TITEL Ampel-Koalition
Text: P eter Hahne
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zu. „Hierauf ist Deutschland nur unzureichend vorbereitet, vielleicht eines der größten Versäumnisse der Ära Merkel“, kritisiert Kooths. Doch solange die Wirtschaft einigermaßen rund läuft, wächst nicht gerade das Problembewusstsein. Immerhin dürften dieses Jahr mehr als zwei Prozent Wachstum erreicht werden, 2022 aus heutiger Perspektive sogar fast fünf Prozent. Im Laufe des kommenden Jahres sollte die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der Konjunkturforscher den Corona-Einbruch jedenfalls hinter sich gelassen haben und ihr Vorkrisenniveau erreichen. Gerne verdrängt wird dabei indes, dass der Aufholprozess in Europa deutlich langsamer verläuft als in den dynamischen Volkswirtschaften der USA und Chinas. Und dass die Corona-Krise mit Blick auf das langfristige Wachstum gar nicht das größte Problem ist. Schwerer wiegt, dass sich in den letzten Jahren ein erheblicher Investitionsstau aufgebaut hat. Die Denkfabrik Agora Energiewende und das Forum New Economy beziffern den Investitionsbedarf für Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung bis 2030 auf 580 Milliarden Euro. Die mutmaßlichen Koalitionspartner wollen die Schuldenbremse einhalten, haben aber noch kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie die gewaltigen Finanzmittel aufgebracht werden sollen.
Wachstum ankurbeln Ist Deutschland dafür gerüstet? Bestenfalls bedingt, wenn man sich die desolate Lage der Nach-Merkel-CDU und das bisweilen kleinteilige Geschacher der Ampel-Koalitionspartner in spe ansieht. So geht zum Beispiel in der öffentlichen Debatte unter, dass das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft schon in den nächsten fünf Jahren wegen der Alterung der Gesellschaft um ein stattliches Drittel zurückgehen dürfte. Mehr als ein Prozent Wachstum ist dann selbst in guten Zeiten kaum mehr möglich. „Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange – in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre wird sich dieser Trend fortsetzen“, prognostiziert Stefan Kooths, Konjunkturchef beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Schwindet das Wachstum, schwindet auch die Quelle für Wohlstandszuwächse, Verteilungskonflikte nehmen
Foto: HC Plambeck
eutschland steht vor großen Herausforderungen. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik sind die Weichen von der neuen Bundesregierung neu zu stellen, um Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Viel steht auf dem Spiel. Denn die über viele Jahre praktizierte Krisenpolitik mit Negativzinsen, ausufernden Staatshilfen und zunehmenden Sozialausgaben schwächt zunehmend die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft. „Längst geht es auch um den Erhalt unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung”, stellt Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates, klar. Denn eins lässt sich nicht mehr leugnen: Nachdem der Staat während der Pandemie im Dauerkrisenmodus operierte, Staatsbeteiligungen einging und großzügig Milliardenhilfen verteilte, muss die Politik jetzt rasch zu einer gestaltenden Haltung und zu ihrer Schiedsrichterfunktion im Wirtschaftsleben zurückfinden. Die Zukunft ist schon da, aber keines der drängenden Probleme, die durch die Corona-Notlage nur in den Hintergrund gedrängt wurden, ist gelöst. Nach Corona ist für die Wirtschaftspolitik vor Corona, nur dass
inzwischen wertvolle Zeit verstrichen ist, ohne dass sich die Politik den großen Zukunftsfragen gestellt hätte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung diagnostiziert einen „Epochenumbruch”, gekennzeichnet durch die digitale Revolution, Klimawandel, den Umbau der Industriegesellschaft und die Alterung der Gesellschaft.
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Stagflation droht Erschwerend hinzu kommen die seit Jahren stockende Globalisierung und die Lieferengpässe bei Chips und wichtigen Rohstoffen. Letztere mögen sich bald auflösen, auch der Effekt hoher Energiepreise sollte im Kern ein vorübergehendes Phänomen für das Inflationsgeschehen bleiben. Nichtsdestotrotz sorgen langfristig steigende CO2-Preise, der Fachkräftemangel und die alternde Gesellschaft dafür, dass Ökonomen ernsthaft die Gefahr einer Stagflation diskutieren. „Aus der Melange von höheren Inflationsrisiken und potenziell schwächerem Wachstum kann bei allen Unterschieden zu den 1970er Jahren tatsächlich wieder eine Stagflation resultieren”, warnt Michael Hüther. Der Direktor
TREND 3/4 2021