob Investitionsziele lohnend sind, wollen chinesische Investoren alles über die Zielunternehmen erfahren – als potenzielle Kapitalgeber glauben sie „hoiert“ zu werden. Doch sie erleben, dass mittelständische Unternehmen selten bereit sind, einem Interessenten ohne weiteres Einblick in die Geschätsunterlagen zu gewähren. Befürchtungen vor unfreiwilligem Technologietrans-

Prof. Dr. Ulrike Reisach Hochschule Neu-Ulm, forscht seit 30 Jahren zu China und ist Autorin mehrerer Standardwerke zur deutsch-chinesischen Wirtschaftszusammenarbeit. Sie hält Vorträge und leitet Seminare für Führungskräfte beider Länder. Dabei bringt sie mehr als 20 Jahre Praxiserfahrung aus internationaler Strategieentwicklung und Unternehmenskommunikation ein. (www.ulrike-reisach.de)

Erfahrene deutsche Mitarbeiter werden für die Einhaltung von rechtlichen und Qualitätsstandards und als Ausbilder für die chinesischen Kollegen gebraucht. sisch sprachiges Informationsmaterial über Standorte und Branchen. Besonders gefragt sind der Maschinenbau und die Automobilzulieferindustrie, aber auch Feinmechanik und Optik, Mess- und Regeltechnik, Elektronik und Halbleiter, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie erneuerbare Energien. Doch die Suche nach speziischeren Informationen gestaltet sich für Investitionsinteressenten schwierig, da Englischkenntnisse nur bei den jüngeren Chinesen verbreitet sind, internationale Managementerfahrung selten ist und ausländische Webseiten von China aus meist unzugänglich sind. Gesellschats- und arbeitsrechtliche Fragen werden als Herausforderung, die deutschen Antragsverfahren für Einreise und Arbeitserlaubnis als Ärgernis wahrgenommen. Am meisten vertrauen chinesische Investoren auf Verwandte

fer, Qualitäts- und Imageeinbußen stehen im Raum. Ohne professionelle Unterstützung kann die zum Aubau gegenseitigen Vertrauens wichtige Kommunikation an unterschiedlichen Erwartungen und Wahrnehmungen scheitern. Daher sollten die Ausgangssituationen beider Firmen gründlich analysiert und die strategischen Ziele einer Zusammenarbeit präzisiert werden. In den Verhandlungen sind neben Budget und Organisationsstruktur auch Personen und wechselseitige Vorstellungen bzgl. Managementstil und Unternehmenskommunikation zu thematisieren. Gemeinsame StrategieWorkshops und Leadership-Trainings für deutsche und chinesische Führungskräte tragen dazu bei, das gegenseitige Verständnis und die Qualität der Zusammenarbeit zu steil gern.

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Foto: Meinen Fotografie München

hinesische Unternehmen, Investmentfonds und Privatleute sind die führenden ausländischen Investoren in Deutschland. Sie schätzen die Offenheit und das Wachstum des deutschen Marktes ebenso wie das Qualitätsimage. Die Mehrzahl chinesischer Investitionen sind Neugründungen, Errichtung von Niederlassungen, Vertriebsbüros, Gewerbe- oder Logistikparks. Die Zahl der von chinesischen Investoren übernommenen deutschen Firmen lag 2013 bei 25, doch inzwischen vergeht kaum eine Woche, in der nicht über neue Verhandlungen berichtet wird.


AKTUELL Zuwanderung

Die doppelte Dividende neues Zu Die geringere Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten belegt, dass Deutschland handeln muss. Die Zuwanderung aus demograiestarken Weltregionen setzt nicht einfach ein. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Netzwerke von Migranten bilden, die Wanderungsbewegungen anziehen.

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Foto: Fotolia.com ©Michael Tieck

Text: Prof. Dr. Michael Hüther

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ei allen Fortschritten und aller, auch internationaler Anerkennung. Unser Zuwanderungsrechts sendet keine klaren und transparenten Signale, weder für die Flüchtlings- noch die Arbeitsmigration. Der Hinweis von Innenminister de Maizière, dass sich 90 Prozent der Migration ohnehin der Steuerung entziehen, da sie auf Freizügigkeit in der Europäischen Union, Familiennachzug und humanitäre Flüchtlingswanderung entfallen, ist zwar richtig, aber keine Begründung für das Nichtstun. Denn rund die Hälfte der zuletzt über 1,3 Millionen Zugewanderten verlässt uns innerhalb eines Jahres wieder. Mit Blick auf die Folgen unseres demograischen Wandels und die wirtschatlichen Potenziale der Zuwanderung ist das ungünstig. Die geringere Zuwanderung aus Staaten außerhalb der Europäischen Union, sogenannten Drittstaaten, ist ein Beleg dafür, dass hier dringend etwas getan werden muss. Die Zuwanderung aus demograiestarken Regionen der Welt – wie Südostasien, Südasien, Lateinamerika – setzt nicht einfach ein, wenn es bei uns passt. Deutschland muss jetzt dafür sorgen, dass sich entsprechende Netzwerke von Migranten aus diesen Ländern bilden, die küntig Wanderungsbewegungen anziehen. Zuwanderung folgt überwiegend lange etablierten Pfaden. Derzeit proitiert der deutsche Arbeitsmarkt vor allem von Sonderfaktoren: Die volle Freizügigkeit für Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa und die hohe Arbeitslosigkeit in Südeuropa. Darauf können und sollten wir nicht dauerhat setzen.

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AKTUELL Zuwanderung

nutzen für ein uwanderungsgesetz

Punktesystem ist transparent Tatsächlich wurde in den vergangenen Jahren das deutsche Zuwanderungsrecht, das zunächst vor allem bedarfsorientiert über den Arbeitsmarkt deiniert war, weiter modernisiert. Das ist zu würdigen. Mit der „Blauen Karte“ für ausländische Akademiker 2012, dem Anerkennungsgesetz 2012 und der Beschätigungsverordnung 2013 wurde der Pfad zur Potenzialorientierung eingeschlagen, bei der die Qualiikation der Personen im Zentrum steht. Dennoch verschenken wir die gewonnen Vorteile durch Halbherzigkeit, regulatorische Hürden und bürokratische Mängel. Jede glaubwürdige Willkommenskultur verlangt nach einem zuwanderungsfreundlichen und transparenten Aufenthaltsrecht. Deshalb wird viel über das Punktesystem, wie es Kanada und auch Dänemark praktizieren, debattiert. Gute Perspektiven für einen Erfolg am deutschen

Arbeitsmarkt aufgrund des Potenzials der Zuwanderer und nicht erst ein konkretes Jobangebot eröfnen dann einfach und transparent einen Aufenthaltsstatus. Konlikte mit dem bestehenden bedarfsorientierten Recht können geregelt werden. Ungenutzt bleibt das Potenzial der Flüchtlingsmigration für einen erfolgreichen Integrationspfad. Das verbaut den Flüchtlingen, die jede Hilfe verdienen, Optionen und schadet damit der Bundesrepublik. Etwa jeder fünte Asylbewerber hat einen Hochschulabschluss, jeder dritte bringt einen Abschluss mit, der dem deutscher Facharbeiter entspricht. Mit dem Asylkompromiss vom vergangenen Winter wurde der Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge zwar zusammen mit der Residenzplicht gelockert. Warum werden aber nicht allen Flüchtlingen Deutschkurse angeboten? Dies obligatorisch zu tun, kostet viel Geld. Doch es ist gut angelegt: Für diejenigen, die bleiben dürfen und damit bessere Integrationschancen erhalten, und selbst bei denjenigen, die abgeschoben werden, weil auch sie deutsche Sprachkenntnisse zurück in ihre Heimatländer mitnehmen. Besonders problematisch ist es, wenn Flüchtlinge mit negativem Asylbescheid für einen Wechsel in die Arbeitsmigration zum Beispiel über die Blaue Karte erst wieder ausreisen müssen, um einen Visumantrag zu stellen. Der Statuswechsel sollte hier vor Ort möglich sein.

Das Umfeld für eine Modernisierung des Zuwanderungsrechts ist gut. 2/2015 TREND

Prof. Dr. Michael Hüther Direktor Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Foto: IW Köln

Die positiven ökonomischen Erwartungen an eine gesteuerte Zuwanderung sind gut begründbar. Bei den von 2001 bis 2011 Zugewanderten im erwerbsfähigen Alter liegt der Anteil mit Hochschulabschluss deutlich höher als bei der Gesamtbevölkerung – 31,1 versus 18,7 Prozent. Der entsprechende Anteil von Akademikern mit naturwissenschatlich-technischem Abschluss liegt derzeit bei den Migranten fast doppelt so hoch wie bei der heimischen Bevölkerung.

Schließlich können wir bei den jährlich etwa 4.000 minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen nicht tatenlos bleiben. Ihnen sollte der Zugang zu Bildung und Ausbildung ofenstehen, und dieser muss für die Ausbildungsbetriebe rechtssicher sein, etwa mittels eines humanitären Ausbildungsaufenthaltes. Das könnte sogar die Nachwuchsprobleme bei der dualen Ausbildung vereinzelt abmildern. Sprachkurse bauen Brücken Für die Bewältigung unseres demograischen Wandels darf nicht die „Begrenzung der Zuwanderung“, wie es im Aufenthaltsgesetz heißt, im Mittelpunkt stehen, sondern allein die Steuerung. So ließe sich manche Sorge nehmen, denn Zuwanderung muss erfolgreiche Integration zum Ziel haben. Laut Umfragen ist die Abwehrhaltung gegenüber Zuwanderung so niedrig wie nie. Unser Land erfährt eine doppelte Dividende kluger Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik früherer Jahre: Steigende Erwerbstätigkeit und zunehmende Akzeptanz für Migration. Das Umfeld für eine Modernisierung des Zuwanderungsrechts ist gut. Es wird noch besser, wenn die Bürger erleben, dass wir niemanden einfach so dulden, sondern über deutsche Sprachkurse für alle stabile Brücken l zu uns bauen.

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AKTUELL Zeitarbeit

Neue Einschränkungen sind überflüssig und gefährden die Tarifautonomie it einem gesetzlichen Equal Pay und einer Höchstbeschätigungsdauer von 18 Monaten droht die Große Koalition der Zeitarbeitsbranche schwer zuzusetzen. Dabei proitieren Arbeitgeber wie Arbeitnehmer von dem bewährten Instrument, während Tarilösungen bereits die Angleichung des Lohns regeln.

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Foto: Fotolia.com ©Kurhan

Herr Kramer, in der schnelllebigen Wirtschaft ist es für Unternehmen wichtig, flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren zu können. Welche Vorteile bietet die Zeitarbeit an dieser Stelle? Zeitarbeit ist ein ideales Instrument, um innerhalb kürzester Zeit auf sich laufend ändernde Bedingungen des Marktes reagieren zu können. Die Branche war nach der Krise 2009 ein ausschlaggebender Faktor dafür, dass sich die deutsche Wirtschat innerhalb kürzester Zeit wieder erholt hat. Bei Ausfall des Stammpersonals, etwa in Krankheitsfällen, bei Elternvertretung oder für Projektarbeiten, ist die Zeitarbeitsbranche die erste Adresse, wenn es um ein schnelles Reagieren auf wechselnde Bedingungen geht.

Die Bundesregierung plant, die Zeitarbeit noch stärker einzuschränken. Neben einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten steht unter anderem auch ein gesetzliches Equal Pay nach neun Monaten zur Diskussion. Welche Regulierung trifft Ihre Branche härter? Alle geplanten weiteren Einschränkungen würden die Branche schwer trefen – und es wären in erster Linie die Zeitarbeitnehmer, die vor allem auch inanziell unter den gesetzlichen Regelungen zu leiden hätten.

Wo liegt denn der Nachteil vom gesetzlichen Equal Pay gegenüber der aktuellen Tariflösung? Elf Branchenzuschlags-Tarifverträge regeln schon heute, dass sich der Lohn der Zeitarbeitskräte stufenweise dem der Stammbelegschat angleicht. Bereits nach vier Wochen proitieren die Zeitarbeitnehmer von einer ersten Gehaltserhöhung. Über neun Monate hinweg wird dann die Entlohnung dem Entgelt der Stammmitarbeiter angeglichen. Bei einem gesetzlichen Equal Pay bekäme ein Zeitarbeitnehmer erst nach neun Monaten mehr Geld.

Trend sprach exklusiv mit Sven Kramer, Stellvertretender Bundesvorsitzender des iGZ Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V., über die Zukunt der Zeitarbeit.

TREND 2/2015


AKTUELL Zeitarbeit

Würden Tariföffnungsklauseln Abhilfe schaffen? Zumindest würde den Vertragsparteien die Möglichkeit gegeben, lexibel auf längerfristige Anforderungen zu reagieren. Wären sich alle drei Parteien – Zeitarbeitnehmer, -geber und Kundenunternehmen – einig, könnte der Arbeitseinsatz dann auch über 18 Monate hinaus weiterlaufen. Also braucht die Branche gar keine weiteren gesetzlichen Einschränkungen? Weitere Einschränkungen sind vollkommen überlüssig und gefährden indes das hohe Gut der Tarifautonomie. Bislang haben es die Tarifvertragsparteien noch immer geschat, für die Zeitarbeitsbranche gemeinsam sowohl

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Erwartete Auswirkungen für das eigene Unternehmen, wenn die Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate begrenzt wird

keine Veränderung Veränderung

4,9 %

95,1 %

Abmeldungen vor Fristerreichung durch den Kunden

71,8 % 60,0 %

Häufigere Rotation zwischen Kundenunternehmen Steigende Anzahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse bezogen auf den Einsatz Steigende Übernahmen durch Kundenunternehmen

46,8 % 32,5 % 28,5 %

Weniger langfristige Weiterbildungen Verlust von Mitarbeiter/innen/Kündigungen/Entlassungen

1,4 %

Unzufriedene Mitarbeiter/innen/Kolleg/innen Weniger Aufträge/Einstellungsrückgang/ weniger Zeitarbeit insg./geringere Beschäftigtenzahlen Steigende Arbeitslosigkeit

1,1 %

Sonstiges

faire Wettbewerbsbedingungen als auch faire Löhne auszuhandeln. Durch vielfältige weitere Maßnahmen hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen zudem wirksame Schranken gegen den Missbrauch errichtet. An erster Stelle ist hierbei der iGZ-Ethikkodex zu nennen, der das Miteinander und den gegenseitigen Umgang von Zeitarbeitnehmern, Zeitarbeitgebern und Kundenunternehmen deiniert. Wer dagegen verstößt, muss sich anschließend im Beschwerdefall mit der vollkommen unabhängigen Kontakt- und Schlichtungsstelle auseinandersetzen, die mit drei hochkarätigen Experten aus dem Arbeitsund Tarifrecht besetzt ist. In welche Richtung wird sich die Zeitarbeitsbranche Ihrer Meinung nach langfristig entwickeln? Die Zeitarbeit wird sich zunehmend zu einer serviceorientierten Branche der Personaldienstleistung entwickeln. Es werden nicht mehr nur Arbeitskräte überlassen. Zeitarbeitsunternehmen werden küntig für ihre Kundenbetriebe die Aufgaben von Buchhaltungs- und Personalabteilungen übernehmen. Auch das Recruiting, also das Anwerben von Fachkräten, die dann in die Kundenirma übernommen werden, wird vermehrt in die Hände der Zeitarbeitsunternehmen gelegt.

1,1 % 0,5 % 5,2 %

(Mehrfachnennung möglich) Quelle: Soziale Innovation

Sven Kramer

Foto: Wolfram Linke/iGZ

Welche Befürchtungen haben Sie mit Blick auf die Höchstüberlassungsdauer? Immer wieder fordert die Politik, im Kampf gegen den Fachkrätemangel eigenes Personal weiterzubilden. Mit einer Einschränkung der Höchstüberlassungsdauer wird das in der Zeitarbeit quasi nicht mehr möglich sein, denn die investierten Kosten lassen sich dann unter Umständen nicht mehr amortisieren. Das läut der eigentlichen Intention zuwider. Außerdem wären längerfristige Einsätze, etwa die Vertretung in der Elternzeit oder Projektarbeiten, kaum mehr möglich. Wer möchte schon nach 18 Monaten auf eine hochspezialisierte Fachkrat verzichten, die er eigentlich drei Jahre braucht. Weiteres Manko – und da beißt sich die Katze richtig in den Schwanz – wäre nach 18 Monaten die inanzielle Rückstufung auf das Eingangsgehalt. Muss der Zeitarbeitnehmer seinen Platz wieder räumen, bekommt er auch bei einer Anschlussbeschätigung kein Equal Pay mehr. Denn das tariliche Equal Pav ist einsatzbezogen. Bei einem neuen Einsatz – selbst in der gleichen Branche – fängt die Zeitarbeitskrat wieder mit dem tarilichen Grundgehalt ohne die bislang gegebenenfalls erreichten Branchenzuschläge an.

Stellvertretender Bundesvorsitzender des iGZ Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.

Sven Kramer ist Geschäftsführer des iGZ-Mitglieds PEAG Personal GmbH. Seit 2004 vermittelt das Unternehmen qualifizierte Fachkräfte in verschiedene Branchen. Aktuell beschäftigt PEAG rund 3.000 Zeitarbeitskräfte.

Dadurch werden sich auch neue Aufgabenfelder für die Personaldisponenten in den Zeitarbeitsfirmen ergeben. Ist die Branche dafür gerüstet? Der Grundstein dafür wurde bereits 2008 mit der Einführung des Ausbildungsberufs zum Personaldienstleistungskaufmann (PDK) gelegt. Über drei Jahre hinweg erhalten die Auszubildenden eine fundierte Schulung, durch die sie zu hochspezialisierten Fachkräten werden, die allen Anforderungen der modernen Personaldienstleistung entsprechen. Die Zahlen spiegeln den Erfolg des Ausbildungskonzeptes wider: Der PDK gehört zu den 100 beliebtesten Ausbill dungen in Deutschland.

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AKTUELL Arbeitsmarkt

n Deutschland leiden circa zwanzig Millionen Menschen an einer der über hundert verschiedenen Formen des Rheumas. Es sind Erkrankungen, die mit Schmerzen und Funktionsstörungen im Bewegungsapparat einhergehen. Sie umfassen ein breites Spektrum: Chronische Rückenleiden, Osteoporose, Arthrosen und die Fibromyalgie gehören ebenso dazu wie das entzündliche Rheuma, beispielsweise die rheumatoide Arthritis, der Morbus Bechterew oder die Gelenkentzündung bei Schuppenlechte. Hinzu kommen rheumatische Systemerkrankungen, die auch die inneren Organe betrefen. Wenngleich Osteoporose und Arthrosen vor allem ältere Menschen betrefen, kennt Rheuma keine Altersgrenzen. Auch junge Menschen können an Rheuma erkranken. Das betrit vor allem die entzündlichen Rheumaformen. In den meisten Fällen verlaufen rheumatische Erkrankungen chronisch, sind (noch) nicht heilbar und erfordern eine regelmäßige medizinische Betreuung.

I Chronisch Kranken, die unter Rheuma leiden, stehen heute viel bessere herapien zur Verfügung als früher. Das erhöht ihre Chancen auf gesellschatliche Teilhabe und verbessert ihre Erwerbsfähigkeit. Arbeitgeber können hier unterstützen und bekommen Unterstützung. Text: Prof. Dr. med. Erika Gromnica-Ihle

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Foto: Fotolia.com ©psdesign

Berufstätig mit Rheuma

Vorurteile von Personalern lassen sich entkräften Es herrscht nach wie vor eine starke Unsicherheit im Hinblick auf die Ausbildung oder dauerhate Beschäftigung chronisch kranker Menschen. Die Bedenken Personalverantwortlicher beziehen sich auf mögliche Fehltage, zu viele Arztbesuche, eingeschränkte Leistungsfähigkeit oder eine zeitnahe Erwerbsminderung bei ihren küntigen Mitarbeitern. Diese Vorurteile lassen sich entkräten. In den letzten Jahren gab es einen Paradigmenwechsel in der Behandlung: rechtzeitige herapie, bevor die Gelenkschäden einsetzen, wirksamere Medikamente, die einen Krankheitsstillstand hervorrufen und vielfältige nicht-medikamentöse Interventionen stehen heute zur Verfügung. Zu den relevantesten Zielen rheumatischer Versorgung gehört heute, Menschen mit Rheuma die Teilhabe am gesellschatlichen Leben zu ermöglichen und auch die Erwerbsfähigkeit zu verbessern. In den letzten zwei Jahrzehnten ging die Anzahl von Frühver-

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AKTUELL Arbeitsmarkt

im Berufsleben zu halten. Zugleich bietet sich für die Unternehmen die Möglichkeit, Strategien für ein innerbetriebliches Gesundheitsmanagement zu entwickeln und zu erproben. Chronisch kranke Beschätigte müssen vielleicht stärker auf ihre Gesundheit achten als ihre gesunden Kollegen. In vielen Fällen genügen aber bereits kleine organisatorische Veränderungen, um Arbeitnehmern mit einer rheumatischen Erkrankung ihre Arbeit im Unternehmen dauerhat zu erleichtern oder diese zu sichern. Dazu können beispielsweise die Flexibilisierung der Arbeitszeit (Gleitzeit, Teilzeit) oder die Veränderung des Tätigkeitsbereiches durch einen innerbetrieblichen Wechsel beitragen. Die Bundesagentur für Arbeit sowie die Integrationsämter, die Berufsgenossenschaten oder die Rehabilitations-Träger wie die gesetzlichen Krankenkassen, die gesetzliche Rentenversicherung oder die gesetzliche Unfallversicherung halten außerdem eine Vielzahl von betrieblichen Fördermöglichkeiten für Arbeitnehmer mit Behinderungen bereit:  Für Maßnahmen zur Anpassung des Arbeitsplatzes, die eine ergonomische Arbeitsumgebung

rentungen in der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt stark zurück, daran partizipierten die Patienten mit rheumatoider Arthritis in mindestens gleichem Umfang. Nach einer in ausgewählten rheumatologischen Kliniken und Praxen durchgeführten Langzeiterhebung mit jährlich ca. 17.000 Patienten sank die mittlere Arbeitsunfähigkeitsdauer bei allen Beschätigten mit rheumatoider Arthritis im Zeitraum von 1997 bis 2011 um 63 Prozent. Zum Vergleich: Bei allen GKV-Plichtversicherten verringerte sich die mittlere Arbeitsunfähigkeitsdauer im selben Zeitraum nur um drei Prozent. Betrofene sind ot – oder gerade wegen ihrer chronischen Erkrankung – besonders motiviert, ein Ausbildungsziel zu erreichen und berufstätig zu sein. Und angesichts des zu erwartenden Fachkrätemangels ist es umso wichtiger, rheumakranke Menschen

Anteil erwerbstätiger RA-Patienten mit Arbeitsunfähigkeit im Vorjahr und mittlere AU-Dauer (1997-2012)

73

mittlere AU-Dauer in Tagen

76 68

66 50

49 37

39%

40%

38%3

34

36

40 32

31

33

35

28

mit Arbeitsunfähigkeit

8% 35% 32% 28%

35%

34% 31%

30% 26%

26%

32% 29% 26%

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

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Quelle: DRFZ, Berlin

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Prof. Dr. med. Erika Gromnica-Ihle Präsidentin Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V.

Mit über 280.000 Mitgliedern, die in 16 Landesverbänden und drei diagnosespezifischen bundesweiten Mitgliedsverbänden organisiert sind, ist die Deutsche Rheuma-Liga die mitgliederstärkste Selbsthilfeorganisation im Gesundheitsbereich. Angebote der Hilfe und Selbsthilfe für betroffene Menschen, Aufklärung der Öffentlichkeit über rheumatische Erkrankungen, die Förderung von patientenorientierter Forschung sowie die Vertretung der Interessen chronisch rheumakranker Menschen im politischen Bereich gehören zu ihren vielfältigen Aufgaben.

beispielsweise mit verstellbaren Stühlen/Tischen schafen, können Arbeitgeber Zuschüsse vom Integrationsamt erhalten. Dies gilt auch, wenn Zugänge und Sozialräume behindertengerecht umgebaut werden müssen.  Die Bundesagentur für Arbeit kann für einen behinderten Auszubildenden einen Teil der Vergütung zeitweise oder für die ganze Ausbildungsdauer übernehmen.  Unter bestimmten Voraussetzungen werden von der Bundesagentur für Arbeit auch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gezahlt.  Für Arbeitgeber und Personalverantwortliche bietet die Deutsche Rheuma-Liga die Broschüre „Mit Rheuma gut arbeiten“ an. Die Broschüre gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und enthält zahlreiche Hinweise über die verschiedenen betrieblichen Fördermöglichkeiten.  Einen Überblick zum hema bietet die Rheuma-Liga auch auf ihren Internetseiten www.rheuma-liga.de/ beruf.  Durch die Beschätigung chronisch kranker Menschen haben Arbeitgeber zudem die Möglichkeit auch nach außen zu signalisieren, dass sie soziale Verantwortung übernehl men.

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Foto: Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V.

In vielen Fällen genügen kleine organisatorische Veränderungen, um Arbeitnehmern mit Rheuma die Arbeit zu erleichtern oder zu sichern.


AKTUELL Bildung

Kein Widerspruch

Foto: ROCKYOURLIFE ©Moussa_Hakal

Mehr Bildungsgerechtigkeit und qualifizierte Auszubildene

Neue Wege bei der Qualiizierung von Schülern mit benachteiligten Hintergründen beschreitet sehr erfolgreich ROCK YOUR LIFE! Davon proitieren Gesellschat und Wirtschat. Text: Philip Ihde

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AKTUELL Bildung

I

den mit der Unterstützung von rund 4.000 Studierenden mehr als 3.000 Schüler erreicht. Ermöglicht wird dies durch aktuell über 45 lokale, studentische Vereine an Hochschulstandorten in ganz Deutschland und der Schweiz. Um den Herausforderungen des dezentralen Netzwerks gewachsen zu sein, kümmert sich seit Anfang 2010 die ROCK YOUR LIFE! gemeinnützige GmbH mit Sitz in München darum, die Qualität des Mentorings, die Weiterentwicklung des Programms und das einheitliche Autreten der Marke ROCK YOUR LIFE! zu gewährleisten. Um die hohe Qualität des Programms stärken, bietet ROCK YOUR LIFE! den Teilnehmern eine umfangreiche Qualiizierung, verteilt auf sechs Seminartage. Dort entdecken die Schüler ihre Stärken und entwickeln mögliche Karrierewege, die zu ihnen passen. Zusammen legen die Paare Ziele für die zwei Jahre fest. Neben dem Mentoring spielen Kooperationen mit Unternehmen eine wichtige Rolle. Über 80 Partnerunternehmen der lokalen ROCK YOUR

eine überregionale, strategische und zentral durch die ROCK YOUR LIFE! gGmbH gesteuerte Partnerschat mit dem Einzelhandelsunternehmen PENNY. Im Programm Zukuntskick fördert der Lebensmittel-Discounter die teilnehmenden Standorte zum einen über die Finanzierung von Seminaren Philip Ihde Foto: ROCKYOURLIFE

n Deutschland hängt Bildungserfolg nach wie vor stark von der sozialen Herkunt ab.1 Besonders für Jugendliche aus benachteiligten Hintergründen ist der Übergang auf eine weiterführende Schule oder in das Berufsleben ot erschwert.2 Rund eine viertel Million Jugendliche landen jährlich im Übergangssystem. Auf der anderen Seite klagen Unternehmen über mangelnde Bewerberqualität und -quantität. Viele Arbeitgeber stellen gleichzeitig keine Absolventen mit niedrigem Schulabschluss ein. Im Jahr 2014 blieben 37.100 Stellen unbesetzt. Diese fehlende Bildungsgerechtigkeit und erschwerte Aufstiegsmöglichkeiten führen zu mangelnder sozialer Mobilität und verstärken die Trennung unterschiedlicher sozialer Schichten. Potenzial und Talent wird systematisch verschwendet und der drohende Fachkrätemangel nur noch verstärkt – an diesem Punkt setzt ROCK YOUR LIFE! an. Die gemeinnützige Organisation baut Brücken zwischen Schülern, Studierenden und Unternehmen. Zu die-

Geschäftsführer ROCK YOUR LIFE! gGmbH

für die Schüler und ihre Mentoren. Zum anderen bietet er verschiedene Angebote wie den Entdeckertag – ein Schnuppernachmittag im Markt –, ein Praktikum und ein abschließendes Bewerbungstraining mit Personalexperten. PENNY unterstützt ROCK YOUR LIFE! als Partner mit maßgeschneiderten Angeboten. Davon proitieren die Vereine der Organisation und vor allem die Schüler. Denn die Vision der

ROCK YOUR LIFE! baut Brücken zwischen Schülern, Studierenden und Unternehmen. Dafür qualiiziert die gemeinnützige Organisation Studierende, die Schüler in den letzten beiden Schuljahren und beim Start in die Zukunt begleiten. sem Zweck qualiiziert ROCK YOUR LIFE! Studierende als Mentoren, die ehrenamtlich je einen benachteiligten Schüler während der letzten beiden Schuljahre und beim Start in die Zukunt begleiten. Gemeinsam arbeiten Studierender und Schüler an den individuellen Zielen und Fähigkeiten des Jugendlichen. Ziel ist der Ausbau berulicher Perspektiven und die individuelle Potenzialentfaltung der Schüler. Die Studierenden entwickeln als Mentoren personale sowie soziale Kompetenzen, lernen eine andere Lebenswelt kennen und übernehmen gesellschatliche Verantwortung. Seit der Gründung von ROCK YOUR LIFE! an der Zeppelin Universität Friedrichshafen im Jahr 2009 wur-

1 Bildungsbericht 2014; Chancenspiegel 2014; PISA 2012; Woher und Wohin 2014 2 Diskriminierung am Arbeitsplatz 2014

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LIFE! Vereine ermöglichen den Schülern Einblicke durch Praktika und Unternehmensbesichtigungen und – über das Angebot von Ausbildungsplätzen – sogar den erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben. Die Unternehmen proitieren von den maßgeschneiderten Kooperationen, indem sie Kontakt zu motivierten potentiellen Auszubildenden erhalten und ihr gesellschatliches Engagement stärken können. Diese Kooperationen sind zumeist lokal an den Standorten organisiert und bieten vielfältige Möglichkeiten: Während den Schülern aus Berlin im Hotel Adlon ein Knigge-Workshop mit begleitendem 3-Gang-Menü angeboten wird, lernen sie im Münchener MAN-Werk die Ausbildungsberufe vor Ort bei einer von Trainees organisierten Praxiswoche kennen. Neben den lokalen Kooperationsmöglichkeiten gibt es seit 2014 erstmals

Organisation ist eine Gesellschat, in der Bildungsgerechtigkeit, soziale Mobilität und Chancengleichheit Realität für alle Menschen sind. Das Konzept für diese „Co-Creation“ wurde in enger Absprache gemeinsam erarbeitet, 2015 von aktuell acht auf insgesamt 18 Standorte ausgeweitet und soll in Zukunt auch auf weitere Unternehmen übertragen werden. Für sein Engagement wurde ROCK YOUR LIFE! 2009 von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen des Wettbewerbs „startsocial“ als eines der Sozialunternehmen des Jahres ausgezeichnet. Seit 2011 ist das Mentoring-Programm Teil der „Allianz für Bildung“ des Bundesministeriums für Forschung und Bildung. 2015 wurde ROCK YOUR LIFE! erneut das wirkt!-Siegel der sozialen Rating-Agentur PHINEO für seine bel sondere Wirksamkeit verliehen.

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN INTERNATIONALER KREIS

Foto: Jens Schicke

Unternehmen müssen für Akzeptanz von TTIP eintreten

Die Bundesfachkommission Internationaler Kreis diskutiert über das Transatlantische Freihandelsabkommen

Unter Vorsitz von Dr. Jürgen M. Geißinger, Mitglied des Aufsichtsrates der MTU Aero Engines AG und Sandvik AB, diskutierten die Mitglieder der Bundesfachkommission Internationaler Kreis sowohl mit Dr. Maria Flachsbarth MdB, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschat als auch mit Philipp Mißfelder MdB, Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wie man die Deutungshoheit über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP in Deutschland wieder zurückgewinnen kann. Leider haben Bürgerbewegungen erfolgreich große Verunsicherung in der Bevölkerung gestreut, so dass es tatkrätiger Auklärung bedarf. Hier sehen die Politiker auch die Unternehmen in der Verantwortung, die ihre l Mitarbeiter über die Chancen von TTIP auklären müssen.

ROHSTOFFPOLITIK

STEUERN, HAUSHALT UND FINANZEN

Fracking-Technologie kontrolliert einsetzen

Lange Linien in der Hauspolitik konsequent verfolgen – Erbschaftsteuerreform neu denken

Die Mitglieder der Bundesarbeitsgruppe Rohstofpolitik betonten, dass sich ein führendes Industrieland neuen Technologien nicht verschließen dürfe. Stattdessen sollte Deutschland die Möglichkeit nutzen und im Rahmen eines strengen Umweltrechts das Fracking beherrscht und umweltsicher einsetzen. Die technologische Entwicklung habe enorme Fortschritte gemacht: Horizontalbohrungen sind eizienter und umweltverträglicher als vor 15 Jahren. Die Fracking-Technologie könne ein Exportschlager werden. Die neue Gesetzgebung dazu begrüßte die Arbeitsgruppe sehr. Die Berichterstatterin Rohstofpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss für Wirtschat und Energie, Dr. Herlind Gundelach MdB, unterstrich, dass die Unternehmen Planungssicherheit bräuchten. Anderenfalls drohe eine Zurückhaltung der Wirtschat bei Investitionen in Pilotprojekte l und womöglich die Abwanderung in andere Länder.

Foto: Christian Kruppa

Gemeinsam mit Ralph Brinkhaus MdB diskutierten die Mitglieder der Bundesfachkommission Steuern, Haushalt und Finanzen über die Entwicklungen in der Finanz- und Steuerpolitik. Haushalterisch ginge es jetzt um die langen Linien, sagte Brinkhaus.

Foto: Jens Schicke

v.l.n.r. Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident Bundesverfassungsgericht a.D.; Frank Grube, Kommissionsvorsitzender; Ralph Brinkhaus MdB; Dr. Ullrich Fechner, Profunda Verwaltungs-GmbH; Dr. Rainer Kambeck, Bereichsleiter Steuern und Finanzen, DIHK

Sitzung der AG Rohstoffpolitik unter der Leitung von Dr. Peter Blauwhoff

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Das bedeute die schwarze Null über alle Ebenen dauerhat zu halten. Spielräume müssten dann für neue Investitionen genutzt werden. Freiherr Christian von Stetten MdB, Vorsitzender Parlamentskreis Mittelstand, CDU/CDU-Bundestagsfraktion sowie Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident Bundesverfassungsgericht a.D., bewerteten die Eckpunkte des Bundesinanzministeriums zur Erbschatsteuer als unangemessen restriktiv. Die Mitglieder der Kommission forderten die Große Koalition auf, die vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Gestaltungsspielräume zu nutzen. Es könne nicht sein, dass die besonderen Unternehmensstrukturen in Deutschland, nachweislich Motor für Wachstum und Arbeitsplätze, durch die Einbeziehung fast aller Familienunternehmen in die Erbschatsteuer zerschlagen würden. l

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

ENERGIEEFFIZIENZ

DIGITAL HEALTH

Klimabeitrag muss vom Tisch

PARADIGMENWECHSEL im Gesundheitswesen muss jetzt gelingen

v.l.n.r. Dr. Wolfgang Scheremet, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung; Dr. Johannes Lambertz, Vorsitzender Bundesfachkommission Energiepolitik im Wirtschaftsrat; Ralph Heuwing, Finanzvorstand/CFO Dürr Systems GmbH; Dr. Martin Iffert, Vorsitzender des Vorstands Trimet Aluminium SE, Prof. Dr. Alexander Sauer, Universität Stuttgart, Institut für Energieeffizienz in der Produktion

jetzt vom Tisch müsse. Wenn die deutschen und europäischen Klimaziele erreicht werden sollen, dann müssen stattdessen Maßnahmen zur Steigerung von Energieeizienz in den Vordergrund gestellt werden. Mit Sorge sieht der Wirtschatsrat zudem, dass die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Energieeizienz (NAPE) nur schleppend im Gebäude- und Industriesektor vorankommt. Dr. Herling Gundelach MdB, Berichterstatterin für Energieeizienz und –einsparung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stellte vorweg, dass die CDU/CSU-Fraktion den vom BMWi vorgestellten Klimabeitrag entschieden ablehnt, da dieser nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch tausende Arbeitsplätze am l Standort Deutschland gefährdete.

Die Akzeptanz für die Digitalisierung im Gesundheitswesen über die technischen Anwendungen in den Arztpraxen hinaus zu schaffen, das muss das Ziel sein. Darin herrschte Konsens unter den Mitgliedern der Bundesfachkommission Digital Health. Dazu müssten den Patienten die Vorteile der Digitalisierung vermittelt und vorhandene Bedenken ausgeräumt werden. Der Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen müsse jetzt gelingen. Dazu gehöre auch endlich das „Gegeneinanderarbeiten“ von Selbstverwaltung, Krankenkassen, Ärzten und Wirtschat zu überwinden. Verbesserungen wie die elektronische Patientenakte sollten noch in das E-Health-Gesetz integriert werden. In den Fokus rückt dabei das innovationsfeindliche deutsche Datenschutzrecht. Es müsse ofen diskutiert werden, was übertriebener Datenschutz verhindere. Die Nachbesserungen dürten jedoch nicht die überfällige l Verabschiedung des E-Health-Gesetzes gefährden.

Foto: Jens Schicke

Foto: Jens Schicke

Die Bundesfachkommission Energieeizienz diskutierte unter dem Vorsitz von Ralph Heuwing, Finanzvorstand Dürr AG, die Konsequenzen eines Kohleausstiegs per staatlichem Diktat: So werde die Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit des Industriestandorts Deutschland und Europas aufs Spiel gesetzt. Die Kommissionsmitglieder forderten, dass der Klimabeitrag

v.l.n.r. Holger Rostek, Leiter Unternehmensbereich IT, Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg; Frederick Richter, Vorstand, Stiftung Datenschutz; Frank Gotthardt, Vorsitzender Bundesfachkommission Digital Health; Maik Beermann MdB, Berichterstatter IT in der Gesundheitswirtschaft/eHealth im Ausschuss Digitale Agenda, CDU/CSU-Bundestagsfraktion; Ekkehard Mittelstaedt, Geschäftsführer, Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e.V.

UMWELTPOLITIK

Dr. Sonja Optendrenk, Leiterin Gruppe 32, Nachhaltigkeit, Infrastrukturpolitik, Bundeskanzleramt erläuterte den Mitgliedern der Bundesfachkommission Umweltpolitik das Ziel der internationalen Klimaverhandlungen bis Ende des Jahres. Demnach soll ein internationales Klimaabkommen auf den Weg gebracht werden, das alle wesentlichen Industrie- und Schwellenländer rechtlich bindet. Die USA und China senden bereits erste positive Signale aus, sich an einem solchen Abkommen beteiligen zu wollen. Die Kommissionsmitglieder wiesen eindringlich auf die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hin. Dies sei gerade für energieintensive Unternehmen auf die energiepolitischen Rahmenbedingungen und die akl tuelle Klimaschutzpolitik zurückzuführen.

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Foto: Jens Schicke

Wettbewerbsfähigkeit leidet unter Klimaschutzpolitik

v.l.n.r. Prof. Reinhard Quick, Geschäftsführer Europabüro, Verband der Chemischen Industrie; Dr. Wolfgang Große Entrup, Vorsitzender Bundesfachkommission Umweltpolitik im Wirtschaftsrat; Ursula Lüttmer-Ouazane, Geschäftsführerin, Monsanto Agrar Deutschland GmbH; Dr. Sonja Optendrenk, Leiterin Gruppe 32, Nachhaltigkeit, Infrastrukturpolitik, Bundeskanzleramt

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WIRTSCHAFTSRAT Soziale Medien

Mehr als bloße

Präsenz Der Wirtschatsrat baut seine Aktivitäten in den Sozialen Medien konsequent aus. Das Echo auf Veranstaltungen und politische Debatten ist positiv. Text: Philipp Schwartz

ber 12.000 Personen folgen dem Wirtschatsrat aktiv in den Sozialen Medien – mehr als 100.000 Menschen erhalten auf diesem Wege jeden Monat seine Botschaten, Forderungen, Statements und Positionen. Mit seinem informativen Autritt möchte der Wirtschatsrat mit Mitgliedern und Interessierten in Kontakt treten, Meinungen austauschen und durch griige Botschaten politische Debatten anstoßen. Der Wirtschatsrat nutzt die Sozialen Medien auch dafür, um live von seinen Veranstaltungen zu berichten. Auf dem „Kompetenzzentrum Deutschland 2015“ twitterten viele Teilnehmer unter dem Hashtag #wrat Bilder und Kernbotschaten der Redner und Podiumsteilnehmer in die digitale Welt – mit großem Erfolg. Beiträge mit dem Hashtag #wrat waren in dieser Zeit so zahlreich, dass sie es deutschlandweit unter die Top 5 der am meisten diskutierten hemen schaten. Echtzeit-Bilder von hochkarätigen Referenten wie Bundesministerin Johanna Wanka und EU-Kommissar Günther Oettinger verdeutlichten das Engagement und die Rolle des

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Wirtschatsrates in der gesellschatspolitischen Diskussion um die Digitale Agenda. Aber auch auf Landesebene werden Veranstaltungen durch Tweets begleitet und dadurch einem breiteren Publikum zugänglich. So ließ die saarländische Ministerpräsidentin ihre Follower wissen, dass sie an einer Veranstaltung des Wirtschatsrates in Pforzheim zum hema Föderalismus teilnimmt. Neben Print- und Onlinemedien, Newslettertools und der Homepage ist die Präsenz des Wirtschatsrates in den Sozialen Medien eine ideale Ergänzung seiner Kommunikationsarbeit. Sie bietet eine aussagekrätige, unterhaltsame Darstellung seiner Arbeit und Aktivitäten und fordert alle Interessierten auf, sich aktiv an politischen Debatten zu l beteiligen.

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Wolfgang Steiger Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Investieren in Infrastrukturen atürlich ist es gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass die CDU in der Großen Koalition beharrlich dafür gekämpt hat, die schwarze Null im Bundeshaushalt zu erreichen. Aber obwohl der Bundesinanzminister tapfer bei immer neuen Ausgabenwünschen seiner Kollegen gegenhält, ist am Ende doch die Bilanz dieser Großen Koalition, dass sie Politik zu Lasten der nachfolgenden Generationen macht. Sie hat sich in Konjunkturhoch und Arbeitsmarktaufschwung bequem eingerichtet und blendet schlicht aus, woher küntig Wachstum kommen soll. Vor allem Investitionen in Infrastrukturen – und damit in Deutschlands Zukunt – kommen zu kurz. Die Digitale Agenda der Bundesregierung liest sich gut, aber der Breitbandausbau insbesondere in ländlichen Regionen, ist seitdem nicht wesentlich vorangekommen. Die Geschwindigkeiten, die in den Datennetzen erreicht werden sollen, sind heute vielfach in europäischen Nachbarstaaten schon Standard. Das ist besonders misslich, weil Deutschland als Industrieland Nummer Eins in Europa sehr gut aufgestellt ist, um den Wachstumsmarkt Industrie 4.0 mit einem Vorsprung für sich zu erobern. Angesichts riesiger Datenvolumina sind hier schnelle Netze jedoch ähnlich unverzichtbar wie ein klarer gesetzlicher Rahmen. Ebenfalls marode präsentiert sich vielerorts unsere Verkehrsinfrastruktur. Ob Schleusen, Brücken oder Straßen – Deutschland als Exportland im Herzen Europas kann sich den Verfall nicht länger leisten. Daran wird auch die jüngst verabschiedete Pkw-Maut wenig ändern, die wohl von ihren eigenen Bürokratiekosten aufgefressen wird. Aber hier fehlt nicht nur Geld, hier hapert es vor allem am System: zu intransparent, zu teuer, zu aufwendig. Ein grundlegender Umbau kann Eizienzen heben. Das vom Wirtschatsrat entwickelte Modell

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der Bundesverkehrsnetz AG schat Abhilfe, es wird erfreulicherweise bereits von den Bundesministern Schäuble und Dobrindt unterstützt. Wenig glücklich dümpelt auch die Energiewende vor sich hin. Daran hat auch die halbherzige EEG-Reform des Bundeswirtschatsministers nichts geändert. Wir haben bereits 105 Milliarden Euro an Subventionen für erneuerbare Energien gezahlt, weitere 192 Milliarden sind schon festgeschrieben. Und am Ende ot für Windenergie, die niemand abnehmen kann, weil auch weiterhin die Hochspannungsleitungen von Flensburg oder Bremerhaven nach Stuttgart oder München fehlen. Hohe Energiekosten werden zum strukturellen Standortrisiko in Deutschland. Ein Drittel der Industrieunternehmen plant seine Produktion ins Ausland zu verlagern. Es kann nicht sein, dass unser Bundeswirtschatsminister selbst zur Deindustrialisierung beiträgt. Klar war mit Regierungsantritt, dass das Rentenpaket der Großen Koalition die Jungen teuer zu stehen kommt. Allmählich wird die von Frau Nahles durchgesetzte Rente mit 63 zu einem unkalkulierbaren Kostenrisiko: Bis Ende März haben 279.000 Arbeitnehmer einen Antrag gestellt. Allein dafür müssen Beitragszahler und Unternehmer bis 2030 rund 15 Milliarden Euro aubringen. Tendenz steigend. Fazit: Es ist höchste Zeit, die Dinge wieder ins Lot zu rücken. Ohne vorherige Reformen stünde Deutschland heute nicht da, wo es jetzt steht. Gelingen muss es jetzt die Weichen zu stellen, die unseren Kindern und Enkeln Wachstum und Wohlstand bringen. Dazu ist die Politik gefragt, wieder stärker wirtschatlichen Sachverstand in ihre Entscheidungen einließen zu lassen. Sonst wird die einzige Errungenschat für die nachfolgenden Generationen – die schwarze Null – schnell wieder Geschichte l sein.

STANDPUNKT STEIGER

Foto: Jens Schicke

Es ist höchste Zeit, die Dinge wieder ins Lot zu rücken.

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WIRTSCHAFTSRAT Verkehrsinfrastruktur

Wirtschaftsrat-Modell der Bundesverkehrsnetz AG steht für mehr

Effizienz in der Verkehrswegefinanzierung Deutschland braucht den Befreiungsschlag: Investitionen für Erhalt, Betrieb und Ausbau der Verkehrswege dürfen nicht länger abhängig sein von der Lage der öfentlichen Haushalte. Die Lösung liegt in einer betriebswirtschatlich aufgestellten bundeseigenen Gesellschat. arode Brücken, löchrige Straßen im gesamten Bundesgebiet – weiträumige Umleitungen und drastische Geschwindigkeitsbegrenzungen sind vielfach die Folge, die Deutschland volkswirtschatlich betrachtet teuer zu stehen kommen. Die Probleme sind nicht neu und vor allem hausgemacht: Schon seit mehr als einem Jahrzehnt verzeichnet Deutschland einen Substanzverlust bei der Verkehrsinfrastruktur. Eine Ausweitung der Nutzerinanzierung allein wird das Problem maroder Straßen und Brücken nicht lösen – vor allem nicht, wenn, wie jetzt mit der Pkw-Maut, ein weiteres Bürokratiegebilde geschafen wird, das die Einnahmen nahezu auffrisst. Stattdessen muss das herkömmliche System der Verkehrswegeinanzierung, das sichtbar an seine Grenzen stößt, endlich grundlegend umgebaut werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass mit von Wirtschat und Bürgern zusätzlich erbrachten Einnahmen lediglich frisches Geld in immer noch ineiziente Strukturen geleitet wird. Vor allem die einjährige Haus-

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haltsführung als Ursache des „Dezember-Fiebers“, die fehlende Zweckbindung der Finanzmittel, die regelmäßig die Umschichtung von Sanierungsgeldern zulässt, und nicht zuletzt die teure Bund-Länder-Autragsverwaltung mit ihren 16 Einzellösungen erweisen sich immer mehr als Fass mit großem Loch im Boden. Es muss Schluss sein mit zersplitterten Zuständigkeiten, fehlender Transparenz, hohen Bürokratiekosten und der Bereitstellung von Investitionsmitteln nach Kassenlage. Der Wirtschatsrat strebt den Befreiungsschlag an und hat daher das Konzept einer Bundesverkehrsnetz AG ins Spiel gebracht, das innerhalb der Bundesregierung mittlerweile intensiv diskutiert wird. Ziel des Wirtschatsratsmodells ist es, die Investitionen für Erhalt, Betrieb und Ausbau der Verkehrswege aus der Abhängigkeit öfentlicher Haushalte und den jährlichen Schwankungen verfügbarer Finanzmittel herauszulösen, damit planbarer und verlässlicher zu gestalten und zugleich Zukuntsinvestitionen zu ermöglichen. Die Lösung liegt

in einer betriebswirtschatlich aufgestellten bundeseigenen Verkehrsinfrastrukturgesellschat. Dazu schlägt der Wirtschaftsrat konkret vor:  In einer Bundesverkehrsnetz AG werden zunächst alle Bundesautobahnen und -straßen zusammengefasst. Nach erfolgreicher Etab-

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WIRTSCHAFTSRAT Verkehrsinfrastruktur

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lierung der Gesellschat werden in einem zweiten Schritt auch das bundeseigene Schienennetz und die Bundeswasserstraßen integriert.  Zuständig ist die Gesellschat für Erhalt, Betrieb, Aus- und Neubau der Verkehrsnetze. Die Leistungserbringung erfolgt soweit als möglich durch Hinzuziehung Dritter, etwa in Form von Konzessionsver-

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Große Koalition hat die Mehrheit, das System zu ändern Die Grundlinien des Konzepts werden – bis auf die Einbeziehung privater Partner – selbst von Bündnis90/Die Grünen mitgetragen, wie ein unlängst vorgestelltes eigenes Modell der grünen Bundestagsfraktion beweist. Obgleich das Konzept der Grünen in weiten Teilen mit der vom Wirtschatsrat vorgeschlagenen Bundesverkehrsnetz AG übereinstimmt, halten wir die Absage der Grünen an die Einbindung privaten Kapitals für einen gravierenden Fehler. Gerade die Aktivierung privaten Kapitals und die Einbindung privater Konzessionäre wird die Infrastrukturgesellschat wesentlich stärken. Die Bedenken gegen die Aktivierung privaten Kapitals greit das Modell des Wirtschatsrates bewusst auf: Das Modell lehnt Staatsgarantien für Renditeproile ab. Hier haten die privaten Kapitalgeber für ihr Engagement. Alle anderen Lösungen würden lediglich eine staatlich subventionierte Anlagemöglichkeit für Versicherer, Finanzdienstleister oder Anleihe-Käufer bedeuten und keinen substanziellen Beitrag zur Lösung der Finanzierungsproblematik leisten.

Wir greifen mit unserem Modell die Bedenken gegen die Aktivierung privaten Kapitals bewusst auf: Kapitalgeber haten für ihr Engagement. Staatsgarantien lehnen wir ab.

So bilden im Modell des Wirtschatsrates allein die Nutzergebühren die das private Investment absichernden Erträge. Für die Straße bedeutet das, dass als Risikokomponenten das Verkehrsaukommen sowie das Maut-

Dr. Werner Kook Vorsitzender Bundesfachkommission Verkehr, Logistik und Infrastruktur, Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Foto: Jens Schicke

gaben. Im Bereich Neubau wird die Gesellschat allerdings nur aktiv, wenn der Deutsche Bundestag neue Verkehrsprojekte auch beschließt. Damit bleibt gewährleistet, dass der Staat nach wie vor die Hoheit über grundlegende Infrastrukturentscheidungen behält. Das Bestandsnetz hält die Gesellschat dagegen eigenständig in Schuss – was heute durch die Länder mit jeweils eigenen teuren Straßenbauverwaltungen erfolgt.  Die Finanzierung der Gesellschat erfolgt aus Steuermitteln, so etwa aus adäquaten Zuweisungen aus der Mineralölsteuer, aus Nutzerentgelten wie der Maut und aus der Einbindung privaten Kapitals. Die Gesellschat emittiert Anleihen, die sich Fonds, Versicherer und selbst Bürger kaufen können. Institutionelle Anleger investieren auch direkt in Projekte.

ausfallrisiko fungieren. Bezogen auf das Gesamtstraßennetz lassen sich so unterschiedliche Risikoklassen mit unterschiedlichen Renditeproilen zusammenstellen. Damit können institutionelle wie private Anleger zwischen verschiedenen Produktkategorien wählen – ohne dass der Staat ihnen gegenüber Garantien oder Versprechungen abgibt. Für den Wirtschatsrat steht fest: Das Konzept der Bundesverkehrsnetz AG steht für einen Befreiungsschlag für die verkrusteten Strukturen der Verkehrswegeinanzierung. Es schat eine sichere, auskömmliche und planbare Finanzausstattung für die Verkehrsinfrastruktur und mehr Eizienz, Kontrollier- und Nachvollziehbarkeit für die eingesetzten Mittel – und damit viel größere Handlungsspielräume für Zukuntsinvestitionen. Mit ihrer parlamentarischen Mehrheit hat die Große Koalition es in der Hand, hier noch in dieser Legislaturperiode richtungsweisende Entscheil dungen zu trefen.

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WIRTSCHAFTSRAT Klimapolitik

Ohne Paris kein internationales

Klimaabkommen

Wirksamer Klimaschutz kann nur im gemeinsamen, internationalen Schulterschluss gelingen.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich auf ein anspruchsvolles Klimaziel verständigt. Die Bundesregierung will dies noch zehn Jahre eher erfüllen. Die Klimakonferenz in Paris bietet jetzt die Chance, auf ein internationales Abkommen. Es ist jedoch noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. 48

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WIRTSCHAFTSRAT Klimapolitik

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gestalten sich komplex; dennoch, die Bilanz muss wohl stimmen und die Politik wird hier nicht locker lassen. Man könnte in diesem Zusammenhang überspitzt von einem „bilanziellen Klimaschutz“ sprechen. Weil besonders Kratwerke zum Schließen der „Bilanzlücke“ herange-

Deswegen ist ein Bedarf zum Schutz von Unternehmen in der EU, die im internationalen Wettbewerb stehen, auf absehbare Zeit weiter geboten. Der Schutz vor „Carbon Leakage“ und zwar sowohl für direkte als auch für indirekte CO2-induzierte Kosten ist nun konsequent umzusetzen.

Wir müssen uns auf das Kernziel konzentrieren: die Reduktion von Treibhausgasen zu den geringstmöglichen Kosten. zogen werden sollen, gibt es bereits erste Abschätzungen über die Kostensteigerung für den Strombezug, die nichts Gutes für die Wirtschat verheißen. Aber wofür macht man Klimaschutz: Um möglicherweise mit hohen Kosten ein nationales Zusatzziel zu erreichen oder um wirksamen und realen Klimaschutz zu betreiben? Sollte auch letzteres der Fall sein, müsste man die internationale Komponente viel stärker in den Blickwinkel nehmen. Die weltweiten anthropogenen Treibhausgas-Emissionen betrugen im Jahr 2010 etwa 49 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. In der Rangfolge China, USA, EU 28, Indien, Russland und Japan zeigen sich die wichtigsten globalen Emittenten. Um somit das Zwei-Grad-Celsius-Ziel (Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur) zu erreichen, kann es kein Klein-Klein geben. Es sind die großen Blöcke anzugehen, nicht die Trippelschritte. Gerade für Paris ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Nach der EU haben auch die USA und die VR China absolute bzw. speziische Emissionsreduktionsziele angekündigt. Auch wenn diese in ihrer Wirkung noch nicht bewertet werden können, ist die gemeinsame Ankündigung ein ermutigendes Signal für die internationalen Verhandlungen, die letztendlich zu einem globalen Klimaschutzabkommen führen sollten. Gleichwohl ist es keine realistische Erwartung, dass das Ergebnis von Paris so ohne weiteres ein globales Level Playing Field schafen wird – zu unterschiedlich sind die Ambitionsniveaus der einzelnen Staaten.

Und Deutschland sollte davon absehen, sich – zusätzlich zur großen Herausforderung Energiewende – nationale Emissionsreduktionsziele zu setzen, die über den in der EU vereinbarten Rahmen hinausgehen. Vielmehr ist es geboten, den in der EU vereinbarten Rahmen zum Efort Sharing efektiv und eizient umzusetzen. Es wird eher darauf ankommen, der internationalen Staatengemeinschat ein Bild von einer attraktiven als von einer eher „bilanziell“ angelegten Klimaschutzpolitik zu vermitteln. Erwartet werden darf von einer Klimapolitik ebenso, dass sie keine zusätzlichen Barrieren für Investitionen schat sondern Anreize in allen SekDr. Wolfgang Große Entrup Vorsitzender Bundesfachkommission Umweltpolitik, Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Foto: Bayer AG

er Europäische Rat hat Grundsatzentscheidungen für die Klima- und Energiepolitik der Europäischen Union bis 2030 getrofen, beispielsweise das anspruchsvolle Minderungsziel von 40 Prozent für Treibhausgas-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990. Damit sollten die wichtigsten Eckpunkte für die weitere Ausgestaltung der Klimapolitik vorliegen und zumindest in der Europäischen Union ein Level Playing Field erkennbar sein. Das aktuelle Aktionsprogramm Klimaschutz der Bundesregierung geht jedoch noch einen Schritt weiter. Auf der Beschleunigungsspur soll das Reduktionsziel von minus 40 Prozent für Treibhausgas-Emissionen bereits 2020 erreicht werden. Man kann nur hofen, dass jetzt die Bundesländer nicht der Versuchung erliegen, noch einen draufzusetzen. Die Diskussionen zum Klimaschutzplan NRW lassen diese Vermutung nicht ganz abwegig erscheinen. Nun liegt der Erreichungsstand des deutschen Klimazieles bei minus 24 Prozent (Vergleich 2013 mit 1990). Wenn es bei den bisherigen Klimaschutzmaßnahmen bleibt, ergeben Projektionen eine Lücke von fünf bis acht Prozent-Punkten bis zum Ende dieses Jahrzehnts. Dies scheint sich zu einem politischen Problem auszuwachsen. Sonst wäre nicht zu verstehen, wie bemüht die Bundesregierung diese „Klimaschutzlücke“ schließen will und freiwillige oder unfreiwillig zu leistende Beiträge der Wirtschatsakteure gerne entgegen nimmt. Es gilt, so um plus/minus 70 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen einzusparen. Im Fokus stehen der Stromsektor, der Verkehrsbereich und weitere quellenbezogene Ansätze. Dies schließt teilweise Sektoren ein, die bereits jetzt vom Emissionshandel betrofen sind, was gar nicht sinnvoll sein kann. Deren Emissionen lassen sich systemimmanent national nicht steuern, ohne in die Funktionsweise des Emissionshandels direkt oder indirekt einzugreifen und ihn so politisch und ökonomisch zu schwächen. Die Berechnungen und Zuordnungen zum nationalen Klimaschutzziele

toren setzt. Ohne mehr Investitionen werden weder wirtschats- und industriepolitische Ziele erreichbar noch klimapolitische Zielsetzungen befördert. Ausbleibende Investitionen bedeuten eine schleichende Deindustrialisierung Europas, nicht aber eine Dekarbonisierung der globalen Wirtschat. Wir brauchen einen Wettbewerb um eine attraktive Klimapolitik, die eine neue Dynamik für das Zwei-Grad-Celsius-Ziel entwickelt. Eine stärkere Verknüpfung der deutschen Klimapolitik mit der globalen CO2-Agenda – das wäre ein Schritt l vorwärts.

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WIRTSCHAFTSRAT Deutsch-Türkische Wirtschaftsbeziehungen

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Unternehmer sehen das große Potenzial für wirtschatliche Kooperationen beider Länder. Aber es gibt auch noch deutlichen Handlungsbedarf etwa bei der Visa-Vergabe und beim Abbau institutioneller Asymmetrien. Text: Britta Vasters

Dialog im Zeichen der der türkischen D eutschland und die Türkei haben 2015 den Vorsitz für die G7- und G20-Gipfel übernommen. Grund genug für die Deutsch-Türkische Arbeitsgruppe des Wirtschatsrates unter dem Vorsitz von Aygül Özkan, Ministerin a.D. und Geschätsführerin der DB Kredit Service GmbH, gemeinsam mit dem Wirtschatsrat der Türkischen Botschat in Deutschland eine Sondersitzung durchzuführen. Experten aus Auswärtigen Amt und Prime Ministry Undersecretariat of Treasury G20 Department berichteten über die Schwerpunkte der jeweiligen Präsidentschat. Nach den Begrüßungsreden von Hidayet Çilkoparan, Gesandter der Republik Türkei, sowie von Fethi Saygın, Wirtschatsrat der Botschat der Republik Türkei, stellte Aygül Özkan die Arbeitsschwerpunkte der Deutsch-Türkischen Arbeitsgruppe vor und betonte

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die Bedeutung von Unternehmern als Botschater ihres jeweiligen Landes, die voneinander lernen können. Alexander Schönfelder, Referatsleiter für Internationale Wirtschats- und Finanzpolitik im Auswärtigen Amt, berichtete über die Arbeitsschwerpunkte der G7-Präsidentschat. Unter dem Motto „An morgen denken, Gemeinsam handeln“ werden die Staatsund Regierungschefs der G7-Staaten auf Schloß Elmenau in Bayern zentrale Fragen der Weltwirtschat, Handels-, Klima- und Entwicklungspolitik sowie der Außen- und Sicherheitspolitik erörtern. Der Dialog mit der Zivilgesellschat stellt dabei ein zentrales Anliegen dar. Neben der weltweiten Verbesserung der Gesundheitssysteme, der Förderung von Frauen und Umweltschutz sowie Ressourceneizienz, liegt ein Schwerpunkt der deutschen

G7-Präsidentschat auf der Stärkung von Standards in Lieferketten. Multiund transnationale Unternehmen sind wesentliche Akteure in einer globalisierten Wirtschat. Über ihre Handelsund Lieferketten können sie die Zukunt der internationalen Arbeits- und Produktionsbedingungen mitgestalten und einen Beitrag zur Einhaltung internationaler Arbeits-und Sozialstandards leisten. Türkei kann von TTIP profitieren Herausforderungen, wie die Krise zwischen der Ukraine und Russland, machen deutlich, wie vital die enge Partnerschat mit den USA für Europäer bleibt. Diese Beziehung ist mehr als eine Interessengemeinschat, sie ist eine Wertegemeinschat. Hier spielt auch das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP eine bedeutende Rolle.

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WIRTSCHAFTSRAT Deutsch-Türkische Wirtschaftsbeziehungen

Dr. Berend Diekmann, Leiter des Referats Außenwirtschatspolitik im Bundesministerium für Wirtschat und Energie, ging in seinem Vortrag auf die Auswirkungen von TTIP für Drittländer wie die Türkei ein und betonte die positiven Aspekte: Die regulatorische Konvergenz der beiden weltweit führenden und einheitlich regulierten Wirtschatsräume könnte globale Standards schafen, von denen die Türkei proitieren kann. Die Türkei ist durch die Zollunion in die europäischen Wertschöpfungsketten eingebunden. Der intensivierte transatlantische Handel wird auch zusätzliche Geschäte für andere Länder bedeuten, etwa im Zulieferbereich. Hier hängt vieles von der konkreten

Unternehmen sowie Entwicklungsländer miteinbeziehen. „Implementation“ spiegelt den Willen der Regierung zur Umsetzung der bisher festgesetzten G20-Ziele aus dem Jahr 2014 wider. „Investment for Growth“ knüpt an die Umsetzung der Reformen, die Verbesserung des Investitionsklimas und öffentlich-private Partnerschaten an. Wirtschaftsdialog unbedingt fortsetzen Im Rahmen der Podiumsdiskussion „Dynamik, Trends und Herausforderungen im Wachstumsmarkt Türkei“ diskutierten hochrangige Unternehmensvertreter aus den Bereichen Finanzen, Bausektor, IT und Energie vor 150 Gästen aus Wirtschat und Politik sowie Medienvertretern über

die deutsch-türkischen Wirtschatsbeziehungen und das große Potenzial für wirtschatliche Kooperationen beider Länder. Unter den Gästen hieß der Wirtschatsrat den früheren Staatssekretär für Europa im Auswärtigen Amt und deutschen Botschater in der Türkei, Dr. Wolf-Ruthart Born, herzlich willkommen. Die Unternehmer sahen noch deutlichen Handlungsbedarf in der Visa-Vergabepraxis sowie beim Abbau institutioneller Asymmetrien, für den sich auch der Wirtschatsrat einsetzt. Das große Interesse der Teilnehmer und die rege Diskussion beweisen, wie wichtig der Deutsch-Türkische Wirtschatsdialog ist und dass er unbedingt fortgeführt l werden muss.

Ausgestaltung des Abkommens ab. Beide Handelsräume sind auf Vorprodukte und Rohstofe aus aller Welt angewiesen und regen somit den gesamten Welthandel an. Neues Wachstum kann auch hier zu mehr Arbeitsplätzen, höheren Löhnen und einem besseren Lebensstandard führen. Wenn EU und USA es schafen, ihre Vorschriten zu harmonisieren, könnten sich andere Länder daran orientieren. Diese Annäherung kann den internationalen Handel durch den Abbau von Handelshemmnissen zwischen anderen Ländern zusätzlich beleben. Ayşe Işılak vom Prime Ministry Undersecretariat of Treasury G20 Department zeigte die Arbeitsschwerpunkte der türkischen G20-Präsidentschat auf, zu der die Regierung die sogenannten drei „I“ formuliert hat: Unter dem Begrif „Inclusiveness“ möchte sie insbesondere kleine und mittelständische

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Fotos: Jens Schicke

deutschen G7- und G20-Präsidentschaft

Auch die Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Cemile Giousouf MdB besuchte den Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialog des Wirtschaftsrates in der Botschaft der Türkei in Berlin

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WIRTSCHAFTSRAT VIP-Lounge

Relaunch

Innovativ, schlank und mit frischer Farbe – so präsentiert sich die neue VIP-Lounge des Wirtschatsrates ihren Mitgliedern.

des exklusiven Mitgliederbereichs

Portalseite Mitglieder können nun auf einem Blick die wichtigsten Neuigkeiten in einem neuen Format betrachten. Nach dem erfolgreichen Login gelangt man auf die Portalseite. Auf ihr beinden sich die übersichtlichen Informations-Kacheln, in die aktuelle Inhalte und Bilder eingebunden sowie PDF-Dokumente in einer Vorschau eingeblendet werden. Ein innovativer Nachrichten-Stream stellt sicher, dass stets die aktuellsten Inhalte angezeigt werden. Wichtige Informationen wie neu eingetretene Mitglieder in den jeweiligen Landesverbänden, die nächsten Veranstaltungen und das eigene Proil sind für eine schnelle Übersicht ebenfalls direkt auf der Portalseite angeordnet. Jedes Mitglied kann seine Inhalte nach persönlichen Interessen ordnen und zwischen öfentlichen Inhalten wie Pressemitteilungen, Presseechos oder Positionspapieren sowie exklusiven Inhalten wie Präsentationen und Protokollen aus allen über 100 Landesfachkommissionen wählen. Mitgliedern der Bundesfachkommissionen stehen zusätzlich die Informationen aus den mehr als 20 Gremien zur Verfügung. Damit bietet der Wirtschatsrat seinen Mitgliedern einen wohl einzigartigen Zugang zu aktuellen Hintergrundinformationen auf Europa-, Bundes- und Landesebene.

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Mein Ehrenamt Ehrenamtlich engagierte Mitglieder können nun jederzeit die Anzahl der Ein- und Austritte in ihren Sektionen sehen. In einer optimierten Darstellung erhalten sie genaue Kenntnisse über die Anzahl der aktuellen Anmeldungen zu den Veranstaltungen der Sektionen und Landesfachkommissionen. Zudem werden die drei erfolgreichsten Sektionen graisch dargestellt. Neueintritte oder Änderungen im Verantwortungsbereich werden durch eine spezielle Box bekanntgegeben.

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WIRTSCHAFTSRAT VIP-Lounge

Veranstaltungen Die neue VIP-Lounge ist mit dem erfolgreichen WR Connect-Tool gekoppelt. Ofene Online-Einladungen zu unseren jährlich über 2.200 Veranstaltungen können nun direkt zugesagt und verwaltet werden. Einen schnellen Überblick zu den nächsten Veranstaltungen der Landesverbände bieten Google-Maps Karten und übersichtliche Listen-Darstellungen. Nutzer bekommen die Möglichkeit, über Filter Informationen zur Umgebung wie auch bundesweit abzurufen.

Mitglieder In dieser Rubrik beindet sich das tagesaktuelle Mitgliederverzeichnis. Hier werden Kontakte in einer übersichtlichen Darstellung angezeigt. Mitglieder können ihre Proile – unter Wahrung der hohen Datenschutzstandards des Wirtschatsrates – gestut anderen zugänglich machen. Neben den Basisdaten Name, Unternehmen und Position besteht die Option, Kontaktdaten und persönliche hemenschwerpunkte für andere Mitgliedern freizuschalten. Dies ermöglicht küntig eine noch stärkere Vernetzung, etwa für Kampagne-Veranstaltungen. Neue Mitglieder im Landesverband werden küntig aktiv hervorgehoben, um eine schnelle Einbindung in den Verband zu unterstützen.

Kernziele des Relaunchs Technische Umsetzung Die neue VIP-Lounge wird als Responsive-Web-Design umgesetzt. Die Inhalte werden automatisch für die jeweilige Aulösung optimiert angezeigt, so dass eine Nutzung vom Desktop, mit Tablets oder auch vom Smartphone möglich ist. Umgesetzt wird das Projekt nach dem neuesten Internet-Standards.

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Mehrwerte für Mitglieder schaffen Innovationsführerschaft Weiterentwicklung der Dialogführung Effiziente Pflege und Redaktion Beibehaltung des hohen Datensicherheitsstandards

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WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftsrat

Mit eGovernment Bürokratie abbauen eGovernment ist ein wirksames Instrument, um Bürokratie abzubauen. Idealerweise werden den Unternehmen All-in-oneLösungen angeboten, die die redundante Eingabe von Daten überlüssig machen – ein Gewinn für öfentliche Verwaltung und Wirtschat.

lia.com Foto: Foto

©beawolf

Text: Alexander Bode, Benjamin Feindt, Mirja Meyerhuber

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WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftsrat

eutsche Unternehmen sind eGovernment gegenüber sehr aufgeschlossen. Bereits 83 Prozent aller Unternehmen haben im vergangenen Jahr auf die eine oder andere Weise Daten online übermittelt. Demgegenüber besteht auf Verwaltungsseite ein klares Deizit: lediglich 45 Prozent der Verwaltungen bieten bisher digitale Abwicklungsverfahren an. Dabei sind die Potenziale laut Untersuchung des Normenkontrollrates enorm: Allein durch die Umstellung auf eGovernment-Lösungen ließe sich eine fünfzigprozentige Reduzierung der Verwaltungslasten für Unternehmen erzielen. Anders als es der Name vermuten lässt, wird die eGovernment-hematik jedoch nicht von der Digitalen Agenda der Bundesregierung abgedeckt. Zuständig ist der IT-Planungsrat, der sich überwiegend aus Verwaltungsvertretern von Bund und Ländern zusammensetzt. Ein echter Fortschritt bei der Entwicklung optimaler eGovernment-Lösungen ist derzeit nicht zu erkennen. Der Junge Wirtschatsrat erwartet vom öfentlichen Sektor die gleiche Service- und Kundenorientierung, wie sie in der Wirtschat bereits üblich ist. Ein wettbewerbsfähiger Staat versteht die Menschen als Staatsbürger und als Kunden, er denkt in Prozessen und Ergebnissen. Deutschland benötigt daher den politischen Willen, eGovernment nicht länger als technisches, rechtliches hema zu betrachten, sondern als politisches hema anzugehen. Hierzu hat der Junge Wirtschatsrat die folgenden drei Kernforderungen erarbeitet:

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1. Chancen zum Bürokratieabbau nutzen: Verhältnis von Nutzen und Aufwand ganzheitlich bewerten eGovernment ist ein wirksames Instrument, um Bürokratie abzubauen. Idealerweise werden den Unternehmen funktionierende All-in-one-Lösungen angeboten, die die redundante Eingabe von Daten überlüssig machen.  Alle Verwaltungsprozesse müssen kritisch überprüt werden, bevor sie auf eGovernment umgestellt werden. Überlüssige Prozessschritte können hier ersatzlos gestrichen und ähnliche Prozessschritte miteinander verzahnt werden.  Der Junge Wirtschatsrat wirbt für ein schlankes Verwaltungshandeln, was durch eGovernment darin unterstützt wird, mit vorhandenen Ressourcen exzellente Qualität und Service anzubieten.  Wir fordern den Gesetzgeber auf, passende rechtliche Rahmenbedingungen zu schafen, die eGovernment fördern und gleichzeitig Datensicherheit gewährleisten.  Als zwingend notwendig sehen wir die Einführung einer unabhängigen Kosten-Nutzen-Rechnung für alle eGovernment-Maßnahmen unter Berücksichtigung der Anbieter- und Anwenderseite an.  Wir fordern eine konkrete Anpassung der E-Bilanz zur Entlastung vor allem der kleineren Unternehmen: Abschafung der Mussfelder, Online-Tool der Finanzverwaltung zum Einreichen und die Option, eine verkürzte Bilanz direkt an das Handelsregister zur Ofenlegung durch die Finanzverwaltung zu übermitteln.

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 Der Junge Wirtschatsrat setzt sich für eine ausreichende iskalische Unterstützung für eGovernment ein. Das Regierungsprogramm "Digitale Verwaltung 2020" muss mit einem ausreichenden Investitionsbudget unterfüttert werden. Die im aktuellen Haushaltsentwurf für die Umsetzung des Regierungsprogramms veranschlagte Minimalsumme von drei Millionen Euro wird der Aufgabe bei Weitem nicht gerecht. 2. Förderale Grenzen überwinden: Aufgaben bündeln und bundeseinheitliche Software entwickeln Die Entwicklung von Sotware und eGovernment-Lösungen für den öfentlichen Sektor sollte zentral koordiniert werden, um teure Insellösungen zu verhindern.  Der Junge Wirtschatsrat fordert eine bundeseinheitliche Plattform für eGovernment-Lösungen zu schafen. Prozesse und Anforderungen der Länderverwaltungen sind gegebenenfalls zu modiizieren, um den eizienten Einsatz gemeinsam entwickelter Sotwarelösungen zu ermöglichen.  Wir werben für ein Überwinden föderaler Grenzen. Die Verantwortlichen in den Bundesländern sollen gemeinsam die jeweils beste Sotware-Lösung identiizieren und umsetzen.  Damit keine regionalen Benachteiligungen für Unternehmen entstehen, brauchen wir bundeseinheitliche Standards.  Prozesse, die vollständig über eGovernment abgewickelt werden können, sollten wieder zentral betreut werden. Die Zuständigkeit könnte jeweils ein Bundesland übernehmen. Die Koordinierung obläge einer bundeseinheitlichen Stelle mit entsprechenden Durchgrifsrechten zur Überwindung von Ressortgrenzen.

Durch die Umstellung auf eGovernmentLösungen ließen sich die Verwaltungslasten für Unternehmen laut Normenkontrollrat um 50 Prozent reduzieren. 3. Unternehmen als Nutzer in den Prozess einbinden: unternehmerische Standards implementieren. Erfahrungen von Unternehmensseite sollten bei der Prozessoptimierung berücksichtigt und eingebunden werden.  Der Junge Wirtschatsrat fordert eine beratende Mitgliedschat von Unternehmensvertretern in allen Gremien, die eGovernment-Maßnahmen entwickeln.  Der Junge Wirtschatsrat fordert vor allem im steuerlichen Bereich die Abschafung von Zwang und Strafe bei Nichtanwendung. Oline-Lösungen sollten weiterhin möglich sein, unter Inkaufnahme höherer Kosten, durch die die Verwaltung für ihren Mehraufwand entschädigt l wird.

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Text: Katja Sandscheper

er Wirtschatsrat hat mittlerweile ein gewachsenes Verhältnis zu beiden Teilen der Landesregierung und ist fachlich ein gefragter Gesprächspartner. Trotzdem müssen wirtschatspolitische hemen noch stärker in den Fokus rücken“, sagt Dr. Michael Moeskes.

Foto: ©Peter Gerck

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Seit einem halben Jahr im Amt, hat sich der Landesvorsitzende des Wirtschatsrates in Sachsen-Anhalt vorgenommen gegenüber der Landespolitik klar zu formulieren, wo „noch einiges zu tun ist“. Denn auch, wenn zuletzt der Konjunkturaufschwung 2014 mit 0,4 Prozent Wachstum nur als „Aufschwüngchen“ im Land ankam, wie die Mitteldeutsche Zeitung textete, steht Sachsen-Anhalt heute viel besser da als es die Ausgangslage nach der Wende hätte vermuten lassen.

Dr. Michael Moeskes ist neuer Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates in Sachsen-Anhalt. Er will sich dafür stark machen, dass die Landesregierung der Wirtschaftspolitik noch mehr Bedeutung einräumt.

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Sachsen-Anhalt musste den Wegfall der maroden Chemie- und Industriewerke aus DDR-Zeiten verkraten. Die Folgen waren Abwanderung, Arbeitslosigkeit und ein schlechtes Image. Heute ist Sachsen-Anhalt ein anderes Land: Die Arbeitslosenquote sinkt seit Jahren, die Arbeitsproduktivität liegt über dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder, der industrielle Anteil an der Wertschöpfung ist deutlich gestiegen, ebenso wie das verfügbare Einkommen je Einwohner, und das Land erwirtschatete 2014 einen Haushaltsüberschuss, mit dem größtenteils Schulden getilgt werden. Guter Standort für Technologiefirmen In den Köpfen der Menschen ist das jedoch alles noch nicht richtig angekommen. Das spielt eine Rolle, das hat das Leibniz-Institut für Wirtschatsforschung Halle in einer Studie empirisch belegt: Der allgemeine Eindruck, dass Sachsen-Anhalt ein wenig im Windschatten liegt, wirkt sich auf die wirtschatliche Entwicklung aus. „Das müssen wir ändern und die Stärken unseres Landes herausstellen“, betont der Vater von vier Kindern. „Besonders technologieorientierte Unternehmen inden hier einen sehr guten Standort vor: hervorragende Universitäten, kurze Wege und gut ausgebildete Menschen. Hier lassen sich enorme Wachstumspotenziale generieren.“ Auch die weichen Faktoren stimmen: „Kulturell gesehen ist Sachsen-Anhalt eine Schatzkammer. Die Landesregierung macht eine gute Arbeit, dies an die Öfentlichkeit zu bringen“, sagt Moeskes. Handlungsbedarf sieht der Anwalt und Wirtschatsmediator vor allem darin, Hochqualiizierte ins Land zu holen – auch über ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild – und gut ausgebildeten Menschen eine Perspektive in Sachsen-Anhalt zu geben. „Der demographische Echoeffekt führt zu einem akuten Fachkräftemangel in der Wirtschat.“ Dabei denkt Moeskes auch etwa an die Studenten in Sachsen-Anhalt, die zu gut 50 Prozent aus anderen Bundesländern stammen, zu rund zehn Prozent aus dem internationalen Ausland.

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

„Wir schafen es nur, Hochqualiizierte zu halten, wenn wir in diesen Bereichen auch Arbeitsplätze generieren können“, ist er überzeugt. Dazu müsse die Internationalisierung des Landes und die Vernetzung eigener mit Wertschöpfungsketten außerhalb des Landes stärker vorangetrieben werden. „Auch wenn wir namhate Un-

ten. „Die Politik hat verstanden, dass wir hier nicht sparen dürfen. Das sind Investitionen, die eine unglaublich hohe Rendite haben“, sagt Moeskes. Generell tritt er dafür ein, die Bereitschat zu fördern, unternehmerisch tätig zu sein und Ausgründungen aus Universitäten zu vereinfachen. Hier könne auch der Bund unterstützen:

Auch der Bereich Forschung und Entwicklung müsse stärker werden und enger mit der Wirtschat zusammenarbeiten. Dies habe die Landesregierung jedoch bereits erkannt und arbeite daran. Und auch seine tolle Lage in Deutschland und Europa und seine guten Verkehrsverbindungen könnte

Stärken Sachsen-Anhalts deutlich herausstellen „Wir müssen das hema IT und Digitalisierung stärker ins Visier nehmen. Da kann in Sachsen-Anhalt noch mehr passieren.“

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ternehmen wie Dow Chemical oder Total im Land haben, sind wir längst nicht so präsent wie etwa Sachsen“, so Moeskes. Investitionen in Bildung zahlen sich aus „Als rohstofarmes Land müssen wir vor allem in Bildung investieren“, fordert der Landesvorsitzende. „Das beginnt in der Schule und geht weiter mit der Berufsausausbildung. Mit Magdeburg und Halle haben wir zwei Universitäten und mehrere Hochschulen, die sich ideal ergänzen und deutschlandweit wie international sehr gut aufgestellt sind.“ Sachsen-Anhalt steht vor allem für Technik und Maschinenbau, für Naturwissenschaten, Medizin, Jura und Kulturwissenschaf-

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Foto: Fotolia.com ©Silvano Rebai

Ein stärkerer Gründergeist in unserer Gesellschat und einfachere Firmengründungen könnten Wunder wirken. „Stärker ins Visier nehmen müssen wir das hema IT und Digitalisierung. Da kann in unserem Bundesland noch mehr passieren“, ist der Landesvorsitzende überzeugt. Zuletzt konnten eine Reihe aufstrebender IT-Unternehmen für den Standort gewonnen werden. Sachsen-Anhalt ist ein ingenieurlastiges, technikorientiertes Land mit einem historisch starken Maschinenbau. „Die Verzahnung dieser Bereiche etwa durch Industrie 4.0 birgt große Chancen. Deshalb müssen wir den Breitbandausbau im Land stärker vorantreiben – auch im ländlichen Raum“, fordert der gebürtige Niedersachse, der seit 23 Jahren in Magdeburg lebt.

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sich Sachsen-Anhalt stärker zunutze machen, indet Moeskes: „Von Magdeburg aus sind Sie in drei Stunden in Bayern, im Ruhrgebiet, in Hamburg oder an der polnischen Grenze. Ein idealer Standort.“ Vorangetrieben werden müsse jedoch der Ausbau der A14 nach Norden. So würde auch die strukturschwache Altmark besser erschlossen. Generell müsse die Losung sein, die nach der Wende installierte gute Verkehrsinfrastruktur dauerhat zu erhalten. Ein echter Wermutstropfen ist für Moeskes, dass Magdeburg nicht mehr an die ICE-Strecke Berlin-Köln angebunden ist: „Das muss wieder anders werden, das ist eine der zentralen Forderungen des Wirtschatsrates in Sachen Verkehrsinfral struktur!“

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Niedersachsen

Foto: Wirtschaftsrat

Kampeter wirbt um Vertrauen der Wirtschaft Gut 80 Interessierte lauschten Steffen Kampeters Vortrag „Vertrauen als Treiber der Finanzpolitik – Perspektiven für Innovation und Mittelstand“ im Konferenzcenter der Volkswagen Financial Services AG. „Vertrauen beginnt mit dem Vertrauen in uns selbst“, verwies der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen auf die Erfolge der sozialpartnerschaftlich strukturierten Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. „Die Lage ist besser als es oft beschrieben wird.“ Erstmals seit Jahren seien 2014 Staatsschulden getilgt worden – „wir wollen das zum neuen Regelfall machen“. Trotz Kritik an der Finanzpolitik des Bundesfinanzministers spare sich Deutschland aber nicht kaputt – so sei etwa noch nie so viel Geld für Forschung und Bildung ausgegeben worden. Wenig Zustimmung fand Kampeter unter den Unternehmern für die Pläne seines Ministers zur Reform der Erbschaftsteuer. Jetzt sollen ab einem Firmenvermögen von 20 MilParlamentarischer Staatslionen Euro besondere Härten nachgewiesen sekretär Steffen Kampewerden, um vom Fiskus verschont zu bleiben. ter, Astrid Hamker „Eine Obergrenze von 20 Millionen für Steuerbefreiungen trifft zu viele Unternehmen“, kritisierte die Landesvorsitzende Astrid Hamker. Es müsse Nachbesserungen für Familienunternehmen geben, „die das Rückgrat unserer Volkswirtschaft bilden. Gerade sie sind langfristig orientiert, verfolgen keine kurzfristigen Renditeerwartungen und sind standorttreu – ein Aushängeschild für den Wirtschaftsstandort, um das uns viele beneiden.“ l

Nordrhein-Westfalen Freie Fahrt für Kölner Wirtschaft Wie kommt die Kölner Verkehrsinfrastruktur in Schwung? Diese Frage diskutierten Vertreter der Verkehr- und Logistikbranche, des Handels und der Stadt Köln bei einer Veranstaltung der Fachkommission „Wirtschaft für Köln“ des Wirtschaftsrates. Anné Schwarzkopf, Vorsitzende der Fachkommission, betonte: „Wir alle brauchen Güter. Trotz Baustellen, Staus und Flugzeuglärm sind Verkehr und Logistik keine notwendigen Übel, sondern die Grundlage unserer Wirtschaft.“ „Unsere Infrastruktur ist die Basis allen Handelns“, bekräftigte Dr. Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Köln. „Sichere Arbeitsplätze hängen von einer funktionierenden Logistik ab.“ Wie dringend Investitionen in die marode Infrastruktur seien, zeige die Leverkusener Brücke. Es fehle aber auch an Logistikflächen, die für den wachsenden Handel notwendig seien. So kämpfe die IHK für einen Großmarkt für mittlere und kleine Unternehmen. Birgit v.l.n.r. Michael Köhler, Klaus Harzendorf, Birgit Heitzer, Leiterin Lo- Heitzer, Bernhard Hector, Anné Schwarzkopf, gistik Konzern REWE Marcus Hover, Dr. Ulrich S. Soénius Group, verdeutlichte die Folgen der unterfinanzierten Verkehrswege für den Handel: „Allein durch die Sperrung der Leverkusener Brücke für den LKW-Verkehr entstehen REWE 120.000 Euro zusätzliche Kosten im Monat.“ Der Leiter des Amtes für Verkehr und Verkehrstechnik der Stadt Köln, Klaus Harzendorf, erklärte, dass Köln die schwierige Situation erkannt habe. Die Verdopplung der Anzahl der Baustellen seit 2005 wertete er als positives Zeichen. So reagiere die Stadt auch auf die wachsende Bevölkerung. Allerdings werde der Erneuerungsprozess der Infrastruktur l 15 bis 20 Jahre dauern.

Norddeutscher Wirtschaftstag 2015 Foto: Fotolia.com ©wwwebmeister

Die fünf Landesverbände Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein des Wirtschaftsrates laden zum 5. Norddeutschen Wirtschaftstag ein, der am 3. und 4. September 2015 in Lübeck stattfinden wird. Auf der Agenda stehen drei hochkarätig besetzte Podien, exklusive Gesprächspartner und ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm, bei dem auch der kulinarische Genuss nicht zu kurz kommt. Am 3. September geht es in die Musik- und Kongresshalle der Hansestadt Lübeck. Das Abendessen findet im „Haus der Schiffergesellschaft“ statt. Zum Abschluss der Veranstaltung haben die Teilnehmer am 4. 9. 2015 Gelegenheit, zwei international führende Lübecker l Unternehmen, die Drägerwerk AG & Co. KGaA und die BAADER-Gruppe, zu besichtigen.

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Foto: Wirtschaftsrat

Rückblick Einblick Ausblick


WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Berlin-Brandenburg

Foto: Wirtschaftsrat

Unternehmerreise nach Kiew Mitte Mai fand auf Initiative von Burkhard Touché, Mitglied im Landesvorstand Berlin-Brandenburg, eine Unternehmerreise nach Kiew statt. Bereits im Februar hatte der ukrainische Botschafter rund 60 Mitglieder des Wirtschaftsrates bei der Veranstaltung „Wirtschaft trifft Botschaft“ über die wirtschaftliche Integration der Ukraine in die Europäische Union (EU) informiert. Die Teilnehmer wollten sich ein eigenes Bild über die Lage vor Ort machen und ein Zeichen der Unterstützung für den wirtschaftlichen und politischen Neuanfang in der Ukraine Unternehmer aus Berlin zu Gast beim Präsidenten der setzen. Sie erlebten Industrie- und Handelskammer in Kiew Kiew trotz der politischen Spannungen als eine interessante, aufstrebende westliche Metropole. Im Vordergrund standen Gespräche mit l dortigen Wirtschaftsvertretern.

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Mittelstand im digitalen Aufbruch Das Kloster Banz gab für die Referenten Markus Blume MdL, Vorsitzender CSU-Grundsatzkommission, Jochen Wießler, Mitglied Geschäftsleitung SAP Deutschland, Florian Seitner, Cyber Allianz-Zentrum Bayern, Tim Brauckmüller, Geschäftsführer Breitbandbüro des Bundes, Dr. Dirk Orlamünder, Abteilungsleiter Grundsatz im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie Markus Putschli, Vorstand der e-dox AG, den angemessenen Rahmen für die 25. Sächsisch-Bayerischen Wirtschaftstage. Nach Begrüßung durch den Präsidenten des Wirtschaftsbeirates, Dr. Otto Wiesheu, folgten die Teilnehmer den Vorträgen zu Apps, Cloud und Big Data als Zukunft des Mittelstands in der Wirtschaft 4.0, um unter cyber-Sicherheitsgesichtspunkten Zukunftsantworten zu finden, da im digitalen Zeitalter nichts so bleiben wird, wie es war. Der flächendeckenden Breitbanderschließung als Fundament des „Digitalen Hauses“ widmeten sich die Vorträge am Folgetag. Der Digitalisierung kann sich niemand mehr entziehen. Sie durchdringt unseren Alltag, unsere Kommunikation und unsere ökonomischen Prozesse und verändert sukzessive alle Strukturen. Statt bestimmt zu werden, besteht die einzige Alternative auch für den Mittelstand darin, den digitalen Fortschritt anzunehmen, zu gestalten und mitzuprägen. „Es ist höchste Zeit“, resümierte Simone Hartmann, Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates Sachsen, „wenn man bedenkt, dass laut repräsentativer Studien 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland davon ausgehen, dass der digitale Wandel zwar erhebliche Auswirkungen auf ihre Geschäftsmodelle und -prozesse haben wird, jedoch erst 50 Prozent von ihnen eine langfristige Strategie entwickelt haben, wie sie damit umgehen. Diese abwartende Haltung hat ihre Ursache bestimmt auch darin, dass die Politik mit der flächendeckenden l Erschließung mit 50 mBit besser vorankommen muss.“

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Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind merklich abgekühlt. Nicht wenige Unternehmen schließen ihre russischen Standorte oder fahren ihre Produktion zurück. Was bedeutet dies für die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder? „Russland kann auch in Zukunft Wirtschaftspartner sein“, sagte Prof. Dr. Klaus Mangold, Vorsitzender der Aufsichtsräte TUI AG und Bank Rothschild GmbH sowie Honorarkonsul der Russischen Föderation in Baden-Württemberg, vor dem Wirtschaftsrat in Baden-Baden. „Dennoch gehen wir derzeit durch heftige Irritationen und sehen noch kein Licht am Ende des Tunnels.“ Die Wirtschaftsbeziehungen beider Handelspartner leiden stark. Mangold dazu: „Die deutschen Exporte sind um 15 Milliarden Euro zurückgegangen – bei einem Jahresvolumen von vormals 30 Milliarden Euro werden die Auswirkungen sehr deutlich.“ Dennoch wollten die meisten deutschen Unternehmen am Markt bleiben. „Die langfristige Sicht ist eine deutsche Tugend. Und die brauchen wir hier, denn der Prof. Dr. Klaus Mangold Konflikt Russland-Ukraine wird uns mit Sicherheit noch 20 bis 30 Jahre beschäftigen“, sagte Mangold. Langfristig müsse man den russischen Präsidenten wieder an den Tisch holen. Wichtige weltpolitische Themen könnten nicht unter Ausschluss einer Weltmacht geklärt werden. Anderseits brauche es aber auch das Commitment Russlands zu Minsk II. Mangold: „Unser aller Ziel muss das Verhandeln unter Partnern sein, die sich wieder auf Augenhöhe begegl nen können!“

Sachsen

Hamburg Made in Germany: Mammutprojekt Energiewende Mit der Energiewende steckt Deutschland mitten in einem Jahrhundertprojekt. Nach wie vor gibt es große Baustellen, etwa beim Netzausbau oder der Marktintegration Erneuerbarer. Über Fortschritte und Chancen der Energiewende berichtete Uwe Beckmeyer MdB. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie betonte, dass die Energiewende sich nicht allein auf den Ausbau Erneuerbarer Energien stütze, sondern mit der Energieeffizienz eine zweite wichtige Säule habe. „Sie ist die umweltfreundlichste und günstigste Stromerzeugungsvariante“, sagte der Energieexperte. Man habe in Uwe Beckmeyer, Parladiesem Bereich in Deutschland schon viel mentarischer Staatssekretär erreicht. Als Beispiel nannte er das CO2-Ge- beim Bundesminister für bäudesanierungsprogramm. l Wirtschaft und Energie

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Foto: Wirtschaftsrat

Baden-Württemberg Wirtschaftspartner Russland


WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Wirtschaftsrat übergibt Positionspapier an Ministerpräsidenten Der Wirtschaftsrat Sachsen-Anhalt hat dem Ministerpräsident en in Sachsen-Anhalt Reiner Haseloff das Positionspapier der Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft überreicht. 17,3 Prozent der in Sachsen-Anhalt sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten arbeiten in der Gesundheitswirtschaft. Der Gesundheitswirtschaft kommt eine immer stärkere Bedeutung als Wachstumsmotor zu. Zusätzlich ergeben sich v.l.n.r. Peter Löbus, Stellv. Vorsitzender Herausforderungen, die Landesfachkommission Gesundheitswirtnicht ausschließlich aus schaft; Jens Hennicke, Vorsitzender Landen wachsenden Bedarfen desfachkommission Gesundheitswirtschaft; Haseloff, Ministerpräsident Sachim Gesundheitssystem des Reiner sen-Anhalt; Dr. Michael Moeskes, LandesLandes, sondern auch aus vorsitzender Wirtschaftsrat Sachsen-Anhalt innovativen Technologien, internationalen Wissensströmen und einem zunehmenden Engpass des Arbeitskräftepotenzials, insbesondere für hochqualifizierte Fachkräfte erwachsen. Der politische Kurs im Gesamtsystem Gesundheitswirtschaft muss in Richtung Effizienz, Innovation, Wachstum, Verantwortung, Kompetenz und Werthaltigkeit neu justiert werden und auch stärker den demographischen Wandel berücksichtigen. Der Wirtschaftsrat bot an, den Ministerpräsidenten tatkräftig bei der Umsetl zung des Positionspapiers unterstützen.

Hessen Mitgliederumfrage Landesverband Hessen 2015 Der Wirtschaftsrat Hessen hat seine traditionelle landesweite Mitgliederumfrage durchgeführt und die Wünsche und Zufriedenheit seiner Mitglieder abgefragt. Dies ist alle drei Jahre der Fall und hilft Landesvorstand wie Geschäftsführung, die Aktivitäten des Wirtschaftsrates passgenau auf seine Mitglieder zuzuschneiden. Die Ergebnisse: 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Landesfachkommissionen produktive Ergebnisse erzielen. Die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder besucht am liebsten Vortragsveranstaltungen oder informiert sich auf Betriebsbesichtigungen. Für die Qualität der angebotenen Veranstaltungen spricht die Tatsache, dass 91 Prozent der Mitglieder sie mit überdurchschnittlich gut bewertet haben. 66 Prozent der befragten Unternehmer würden dem Wirtschaftsrat ihre Räumlichkeiten kostenfrei für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Hoch war die Zufriedenheit mit der Erreichbarkeit von Ansprechpartnern vor Ort sowie dem generellen Organisationsablauf: Hier sahen 99 Prozent der Befragten keinen Änderungsbedarf. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der Wirtschaftsrat Hessen durch die Umfrage in seiner Arbeit bestätigt fühlt. Dank des ehrenamtlichen Engagements zahlreicher Sektionssprecher und Sektionsvorstände sowie der Vorsitzenden der Landesfachkommissionen konnten 2014 in Hessen über 260 Veranstaltungen für die Mitglieder organisiert werden. Alle Ergebnisse können von Mitgliedern des l Wirtschaftsrates in der VIP-Lounge eingesehen werden.

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Schleswig-Holstein Arbeitszeitgesetz lockern, um Kollateralschäden des gesetzlichen Mindestlohns einzudämmen Der Mindestlohn von 8,50 Euro wirkt sich in Schleswig-Holstein nicht nur überdurchschnittlich aus, sondern trifft bedeutende Dienstleistungsbranchen. Die Unternehmer auf dem Podium kritisierten insbesondere die mit dem Mindestlohn einhergehende Bürokratie und stimmten darin überein, dass durch die Einführung viele Jobs wegfallen werden. Um die Kollateralschäden einzudämmen, müsse zumindest das Arbeitszeitgesetz gelockert werden. Dies sei vor allem für die Tourismus-Branche entscheidend. Die Diskutanten warnten eindringlich vor einem politischen Überbietungswettbewerb l um das höchste Mindestlohnversprechen im Wahlkampf.

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Immer mehr Leser wenden sich von Printprodukten ab und setzen auf das digitale Angebot. Wie die BurdaNews GmbH darauf reagiert, berichtete Burkhard Graßmann, Vorsitzender der Geschäftsführung. Keine Branche bleibe von der Digitalisierung unberührt. Sie habe massive Auswirkungen auf das Kerngeschäft. „Medien- und Telekommunikationsunternehmen sind besonders betroffen“, sagte Graßmann. Den Umwälzungen in der Medienlandschaft begegnet der Konzern damit, das Kerngev.l.n.r. Burkhard Graßmann, Vorsitzender schäft zu schützen, gleichzeitig der Geschäftsführung BurdaNews GmbH; organisch zu wachsen und pasDr. Philip Marx, Prokurist M.M. Warburg & sende Angebote zuzukaufen. Co; Dr. Flemming Moos, Partner und BurdaNews verfolge das Ziel, Fachanwalt für IT-Recht, Osborne Clarke Lawyers sich vom Printverlag in ein kundenzentriertes Medienhaus zu entwickeln. Ein gutes Beispiel dafür sei die Marke TV Spielfilm Plus, zu der das Printprodukt, eine Internetseite und Apps für mobile Endgeräte gehören. Und die Expansion gehe weiter: Noch im laufenden Quartal soll „TV Spielfilm live“ an den Start gehen, ein Streaming-Dienst für Livefernsehen. l

Sachsen-Anhalt

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Hamburg Wie sich die Medienlandschaft transformiert

Dr. Annekatrin Niebuhr, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB Kiel; Thomas Krotz, Kieler Funk-Taxi-Zentrale eG; Paul Wehberg, Geschäftsführer A. Beig Druckerei und Verlag GmbH; Martin Aye, Geschäftsführender Gesellschafter Aye-Gruppe; Dierk Böckenholt, Hauptgeschäftsführer Einzelhandelsverband Nord e.V.; Axel Strehl, Präsident des DEHOGA in Schleswig-Holstein; Mark Helfrich MdB, Ausschuss Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages; Holger Bajorat, Sprecher Sektion Neumünster des Wirtschaftsrates

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TTIP sichert Europas strategische Partnerschaft mit den USA „Amerikaner und Europäer müssen politisch an einem Strang ziehen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Vor allem das Freihandelsabkommen TTIP bietet große politische und ökonomische Chancen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen“, betonte Friedrich Merz, Atlantik-Brücke e.V. und Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrates, auf der Regionaltagung Ruhrgebiet des Wirtschaftsrates in Nordrhein-Westfalen. Gastgeber Joachim Rumstadt, Mitglied v.l.n.r. Joachim Rumstadt, Friedrich Merz, des Sektionsvorstands Essen und Dr. Jens-Jürgen Böckel Vorsitzender der Geschäftsführung der STEAG GmbH, unterstützte Merz: „Die EU und USA vereinen etwa die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Die USA sind unser wichtigster Handelspartner.“ Mit TTIP entstünde mit mehr als 800 Millionen Verbrauchern der größte Wirtschaftsraum der Welt. Infolgedessen würden Handelsbarrieren fallen und Produktstandards angepasst, betonte Merz. Die Vorteile lägen auf der Hand: Stärkeres Wachstum und mehr Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks. Kritikern entgegnete Merz: „Gegen TTIP werden die gleichen Argumente vorgebracht wie zuvor gegen die Öffnung des europäischen Binnenmarktes.“ Bewahrheitet habe sich keine der Befürchtungen. Eindringlich warnte er vor einem Scheitern der Verhandlungen: „Europa würde eine einmalige Chance vergeben und die USA dazu bewegen, sich l stärker nach Asien auszurichten.“

Schleswig-Holstein Erbschaftsteuer für Familienunternehmen: „Quadratur des Kreises“ Norbert Basler, Gründer und Mehrheitsaktionär der Basler AG, hat sich eingehend mit dem Komplex Erbschaftsteuer auseinandergesetzt: „Eine vernünftige Regelung der Erbschaftsteuer für Familienunternehmen bedeutet eine Quadratur des Kreises.“ Mit dieser Erkenntnis konfrontierte er als Moderator des Stormarner Wirtschaftsforums die beiden Politiker Finanzministerin Monika Heinold, die als Grüne Einfluss über den Bundesrat nehmen kann, sowie Dr. Philipp Murmann MdB, der für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haushalts- und Finanzausschuss mitentscheidet. Die Finanzministerin zeigte sich pragmatisch: „Umverteilung braucht unsere Gesellschaft und Schleswig-Holstein braucht die Einnahmen von etwa 150 Millionen Euro. Wenn sie durch eine andere Steuerart für das gleiche Klientel sichergestellt werden können, wäre mir das auch recht.“ Dr. Philipp Murmann MdB, selbst Geschäftsführender Gesellschafter eines mittelständischen Unternehmens in dritter Generation, sieht angesichts der Festschreibung im Koalitionsvertrag keine politische Chance auf eine Neuregelung zu verzichten. Im Ergebnis sei darauf zu achten, dass es im Volumen – wie versprochen – effektiv nicht zu Steuererhöhungen komme und die Eingriffe nur wenige große Vermögen betreffen.

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Haushaltspolitisch spiele die Erbschaftsteuer in Deutschland mit 5,4 Milliarden Euro nur eine untergeordnete Rolle, so Basler. Gleichzeitig löse sie aber eine Vielzahl von Fehlanreizen aus, besonders für den Generationsübergang in Familienunternehmen. Der Verlust eines Inhabers schwäche Betrieb und Wert bereits empfindlich. Die Erbschaftsteuer verschärfe den Zwang zu Notverkäufen unter Wert oder drastischen Entnahmen. Basler warnt: „Deutschlands Erfolgsgeheimnis im internationalen Wettbewerb ist seine Unternehmensstruktur, die zu 91 Prozent familiengeführt ist und sich durch hohe Standortv.l.n.r. Unternehmer Norbert Basler, Finanztreue, nachhaltiges Denken und ministerin Monika Heinold, Dr. Philipp Mureine besondere Mitarbeiterloyali- mann MdB tät auszeichnet.“ Reinhold von Eben-Worlée, Familienunternehmer Worlée-Chemie GmbH in vierter Generation, stellte klar, dass Ausweichreaktionen aus erbschaftsteuerlichen Gründen keine große Kunst seien, diese aber negative Wirkungen auf den l Unternehmensstandort entfalten würden.

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Für das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) warb Eckart von Klaeden, Leiter External Affairs Daimler AG und Staatsminister im Bundeskanzleramt a.D., auf einer Veranstaltung der Sektionen Rottweil/Tuttlingen, Balingen/Sigmaringen und Konstanz/Westlicher Bodensee. Seine Botschaft: Für die Wirtschaft bringt TTIP massive Vorteile. Diese seien derzeit in unserer Gesellschaft jedoch nicht verankert. Häufig ginge es den Kritikern nur um Protektionismus. Die Sorgen müssten ernst genommen, einer generellen anti-amerikanischen v.l.n.r. Bernhard Feßler, Eckart von KlaeKritik jedoch widersprochen den, Dr. Martin Leonhard werden. Von Klaeden erinnerte daran, dass es auch in den USA Kritik an dem geplanten Abkommen gebe. Die Sorge, dass etwa Gesundheitsstandards durch TTIP unterlaufen werden könnten, treibe Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks um. Von Klaeden erinnerte daran, dass in Deutschland 600.000 Arbeitsplätze direkt vom Handel mit den USA abhingen: „Das Fehlen von Handelsschranken führt dazu, dass die Arbeitsplätze in Europa und vor allem in Baden-Württemberg erhalten bleiben.“ Für Daimler etwa seien die USA das zweitwichtigste Exportland. Allein in der Automobilindustrie könnte durch TTIP viel Geld gespart werden. Schon die Zölle kosteten hiesige Automobil-Hersteller rund eine Milliarde l Euro.

Nordrhein-Westfalen

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Baden-Württemberg TTIP: Konjunkturprogramm für Exportwirtschaft und Mittelstand


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Eine Expertengruppe der hessischen Landesfachkommission Gesundheit hat ein Positionspapier zur Bewältigung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen verfasst. Dieses beinhaltet konkrete Lösungsansätze für die Aktivierung personeller Potenziale für das Gesundheitswesen, die operative Unterstützung des medizinischen Personals durch den Einsatz von Technik sowie die Pharmazie und personalisierte Medikation. Um Nichterwerbstätige oder Umschüler für Gesundheitsberufe zu begeistern, müssen die Ausbildungsinhalte überarbeitet werden. Dies gilt auch für die strukturelle Weiterbildung. Zudem wird die Akquise von ausländischen Fachkräften nur durch eine systematische, berufsspezifische, fachliche und sprachliche Integration sowie passgenaue Anpassungsmaßnahmen den notwendigen Erfolg zeigen. Eine Entlastung jener Fachkräfte durch Zuarbeiter im niedrigschwelligen Tätigkeitsbereich ist angesichts der Bevölkerungsstrukturentwicklung alternativlos, aber nur durch Qualifizierung möglich. Neben der Entlohnungspolitik müssen flankierende, imagewirksame Kommunikationsmaßnahmen sowie die technische Unterstützung der Beschäftigten zur Steigerung der Anreize im Gesundheitswesen zu arbeiten beitragen. Das Positionspapier bekommen Sie über die Geschäftsstelle. l

Und so thematisierten die Veranstaltungen 2015 vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzesinitiativen im Bund die Schwerpunkte Pflege, Krankenhaus und Gesundheitspolitik im Freistaat. In Vorbereitung befinde sich die Qualität der Gesundheitsversorgung. Hochkarätige Podien sorgten für „Informationen aus erster Hand“. So referierte etwa Annette Widmann-Mauz MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesgesundheitsminister, zu ihren aktuellen Schwerpunkten. Primat habe hier, dass der medizinische Fortschritt als finanzierbare Gesundheitsversorgung in den Ballungszentren und ländlichen Gebieten ankomme. Im Meinungsaustausch mit den gesundheitspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen Corinna Herold (AfD), Christoph Zippel (CDU) und Jörg Kubitzki (LINKE) kristallisierte sich ein Grundtenor nach Entlastung der Ärzte durch weniger Bürokratie, nach Aufwertung des Landarztstatus, nach Maßnahmen gegen den Fachärztemangel beispielsweise durch geringere Zulassungshürden für eingewanderte Mediziner und nach Absicherung der Pflege durch qualifizierte l Pflegekräfte in der notwendigen Anzahl.

Niedersachsen

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Araditioneller Auftakt zur Hannover Messe Wirtschaftsrat-Präsidiumsmitglied Werner M. Bahlsen begrüßte traditionell zum Auftakt der Hannover Messe neben rund 200 Gästen aus Wirtschaft und Politik die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka, als Ehrengast im Hause Bahlsen. Die Bundesministerin machte deutlich, wie wichtig eine kluge Bildungs- und v.l.n.r. Prof. Dr. Kurt J. Lauk, Prof. Dr. Forschungspolitik für den Standort Johanna Wanka, Werner M. Bahlsen l Deutschland sei.

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Gesundheitspolitik lässt sich pragmatisch und ideologiefrei diskutieren und gestalten. Das bewiesen die Mitglieder der Thüringer Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft und ihr Vorsitzender Stephan Hauschild in angeregten Diskussionsrunden mit Politikvertretern und zahlreichen Spitzenakteuren der Gesundheitswirtschaft – Krankenkassen, Ärzten und Verwaltungsverantwortlichen der Krankenhäuser, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen sowie Anbietern von medizinischen Heil- und Hilfsmitteln. Foto: Karsten Seifert

Expertengruppe entwickelt Lösungsansätze gegen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen

Fakten aus erster Hand von und für Bundes-Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz MdB (re.), auf dem Podium mit Beate Meißner MdL, Christoph Zippel MdL und Stephan Hauschild (v.l.n.r.)

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Hessen

Niedersachsen Astrid Hamker als Vorsitzende in Niedersachsen wiedergewählt Die Mitglieder des Wirtschaftsrates in Niedersachsen haben Astrid Hamker, Inhaberin Kompass-Beratung und Gesellschafterin Piepenbrock Unternehmensgruppe GmbH & Co. KG sowie Schatzmeisterin des Wirtschaftsrates, für weitere zwei Jahre ins Amt der Landesvorsitzenden gewählt. In den Landesvorstand wurden außerdem gewählt: Werner Michael Bahlsen, Vorsitzender der Geschäftsführung Bahlsen GmbH & Co. KG sowie Präsidiumsmitglied des Wirtschaftsrates; Andreas Buß, Aufsichtsrat Süderelbe AG; Dieter Lorenz, Geschäftsführender Gesellv.l.n.r. Anja Osterloh, Astrid Hamker, schafter Habekost & Fichtner Dieter Lorenz GmbH; Prof. Rolf Schnellecke, Aufsichtsratsvorsitzender Schnellecke Group AG; Anja Osterloh, Geschäftsführende Gesellschafterin mod Gruppe; Helmuth Schäfer, Partner PricewaterhouseCoopers AG; Barbara l Thiel, Landesbeauftragte für den Datenschutz.

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Thüringen Gesundheitspolitik: Frühzeitiges Positionieren gegenüber Bund und Freistaat


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© 2015 PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC“ bezieht sich auf die PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die eine Mitgliedsgesellschaft der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) ist. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.

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Zu ihrer diesjährigen Auftaktveranstaltung hatte die Landesfachkommission Familienunternehmen und Mittelstand unter Leitung von Dr. Thomas Ull zu dem Thema „Mindestlohn – Auswirkungen auf den Mittelstand“ geladen. Jan Leßmann, Chief Financial Officer der Bremer Tageszeitungen AG (BTAG), berichtete aus Sicht eines Zeitungsverlages von den Erfahrungen seit Einführung des Mindestlohns und den neuen Herausforderungen für die Branche. Die BTAG beschäftigt derzeit über 1.600 Zusteller, die primär von der Einführung des Mindestlohns betroffen sind, und sah sich zunächst mit einigen grundlegenden Fragestellungen konfrontiert, insbesondere mit der Frage „Wie wird die Arbeitszeit des Zustellers kontrolliert?“ Für die Zeitungsbranche bedeutet die Einführung des Mindestlohns einen Paradigmenwechsel: Vom Stücklohn zum Zeitlohn. Wurden Zusteller zuvor per zugestellte Exemplare entlohnt, tritt durch den Mindestlohn die Arbeitszeit in den Fokus, die sehr arbeitsintensiv erfasst werden muss. Auch die Ergebnisse einer Erhebung des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger e.V., in der rund 100 deutsche Verlage befragt wurden, geben Aufschluss über die Folgen des Mindestlohns: Trotz geltender Übergangsregelungen liegen die Mehrkosten im Vergleich 2014/2015 bereits bei rund 205 Millionen Euro. Weiterhin können eine halbe Million Haushalte nicht mehr betriebswirtschaftlich sinnvoll beliefert werden. Auch die Auswirkungen auf Arbeitsplätze sind erheblich: Durch notwendige Neuorganisationen ist es bisher zu rund 2000 Entlassungen beim Zustellpersonal gekommen. Letztlich stelle nicht die Höhe des Mindestlohns das eigentliche Problem dar, sondern die Dokumentationspflichten, die einen erhöhten Arbeitsaufwand für die Unternehmen l bedeuten, so Leßmann.

Impressum Herausgeber: Prof. Dr. Kurt J. Lauk, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V. Schriftleitung: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redaktion Wissenschaftliche Beratung: Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de Projektleitung: Information für die Wirtschaft GmbH Geschäftsführerin: Iris Hund (v.i.S.d.P.) Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-401, Telefax 0 30 / 2 40 87-405

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Rheinland-Pfalz Patienten: Steigendes Bedürfnis nach Transparenz und Information Mit dem Thema „Bewertungsportale: Chancen und Risiken für Krankenkassen, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Kliniken?“ setzten sich die Mitglieder der Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft des Wirtschaftsrates in Rheinland-Pfalz auseinander. Frank Gotthardt, Landesverbands- und Kommissionsvorsitzender, moderierte die Diskussion. Dunja Kleist, Landesgeschäftsführerin BARMER GEK Rheinland-Pfalz, betonte „das große Bedürfnis der Patienten nach Informationen über Ärzte, Krankenhäuser sowie Behandlungsmethoden. Dem trage man durch die beiden „unabhängigen, patientenorientierten, nutzerfreundlichen“ Internetportale „Arztnavi“ und „Krankenhausnavi“ Rechnung. Nach einem kurzen Rückblick auf die Entwicklung von Bewertungssystemen im Internet, gab Dr. Pev.l.n.r. Dr. Peter Müller, Vorsitzender des Vorstands ter Müller, Vorsitzen- Stiftung Gesundheit; Dunja Kleis, Landesgeschäftsder des Vorstandes führerin BARMER GEK Rheinland-Pfalz; Frank GottStiftung Gesundheit, hardt, Landesvorsitzender und Vorsitzender Landeseinen Ausblick auf fachkommission Gesundheitswirtschaft, Herbert Mauel, Geschäftsführer Bundesverband privater künftige Entwicklun- Anbieter sozialer Dienst e.V. gen. Herbert Mauel, Geschäftsführer Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V., halte die Bewertung von Pflegeeinrichtungen für richtig, die Benotung allerdings für schwierig. Frank Gotthardt, CompuGroup Medical AG, gab zu bedenken, dass nicht ausgereifte Bewertungssysteme für Pflegeeinrichtungen auch kritische „Steuerungsinstrumente“ werden könnten, durch die Innovationskraft und marktwirtschaftliches Denken verloren gingen. Die Präsentationen l können Sie in der VIP-Lounge abrufen.

Bankverbindung: Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380 Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH Anzeigenkontakt: Katja Sandscheper, Telefon 0 30 / 2 40 87-301 Gesamtherstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück Telefon 05 41 / 9 59 00-0, Telefax 05 41 / 9 59 00-33 Erscheinungsweise: April, Juni, September, Dezember Anzeigenpreise: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 16 Bestellungen: Beim Verlag Bezugsbedingungen: Einzelpreis 7,50 Euro (einschl. MwSt.) Jahresabonnement 25,– Euro (einschl. MwSt.), zzgl. Versandkosten. Abonnements (vier Ausgaben) werden für ein Jahr berechnet. Kündigungen müssen sechs Wochen vor Ablauf des Abonnements schriftlich vorliegen, andernfalls verlängert es sich für ein weiteres Jahr.

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Bremen Mindestlohn: Bürokratiemonster für die Zeitungsbranche


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ImSpiegel der Presse Spiegel Im Die Frankfurter Allgemeine am 05.03.2015: „Nach 25 Jahren deutsche Einheit und den blühenden Landschaften in den neuen Ländern gibt es keine stichhaltige Begründung mehr für einen Sonderzuschlag“, mahnte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags an. Im Handelsblatt vom 12.03.2015: Werner M. Bahlsen, Präsidiumsmitglied und designierter Präsident des Wirtschaftsrates, fürchtet einen Angriff auf Familienunternehmen durch die Erbschaftsteuer: „Wer ein Familienunternehmen erbt, erwirbt zuerst eine Verpflichtung und dann erst ein Vermögen. Diese Verantwortung prägt über 90 Prozent eigentümergeführter Betriebe in Deutschland.“

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Am 13.03.2015 in der Welt entdeckt: Die Eckpunkte zur Erbschaftsteuer gingen „weit über den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Reparaturbedarf hinaus“, kritisierte Generalsekretär Wolfgang Steiger. „Das Bundesfinanzministerium muss deutlich nachbessern und die Bundesregierung ihr Versprechen halten: Es darf für die Familienunternehmen nicht zu einer breiten Steuererhöhung kommen.“

Bild am 20.03.2015: Wolfgang Steiger hat eine härtere Gangart im Schuldenstreit mit Athen gefordert: „Gute Worte reichen nicht mehr! Nachdem die griechische Regierung und das Parlament jetzt zusätzliche Ausgaben beschlossen haben, müssen die Geldgeber den Geldhahn schließen. Vielleicht nicht auf Dauer, aber heute als ernsten Warnschuss.“ Gefunden in Die News 04/2015: „Es ist nicht nachzuvollziehen, dass man beim Finanzamt, beim Handelsregister, bei der IHK, bei der Stadt und weiteren Ämtern immer dieselben Informationen auf einem anderen Formular abgeben muss. Ein One-Stop-Shop könnte den Prozess wesentlich vereinfachen“, sagte Dr. Alexander Bode, Vorsitzender des Jungen Wirtschaftsrats. Die Welt vom 07.04.2015: „Der Zustand unserer Infrastruktur ist einer führenden Industrienation unwürdig. Eine Ausweitung etwa der Nutzerfinanzierung durch die Maut deckt den Nachholbedarf nicht. Vielmehr muss die Verkehrswegefinanzierung grundlegend umgebaut werden“, positionierte der Generalsekretär.

©Klaus Stuttmann

Am 16.04.2015 in der Bild entdeckt: Der Präsident des Wirtschaftsrates forderte eine offene Diskussion über einen Plan B für Griechenland: den Grexit, die Einführung einer Parallelwährung oder einen anderen Weg.

Deutsche Welle am 13.03.2015: Das Ziel der Regierung von 50 Megabit pro Sekunde für schnelle Datenleitungen hält der Präsident des Wirtschaftsrates für nicht ambitioniert. „Die Digitalisierung umfasst immer stärker alle Geschäfts- und Produktionsprozesse und bietet dem Mittelstand große Chancen. Es kann nicht sein, dass wir den Anschluss verpassen, weil unsere Infrastruktur nicht schnell genug ist.“

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Am 18.04.2015 im „heute-journal“: „Wir leben vom Export. Ohne den internationalen Markt würden wir unseren Wohlstand halbieren“, sagte Prof. Dr. Kurt J. Lauk angesichts der Proteste gegen TTIP. Am 26.04.2015 im „Bericht aus Berlin“ in der ARD: „Bundeswirtschaftsminister Gabriel schadet dem Standort Deutschland. Der Klimabeitrag führt lediglich dazu, dass die Kraftwerke geschlossen oder aber die höheren Kosten auf die Verbraucher umgelegt werden“, erklärte der Präsident des l Wirtschaftsrates.

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17.000

666,5 Milliarden Bund, Länder und Kommunen können mit Steuereinnahmen in Höhe von 666,5 Milliarden Euro rechnen. Damit stiegen die Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 6,3 Milliarden Euro.

Die Sonnenfinsternis am 20. März 2015 unterzog Deutschlands Stromnetz einer Belastungsprobe: Die Stromproduktion von Solaranlagen brach um 7.000 Megawatt ein und stieg innerhalb einer Stunde wieder um 10.000 Megawatt an. Quelle: Generaldirektion Energie, EU-Kommission

Quelle: Bundesfinanzministerium

Zahlen des Quartals 2,5 Milliarden Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre für Deutschland sehr teuer. Die Zahlungen der Insel an die EU müssten unter den anderen Staaten aufgeteilt werden. Deutschland als der größte Nettozahler müsste demnach 2,5 Milliarden Euro zusätzlich zahlen. Quelle: Handelsblatt

155.000 Streikbedingt gingen 155.000 Arbeitstage im Jahr 2014 verloren. 2010 waren es noch nur 25.000 Tage. Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

41 Millionen 2014 ist der Digitale Musikmarkt genau so groß wie der physische. Vor allem die Streaming-Dienste mit 41 Millionen zahlenden Abonnenten treiben das Wachstum an – 2011 waren es noch rund acht Millionen. Quelle: Digital Music Report

107,5 Milliarden Die Exporte des deutschen Außenhandels kletterten im April 2015 auf einen Rekordwert: Im Vergleich zum Vormonat stiegen sie um 12,4 Prozent und erreichten mit 107,5 Milliarden Euro den höchsten, jemals gemessenen Wert. Quelle: Spiegel Online

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Wie kommt’s, dass laufend Geheimdienst-Informationen aus dem geheimsten aller Ausschüsse, dem Parlamentarischen Kontrollgremium, in die Medien sickern? Eine wirksame Kontrolle der Dienste ist sehr wichtig. Und oft genug verselbständigen sich die Schlapphüte. Aber die regelmäßigen Lecks, ob aus dem Gremium oder anderen Quellen sei dahingestellt, werden für Deutschland zu einem ernsten Problem. Deutsche Dienste wissen über manche Weltregionen sehr wenig bis nichts, brauchen dann Kooperationen, um ihre großen weißen Flecken zu schließen. Vorzugweise sind dies auch gefährliche Gegenden, in denen Entwicklungshelfer aktiv sind oder auch Rucksacktouristen Abenteuer suchen, die dann nicht selten in die Hand von Entführern geraten. Was aber passiert wenn unsere Partner Deutschland abschneiden von ihrem Wissen und Hilfe in Notfällen ausbleibt? Vertraulichkeit zwischen Politik und Medien gehört zu den zentralen Regeln des Berliner Politikbetriebes. So ist in der Satzung der „Bundespressekonferenz e.V.“ festgeschrieben: Über „unter 1“ Gesagtes darf mit Quellenangabe offen berichtet werden; „unter 2“ erlangte Informationen dürfen ohne Absender veröffentlicht werden; aus einem Gespräch „unter 3“ Gewonnenes muss im Hinterkopf bleiben. Wenn diese Regeln aber immer mehr dazu führen, dass Geheiminformationen auf den offenen Markt gelangen, muss eine Debatte über die Verantwortung im Umgang damit geführt werden. Sensationslust oder die Freude an der politischen Intrige bedrohen mehr, als durch eine Schlagzeile gewonnen werden kann. TREND 2/2015

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„Was bedeutet eigentlich Verantwortung?“ TITUS WOUDA KUIPERS Director Global Operations bei Imperial Tobacco

Wir bei Reemtsma sind uns unserer besonderen Verantwortung als Tabakunternehmen bewusst. Die R isiken des Rauchens sind allgemein bekannt. Wir haben uns verpflichtet, unsere Produkte verantwortungsvoll zu vermarkten. Eigene Marketing-R ichtlinien stellen sicher, dass sich unsere Werbung ausschließlich an erwachsene Raucher richtet. Denn wir wollen nicht, dass Kinder und Jugendliche rauchen. Das ist nur ein Beispiel f ür verant wortungsvolles Handeln, so wie wir es leben. w w w. r e e m t s m a . d e

WER TE LEBEN. WER TE SCHAFFEN. 2/2015 TREND

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2 Milliarden Menschen mehr auf der Erde

130 Prozent weltweit höhere Wirtschaftsleistung

35 Prozent gestiegene Energienachfrage

Mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum steigt die Energienachfrage bis 2040 um mehr als ein Drittel. Dabei werden Erdöl und Erdgas selbst in 25 Jahren noch etwa 60 Prozent des Energiebedarfs verlässlich decken müssen. Als integriertes Unternehmen ist ExxonMobil für die Herausforderung bestens gerüstet, auch in Zukunft eine sichere, wirtschaftliche und umweltschonende Energieversorgung zu gewährleisten. Daran arbeiten rund 80.000 ExxonMobil Mitarbeiter auf der ganzen Welt – jeden Tag. Ein Teil davon in Deutschland: von der Suche bis zur Vermarktung von Erdöl und Erdgas sowie von der Entwicklung bis zum Verkauf von Mineralöl- und chemischen Produkten. Mit innovativer Forschung und Entwicklung. Denn Energie ist wichtig – für die Menschen und den Fortschritt. www.exxonmobil.de


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