TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 1/2017

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39. JAHRGANG 1 / 2017

Digitale Agenda: Deutschland kann mehr!

BUNDESTAGSWAHL 2017

Themen jetzt richtig setzen

ENERGIEPOLITIK

Dauerbaustelle Energiewende TOP-BEITRÄGE

Dr. Jens Weidmann Eugene Kaspersky


„Ist die HEK für die Abschaffung der privaten Krankenversicherung? Nein! Erstens haben wir keine Angst vor Wettbewerb und zweitens arbeiten wir mit einigen Privaten partnerschaftlich eng zusammen. Willkommen in der Business-K(l)asse!“ Jens Luther, Vorstand der HEK

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Kontakt: 0800 0213213 (kostenfrei)


Foto: Franz Bischof

EDITORIAL

Werner M. Bahlsen Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

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n Deutschland übersteigt die Beschäftigtenzahl 44 Millionen, Löhne und Gehälter haben einen kräftigen Sprung gemacht und auch die Armut sinkt nachweislich. Kaum ein Industrieland besitzt eine so stabile und breite Mittelschicht, die auch wieder wächst. Dennoch plagen viele Bürger Abstiegsängste, die mit Kampagnen zusätzlich geschürt werden. Die Agenda 2010 mit ihren Reformen hat unser Land wesentlich vorangebracht und durch zusätzliche Arbeitsplätze Hunderttausenden Aufstiegschancen eröffnet. Jetzt wollen die SPD und ihr Spitzenkandidat Martin Schulz eine Rolle rückwärts vollziehen, angeblich um der Gerechtigkeit willen. Geht es in Deutschland wirklich so ungerecht zu? Die Datenlage und die soziale Absicherung sprechen jedenfalls eine ganz andere Sprache.

Titelbild: Fotolia.com ©duncanandison

„Sorgen wir gemeinsam dafür, dass über die wirklich entscheidenden Themen diskutiert wird.“ Natürlich schaden Negativbeispiele aus der Wirtschaft, die Wahlkämpfer gerne zur Stimmungsmache nutzen. Seien es vertuschte Skandale oder fehlendes Fingerspitzengefühl bei der Gestaltung der Vergütungen in wenigen Unternehmen, sie beeinträchtigen das Bild der Wirtschaft ungemein. Aber muss man deshalb generell Gehälter ab 500.000 Euro steuerlich benachteiligen, indem man sie nicht mehr wie normale Kosten behandeln will? Davor ist nur zu warnen, weil grundgesetzkonform schwer zwischen Vorständen und anderen Spitzenverdienern, nicht nur in Sport und Kultur, zu unterscheiden ist. Aber das ganze Thema läuft fehl.

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In diesem Wahljahr müsste sich die Politik mit echten Zukunftsfragen befassen: Wie schafft es unser Land, seine digitale und konventionelle Infrastruktur für die Gigabit-Gesellschaft von Morgen auszubauen und gleichzeitig hochmobil zu bleiben? Wie lösen wir die noch immer schwelende Euro-Krise und die Kollateralschäden der EZB-Zinspolitik für die Finanzwirtschaft und die Alterssicherungssysteme? Und wie bleiben wir führende Industrienation, wenn der Freihandel global bedroht wird und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verschlechtert werden? Der Wirtschaftsrat will Deutschland in diesem Sinne voranbringen. In den letzten Monaten haben wir zu allen für die Wirtschaft wichtigen Politikfeldern Forderungen herausgearbeitet. Auf dem „Wirtschaftstag der Innovationen“, der Finanzmarktklausur und im „Energy-Lab“ wurden sie breiter mit verschiedenen Branchen diskutiert. Die gewonnenen ­ Inhalte speisen wir in die Politik ein. Sie werden sich auch in Wahlprogrammen zur Bundestagswahl finden. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass über die wirklich entscheidenden Themen diskutiert wird. Es kommt in diesem Jahr besonders auf unsere unternehmerische Stimme der wirtschaftlichen Vernunft an. In diesem Sinne freue ich mich, viele von Ihnen auch auf unserem Wirtschaftstag 2017 l am 27. Juni in Berlin zu treffen.

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INHALT

Inhalt

TITEL DIGITALE AGENDA 14 TREND-Grafik: Wie gut ist Deutschland für ein digitales Wirtschaftswunder aufgestellt?

8 BUNDESTAGSWAHL 2017: Jetzt die richtigen Themen setzen Die Kandidaten stehen fest – der Bundestagswahlkampf ist eröffnet. Jetzt kommt es darauf an, die richtigen Themen für die neue Legislatur zu setzen. Das Zukunftsprogramm des Wirtschaftsrates steht. Drei Prioritäten sind identifiziert und mit Forderungen unterlegt, die Deutschland für Wachstum und Wohlstand angehen muss: den demografischen Wandel, die Wettbewerbsfähigkeit und die Einwanderung.

14 TITEL Digitale Agenda: Deutschland kann mehr! Ein wirtschaftlich erfolgreiches Deutsch­ land muss Vorreiter der Digitalisierung in Europa und der Welt werden, um im internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe zu bestehen und zukunftsfähig zu sein. Denn, ob Existenzgründungen, moderne Verwaltung, zukunftsfähige Bildung oder innovative Forschung und Entwicklung – unsere digitale Infrastruktur wird maßgeblich darüber entscheiden, ob es uns gelingt, die Voraussetzungen für ein digitales Wirtschaftswunder zu schaffen.

START EDITORIAL 3  Werner M. Bahlsen AUSSENANSICHT 6 Voll daneben!  Ralf Schuler

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Deutschland kann mehr! 16  Peter Hahne 19 Stärkung der Innovationskraft – die europäische Perspektive  Peter Hahne 20 Ökosystem für Start-ups: Mehr Wagnis, zu wenig Kapital?  Jens Spahn MdB 22 „Bis zum absoluten­ ­Internet-Frieden ist es noch ein langer Weg …“ Interview mit Eugene Kaspersky

Jetzt den Kurswechsel einleiten 30  Klaas Knot, Valdis Dombrovskis, Andrew Bailey 32 Neues Vertrauen herstellen  Christian Sewing, Burkhard Balz MdEP, Friedrich Merz Raus aus der Frustration 33  Roland Koch ENERGIEPOLITIK 34 Erneuerbare für die Industrie  Reinhold von Eben-Worlée, Martin Grundmann 36 Dauerbaustelle Energiewende  Klaus Stratmann European Energy Lab 38 entwickelt vier Prioritäten  Birgit Heinrich / Dr. Bernd Weber

24 Aufbruch in die ­Gigabitgesellschaft  Victoria Espinel, Peter Altmaier MdB, Luca Mucic

40 Flüssige Brennstoffe bringen die Energiewende voran  Adrian Willig

AKTUELL

42 Netzentgelte marktwirtschaftlich ausgestalten  Dr. Hans-Jürgen Brick

BUNDESTAGSWAHL 2017 8 Drei Prioritäten  Wolfgang Steiger DEBATTE SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT 10 Ludwig Erhards Wirtschafts­ system ist die Lösung  Dr. Carsten Linnemann MdB POLITISCHE ANALYSE 12 Argumentative Auseinander­ setzung mit der AfD  Harald Bergsdorf STARKER FINANZSEKTOR FÜR EUROPA 26 Europas Wirtschaft braucht einen starken Finanzsektor  Peter Hahne 26 Positionen für einen starken Finanzsektor in Europa 28 Warten auf Godot  Dr. Jens Weidmann

26 AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa Die Finanzbranche befindet sich im Umbruch: Umfangreiche Regulierung und Niedrigzinspolitik verändern nicht nur die Rentabilität einzelner Geschäftsfelder, sondern sie stellen die Tragfähigkeit ganzer Geschäftsmodelle infrage. Die parallel Einzug haltende Digitalisierung verstärkt diese Entwicklung fundamental. Wirtschaft und Politik sind in gemeinsamer Verantwortung gefragt, die Grundlagen für Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Vertrauen zu legen.


INHALT

WIRTSCHAFTSRAT INNENANSICHT 43 Neues aus den Kommissionen

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 47 Delegationsreise nach Hongkong

WIRTSCHAFTSTAG DER INNOVATIONEN 44 Impressionen

FINANZMARKTKLAUSUR 48 Impressionen

ENGAGEMENT 46 „Lust auf ein klares ­Wertefundament“ Portrait Marcus Ewald

DEUTSCH-INDISCHER ­WIRTSCHAFTSDIALOG Indien verspricht 50 große Chancen

28 / 22 TOP-BEITRÄGE Bundesbank-Präsident Dr. Jens Weidmann ­positioniert in TREND zum Thema Expansive Geldpolitik. Der Wirtschaftsausblick ist recht positiv und die Inflationsrate wird sich der Preisstabilitätsdefinition des Rates der Europäischen Zentralbank allmählich annähern. Wenn diese Preisentwicklung nachhaltig ist, wird ­damit die Voraussetzung für den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik geschaffen. TREND sprach exklusiv mit Eugene Kas­ persky, Gründer und CEO von Kaspersky Labs, da­r­über, wie sicher Unternehmen und Staat in Deutschland vor Hackerangriffen sind und was sie für einen besseren Schutz tun können.

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 51 Rückblick | Einblick | Ausblick 56 Impressum

FORUM 57 Im Spiegel der Presse Zahlen des Quartals 58 58 Spindoktor

DAS STARKE NETZ FÜR ENERGIE Die Amprion GmbH ist ein führender Übertragungsnetzbetreiber in Europa und bewirtschaftet das mit 11.000 Kilometern längste Höchstspannungsnetz in Deutschland. Damit transportieren wir Strom für mehr als 29 Millionen Menschen in einem Gebiet von Niedersachsen bis zu den Alpen. Um unser Netz für die Energiewende fit zu machen, bauen wir es in den nächsten zehn Jahren auf rund 2.000 Kilometern aus. So leisten wir unseren Beitrag zu einer zukunft sfähigen und effizienten Stromversorgung.

W W W. A M P R I O N . N E T

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AUSSENANSICHT

Voll daneben! Das Jahr 2016 war in den Augen vieler Politiker und Politikinteressierter ein Desaster für die Demoskopie. Brexit, Trump, Landtagswahlen – immer wieder lagen Umfragen krachend neben den tatsächlichen ­ Ergebnissen. Kann das auch im Wahljahr 2017 wieder geschehen? Leider ja.

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er sich dagegen wappnen will, sollte einen Blick auf die Ursachen richten. Denn der Grund für die fehlgeleitete Interpretation von Meinungsforschung lag und liegt oft nicht bei den Instituten, sondern in der falschen Art, die Ergebnisse zu lesen. Besonders krass trat dies in den USA zu Tage, wo das Wahl- und Wahlmännersystem landesweite Erhebungen nahezu sinnlos macht. Beim Brexit gab es lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern, das viele glühende Europäer einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Und selbst bei den Landtagswahlen in Deutschland schnitt die Union beim Zieleinlauf durchweg schlechter ab, als in den Umfragen. Die AfD lag dagegen deutlich über den Voraussagen. Was tun? Zunächst ist schon viel erreicht, wenn man sich klarmacht, dass Umfragen Tendenzen anzeigen, keine Punktlandungen. Es ist gängige Praxis und auch völlig in Ordnung, dass Wahlkämpfer die jeweils besten Werte zur Mobilisierung der eigenen

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Ralf Schuler Leiter der Parlamentsredaktion von BILD

„Rückkehrer aus dem Nicht­­wähler-­ Lager sind für die etablierten Parteien am gefährlichsten.“ 6

Anhängerschaft nutzen und noch einen Hoffnungsbonus oben drauf legen. Der nüchterne Analytiker sollte sich allerdings solche Euphorie verbieten und ähnlich agieren, wie ein Chart-Techniker an der Börse: die langfristigen Linien sehen, abwärts, stabil oder aufwärts. Immer wieder wichtig ist auch, sich die Fragestellungen im Detail anzusehen. Wenn beispielsweise die Orientierung auf die politische Mitte bei der Union deshalb als besonders aussichtsreich dargestellt wird, weil sich dort angeblich die meisten Wähler befinden, gibt es ein Problem: Die Verortung in der „Mitte“ wird oft durch Selbsteinschätzung des Befragten ermittelt. Kommen dabei Werte im hohen 70er- oder 80-Prozentbereich heraus, liegt schon arithmetisch auf der Hand, dass solche Zahlen nur zustande kommen können, weil sich auch Sympathisanten von Linken, Grünen, Liberalen oder AfD selbst als „Mitte“ sehen, die sie politisch freilich gar nicht sind. Und man sollte zur Vervollständigung des Stimmungspanoramas den Blick über die Umfragen hinaus schweifen lassen: Wenn allein im 1. Quartal 2016 mehr als 90.000 Deutsche einen kleinen Waffenschein beantragen, lässt das Rückschlüsse auf das Sicherheitsgefühl und das Abschneiden von Parteien zu, denen man auf diesem Gebiet Kompetenz zuweist – oder eben nicht. Wenn auf Wahlkampf-Veranstaltungen im Publikum vorzugsweise Funktionäre sitzen, Zuschauerzahlen offensichtlich geschönt sind oder die Stimmung

auf Plätzen und an der Basis einfach mies ist, sollte man es zumindest zur Kenntnis nehmen und nicht von parteiräsonierenden Lautsprechern übertönen lassen. Und: Bei Trump, Brexit, AfD und den meisten rechtspopulistischen Bewegungen gibt es klare Trennlinien zwischen Stadt und Land beziehungsweise gehobenen und niedrigeren sozialen Schichten. Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Medien tun gut daran, den Meinungskanon ihrer eigenen Metropolen-Milieus – wie etwa Globalisierung, Migration, Gender-Politik, Öko-Orientierung – nicht automatisch für repräsentativ und mehrheitsfähig zu halten. Besonders tückisch dürften im Wahljahr 2017 aber wiederum zwei Faktoren eine realistische Einschätzung der Lage erschweren: Nichtwähler und „sozial erwünschtes Verhalten“. Zum einen lehnen Nichtwähler zu einem hohen Anteil die Teilnahme an Befragungen ab – warum sollten sie auch angeben, was sie von Parteien halten, die sie sowieso nicht wählen? Zum anderen bleibt aber auch unter den Antwortenden ein hoher Prozentsatz, der sich nicht traut, zuzugeben, dass er nicht zur Wahl geht. Beides verzerrt die Ergebnisse. Hinzu kommt, dass in Zeiten heftiger Polarisierung, die Furcht vor Nachteilen durch „falsche Meinungen“ steigt. Oft werden Politik und Medien als Meinungsblock wahrgenommen, die vereint beispielsweise gegen Trump, gegen Brexit, gegen

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AUSSENANSICHT

AfD oder gegen Russland stehen. Landen ehrliche Antworten da womöglich am Ende doch bei meinem Arbeitgeber oder Behörden? In Zeiten, in denen ein Minister-Anwärter in Mecklenburg-Vorpommern nicht nominiert wird, weil er ein Like auf einer AfD-Seite gesetzt hat, ist diese Angst sogar nachvollziehbar. Kein Wunder also, dass diese Selbstverleugnung bei Telefon-Interviews stark, bei Online-Befragungen schwächer und sogar bei Nachwahl-Befragungen messbar auftritt. Der Wähler straft lieber heimlich und hart im Schutze der Wahlkabine. Dabei sind die Rückkehrer aus dem Nichtwähler-Lager für die etablierten Parteien am gefährlichsten. Diese vormaligen Wahlverweigerer hatten sich ganz offensichtlich zurückgezogen, weil sie das gesamte politische Establishment ablehnen, und nun in Trump, Brexit oder AfD ein wirksames Mittel zur schmerzhaften Abstrafung sehen. Die Nichtwähler stellten 2016 die stärksten Wählerströme zur AfD, erst dann kam der Aderlass der anderen Parteien.

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Diese Wähler, die Befragt wurden 1.880 zufällig ausgewählte Personen 32 32 zwischen dem 16. 02. und dem 22. 02. 2017. sich in der „Systemopposition“ sehen, es satt haben, dass sie immer wieder Denkzettel verteilen, 9 und sich in der Po8 7 7 5 litik die immer gleichen Akteure ihre Koalitionen einfach CDU/CSU SPD Grüne FDP Linke AfD Sonstige mit neuen Farbspielen zusammenrechnen, diese Wähler erreicht man mit Sachpolitik, Asylbekannten Personal. Für die Union paketen, Rentenreform oder Türkei-­ könnte es dabei besonders schmerzDeals kaum noch. Denn während die hafte Überraschungen geben, denn sie Parteien über die technischen Aspekte kommt diesmal von links und rechts von Digitalisierung und Industrie 4.0 unter Druck. 1998, im Jahr der Abreferieren, begreifen sie erst langsam, wahl von Helmut Kohl, konnte sich dass diese politischen Milieus im Netz die Union allerdings noch auf ihre ihre eigenen Kreise bilden, mit eigeStammwählerschaft verlassen. Die hat nen Wahrheiten und Informationen. sie in der Zwischenzeit durch den MitDas Kernproblem der Politik im telkurs zum Teil nachhaltig vergrault. Jahr 2017 lautet deshalb: Vertrauen Manche sind zur AfD abgewandert, zurückgewinnen, Menschen zurückandere bilden zahlreiche konservative gewinnen. Der „Schulz-Effekt“ bei Grüppchen innerhalb der Union und der SPD legt die Vermutung nahe, sind nur bedingt verlässliche Unterstützer der Spitzenkandidatin. Kurz: dass es dabei weniger um Inhalte geht, Es wird spannend im Wahljahr 2017. l als vielmehr um Alternativen zum

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Quelle: Emnid

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre …


AKTUELL Bundestagswahl 2017

Drei Prioritäten Die Kandidaten stehen fest – der Bundestagswahlkampf ist eröffnet. Jetzt kommt es darauf an, die richtigen Themen für die neue Legislatur zu setzen. Das Zukunftsprogramm des Wirtschaftsrates steht.

Foto: Wirtschaftsrat

Generalsekretär des ­Wirtschaftsrates der CDU e.V.

„Während heute vieles um die Frage kreist, wie wir leben wollen, müssen wir doch zuallerst ­beantworten, wovon wir leben wollen.“

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ie Kandidaten sind benannt – der Wahlkampf ist eröffnet. Jetzt geht es darum, die richtigen Themen für ein zukunftsfähiges Deutschland zu setzen. Denn so schön Rekordbeschäftigung und langer wirtschaftlicher Aufschwung sind: Es darf darüber nicht in Vergessenheit geraten, welch großen Herausforderungen wir gegenüberstehen. Eine heißt sicherlich demografischer Wandel. Er wird unsere sozialen Sicherungssysteme vor die Zerreißprobe stellen. Die zweite heißt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu sichern: Globalisierung, Digitalisierung und Energiewende fordern sie immer stärker heraus. Gleichzeitig steckt Europa nach der Brexit-Entscheidung sowie der anhaltenden Staatsschulden- und Strukturkrise in einer Bredouille ungeahnten Aus-

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E Mehr Tempo auf dem Weg zur Gigabit-Gesellschaft – Risikofinanzierung für Start-ups voranbringen Die vierte industrielle Revolution entscheidet nicht nur über die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen, s­ondern auch darüber, welche Nationen sich im internationalen Wett­ bewerb an der Spitze etablieren. Ob Industrie 4.0, autonomes Fahren, Digital Health oder Smart Grids – wir müssen die Digitale Agenda schneller umsetzen. E Mehr Markt für eine bezahlbare und sichere Energieversorgung schaffen Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland leidet unter den massiven Kosten der Energiewende, die sich bis 2025 auf bis zu 520

Industrieland Deutschland stärken E Infrastruktur modernisieren Ohne ein leistungsfähiges Verkehrssystem, ohne lebenswerte Städte kann ein Wirtschaftsstandort nicht funk­ tionieren. Dahinter stecken eine stetige und langfristige Planung, eine ausreichende Finanzierung, das Bekenntnis zu mehr Markt, aber auch der Mut zu innovativen Lösungen bei Mobilität, Wohnungsbau und Stadtentwicklung.

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Wolfgang Steiger

maßes. Eine dritte Herausforderung ist die Immigration. Wir müssen anerkannten Flüchtlingen eine Perspektive geben, ohne die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft und des Arbeitsmarktes zu überfordern, und gleichzeitig den Fachkräftemangel ­lindern. Damit Deutschland diese historischen Herausforderungen bewältigen kann, ist eine starke wirtschaftliche Basis wichtiger denn je. Dafür müssen wir uns auch ehrlich machen. Denn die günstige ökonomische Situation ist auch das Ergebnis externer Einflüsse auf Zeit: Der niedrige Ölpreis befeuert die Konjunktur, der schwache Euro erleichtert E ­xporte, und die Zinsen nahe Null ermuntern zu Investitionen. Denn Deutschland lebt an vielen Stellen seit Jahren von seiner Substanz. Die Abschreibungen übersteigen die Investitionen, die Sozialausgaben wachsen schneller als die Wirtschaftsleistung. Während vieles heute um die Frage kreist, wie wir in Zukunft leben wollen, müssen wir doch zuallererst beantworten, wovon wir leben wollen. Für Wohlstand und Sicherheit ­benötigt Deutschland klare Weichenstellungen. Der Wirtschaftsrat sieht drei Prioritären:

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AKTUELL Bundestagswahl 2017

Milliarden Euro summieren werden. Um Versorgungssicherheit und Funktionsfähigkeit des Strommarkts künftig zu gewährleisten, sind dringend Reformen notwendig. E Fachkräftebasis ausbauen, Zuwanderung steuern, Bildung modernisieren Der demografische Wandel verlangt neben der ­Ausweitung der Bildungsinvestitionen eine gezielte Steuerung der Zuwanderung, um den Fachkräftemangel zu lindern. Gleichzeitig kann im Rahmen der humanitären Immigration nur durch die Konzen­ tration auf die wirklich Verfolgten die Integration in Gesellschaft und Beschäftigung gelingen.

Solide Staatsfinanzen, ­leistungsfördernde Steuerpolitik, längere Lebensarbeitszeit

Klare Ordnungspolitik – ­ gegen ­wachsenden ­Staatsinterventionismus E Mehr Vertrauen in die Kraft der Märkte, Unternehmen und Tarifparteien setzen Die Große Koalition mit den SPD-geführten Ressorts vorweg hat die Märkte mit zusätzlichen Staatseingriffen wie der Mietpreisbremse oder dem gesetzlichen Mindestlohn überzogen. Dabei schafft es der Markt besser als der Staat, die Wohlfahrt der Gesellschaft zu steigern. Deutschland braucht die Rückkehr zu einer klaren Ordnungspolitik.

E Für ein starkes Europa – Wege aus der Krise Schuldenkrise und Flüchtlingsstrom haben Europa tief gespalten. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass Europa vor allem für Bürokratie und Kosten steht. Damit ist das europäische Projekt in seinem innersten Kern bedroht. Nach dem Brexit muss jetzt dringend die Debatte über die Zukunft der EU geführt werden. E Innere und äußere Sicherheit s­ tärken Nur unweit von Europa toben Kriege, die große Flüchtlingsströme auslösen. Diese Entwicklung hat nicht nur die Bevölkerung verunsichert, sondern hat auch populistische Kräfte in Europa gestärkt. Diesen müssen wir auf europäischer Ebene geschlossener und entschlossener begegnen. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode haben Staatswirtschaft und Regulierung in vielen Politikbereichen überhandgenommen. Umso wichtiger ist die Rückbesinnung auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. Auch die staatsgläubigen Parteienund Umverteilungsanhänger werden einen Fakt niemals verschieben: ­So­ziale Sicherheit braucht wirtschaftl lichen Erfolg.

Foto: GM Company

Foto: Fotolia.com ©robsonphoto

E Schwarze Null dauerhaft ­verankern, ­Steuerentlastungen umsetzen Bund, Länder und Gemeinden können weiter mit steigenden Steuereinnahmen rechnen. Der Wirtschaftsrat fordert die Nutzung der Mehreinnahmen für die Haushaltskonsolidierung, Investitionen in Z ­ ukunftsfelder und die Entlastung der Leistungs­träger unserer Gesellschaft.

E Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln, soziale Sicherungssysteme ­demo­grafiefest gestalten Deutschlands Vorsorgesysteme befinden sich im doppelten Zangengriff: Einerseits führt die Bevölkerungsalterung umlagefinanzierte soziale Sicherung an ihre Belastungsgrenze. Andererseits schmälert die Niedrigzinsphase die Wertentwicklung kapitalgedeckter Elemente. Umso wichtiger sind Reformen für eine demografiefeste, ertragreiche Ausgestaltung der Sicherungssysteme.

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AKTUELL Debatte Soziale Marktwirtschaft

Es ist einfach nicht zu glauben. Sahra Wagenknecht hat Ende Januar an der Universität Siegen einen Vortrag ­gehalten. Volles Haus. Thema: „Rückbesinnung auf das Wirken Ludwig Erhards“. Wie weit ist es eigentlich ­gekommen, dass die oberste Linke Deutschlands die Soziale Marktwirtschaft für ihre Zwecke missbraucht?

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as auf den ersten Blick absurd erscheint, kann auf den zweiten Blick gar nicht so sehr überraschen. Im Bundestag vergeht kaum eine Rede zu wirtschaftspolitischen Themen, ohne dass sich der Redner aufschwingt, seine Forderung sei „ganz im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft“. Kurzum: Unser Wirtschaftssystem ist zu einem Feigenblatt

wer sich etwas genauer mit den Regeln der Sozialen Marktwirtschaft beschäftigt und diese mit der Wirklichkeit abgleicht, der erkennt: Diese Regeln werden inzwischen reihenweise verletzt. Die Wirtschaftspolitik in Deutschland hat sich sehr weit vom Grundgerüst der Sozialen Marktwirtschaft entfernt. Der Staat hat sich gerade in den zurückliegenden Jahren von einem Schiedsrichter zu einem außerordent-

Ludwig Erhards Wirtsc das Problem, son geworden, mit dem sich mittlerweile alle Parteien schmücken, während in der Bevölkerung seit Jahren das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem sinkt. Besonders die breite Mitte unseres Landes hat den Eindruck, dass es nicht mehr gerecht zugeht, dass einige wenige von unserem Wirtschaftssystem sehr stark profitieren, sie selber aber zunehmend abgehängt werden. Dabei handelt es sich aber nur um einen scheinbaren Widerspruch. Denn

lich engagierten Mitspieler entwickelt, mindestens aber zu einem Spielertrainer, der massiv ins Spielgeschehen eingreift. Wir denken schon an die Ausnahme, bevor wir uns überhaupt die Regel angeschaut haben. Beispiel Preismechanismus: Preise sorgen dafür, dass Angebot und Nachfrage sich angleichen. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde dieser Mechanismus aber über Jahre hinweg komplett ausgehebelt. Wer „grünen Strom“ produzierte, wurde mit einem staatlichen, für 20 Jahre garantierten Festpreis belohnt. Und zwar egal, ob der Strom benötigt wurde oder nicht.

„Die Wirt­schafts­politik in Deutschland hat sich sehr weit vom Grund­gerüst der ­Sozialen Markt­wirt­schaft entfernt.“ 10

Ein Traum für finanzstarke Investoren, die auf Rendite-Jagd sind. Aber ein Albtraum für den ganz normalen Verbraucher, der am Ende für die Kosten geradestehen muss. So funktioniert Umverteilung von unten nach oben, aber keine Soziale Marktwirtschaft. Wenn die Energiewende gelingen soll, braucht es jetzt dringend mehr Mut zu Markt und Wettbewerb. Und zwar weit über die bisherigen Trippelschritte in Form von Ausschreibungs- und Direktvermarktungsmodellen hinaus. Beispiel Haftung: Unser Wirtschafts-

system beruht eigentlich auf dem einfachen Grundsatz, dass derjenige, der den Nutzen hat, im Zweifel auch den Schaden zu tragen hat. Warum sonst sollte man die Risiken des eigenen Handelns auch vernünftig abwägen? Im Falle der Euro-Rettungsschirmpo-

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Foto: Jens Schicke

AKTUELL Debatte Soziale Marktwirtschaft

Deutschland alles andere als nachhaltig aufgestellt. So werden beispielsweise gerade auf Bundesländerebene viel zu geringe Rückstellungen für die Beamtenpensionen gebildet. Wir müssen uns also ehrlich machen: Wenn Pensionsansprüche entstehen, müssen dafür auch entsprechende Rücklagen gebildet werden, was im Umkehrschluss für mich bedeutet: Verbeamtungen dürfen nur noch stattfinden, wenn eine versicherungsmathematisch korrekt gerechnete und testierte Rückstellung gebildet wird. Ansonsten nicht. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Für welche Bereiche brauchen wir überhaupt noch das Beamtenverhältnis? Diese unbequeme Frage müssen wir uns jetzt stellen, ansonsten müssen unsere Kinder den Preis für unsere Bequemlichkeit zahlen.

schaftssystem ist nicht ondern die Lösung

Beispiel Privateigentum: Der einzelne Bürger sollte durch sein Privateigentum in der Lage sein, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Doch dann muss ihm der Staat auch genügend Spielraum für den Erwerb von Privateigentum lassen, anstatt ihm immer tiefer in die Taschen zu greifen! Seit Jahren schon steigt gerade die Belastung der Mittelschicht. Der Sparkas-

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senverband vermeldet hierzu, dass 60 Prozent seiner Kunden am Ende des Monats kein Geld mehr übrig hat, um etwas zur Seite zu legen. Gleichzeitig jagt der deutsche Fiskus von Steuerrekord zu Steuerrekord. Der Staat zieht die Menschen mit dieser Politik erst in die Bedürftigkeit und verteilt das Geld hinterher durch zahllose Programme wieder zurück. Mit Selbstbestimmtheit hat das nichts mehr zu tun. Es ist daher dringend an der Zeit für eine große Steuerstrukturreform, die die Belastung gerade kleiner und mittlerer Einkommen reduziert. Beispiel konstante Wirtschaftspolitik: Der Staat hat dafür zu sorgen, dass Unternehmen und Familien durch konstante Rahmenbedingungen Planungssicherheit für ihre Zukunft haben. Doch gerade beim Thema Alterssicherung ist

Dr. Carsten Linnemann MdB

Foto: Thorsten Schneider

litik wird dieses Prinzip jedoch schon seit vielen Jahren durchbrochen, vor allem in den südlichen Ländern lassen wichtige Reformen weiter auf sich warten. Warum auch, im Zweifel zahlt ja der (deutsche) Steuerzahler. Auf dieser Grundlage hat die Währungsunion keine Zukunft. Es braucht vielmehr eine Insolvenzordnung für Staaten, an deren Ende die Sanierung oder der Austritt steht.

Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU

Fazit: Die Soziale Marktwirtschaft wird zwar ständig bemüht, aber nur noch selten befolgt. Sie ist daher auch nicht das Problem, sie ist die Lösung. Wir haben mit ihr ein Wirtschaftssystem, das wie kein anderes dazu in der Lage ist, in unserem Land für Chancengleichheit, Wohlstand und Wachstum zu sorgen. Und wir haben mit der CDU eine Partei, die wie keine andere dazu aufgerufen ist, die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft hoch zu halten und zu verteidigen. Auf gehts! l

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AKTUELL Politische Analyse

Argumentative Auseinandersetzung mit der Vor den Bundestagswahlen ist es entscheidend, sich mit den Positionen der AfD vertraut zu machen. So lassen sich Halbwahrheiten aufdecken und AfD-Sympathisanten vielleicht für die gemäßigte Politik zurückgewinnen.

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eit Monaten feiert die AfD immer wieder Wahlerfolge. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern errang sie gar Platz 2. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung mit der AfD – gerade nach dem Attentat in Berlin und vor den Wahlen 2017. Im Kern geht es weniger darum, AfD-Funktionäre, sondern primär AfD-Sympathisanten, deren Denken weniger verhärtet ist, für gemäßigte Politik (zurück) zu gewinnen – gleichermaßen jenseits von Verteufelung und Verharmlosung der Partei. Hierbei sind fünf Punkte besonders bedeutsam:

E 1. Um AfD-Wähler zurückzugewinnen, ist es wichtig, ihre Sorgen ernst zu nehmen und zwar nicht nur durch die Analyse von Umfragen, sondern auch durch den direkten Dialog mit frustrierten Wutbürgern vor Ort, darunter ein hoher Anteil „kleiner Leute“ mit sozialen Abstiegsängsten. Ohne ihnen nach dem Munde zu

AfD

reden, ist dabei eine Mischung aus Bürgernähe und politischer Führung gefragt – jenseits von Arroganz und Anbiederung. Fatal wäre es, relevante Probleme zu vernachlässigen oder unter den „Teppich zu kehren“, um sich gemeinsam darauf zu setzen. E 2. Aus Sicht der großen Mehrheit überfordert der Massenzuzug die Bundesrepublik. Viele Bürger fragen nach den Folgen für Kitas und Schulen, für Wohnungs- und Arbeitsmarkt und für den sozialen Frieden. Tatsächlich dürften viele Flüchtlinge, weil es ihnen an Qualifikationen mangelt, für längere Zeit eher zu den Leistungsnehmern als Leistungsträgern gehören: Als Arbeitslose, als Geringverdiener mit staatlich aufgestockten Gehältern oder später als Niedrigrentner in der staatlichen Grundversorgung. Schon heute leben in Deutschland seit langer Zeit nicht nur gut, sondern auch schlecht integrierte Migranten, die einen hohen Prozentsatz unter

Langzeitarbeitslosen und Intensivtätern ausmachen. Umso wichtiger ist es, den Zuzug weiter deutlich zu senken, und gerade auch damit die Bedingungen für Integration zu verbessern. Das fordern insbesondere „kleine Leute“ und integrierte Migranten. Jetzt geht es unter anderem darum, auch Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, um Asylverfahren – bei minimalen Anerkennungsquoten – zu beschleunigen und das Asylrecht noch stärker auf wirklich Verfolgte zu konzentrieren. Mehrheitsfähig scheint nach wie vor eine abgewogene Asylpolitik, die weder Massenzuzug ermöglicht, noch eine Quasi-Komplett-Abschottung propagiert, sondern ohne Über- oder Untertreibungen auf Maß und Mitte setzt. Die zerstrittene AfD hingegen kann kaum ein Interesse an weniger Zuwanderung und mehr Integration haben, weil sie dadurch ihr wichtigstes Mobilisierungsthema verlöre. Daher spricht sie aktuell wenig über die

Strategische Herausforderung für demokratische Parteien 12

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Foto: Thomas Trutschel

AKTUELL Politische Analyse

E 3. Deutschland braucht weiterhin qualifizierte Zuwanderung. So fehlen etwa Ärzte, Alten- und Krankenpfleger, aber auch Ingenieure und Computerexperten. Seit langer Zeit bereichert die große Mehrheit der Migranten Deutschland, darunter sowohl Busfahrer, Erntehelfer und Reinigungskräfte als auch Priester, Ärzte und Intellektuelle. Nun ist es unter anderem wichtig, möglichst mehr Deutsche mit „Migrationshintergrund“ beispielsweise als Polizisten oder Journalisten einzustellen – auch als integrationspolitisches Signal. E 4. Bürger wirksam vor Verbrechen zu schützen, gehört zu den Hauptaufgaben freiheitlicher Politik, gerade in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. Bei der inneren Sicherheit gilt es, haushaltspolitische Prioritäten zu setzen. Denn vor allem im schwachen Staat erklingen Rufe nach einem „starken Mann“. Sicherheit ist eine Voraussetzung für Freiheit – und kein grundsätzlicher Gegensatz zu ihr. Parallel- oder gar Gegengesellschaften sind daher zu verhindern. Im Kontrast zur Rhetorik mancher Politiker fürchtet sich die Mehr-

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zahl der Wahlberechtigten mehr vor (privaten) Verbrechern als vor einem angeblichen Überwachungsstaat. Die meisten Wahlberechtigten entscheiden sich eher für ihre körperliche Unversehrtheit als für informationelle Selbstbestimmung. Kampf gegen Kriminalität ist insgesamt kein Rand-, sondern ein Zentralthema der politischen Mitte. Das gilt insbesondere nach dem Anschlag in Berlin. Gerade auch in der Asyldebatte gehört das Thema „Straftaten“ differenziert diskutiert. Zwar sind Flüchtlinge nicht pauschal krimineller als Alteingesessene. Doch dominiert unter Flüchtlingen statistisch jene Bevölkerungsgruppe, die auch unter Alteingesessenen deutlich anfälliger dafür ist, Straftaten zu begehen: junge, schlecht ausgebildete Männer. Umso wichtiger ist es, Kriminalität und Extremismus zu bekämpfen. Ausländische Verbrecher verdienen ebenso harte Gegenwehr wie schlecht integrierte Deutsche, zum Beispiel rechtsextreme Hassprediger oder Gewalttäter.

fremdenfeindlichen und rassistischen Agitationsmuster stärker zu entlarven, die führende Rechtspopulisten absondern. Grundsätzlich geht es darum, rechtspopulistische Ressentiments, Stimmungsmache, Halbwahrheiten und Pauschalurteile aufzudecken – gegen Europa, gegen die USA, gegen Muslime, gegen Fremde und gegen „die Altparteien“. Wenn Rechts­

E 5. Seit Monaten präsentieren sich Populisten häufig in Talkshows. Umso wichtiger ist es, ihre Parolen zu widerlegen. Das gilt etwa für ihre antimuslimische Pauschalkritik, die Wasser auf die Mühlen von Islamisten und ihre Opfer-Rhetorik leitet. Daneben ist es wichtig, die antisemitischen,

populisten schließlich einerseits gegen „die Lügenpresse“ agitieren, um andererseits Putin zu heroisieren, gehören auch solche Widersprüche stärker thel matisiert.

Harald Bergsdorf Politikwissenschaftler, Parteienforscher und Buchautor Foto: privat

Verschärfungen des Asylrechts und die seit 2015 stark rückläufigen Asylbewerberzahlen. Umso wichtiger ist es, auf die Fakten zu verweisen.

„Grundsätzlich geht es darum, ­rechtspopulistische Ressentiments, ­Stimmungsmache, Halbwahrheiten und Pauschalurteile aufzudecken.“

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TITEL Digitale Agenda

Wie gut ist Deutschland aufgestellt für ein digitales Wirtschaftswunder? Bessere Aussichten für Umsatz und Gewinn für Unternehmen mit höheren digitalen Anteilen

Ein wirtschaftlich erfolgreiches Deutschland muss Vorreiter der Digitalisierung in Europa und der Welt werden, um im internationalen Wett­bewerb um die ­klügsten Köpfe zu ­bestehen und zukunftsfähig zu sein. Denn, ob Existenzgründungen, moderne Verwaltung, zukunftsfähige Bildung oder inno­vative Forschung und Entwicklung – ­unsere digitale Infrastruktur wird ­maßgeblich darüber entscheiden, ob es uns gelingt, die Voraus­setzungen für ein digitales Wirtschafts­wunder zu schaffen. Deutschlands digitale Wettbewerbs­fähigkeit ist längst entschei­dender Standortfaktor ­geworden.

(in Prozent)

Digitaler Anteil der Unternehmen in Punkten (< 30, 30  –  55 und > 55) rei-Jahres-Gesamtgewinn für Aktionäre; D Punkte 2012 bis 2015 in %

Fünf-JahresUmsatzwachstum in %

40 35 30 25 20 15 10 5 0

> 55

30  –  55

< 30

Quelle: McKinsey Digital Quotient analysis of 46 publicly trades companies; McKinsey Global Institute analysis

Gründungen in Deutschland 2015

Innovationen durch Gründungen 2015

(in Prozent)

1,6 % Gewerbe

4 %

(in Prozent)

3 %

Freie Berufe

9 %

Land- und Forstwirtschaft

Keine Marktneuheit

21,5 %

R egionale Marktneuheit

84 %

76,9 %

Keine Innovation Quelle: Institut für Mittelstandsforschung

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Deutschlandweite Marktneuheit Weltweite Marktneuheit Quelle: KfW-Gründungsmonitor 2016

TREND 1/2017


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TITEL Digitale Agenda

Verfügbarkeit von Breitband in den Bundesländern (in Prozent) Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen

> 30 Mbits

Hamburg

> 50 Mbits

Hessen

> Versorgung mit LTE

Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen 0

20

40

60

80

100

Quelle: Breitbandatlas TÜV Rheinland für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Stand Mitte 2016)

Entwicklung innovativer Gründungen nach Technologien

Fortschritt der Digitalisierung in europäischen Unternehmen (in Prozent)

in Deutschland pro Jahr pro 10.000 Erwerbsfähige 2011

2012

2013

2014

Unternehmen mit Onlineeinkauf**

Unternehmen mit Onlineverkauf *

Unternehmen mit Customer-­ Relationship-Management-Software

45

2,5

40 35

2,0

30 25

1,5

20 15

1,0

10 5

0,5 0,0

Umsatz durch E-Commerce

0 Hightech

Software

Sonstige TDL

Quelle: ZEW – Mannheimer Unternehmenspanel 2015

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Spitzen­ technik

Hochwertige Technik

Kleine Unternehmen***

Mittlere Unternehmen

Große Unternehmen

* Unternehmen, die wenigstens 1 % des Computernetzwerkes für Verkäufe nutzen.   ** Unternehmen, die wenigstens 1 % des Computernetzwerkes für Käufe nutzen. *** Ausgenommen Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern. Quelle: Digital Agenda Scoreboard Dataset, European Union; McKinsey Global Institute analysis

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TITEL Digitale Agenda

Deutschland kann mehr! Die Umsetzung der ­Digitalen Agenda geht in ­Deutschland nicht schnell genug. Unabdingbare Voraussetzung dafür, dass digitale ­Geschäftsmodelle stärker in die Wirtschaft Einzug halten. Gleichzeitig braucht es attraktivere Rahmenbedingungen für Gründer.

D

as digitale Deutschland nimmt Gestalt an. Kaum ein Bürger mehr, dessen Alltag nicht von einem Smartphone begleitet wird, immer mehr Unternehmen, die die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung erkennen und konsequent wahrnehmen. „Unsere digitale Wettbewerbsfähigkeit ist längst zum entscheidenden Standortfaktor geworden“, konstatiert Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates. Zugleich gilt aber

auch: „Von einem ‚digitalen Wirtschaftswunder‘ ist Deutschland noch weit entfernt.“ Der mahnende Befund des Generalsekretärs wurde kürzlich von der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem Jahresgutachten bestätigt. Danach hat sich bei der Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) in den vergangenen zehn Jahren zwar viel getan. Wirtschaft und Staat investieren inzwischen drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in FuE. Ein schöner Erfolg. Aber in den kommenden Jahren sollte die Quote auf 3,5 des BIP zulegen, um weltweit vorne mitzuspielen. Der Wirtschaftsrat setzt sich deshalb für eine Steuergutschrift in Höhe von zehn Prozent der FuE-Aus-

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gaben für Unternehmen ein, und zwar unabhängig von der Unternehmensgröße. Die EFI-Fachleute stellen außerdem fest, dass Deutschland bei der Digitalisierung in fast allen Bereichen im internationalen Vergleich noch immer hinterherhinkt. Insbesondere machten die Forscher einen starken Nachholbedarf für Investitionen in IKT-Unternehmen und innovative Start-ups aus. Seit Jahren ist die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland rückläufig, Investoren stecken weniger Geld in deutsche Start-ups, und der Gesamtwert der Risikokapitalinvestitionen sinkt. In einem aktuellen Ranking der Weltbank landet Deutschland bei der Gründungsaktivität unter 189 untersuchten Ländern nur auf Platz 114. Ein alarmierender Befund. „Ziel muss es sein, den Gründergeist in Deutschland neu zu beleben", bilanziert Steiger. „Ein wirtschaftlich erfolgreiches Deutschland muss Vorreiter der Digitalisierung in Europa und der Welt werden, um im internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe zu bestehen und zukunftsfähig zu sein.“ Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbandes deutsche Startups,

drückte es auf dem Wirtschaftstag der Innovationen des Wirtschafts-

rates Mitte Februar in Berlin so aus: „Start-ups sind noch immer zu sehr vom Staat oder von Investitionen aus dem Ausland abhängig.“ Insbesondere die Wachstumsfinanzierung bereitet jungen Unternehmen ernsthafte Schwierigkeiten. In der Gründerszene spricht man vom „Tal des Todes“, wenn es darum geht, eine erfolgreiche Geschäftsidee nach einer geglückten Gründungsphase zu skalieren, also in einen größeren Maßstab, zum Beispiel auf internationale Märkte, auszuweiten. Zwar sorgten Business Angels, Wagniskapitalgeber oder öffentliche Förderprogramme inzwischen recht gut dafür, gute Geschäftsideen zu Beginn, in der so genannten Seed-Phase, mit dem benötigten Kapital auszustatten, hat Nöll beobachtet. Müssen aber zwei oder drei Millionen Euro für den nächsten Wachstumsschub aufgebracht werden, werde es schwer. Deutsche Investoren halten sich zurück, und für die meisten Kapitalgeber aus Übersee wird es erst wieder bei Finanzierungsrunden in einer zweistelligen Millionenhöhe interessant. „Deshalb ist es gut, wenn die Bundesregierung an dieser Stelle eingreift und das Marktversagen ausgleicht“, meint Nöll. Er fordert gleichwohl, dass sich auch mehr private Kapitalgeber enga-

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Text: Peter Hahne


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TITEL Digitale Agenda

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TITEL Digitale Agenda

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gieren sollten. Deutschland investiere auf. Viel zu viel: In Kanada haben junfasernetze und 5G-Netze sind für sein Geld nicht ausreichend dort, wo ge Unternehmer die nötige Bürokratie die Wirtschaft unerlässlich, um die künftiges Wachstum entsteht. „Das in 1,5 Tagen erledigt. Die öffentliche Nutzung und Erprobung zeitgemäßer müssen wir dringend ändern, weil Hand könnte Gründer in Deutschland Anwendungen mit hohen Datenvoluwir im Hightech-Bereich eben nicht zusätzlich bei öffentlichen Ausschreimina zu gewährleisten. Die Stichworte Weltmarktführer sind. Wir müssen bungen besser unterstützen; ganz einlauten: Autonomes Fahren, E-Health aufschließen, und das schafft man fach, indem sie für marktwirtschaftliund Industrie 4.0. Michael Bültmann, Geschäftsführer der Here Deutschland nur mit mutigen Investitionen“, ist che Chancengleichheit sorgt. GmbH, erläuterte auf dem Wirtschaftsder Start-up-Experte überzeugt. Der Wolfgang Steiger macht auf einen tag der Innovationen, warum für das Wirtschaftsrat fordert deshalb attrakweiteren wichtigen Punkt für das autonome und vernetzte Fahren kurze tive steuerliche Impulse für Wagnisdigitale Fortkommen der BundesreLatenzzeiten der Netze bekapitalgeber. Die angekünsonders wichtig sind. Beidigte Einrichtung des „Tech „Unser Land belegt Spitzenpositionen, spiel Autounfall: Ein Auto Growth Funds“ durch die meldet einem ZusammenBundesregierung ist zwar wenn es um Wachstum und Beschäftigung stoß automatisch digital, ausdrücklich zu begrüßen. geht, aber unsere Verwaltung befindet die Informationen werden Aber es sind weitere Steuersich nach wie vor im analogen Tiefschlaf.“ in eine Cloud übertragen anreize für Start-ups nötig. und sofort an die folgenden Großbritannien bietet ein Autos und an Verkehrsleitgutes Vorbild: Kapitalgeber systeme übertragen. Das alles muss bekommen eine Einkommensteuerpublik aufmerksam: Der Ausbau der in Millisekunden passieren, damit die vergünstigung von 30 bis 50 Prozent digitalen Infrastruktur muss rasch nachfolgenden Autos automatisch reihrer Investitionen. Veräußerungsgevorangetrieben werden. „Für die Zuagieren können. „Je schneller so etwas winne und -verluste werden ebenfalls kunftsindustrien sind leistungsfähige passiert, umso besser“, so Bültmann. steuerlich begünstigt. Das regt InvesNetze unerlässlich“, betont Steiger. „Wir wären schon froh, wenn wir mit titionen an. „Deutschland muss auf der Landkarte LTE eine gute Abdeckung hätten. DaAuch ein Abbau von bürokratitechnologiestarker Standorte promimit kämen wir schon sehr weit.“ Aber: schen Hürden für Start-ups bleibt auf nent verankert sein!“ Bis spätestens Für die Zukunft wird das nicht mehr der politischen Agenda. Hierzulande 2025 sollte deshalb nach Auffassung ausreichen, insbesondere nicht für wendet ein Gründer im Schnitt mehr des Wirtschaftsrates eine nahezu flädatengetriebene Geschäftsmodelle in als zehn Tage für die Formalitäten im chendeckend verfügbare Gigabitinder Industrie 4.0, die auf datenbasierZuge einer Unternehmensgründung frastruktur aufgebaut werden. Glaste Systeme künstlicher Intelligenz (KI) setzen. Deshalb fordert Wolfgang Steiger: „Deutschland muss durch das Ausrollen des 5G Mobilfunkstandards zum Testlabor und Vorreiter der digitalen Infrastruktur der Zukunft werden.“ Erheblichen Nachholbedarf macht der Wirtschaftsrat ferner bei der öffentlichen Verwaltung aus. Dabei sollte eine leistungsfähige, digital vernetzte Administration für die größte Volkswirtschaft im Herzen Europas eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Sie hat schließlich Vorbildcharakter für die digi-

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TREND 1/2017


TITEL Digitale Agenda

Stärkung der ­Innovationskraft – die europäische Perspektive Deutschland braucht dringend eine digitale Strategie für kleine Unternehmen und den Mittelstand. Text: Peter Hahne

Günther H. Oettinger

Foto: European Eunion, 2015

D

ie Expertenkommission Forschung und Innova­ tion (EFI) hat der Bundesregierung jüngst ihr Jahres­ gutachten übergeben. Fazit: Deutschland ist seinem Ziel, ein Top-Innovationsstandort zu werden, ­näher gekommen. Es wurde aber auch klargestellt, dass IKT-­ Investitionen Nachholbedarf haben. Und: Eine digitale S­ trategie für kleine und mittlere Unternehmen und für den Mittelstand ist mehr denn je notwendig.

EU-Kommissar für Haushalt und Personal

„Wenn wir in Europa nicht mehr investieren in künftige Produkte und Dienstleistungen, werden wir unsere ­Wettbewerbsfähigkeit nicht halten können.“

Foto: Fotolia.com ©maxfarruh

Wir haben in Europa das Ziel, drei Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung (FuE) zu investieren, Staat und Wirtschaft zusammen. Tatsächlich sind es im Durchschnitt nur zwei Prozent. Aber auch die deutsche Bilanz fällt mit knapp drei Prozent nicht überragend aus. In Baden-­ Württemberg werden fünf Prozent in FuE investiert. Italien ­investiert nur ein Prozent seines BIP in FuE. Wenn wir in Europa insgesamt nicht mehr investieren in künftige Generationen von Produkten und Dienstleistungen, wird Europa seine ­Wettbewerbsfähigkeit nicht halten können. Ich bin überzeugt, dass bei vielen Forschungsthemen eine europäische Partnerl schaft vorzugswürdig ist. (Quelle: Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag der Innovationen am 15.02.2017

tale Transformation der Gesellschaft. Der tatsächliche Befund fällt jedoch ernüchternd aus: Im EU-weiten eGovernment-Vergleich findet sich die Bundesrepublik auf einem sehr bescheidenen 18. Platz wieder. „Unser Land belegt Spitzenpositionen, wenn es um Wachstum und Beschäftigung geht, aber im Bereich der digitalen Verwaltung befinden wir uns nach wie vor im analogen Tiefschlaf “, kritisiert Steiger. Gut, dass die Bundesregierung hier Initiative zeigt. Aber

1/2017 TREND

die Uhr tickt. Ziel muss es sein, die eGovernment-Strukturen von Bund, Ländern und Gemeinden zügig zu verbinden und nutzerfreundliche Anwendungen für die Bürger zu entwickeln. Mittelfristig sollte die öffentliche Verwaltung kein Standortnachteil mehr sein, sondern sich durch mehr Effizienz und Entbürokratisierung zu einem Standortvorteil entwickeln. Im Memorandum „Deutschland kann mehr!“ macht sich der Wirtschaftsrat schließlich für ein „Ende der Kreide-

zeit“ in den Schulen und Universitäten stark. Konkret: Digitales Lernen muss fester Bestandteil aller Schulfächer werden. Wirtschaft und Informatik sollten spätestens ab der ersten Grundschulklasse zu Pflichtfächern werden. Und mit einem kostenfreien, aber verpflichtenden Vorschuljahr sollte beim Übergang vom Kindergarten in die Schule für möglichst viel Chancengleichheit gesorgt werden. Denn eines ist klar: Die Weichen für Wachstum und Beschäftigung von morgen werden heute in den Schulen und Universitäten gestellt. Deshalb muss hier ganz besonders die Devise gelten: „Deutschland kann mehr!“ l

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TITEL Digitale Agenda

Foto: Fotolia.com ©gustavofrazao

Mehr Wagnis, zu wenig Kapital?

Deutschland muss bei der Art der Finanzierung neugegrün­de­ter ­Unternehmen umdenken. Das ist ein zentraler Baustein zur Beantwortung der Frage, wie wir auch in zehn Jahren noch erfolgreich sind.

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eutschland geht es gegenwärtig sehr gut. 44 Millionen Erwerbstätige, Löhne und Renten steigen, die Aussichten für die Eurozone sind an vielen Stellen nicht schlecht. Die Kernfrage für uns in Deutschland lautet: Haben wir auch in Zeiten, in denen es gut läuft, die Kraft zur Veränderung – oder muss es erst wieder schlecht laufen, bis wir den Mut für Reformen aufbringen? Was tun wir eigentlich heute, damit wir in fünf oder in zehn Jahren noch erfolgreich sind? Die Frage von Wagniskapitalfinanzierung ist aus unserer

„Reformen heißt oft auch das Mindset – also die Art zu denken – zu verändern.“ 20

Sicht jedenfalls ein wichtiger Baustein dabei. Reformen heißt oft auch das Mindset – also die Art zu denken – zu verändern. Das gilt natürlich gerade für das Thema Digitalisierung. Bei der Finanzierung muss Deutschland umdenken. Neben der traditionellen Finanzierung über Banken müssen zusätzliche Finanzierungsinstrumente erschlossen werden. Geld ist eigentlich genug da. Zurzeit sucht sich so viel Geld wie selten gute Anlagemöglichkeiten. Die Frage ist nur: Wie schaffen wir die Instrumente, die Kanäle und die Bewusstseinsänderung, dass dieses Geld auch in Wagniskapital fließt? Das fängt schon bei den institutionellen Investoren an. Oft ist Wagniskapital nicht im Blick, es kommt gar nicht als Anlage-

möglichkeit in Frage. Wie also können wir einen Rahmen und Instrumente schaffen, dass das viele Geld stärker in die Finanzierung junger Unternehmen fließt? Natürlich wollen wir dabei die Regulatorik für Investoren nicht völlig abschaffen – aber wir wollen schauen, wie man sie an den richtigen Stellen weiterentwickelt. Solange es so ist, dass privates Geld nicht von sich aus die Impulse setzt und das Wagniskapital in dem Maße bereitstellt, wie es nötig ist, müssen wir als Staat ordnungspolitisch Förderinstrumente aufbauen. Hier ist in den vergangenen Jahren bereits einiges passiert, die Bundesregierung hat zahlreiche Förderprogramme entwickelt, von der Gründungsphase bis zur Phase der Bankfinanzierung. Das hat zu höheren Wachstumsraten beim Wagniskapital geführt. Von 2013 bis 2015 etwa sahen wir eine Vervierfachung des Wagniskapitalmarktes, trotzdem ist das Niveau noch zu gering. Wir müssen also noch besser werden. Für die Gründungsphase, die sogenannte Seed-Phase, haben wir mit dem High-Tech Gründerfonds und einer Reihe von anderen Instrumenten schon ganz gut was aufgebaut. Wir haben aus der Gründerszene schon häufiger die Rückmeldung erhalten, dass gute Ideen auch das benötigte Geld finden. Wir hoffen, dass wir zusätzlich neue Venture-Debt-Instrumente im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich und ergänzend Venture Capital-Instrumente schaffen können. Zusammenfassend lässt sich sagen:

Jens Spahn MdB

Foto: Bundesministerium der Finanzen; ©Jörg Rüge

Ökosystem für Start-ups:

Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

Wir haben in den vergangenen Jahren eine Menge erreicht – und auch eine Menge erkannt, was künftig an Veränderung in den Finanzierungsbedingungen nötig ist. (Quelle: Aus der Rede Wirtschaftstag der Innovationen am 15. Februar 2017)

TREND 1/2017


TITEL Innovationen / Startups

Neues Denken, here I come

In Deutschland zu Hause - mit der ING weltweit vernetzt Knappe Ressourcen und neue Technologien führen zu einem Umdenken. Welche Geschäftsmodelle werden nachhaltig Wachstumschancen bieten? Dabei erscheint auch die Finanz-Strategie in neuem Licht. Innovative Lösungen sind gefragt, eingebunden in unsere neue Welt und genau passend zu Ihrem Unternehmen. Daran arbeiten wir. Gemeinsam mit Ihnen. Und mit dem Know-how unserer Kollegen aus über 40 Ländern weltweit. Willkommen bei ING Wholesale Banking Germany: www.ing.de

Wholesale Banking 1/2017 TREND

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TITEL Interview

„Bis zum absoluten I ist es noch ein

Herr Kaspersky, Sie sind einer der führenden Experten für Cybersecurity. Wie gut aufgestellt sehen Sie die Wirtschaft gegen Hackerangriffe – insbesondere in Deutschland? Kein Staat der Welt ist vollkommen gegen hochrangige Hackerattacken gefeit. Je fortschrittlicher die Wirtschaft – Deutschlands Wirtschaft ist hochentwickelt –, desto mehr basiert sie auf verschiedenen IT-Systemen, die anfällig für Cyberattacken sind. Es gibt in Deutschland mittlerweile Regularien, die kritische Infrastrukturen schützen – ein gutes Zeichen. Wir sehen ein starkes Interesse an fortschrittlicher Cybersicherheit für verschiedenste Industriezweige. Im IT-Sicherheitsbereich kursiert derzeit das wichtige Schlagwort „adaptive Sicherheit“. Dabei handelt es sich um ein Cybersicherheitskonzept, das Vorhersage, Schutz und Reaktion auf eine Cyberattacke vereinen soll. Die meisten Unternehmen verwenden ihre Budgets auf den Schutz vor Attacken, vor allem auf die so genannte Endpoint-Sicherheit. Allerdings ist aktuell eingesetzte Software für heimliche Hackerattacken anfällig, die sich in die Perimeter der geschützten Endpunkte schleichen können. Daher ist es essenziell, fortschrittliche Entdeckungstechnologien sowie gut entwickelte Protokolle einzusetzen, um die Schäden solcher Attacken klein zu halten. Viele Unternehmen und Organisationen in Deutschland investieren heutzutage in solche Ressourcen. Gibt es Branchen, die Sie für besonders gefährdet halten? Industriezweige lassen sich nicht unbedingt nach Cyberanfälligkeit einordnen. Allerdings gibt es kritische, wichtige Industrien, für die spezielle Ansätze nötig sind – etwa die

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Foto: Kaspersky Lab

sprach exklusiv mit Eugene Kaspersky, Gründer und CEO Kaspersky Labs, darüber, wie sicher Unternehmen und Staat in ­ Deutschland vor Hackerangriffen sind und was sie für einen besseren Schutz tun können.

Energiebranche, weil mit einem Stromausfall die moderne Zivilgesellschaft zum Stillstand kommt wie auch das Verkehrswesen oder die Telekommunikationsbranche. Die Finanzbranche ist für Cyberkriminelle natürlich am ­attraktivsten. Banken sind möglicherweise die am besten geschützten, aber auch am meisten attackierten Einheiten der Welt, weil hier das Geld zu Hause ist. Was können Unternehmer generell verbessern, um die Sicherheit in diesem Punkt zu erhöhen? Unternehmen müssen Cybersicherheit sehr ernst nehmen und in fortschrittliche Cybersicherheitsressourcen investieren. Große globale Banken etwa verfügen oft über eine eigene Threat Intelligence, für die sie auch private Zulieferer einsetzen. Fallen Schutztechnologien aus, ist es sehr wichtig, einen Cybervorfall so schnell wie möglich zu entdecken.

TREND 1/2017


TITEL Interview

Internet-Frieden n weiter Weg …“ Nehmen Staaten das Thema Cybersecurity ernst und agieren entsprechend? Es gibt einen Fortschritt bei der nationalen Gesetzgebung im Hinblick auf den Schutz kritischer Infrastrukturen, auch in Deutschland und der EU. Weil Cybersicherheit ein schnell wachsender Bereich ist, sind solche Regulierungen unweigerlich ein ununterbrochener Prozess. Wir benötigen eine verbesserte internationale Kooperation; es ist entscheidend, gegen Cyberkriminalität grenzüberschreitend vorzugehen. Interpol hat etwa eine Cyberabteilung in Singapur eröffnet, die wir unterstützen. Es muss noch viel mehr in den Kampf gegen fortschrittliche Gangs investiert werden. Auch müssen sich Regierungen weltweit auf gewisse Spielregeln im Cyber-Space einigen. Wir benötigen Vereinbarungen, bei denen sich Nationen darauf verständigen, keine Cyberwaffen einzusetzen und zu entwickeln, sowie ihre Aktivitäten im Bereich Cyberspionage herunterzuschrauben, um den internationalen Frieden und die Sicherheit nicht zu gefährden.

Glauben Sie, dass sich mit internationalen Standards in der IT-Sicherheit mehr erreichen lassen würde als mit nationalen? Es sollte Synergieeffekte zwischen internationalen und nationalen Regelungen geben. Für Unternehmen ist es einfacher, ähnliche Regeln zu befolgen – unabhängig vom Standort. Aber seit Cybersicherheit für kritische Infrastrukturen stärker zu einer Frage der nationalen Sicherheit wird, sollten Regierungen die Verantwortung übernehmen und Standards schaffen.

Wie lässt sich das Bewusstsein bei ­Unter­nehmen, Staaten und Einzelpersonen dafür verbessern, eigene Daten besser zu schützen? Sie haben bereits drei ausgeprägte Bereiche genannt, in denen man das Bewusstsein verbessern könnte. In Unternehmen und staatlichen Organisationen ist es wichtig, eine Cybersicherheitskultur zu fördern; für die Verantwortlichen sollten Schulungen durchgeführt werden. Aufgrund vermehrter Nachrichten über Hackerangriffe in den Medien sehen wir Fortschritte beim Verständnis von Computerbedrohungen in der Öffentlichkeit. Viele Menschen lernen jedoch immer noch auf dem harten Weg – etwa wenn sie ihre Daten durch einen verschlüsselten ­Ransomware-Angriff verlieren. In einer perfekten Welt sollten sich Menschen keine Gedanken über dubiose Anhänge oder verdächtige Links machen müssen. Eine gute Internetsicherheit kann den Unterschied machen, aber bis zum absoluten Internet-Frieden ist es noch ein weiter Weg – wenn er überhaupt erreichbar ist.

Wir bitten Sie um eine Außenansicht: Deutschland ist eine führende Industrienation, aber auf dem Feld der IT- und webbasierten Technologien spielt es eine untergeordnete Rolle. Die USA und kleinere Staaten wie Estland oder Israel sind hier Vorreiter. Wie kann sich Deutschland besser positionieren? Deutschland hat eigene IT-Riesen. Daher würde ich nicht zustimmen, dass es keine große Rolle in der IT spielt. Schaut man sich Industrieunternehmen wie Siemens genauer an, stellt man fest, dass es sich um einen großen IT- und Software-Konzern handelt. Zustimmen würde ich, dass Deutschlands Rolle in der IT kleiner ist als in der Produk­ tion oder im Maschinenbau. Ich weiß nicht, wie man das ändern könnte. Aber ich würde empfehlen, die Entstehung von IT-Start-ups zu fördern und das Land für globale IT-Unternehmen attraktiver zu machen. Deutschland besitzt großes Potential sich im IT-Umfeld zu entwickeln. l

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Die CIA ist sicher, dass die US-Wahlen gezielt durch Cyber-Angriffe beeinflusst wurden. 2017 stehen in Deutschland und Frankreich Wahlen bevor. Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass auch hier Hacker den Wahlausgang zu beeinflussen? Digitale Wahlsysteme sind für Cyberangriffe verwundbar, vor allem da es viele Hacker mit unterschiedlichen Zielen gibt, die Sprachen wie Russisch, Englisch oder Chinesisch sprechen. Die Bedrohung für die Wahlen in Deutschland und Frankreich ist durchaus real. Wahlsysteme sollten als Teil der nationalen kritischen Infrastruktur gesehen und ­behandelt werden – gut geschützt und überwacht.

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TITEL Digitale Agenda

Aufbruch in die ­Gigabitgesellschaft Software und die schnelle Implementierung neuer Standards sind die treibende Kraft hinter der digitalen Transformation.

toria A. Espinel, Präsidentin und CEO, BSA – The Software Alliance.

Software sei weiterhin eine treibende Kraft hinter der digitalen Transformation der Wirtschaft. Softwarepro-

Victoria A. Espinel Foto: Jens Schicke

Präsidentin und CEO, BSA – The Software Alliance

„Europa kann der Verbindung von neuen Technologien und dem ­Welthandel neues Leben einhauchen.“

A

ls erstes Land in Europa will die Bundesregierung den Mobilfunk der 5. Generation ausrollen. Im Hinblick auf Latenzzeit, Stabilität und Netzabdeckung werden die Netze so ausgebaut, dass Deutschland im weltweiten Maßstab führend wird. Wir glauben, dass allein von der Implementierung der 5G-Technologie ein großer Innovationsschub ausgehen wird. Wir wollen im Übrigen, dass der Staat und die öffentliche Hand vorangehen. Und zwar nicht nur bei der Infrastruktur,

dukte trügen bereits heute rund eine Billion Euro zum BIP der EU bei, allein in Deutschland erwirtschafte die Softwareindustrie rund 150 Milliarden Euro pro Jahr. „Software hat das Potential, unser Leben zu verbessern. Sie kann uns gesünder, produktiver, kreativer und mobiler machen“, zeigte sich Espinel überzeugt. Große Hoffnungen verbinden sich vor allem mit neuen Technologien wie der künstlichen Intelligenz, dem 3D-Druck und der Datenanalyse. Zugleich verändert sich die globale Ordnung dramatisch. Espinel verwies – erstens – auf den veränderten strategischen Kontext. „Wir haben eine neue US-Administration, Russland wird selbstbewusster, China will eine stärkere Rolle auf den globalen Märkten übernehmen.“ Hinzu komme der Brexit und seine Auswirkungen auf den EU-Binnenmarkt. Zweitens

sondern auch bei den Anwendungen, die heutzutage möglich sind. Deutschland soll bis zum Jahr 2021 die bürgerfreundlichste öffentliche Verwaltung in Europa bekommen. Das ist ein wichtiges Ziel, gerade auch um mittelständischen Unternehmen zu zeigen, wie ernst wir diese Herausforderung nehmen. Wir werden in Deutschland die ganzen infrastrukturellen Voraussetzungen auch deshalb schaffen, weil wir im Bereich des automatisierten Fahrens ganz vorne dabei sein wollen.

„Wir glauben, dass allein von der Implementierung der 5G-Technologie ein großer Innovationsschub ausgehen wird.“ 24

nimmt die Skepsis gegenüber neuen Technologien nach der Beobachtung der Software-Expertin ebenso zu wie der digitale Protektionismus. „Dieses Gemisch“, warnt Espinel, „bedeutet eine große Gefahr für das globale Wachstum und die Verbreitung neuer Technologien.“ Darin stecke aber auch eine historische Chance für Europa. „Europa kann der Verbindung von neuen Technologien und dem Welthandel neues Leben einhauchen“, so Espinel. Eine Einschränkung des freien Datenverkehrs über Grenzen hinweg oder eine Schwächung von Verschlüsselungsverfahren, die einige EU-Länder unterstützten, würden dagegen nicht weiter helfen. „Sie schwächen nur das Potential der europäischen Volkswirtl schaften.“ (Quelle: Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag der Innovationen am 14.02.2017 in Berlin)

Peter Altmaier MdB Chef des Bundeskanzler­ amtes und Bundesminister für besondere Aufgaben

Foto: Jens Schicke

D

ie Welt steht erst am Beginn der Datenrevolution in der Industrie 4.0“, erklärte Vic-

Ich persönlich bin fest überzeugt, dass eine arbeitsteilig vernetze Welt mit internationaler Kooperation nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ­politisch stabiler ist. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass dieses Erfolgsmodell nicht zuschanden l geht. (Quelle: Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag der Innovationen am 14.02.2017 in Berlin)

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TITEL Digitale Agenda

Transatlantischer Datenverkehr: Datenströme als Rückgrat der digitalen Wirtschaft Europa sollte sich aus datenschutzrechtlichen Gründen neuen Technologien nicht von vorneherein verschließen, sondern sie von Anfang an mitgestalten. zes. „Wenn der beste Datenschutz darin liegen soll, möglichst überhaupt keine Daten zu erzeugen und sie nur zu vorab genau definierten Zwecken zu verar­ beiten, dann erschwert dies viele neue Technologien.“ Big Data und maschinelles Lernen werten großen Mengen von – oftmals unstrukturierten – Daten aus. Die Gesellschaft müsse sich deshalb die Frage stellen, ob und wie man an der Entwicklung solcher neuen Technologien teilhaben möchte. Dabei dürfe der

Foto: Fotolia.com ©xiaoliangge

„Wenn der beste Datenschutz darin liegen soll, möglichst überhaupt keine Daten zu erzeugen und sie nur zu vorab genau definierten Zwecken zu verarbeiten, ­erschwert dies viele neue Technologien.“ was wir in diesen unsicheren Zeiten für die Aufrechterhaltung einer regel- und wertebasierten internationalen Ordnung aufbringen können“, so Mucic. Der SAP-Vorstand warnte vor einer zu strikten Auslegung des Datenschut-

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Schutz von Persönlichkeitsrechten nicht außen vor bleiben, stellte Mucic klar. „Wenn wir es aber nicht schaffen, ein zeit­ gemäßes Datenschutzmodell zu erdenken, drohen wir als Europäer erneut bei den Innovationen, die auf Datenaus-

Luka Mucic Vorstand, SAP

Foto: Jens Schicke

A

us Sicht von SAP ist eine enge Kooperation zwischen Europa und den USA unabhängig von den jeweiligen politischen Konstellationen absolut unerlässlich“, betonte Luka Mucic, Vorstand von SAP. Der über Jahrzehnte gewachsene Handel und die wirtschaftlichen Verflechtungen haben diesseits und jenseits des Atlantiks den Wohlstand gefördert. „Die transatlantische Wertegemeinschaft ist immer noch das beste vereinheitlichende Element,

wertung beruhen, ins Hintertreffen zu geraten.“ Deshalb sollten wir uns solchen Innovationen nicht von vorne herein durch eine datenverarbeitungsfeindliche Sicht verschließen, mahnte der SAP-­ Vorstand. Vielmehr sollte Europa schon bei der Entwicklung der Technologien vorne mit dabei sein, um sie dann im Sinne eines modernen Datenschutzverständnisses mit ausgestalten zu können. „Wenn wir diese Chance verpassen, werden wir auch bei diesen neuen Entwicklungen wieder nur die Konsumenten einer Technologie sein, die anderswo l entwickelt wurde.“ (Quelle: Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag der Innovationen am 15.02.2017 in Berlin)

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AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

E Finanzmarktregulierung in Europa: Qualität vor Quantität. Die Finanzkrise hat die Neuregulierung des Bankensektors notwendig ­gemacht. Doch die Vielzahl der Maßnahmen hat zu unbeabsichtigten Wechsel­ wirkungen geführt. Bewährte nationale Besonderheiten drohen unter die Räder zu kommen. Umso wichtiger ist eine Evaluierung aller Maßnahmen, mit der Widersprüche, Lücken und unnötige Belastungen aufgedeckt werden.

E Rückkehr zur Trennung von Geld- und Fiskalpolitik. Geldpolitik kann nicht für höhere Produktivität sorgen, oder die Strukturen der Wirtschaft in der Euro-Zone verbessern. Die Nullzinspolitik verunsichert Unternehmen und Verbraucher, das deutsche Altersvorsorgesystem gerät ins Wanken. Dafür besitzt die EZB keine demokratische Legitimation. Die institutionalisierte Verquickung von Geld- und Fiskalpolitik gilt es aufzulösen. Die EZB muss der Geldwertstabilität verpflichtet bleiben. Wir brauchen eine Neufestlegung des Mandats mit transparenten und überprüfbaren Regeln. Die Aufsichtsfunktion sollte wegen der Interessenskonflikte mittelfristig aus der EZB herausgelöst werden.

E Nullgewichtung von Staatsanleihen in Bankbilanzen abschaffen. Die Vorzugsbehandlung von Staatsanleihen muss enden. Nach intelligenten Übergangsfristen sollten höhere Risiken mit mehr Kapital unterlegt werden. Durch Großkreditgrenzen für staatliche Schuldner gilt es, die Widerstands­ fähigkeit der Banken gegenüber Schieflagen von Staaten zu stärken.

E EU-Einlagensicherung und European Safe Bonds ablehnen. In mehr als der Hälfte der EU-Staaten sind noch nicht einmal nationale Einlagesysteme Realität. Eine Transferunion gilt es unbedingt zu verhindern – ob für eine gesamtschuldnerische Haftung über ein EU-Einlagensicherungssystem, für European Safe Bonds oder eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung. Finanzhilfen müssen verbindlich an Reformprogramme geknüpft sein.

E Internationale Wettbewerbsverzerrungen durch „Basel III“ verhindern. Die Besonderheiten des europäischen Bankensektors müssen berücksichtigt bleiben. Keinesfalls sollten US-Regulierungsstandards eins zu eins auf Europa übertragen werden. Gleichzeitig kommt es darauf an, ein internationales Level-Playing-Field zu gewährleisten.

E Kapitalmarktunion zum Wachstumsmotor machen. Es ist gut, dass die EU-Kommission die Kapitalmarktunion vorantreibt, um die großen Chancen eines EU-Binnenmarkts für Finanzierungsinstrumente zu nutzen. Europa darf sich die Ineffizienz von 28 zersplitterten Kapitalmärkten nicht länger leisten. Es gilt einen Rahmen zu schaffen, der Investitionen ­begünstigt und Finanzierungsbedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen verbessert. Entscheidend ist, Kapitalmarktinstrumente und klassische Bankfinanzierung nicht gegeneinander auszuspielen.

E Altersvorsorge aus dem Zangengriff von Niedrigzins und Bevölkerungs­ alterung befreien. Einerseits führt die Alterung der Bevölkerung in Deutschland die umlage­ finanzierte Rentenversicherung an ihre Belastungsgrenze. Andererseits schmälert die Niedrigzinsphase die Auszahlungen der kapitalgedeckten pri­ vaten Altersvorsorge. Umso wichtiger sind Reformen für eine demografiefeste Ausgestaltung der Alterssicherung.

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Europas Unternehmen brauchen stabile, wettbewerbsfähige, ­verantwortungsvolle Banken. ­Dazu gilt es das Zusammenspiel aller Regulierungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen. Text: Peter Hahne

E

in leistungsfähiger Finanzsektor bildet eine unabdingbare Voraussetzung für eine starke Wirtschaft in Europa. „Zur Sicherung der Investitions-, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen ist eine reibungslose Finanzierung essenziell“, betont Werner M. Bahlsen. Das gilt insbesondere für Deutschland, das wie kaum ein anderes Land in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist. „Dafür brauchen wir Banken, die uns auf den Weltmärkten begleiten und zugleich stark im Heimatmarkt sind – stabile, wettbewerbsfähige, zugleich aber auch verantwortungsvolle Kreditinstitute“, mahnte der Präsident des Wirtschaftsrates. „Der alte Medizinergrundsatz ,viel hilft viel‘ taugt nicht als Maßstab“, hält Bahlsen fest. „Es gilt, die Leistungsfähigkeit des Finanzsektors und das Zusammenwirken aller Maßnahmen im Blick zu halten. Am Ende muss ein funktionierendes Ganzes stehen.“ Der Brexit wird die tektonischen Platten auf den Finanzmärkten verschieben, warnt Wolfgang Steiger. „Auch wenn London ein sehr ­ bedeutender Finanzplatz bleiben wird, wird ein Teil des Geschäfts aus der City abwandern und sich eine neue Heimat suchen. Das kann eine große Chance für Deutschland sein – wenn wir sie auch er­greifen!“ Für einen starken europäischen Finanzplatz in Frankfurt sprechen zahlreiche Fakten: Frankfurt ist das Tor zur größten Volkswirtschaft Europas sowie das europäische Zentrum für Regulierung und der Sitz der Europäischen Zentralbank. Zugleich liegt dort der größte Internetknoten der Welt. Frankfurt besticht durch seine gute Erreichbarkeit sowie die hervorragende Verfügbarkeit von Arbeitskräften. „Aber die Konkurrenz schläft nicht“, mahnte der Generalsekretär. Deutschland muss seinen Hut in den Ring werfen. „Für die Politik heißt das, sich schnell von bürokratischen Hürden zu verabschieden, die im Ausland unbekannt sind.“ Stattdessen sollten wir europäische Standards etablieren wie etwa die Einführung eines befreienden IFRS-Einzelabschlusses oder die Abschaffung der AGB-Kontrolle im kaufmänl nischen Geschäftsverkehr.

TREND 1/2017

Foto: European Union, 2015; Cristof Echard

Positionen für einen starken Finanzsektor in Europa


AKTUELL Starker Finanzsektor fĂźr Europa

Foto: European Union, 2015; Cristof Echard

Europas Wirtschaft braucht einen starken Finanzsektor

1/2017 TREND

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AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

Expansive Geldpolitik:

Warten auf Godot I

n der Zwischenzeit gilt es, die Geldpolitik nicht zu überfordern. Etwa indem die Erwartung geschürt wird, die Geldpolitik könne die Wachstumsprobleme im Euro-Raum lösen oder indem gefordert wird, sie solle aus Rücksicht auf die Staatsfinanzen oder die Finanzmärkte länger als nötig expansiv ausgerichtet bleiben. Die Notenbanken dürfen nicht zum Gefangenen der Märkte oder der Finanzpolitik werden. Einige der geldpolitischen Maßnahmen, insbesondere die Staatsanleihekäufe, bergen aber genau diese Gefahr. Sie verwischen die Grenze zwischen der Geldpolitik und der Fiskalpolitik und führen zu Finanzstabilitätsrisiken. Sind die Notenbanken im Augenblick Feuerwehr oder Brandbeschleuniger? „Krisenfeuerwehr“ beschreibt treffend die Zeit nach dem Zusammenbruch des Subprime-Marktes im Sommer 2007, ganz sicher aber die Zeit ab Herbst 2008, also nach dem Kollaps von Lehman Brothers. Die Notenbanken weltweit haben damals großzügig Liquidität bereitgestellt. Und mit der aufkommenden Staatsschuldenkrise Anfang 2010 begann das Eurosystem dann auch, gezielt Anleihen bonitätsschwacher Mitgliedstaaten zu kaufen, um in diesen Ländern den Anstieg der langfristigen Renditen und eine Eskalation der Krise zu verhindern. Diese Maßnahme war nicht nur innerhalb des EZB-Rates umstritten, sie warf auch sehr grundlegende Fragen über die Grenzen der Geldpolitik auf: Eine

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wichtige Errungenschaft der 1970er und 1980er-Jahre ist die unabhängige, primär der Preisstabilität verpflichtete Notenbank. In einer Demokratie ist das Korrelat zur Unabhängigkeit ein entsprechend enges Mandat der Geldpolitik. Die Entscheidung über Rettungsmaßnahmen muss deshalb durch Regierungen und Parlamente getroffen werden. Sie stehen in der Verantwortung, durch verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik, solide Staatsfinanzen und einen geeigneten institutionellen Rahmen dafür zu sorgen, dass die Währungsunion funktioniert. In einer Währungsunion wie der europäischen, in der die gemeinsame Geldpolitik 19 autonomen Wirtschafts- und Finanzpolitiken gegenübersteht, kommt hinzu, dass Anreize zu verantwortlicher Politik dann untergraben werden, wenn das Haftungsprinzip ausgehebelt wird. Die Krisenfeuerwehr muss also darauf achten, dass der Löschwasserschaden nicht größer wird als der Brandschaden selbst. Inzwischen dreht sich die Diskussion im EZB-Rat weniger um Krisenmaßnahmen, als um die angemessene geldpolitische Ausrichtung mit Blick auf unser Preisstabilitätsmandat. Die Prognosen des Eurosystems gehen davon aus, dass die Teuerungsrate bis zum Ende des Projektionszeitraums – das ist das Jahr 2019 – nach und nach ein Niveau erklimmen wird, das weitgehend im Einklang mit dem steht, was der EZB-Rat als Preisstabilität de-

finiert. Aber eines ist auch klar: Noch ist der Preisauftrieb im Euro-Raum verhalten. Das heißt zwar einerseits, dass ein expansiver geldpolitischer Kurs derzeit angemessen ist. Andererseits kann man über den Expansionsgrad und einzelne Instrumente durchaus geteilter Meinung sein. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich vor allem dem Ankauf von Staatsanleihen sehr skeptisch gegenüberstehe. Denn diese Käufe haben dazu geführt, dass die Zentralbanken im Euro-Raum zu den größten Gläubigern der Mitgliedstaaten wurden. Geldpolitisches Handeln gewinnt damit unmittelbaren Einfluss auf die Fiskalpolitik. Warren Buffet hat einmal gesagt: „Nur bei Ebbe sieht man, wer nackt badet.“ Bei den Staatshaushalten kann durch die derzeit sehr niedrigen Zinslasten eine Tragfähigkeitsillusion erzeugt werden, die sich mit steigendem Zinsniveau auflöst. Bei unsoliden Staatsfinanzen kann eine Notenbank leicht unter Druck geraten, hohe Schulden durch niedrige Zinsen tragfähig zu machen – selbst wenn steigende Inflationsraten eigentlich höhere Notenbankzinsen erforderlich machten. Ich warne davor, die Geldpolitik zu überfordern. Es ist im Übrigen auch nicht Aufgabe der Geldpolitik, der Politik Zeit zu kaufen. Denn dann riskiert sie, wie Estragon und Wladimir in Becketts „Warten auf Godot“, auf etwas zu hoffen, das nicht passieren wird. Die Notenbank läuft Gefahr, immer wieder in Vorlage gehen zu

TREND 1/2017

Foto: DeutscheBundesbank; Gaby Gerste

Der Wirtschaftsausblick zu Jahresbeginn ist recht positiv und die Inflationsrate wird sich der Preisstabilitätsdefinition des Rates der Europäischen Zentralbank allmählich annähern. Wenn diese Preisentwicklung nachhaltig ist, wird damit die Voraussetzung für den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik geschaffen.


Foto: DeutscheBundesbank; Gaby Gerste

AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

„Die Notenbanken dürfen nicht zu Gefangenen der Märkte oder der Finanzpolitik werden.“ Dr. Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank

müssen und gleichzeitig einer Politisierung der Geldpolitik Vorschub zu leisten. Dabei kann die Geldpolitik in ihrem Bemühen, Preisstabilität zu erreichen, von anderen Politikbereichen tatkräftig unterstützt werden. Nämlich mit Maßnahmen, die langfristig die Wachstumskräfte stärken. Denn eine Ursache der zurzeit niedrigen Zinsen liegt auch in den gedämpften langfristigen Wachstumsaussichten für den Euro-Raum. Was also ist zu tun? Ich beschränke mich auf drei Punkte: Auf globa-

1/2017 TREND

ler Ebene wird es – erstens – darauf ­ankommen, dass wir der zunehmenden Tendenz zu Abschottung und Nationalismus klug begegnen und uns nicht der Logik von Handelskriegen er­geben. Eine kluge Antwort liegt ­ darin, alle Bürger in die Lage zu versetzen, von der Globalisierung zu profitieren. Zweitens müssen die Euro-Länder die niedrigen Zinsen jetzt nutzen, um ihre Haushalte zu konsolidieren. Drittens müssen die nationalen Regierungen die Wirtschaftsstrukturen in ihren Ländern

wettbewerbsfähiger gestalten, die Verwaltung effizienter auf­stellen und Innovationen anregen. Das gilt übri­ gens auch für Deutschland, gerade im Hinblick auf die ­ demografische Entwicklung. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, die ultra-lockere Geldpolitik könne dauerhaftes Wachstum schaffen. Vielmehr nehmen mit der Dauer der sehr expansiven Geldpolitik die gewünschten Wirkungen l ab und die Nebenwirkungen zu. (Quelle: Auszug aus der Rede auf der Finanzmarktklausur des Wirtschaftsrates am 26. 1. 2017)

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AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

Notenbankpolitik in Europa:

Jetzt den Kurswechsel einleiten Klaas Knot Foto: Jens Schicke

President of the Netherlands Bank

chen ihre Aufgaben nicht abnehmen.“ Mit anderen Worten: Jetzt ist es an der Zeit, den Policy-Mix neu auszubalancieren – weg von der kurzfristigen Nachfragestimulierung, hin zu verbesserten strukturellen Bedingungen. „Die Europäische Wirtschafts- und

„Eine Vergemeinschaftung von Risiken ist nur mit einem ­gleichzeitigen Abbau von Risiken insgesamt vereinbar.“

D

ie Wirtschaft im Euroraum hat sich mittlerweile stabilisiert“, sagt Klaas Knot, Presi-

dent of the Netherlands Bank.

Die Zeit des permanenten Krisenmodus sei vorbei. Deshalb sei es an der Zeit, sich wieder auf die langfristigen Herausforderungen für die Eurozone zu konzentrieren. Knot erinnert an ein Diktum Hans Tietmeyers, das auch heute uneingeschränkte Gültigkeit hat: „Die Geldpolitik kann den anderen Politikberei-

Valdis Dombrovskis Foto: Jens Schicke

Vizepräsident der Europäischen Kommission

I

nvestitionen und Innovationen sind der Schlüssel für eine starke europäische Wirtschaft. Um sie zu finanzieren, braucht Europa einen starken und sicheren Bankensektor im

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Währungsunion muss gestärkt werden“, betont Knot. Oft wird dafür eine tiefere europäische Integration gefordert, die mit einer weiteren Übertragung von Souveränitätsrechten nach Brüssel einhergeht. „Das würde die Funktionsfähigkeit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sicher stärken“, ist Knot überzeugt. Zugleich sei sie jedoch politisch umstritten und gegenwärtig kaum umsetzbar. Eine Vergemeinschaftung von ­Risiken wiederum sei nur mit einem

Herzen der europäischen Wirtschaft“, unterstrich Valdis Dombrovskis, Vize­

präsident der Europäischen Kommission.

Die EU-Kommission arbeite daran, den passenden Rahmen für eine gut funktionierende europäische Kapitalmarktunion zu setzen. In politisch unsicheren Zeiten, geprägt von Popu-

gleichzeitigen Abbau von Risiken insgesamt vereinbar. Aber auch das würde eine problematische Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU bedeuten, betonte Knot. Weitere tief greifende Integrationsschritte in Europa sind damit momentan kaum vorstellbar. Die Politik sollte ihren Fokus deshalb wieder stärker auf jene Faktoren richten, die für die langfristigen Wachstumsaussichten relevant sind. „Das erfordert große Anstrengungen, aber nicht notwendigerweise von Zentralbanken.“ Dazu erinnerte Knot noch einmal an eine ordnungspolitische Einschätzung Tietmeyers: „Es reicht nicht aus, auf konjunkturelles Wachstum zu setzen. Es geht vielmehr darum, die Strukturprobleme nachhaltig zu lösen. Nur so erreichen wir ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, nachhaltig mehr Beschäftigung, nachhaltig stabile Sozialsysteme und nachhaltige öffentliche l Finanzen.“ (Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

listen, muss die EU-Kommission für Klarheit und Vorhersehbarkeit ihrer Politik sorgen. „Verantwortungsvolle Fiskalpolitik und strukturelle Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bleiben die zentralen Leitlinien unserer ökonomischen Agenda“, sagte Dombrovskis.

„Verantwortungsvolle Fiskal­politik und struktur­elle Reformen zur Steigerung der Wettbewerbs­fähigkeit bleiben die Leitlinien unserer Agenda.“ TREND 1/2017


Die europäischen Notenbanken spielen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Finanzkrise und der Stabilisierung der Finanzmärkte. Wegen der b­ egrenzten fiskalischen M ­ öglichkeiten in vielen Ländern der Gemeinschaft hat die Geldpolitik den Großteil der Arbeit übernommen. Der Vizepräsident erinnert daran, dass Europa die Risiken seines Ban­ kensektors bereits maßgeblich redu­ ziert habe. „Wir wollen einen inter­ nationalen und einen europäischen Ansatz. Globale Banken brauchen glo­ bale Standards.“ Das sind die Grundpfeiler für Han­ del und Wettbewerb. „Deshalb arbei­ ten Europa und die Vereinigten Staa­ ten zusammen etwa in der G20.“ Ein Beispiel: Um eine exzessive Häufung gehebelter Risiken im Finanzsystem zu verhindern, sieht das Reformpaket

W

ir beschäftigen uns noch heute mit den Konse­ quenzen und dem Ver­ mächtnis der Finanz­ krise“, erklärte Andrew Bailey, Deputy

Governor of the Bank of England and CEO of the Financial Conduct Authority.

Offen bleibe dabei indes die Frage, ob die Regulierungen und Gesetze für den Finanzsektor tatsächlich geeignet seien, die erwünschten Ziele zu errei­ chen. „Das Regulierungsregime, das nach der Finanzkrise ins Werk gesetzt wurde, ist nicht lasch.“ Im Hinblick auf eine Vereinfachung zahlreicher nationaler Regulierungen erweisen sich die neuen multinationalen Re­ geln als Vorteil. Damit sind Schritte in die richtige Richtung getan worden,

1/2017 TREND

der EU die Einführung einer verbind­ lichen Leverage Ratio von drei Prozent vor. Auf diese Weise stünde das Kern­ kapital wieder in einem vernünftigen Verhältnis zum Geschäftsvolumen von Kreditinstituten. Zugleich bleibt der Aufbau eines europäischen Kapitalmarktes eines der wichtigsten Ziele für die EU-Kom­ mission, um die benötigten Finanzie­ rungsquellen für Unternehmen zu erschließen. Der Brexit macht das Vorhaben umso dringlicher. Bei der Kapitalmarktunion geht es auch um

jedoch müsse das neue Regelwerk ­ „Basel III“ in diesem Jahr auf die Ziel­ gerade kommen. Ein weiterer entscheidender Schritt in die richtige Richtung wäre eine Öffnung der Märkte auf Basis mul­ tilateraler Standards. Der Governor erinnerte an die fatalen Folgen protek­ tionistischer Politik im vergangenen Jahrhundert. „Freihandel und offene Märkte sind aus meiner Sicht nach wie vor die beste Voraussetzung für stärkeres Wachstum. Offene Finanz­ märkte sind der beste Ansatz, um den freien Handel mit Gütern und

Kleinanleger. „Ihre Investitionen in Versicherungs-, Pensions- und Invest­ mentfonds sind die Kapitalquelle, die unsere Märkte wachsen lassen. Des­ halb wollen wir einen echten Binnen­ markt für Finanzdienstleistungen in diesen Bereichen aufbauen“, betonte Dombrovskis. „Fintechs mit disrupti­ ven Geschäftsideen können uns dabei helfen, die Dienstleistungen zu ver­ bessern. Unsere Herausforderung ist es, dafür zu sorgen, dass Europa Teil l dieser Innovation ist.“ (Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

Andrew Bailey Deputy Governor of the Bank of England and CEO of the Financial Conduct Authority

Foto: Jens Schicke

Foto: Fotolia.com ©helmutvogler

AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

Dienstleistungen zu fördern. Wir könnten einen großen Schritt in die­ se Richtung gehen, wenn wir globale Regulierungsstandards ins Zentrum l stellen“, betonte Bailey. (Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

„Das Regulierungsregime, das nach der Finanzkrise ins Werk gesetzt wurde, ist nicht lasch.“ 31


AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

­ eues N Vertrauen herstellen Europa am S ­ cheideweg:

Christian Sewing Foto: Jens Schicke

Mitglied des Vorstandes, Head of Private, Wealth & Commercial Clients, Deutsche Bank AG

E

uropa bleibt das Sorgenkind der Weltwirtschaft“, sagt Christian

Sewing, Mitglied des Vorstandes, Head of Private, Wealth & Commercial Clients, Deutsche Bank AG. „Die

meisten europäischen Volkswirtschaften sind weniger wettbewerbsfähig als vor zehn Jahren.“ Europa sei zu teuer, die Strukturen müssten dringend re-

formiert werden. „Langfristige Wachstumspotentiale, die Voraussetzung für Investitionen, kann man nicht durch niedrige Zinsen erzwingen.“ Europa ginge allenfalls in einer mäßigen Verfassung in eine schwierige politische Phase. „Eine Politik der Abschottung war seit jeher fatal, insbesondere für die Europäische Union (EU)“, warnte der Deutsche Bank-Vorstand mit Blick auf nationalistische Strömungen. Die Exportleistungen der EU machen 25 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Das heißt: Dem Slogan „America first“ muss Europa ein „Europe first“ entgegensetzen. Dies bedeute aber nicht Abschottung, sondern „Free

„Langfristige Wachstums­potentiale, die Voraussetzung für ­Investitionen, kann man nicht durch niedrige Zinsen erzwingen.“

Trade first“ und „Globalization first“. Das sei insbesondere für Deutschland essenziell. Deshalb müsse die Wirtschaft eine größere Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. „Wir sollten die Frage beantworten, wie wir die Globalisierung verteidigen und vorantreiben. Und wir müssen in der Gesellschaft die Überzeugung verankern, dass die Globalisierung auch den Schwächeren hilft.“ In Europa werde leider nicht überall gesehen, wie wichtig ein funktionierendes Finanzsystem für das Wachstum ist. „Wir brauchen in der EU eine Finanzpolitik, die das Wachstum und die Schaffung von ­Arbeitsplätzen fördert. Aber wir brauchen auch, gerade als Antwort auf den Brexit, eine Kapitalmarktunion. Europa braucht starke l Banken.“ (Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

Burkhard Balz MdEP Foto: Jens Schicke

Koordinator der EVP-­Fraktion im Wirtschafts- und ­Währungsausschuss ECON

E

uropa steht am Scheideweg. Das ist nicht allein eine deutsche Sicht, sondern spiegelt die Einschätzung in Europa insgesamt wider“, sagte Burkhard Balz MdEP, Koordinator der EVP-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss ECON. „Das Vertrauen Europas in sei-

ne Einheit, seine politischen Institutionen und seine Wirtschaftskraft hat abgenommen.“ Wo Vertrauen verloren gehe, leide auch die Stabilität. „Die exzessiven Interventionen der Europäi-

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schen Zentralbank (EZB) kaufen den Banken und den Mitgliedsstaaten si­ ages cherlich Zeit. Aber am Ende des T bringen sie nicht wirkliche L ­ ösungen.“ Die Lösungen müssten demokratisch und politisch gemeinsam in Europa auf den Weg gebracht werden. Unser Land allein wäre damit überfordert, betonte Balz. „Deutschland gilt sicherlich zu Recht als stabilste Kraft in Europa. Aber wenn es um die Zukunftsfragen des Kontinents geht, müssen alle zusammen an einem Strang ziehen. In den letzten Monaten hat man leider das Gefühl, dass das nicht mehr so ist.“ Der Wunsch nach

Erhalt und dem Wiedererstarken von Stabilität sei allgegenwärtig, gerade in diesen unsicheren Zeiten, wo in den USA ein neuer Präsident in das Oval Office eingezogen sei und wichtige Wahlen in drei europäischen Gründungsstaaten stattfänden. „Nur wenn möglichst viele euro­ päische Partner wirtschaftlich wieder gesunden, werden wir in der EU ­wieder in eine Position der Stärzurückkehren können. Wenn ke ­ wir die politische Gestaltung nicht ­übernehmen, werden andere das für l uns tun.“ (Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

„Die exzessiven Interventionen der Europäischen ­Zentralbank kaufen Banken und Mitgliedsstaaten Zeit. Aber am Ende sind sie nicht wirkliche Lösungen.“ TREND 1/2017


AKTUELL Starker Finanzsektor für Europa

Kann der Brexit nach der jahrzehntelangen Blockadehaltung der Briten in Europa nicht auch eine Chance für Europa sein?

Friedrich Merz Foto: Jens Schicke

Rechtsanwalt, Chairman, BlackRock Asset ­Management Deutschland AG

die Aufgabe, den vollkommen verunsicherten Europäern wieder eine Richtung und Orientierung zu geben?“ Europa und Deutschland müssten die Frage beantworten, welche Rolle man in der Weltpolitik spiele, betonte Merz. Er warf die Frage auf, ob der Brexit wegen der jahrzehntelangen Blockadehaltung der Briten in Europa nicht auch eine Chance für die verbliebenen 27 Mitgliedstaaten sein könnte. Jetzt bestehe die Möglichkeit, in wichtigen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik weiterzukommen und echte Lösungen statt Kompromisse auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners zu finden. „Der kleinste gemeinsame Nenner Europas ist zu klein für die großen Herausforderungen, vor denen wir in der Welt stehen.“ l (Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

„Der kleinste gemeinsame Nenner Europas ist zu klein für die ­ großen Herausforderungen.“ 1/2017 TREND

Raus aus der Frustration

F

Roland Koch ür die Politik ist es gegenwärtig Ministerpräsident a.D. ex­ trem schwierig, in der ÖfVorsitzender des Aufsichtsrats, fentlichkeit Unterstützung für UBS Europe SE eine bankenfreundliche Politik zu finden. Nach einem Jahrzehnt der Krise müssen wir schauen, wie wir hier wieder ein Stück umschalten können. Das beginnt in den eigenen Köpfen. Gegenwärtig ist es so, dass wir über den volkswirtschaftlichen Beitrag, den die Finanzindustrie leistet, nur noch defensiv sprechen. Kein Mensch redet mehr darüber, dass Finanzprodukte Arbeitsplätze schaffen. Die Industrie muss wieder zu dem Punkt kommen, über ihre positiven Effekte zu reden. Das tut sie gegenwärtig nicht, jedenfalls nicht öffentlich – und nicht genug. Dass eine starke Finanzindustrie einen existenziellen Beitrag für eine starke Ökonomie leistet, ist nicht mehr Gegenstand der öffentlichen Wahrnehmung. Man kann von Politikern nicht verlangen, dass sie das erst dem Volk erklären und dann handeln. Es ist die Aufgabe der Finanzwirtschaft, ihre positiven Wertbeiträge wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Nur wenn wir das schaffen, kann die Finanzl wirtschaft Forderungen an die Politik stellen.

(Quelle: Auszug aus der Rede Finanzmarktklausur  2017)

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Foto: Jens Schicke

Merz, Rechtsanwalt, Chairman, BlackRock Asset Management Deutschland AG. „Und wer übernimmt eigentlich

Foto: Fotolia.com ©Grecaud Paul

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ir sind Zeitzeugen einer tektonischen Verschiebung von Macht- und Einflusszentren dieser Welt. Weg von Europa, weg von Amerika, hin zu Asien in die asiatisch-pazifische Region. Sehr spannend wird sein, welche Rolle Japan in diesem Konzert spielen wird, sagt Friedrich


AKTUELL Energiepolitik

Erneuerbare für die Industrie:

Gegenseitige Anforderungen an Versorgungssicherheit u Erneuerbare Energien sind den Kinderschuhen entwachsen. Die Kosten für regenerative Anlagen ­sinken, die Intelligenz des Systems steigt. Es ist an der Zeit, die Weichen für eine echte Marktperspektive zu stellen und den Erneuerbaren die Verantwortung für die Versorgungssicherheit zu übertragen.

Foto: Jenner Egbert Fotografie

D

as Erneuerbare-Energien-­ sie auf jährlich rund 24 Milliarden Gesetz (EEG) ist ein Katalog Euro. Diese Rechnung zahlen gedulstaatlicher Förderung, der die dig die deutsche Industrie, das GewerEntstehung erneuerbarer Anbe und die privaten Haushalte. Eine lagen in höchstem Maße staatlich abÄnderung ist nicht in Sicht; das EEG sichert. Von der deutschen „Feldforentbindet Erneuerbare bis heute weischung“ profitieren weltweit Länder, testgehend von wirtschaftlichen Risidie heute deutlich effizientere Anlagen ken: Feste Einspeisevergütungen, Einfür ihre Stromerzeugung nutzen. In speisevorrang, Härtefallregelung und Deutschland stammen derzeit über 30 Folgeabwälzung auf die StromnetzProzent des Stroms aus regenerativen betreiber werden über 20 Jahre gaQuellen. Die Erneuerbaren sind den rantiert. Dies nimmt den HandlungsKinderschuhen entwachsen. druck für kosteneffiziente Lösungen. Der eingeschlagene Weg hin zu AusAusschreibungen und schreibungen und mehr Europa ist damehr Europa sind richtig her ­richtig. Erneuerbare müssen hin Die Kosten steigen förderbedingt zu mehr Qualität. Deutschland muss trotzdem weiter: Seit 2000 wuchsen Vorreiter bei der Systeminte­ gration werden. Allein der aktuelle Ausbauplan auf Reinhold von Eben-Worlée 178,5 GW für Erneuerbare bis 2030 Geschäftsführender erfordert 6.100 km Überlandleitun­Gesellschafter gen. Durch die Verlegung von ErdkaWorlée-Chemie GmbH; beln könnten sich die Ausbaukosten Mitglied des Landesvorstandes von 33 Milliarden Euro weiter verWirtschaftsrat Hamburg teuern und Wirtschaft und Haushalte über die Netznutzungsentgelte noch „Erneuerbare müssen genauso stärker belasten. Windenergie und Photovoltaik Versorgungssicherheit und sind volatile Energiequellen. Be­Preis­stabilität garantieren wie trachtet man den Jahresnutzungsgrad, deckt Wind im Jahr rechnerisch alle ­anderen Marktteilnehmer.“

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knapp 21, Sonne sogar nur elf Prozent ab. Den darüber hinausgehenden Bedarf decken "Schattenkraftwerke" aus Kohle, Erdgas und noch Kernenergie ab. Sinkt die Nachfrage oder ist zu viel Strom im Netz, müssen die Erneuerbaren abgeregelt werden. Dank Härtefallregelung werden dennoch 95 bis 100 Prozent des nicht ins Netz eingespeisten Stroms vergütet. EEG und Netzentgelte in den Blick nehmen Ein marktwirtschaftlicher Systemwechsel muss bei der Energiewende höchste Priorität erhalten. Um Erneuerbare in der Industrie zu nutzen, bedarf es neuer Finanzierungsmodelle. Dabei müssen EEG und Netzentgelte in den Blick genommen werden. Privilegien müssen weiter abgebaut und Erneuerbare in die Pflicht genommen werden. Da für die Härtefallregelung keine Bestandsgarantie besteht, wäre deren schrittweise Abschaffung für neue Anlagen ein erster sinnvoller Schritt in diese Richtung. Denn am Ende des Tages müssen Erneuerbare genauso Versorgungssicherheit und Preisstabilität garantieren wie alle anderen l Marktteilnehmer.

TREND 1/2017


Foto: Fotolia.com ©TimSiegert-batcam

AKTUELL Energiepolitik

n t und Wettbewerbsfähigkeit

Globaler Industrialisierungsprozess der Energiewende Erneuerbare werden weltweit zur Leit­ energie. In der Industrie kommen sie allerdings nur unzureichend zum Einsatz. Dabei helfen Erneuerbare, gekoppelt mit Energieeffizienz, der Industrie sich schrittweise zu dekarbonisieren. Daher wollen große Teile der Industrie, und auch innovative Unternehmen wie Google, bewusst möglichst viel Erneuerbare nutzen und können sich vorstellen, fossile Energieträger in der Produktion komplett durch diese zu ersetzen. Energie 4.0 – Anforderungen an die Industrie Mit Hilfe der Sektorkopplung und Power-to-X-Lösungen kann der Nutzungsgrad von Erneuerbaren in der Industrie deutlich gesteigert werden. Dabei ist es notwendig, dass sich die

1/2017 TREND

Industrie stufenweise an den neuen Erzeugungsfolgebetrieb anpasst und ihrerseits Flexibilität zur Verfügung stellt. Die Industrie wird so Teil des zunehmend erneuerbaren Energiesystems und Treiber der Dekarbonisierung. Blaupause für die Energiewende im Industrieland schaffen Klimaschutz ist heute weit mehr als eine Öko-Wunschvorstellung. Ehrgeizige CO2-Ziele sind eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit und zunehmend Treiber für die Industrie und Export. Eine konsequente Digitalisierung und Synchronisation von erneuerbarer und konventioneller Erzeugung, industriellem Verbrauch sowie Infrastrukturen in Echtzeit ist Kern der Energiewende-Blaupause für Industrienationen. Niemand sollte glauben, dass China, Indien sowie die USA Deutschland und Europa eine Vorreiterrolle bei der Energie- und Technologiewende überlassen werden. Politischer Handlungsbedarf Erfreulicherweise stellt die EU im Winterpaket richtige Weichen und nimmt intelligent vernetzte ­Erneuerbare und den smarten (Selbst-) Verbraucher in den Mittelpunkt der Energieunion. Parallel hierzu könnten Innovationsfonds für die Industrie eingerichtet werden, um vermehrt Lösungen mit Erneuerbaren zu integrieren.

B2B mit Level-Playing-Field für erneuerbaren Strom Um erneuerbaren Strom marktgetrieben in der Industrie nutzbar zu machen, muss die nächste Bundesregierung zunächst Grundlagen schaffen: Erneuerbare Erzeugergruppen müssen Direktlieferverträge mit der Industrie abschließen können. Strompreisbestandteile, insbesondere Netzentgelte und EEG-Umlage müssen

Martin Grundmann Geschäftsführer der ARGE Netz GmbH & Co. KG; Stellv. Vorsitzender Bundesfach­ kommission Energiepolitik und Task Force Klimaschutz und Wirtschaft des Wirtschaftsrates

Foto: Arge Netz

I

n Echtzeit vernetzte Anlagen aus Wind, Photovoltaik, Biomasse und Speicherlösungen können bereits heute zuverlässig gleichbleibende Strommengen liefern. Diese Erneuerbaren-Kraftwerke bieten als Manager der Interaktionen mit der Industrie maßgeschneiderte Lösungen für Verbraucher. Die Branche ist seit langem bereit mehr Verantwortung für das System übernehmen. Für eine echte Marktperspektive müssen jetzt die Weichen gestellt werden.

„Erneuerbare, gekoppelt mit Energieeffizienz, helfen der ­ Industrie sich schrittweise zu dekarbonisieren.“ angepasst werden. Bestehende Energiesteuern können schrittweise auf CO2-Basis umgestellt werden. Flexibilität benötigt einen Preis und systemdienliches Verhalten sollte belohnt werden. Es braucht weiterhin Lernräume, in denen Erneuerbare und Industrie gemeinsame Geschäftsmo­ l delle entwickeln können.

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AKTUELL Energiepolitik

Dauerbaustelle Energiewende

E

s ist nicht so, als hätte die Große Koalition in der Energiepolitik wenig zu Wege gebracht. Im Gegenteil: Seit Ende 2013 ist viel geschehen. Beispielhaft seien nur die beiden Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) genannt. Die zweite dieser beiden Reformen steht sogar für eine Zeitenwende bei der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen: Sie hat den Umstieg auf ein Ausschreibungssystem mit sich gebracht. Doch leider ist das alles nicht ausreichend.

Klaus Stratmann

Foto: privat

Berlin-Korrespondent Handelsblatt

Deutschland hat sich so tief in einer widersprüchlichen Energiepolitik verstrickt, dass es noch großen Einsatzes bedarf, ehe man die Energiewende guten Gewissens zum Erfolgsmodell erklären kann. In der nächsten Legislaturperiode warten also große Aufgaben auf die Politik. Ein guter Beleg für den Handlungsbedarf ist die Strompreisentwicklung: Private Haushalte zahlen hierzulande so viel wie nie und so viel wie fast nir-

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gendwo sonst in Europa für die Kilowattstunde Strom. Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Monatsrechnung für Strom von 40 Euro auf 85 Euro mehr als verdoppelt. In diesem Jahr werden die Bürger mit ihren Stromrechnungen mehr als 35 Milliarden Euro für Steuern, Abgaben und Umlagen zahlen. Den größten Anteil hat mit etwa 24 Milliarden Euro die EEG-Umlage. Es bedarf größerer gedanklicher Anstrengungen, um das noch zu einem Erfolg umzudeuten. Im Bundeswirtschaftsministerium argumentiert man, die Stromgroßhandelspreise seien ja seit einigen Jahren rückläufig. Die Summe aus immer niedrigeren Großhandelspreisen und von Jahr zu Jahr steigender EEG-Umlage sei über die Jahre annähernd gleichbleibend, gelegentlich sogar leicht sinkend. Mit dieser Argumentation werden sich aber die voraussichtlich bis weit ins nächste Jahrzehnt von Jahr zu Jahr deutlich steigenden EEG-Kosten nicht dauerhaft kaschieren lassen. Viel wichtiger aber: Für den privaten Haushalt mag das alles noch verkraftbar sein. Und wer sich keine geförderte Stromproduktion in Form einer Photovoltaikanlage für den Eigenbedarf aufs Hausdach schrauben kann, hat ja ohnehin keine Alternative. Zur kaum mehr hinnehmbaren Belastung wird die Stromrechnung aber für die vielen industriellen Mittelständler,

Foto: Fotolia.com ©Ingo Bartussek

Die Energiewende wird die neue Bundesregierung stark beschäftigen. Deutschland hat sich tief in einer widersprüch­lichen Energiepolitik verstrickt, die Unternehmer wie Verbraucher teuer zu stehen kommt und die ­Versorgungssicherheit sträflich vernachlässigt. Daran ­haben die Reformen der Großen ­Koalition wenig geändert.

die gerade nicht von den Segnungen der Besonderen Ausgleichsregelung profitieren. Sie zahlen die volle Stromrechnung bis auf den letzten Cent ohne jede Entlastung. 55 Prozent dieser Rechnung gehen auf das Konto von Steuern, Abgaben und Umlagen. Die Konkurrenten in Frankreich oder Tschechien sind klar im Vorteil. So wird das nicht bleiben können. Die nächste Bundesregierung wird sich daher intensiv mit der Frage beschäftigen müssen, wie man die ­Finanzierung der Energiewende neu organisiert. Das Hauptaugenmerk sollte sich dabei auf den dicksten Brocken richten, die EEG-Umlage. Verschiedene Modelle sind im Gespräch. Man könnte Teile der Umlage auslagern und aus Steuern finanzieren oder in einem Fonds parken und von ­späteren Generationen bezahlen lassen. Man könnte auch die gesamte Umlage aus dem Haushalt bestreiten.

TREND 1/2017


AKTUELL Energiepolitik

Bestandteile des durchschnittlichen Strompreises für einen Haushalt (ct/kWh)

Durchschnittlicher Strompreis für die Industrie in ct/kWh (ohne Stromsteuer)

Jahresverbrauch von 3.500 kWh

Jahresverbrauch 160.000 bis 20 Mio. kWh (Mittelspannungsseitige Versorgung; Abnahme 100 kW / 1.600 h bis 4.000 kW / 5.000 h)

Steuern, Abgaben und Umlagen insgesamt

18 16

14,29

15,13 14,91

15,53

15,58

16,05

13,70

ct/kWh

14 11,59 12 11,30

0,006 0,15 0,08

0,006 0,25 0,29

0,03 0,24 0,28

eschaffung, Netzentgelt, B Vertrieb 6,880

davon EEG-Umlage*

10

6,17

Konzessionsabgabe

6,354

EEG-Umlage* 0,11

8 5,28

6 4

14,01

6,24 6,17 6,35

0,11

6,88

0,11

KWKG-Umlage §19 StromNEV-Umlage Offshore-Haftungsumlage

3,53 3,59

7,19

7,00

8,05

Umlage f. abschaltbare Lasten

2 0

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Oder die Kosten auch auf fossile Energieträger verteilen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Gefahr ist allerdings groß, dass eine neue Umverteilungsmaschinerie in Gang kommt. Wenn man die Kosten auf mehrere Schultern verteilt, könnte der Leidensdruck nachlassen. Damit wäre niemandem geholfen. Wer die Finanzierung neu organisiert, darf nicht nachlassen, gleichzeitig die Effizienz der Mittelverwendung weiter zu steigern. Eine sträflich vernachlässigte Baustelle offenbart sich beim Blick auf die Versorgungssicherheit. Die unterbrechungsfreie Stromversorgung ist für ein hoch entwickeltes Industrieland ein hohes Gut. Die Bundesnetzagentur verweist in diesem Zusammenhang gerne auf das gute Abschneiden Deutschlands im europäischen Vergleich. Tatsächlich belegt Deutschland im System-Average-Interrupti-

1/2017 TREND

* ab 2010 Anwendung AusgleichMechV

* ab 2010 Anwendung AusgleichMechV

on-Duration-Index kontinuierlich hervorragende Plätze. Doch das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Stromnetze – bildlich gesprochen – nervös geworden sind. Die stetig wachsende Volatilität der Einspeisung aus erneuerbaren Quellen zwingt die Netzbetreiber dazu, ständig in den Netzbetrieb einzugreifen. Es ist mittlerweile eine sehr anspruchsvolle Aufgabe geworden, das Netz stabil zu halten. Das sei ungefähr so, als müsse man ständig mit fünf Bällen jonglieren, heißt es bei den Betreibern. Doch Versorgungssicherheit entscheidet sich ja nicht nur an der Frage, ob es gelingt, die Netze stabil zu halten. Vielmehr steht die Frage im Raum, ob sich der Erzeugungsmix so entwickelt, dass auch künftig zu jeder Sekunde des Jahres ausreichend Leistung zur Verfügung steht. Während reihenweise fossile Kraftwerke vom

-0,01**

2015

2016

-0,002**

2017

** Offshore-Haftungsumlage 2015/17 wegen Nachverrechnung negativ

Netz gehen, wächst der Anteil von Sonnen- und vor allen Dingen der Anteil von Windstrom. Die Schere zwischen unkalkulierbarer und gesicherter Leistung geht immer weiter auseinander. Die Lücke dazwischen könnte irgendwann einmal durch die verschiedensten Speicher- und Umwandlungstechnologien – vom Pumpspeicher über Power-to-Gas bis zur Batterie – geschlossen werden. Doch ehe das gelingt, werden noch Jahrzehnte ins Land gehen. Bislang hat sich die Politik damit beholfen, eine Reihe von Kraftwerken in unterschiedlich etikettierte Reserven zu schieben, um für den Fall gewappnet zu sein, dass der Strom ­ kurz- oder mittelfristig knapp wird. Von einer systematischen, transparenten und dauerhaft tragbaren Lösung ist das jedoch sehr weit entfernt. In der kommenden Legislaturperiode wird man das Thema neu angehen müssen. Ehe man behaupten könnte, die Energiewende sei ein Erfolgsmodell, werden noch viele Jahre ins Land gehen. Bis jetzt ist sie ein großes Experiment mit völlig offenem Ausgang. Sie in die richtigen Bahnen zu lenken, wird noch einige Legislaturperioden l in Anspruch nehmen.

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Quelle: VEA, BDEW; Stand 02/2017

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AKTUELL Energiepolitik

chen dringend europäisch ausgerichtete Konz die zu bezahlbaren und sicheren Lösungen füh Erste Zwischenergebnisse wurden beim Be Workshop gemeinsam mit ausgewählten Spi vertretern aus Politik und Wirtschaft erörter den „Hearings“ geladen waren u.a. der Präs der Bundesnetzagentur Jochen Homann und Chef der Europäischen Energie Börse (EEX Peter Reitz. Ihre Resonanz fließt in die weiter beit des Labs ein und wird beim dritten Work in Wien zu konkreten Konzepten weiterentwi Endergebnisse und politische Handlungsem lungen werden im Rahmen der 15. Klausurta Energie­ und Umweltpolitik des Wirtschaft vorgestellt, diskutiert und an den Vizepräsid der Europäischen Kommission übergeben. Fotos: Christian Redtenbacher

staltet sich ein zukunftsfähiger europäischer Ener­ giebinnenmarkt? Welche Möglichkeiten bieten Sektorkopplung und Digitalisierung? Wie kann die Verantwortung für eine verlässliche Energieversor­ gung mit einem maximal kosteneffizienten Erneu­ erbaren­Ausbau verbunden werden? Mit welchen Instrumenten können auf europäischer Ebene Energieeffizienz und Klimaschutz gestärkt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gesichert werden? Welche Wechselwirkungen erge­ ben sich aus den grenzüberschreitenden Modellen?

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AKTUELL Europäische Energiepolitik

Brüssel

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Drei Städte in Kerneuropa, 4/2016 TREND zahlreiche Experten, vier Ergebnisse – das European Energy Lab des Wirtschaftsrates ist erfolgreich zu Ende gegangen. Das Gremium präsentiert vier Prioritäten für Europas Energiepolitik bis 2030. Bereits beim Kick­Off im Rahmen des hochkarä­ tigen Symposiums „Europäische Energiepolitik“ in Brüssel gab es Dank und große Erwartungen von höchster Maroš Šefčovič, der Text:Stelle: Birgit Heinrich / Dr. BerndVizepräsident Weber Europäischen Kommission und zuständig für die Energieunion, betonte in seiner Eröffnungsrede: „Ich bin sicher, dass das vom initi­ verlässlicher ie muss einWirtschaftsrat wettbewerbsfähiger, ierte ,European Energy Lab 2030‘ aufgrund seiner und innovativer EU-Energiemarkt der Zukunft innovativen Methodik und dem breit aufgestellten ausgestaltet Werden? – so lautete die Frage, die Teilnehmerkreis viele umsetzungsfähige und zu­ aus Wirtschaft rund 40 internationale Experten kunftsweisende Ideen erarbeiten wird. Wir brau­ und Politik im Rahmen des European Energy Labs des chen dringend europäisch ausgerichtete Konzepte, Wirtschaftsrates in den vergangenen Monaten diskutierten. die zu bezahlbaren und sicheren Lösungen führen.“ Zwischenergebnisse wurden direkt während des EntwickErste Zwischenergebnisse wurden beim Berliner lungsprozesses von hochrangigen, externen Experten evaWorkshop gemeinsam mit ausgewählten Spitzen­ luiertaus undPolitik diskutiert. vertretern und Wirtschaft erörtert. Zu Das Ergebnis benennt für die zukünftige den „Hearings“ geladen waren vier u.a. Prioritäten der Präsident EU-Energiepolitik.Jochen Generalsekretär Wolfgang der Bundesnetzagentur Homann und der Steiger überdiese im Rahmen 15.(EEX Klausurtagung EnergieChef reicht der Europäischen Energie der Börse AG) Umweltpolitik Wirtschaftsrates für Peter und Reitz. Ihre Resonanzdes fließt in die weitere EU-Kommissar Ar­ K ­ limapolitik und Energie, Miguel Arias Cañete. beit des Labs ein und wird beim dritten Workshop in Wien zu konkreten Konzepten weiterentwickelt. Endergebnisse und politische Handlungsempfeh­ 1.werden Kosteneffizienter braucht lungen im RahmenKlimaschutz der 15. Klausurtagung Energie­ein und Umweltpolitik des Wirtschaftsrates wirksames marktbasiertes CO2-Preissignal vorgestellt, diskutiert und den Vizepräsidenten Die Vermeidung vonan Treibhausgasen in allen Sektoren muss der Europäischen das zentraleKommission europäischeübergeben. Ziel sein. Oberstel Maßgabe sollte sein, europäische und daraus abgeleitete nationale Klimaschutzziele maximal kosteneffizient und marktwirtschaftlich zu erreichen.

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Der Wirtschaftsr und innovativen diskutieren derze European Energy TREND war bei

Forderungen E Europäische CO2-Vermeidungsinstrumente sollten auf weitere Sektoren und Wirtschaftsräume ausgedehnt werden. Eine maximale Anschlussfähigkeit zu den Instrumenten anderer Staaten und Wirtschaftsräume muss dafür sichergestellt werden. Solange nicht mindestens ein einheitliches CO2-Preisniveau auf G20-Niveau besteht, sollte für die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie eine Entlastung gewährleistet werden. E Der Europäische Emissionshandel (ETS) sollte als zentrales technologieneutrales Leitinstrument gestärkt werden. Er gibt ein mit den Klimazielen der EU im Einklang signal im Sinne eines Level-Playstehendes CO2-Preis­ ing-Fields vor. Jede Form der Stärkung des ETS muss maximale Planungssicherheit für einen vorgegebenen ausreichend langen Zeitraum ­gewährleisten. E Die Menge der verfügbaren CO2-Zertifikate sollte durch einen klar definierten linearen Reduktionsfaktor im Einklang mit den CO2-Einsparzielen der EU für das Jahr 2030 angepasst werden. Alternativ gilt es, die Zertifikat­ anzahl durch eine einmalige Entnahme von Zertifikaten mit demselben Ambitionsniveau anzupassen. 40 E Nationale Sonderziele für Klimaschutz sind kontraproduktiv und sollten daher entfallen. In jedem Fall müssen sich temporär existierende nationale Ziele und Maßnahmen auf den Non-ETS-Sektor beschränken.

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AKTUELL Energiepolitik

2. Ein zunehmend erneuerbares Energiesystem braucht mehr Flexibilität von Verbrauchern und Erzeugern! Um Erneuerbare effizient in den Markt und das System zu integrieren, gilt es, die Flexibilität auf der Erzeugungs- und Verbrauchsseite zu steigern. Ziel sollte es sein, die Energiesektoren zu verzahnen, um die Anpassungsfähigkeit des gesamten Energiesystems zu verbessern. Forderungen E Um Versorgungssicherheit und die Anpassungsfähigkeit von Verbrauchern und Erzeugern kosteneffizient zu gewährleisten sowie die Nachfrage nach Flexibilität zu steuern, müssen Marktpreissignale bei Erzeugern und Verbrauchern ankommen. E Die Marktintegration Erneuerbarer konsequent vorangetrieben werden. Auktionen sollten nur noch technologieübergreifend und nur noch europäisch erfolgen. Der Bestandsschutz für Altanlagen muss gewährleistet bleiben. Gleichzeitig sollten flexible Modelle entwickelt werden, um Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen stärker am Markt teilnehmen zu lassen. E Oberste Maßgabe ist, Flexibilität marktwirtschaftlich und technologieneutral zu steigern. Hierzu bedarf es Schnitt­ stellen zwischen den Sektoren und eines Level-­PlayingFields. Steuern und Abgaben dürfen die Verhältnisse der Marktpreise von Flexibilitätsoptionen dabei nicht ver­ zerren. E Um den Echtzeitdatenaustausch zwischen Aggregatoren, Netzdienstleistern und Endverbrauchern zu ermög­ lichen, sollte die Standardisierung des notwendigen Datenaustauschs konsequent vorangetrieben werden. 3. Digitalisierung benötigt einen „bottom-up Rahmen“ für Innovationen! Um das zunehmend dezentrale Energiesystem effizient zu koordinieren, sind ein gesicherter Datenzugang und sichere Datenkommunikation zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern eine Grundvoraussetzung. Forderungen E Mit Blick auf die Ausweitung des „Internet of Things“ (IoT) sollten europäische Mindeststandards für Sicherheit, Datenschnittstellen und Datenschutz definiert werden, um neue Geschäftsmodelle, Produkte und Services zu ermöglichen und bestehende Infrastruktur verlässlich gegen Missbrauch zu schützen. E Damit Energiedaten sicher, verschlüsselt und nahezu in Echtzeit gespeichert und freigegeben werden können, sollte eine Plattform nach dem Modell „US Green Button Initiative“ etabliert werden. Dies schafft Transparenz und legt die Basis für neue Dienstleistungen und Produkte. Der Dateneigentümer allein muss entscheiden können, wer seine Daten wie nutzt.

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E Um die Forschung und Entwicklung digitaler Produkte und Services voranzutreiben und ihre Umsetzung zu testen, sollten groß angelegte Pilotvorhaben im Rahmen von „Schaufensterprojekten“ initiiert werden. E Mit dem Ziel Unternehmen durch Wissensaufbau im Bereich Digitalisierung bei der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle zu unterstützen, sollten branchenübergreifende Netzwerke mit breit angelegten Informationsprogrammen etabliert werden. Zudem müssen bürokratische Hürden für „interne Start-ups“ in Unternehmen minimiert und eine Gleichbehandlung mit „Nicht-Konzernunternehmen“ sichergestellt werden. 4. Der EU-Binnenmarkt benötigt einen raschen Netzausbau! Der nationale und europäische Netzausbau muss beschleunigt werden, um einen integrierten EU-Energiebinnenmarkt für mehr Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz in einem sich wandelnden Energiesystem ­sicherzustellen. Mit dem Ziel die Ausbaukosten zu verringern sowie die Planungs- und Netzgenehmigungsverfahren zu beschleunigen, sollte die Akzeptanz bei Bürgern Partizipation und Anreize erhöht werden. Forderungen E Um einen diskriminierungsfreien Ausgleich und wachsenden Handel zu ermöglichen, gilt es, das EU-Ziel einer Bereitstellung von Energie von Kuppelkapazitäten zwischen Nachbarländern von mindestens 15 Prozent der installierten Leistung bis 2030 zu erreichen. Zur Überprüfung und Durchsetzung dieser Zielsetzung sollten ein Monitoring-Prozess aufgesetzt und regelmäßige Prog­ nosen durchgeführt werden. E Mit dem weiteren Ziel mindestens in Regionen aus benachbarten Mitgliedstaaten freie Stromflüsse und freien Handel gemäß dem „Kupferplatten-Ansatz“ zu ermöglichen, sollten grenzüberschreitende regionale Netzentwicklungspläne durch Übertragungsnetzbetreiber erarbeitet und zusätzliche Kuppelkapazitäten bis 2050 bereitgestellt werden. E Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen stets ein ausreichendes Maß an Partizipation von Bürgern ermöglichen, aber dennoch deutlich beschleunigt werden. Um die Akzeptanz bei den Bürgern zu steigern, können zum Beispiel lokale Beteiligungsmodelle an Netzprojekt­ anteilen einen Beitrag leisten. E Gleichzeitig sollte eine kostenneutrale regionale Nutzung von Strom, der aufgrund von Engpassmanagement oder Spitzenkappung nicht in das Stromnetz abgegeben werden kann, ermöglicht werden. Hiermit gilt es, wirtschaftliche Investitionen in Flexibilitätslösungen voranzubringen. Investitionen müssen dabei unternehmerisches l Risiko bleiben.

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AKTUELL Energiepolitik

Drei Viertel der deutschen Hausbesitzer halten laut einer GfK-Umfrage die geplante Energiewende im Gebäude­bereich für nicht bezahlbar. Dies zeigt, dass die Kosten der Energiewende nicht vernachlässigt werden dürfen. Ein relevanter Beitrag des Gebäudesektors für den Klimaschutz ist nur realistisch, wenn die dafür ­notwendigen Maßnahmen für die Menschen bezahlbar sind. Deswegen ist ein technologieoffener Wettbewerb um die besten und günstigsten Lösungen unverzichtbar. Hier können Ölheizungen einen wichtigen Beitrag leisten und den angestrebten Wandel unterstützen.

Flüssige Brennstoffe bringen die ­Energiewende voran D er „Klimaschutzplan 2050“ sieht vor, dass die Bereiche Industrie, Verkehr und Gebäude langfristig ihren Energiebedarf weitgehend mit Strom aus erneuerbaren Quellen decken. Welche Herausforderung dies darstellt, macht der geringe Anteil erneuerbaren Stroms am heutigen Endenergieverbrauch klar: Er liegt gerade einmal bei

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acht Prozent. Der „All electric“-Ansatz wird nicht nur für sehr hohe Kosten sorgen. Es würde auch der Bedarf an Ökostrom massiv steigen, ohne dass derzeit klar ist, wie die Erzeugungskapazitäten entsprechend erhöht werden können und wie in künftigen „Dunkelflauten“ Strom sicher verfügbar sein soll. Vor allem jedoch unterschätzt der „Klimaschutzplan 2050“ die Möglichkeiten, die bewährte, akzeptierte und bezahlbare Technologien bieten. Zu diesen Technologien zählt auch die Öl-Brennwertheizung.

Brennwerttechnik: Potentiale nutzen, Förderung beibehalten Öl-Brennwertheizungen zeichnen sich durch eine fast 100-prozentige Effizienz aus und sorgen im Modernisierungsfall für eine schnelle Treibhausgasminderung von bis zu 30 Prozent. Sie haben einen großen Anteil daran, dass der Heizölverbrauch in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren bei nahezu konstanter Anlagenzahl bereits um mehr als die Hälfte reduziert werden konnte. In den vergangenen Jahren wurden im Rahmen von Heizungsmodernisierungen überwiegend derart effiziente Brennwertheizungen eingebaut, denn Verbraucher schätzen insbesondere das günstige Kosten-Nutzen-Verhältnis. Gerade bei Modernisierungen bestehender Anlagen sind Öl-Brennwertgeräte zudem in der Regel wesentlich kosteneffizienter als zum Beispiel Strom-Wärmepumpen oder die Umstellung auf Erdgas. Rund einem Viertel aller Menschen in Deutschland, vor allem in ländlichen Räumen, bietet Heizöl

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heute eine sichere und zuverlässige Wärmeversorgung – gerade auch dort, wo leitungsgebundene Energieträger nicht zur Verfügung stehen. Effiziente Öl-Brennwerttechnik ermöglicht daher Millionen Menschen einen schnellen und bezahlbaren Einstieg in die Energiewende. Deshalb ist die bestehende staatliche Förderung für entsprechende Sanierungsmaßnahmen gut angelegt. Und daher ist es auch kontraproduktiv, diese Förderung in Frage zu stellen oder eine künstliche Verteuerung von Heizöl herbeiführen zu wollen. Diese würde gerade die Menschen, die sich teure Modernisierungen nicht leisten können, unangemessen belasten. Es wären somit insbesondere die kleinen Einkommen, die die enormen Kosten der Energiewende finanzieren würden, ohne davon zu profitieren. Clevere Sektorkopplung mit Power-to-Heat Öl-Brennwerttechnik ist die ideale Basis für die Einbindung erneuerbarer Energien, weil Heizöl als speicherbarer

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Energieträger stets die Versorgungssicherheit gewährleistet. Bereits heute werden knapp eine Million Ölheizungen zusammen mit Solarthermie betrieben. Künftig könnten solche Hybrid-Heizsysteme dank Power-to-Heat als weitere Komponente auch überschüssigen Ökostrom in die Wärmeversorgung einbinden. Die Idee dabei: Stromerzeugungspotentiale, die wirtschaftlich oder technisch nicht sinnvoll

Neue flüssige Energieträger – neue Perspektiven Bereits heute gibt es Bio-Heizöl. Um die Vorteile eines flüssigen Energieträgers langfristig nutzen zu können, wird an weiteren Innovationen gearbeitet. Neben der Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff im Raffinerieprozess, werden derzeit viele verschiedene Ansätze zur Entwicklung neuer Brennstoffe verfolgt: Von A wie Algennutzung bis X wie X-to-Liquids, worunter die Herstellung synthetischer flüssiger Kohlenwasserstoffe aus den unterschiedlichsten Kohlenstoffquellen, zum Beispiel aus Rest- und Abfallstoffen, verstanden wird. Dadurch werden die Vorteile flüssiger, speicherbarer Brennstoffe langfristig klimaneutral nutzbar sein.

Dipl.-Ing. Adrian Willig Geschäftsführer Institut für Wärme und Oeltechnik e.V. (IWO) Foto: IWO

Foto: IWO

Verbrauchern gezahlt werden müssen: ­Allein im Jahr 2015 waren das rund 480 Millionen Euro. Durch die gezielte Aktivierung von Power-to-Heat könnte das erneuer­ bare Stromerzeugungspotential besser genutzt werden. Anders als reine Elektroheizungen, wie etwa monovalente Strom-Wärmepumpen, benötigen power-to-heat-fähige Ölheizungen dabei keine zusätzlichen teuren Reservekraftwerkskapazitäten.

„Um die Vorteile flüssiger Energieträger nutzen zu können, ist ein technologieoffener und ­energieträgerneutraler Wettbewerb entscheidend.“ genutzt werden können, werden mittels elektrischer Heizeinrichtungen in Wärme umgewandelt. Da heute schon an sehr windigen Tagen regional mehr Strom produziert wird, als das Netz zu transportieren vermag, müssen immer wieder erneuerbare Stromerzeuger „abgeregelt“ werden. Der nicht produzierte Strom sorgt dennoch für Kosten, die über die Netzentgelte von den

Flüssige Energieträger bieten also viele Potentiale, um die Energiewende weiter voranzubringen.Um diese nutzen zu können, ist es jedoch wichtig, am Grundsatz eines technologieoffenen und energieträgerneutralen Wettbewerbs festzuhalten. Dies schließt auch ein, Heizöl nicht durch neue Steuern oder Abgaben künstlich zu l verteuern.

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Netzentgelte marktwirtschaftlich ausgestalten Die Modernisierung der Netzentgelte ist überfällig, aber auf den Weg kommt es an.

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eim Blick auf die Stromrechnung und auf die Nachrichten über steigende Kosten fragen sich viele Bürger und Unternehmen, ob wir die Energiewende überhaupt noch bezahlen können. Neue Stromtrassen, Eingriffe in die Landschaft, immer mehr Gesetze und zusätzliche Milliarden-Euro-Summen: Die Energiewende droht zu einem Ungetüm zu werden, das wir nicht mehr verstehen und nicht mehr bezahlen können. Einen Anteil daran haben die Netz­ entgelte, die Bürger und Unternehmen als Teil ihrer Energiekosten entrichten müssen. Die Ermittlung der Entgelte hat sich in wesentlichen Teilen über-

Foto: Rüdiger Nehmzow

Dr. Hans-Jürgen Brick Chief Operating Officer/ Chief Financial Officer Amprion GmbH

lebt, sie ist weder ausreichend transparent, flexibel noch effizient. Hier müssen wir handeln. Der Gesetzgeber hat sich zu Recht vorgenommen, die Netzentgelte zu „modernisieren“ und Kosten „fair“ zu verteilen. Das Ziel ist gut, doch der angedachte Weg ­einer

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pauschalen Vereinheit­ lichung der Entgelte ist falsch. Durch eine pauschale Vereinheitlichung werden wir die bestehenden Probleme nicht lösen. Einheitliche Netzentgelte senken den Druck auf die einzelnen Netzbetreiber, das Netz zügig und effizient auszubauen, weil sie die unternehmerische Verantwortung verwischen. So steuert Deutschland in eine „Energieplanwirtschaft“. Dabei sollten doch gerade marktwirtschaftliche Mechanismen helfen, unser Energiesystem effizienter zu machen und die Verbraucher zu entlasten. Mit einheitlichen Netzentgelten vergeben wir zudem die Chance, das bestehende System weiterzuentwickeln. Das ist derzeit wichtiger denn je – auch mit Blick auf die Sektorenkopplung. Die Verzahnung von Elektrizität, Wärmeversorgung und Verkehr kann zu einem wichtigen Hebel für den Erfolg der Energiewende werden. Nur: Das derzeitige Netzentgelt- und Umlagesystem hemmt diese Entwicklung. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz und keine Gleichmacherei. Unstrittig sind Kosten der Energiewende gesellschaftliche Kosten, die wir gemeinsam tragen müssen. Die Netzkosten bestehen aber nicht ausschließlich aus „Energiewendekosten“, sondern auch aus solchen für Betrieb, Instandhaltung, Ausbau und Inno-

vation. Hier sollte die unternehmerische Leistung und Verantwortung der einzelnen Betreiber auch in Zukunft sichtbar bleiben. Übrigens: Die Rechnung für die Vereinheitlichung zahlen Bürger und Unternehmen in denjenigen Regionen, wo das Netz dank konsequenter Investitionen bereits gut ausgebaut

„Deutschland steuert in eine Energieplanwirtschaft.“ ist – sie zahlen den Netzausbau damit zweimal. Durch das politische Vorhaben, die Netzentgelte zu vereinheit­ lichen, würden Unternehmen im Westen und Südwesten im Schnitt ­ über 60 Prozent höhere Entgelte schultern müssen, Kunden im Norden und ­Osten Deutschlands dagegen würden nur zwischen 20 und 28 Prozent entlastet. Daraus kann keine Akzeptanz entstehen. Statt „Verordnungs-Flickwerk“ zu be­treiben, sollten wir das Netzentgelt­ system künftig transparenter, flexi­bler und effizienter gestalten – fit machen für die Zukunft. Dafür brauchen wir etwas mehr Zeit als bis zu den nächsten Wahlen. Nur so können wir sicherstellen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt profitiert. l

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AKTUELL Energiepolitik


WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

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NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN 

BUNDESFACHKOMMISSION STEUERN

rere Integrations- und Abschmelzmodelle prüfen. Zudem verwies er auf den EU-Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer ab 2018. „Diese werde weitreichende negative Konsequenzen haben“, l mahnte Frank W. Grube.

TREFFEN MIT KYRIAKOS MITSOTAKIS

TASKFORCE KLIMASCHUTZ UND WIRTSCHAFT

Hoffnung auf den Wandel

Industriepolitische Gesamtstrategie für Deutschland

Foto: Hans Christian Plambeck

Kyriakos Mitsotakis, Minister a.D. und Vorsitzender der Nea Dimokratia (ND) warb bei einem exklusiven Gespräch mit Unternehmern im Wirtschaftsrat für seine Agenda, mit der er Griechenland aus der Krise befreien möchte. Die Hauptaufgabe der griechischen Regierung müsse sein, wieder Vertrauen nach außen aufzubauen – bei den Partnern der Europäischen Union oder ausländischen Investoren. Gleichzeitig komme es aber auch darauf an, dem griechischen Volk wieder Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln, dass das Reformprogramm erfolgreich sein wird. Der notwendige, grundsätzliche Kulturwandel müsse vom eigenen Land ausgehen und könne nicht aufoktroyiert werden. Der Ansatz von Mitsotakis ist ein Paradigmenwechsel, der Hoffnung macht: Er ist überzeugt, dass die Reformen nicht ein von den europäischen Partnern aufgezwungenes Übel sind, sondern eine Notwendigkeit, die das Land selbst erbringen muss, um l die Krise zu überwinden.

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Abgeltungssteuer, Solidaritätszuschlag und Finanztransak­ tionssteuer waren die Themen, die Vorsitzender Frank W. Grube zur Diskussion in die Runde gab. Die Kommission sprach sich klar für die Beibehaltung der Abgeltungssteuer aus. Deren Abschaffung wurde politisch ­diskutiert, da ab Ende 2017 Finanzdaten automatisch international ausgetauscht werden. Mit einer Abschaffung der pauschalen Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge würde jedoch wieder nach dem persönlichen Einkommensteuersatz besteuert – und damit eine erhebliche Steuervereinfachung aufgehoben, die auch die Finanzämter deutlich entlastet. Ministerialdirigent Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium, berichtete über Pläne, den Soli­ daritätszuschlag zeitnah abzubauen. Auf der Suche nach einer verfassungskonformen Lösung lässt das Ministerium derzeit­meh-

Foto: Jens Schicke

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Klares Votum für Vereinfachung und Bürokratieabbau

Die neu gegründete Task Force Klimaschutz und Wirtschaft kam unter Leitung des Vorsitzenden Dr. Martin Iffert, Vorsitzender des Vorstandes Trimet Aluminium SE, zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Die Unternehmer diskutierten mit Staatssekretär Jochen Flasbarth aus dem Bundesumweltministerium die Umsetzung des Klimaschutzplans 2050 und die für 2017 geplante Novellierung des Europäischen Emissionshandels. Die Kommissionsmitglieder adressierten klar das starke Engagement der deutschen Industrie für den Klimaschutz, aber auch Kritikpunkte: Die Investitionszyklen der Industrie ließen sich nicht durch politische Zielsetzungen steuern. Zudem wichen nationale Ziele von denen der EU ab. Dies bremse Investitionen aus, da die Rahmenbedinl gungen nicht verlässlich seien.

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WIRTSCHAFTSRAT Wirtschaftstag der Innovationen

Wirtschaftstag der I Auf dem Wirtschaftstag der Innovationen diskutierte der Wirtschaftsrat unter dem Motto „Wertschöpfung im ­digitalen Zeitalter“: Zahlreiche Gäste wie Kanzleramtsminister ­ Peter ­ Altmaier MdB (s. S. 24), EU-Kommissar Günther Oettinger (s. S. 19) oder Gründer und CEO Kaspersky LAB, Eugene Kaspersky (s. S. 22), Politiker und Unter­nehmensvertreter und Start-up-­Entrepreneure tauschten ihre Gedanken zum ­ digitalen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft aus (s. S. 14).

„Seit 30 Jahren bin ich in der Auto­industrie und habe noch nie so spannende Zeiten erlebt wie in der heutigen Ära der ­Digitalisierung.“ Peter Schwarzenbauer

Mitglied des Vorstandes, BMW AG

„Mit dem Eintritt von Fintechs und S­ tart-ups in die Bankenwelt hat sich für einige ­Fi­­nanz­institute das Leben spürbar erschwert.“ Željko Kaurin

Mitglied des Vorstandes, ING-DiBa AG

„Die Postbank arbeitet mit vielen Start-ups zusammen. Für uns ist das kein Gegen­ einander, sondern ein Miteinander.“ Susanne Klöß

Mitglied des Vorstandes, Deutsche Postbank AG

„Die Industrie ist jeden Tag mit der ­Digitalisierung konfrontiert. Unsere unternehmerische Aufgabe ist es, Veränderung als Chance zu begreifen.“ Hans-Georg Krabbe

Vorsitzender des Vorstandes, ABB AG

„Wir brauchen ein viel besser ­funktionierendes Ökosystem für Start-ups.“ Dr. Severin Löffler

Vorsitzender Bundesfachkommission Internet und Digitale Wirtschaft im Wirtschaftsrat Fotos: Jens Schicke

„Die Digitalisierung eröffnet uns historische Chancen.“ Maximilian Viessmann

Chief Digital Officer, Viessmann Werke GmbH & Co. KG

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WIRTSCHAFTSRAT Wirtschaftstag der Innovationen

Innovationen Impressionen „Wir müssen dafür sorgen, dass die ­Unternehmen, die die Chancen der ­Digitalisierung noch nicht erkennen, sie besser kennenlernen können.“ Alf Henryk Wulf

Vorsitzender Bundesfachkommission Wachstum und Innovation im Wirtschaftsrat

„Mitarbeitern von jungen innovativen Unternehmen sollte man für eine bestimmte Zeit die Einkommensteuer erlassen.“ Frank Gotthardt

Vorsitzender Bundesfachkommission Digital Health im Wirtschaftsrat

„Ich bin begeistert, wie gut es dem ­Wirtschaftsrat gelungen ist, etablierte Unternehmen und Start-ups ­zusammenzubringen.“ Julia Derndinger, Gründertrainerin

„50 Mbit/s sind das Ziel für die ­Grund­versorgung. Nice to have, aber schon heute ziemlich zu kurz gesprungen.“ Katherina Reiche

Hauptgeschäftsführerin, Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU)

„Wir brauchen einen Wandel in der ­Wahrnehmung der Digitalisierung.“ Dr. Silja Baller, World Economic Forum

„Die Innovation selber ist das Wichtigste. Und wenn ich die nicht hinbekomme, werde ich als Unternehmen nicht bestehen.“ Ludwig Preller, CEO, GERMANTECH DIGITAL

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Engagement

„Lust auf ein klares Wertefundament“ Text: C aroline Bernhardt

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Foto: Jens Schicke

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arcus Ewald hat drei Markenzeichen. Der neue Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrates trägt Dreitagebart, Brille und eine auffällige Krawatte – fast immer. Mit Markenzeichen will er auch seine Arbeit als Bundesvorsitzender versehen und verfolgt deshalb vorrangig das Ziel, Politik nicht mehr zu Lasten, sondern zu Gunsten der Jungen Generation zu gestalten. „Wir müssen unser Rentensystem wieder zukunftsfest machen, die Digitalisierungsstrategie endlich in großen Schritten umsetzen, Bürokratie abbauen und den deutschen Gründergeist neu beleben.“ Keine leichten Vorhaben im Bundestagwahljahr. Aber das Kommunizieren unter erschwerten Bedingungen gepaart mit einer großen Portion Durchsetzungskraft beherrscht der Stuttgarter gut. Seine Leidenschaft zu Diskutieren verhalf ihm nicht nur im Studium dazu, deutscher Meister im Debattieren zu werden; Marcus Ewald hat aus seinem Talent seinen Beruf gemacht. Krisenkommunikation ist einer der Schwerpunkte, denen sich seine Unternehmensberatung am Mainzer Fischtorplatz widmet, die er zusammen mit Torsten Rössing und sieben Mitarbeitern betreibt. Als Krisenmanager bereitet er Organisationen auf Krisen vor und springt Unternehmen zur Seite, wenn es vor der Haustür brennt. Für seine zweijährige Amtszeit hat sich Marcus Ewald zum Ziel gesetzt, die Interessen der jungen Generation stärker zu positionieren und in die politischen Entscheidungsprozesse

Marcus Ewald Marcus Ewald ist neuer Bundesvorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates. Er ist einer der geschäftsführenden Gesellschafter der Unternehmensberatung Ewald & Rössing in Mainz und hat sich vorgenommen, die Interessen der jungen Generation stärker in den Fokus der Bundespolitik zu rücken.

einzubringen. „Um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, muss Deutschland bei Innovationen wieder führend werden. Wir fordern daher von Politik und Wirtschaft, mehr Experimente zu wagen. Derzeit diskutierte Rentengeschenke gehen auf Kosten der jungen Generation und sind ein Tanz Richtung Abgrund. Wir brauchen einen

Automatismus, der das Renteneintrittsalter automatisch jedes Jahr nach hinten verschiebt – sonst kommt es irgendwann zum Knall. Außerdem sollte jeder Bürger per Knopfdruck erfahren können, was er mit Erreichen des Renteneintrittsalters aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge zu erwarten hat.“

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Marcus Ewald möchte sich mit dem Jungen Wirtschaftsrat im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 klar aufstellen und die Anliegen seiner Generation im Vorfeld auf den Tisch bringen. „Die letzten Koalitionsverhandlungen haben klar gezeigt, dass die Interessen der Jüngeren in dieser Regierung kaum Berücksichtigung finden. Es wurden überwiegend Themen platziert, die der älteren Generation vermeintlich Gutes tun, die Junge Generation aber zum Lastesel macht. Dabei müssen wir unseren Wirtschaftsstandort Deutschland durch Investitionen in Innovation und Wachstum stärken, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und unseren Wohlstand langfristig zu sichern.“ Nach seiner Schulzeit am Dillmann-Gymnasium in Stuttgart sammelte Marcus Ewald seine ersten beruflichen Erfahrungen beim Sportverein MTV, der Unternehmensberatung Ernst & Young und bei der Leonberger Werbeagentur Karius und Partner. „Aus Baden-Württemberg habe ich mitgenommen: Innovationen sind kein Problem, vor dem man Angst haben müsste, sondern sie sind

„Rentengeschenke gehen auf Kosten der jungen Generation und sind ein Tanz Richtung Abgrund.“ die Lösung. Hier hat diese Art zu denken eine lange Tradition. Sie ist die Basis des Erfolgs der Hidden Champions im Ländle. Doch vieles können andere inzwischen auch – leider auch in der Automobilindustrie. Mir geht es darum, Unternehmenskulturen zu etablieren, die sich dazu eignen, zu experimentieren. Es geht um Lust auf Zukunft auf einem klaren Wertefundament.“ Welchen Einfluss die Arbeit des Jungen Wirtschaftsrates auf die Politik haben kann, weiß Marcus Ewald durch sein früheres Amt als Landesvorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates in Rheinland-Pfalz: „Der Junge Wirtschaftsrat ermöglicht wie keine andere Plattform den direkten Austausch zwischen Wirtschaft und Politik auf Entscheider-Ebene. Unsere Lösungsvorschläge und Forderungen werden von den politischen Entscheidungsträger ernst genommen und

Junger Wirtschaftsrat in Hong Kong

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in einer Zeit politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit. Die stell­vertretende Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrates, Sarah Hagenkötter, zieht eine positive Bilanz: „Hong Kong ist nicht nur wirtschaftlich und unternehmerisch interessant – auch die politische Komponente bietet Stoff für angeregte Diskussionen. Die Reise ermöglicht jungen Unternehmern und Führungskräften eine neue Perspektive auf eines der bedeutendsten Finanz­zentren der Welt.“ Sarah Hagenkötter l

Foto: Björn Bronger

ünktlich zum 20. Gründungsjahr der Sonderverwaltungszone Hong Kong organisierten der Junge Wirtschaftsrat Hessen und Baden-Württemberg sowie der Junge Wirtschaftsbeirat Bayern erstmals eine gemeinsame Delegationsreise nach Hong Kong, um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch mit Deutschland zu stärken. Insgesamt 29 Teilnehmer nutzten die Möglichkeit, um sich mit internationalen Entscheidern aus über 40 Ländern zu vernetzen. Das Asian Financial Forum (AFF) bildete den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen, die die jungen Unternehmer besuchten. Auf der Agenda des Forums standen unter anderem Themen wie die Auswirkungen des Brexits und eines starken US-­Dollars, die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump sowie die Aufrechterhaltung der globalen Finanzstabilität

fließen in ihre Beratungen mit ein.“ Das Ziel, Deutschland zum Vorreiter im Bereich der Digitalisierung zu machen, steht dabei ganz oben auf der Agenda des Jungen Wirtschaftsrates. „Allen Regierungsprogrammen zum Trotz ist es der Politik nicht gelungen eine moderne, digital vernetzte öffentliche Verwaltung aufzubauen. Und auch beim Ausbau der digitalen Infrastruktur hinken wir um Jahre hinterher. Dabei ist diese für Zukunftsindustrien unerlässlich. Um Deutschland auf der Landkarte technologiestarker Standorte prominent zu verankern, muss der Ausbau einer flächendeckenden Gigabitinfrastruktur entschieden vorangetrieben werden. Sonst verharren wir im analogen Tiefschlaf.“ Von der nächsten Bundesregierung erwartet Marcus Ewald ein handfestes Reformkonzept. Durch die Rentenreform ist bei den Jungen viel Vertrauen verloren gegangen und der Erfolg der schwarzen Null im Bundeshaushalt hält nicht ewig. „Derzeit haben wir die wirtschaftliche Kraft, unsere sozialen Sicherungssysteme fit für die Zukunft zu machen. Diese Chance müssen wir l ergreifen“, fordert Ewald.

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WIRTSCHAFTSRAT Finanzmarktklausur

Finanzmarktklausur Die Finanzbranche befindet sich im Umbruch: Regulierung und Niedrigzinspolitik verändern nicht die Rentabilität von Geschäftsfeldern und stellen ganze Geschäftsmodelle infrage. Die Digitalisierung verstärkt diese Entwicklung. Jetzt kommt es darauf an, dass Wirtschaft und Politik gemeinsam die Grundlagen für Sta­ bilität, Wettbewerbsfähigkeit und Vertrauen legen. Auf der Klausurtagung sprachen u. a. EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis, Bundesbankpräsident Dr. Jens Weidmann sowie der ­niederländische Notenbankpräsident Klaas Knot (s.  S. 26).

„Eine der wichtigsten Antworten auf die Finanzkrise war die Bankenunion mit der Schaffung der einheitlichen Bankenaufsicht und der Schaffung des gemeinsamen ­Abwicklungsmechanismus“. Dr. Michael Meister MdB

Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

„Wir haben in Europa eine Chance, den Trend der Finanzwirtschaft in die Bedeutungslosigkeit umzukehren. Dazu müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen und ein konsistentes Zielbild der europäischen Bankenlandschaft zeichnen, eine europäische Harmonisierung der Regulierung erreichen, die globale Regulierung eher in die zweite Reihe stellen, die Anzahl der Aufseher reduzieren und das Rechtssystem verlässlicher machen.“ Dr. Stefan Schmittmann

Ehem. Mitglied des Vorstandes, Commerzbank AG

„Wir sollten nicht den Fehler machen, in die Welt von Basel I zurückzukehren. So verständlich die Sehnsucht nach einfachen Antworten sein mag, so wichtig ist es darauf zu achten, dass die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von ­Regulierungen nicht größer sind als die eigentlich intendierte Wirkung.“ Felix Hufeld, Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Fotos: Jens Schicke

„Wir haben wie die Banken auch eine Menge mehr Fragen als Antworten. Das ist gut. Wenn wir mehr Antworten als Fragen hätten, wären wir vermutlich völlig falsch in dem Stadium des Marktes, in dem wir heute sind.“ Olivier Guersent, Director General,

DG Financial Stability, Financial Services and Capital Markets Union, European Commission

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WIRTSCHAFTSRAT Finanzmarktklausur

Impressionen

„Das Thema europäische Zwangsvergemein­ schaftung der Einlagensicherung bitte runter von der Tagesordnung. Es gibt keine rechtliche ­Grundlage, es gibt keine sachliche Notwendigkeit.“ Georg Fahrenschon

Präsident, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V.

„Nur Druck schafft Diamanten. Die Digitalisierung ist für uns Banken eine große unternehme­rische Chance und, ehrlich gesagt, die einzige, die wir im Moment haben.“ Dr. Theodor Weimer

Sprecher des Vorstandes, Unicredit Bank AG

„Neben den Möglichkeiten zur Kosteneinsparung bieten sich auch auf Seiten der Kunden Nachfragerisiken und Chancen. Durch die Digitalisierung sind sie mittlerweile in anderen Lebensbereichen daran gewöhnt und wollen bei Bankgeschäften das gleiche Einkaufserlebnis haben.“ Philippe Oddo

Geschäftsführender Gesellschafter, Oddo & Cie

„Eine Lösung könnte sein, die Lebensarbeitszeit nicht an einer fixen Zahl festzumachen, sondern wie in Dänemark auf das Modell zu setzen, dass mit steigender Lebenserwartung auch das ­Renteneintrittsalter steigt.“ Volker Kauder MdB

Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

„Verständnis habe ich, dass die Institution, die für den Euro und den Zusammenhalt der Euro-Zone verantwortlich ist, alles dafür tut, dass die Fliehkräfte die Euro-Zone nicht zerreißen. Ent­täuschend ist jedoch, dass die Politik – die durch die Geld­ politik Zeit gewinnt – ihre Chancen nicht nutzt. Uwe Fröhlich, Präsident, Bundesverband der ­ Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)

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WIRTSCHAFTSRAT Deutsch-Indischer Wirtschaftsdialog

Text: Britta Vasters Fotos: Thomas Rafalzyck

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er Deutsch-Indische Wirtschaftsdialog sollte besser Deutsch-Indische Aktivitäten heißen“, erklärte Seine Exzellenz der Botschafter Indiens in Deutschland, Gurjit Singh. Wenn Deutschland Großprojekte als Investor finanziert, könne der deutsche Mittelstand im Windschatten nach Indien kommen und dort gute ­Geschäfte machen. Der Botschafter versicherte, dass Indien ein stabiler Partner sei und die demokratischen Werte Deutschlands teile.

Deutschland und Indien können von einer starken Partnerschaft profitieren. Wachstumschancen für das ­Industrieland – Technologie, Know-how und Investments für das Schwellenland. Dazu muss jedoch der Investitionsschutz neu verhandelt werden.

Indien verspricht deutschen Unternehmern ­große Chancen „Die wichtigsten Facetten der indisch-deutschen Kooperation liegen im Handel und der Technologie. Deutschland ist Indiens zehntgrößter Handelspartner insgesamt und der größte in Europa“, betonte Dr. Jürgen Geißinger, Vorsitzender der Bundesfachkommission Internationaler Kreis des Wirtschaftsrates der CDU e.V. Deutsche Unternehmer und die Politik sollten das große Potential Indiens wahrnehmen. „Abgesehen von den traditionsreichen Spar-

ten sind wissensbasierte Sektoren wie IT, Biotechnologie, Automotive, Erneuerbare Energien, Grüne Technologie, Mobilität und Entwicklung in und von Städten sowie die Unterhaltungsindustrie aussichtsreiche Bereiche für Kooperationen.“ Überraschend hat Indien jedoch kürzlich 57 Ländern einschließlich Deutschland mitgeteilt, dass es die In-

Die Vertreter der Confederation of Indian Industry und des Wirtschaftsrates unterzeichnen in ­An­wesenheit des indischen Botschafters eine Absichtserklärung zur verstärkten Zusammenarbeit

vestitionsverträge aufkündigt, die ohnehin in Kürze auslaufen. Das bedeutet, dass neue Investitionen von April 2017 an nicht mehr den Investitionsschutz bieten, auf den sich die Partner in diesen Abkom-

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men geeinigt hatten. Der Wirtschaftsrat möchte die große Bedeutung des Investitionsschutzes insbesondere für den Mittelstand hervorheben und die Indische Regierung dazu ermutigen, die bilateralen Investitionsabkommen zu erneuern. „Deutschland ist derzeit vor allem damit beschäftigt, die Europäische Union zusammenzuhalten. Es will hier die Führung übernehmen und man muss sehen, wie sich die geopolitische Lage in Europa und im Rest der Welt entwickelt“, sagte Shobana Kamineni, designierte Präsidentin der Confederation of Indian Industry (CII). Deutschland erachte eine strategische Partnerschaft mit Indien als sehr wichtig für beide Länder. „Die Erfolgsgeschichte armer Länder liegt nicht in der Nationalisierung, wichtiger als den Blick nach innen zu richten ist eine starke und erfolgreiche Globalisierung der Wirtschaft. Als Inder sind wir privilegiert in einer Nation zu leben, die genauso denkt, betonte Kamineni. „Und Indien verspricht große Wachstumsperspektiven, weil es digitale Transformation verstanden l hat.“

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Foto: Wirtschaftsrat

Digitalisierung heißt auch Kulturwandel Anders als Konkurrenten wie Amazon ist die Hamburger Otto Group kein Kind des in den 1990er einsetzenden Internetbooms – und zählt heute trotzdem zu den größten Onlinehändlern. Wie dem Unternehmen der Übergang ins Digitalzeitalter gelang, erläuterte der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Michael Otto beim Wirtschaftsrat: „Die Zeit von ‚command and control‘ ist vorbei“, sagte er und verwies auf den ‚Kulturwandel 4.0‘, dem sich die Otto Group im Zuge der digitalen Transformation verschrieben habe. Heißt: Flachere Hierarchien, mehr Teamarbeit, stärkere Verantwortung für die Teams. Der Kulturwandel setzt sich an den Arbeitsplätzen fort. Die Büroflächen werden offen gestaltet und bieten Möglichkeiten zur Kommunikation. „Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um die Digital Natives, die wir dringend im Unternehmen v.l.n.r. Landesvorstandsmitglied Pieter brauchen, zu gewinnen“, beWasmuth dankt Dr. Michael Otto für seinen Vortrag. tonte Michael Otto.

Foto: Wirtschaftsrat

Neujahrsempfang mit Bundestagspräsident Norbert Lammert Norbert Lammert bereitete seine Zuhörer auf große Herausforderungen vor: „Heute leben wir in einer anders organisierten Welt als noch vor einem Jahr“, sagte er und verwies auf drei einschneidende Ereignisse des letzten Jahres – den Brexit, den Putschversuch in der Türkei und die US-Wahl. „Wir müssen uns auf unterschiedliche Szenarien einstellen, bei denen es sich empfiehlt, die sympathischsten nicht für die realistischsten zu halten“, betonte der Bundestagspräsident. Er plädierte für mehr Zusammenhalt in Europa und warnte vor einem Zurück in die Nationalstaaten. Hier spiele kein einziger europäischer Nationalstaat allein eine signifikante Rolle – auch Deutschland nicht. Angesichts großer Herausforderungen wie der Digitalisierung, den Migrationsbewegungen und dem Klimawandel resümierte er: „Wir finden gemeinsam oder gar nicht statt.“ Wirtschaftsrats-Landesvorstand Gunther Bonz pflichtete ihm bei: „Nur Zum traditionellen Neujahrsempein starkes Europa und Deutschlands fang hatte der Wirtschaftsrat BunEinbettung in Europa ermöglichen destagspräsident Norbert Lammert eingeladen. Seine Botschaft: „Wir uns, mit den globalen Herausfordewerden mehr Europa brauchen.“ rungen zurechtzukommen.“

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Erwünschte Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen „Geld und Gold bewegt die Menschen immer“, leitete Mirko Schmidt, Gesellschafter der pro aurum KG, die erste gemeinsame Veranstaltung des Landesverbands und des Wirtschaftsbeirates vor mehr als 150 Unternehmern in München ein. Franz Josef Benedikt, Präsident der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Bayern, machte deutlich, dass die Europäische Zentralbank (EZB) keine Politik für einzelne Länder machen könne. Sie sei nicht allein verantwortlich für das niedrige Zinsniveau. Sie könne es langfristig nur bedingt beeinflussen, am effektivsten über die Wechselkurse. Gerade hier sei Deutschland jedoch der größte Profiteur. Riskant sei, dass so die Disziplin zur Haushaltskonsolidierung in südeuropäischen Staaten abnehme. Dies hemme die bereits geringe Kreditnachfrage für Investitionen weiter. Darüber hinaus müsse das Potentialwachstum in Deutschland und Europa unbedingt wieder steigen. Dies könne durch eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors und Investitionsanreize geschehen.

Jahresempfang 2017: „Es steht viel auf dem Spiel“ Konzern, Mittelstand, Start-Up: Jahresempfang für die baden-württembergische Wirtschaft im Mercedes-Benz Museum. Daimler-Vorstandsmitglied Dr. Wolfgang Bernhard und Trumpf-Geschäftsführerin Dr. Nicola Leibinger-Kammüller warnten vor 550 Unternehmern davor, sich weiter von der Sozialen Marktwirtschaft zu Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitentfernen. Die Veranstaltung stezende der Geschäftsführung, TRUMPF GmbH + Co. KG he ganz im Zeichen der aktuellen politischen Entwicklungen betonte Landesvorsitzender Joachim Rudolf: „Wir agieren in politisch schwierigen Zeiten. Das Vertrauen in die etablierten Institutionen bröckelt europaweit.“ Unmissverständlich deutlich wurde Wolfgang Bernhard, der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr sieht. „Es muss uns gelingen, unsere industrielle Basis erfolgreich in die nächste Ära zu überführen. Die Digitalisierung wälzt alles um. Wir müssen jetzt die richtigen Prioritäten setzen und wieder mehr für unsere Wettbewerbsfähigkeit tun.“ Auch Nicola Leibinger-Kammüller warnte vor einer Entfremdung von Politik und Wirtschaft. Europa und die USA müssten ein vitales Interesse am freien Handel haben, so die in Amerika geborene Familienunternehmerin. Alarmiert zeigte sie sich von der Verrohung der Sprache. Ihre Hoffnung sei, dass der BundesDr. Wolfgang Bernhard, Vorstands­ tagswahlkampf weniger schlimm mitglied Daimler AG, Daimler Trucks & Buses ausfalle als der in den USA.

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Hamburg

Baden-Württemberg

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Rückblick Einblick Ausblick


WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Foto: Wirtschaftsrat

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Nordrhein-Westfalen muss wirtschaftsfreundlicher werden Gleich zwei Hochkaräter führten die Gästeliste des Wirtschaftstages 2016 des Landesverbandes an: Der eine will als Ministerpräsident in die Staatskanzlei einziehen, der andere amtiert in dieser Position in Hessen: Armin Laschet und Volker Bouffier. Landesverbandsvorsitzender Paul Bauwens-Adenauer konnte mehr als 600 Unternehmer der Region willkommen heißen. Armin Laschet kam gleich zur Sache: Letzter Platz für NRW im Ranking aller 16 Bundesländer, wenn es um Wirtschaftswachstum gehe, „das hat es noch nie gegeben.“ Die miserablen Daten auf den Strukturwandel zu schieben, wie es die rot-grüne Landesregierung tut, führe in die Irre. „Die ersten Zechen haben vor 50 Jahren geschlossen.“ Die neuen Bundesländer hätten vor 25 Jahren weitaus gravierendere Veränderungen erlebt und diese gemeistert: „Sie stehen heute beim Wirtschaftswachstum besser da als Nordrhein-Westfalen.“ Laschet ging hart ins Gericht mit der Wie die Menschen in NordRegulierungswut, mit der besonders das rhein-Westfalen ticken, das Umweltministerium das Land überzieht. weiß Armin Laschet, CDU-Landesvorsitzender in NRW Die Blockadepolitik der Grünen habe für die Wirtschaft massive Folgen, besonders in Boomregionen wie etwa Ostwestfalen-Lippe. „Da können zig Betriebe nicht erweitern, weil der Landesentwicklungsplan keine Gewerbeflächen mehr vorsieht. Immer mehr Flächen stehen unter Naturschutz. Das ist die falsche Priorität für unseren Industriestandort“, warnte Laschet. Das gelte auch für einen übereilten Ausstieg aus der Braunkohle oder die Standortbedingungen für die Schwerindustrie: „Wenn wir so weitermachen, gibt es die heimische Stahlindustrie nicht mehr.“ Es sei ein Mentalitätswechsel erforderlich, mahnte Armin Laschet. „Wir müssen Arbeitsplätze schaffen, unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Bürokratie eindämmen.“ Es gehe darum, das Land endlich voranzubringen. Blickpunkt Straßenbau: „Wir müssen planen, planen, planen. NRW verschenkt Bundesmittel, weil keine Planungen vorliegen. Was das bedeutet, kann man jeden Tag rund um die Leverkusener A1-Brücke oder auf der A45 erleben“, so Laschet. Blickpunkt digitale Infrastruktur: „Wir müssen schnelles Internet auch jenseits der Rheinschiene und des Ruhrgebietes möglich machen. In einem Dorf in der Eifel nehmen die Bürger jetzt den Ausbau des Netzes selbst in die Hand. Wenn sie verstehen, wie wichtig das ist: Warum versteht die Landesregierung das nicht?“ fragte der CDU-Landesvorsitzende. Auch für Volker Bouffier verkauft sich Nordrhein-Westfalen unter RotGrün unter Wert. „NRW v.l.n.r.: Volker Bouffier, hessischer Ministerprä­ muss wieder industrielles sident; Paul Bauwens-Adenauer, LandesvorsitKernstück unserer Repubzender Wirtschaftsrat NRW, Manfred Ringmaier, ­Landesgeschäftsführer Wirtschaftsrat NRW lik werden.“ Der hessische

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Ministerpräsident berichtete von der Erfolgsgeschichte seines Landes, von Wachstumsraten mit einer Drei vor dem Komma und dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Republik in der Kommune Frankfurt. Konsequente Förderung von Wissenschaft und Forschung, etwa durch Vernetzung von Hochschulen und Unternehmen, ist ein Aspekt des Erfolgsmodells, so Bouffier. „Davon profitieren auch Mittelständler, die sich keine eigene Forschungsabteilung leisten können. Pharmazie, Logistik, IT – das sind Felder, in denen wir das umgesetzt haben.“ Die Basis dieses Bildungsschwerpunktes sind die Schulen. Sie sind auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen, so Bouffier. Auch bundespolitisch setzte er Akzente. Er kritisierte das Renten-Positionspapier von Bundesarbeitsministerin Nahles als „falsche Weichenstellung“ und warnte vor einem „Rentenwahlkampf“. Einer Vermögenssteuer erteilte er eine klare Absage. Eine große Herausforderung sei die Flüchtlingsintegration, betonte Bouffier: „Es wird dauern und es wird nicht einfach, aber: Es wird gelingen.“

Bremen Neujahrsempfang mit dem Botschafter Russlands Rund 140 Unternehmer der Region begrüßte die Landesvorsitzende Imke Wilberg im Steigenberger Hotel mit einem Zitat des Bundespräsidenten, „Demokratie ist kein politisches Versandhaus, sondern Mitgestaltung am eigenen Schicksal – in der Gemeinde, Stadt, Region, Nation“. Sie forderte die Unternehmer auf, sich am politischen Leben in Bremen zu beteiligen. Als Kernforderung formulierte Wilberg den nachhaltigen Schuldenabbau und keine weitere Neuverschuldung. Dies sei möglich, wenn Bremer Unternehmer den Trend steigender Arbeitslosigkeit und Transferleistungen stoppten. Sie appellierte an die Wirtschaft in den Standort zu investieren. Wilberg betonte zudem, dass gute Handelsbeziehungen ins Ausland die Lebensgrundlage der Wirtschaft seien. Die Sanktionen gegen Russland würden gelten und müssten respektiert werden, dahinterstehende geopolitische Fragestellungen gelte es auf politischer Ebene zu adressieren. Die Kommunikation zwischen beiden Staaten dürfe dennoch nicht abreißen. S.E. Botschafter der Russischen Förderation, Wladimir Michailowitsch Grinin sprach über den „Status Quo und die Perspektiven der deutsch-russischen-Beziehungen“. Er setzte sich für eine wirtschaftliche Annäherung ein und erläuterte die negativen Folgen der Sanktionen für beide Länder. Deutschland und Russland seien „natürliche Partner“.

Foto: Wirtschaftsrat

Nordrhein-Westfalen

v.l.n.r.: Dr. Thomas Ull, Jürgen Marggraf, Jörg Müller-Arnecke, Folker Hellmeyer, russischer Botschafter Wladimir M. Grinin, Hans von Helldorf, Imke Wilberg, ­Florian Würzburg, Dr. Barbara Rodewald, Udo Siemers, Katrin Roßmüller

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Berlin-Brandenburg

Sachsen

Dr. Philipp Bouteiller: „Ab Mitte 2018 beginnen die Bautätigkeiten“

Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft: Bessere Politik für den Mittelstand

Foto: Wirtschaftsrat

S.E. Sir Sebastian Wood: „Wir verlassen die EU, aber nicht Europa“ Nur einen Tag nach der Grundsatzrede der britischen Premierministerin Theresa May zur Brexit-Strategie Großbritanniens, sprach der britische Botschafter S.E. Sir Sebastian Wood Botschafter des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland auf dem Hauptstadtfrühstück. Er stellte die wichtigsten Punkte aus Mays Rede vor und sagte „Es ist wichtig zu wissen, was die Premierministerin im Wortlaut gesagt hat, anstatt sich auf Medienberichte zu verlassen“. So sei das Ergebnis des Referendums keine Wahl gegen die Werte der EU gewesen und es für Großbritannien von nationalem Interesse, dass die EU auch weiterhin erfolgreich sein werde. Neben der engen Zusammenarbeit mit der EU für den Fortschritt in der Wissenschaft, Forschung und Technologie, strebe das Vereinigte Königreich zudem den Abschluss eines umfangreichen und ehrgeizigen Freihandelsabkommens mit der EU an. Prioritär wäre jedoch, dass das Land wieder selbstbestimmt v.l.n.r.: S.E. Botschafter Sir Sebastian Einwanderung und RechtspreWood, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Dr. Nikolaus Breuel chung regulieren könne.

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Zum Neujahrsforum hatte der Landesverband Sachsen Dr. Hermann Otto Solms als Gast eingeladen. Landesvorsitzende Simone Hartmann konnte neben zahlreichen Vertretern aus Politik und Wirtschaft auch Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert begrüßen. Sie formulierte klare Forderungen für das Bundestagswahljahr 2017. Dr. Hermann Otto Solms gab in seiner Rede zahlreiche Impulse zur politischen Rückbesinnung auf das, was Deutschland in den letzten 70 Jahren Dinner-Buffet zum Neujahrsempfang wirtschaftlich so erfolgreich Dr. Hermann Otto Solms gemacht hat: Die Soziale Marktwirtschaft und die Konzentration des Staates auf seine Rahmen setzenden und sichernden Kernaufgaben. Die ­Diskussion riss unter den Gästen auch beim Dinner-Buffet nicht ab. Mit Blick auf die stetig steigenden Steuereinnahmen des Staates und dem Aufbau von Bürokratie bei gleichzeitiger Vernach­lässigung dringend notwendiger Investitionen, wie etwa in Infrastrukturen, ist hier dringend ein Umdenken erforderlich, waren sich die Unternehmer einig. Ebenfalls einhelliges ­Resümee: Ein gelungener Jahresauftakt für den Landesverband mit klaren Botschaften für 2017.

Foto: Christian Scholz

Was passiert nach der Eröffnung des Flughafens BER mit dem Flughafen Tegel? Dieser Frage stellte sich Dr. Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, im Expertengespräch des Wirtschaftsrates. Dr. Bouteiller zeigte eindrucksvoll, wie auf dem Areal des Flughafens, in den nächsten 20 Jahren „Berlin TXL – The Urban Tech Republic“, ein Forschungs- und Industriepark für die Stadt der Zukunft entstehen Dr. Philipp Bouteiller erläutert Unternehmern soll. Auf einem Flächender Metropolregion die Nachnutzung des ­Flughafens Berlin-Tegel. potential von 150.000 m² soll ein dichtes Netz aus Hochschulen, Gründerunternehmen, Industrie und Instituten entstehen, die urbane Technologien für die Städte von morgen konzipieren, produzieren und exportieren. Bis zu 1.000 große und kleinere Unternehmen mit rund 17.500 Beschäftigten sollen am Standort TXL forschen, entwickeln und produzieren. Im Fokus von Berlin TXL steht, was die Metropolen des 21. Jahrhunderts am Leben erhält: der effiziente Einsatz von Energie, nachhaltiges Bauen, umweltschonende Mobilität, Recycling, die vernetzte Steuerung von Systemen, sauberes Wasser und der Einsatz neuer Materialien.

mit

Thüringen Frühstücksgespräch mit Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee „Marketing Thüringen – Boomland Thüringen, Ferienland, Tourismus, Verkehr“ überschrieb die Sektion Erfurt die Diskussionsrunde mit Wolfgang Tiefensee, Thüringens Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft. Nach seiner umfassenden und durchaus kritischen Bestandsaufnahme zur aktuellen Positionierung des Freistaats lag der Fokus der Beispiele in den Diskussionsbeiträgen auf dem Schwerpunkt Tourismus. Häufig würden Angebot sowie Leistungsmöglichkeiten und teilweise auch Motivation nicht die Versprechen der Tourismusverantwortlichen bestätigen können. Die Unternehmer nahmen die Einladung des Ministers gerne an bei der Neufassung der Tourismuskonzeption 2017 unter dem Titel „Natur & Kultur“, der auch Programm sein wird, mitzuarbeiten. Das Auditorium begrüßte zudem den gelungenen – und aus Sicht des Ministers entscheidenden Schritt für dessen Vorbereitung: Staatssekretäre aller Ressorts sind in den Prozess einbezogen. Das Gespräch wird – waren sich Kabinettsmitglied und die Beteiligten um Sektionssprecher Dr. Zusammenarbeit bekräftigt – MinisWolfgang Weisskopf einig – in zwölf ter Wolfgang Tiefensee (re.) mit Sektionssprecher Dr. Wolfgang Weisskopf Monaten fortgesetzt. Sei

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Foto: Wirtschaftsrat

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Brüssel

Hessen

Malta übernimmt erstmals den Staffelstab

Dr. Michael Meister: Deutschland steht vor großen Herausforderungen

Im Rahmen des Dreiervorsitzes, bestehend aus dem niederländischen, dem slowakischen und dem maltesischen Vorsitz, übernimmt die Republik Malta erstmals bis zum 30. Juni 2017 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Neil Kerr, Botschafter und Stellvertretender Ständiger Vertreter der Republik Malta bei der Europäischen Union, präsentierte die Prioritäten: Malta wolle die Weiterentwicklung des gemeinsamen Binnenmarktes voranbringen, insbesondere im Bereich Digitales die Themen Roaming, Geoblocking und die Gigabit-Society. Weitere Binnenmarktdossiers seien die Energiesicherheit sowie die Analyse des von der Kommission erarbeiteten ‚Clean Energy Package‘. Im Bereich Migration müsse das europäische Asylsystem Dublin II reformiert werden, sagte Kerr. Die Sicherheit der Bürger zu gewährv.l.n.r.: Der Maltesische Botschafter leisten sei verpflichtend ebenso wie Neil Kerr mit dem Landesvorsitzenden des Wirtschaftsrates Brüssel Chrisdie Zusammenarbeit bei den Grenztoph-S. Klitz kontrollen verstärkt werden müsse.

Niedersachsen

„Wir haben die komfortable Situation, dass wir 2016 einen Überschuss erzielen konnten. Das ist in der Geschichte Deutschlands nicht allzu oft vorgekommen“, freute sich Dr. Michael Meister, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzminister. Betrachte man alle öffentlichen Kassen im Bundesgebiet, so habe man seit 2012 kein Defizit mehr. „Wir stehen jedoch vor erheblichen demografischen Herausforderungen. Und unsere Infrastruktur stellt Anforderungen an uns“, sagte Meister. Die Investitionen seien jedes Jahr um fünf ­Prozent gestiegen. „Wir gedenken diese Investitionssteigerungen weiterzuführen.“ „Angesichts der Sicherheitslage werden größere Anforderungen auf uns zukommen“, bestätigt Meister. „Wenn Deutschland den NATO-Verpflichtungen nachkommen will, dann heißt das, dass zwei Prozent der Jahreswirtschaftsleistung für die äußere Sicherheit, also die Bundeswehr, aufzubringen sind. Derzeit geben wir 1,2 Prozent aus.“ Das seien 20 Milliarden Euro mehr. So unrealistisch das sei, Deutschland stehe ­dennoch vor Alltagsproblemen, die diese Thematik aufgreifen. Investitionen und Schuldentilgung seien notwendig, mit Blick auf die politische Situation Deutschlands, aber in Maßen ­anzugehen.

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Die Landesvorsitzende Anja Osterloh begrüßte auf dem Neujahrsempfang knapp 200 Unternehmer aus ganz Niedersachsen, um traditionell an den Geburtstag Ludwig Erhards zu erinnern, der sich 2017 zum 120. Mal jährte. Werner M. Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrats, sprach von der Notwendigkeit, optimistisch zu bleiben, auch wenn die Distanz zwischen Bürgern und Eliten größer geworden sei. Optimismus sei für Unternehmer lebenswichtig und erfordere beständiges Tun: „Familienunternehmen und Mittelstand bilden eine wichtige Säule des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Sie stehen für nachhaltiges Wirtschaften, Wertegebundenheit und hohe soziale Verantwortung. Unser Ziel ist es, die Stimme dieser Unternehmen in Politik und Gesellschaft zu Gehör zu bringen“, erklärte Bahlsen. Gastredner Dr. Bernd Althusmann gab sich selbstkritisch: „Wir Politiker müssen besser zuhören und stets darüber nachdenken, ob uns das immer ausreichend gelingt. Das Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft gelinge v.l.n.r.: Gastredner Dr. Bernd Althusmann, Landesnur, wenn kontinuierlich vorsitzende Anja Osterloh, Wirtschaftsrats-Präsident dafür gearbeitet werde“, Werner M. Bahlsen und der Celler Sektionssprecher Dr. Hermann Schünemann so Althusmann.

Dr. Michael Meister MdB, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sprach vor der Sektion Odenwald über Deutschlands finanzielle Situation

Das Strafrecht muss angepasst werden – Eva Kühne-Hörmann in der Sektion Frankfurt Es ist viel los im Justizministerium: Das Thema „Social Bots“ beschäftigt die hessische Landesregierung seit Monaten. Eine Gesetzesvorlage liegt jetzt dem Bundestag vor. Eva Kühne-Hörmann, Hessische Ministerin der Justiz, gab hierzu einen judikativen Rundumblick auf dem Frankfurter Unternehmerfrühstück. „Heute lief eine Razzia gegen mutmaßliche IS-Unterstützer in Hessen. Erfolgreich ist der Haupttatverdächtige festgesetzt worden. Derzeit wird er dem Haftrichter vorgeführt.“ Kühne-Hörmann wirkt gefasst, betitelt Terroranschläge als Stresstests. Sie streitet für eine Verteidigung des Rechtsstaats. „Nur Sicherheit gewährt Freiheit”, so Kühne-Hörmann. Hessen wirbt seit Ende 2016 gemeinsam mit Bayern und Sachsen-Anhalt für einen Gesetzentwurf zur „Bekämpfung des Problems der maEva Kühne-Hörmann, sche Justizministerin nipulativen Kommunikation im Internet“.

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Foto: Wirtschaftsrat

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Stimme des Mittelstands in die Politik tragen

Hessi-


Nachfolgeplanung In Familienhand bleiben Die Nachfolge entscheidet – über die Zukunftsfähigkeit Ihres Familienunternehmens und den Zusammenhalt Ihrer Unternehmerfamilie. PwC und INTES Akademie für Familienunternehmen begleiten Sie bei der Entwicklung und Umsetzung Ihres Nachfolgeprozesses. Inhaberstrategisch, rechtlich, steuerlich, zukunftsweisend. Integriert und aus einer Hand. Wann sprechen wir über (über)morgen? www.pwc.de/familienunternehmen

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© 2017 PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC“ bezieht sich auf die PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die eine Mitgliedsgesellschaft der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) ist. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.

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Vorstandswahl: Dr. Michael Moeskes führt erneut Wirtschaftsrat an

Foto: Wirtschaftsrat

Auf der Mitgliederversammlung des Wirtschaftsrates wurde der Magdeburger Rechtsanwalt, Dr. Michael Moeskes, erneut zum Landesvorsitzenden gewählt. Als weitere Mitglieder des Landesvorstandes wurden gewählt: Matthias Freiling, Geschäftsführer, HR-ARENA GmbH – Repräsentanz Sach­ sen-Anhalt, Dessau-Roßlau; Christian Granitzki, Geschäftsführer, Genthiner Maschinen Vorrichtungsbau GmbH, Genthin; Jens Hennicke, Leiter der Landesvertretung, Techniker Krankenkasse Sachsen-Anhalt, Magdeburg; Michael A. Hoffmann, Unternehmensberater, HoffmannBusinessServiceConsulting, Magdeburg; Peter Löbus, Stabsstellenleiter Alternative Versorgungen, AOK Sachsen-Anhalt, Magdeburg; Sirko Scheffler, Geschäftsführer, brain-scc GmbH, Merseburg; Daniel Trutwin, Geschäftsführer, MWG Oberflächenveredlung GmbH, Wernigerode und Friedrich Weiss, Rechtsanwalt, Rechtsanwaltskanzlei Friedrich Weiss, Halle. „Wir fordern die Landesregierung auf, das Thema Digitalisierung beherzter in Angriff zu nehmen sowie die Zuständigkeiten zu bündeln“, sagte Moeskes. Die Landesregierung habe

Neu gewählter Landesvorstand: Dr. Michael Moeskes, Matthias Freiling, Christian ­Granitzki, Jens Hennicke, Michael A. Hoffmann, Peter Löbus, Sirko Scheffler, Daniel Trutwin, Friedrich Weiss

Schleswig-Holstein Klares Bekenntnis zu den beruflichen Schulen Für Daniel Günther, Landes- und Fraktionsvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein und Spitzenkandidat, ist klar: Die Verzahnung von Theorie und Praxis an den beruflichen Schulen ist eine der besten Chancen, die Probleme Nachwuchskräftemangel und mangelnde Ausbildungsreife zu überwinden. „Die Bedeutung der Beruflichen Schulen wird weiter zunehmen.“ Sie würden unterschätzt, obwohl sie mehr Schüler zum Abschluss führten als die allgemeinbildenden Schulen. Trotzdem könne man eine Bevorzugung der Allgemeinbildenden Schulen durch die Landesregierung registrieren. „Ja, wir brauchen auch mehr Daniel Günther spricht in Oldesloe über Bildung in Schleswig-Holstein Ingenieure in Schleswig-Holstein“, sagte Günther beim Wirtschaftsrat in einer beruflichen Schule in Oldesloe. Doch zwei Drittel der offenen Stellen seien in nicht akademischen Bereichen zu finden. Man müsse sich also die Frage stellen, welche Absolventen das Land brauche. „In zehn Jahren fehlen uns 100.000 Menschen in nicht akademischen Berufen“, befürchtet Günther. Auch gebe es Diskussionsbedarf in Form einer Qualitätsdebatte. kp

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Herausgeber: Werner Michael Bahlsen, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V.

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nach Eindruck des Wirtschaftsrates noch nicht erkannt, dass es sich nicht nur um einen zentralen Bereich der Wirtschaft und der Politik handle. Die Landesregierung wird aufgefordert, ihre „Vergabepolitik gerade im IT-Bereich zu überdenken und zu erkennen, dass viele Unternehmen in Sachsen-Anhalt hier ausgesprochen leistungsfähig sind und sehr wirtschaftlich operieren.“ Digitalisierung sei Industriepolitik, so Moeskes.

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Sachsen-Anhalt


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Börsen-Zeitung vom 26.01.2016

In einem Kommentar betont Wolfgang Steiger, dass Frankfurt das Zeug zur neuen europäischen Finanzcity hat: „Mit dem Brexit wird ein Teil des Geschäfts aus London abwandern. Wir Deutschen müssen dies als Chance begreifen.“

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Im Spiegel der Presse ImSpiegel

WIRTSCHAFTSRAT Forum

Handelsblatt vom 06.12.2016 Werner Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrates, fordert zum CDU-Parteitag, dass sich die Partei angesichts sprudelnder Steuer­einnahmen „klar gegen Steuererhöhungen wenden“ müsse. Weser Kurier vom 13.12.2016 Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, fordert in einem Gastbeitrag zur Rentenpolitik: „Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag!“

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.01.2017 „Die wiedergewonnene Stabilität der FDP begrüße ich ausdrücklich“, betont Wolfgang Steiger.

Fuldaer Zeitung vom 21.02.2017 „Durch weitere Zugeständnisse an Griechenland geht noch mehr Vertrauen in das europäische Projekt verloren, warnt Prof. Hans Helmut Schetter, Vizepräsident des Wirtschafts­rates.

Bürger und Unternehmen sollten durch eine groß angelegte Steuerreform in einem Umfang von 30 Milliarden Euro entlastet werden, fordert Wolfgang Steiger.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 03.02.2017 Wolfgang Steiger fordert eine schnelle Reaktion der Bundesregierung auf mögliche Steuersenkungen in den USA und in Großbritannien. „Wir müssen ganz klare Botschaften nach Washington und London senden. Wenn Ihr die Steuern senkt, ziehen wir nach!“

Welt am Sonntag vom 20.11.2016 Wolfgang Steiger kritisiert Vermögenssteuerpläne: „Die schlimmsten Nebenwirkung dieser Besteuerung von Betriebsvermögen ist der Substanzverzehr der Eigenkapitaldecke. Sie zwingt Gesellschafter zu hohen Entnahmen selbst in Zeiten ohne Unternehmensgewinn.“

Süddeutsche Zeitung vom 06.02.2017 Der Wirtschaftsrat lehnt die Idee ab, die staatliche Schuldenaufnahme in der Euro-Zone neu zu organisieren und dazu verbriefte Anleihe-Pakete an Investoren zu verkaufen. ­Wolfgang Steiger warnte, das Konzept berge die Gefahr, dass „Eurobonds durch die Hintertür“ eingeführt werden.

Passauer Neue Presse vom 13.01.2017

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.02.2017

Scharfe Kritik vom Wirtschaftsrat am EEG: „Die Rekordkosten im Jahr 2016 von über 31 Milliarden Euro, ohne dass die C02-Emissionen sinken, untermauern den derzeitigen Blindflug in der Energiewende“, erklärte Wolfgang Steiger.

In einem „Digitalen Memorandum“ vor dem Wirtschaftstag der Innovationen moniert der Wirtschaftsrat, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung um Jahre hinterher hinkt.

Badische Neueste Nachrichten vom 16.01.2017

Handelsblatt vom 24.01.2017 „Nicht weniger, sondern mehr Handel bietet Menschen weltweit Aufstiegschancen und Wohlstand“, mahnt Wolfgang Steiger in einem Gastbeitrag zum Thema Globalisierung.

Weser Kurier vom 25.01.2017 „Die Steuereinnahmen sprudeln“, betont Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, und fordert in einem Gastbeitrag breite Steuerentlastungen in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro.

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ARD, Bericht aus Berlin am 19.02.2017 Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, zieht ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro als finale Lösung in Betracht: „Wir müssen den Griechen jetzt klarmachen, dass in Europa verbindliche Regeln gelten.“ Die Welt vom 22.02.2017 Der Wirtschaftsrat hält den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Begrenzung von Managergehältern für nicht grundgesetzkonform. „Der Gesetzentwurf ist Wahlkampfgetöse und für das Schaufenster geschrieben“, analysiert Wolfgang Steiger.

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63 Knapp zwei Drittel – 63 Prozent – der Deutschen sehen ihren eigenen Wohlstand durch Trumps ­Protektionismus gefährdet.

252,9 Die deutsche Wirtschaft hat 2016 einen ­Rekord-Exportüberschuss erzielt. Die Ausfuhren übertrafen die Einfuhren um 252,9 Milliarden Euro. Damit ist der bisherige Höchstwert von 244,3 Milliarden Euro aus dem Vorjahr deutlich übertroffen worden.

Quelle: Forsa-Institut

6,6 2016 sind Wohnungen und Häuser in Deutschland im Schnitt um 6,6 Prozent teurer geworden. Das ist der höchste Anstieg seit zehn Jahren. Quelle: Vdp-Immobilienpreisindex

Zahlen des Quartals

Quelle: Statistisches Bundesamt

94,2 Im Jahr 2016 summierten sich chinesische Direktinvestitionen in Nordamerika und Europa auf den Rekord von 94,2 Milliarden Dollar – und damit mehr als das Doppelte des Vorjahrs. Beide Regionen steuerten jeweils etwa die Hälfte bei: Europa 46 Milliarden Dollar, Nordamerika 48 Milliarden Dollar. Quelle: Baker-McKenzies

2,4 Ältere Menschen sind von Armut weniger betroffen als die übrige Bevölkerung. In der Gruppe der über 65-Jährigen beträgt der Anteil nur 2,4 Prozent. Quelle: Eurostat

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1,2 In der ersten Januarwoche – und dann wieder von der Monatsmitte an – stellten rund 26.000 Windkraftanlagen und mehr als 1,2 Millionen Solaranlagen ihre Arbeit für lange Zeit ein. Verantwortlich war eine sogenannte Dunkelflaute: Ein für diese Jahreszeit typisches Hochdruckgebiet. Quelle: Agora Energiewende

16,8 Die Zustimmungswerte für die Partei Syriza des grie­ chischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras sind seit der ­Parlamentswahl im Jahr 2015 von 35,5 auf aktuell 16,8 Prozent gefallen. Quelle: Handelsblatt Morning Briefing

Ob Minijobs, Steuerlast-Verteilung oder die Armut, nichts ist vor postfaktischer Argumentation mancher Wohlfahrtsorganisation oder der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sicher. Fakten werden hingebogen, bis sie das eigene Weltbild bestätigen und kampagnenfähig gemacht sind. In Deutschland werden Gerechtigkeits­ lücken und Benachteiligungen niedriger Einkommensbezieher konstruiert. So wurden kürzlich, um angebliche Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn zu belegen, statt aktueller Daten des Statistischen Bundesamtes Ergebnisse einer Haushaltsumfrage von 2015 verwendet. Da war der Mindestlohn gerade erst eingeführt worden. SPD, Linke und Grüne nehmen diese verbogenen Fakten für bare Münze und springen mit Forderungen nach mehr Kontrolle und höherem Mindestlohn auf. Schon im Dezember veröffentlichte die Hans-Böckler-Stiftung eine Studie, mit der sie nachweisen wollte, dass die Bezieher niedriger Einkommen annähernd so viel Steuern – Einkommensteuer und Verbrauchssteuern – zahlen wie die Bezieher höherer Einkommen. Um auf das gewünschte Ergebnis eines angeblich ungerechten Steuersystems zu kommen, wurde der Bezug von Hartz IV und anderen Transferleistungen wie normales Einkommen eingestuft, nicht als Umverteilungsmaßnahme. Der Haken an dieser Rechenkonstruktion: Die Mehrwertsteuer wird bei der Berechnung der Leistungssätze selbstverständlich einbezogen. Würde also die Mehrwertsteuer steigen, stiegen auch die Sozialleistungen von Hartz IV bis zum Kindergeld automatisch. Wir werden uns in diesem Wahljahr auf mehr solcher propagandistischer Tricks einstellen müssen. TREND 1/2017

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