TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 4/2019

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41. JAHRGANG 4 / 2019

Europäische Union:

Handelspolitik aktiv gestalten TOP-INTERVIEW

Annegret Kramp-Karrenbauer SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT

Unternehmer zeigen den Kurs für Deutschland auf

ENERGIE UND KLIMASCHUTZ

Wie die Energiewende noch gelingen kann


Willkommen im erneuerbaren Zeitalter. Wir stehen fĂźr sauberen, sicheren und bezahlbaren Strom. Wir investieren Milliarden in Erneuerbare Energien und Speicher. Wir haben ein klares Ziel: klimaneutral bis 2040. Willkommen bei der neuen RWE.


EDITORIAL

Foto: Nell Killius

E

Astrid Hamker Präsidentin des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

rleben wir einen „Herbst des Unbehagens“, wie ein Artikel des Herausgebers der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Gerald Braunberger, am 9. November gerade überschrieben war? Wenn ich die ­ aktuelle Entwicklung betrachte, muss ich das bejahen. Die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen bereiten mir große Sorgen um die innere Stabilität und das ­ Parteiensystem unseres Landes. Ich glaube nicht, dass die Umverteilungspolitik der letzten Jahre, die jetzt mit der Grundrente und einer wenig überzeugenden Einkommensprüfung ihren jüngsten Höhepunkt fand, Vertrauen zurückgewinnen hilft. Die Wähler haben bisher schon neue Wohltaten nicht goutiert, warum sollten sie jetzt in Begeisterung geraten?

Titelbild: AdobeStock©Idanupong

Die Aufmerksamkeit der Bundesregierung ist zu wenig darauf gerichtet, Deutschland wetterfest zu machen.“ Die Aufmerksamkeit der Bundesregierung ist zu wenig darauf gerichtet, Deutschland wetterfest zu machen. Wir brauchen in den nächsten Monaten vor allem positive Weichenstellungen für die Zukunft unseres Industriestandortes. Im beschlossenen Klimapaket wurde statt auf eine CO2-Steuer auf den Einstieg in den Emissionshandel gesetzt, wie der Wirtschaftsrat dies gefordert hatte. Dennoch bleiben die Strompreise bei einem Staatsanteil von 54 Prozent die höchsten in Europa. Weil die Standortkosten und auch bürokratische Hemmnisse weiter steigen, sinkt die Wettbewerbsfähigkeit

4/2019 TREND

Deutschlands in den internatio­nalen Rankings, wie zuletzt in dem des Weltwirtschaftsforums. Gleichzeitig weisen alle wichtigen Konjunktur­ indikatoren nach unten. Es ist Aufgabe der Unionsparteien als Parteien der Sozialen Marktwirtschaft die Wirtschaftspolitik wieder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken. Peter Altmaier kann mit seiner Industriestrategie, die er vor ein paar Wochen um eine Mittelstands­strategie ergänzt hat, nicht als einzelner ­„Vorturner“ auf der Bühne stehen. Die Wirtschaftspolitik – dabei insbesondere eine konsistente Industrie- und Mittelstandspolitik mit Entlastungen für die Betriebe – muss in der Bundesregierung und in der CDU wieder zur Chefsache gemacht werden. Auch Europa braucht zum Start der neuen EU-Kommission unter Leitung Ursula von der Leyens eine Wachstumsstrategie, die auf digitale Zukunftstechnologien wie auch die ­ Stärkung der europäischen Industrie setzt. Das kam im Bewerbungs­ verfahren zu kurz und muss nachgesteuert werden. Wir wollen nicht, dass sich Europa immer weiter zu einer Transferunion entwickelt. Es gibt viele Themen, die wir gemeinsam für unser Land und ­ Europa voranbringen müssen. Ich ­ freue mich dabei auf Ihre Unterstützung.

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INHALT

Inhalt

START

Foto: CDU/Laurence Chaperon

EDITORIAL 3  Astrid Hamker AUSSENANSICHT 6 Die Grünen: Erfolg auf Zeit  Ansgar Graw

TITEL

8 TOP-INTERVIEW „Wir wollen die Steuerlast von Unternehmen bei höchstens 25 Prozent deckeln“ TREND sprach exklusiv mit der Bundes­ verteidigungsministerin und CDU-­ Partei­ vor­sitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer darüber, wie die Union Wähler zurückgewinnen will, die Sicherung des Indus­ triestandortes Deutschland, eine Unternehmenssteuerreform, den Klimaschutz und die Rente.

INTERNATIONALER HANDEL 18 Europäische Union: ­Handelspolitik aktiv gestalten!  Peter Hahne 24 Lost in Translation  Prof. Dr. Michael Hüther

37 Digitalisierung braucht mehr Wettbewerb  Ulrich Leitermann UNTERNEHMENSBEWERTUNG 38 Werte entscheiden über die Bilanz der Zukunft  Petra Justenhoven  Saori Dubourg  Christian Heller

ENERGIE UND KLIMASCHUTZ 30 Energiewende ­marktwirtschaftlicher gestalten  Andreas Feicht 32 Potential von Recycling vernachlässigt  Herwart Wilms 34 Strom: sauber, sicher und bezahlbar  Dr. Rolf Schmitz

10 SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT Kurs für Deutschland Kurz bevor die drei Koalitionspartner in der Bundesregierung auf Wunsch der SPD zur Halbzeit-Bilanz über die aus dem ­ Koalitionsvertrag umgesetzten Erfolge ihres Regierungsbündnisses ziehen und sie auf ihren Parteitagen diskutieren, haben die Unternehmer und Wirtschaftspolitiker, die sich im Präsidium des Wirtschaftsrates engagieren, die Themen benannt, die sie der Großen Koalition empfehlen, in der zweiten Halbzeit ­anzugehen.

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INTERVIEW 8 „Wir wollen die Steuerlast von Unternehmen bei höchstens 25 Prozent deckeln“  Annegret Kramp-Karrenbauer SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT 10 Kurs für Deutschland – Das fordern Präsidiumsmit­ glieder des Wirtschaftsrates

Foto: AdobeStock©M. Johannsen

Fotos: Fotolia.com; Fotofinder.net; Jens Schicke

AKTUELL

TREND-GRAFIK 16 Eine Positivbilanz UNTERNEHMENSSTEUERREFORM 26 Unternehmenssteuerrecht ­modernisieren  Fritz Güntzler MdB NTERNEHMENSSTRAFRECHT U 28 Falsches Rezept  Dr. Björn Demuth DIGITALISIERUNG 36 Offene Netzwerke: Ein ­Erfolgskonzept für Innovation  Albrecht Kiel

18 TITEL Europäische Union: Handelspolitik aktiv gestalten! Die großen tektonischen Platten der Weltwirtschaft sind stark in Bewegung geraten. Durch neue Wachstumsmärkte, technologische Umbrüche und die Rückkehr einer protektionistischen Handelspolitik spitzen sich die Interessenkonflikte der großen Wirtschaftsmächte zu. Europa sollte eine eigenständige Handelsagenda betreiben, mit der es ein offenes, liberales Welthandelssystem ­geschlossen durchsetzt.


INHALT

WIRTSCHAFTSRAT KLIMASCHUTZ 40 Klein-Klein statt großer Wurf

INNENANSICHT 44 Neues aus den Kommissionen

EUROPÄISCHE ENERGIEPOLITIK 41 Wettbewerbsfähig, innovativ und nachhaltig

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 46 Junger Wirtschaftstag ENGAGEMENT 48 „Wo ist die gelebte Wert­schät­ zungskultur für Fleißige?“ Dr. Dirk Schröter

WIRTSCHAFTSRAT EXKLUSIV 43 Neuer Partner ROTONDA Business Club

30, 32, 34, 40, 41 ENERGIE UND KLIMASCHUTZ

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 50 Rückblick | Einblick | Ausblick 56 Impressum

Foto: Jens Schicke

STANDPUNKT STEIGER 42 Union muss am Ball bleiben

FORUM 57 Im Spiegel der Presse 58 Zahlen des Quartals 58 Spindoktor

Wie die Energiewende noch gelingen kann Licht und Schatten beim Klimaschutz­ programm 2030 und Klimaschutzgesetz. Was bedeutet dies für die Energiewende? Welche Weichenstellung müssen jetzt vorgenommen werden? Leitlinien für mehr Marktwirtschaft, Effizienz und Innovation.

Gemeinsam machen wir das deutsche Gesundheitssystem zu einem TRENDder Welt. Erfahren Sie mehr unter www.pkv.de/linda der 4/2019 besten

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AUSSENANSICHT

Die Grünen: Erfolg auf Zeit V

ielleicht wird der 3. Juni 2019 einmal in den Geschichtsbüchern vermerkt: Erstmals sah ein renommiertes Umfrage­ institut, Infratest-Dimap, in seinem Deutschlandtrend die Grünen auf Platz 1, mit 26 Prozent einen Punkt vor der Union. Und schon mehrfach lagen, trotz einer historisch schwachen SPD, Grün-Rot-Rot gleichauf mit oder doch allenfalls einen Punkt hinter den anderen Parteien im Bundestag, CDU/CSU, FDP und AfD. Die Grünen sind inzwischen wieder zurückgefallen. Ohnehin soll man ja nur eine Umfrage wirklich ernst nehmen, nämlich die am Wahltag selbst, durchgeführt in den Wahllokalen. Aber die erkennbare Volatilität der demoskopischen Erhebungen macht klar, dass es auch wieder in die andere Richtung gehen kann. Seit dem besagten Montag im Juni ist nicht mehr auszuschließen, dass die Grünen nach der Bundestagswahl, wann immer sie

Ansgar Graw Foto: M. Lengemann

Chefreporter DIE WELT, WELT am Sonntag, www.welt.de, WELT-TV

kommen mag, das Kanzleramt beziehen. Und tatsächlich voraussagen lässt sich, dass es auf absehbare Zeit keine Regierungskoalition ohne grüne Beteiligung geben wird. Die Partei ist, wenn man so will, alternativlos. Wie sind die Grünen, vor allem im Westen, so stark geworden? Schließlich hatten sie bei der Bundestagswahl 2017 mit 8,9 Prozent nur knapp ihr Ergebnis von 2013 übertroffen und bilden seitdem die kleinste der sechs Fraktionen im Reichstagsgebäude. Vier entscheidende Faktoren für den danach einsetzenden und vor allem in Bayern und Hessen und bei der Europawahl zu besichtigenden Aufstieg der Umweltpartei lassen sich nennen: Die Schwäche der SPD, das Charisma ihres Führungsduos Robert Habeck und Annalena Baerbock, die Stärke der AfD – und schließlich die vermeintliche Allgegenwart des Klimathemas. Der erste Faktor: Dass die SPD kurzfristig wieder nennenswert zulegt, ist trotz der bevorstehenden Ausrufung einer Doppelspitze unwahrscheinlich. Das Problem der Sozialdemokraten besteht weniger in den Führungsfiguren – die man ja ­allmählich komplett durchprobiert hat – als im Fehlen einer überzeugenden

„Seit dem besagten Montag im Juni ist nicht mehr auszuschließen, dass die Grünen nach der Bundestagswahl, wann immer sie kommen mag, das Kanzleramt beziehen.“ 6

Idee – den Modernisierungskurs von ­Gerhard Schröder möchte man mitsamt den für Deutschland so wich­tigen Sozialreformen der Agenda 2010 vergessen machen. Aber eine Rückkehr zum Traditionalismus scheitert daran, dass die Industriearbeit­nehmerschaft in einer zunehmend digitalisierten Welt abhandengekommen ist. Der zweite Faktor: Habeck, der sympathische Schwiegersohn-Typ mit Gerade-erst-aufgestanden-Frisur und Dreitage-Bart, der trotz der feministischen Grundschwingungen im grünen Parteiapparat am Ende Kanzlerkandidat werden dürfte, bleibt ein Pfund für die Partei. Doch der vormalige Kieler Landesminister hat sich gewaltig blamiert, als er Ende September in einem ARD-Interview völlige Unkenntnis beim Thema „Pendlerpauschale“ offenbarte. Nun ist kein Politiker auf jedem Feld gleichermaßen sattelfest. Aber Spuren hinterlässt diese Panne schon. Drei Wochen später lag der Schriftsteller und promovierte Philosoph im Trendbarometer von RTL und n-tv zur Beliebtheit der Politiker zwar weiter ungefährdet auf Platz zwei hinter Angela Merkel. Doch er hatte drei Punkte verloren. Der dritte Faktor: Die Grünen profitieren gerade bei jungen Wählern davon, dass sie als entschiedenster Widersacher der AfD wahrgenommen werden. Fordern die Rechten die Schließung der Grenzen, klingen viele Reden der Grünen immer noch nach Open-Borders-Romantik. Das heißt: Solange die AfD stark bleibt, werden

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Fotos: Jens Schicke

Vier Gründe sprechen für den Aufstieg der Grünen – und einer dagegen. Aber eines lässt sich klar vorhersagen: Es wird erst einmal keine Regierungskoalition ohne die Grünen geben.


AUSSENANSICHT

auch die Grünen Zulauf erhalten. Wenn die AfD aber auf recht hohem Niveau stagniert, und so sieht es derzeit aus, ist irgendwann auch das Anti-AfD-Potential ausgeschöpft. Bleibt der vierte Faktor, und hier zeigt sich eine überraschende Schwäche der Grünen: Die globale Erwärmung schreitet voran. Doch die Panik, die Greta Thunberg der Menschheit verordnen wollte, wird nicht wirklich manifest. Trotz des Versuchs,

den Menschen eine CO2-Scham und eine Konsumentenscham einzureden, ­werden in Deutschland immer mehr SUV verkauft und Flugreisen gebucht. Und die Kids, die an Fridaysfor-Future-­Demonstrationen oder Blockaden von Extinction Rebellion teilnehmen, fordern zwar von den Erwachsenen ein Umdenken. Doch an ihren Smart­ phones und Streaming-Diensten halten sie fest – obgleich das Internet weltweit so viel

Strom frisst und Kohlendioxid produziert wie der globale Flugverkehr. Sollte es tatsächlich zu einer Rezession kommen – wofür manche Indikatoren sprechen, aber keinesfalls alle, würden nicht mehr alle Debatten um die Klimapolitik kreisen. Die Handelskonflikte, der Brexit, auch Syrien drängen in die Schlagzeilen. Die Grünen sind längst als Partner der Union denkbar, ob in einer Jamaika-Koalition oder als schwarz-grünes Duo. Allerdings sind sie, zusammen mit der Links-Partei, immer noch führend bei Verbotsforderungen in Gesetzentwürfen. In der Berliner Landesregierung befürworten Grüne sogar radikale Positionen bis hin zur schleichenden Enteignung von Vermietern über das Vehikel des Mietendeckels. Das Herz der Grünen schlägt weiterhin links der Mitte – auch wenn der Verstand ihnen sagt, dass sie derzeit mutmaßlich rechts von sich die U ­ nion brauchen, um wieder an die Regiel rung zu kommen.

So würden die Deutschen wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre … Allensbach Emnid

Forsa

Forsch’gr. Wahlen

GMS

Infratest dimap

(in Prozent)

INSA

Yougov

Bundestagswahl

CDU/CSU

29,5

26

26

27

27

26

25,5

27

32,9

SPD

16

16

13

14

14

14

15,5

13

20,5

GRÜNE

23,5

18

21

22

22

22

20,5

22

8,9

FDP

6,5

10

9

7

8

8

8

7

10,7

DIE LINKE 7

10

10

10

7

9

9,5

10

9,2

AfD

13

14

13

14

15

14

15

14

12,6

Sonstige

4,5

6

8

6

7

7

6

7

5

1.431

2.501

1.264

1.002

1.502

2.096

1.583

Teilnehmer 1.238

4/2019 TREND

Quelle: wahlrecht.de

Veröffentl. 16.10.2019 09.11.2019 09.11.2019 08.11.2019 08.10.2019 07.11.2019 12.11.2019 06.11.2019 24.09.2017

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AKTUELL Interview

sprach exklusiv mit der Bundesverteidigungsministerin und CDU-­Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer darüber, wie die Union Wähler zurückgewinnen will, die Sicherung des Industriestandortes ­Deutschland, eine Unternehmenssteuerreform, den ­Klimaschutz und die Rente. Das Interview führte Klaus-Hubert Fugger.

rem Leitantrag. Auch im Regierungshandeln muss dieser ­Ansatz deutlich werden. – Wie soll das Rentensystem auf eine nachhaltige, generationengerechte Grundlage gestellt werden? Die CDU Deutschlands macht eine Politik für alle Generationen. Und unser Grundsatz dabei ist klar: Leistung muss sich lohnen. Die demografische Entwicklung stellt uns vor große Herausforderungen, die wir lösen müssen. Deshalb hat die Bundesregierung eine Rentenkommission berufen. Ziel dieser Kommission ist es, Wege zu einer nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der Alterssicherungs­systeme ab dem Jahr 2025 zu finden und

Foto: CDU/Laurence Chaperon

– Frau Kramp-Karrenbauer, bei den Umfragewerten besteht für die Union Luft nach oben. Wie wollen Sie verlorene Wähler zurückgewinnen? Durch harte Arbeit und das Setzen richtiger Themen. Wir haben im Frühjahr gesehen, dass wir in einer der großen Zukunftsfragen, der Klimapolitik, keine überzeugenden Antworten hatten. Wir haben es über den Sommer geschafft, ein in sich geschlossenes Klimakonzept vorzulegen, gemeinsam mit der CSU. Das Klimapaket trägt in großen Teilen die Handschrift der Union. Wir steigen in die CO2-Bepreisung ein, wir arbeiten viel mit Anreizen, weniger mit Verboten. Wir beschleunigen Planung und wir sind technologieoffen.

„ Wir wollen die Steuer bei höchstens 25 Pro Auch beim Zukunftsthema Digitalisierung haben wir uns mit der Digitalcharta neu aufgestellt. So muss es ­weitergehen. Wir haben viel zu tun, beispielsweise ­wollen wir auf unserem Parteitag 2020 ein neues Grundsatz­ programm beschließen. Das Ziel dieses Prozesses ist klar: Auf festen Werten eine gute Zukunft bauen. Als starke Volkspartei der Mitte. – Der Leitantrag zur Sozialen Marktwirtschaft ist auch vom Wirtschaftsrat sehr positiv bewertet worden. Wie bewerten Sie die Chancen, die vielen guten ­Programmpunkte in Regierungshandeln umzusetzen? Der Leitantrag bietet viele gute Antworten für die Z ­ ukunft. Uns muss immer bewusst sein, Wohlstand ist nicht selbstverständlich, sondern muss hart erarbeitet wer­ den. Und erst dann können wir ans Verteilen denken. So ­wollen wir mehr Markt und Wettbewerb etwa in den Bereichen Klimaschutz, Energie, Verkehr und Dienstleistungen ­erreichen und benennen dies auch konkret in unse-

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damit das Fundament zu schaffen für einen neuen, verlässlichen Genera­tionenvertrag. Bis zum März 2020 soll die Kommission ihre Arbeit abschließen. – Vom Abbau des Solidaritätszuschlags profitieren nicht alle. Wie wollen Sie verhindern, dass der „Rest-Soli“ für alle über rund 70.000 Euro Jahreseinkommen dauerhaft als „Mittelstandssteuer“ erhalten bleibt? Die Beschlusslage der CDU ist ganz klar: Wir wollen den Soli komplett abschaffen. In dieser Legislaturperiode war das mit dem Koalitionspartner nicht machbar. 96,5 Prozent aller, die den Solidaritätszuschlag zahlen, werden nun entlastet. Das ist ein wichtiger erster Schritt, bei dem allein es aber nicht bleiben darf. – Seit zehn Jahren ist bei Unternehmenssteuern in ­Deutschland nichts mehr passiert. Dagegen setzen Großbritannien, Frankreich, Schweden und die USA erhebliche Steuer­entlastungen um.

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AKTUELL Interview

ren, sichere Jobs schaffen sowie zum steigenden und nachhaltigen Wohlstand beitragen können. Wir setzen dabei auf Innovationskraft und den ­Erfinderreichtum der Menschen. Wir wollen Anreize für Innovationen, forscherischen Erfindungsgeist und unternehmerischen Tatendrang setzen. Wichtig ist uns, dass wir das deutsche Unternehmertum im Blick behalten und gute Rahmenbedingungen erhalten. Dazu gehört, wie bereits angesprochen, unter anderem ein faires Unternehmenssteuerrecht, das den Veränderungen durch Digitalisierung und Internetwirtschaft Rechnung trägt. Wir wollen die steuerliche Benachteiligung der Eigenkapitalfinanzierung abbauen, die vor allem für Start-Ups sehr wichtig ist. Die Gewerbesteuer wollen wir dahingehend reformieren, dass sie Kommunen größeren Spielraum lässt, um Anreize zur Ansiedlung von

rlast von Unternehmen ozent deckeln“ Wie wollen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verbessern? In Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur müssen wir Impulse setzen, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das ist auch, aber nicht nur eine Frage des Steuerrechts. Wir müssen unsere Bürokratie entschlacken und das Planungsrecht beschleunigen. Auch deswegen werden wir auf dem anstehenden Parteitag unseren Leitantrag „Nachhaltigkeit, Wachstum, Wohlstand – Die Soziale Marktwirtschaft von morgen“ verabschieden. Dieser zeigt auf, wie wir unsere Soziale Marktwirtschaft stärken und sie nachhaltig und zukunftsfest weiterentwickeln wollen. Aber natürlich brauchen wir auch eine echte Unternehmenssteuerreform: Wir wollen insgesamt die Steuerlast von Unternehmen bei höchstens 25 Prozent deckeln. – Wie wollen Sie den Industriestandort Deutschland sichern? Wir brauchen Impulse, die den Standort Deutschland stärken, damit Unternehmen hier weiterhin produzie­

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Arbeitskräften zu setzen und so der Stadt/Umland-Problematik entgegenzuwirken. Und natürlich brauchen wir bezahlbare, sichere und saubere Energie, müssen wir noch stärker Bürokratie abbauen, das Planungsrecht entschlacken und so für Planungs- und Umsetzungsbeschleunigung sorgen. So setzen wir Anreize für Klimaschutz und beleben die Konjunktur. – Welche Rolle hat der Wirtschaftsrat für Sie? Der Wirtschaftsrat der CDU e.V. ist für uns ein wichtiger Partner und Impulsgeber. Sein Sachverstand, Rat, aber auch seine kritische Begleitung sind wertvoll und unverzichtbar. – Seit –  dem Wirtschaftstag Anfang Juni ist Astrid Hamker Präsidentin des Wirtschaftsrats. Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit? Wir haben ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Die l Zusammenarbeit klappt gut.

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AKTUELL Soziale Marktwirtschaft

Halbzeit für die Große Koalition: Was haben die Koalitionäre erreicht, wo heißt es ­nach­steuern. TREND hat die Mitglieder des ­Präsidiums des Wirtschaftsrates nach ihren Prioriäten für die zweite Halbzeit gefragt.

Kurs für Deutschland K

urz bevor die drei Koalitionspartner in der ­Bundesregierung auf Wunsch der SPD zur HalbzeitBilanz über die aus dem Koalitionsvertrag umgesetzten ­Erfolge ihres Regierungsbündnisses ziehen und sie auf ihren Parteitagen diskutieren, haben die 18 Unter­nehmer und Wirtschaftspolitiker, die sich im Präsidium des Wirtschaftsrates engagieren, die Themen benannt, die sie der Großen Koalition empfehlen, in der zweiten Halbzeit anzugehen. Eines ist klar: Alle Präsidiumsmitglieder halten ein flam­ mendes Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft im Sinne

Ludwig Erhards. Sie setzen sich ehrenamtlich aktiv dafür ein, dass unser erfolgreiches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell klug weiterentwickelt und den Zeichen der Zeit angepasst wird. Dazu gehören die Digitalisierung ebenso wie der demografische Wandel, Energiewende und Klimaschutz, aber auch das Thema freier Handel und Globa­lisierung und der Erhalt der Industrie. Entstanden ist aus den einzelnen Statements ein interessanter Mix an Forderungen über alle Politikressorts hinweg in den jeweiligen Sachthemen, den der Wirtschaftsrat der l Politik vorlegen wird.

Prof. Hans Helmut Schetter

Dr. Hugo Fiege Gesellschafter Fiege Logistik Holding Stiftung & Co. KG Greven

„Im Fokus steht das Ausbalancieren der politischen Schwerpunkte und nicht nur die Ausweitung des Sozialetats. Die Politik muss dazu schnell große ­ Schritte gehen: Die Instandsetzung und der Ausbau der Infrastruktur sollte rasant in Angriff genommen werden. Insbesondere das Schienen-Straßen-System sowie der Ausbau der digitalen Netze muss zwingend voran gebracht werden. Außerdem ist eine Reform der Unternehmenssteuer zur Herstellung der interna­ tionalen Wettbewerbsfähigkeit unabdingbar. Für die Entlastung der Klein- und Mittelständischen Unternehmen muss eine echte und wirksame Entbüro­ kratisierung erfolgen!“

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„Seit Jahren verfügt der Staat über historisch einmalig hohe, ständig gewachsene Steuereinnahmen. Dies hat dazu verführt, die Sozialleistungen auf eine Billion Euro aufzupumpen und via Gießkanne ohne Tiefenwirkung zu verteilen. Es hat aber auch dazu geführt, dass Probleme schnell und großzügig im Stil von Scheckbuchpolitik mit Budgets und hemds­ ärmelig mit Terminzielen versehen werden. Jedermann weiß, dass Geld allein noch keine ­Probleme löst und Termine oft hart erarbeitet werden müssen. Lösungen gehen maßgeblich über Prozesse, bestimmt von Leitung, Konzept, Plan und Monitoring des Realisierungsfortschrittes. Aufbau hochwertiger Kapazitäten, ob Infrastruktur und rollendes Material bei der Bahn, E-Mobi­lität, mehr Lehrer und mehr Pflegepersonal und vieles andere mehr erfordert auch bei großer A ­ nstrengung angemessen Zeit. Das Geld hat der Staat vom Steuerzahler. An seiner Umsetzungsperformance und redlichen ­ Kommunikation realistischer, oft steiniger Wege muss er sich messen lassen.“

TREND 4/2019

Fotos: privat

Vorsitzender Beirat KAMMERDIENER PEEGUT GRUPPE Seeheim-Jugenheim


AKTUELL Soziale Marktwirtschaft

Fotos: Fotolia.com; Fotofinder.net; Jens Schicke

Auftragseingang Verarbeitendes Gewerbe

ifo Geschäftsklima Deutschland

Export

4/2019 TREND

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AKTUELL Soziale Marktwirtschaft

Dr. Stefan Schulte

Dr. Karsten Wildberger

Vorsitzender des Vorstandes Fraport AG Frankfurt am Main

Mitglied des Vorstands E.ON SE Essen

„Der Luftverkehr ist wichtig für die Prosperität Deutschlands in einer globalen Welt. Und Klimaschutz ist Top-Thema: Der Einsatz regenerativer Treibstoffe und die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe sind essentiell. Kontraproduktiv wirkt aber die Erhöhung der Luftverkehrssteuer. Deutschen Airlines schneidet das im internationalen Wettbewerb die Luft ab, moderne Flugzeuge mit weniger CO2-Emissionen zu beschaffen. Dass sich die Bundesregierung für eine effizientere Gestaltung des europäischen Luftraums einsetzen will, begrüße ich sehr – auch hier liegen Potentiale zur CO2-Einsparung.“

„Die europäische Energiewende braucht den passenden regulatorischen Rahmen, um sektorenübergreifend enorme Herausforderungen beherrschen zu können. Damit muss der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien und deren Integration ermöglicht und gleichzeitig die nötigen Anreize für Fortschritte bei Technologie und Digitalisierung geschaffen werden. Ich wünsche mir für Veränderungen dieser Größenordnung mehr Mut und Optimismus in der Debatte und darauf aufbauend auch eine neue Umsetzungskompetenz.“

Paul Bauwens-Adenauer Geschäftsführender Gesellschafter Bauwens GmbH & Co. KG Köln

Geschäftsführender Gesellschafter Karl-J. Kraus & Partner GmbH Berlin

„Die Politik muss sich wieder Reformen zutrauen, die unsere Wirtschaft stärken. Nur Wachstum eröffnet Verteilungsspielräume. Es gilt, den freien Wettbewerb auch zur Verwirklichung sozialer und ökologischer Ziele so weit es geht zu erhalten, denn Wettbewerb und Deregulierung fördern Arbeitsplätze und Produkte. Wir brauchen Leuchtturmprojekte, die Lust machen auf Zukunft und Politik.“

Friedrich Merz Rechtsanwalt Chairman BlackRock Asset Management Deutschland AG, München

Renata Jungo Brüngger Mitglied des Vorstands Integrität und Recht Daimler AG Stuttgart

„Mobilität verändert sich – und mit ihr die Automobilindustrie. Alternative Antriebe gewinnen ebenso an Bedeutung wie das automatisierte und vernetzte Fahren. Neben der Wirtschaft ist die Politik gefragt, diesen Wandel zu gestalten: Mit einem verlässlichen Rechtsrahmen, der neue Fahrzeugkonzepte ermöglicht. Mit internationalen Standards, um Innovationen weltweit einsetzen zu können. Und nicht zuletzt mit Investitionen in die digitale Infrastruktur, die Grundlage für die Mobilität der Zukunft ist.“

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„Die deutsche Gesellschaft braucht wieder ein Bild von der Zukunft unseres Landes und wie wir dann leben wollen. Zurzeit konsumiert Deutschland zu viel und investiert viel zu wenig. Wir brauchen zudem eine schnelle digitale Nachrüstung, wenn wir auf den neuen Technologiefeldern nicht abgehängt werden wollen. Dringend notwendig wäre auch eine Bildungsoffensive, gerade mit Blick auf die Naturwissenschaften. Die Politik muss im jetzt beginnenden Abschwung wieder die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland in den Mittelpunkt rücken.“

TREND 4/2019

Fotos: Fraport AG; Ines Meier; Daimler AG; Eon/Christian Schlüter; Bauwens GmbH; privat; AdobeStock©Igarts, ©Ramziia

Dr. Nikolaus Breuel

„In die aktuelle Klimadebatte gehört mehr nüchterne Sachlichkeit. Trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, ist unser tatsächliches Wissen über Klimazusammenhänge begrenzt. Es ist dringend angeraten, dass Deutschland nicht erneut meint, allein durch eine Gesetzesflut und mit neuen Subventionen vermeintlich Klassenbester beim Klimaschutz zu werden. Dies verstellt den Blick auf zielführende Lösungsansätze: Innovation und Marktwirtschaft. Nur so kann Klimaschutz gelingen, der Menschen und Wirtschaft mitnimmt!“


AKTUELL Soziale Marktwirtschaft

Dr. Henneke Lütgerath

Christian Klein

Mitglied des Aktionärsausschusses M.M.Warburg & CO (AG & Co.) KGaA Hamburg

Mitglied des Vorstands / Co-CEO / COO SAP SE Walldorf

„Was sind meine Wünsche an die Politik im Blick auf das kommende Jahr und darüber hinaus? 1. Politik muss die Fleißigen wieder ermutigen. Facharbeiter, Angestellte, Selbstständige und Unternehmer müssen hören und spüren, dass ihr täglicher Beitrag zur Schaffung von Wohlstand, Arbeitsplätzen und Infrastruktur gewertschätzt wird. Zu häufig geschieht das Gegenteil: Neiddebatten, Umverteilungen, Eigentumseingriffe beherrschen die öffentliche Debatte. 2. Politik muss zu einer Versachlichung der Debatten um die „Megathemen“ beitragen, anstatt Ideologisierung, Moralisierung und Emotionalisierung Vorschub zu leisten. Die Folgen des Klimawandels sind, soweit Deutschland sie überhaupt beeinflussen kann, nur mit Einsatz naturwissenschaftlich-technischen Sachverstands zu bewältigen. Die Folgen des demografischen Wandels für unsere Arbeitswelt und unsere Sozialsysteme sind der Bevölkerung nüchtern und klar vor Augen zu führen und die politischen Konsequenzen abzuleiten. Die Chancen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz sind deutlich zu machen. Die Bedeutung von Bildung und Wissenschaft und der in diesem Zusammenhang erforderliche individuelle Leistungswille müssen als Grundlagen künftigen Wohlstands hervorgehoben werden. 3. Politik muss aufhören, alles staatlich regeln zu wollen und die Illusion zu nähren, jedes Lebensrisiko sei vermeidbar. Initiative, Gestaltungswille und Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen sind zu fördern.“

Heinrich Baumann

Fotos: Frank Soens; K.D. Busch.com; SAP SE, privat; AdobeStock©Igarts, ©Ramziia

Geschäftsführender Gesellschafter Eberspächer Gruppe GmbH & Co. KG Esslingen

„Deutschland muss zu seinen Stärken zurückfinden: Gründergeist, Innovationsstreben, Leistungsorientierung und Pragmatismus. Wir müssen ein Klima für Gründer und Erfinder schaffen, das gilt für die Geisteshaltung in unserer Gesellschaft sowie für den stark zu vereinfachenden regulatorischen Rahmen. Chancen von Neuem sind in den Vordergrund zu rücken, Leistung muss sich wieder lohnen und soziale Unterstützung die temporäre Ausnahme bleiben. Erreichen werden wir das nur mit gesundem Pragmatismus und wenn wir uns nicht von Ideologien leiten lassen.“

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„In der ersten Halbzeit der 19. Legislaturperiode konnten einige digitalpolitische Vorhaben wie der Digitalpakt für Schulen, die KI-Strategie oder die Umsetzungsstrategie der Bundesregierung zur Digitalisierung beschlossen werden. In der zweiten Hälfte der aktuellen Legislaturperiode sollte die Große Koalition ihre Pläne nun zügig in die Praxis umsetzen. Um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands weiter zu stärken, müssen auf Worte jetzt ambitionierte Taten folgen.“

Sabine Christiansen Geschäftsführerin TV21 GmbH Berlin

Wie soll Deutschland in 5 Jahren aussehen? Die ­Große Koalition bleibt bis heute in zentralen Politikfeldern einen klaren Kurs und richtungsweisende Entscheidungen schuldig. Mehr Politik für die Bürger statt Belastungen, Unsicherheiten bei Anschaffungen, steuerliche Entlastungen, weniger Bürokratie, ausreichende Wachstumsimpulse, mehr Investitionen in die Arbeitsplätze von morgen: Fehlanzeige! Im Bundeshaushalt 2019 mit dem Rekordvolumen von 356 Milliarden Euro gehen 40 Prozent ins Budget des Bundesarbeitsministeriums, aber nur rund 5 Prozent in die Forschung! Dagegen haben sich die Kosten für Verwaltung und Personal der Minis­ terien inklusive des Kanzleramts seit 2014 um rund 40 Prozent erhöht. Die Groko verwaltet sich selbst, aber das bringt das Land nicht voran – weder bei den Investitionen noch bei der Digitalisierung. Letztere bestimmt mit Macht besonders den Umbruch im Markt der Medien. Wer überlebt 2020 im Print, wie positionieren und reformieren wir das k­ lassische TV gegen die großen Web-Player? Wer nimmt sich der Herausforderungen 2020 Plus an?

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AKTUELL Soziale Marktwirtschaft

Bettina Würth

Wendelin von Boch

Vorsitzende des Beirats der Würth-Gruppe Adolf Würth GmbH & Co. KG Künzelsau

Vorsitzender Gesellschafterausschuss Villeroy & Boch AG Mettlach

„Stillstand bedeutet Rückschritt – in diesem Bewusstsein stellen wir uns als Handelsunternehmen den Veränderungen des Marktes. Damit dies nachhaltig gelingt, müssen die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Die Modernisierung der Infrastruktur in Verkehr, Energie und Kommunikation zählt hier genauso dazu wie zum Beispiel der Fachkräftemangel. Der Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt muss für internationale Fachkräfte leichter sein. Wir müssen innerhalb der Europäischen Union wieder enger zusammenwachsen, um im internationalen Wettbewerb mit den Handelsmächten USA und China bestehen zu können.“

Angesichts des Brexit und des konjunkturschädlichen Handelskrieges ist es ein großes Versäumnis unserer Regierung, nicht aktiv die europäische Zusammenarbeit voranzubringen. Dies muss auch möglich sein, ohne dass der eine für die Schulden des anderen haftet. Noch sind wir der größte Wirtschaftsraum weltweit und könnten bei konzertiertem Vorgehen im globalen Wettbewerb auf Augenhöhe mithalten.

Joachim Rudolf Geschäftsführer Rudolf Lichtwerbung GmbH Stuttgart

Ministerpräsident a.D. Vorsitzender des Aufsichtsrats UBS Europe SE, Frankfurt/Main

Für mich bedeutet Marktwirtschaft Freiheit und Wohlstand. Ich misstraue dem Gedanken, dass wir mit mehr staatlicher Regulierung besser leben. Im Wirtschaftsrat engagiere ich mich, weil ich nach meinen Erfahrungen in Politik und Wirtschaft überzeugt bin, dass das Vertrauen in Markt und Fortschritt eines starke Stimme braucht. Vor uns liegen riesige Chancen, wir müssen sie nur nutzen.

Wir brauchen unternehmerisch denkende Köpfe mit sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung: Unternehmertum muss Spaß machen! Gerade in Baden-Württemberg wurde strukturellen Herausforderungen stets mit Innovation begegnet – um unseren Wohlstand zu sichern und ausbauen zu können, sollten wir uns in Deutschland auf unsere Stärken besinnen und technologieoffene Innovation durch alle Bereiche zulassen. Die Politik ist gefordert, größere Summen in Zukunftstechnologien zu investieren und Rahmenbedingungen für wettbewerbs- und exportstarke Unternehmen im Land und in Europa zu schaffen.

Christian Freiherr von Stetten MdB Vorsitzender Parlamentskreis Mittelstand, Mittelstandspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Berlin

„Im Wirtschaftsrat bündelt sich die wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz, welche wir als Politiker benötigen, um sachgerechte und ordnungs­politisch nachvollziehbare Entscheidungen treffen zu können. Wir müssen der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard in der Regierungspolitik wieder den Stellenwert zurückgeben, der notwendig ist, um unser Land und unsere Unternehmen zukunftsfest zu machen, damit sie und wir im internationalen Wettbewerb bestehen können. Wir brauchen mehr Freiheiten und weniger Bürokratie und staatliche Eingriffe.“

14

Christian Sewing Vorsitzender des Vorstands Deutsche Bank AG Frankfurt/Main

Der Technologiewettbewerb entscheidet, wo es künftig wie viel Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Wohlstand geben wird. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen der Staat und die Unternehmen in Deutschland mehr investieren – in Forschungszentren, in Bildung und Datennetze. Nur so werden wir die Chancen bei Themen wie Künstlicher Intelligenz oder dem Internet der Dinge nutzen können. Dazu braucht es auch einen wirklichen europäischen Markt inklusive Banken- und Kapitalmarktunion.

TREND 4/2019

Fotos: Wolfgang Ohlig; Dirk Koch; Christian von Stetten; Mario Andraya/Deutsche Bank; Bernd Hartung/Villeroy & Boch Group; privat; AdobeStock©Igarts

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch


Warum sich die nächste Krise bereits zusammenbraut und wir einen k­ onsequenten Politikwechsel brauchen. Staaten versinken im Schuldensumpf, Sparer werden mit Negativzinsen enteignet, ­Volks­parteien verlieren dramatisch an Zustimmung. Diese ­Symptome sprechen eine beun­ruhigende ­Sprache. ­Stehen wir vor ­einem sogenannten perfekten Sturm, bei dem verschiedene Komponenten ­ungünstig zusammentreffen und sich ­gegenseitig maximal verstärken? Schon jetzt verschiebt sich die politische Landkarte empfindlich, extreme ­Tendenzen­­erstarken. Eine aufkommende Krise, die Vermögensverluste sichtbar und spürbar macht, wird erneut grundsätzliche Fragen nach Europas und Deutschlands Rolle ­darin auf­werfen. Sogar unser ­Geldsystem und unsere freiheitliche Wirtschafts­ord­nung ­drohen aus dem Lot zu geraten. Der perfekte Sturm? zeigt, dass wir nicht tatenlos zusehen müssen, sondern ­gegensteuern können. Der perfekte Sturm? von Wolfgang Steiger/Simon Steinbrück erscheint im Januar 2020 im Econ Verlag; Hardcover mit Schutzumschlag, Format 13,5 x 21,5; ISBN 978-3-430-21019-5, 272 Seiten | 20 Euro


AKTUELL TREND-Grafik

Eine Positivbilanz Im Osten geht es immer weiter aufwärts. Die Arbeitslosenquote sinkt auf ihren niedrigsten Stand seit dem Mauerfall, Wirtschaftskraft und Produktivität steigen und Städte in Ostdeutschland verzeichnen wieder Einwohnerzuwächse. Es ging im Osten seit dem Ende der DDR noch nie so gut. Die Menschen in D ­ eutschland – auch in Ostdeutschland – sind glücklicher als noch vor wenigen Jahren. Trotzdem herrscht eine große Unzufriedenheit und Skepsis in Ost und West gegenüber Politik und ­Wirtschaft, der Sozialen Marktwirtschaft und der Demokratie. Dabei kann Deutschland – Ost und West – stolz auf das sein, was es gemeinsam erreicht hat. Es bleibt natürlich noch immer viel zu tun. Aber es zeigt sich immer deutlicher, dass unser Land eher ein Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land verzeichnet, als eines zwischen Ost und West. Text und Grafiken: K atja Sandscheper

Der Osten holt auf Arbeitslose im Osten

Arbeitlose im Westen

2019 (geschätzt): 6,1 im Osten, 4,6 im Westen

20 15 10 5 0 1994

1996

1998

2000

So glücklich ist Deutschland

2002

2004

(Bewertung auf einer Skala von 1 bis 10)

So bewerten Menschen ihre subjektive Lebenszufriedenheit*

2008

2010

2012

Der Osten zieht an

2014

2016

2018

(Zahl der Personen)

Binnenwanderung zwischen ost- und westdeutschen Ländern, Ostländer einschließlich Berlin Die jahrelange Abwanderung aus dem Osten ist gebrochen, er gewinnt Einwohner hinzu.

7,44 6,87 7,27

20.000

7,18

10.000

6,93 Westf. 7,12 NRW Düsseld. 7,15 NRW Köln 7,23

Quelle: Dt. Post Glücksatlas 2019, dpa

2006

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2019

(Arbeitslosenquote in Prozent)

7,31

6,92

6,76 6,98

7,09

0

1997 2002 2007 2012 2013 2014 2015 2016 2017

-10.000 -20.000 -30.000 -40.000

Rhein-Pf./ Saarl. 7,21

16

7,21

7,26

-60.000

Quelle: Destatis

(*repräsentative Umfrage unter 5.003 Personen zwischen März und Juni 2009)

-50.000

-70.000 -80.000

TREND 4/2019


AKTUELL TREND-Grafik

So stark hat der Osten aufgeholt Wirtschaftskraft in Milliarden Euro

BIP pro Kopf in Euro

Einwohner in Millionen

Nordrhein-Westfalen

705,1

39.318

17,933

Bayern

625,2

47.807

13,077

Baden-Württemberg

511,4

46.201

11,07

Niedersachsen

296,2

37.101

7,982

Hessen

292

46.605

6,266

Rheinland-Pfalz

149,2

36.513

4,085

Berlin

147,1

40.348

3,645

Sachsen 126,4

30.986

4,078

Hamburg 120,3

65.355 1,841

Schleswig-Holstein 97,1

33.510 2,897

Brandenburg 73,7

29.348 2,512

Thüringen 63,8

29.769 2,143

Sachsen-Anhalt 63,5

28.755 2,208

Mecklenburg-Vorpommern 44,9

27.900 1,61

Saarland 36

36.305 0,991

Bremen 34,3

50.206 0,683

Die Produktivität im Osten hat sich verdreifacht

Die Kaufkraft von Ost und West hat sich angeglichen

(Reales Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen in Euro)

Der Umbruch von Plan- auf Martkwirtschaft bleibt eine große Aufgabe.  Westdeutschland

Ostdeutschland

Westdeutschland

Ostdeutschland

Stadt

Land 1.654

1.642 1.538

1.533

60.000

Schuldenstände 31.12.2018 Nordrhein-Westfalen

167.806

Niedersachsen

58.718

Berlin

54.404

Hessen   40.395 Hamburg   34.393 Schleswig-Holstein   30.922 Rheinland-Pfalz   30.637

50.000

Bremen   21.621

40.000

Sachsen-Anhalt   19.932 Brandenburg   16.122

30.000

Thüringen   14.678

20.000

Bayern   14.615 Saarland   13.812

10.000

Quelle: Destatis

Quelle: INSM/Arbeitskreis VGR der Länder, 2019

(in Millionen Euro)

Baden-Württemberg   43.595

70.000

0

Ostländer machen weniger Schulden (in Euro)

Die Lücke zwischen Ost und West ist kleiner als die zwischen Stadt und Land.

80.000

Quelle: Destatis, n-tv

(Bruttoinlandsprodukt 2018, Stand Einwohnerzahl vom 31.12.2018)

Mecklenburg-Vorpommern  7.653 1991

2000

2010

2018

2016

Sachsen

1.409

Quelle: INSM/Forschungsdatenzentrum Mikrozensus 2016/IW, 2019

4/2019 TREND

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TITEL Internationaler Handel

Handelspolitik aktiv gestalten! Die großen tektonischen Platten der Weltwirtschaft sind stark in ­Bewegung geraten. Durch neue Wachstumsmärkte, technologische ­Umbrüche und die Rückkehr einer ­protektionistischen Handelspolitik spitzen sich die Interessenkonflikte der großen ­Wirtschaftsmächte zu. Europa sollte eine eigenständige Handelsagenda betreiben, mit der es ein offenes, liberales Welthandelssystem geschlossen durchsetzt. Statt Protektionismus müssen wieder verstärkt Freihandelsabkommen in den Mittelpunkt der internationalen Handelspolitik rücken. Text: P eter Hahne

Verheerende Handelspolitik Das neue Paradigma der US-Handels­ politik wirkt verheerend, das belegen die ökonomischen Kennziffern inzwischen eindeutig. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine globalen Wachstumsprognosen für 2019 und 2020 zum zweiten Mal in Folge deutlich gesenkt. Die Welthandelsorganisation WTO rechnet vor, dass der

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internationale Handel im laufenden Jahr nur noch um rund ein Prozent wachsen wird. Der Verlust durch die bereits verhängten und im Raum stehenden Strafzölle beziffert der IWF mit rund 700 Milliarden US-Dollar. Nach den Worten der neuen IWF-Chefin Kristalina Georgiewa steckt die Welt tief in einer Phase der „synchronen Abschwächung“, fast 90 Prozent des Globus müsse sich auf weniger Wachstum einstellen. Die Weltwirtschaft ist heute so fragil wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Laut Ifo-Institut kühlt sich das Weltwirtschaftsklima derzeit in allen Regionen der Erde stark ab. Als Wachstumsmotor fällt die Globalisierung damit weitgehend aus. „Die großen tektonischen Platten der Weltwirtschaft sind stark in Bewegung geraten“, bilanziert der Wirtschaftsrat in einem Positionspapier seiner Bundesfachkommission Internationaler Kreis. An den wenigen Eckdaten lässt sich bereits ablesen, wie sich die eskalierenden Handelskonflikte zwischen den USA und ihren Handelspartnern mittlerweile zu einem globalen Flächenbrand ausgeweitet haben. Die Spirale von Zöllen und Vergeltungszöllen dreht sich immer schneller, Er-

innerungen an den Protektionismus Anfang der 1930er Jahre und die Weltwirtschaftskrise werden wach. USA und China im Mittelpunkt Im Zentrum der fortschreitenden Eskalation steht der Handelsstreit zwischen den USA und China. Zwischenzeitlich entspannt sich die ­Situation zwar immer wieder, Hoffnung keimt auf. So haben die Unterhändler beider Seiten Anfang Oktober eine Teil­ einigung verkündet und Strafzölle vorerst ausgesetzt. Nichtsdestotrotz schwelt der Konflikt weiter, zusätzlich geplante Strafzölle der Amerikaner auf chinesische Konsumgüter zum Jahresende sind nicht endgültig vom Tisch. Sollten alle angekündigten Strafzölle im chinesisch-amerikanischen Warenverkehr in Kraft treten, werden die durchschnittlichen US-Zölle auf chinesische Einfuhren bis Ende des Jahres von rund drei Prozent Ende 2017 auf dann 25 Prozent steigen. „Auf beinahe alle Importe aus China werden dann Sonderzölle erhoben“, halten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten fest. Die Reaktion der Chinesen auf das aggressive Vorgehen der Amerika-

TREND 4/2019

Foto: AdobeStock©M. Johannsen

D

ie Weltwirtschaft verliert an Schwung. Im Zentrum der globalen Konjunkturabkühlung stehen die Handelsstreitigkeiten, die die USA mit einer ganzen Reihe ihrer wichtigsten Handelspartner angezettelt haben. US-Präsident Donald Trump bezeichnet sich selbst als „Tariff Man“, weil Zölle in den Augen des US-Präsidenten am besten dazu geeignet seien, die „ökonomische Macht der Vereinigten Staaten zu maximieren.“ So geradlinig Trumps machtpolitisch motivierte und vordringlich auf die Innenpolitik zielende Handelspolitik daherkommt, so sehr lässt sie die komplexen Zusammenhänge der international eng verflochtenen Wirtschaftsbeziehungen außer Acht.


TITEL Internationaler Handel

4/2019 TREND

19


Foto: AdobeStock©Destina

TITEL Internationaler Handel

ner ließ nie lange auf sich warten: Bis September 2019 kletterten die Vergeltungszölle auf knapp 22 Prozent, Ende des Jahres könnten es ohne die erhoffte Abrüstung der Handelskrieger schon 26 Prozent sein. Trump setzt darauf, dass die Amerikaner einen längeren Atem haben und die aufstrebende Weltmacht China in die Knie zwingen können. Zwar mussten die Chinesen zuletzt drastische Exporteinbußen von mehr als 20 Prozent verkraften. Doch das Ergebnis der Zollpolitik ist auch für die Amerikaner besorgnis­ erregend: Um 15 Prozent sanken die US-Importe aus China binnen Jahresfrist, die US-Exporte ins Reich der Mitte gingen in der Spitze um fast ein Drittel zurück. Am hohen Preis, den US-Verbraucher für die Zolleskapaden ihres Präsidenten zahlen, lässt sich ablesen, wie Zölle in einer globalisierten Welt wirken. Wegen der

US-Schutzzölle auf Waschmaschinen, so rechnet die University of Chicago vor, hat die Branche zwar 1800 neue Arbeitsplätze in den USA geschaffen. Dafür zahlen US-Verbraucher jedoch 1,5 Milliarden Dollar mehr für neue Waschmaschinen; jeder durch die Zölle geschaffene Arbeitsplatz kostet so rund 815.000 Dollar, jedes Jahr. Das Wohlstandsniveau in den USA sinkt, die überteuerten Waschmaschinen entziehen den US-Konsumenten Mittel und schädigen andere Branchen. Selbst wenn die US-Wirtschaft noch immer recht solide wächst; konjunkturelle Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex lassen erkennen, dass Trump den Handelskrieg nicht ewig durchstehen kann. Die Europäische Zentralbank (EZB) kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass sich die Amerikaner mit ihrer aggressiven Zollpolitik langfristig selbst am

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2019

Deutschlands wichtigste Handelspartner 2018

20

Exporte: 1.318 Milliarden Euro

USA Frankreich China Niederlande Vereinigtes Königreich Italien Österreich Polen Schweiz Belgien Tschechien Spanien

meisten schaden. Das sieht auch die US-Notenbank Fed so: Sie beziffert die verlorengegangene Wirtschaftskraft auf 850 Milliarden Dollar und glaubt, dass die Unsicherheiten wegen der Zollstreitigkeiten das weltweite Wachstum um einen Prozentpunkt drücken werden. Dennoch ist es Fakt, dass die US-Volkswirtschaft sehr viel weniger globalisiert ist als etwa die der Exportnation Deutschland, deren Bruttoinlandsprodukt auf beinahe 50 Prozent Exportanteil fußt. Unsicherheit belastet die Industrie Die deutsche Industrie hat den Handelskrieg, wiewohl auf den ersten Blick eher indirekt betroffen, schon deutlich zu spüren bekommen. „Zurzeit treffen die Konflikte zwar hauptsächlich die USA und China“, hält der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fest. „Doch auch deutsche Unternehmen werden in Mitleidenschaft gezogen – über Produktionsnetzwerke, Marktverzerrungen und Produktionsstandorte im Ausland.“ Der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Holger Bingmann, hat das laufende Jahr wegen des „konsequenten, ständigen Foulspiels der US-Administration“ abgeschrieben. Der Verband rechnet 2019 nur noch mit einer „schwarzen Null“ für den Export. Besserung für die Industrie? Derzeit nicht in Sicht. Die schwelende Unsicherheit trifft auf eine weltweit nachlassende Nachfrage nach Investitionsgütern, die deutsche Industrie ist bereits in eine Konjunkturabkühlung (Exporte / Importe in 1.000 Euro)

Importe: 1.090 Milliarden Euro

China Niederlande Frankreich USA Italien Polen Tschechien Belgien Schweiz Österreich Vereinigtes Königreich Russische Föderation

TREND 4/2019


TITEL Internationaler Handel

geschlittert. Hinzu kommt: Seit dem Airbus-Urteil der WTO stehen – nach Strafzöllen auf Aluminium und Stahl und den anhaltenden Drohungen gegen die deutsche Automobilindustrie – weitere Importabgaben auf europäische Waren mit einem Volumen von 7,5 Milliarden Dollar im Raum. Zölle auf Flugzeuge, Lebensmittel oder auch deutsche Industriewerkzeuge dürften der europäischen Wirtschaft schwer zu schaffen machen. Die Industrie träfen die neuen Zölle vor dem Hintergrund der Brexit-Unsicherheit zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Schwerer noch als die eigentlichen Zölle wirkt die Unsicherheit. „Befragungen deuten darauf hin, dass Unternehmen angesichts der erhöhten Unsicherheit über zukünftige Importpreise und Exportbedingungen ihre Investitionen reduzieren“, heißt es dazu im Herbstgutachten mit Blick auf die USA. Für Europa haben Forscher ähnliches beobachtet. Bereits Ludwig

4/2019 TREND

Erhard wusste, dass Wirtschaft zur Hälfte Psychologie ist und Unsicherheit Gift für Unternehmen ist. Zölle wirken nicht nur abträglich in der Gegenwart; sie wirken besonders negativ für die Zukunft, weil sie die Bedingungen für künftiges Wachstum schädigen. Der deutsche Wohlstandsmotor, der seit fast einer Dekade für solide Wachstumsraten gesorgt hat, könnte durch die Zollpolitik des US-Präsidenten stark ins Stottern geraten, weil die ohnehin schon schwache Investitionsneigung weiter Schaden nimmt. Europas Wohlstand schützen Die EU muss deshalb alles tun, um die internationale Handelspolitik aktiv zu gestalten. Allein in der EU hängen 32 Millionen Arbeitsplätze vom Export ab, rechnet die EU-Kommission vor. Das ist fast jeder siebte Arbeitsplatz in Europa. Der Wohlstand in Europa beruht auf freiem und offenem Welthandel, für den die deutsche und eu-

ropäische Politik sich mit noch mehr Engagement einsetzen müssen. Denn: „Die EU ist keineswegs das Paradies für Freihändler, für das sie sich gerne hält“, heißt es in einer Ifo-Analyse zum transatlantischen Handel. Der heutige Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, rechnet dort vor, dass der Durchschnittszoll der EU für Importe bei 5,2 Prozent liegt, jener der USA aber nur 3,5 Prozent beträgt. Beachtlich sind dabei Zollspitzen in einigen Branchen: Auf Schweinefleisch etwa schlagen die Europäer gut 26 Prozent auf, Rindfleisch wird mit fast 68 Prozent Zoll belegt. Trump liegt also durchaus richtig, wenn er die hohen Zölle der Europäer kritisiert. „Es wäre an der Zeit, über eine allgemeine Absenkung der Zölle weltweit nachzudenken“, schlägt Felbermayr vor. Die scheidende EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström macht deutlich, dass von einem Abbau der Handelsbarrieren

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TITEL Internationaler Handel

Quelle: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft

Deutsche Ausfuhren in die zehn größten Exportpartnerländer Veränderung gegenüber Vorjahr im 1. Halbjahr … in Prozent 11,1

-4,3

-2,5

UK Rang 5

7,4

0,4 -1,5 -3,5 I Rang 6

… 2018

10,3

8,3

-0,8

… 2019

1,5 1,1 0,2

-5,0 NL Rang 4

FB Rang 2

2,6

0,9

2,6

0,4

B Rang 10

3,5

4,1

1,2 -1,7

CH Rang 9

4,3

2,4

4,5 4,2

0,0 -1,2 PL Rang 8

3,9 0,5

0,1 -2,8 CH Rang 3

USA Rang 1

AU Rang 7

Insgesamt -22,2

„Fehlende Exporte“ als Differenz in Milliarden Euro zwischen tatsächlichem Export im 1. Halbjahr 2019 zu einem fiktiven Export im 1. Halbjahr 2019 bei Annahme einer ­gleichen prozentualen Veränderung wie im 1. Halbjahr 2018 (gegenüber Vorjahr).

Rangangaben beziehen sich auf das Ranking gemäß den deutschen Warenausfuhren im Jahr 2018.

zu verhindern und ein gesondertes Industriegüterabkommen zu vereinbaren. „Ziel muss es sein, Zölle auf wichtige Industrieprodukte komplett abzubauen“, fordert Steiger. „Deutschland und Europa müssen der internationalen Handelspolitik viel stärker selbst ihren Stempel aufdrücken.“ Zukunft des Binnenmarkts sichern Um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts und Binnenmarkts zu sichern, sollten Europa und Deutschland ihre Vorstellungen eines offenen, liberalen Welthandelssystems geschlossen durchsetzen. Der Wirtschaftsrat fordert eine aktive Gestaltung der internationalen Handelspolitik. „Dazu gehört es, alle bestehenden Handelshemmnisse auf den Prüfstand zu stellen und Lösungen zu entwickeln, wie sie abgebaut werden können“, fordert

Foto: Dario Pignatelli

nicht in erster Linie große Konzerne profitieren, sondern vor allem kleinere und mittlere Unternehmen. Nach Berechnungen der EU-Kommission würde die Wirtschaftsleistung der EU bei einem erfolgreichen Abschluss aller derzeit laufenden Freihandelsgespräche, zum Beispiel mit Mercosur, um mehr als zwei Prozent zulegen. Der Wirtschaftsrat sieht in der EU derzeit angesichts der in den letzten Jahren abgeschlossenen Freihandelsabkommen die „letzte Hochburg für regelbasierten Handel“. „Die Wirtschaft setzt auf die Vernunft beider Handelspartner und unterstützt die Neuaufnahme von Verhandlungen“, sagt Wolfgang Steiger mit Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen der EU und dem Weißen Haus. Aus Sicht des Wirtschaftsrats geht es aktuell vor allem darum, eine weitere Eskalation

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Generalsekretär Steiger. „Insbesondere auf Branchen mit hoher Relevanz für die internationalen Wertschöpfungsketten wie IT, Rohstoffe und Logistik sollte Augenmerk gelegt werden.“ Strategische Koalitionen mit Handelspartnern, ein modernisiertes und gestärktes Regelwerk der WTO, der Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse sowie eine Öffnung der internationalen Beschaffungsmärkte bilden die zentralen Forderungen des Rats. Auch die geld- und währungspolitische Dimension in der Handels­ politik muss stärker berücksichtigt werden, weil Deutschland infolge seines Leistungsbilanzüberschusses gegenüber den USA viel Vermögen im Ausland investiert hat. Diesem Vermögen droht bei volatilen Finanzmärkten und der geostrategischen Geldpolitik der USA eine kontinuierliche Entwertung. Der Wirtschaftsrat rät gleichwohl dringend davon ab, den Zollkonflikt mit den USA weiter anzuheizen. Etwaige Strafzölle der Amerikaner sollten nicht mit Vergeltungszöllen beantwortet werden. Vielmehr muss die EU in Gesprächen mit Washington zu eigenen Zugeständnissen bereit sein und eine klare Haltung für fairen und freien Handel kultivieren. „Wir dürfen uns nicht in die Spirale des Protektionismus hineindrängen lassen“, mahnt der Wirtschaftsrat. Die USA waren 2018 schließlich mit einem Warenwert von 113 Milliarden Euro trotz aller Turbulenzen wieder Deutschlands größter Absatzmarkt. Ein Industriegüterabkommen, langfristig ein umfassendes Handelsabkommen unter Einbezug der Landwirtschaft und drittens eine transatlantische Allianz für Zukunftstechnologien sind vor diesem Hintergrund die Mittel der Wahl, um die angeschlagenen transatlantischen Beziehungen zu festigen. Mit Blick auf China gilt es für die EU, eine offene, zugleich aber sehr klare Haltung zur Reziprozität an den Tag zu legen. So muss der Marktzugang für europäische Unternehmen in China mit einem Investitionsabkommen verbessert werden. Auch ein Frei­handelsabkommen, das Reziprozität, faire Regeln für geistiges Eigentum und den Umgang mit

TREND 4/2019


TITEL Internationaler Handel

Handelsumlenkung: Chinesische Güter gelangen über Vietnam in die USA (Differenz zum Vorjahr in Mrd. US-Dollar, gleitende Dreimonatsdurchschnitte)

8

4 2 0

2010

2011

2012

-2 -4 -6

2014

2015

2017

2018

2013

US-Importe aus China US-Importe aus Vietnam chinesische Exporte nach Vietnam

Industriesubventionen festschreibt, steht aus Sicht der Wirtschaft ganz oben auf der Agenda. China war mit einem Warenumsatz von knapp 200 Milliarden Euro (Ex- und Importe) auch 2018 wieder Deutschlands wichtigster Handelspartner. Europa sollte sich besonnen, beharrlich und nach-

2016

drücklich für die Werte der offenen Gesellschaft und damit auch für weitere Freihandelsabkommen einsetzen. Auch die Ratifizierung der Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und den Mercosur-Staaten sind dringend geboten, um eine klares Signal in die Welt zu senden. Donald Trump hat

2019

Quelle: United States Census Bureau; China Customs

6

den Amerikanern zu Beginn seiner Amtszeit bekanntlich versprochen, Handelskriege seien „leicht zu gewinnen“. Heute, nach zwei Jahren eskalierender Handelskonflikte, gibt es nur Verlierer. Höchste Zeit, dass Deutschland und Europa zu wahren Vorkämpl fern des freien Handels w ­ erden.

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4/2019 TREND

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TITEL Internationaler Handel

Die Fahrwasser in der internationalen Handelspolitik werden schwieriger. Während sich bereits nachlassende Exporte nach Italien und Großbritannien in ­Deutschlands ­Exportzahlen niederschlagen, ist das für Zölle bisher kaum der Fall. Was Deutschland tun muss, damit es ein starker Wirtschaftsstandort bleibt.

D

as Argument der klassischen Außenhandelstheorien ist weit bekannt: Internationale Arbeitsteilung und komparative Kostenvorteile erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit und somit auch den Wohlstand eines Landes. Und tatsächlich hat sich die Erschließung neuer Absatzmärkte wie China sowie der Import von Vorleistungsgütern seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa als ein wichtiger Faktor für den Erfolg des dezentral organisierten deutschen Geschäftsmodells herausgestellt. Die Bedeutung der neuen Märkte zeigt sich auch in den deutschen

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­ uftragseingängen. Diese sind deutA lich durch das Ausland getrieben – nach der Wirtschaftskrise 2008 ­besonders durch die Nicht-Euroländer. Auch am aktuellen Rand zeigt sich hier ein zur Eurozone und dem Inland gegenläu­figer, leicht positiver Trend (s. Grafik). Welthandel und globale Ordnung in Gefahr Doch die Entwicklung des Welthandels verändert sich. Bereits in der ersten Jahreshälfte 2019 lag der globale Handel trotz leicht anziehender globaler Industrieproduktion unter ­ dem Vorjahreswert. Ein Grund dafür

ist der zunehmende Protektionismus, der die Wettbewerbsfähigkeit global agierender Unternehmen beeinträchtigt. Schaut man sich die Ausfuhr­bilanz Deutschlands zu den wichtigsten Handelspartnern genauer an, lassen sich vor allem Exporteinbrüche in die europäischen Nachbarländer erkennen. Die Warenexporte nach Italien gingen im 1. Halbjahr 2019 um 1,5 Prozent und in das Vereinigte ­Königreich um 4,3 Prozent zurück. Der drohende Brexit wirkt bereits vor seiner Umsetzung. Die Zuwachsraten der Exporte nach China sind ebenfalls deutlich gefallen. Dagegen sind die

TREND 4/2019

Foto: European Union, 2019 / Marc Dossmann

Lost in Translation


TITEL Internationaler Handel

den technologischen Möglichkeiten wird auch der grenzüberschreitende Handel mit Dienstleistungen ver­ einfacht. Ein ­ Abbau der Handels­ hemmnisse im Dienstleistungssektor wird damit ­immer bedeutsamer. Beachtet werden muss dabei, dass es meist um ­ nichttarifäre Han­ delshemmnisse geht, bei denen die Grenze ­zwischen ­gerechtfertigter staatlicher ­ Regu­ lierung und dis­ kriminierendem ­Handelshemmnis oft schwer ­auszumachen ist. So klagen US-­amerikanische IT-Unternehmen über die vermeintlich protektionistische Europäische Datenschutzgrund­ verordnung, die von vielen Akteuren in Europa wiederum als legitimer Schutz personen­ bezogener Daten wahrgenommen wird. Handlungsbedarf in der Handelspolitik Die Suche nach einheitlichen Standards auf internationaler Ebene gestaltet sich auch deshalb so schwierig, weil eine Reform der WTO nur einvernehmlich verabschiedet werden kann. Deswegen müssen neben den Reformbestrebungen auch plurilaterale Lösungen mit bereitwilligen WTO-Mitgliedern vorangetrieben werden, wie etwa das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen TiSA. 23 Mitglieder der WTO – unter anderem die EU – haben über Möglichkeiten verhandelt, den Handel in Bereichen wie Finanzdienstleistungen und elektronischem Handel zu ver-

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnung

Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe

(2004 bis 2019, in Prozent)

2004 = 100; preis-, kalender- und saisonbereinigt; gleitender 3-Monats-Durchschnitt

200

Inland

180

Euro-Länder

Nicht-Euroländer

160 140 120 100 80 Jan 04

Juli

4/2019 TREND

Jan 07

Juli

Jan 10

Juli

Jan 13

Juli

Jan 16

Juli

Jan 19

einfachen. Die Länder decken derzeit rund 70 Prozent des Welthandels mit Dienstleistungen ab und haben die strategisch wichtige Chance, neue Rahmenbedingungen der Handels­ politik mitzugestalten. Doch derzeit pausieren selbst die Gespräche in dieser relativ kleinen Staatengruppe. Dennoch sind sie der richtige Weg, legen sie doch für die Staaten verbindliche Regeln fest und stärken so das Gebilde internationaler Institutionen.

Prof. Dr. Michael Hüther Direktor und Mitglied des Präsidiums Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Foto: IW Köln

Warenexporte in die USA im 1. Halbjahr 2019 deutlich gestiegen. Die ansteigende Zollspirale hat Deutschland mit Ausnahme der Stahl- und Aluminiumzölle noch nicht direkt getroffen. Sollte US-Präsident Trump jedoch prohibitive Autozölle gegen Europa verhängen, wäre das ein empfindlicher Schlag gegen die deutsche Industrie. Des Weiteren gilt: Der Handelskrieg wird nicht allein auf Ebene der Zölle geführt. Die Global Player USA und China unterwandern zunehmend die bestehenden Regeln und Strukturen internationaler Kooperation. In der WTO beispielsweise wehrt sich China seit Jahren erfolgreich dagegen, den Status als Entwicklungsland entzogen zu bekommen, der im internationalen Handel zu vorteilhaften ­Regelungen führt. Die USA blockieren ihrerseits die Ernennung neuer Richter für den Streitbeilegungsmechanismus der WTO. Damit würde die Berufungsinstanz ab Dezember 2019 arbeits­unfähig. Abgesehen von den geopolitischen Einflüssen hat auch die Digitali­ sierung und die damit einhergehende Tertiarisierung der Wirtschaft einen stärker werdenden Einfluss auf den Welt­ handel. Bereits heute a­rbeiten über 70 Prozent der Beschäftigten in ehemaligen Industrienationen im Dienstleistungssektor, und der Stellenwert der Dienstleistungen innerhalb der industriedominierten ­ Wertschöpfungsketten wird weiter ­ steigen. Mit den sich entwickeln-

„Es ist entscheidend, dass die ­deutsche Politik dafür wirbt, dass die Europäische Union eigene ­Maßstäbe in der internationalen Handelspolitik setzt.“ Wie kann Deutschland unter diesen Herausforderungen ein starker Wirtschaftsstandort bleiben? Die starke internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft ist zwar eine wesentliche Triebkraft für Wohlstand, gleichzeitig macht sie die deutsche Industrie aber anfällig. Es ist daher entscheidend, dass die deutsche ­Politik dafür wirbt, dass die EU eigene Maßstäbe in der internationalen Handels­ politik setzt. Die EU hat sich zum weltgrößten Handelsmarkt entwickelt. In der aktuellen Situation offen ausgetragener Handelskonflikte muss ­Europa Einigkeit zeigen und sich nicht von unterschiedlichen Interessen zur Euro- und Migrationspolitik einzelner Länder ablenken lassen. Dabei ist zu bedenken, dass internationale Konflikte die einzelnen Mitglieds­ staaten unterschiedlich treffen können. Somit besteht die Herausforderung, ­ einerseits entschlossen aufzutreten, andererseits aber auch bedacht auf neue Formen des Protektionismus zu l ­antworten.

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AKTUELL Unternehmenssteuerreform

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tarke Wirtschaft – starkes Land: Deutschland ist seit jeher ein Industrieland mit großen Unternehmen und einem starken Mittelstand. Gerade auch die mittelständischen Unternehmen sichern seit Jahren Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland. Zusätzlich leisten sie einen wesentlichen Beitrag zum deutschen Steueraufkommen und bilden damit die Grundlage für die staatliche Förderung von Bildung, Kultur, Rente und Sozialleistungen. Daher ist es eine wichtige Auf­ gabe, den Unternehmen vernünftige Rahmenbedingungen zu bieten. Im ­Ergebnis profitieren davon nicht nur

Unternehmenssteue Deutschland braucht eine Unternehmenssteuerreform, wenn unsere Unternehmen auch in Zukunft­­wettbewerbsfähig und unser Land ein ­attraktiver ­Wirtschaftsstandort bleiben soll. die Unternehmen – sondern alle Menschen in diesem Land. Durch die Bekämpfung von missbräuchlichen Steuergestaltungen wur­ de das Steuerrecht in den letzten Jahren eher verschärft, als dass Entlastungen geschaffen wurden. Mit Blick auf die internationalen Entwicklungen und die aktuelle konjunkturelle Lage muss der Gesetzgeber jedoch eine wett­bewerbsfähige Grundlage für die Unternehmen herstellen. Der internationale Steuerwettbewerb wurde in jüngster Vergangenheit durch bereits vollzogene oder zumindest geplante Unternehmenssteuersenkungen, wie zum Beispiel in den USA – von 39 auf ca. 26 Prozent – und in Frankreich von 33 auf 25 Prozent, verstärkt. Dabei ist Steuerwettbewerb zwischen Ländern auch immer ein Standortwettbewerb: Durch niedrigere Steuern werden Anreize für Standort- und Investitionsentscheidungen von Unternehmen für oder gegen ein einzelnes Land gesetzt. Um Deutschland als attraktiven

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Standort zu halten und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, muss die Unternehmensbesteuerung daher überdacht werden. Aus diesem Grund hat die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion ein Posi­ tionspapier zur Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland beschlossen. Dieses Papier beinhaltet eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung der Unternehmensbesteuerung, welche in die Bereiche „Wettbewerbsfähigkeit stärken“, „Bürokratie abbauen“ und „Strukturen verbessern“ aufgeteilt sind. Bei den Vorschlägen muss grundsätzlich beachtet werden, dass die Unternehmensbesteuerung nur auf die Unternehmensgewinne selbst abzielt. Die Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, müssen steuerlich entlastet werden. Aktuell werden diese Gewinne mit mehr als 30 Prozent besteuert. Wir wollen diese Gewinne mit maximal 25 Prozent besteuern. Damit würden wir in den Unternehmen eine

höhere Liquidität erreichen, die sie für Investitionen nutzen könnten. Erster und womöglich offensichtlichster Ansatzpunkt dafür ist der Körperschaftsteuersatz. Dieser liegt aktuell bei 15 und müsste auf zehn Prozent gesenkt werden. Dies wäre nicht nur eine wirksame Entlastung von bereits in Deutschland ansässigen Unternehmen, sondern auch ein wirksames Signal an internationale Unternehmen, das sich positiv auf die angesprochenen Standort- und Inves­ titionsentscheidungen auswirken würde. Alternativ könnte man über eine Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftssteuer nachdenken. Dies würde ebenfalls zu einer Entlastung der Kapitalgesellschaften führen, würde allerdings aufgrund des vergleichsweise komplizierten Steuersystems kein ausreichend wirksames Signal an internationale Unternehmen senden. Weiterhin muss man sich mit der deutschen Besonderheit der Perso-

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AKTUELL Unternehmenssteuerreform

KG; Fotos: ANDREAS STIHL AG & Co. AdobeStock©industrieblick

errecht modernisieren

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Im Bereich der Einkommensteuer besteht allerdings nicht nur bei der Thesaurierungsbegünstigung Handlungsbedarf. Auch die Anrechnung der Gewerbesteuer muss überarbeitet und an die Entwicklungen der kommunalen Hebesätze angepasst werden. Denn diese betragen in deutschen Großstädten mittlerweile durchschnittlich 450 Prozent und übersteigen damit den anrechenbaren Faktor von 3,8 deutlich. Damit wird aktuell das Ziel der Neutralisierung der Gewerbesteuer im Rahmen der Einkommensteuer nicht erreicht. Neben den direkten steuerlichen Entlastungen enthält das Papier eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen in den Bereichen „Bürokratie abbauen“ und „Strukturen verbessern“. Konkret zählen dazu zum Beispiel die ­ Digitalisierung zum Bürokratieabbau und die Anpassung der steuer­ lichen Zinssätze an die marktüblichen ­Zinsen. Viel ­Potenzial steckt zudem in den Betriebsprüfungen. Durch eine zeitnahe und kooperative Ausgestaltung ließen sich viele Probleme der Unternehmensbesteuerung lösen und vor allem für alle Beteiligten

eine ­ höhere Rechtssicherheit erreichen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt aktiv zu werden: Wir müssen auf ­ die ­ internationalen Entwicklungen reagieren und proaktiv der schwä­ chelnden Konjunktur entgegenFritz Güntzler MdB

Foto: Deutscher Bundestag

nengesellschaften befassen. Das Ziel muss hierbei eine rechtsformneutrale Besteuerung sein. Diese könnte etwa durch ein Optionsmodell erfolgen. Danach kann eine Personengesellschaft wählen, ob sie wie eine Kapital­ gesellschaft besteuert werden soll – oder weiterhin nach den Vorgaben für Personengesellschaften. Dies wäre im Ergebnis der effektivste Weg, um eine rechtsformneutrale Besteuerung zu schaffen. Allerdings gibt es bei der Umsetzung einige juristische Hürden, weshalb eine zeitnahe Realisation des Vorhabens schwierig erscheint. Eine einfachere und ähnlich effektive Möglichkeit um Personengesellschaften zu entlasten, wäre die Verbesserung der vorhandenen Thesaurierungsbegünstigung. Demnach können nicht entnommene Gewinne von Personengesellschaften auf Antrag mit 28,25 Prozent, anstatt des tariflichen Einkommensteuersatzes, besteuert werden. In der aktuellen Form wird die Thesaurierungsbegünstigung jedoch nur von einem kleinen Teil der Personengesellschaften genutzt. Daher sollte der Thesaurierungssatz auf 20 Prozent gesenkt werden.

Ordentliches Mitglied im Finanzausschuss und Stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages

„Mit Blick auf die internationalen Entwicklungen und die konjunkturelle Lage muss der Gesetzgeber eine wett­bewerbsfähige Grund­lage für die ­Unternehmen ­herstellen.“ wirken. Daher ist es notwendig die angesprochenen ­ Aspekte auch umzusetzen. Nicht nur im Sinne unserer Unternehmen, sondern im Sinne unserer Gesamtwirtschaft und unseres l Wohlstands.

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AKTUELL Verbandssanktionsrecht

Falsches Rezept Foto: AdobeStock©rawpixel.com

Offensichtlich geht es dem ­Gesetzgeber nicht darum Täter zu fassen, sondern neue Staats­einnahmen zu generieren. Ein Alternativ­ vorschlag.

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ach drei Anläufen liegt der Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität nun vor. Auch wenn er nicht als Strafrecht bezeichnet wird, fällt er darunter. Das Strafmaß reicht nach der jüngsten Anpassung nicht mehr bis zur „Todesstrafe“, der Auflösung der Firma, sondern führt „nur noch“ zu Strafzahlungen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Das Konzept trägt die Handschrift von „Unternehmenskritikern“ und soll vermeintliche Defizite regeln. Doch schon die Prämissen sind fragwürdig. Nicht die Akteure, sondern das Unternehmen wird als Wurzel allen Übels betrachtet.

Dr. Björn Demuth

Foto: privat

Rechtsanwalt und Partner Fachanwalt für Steuerrecht Steuerberater, CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und ­Steuerberatern mbB

„Der Entwurf sieht die generelle Verfolgung von Unternehmen vor, deren Leitungspersonal Fehler gemacht hat.“ 28

Wirtschaftskriminalität ist sicherlich nicht immer beizukommen. Das liegt jedoch meist an der Komplexität, oft Internationalität, der mangelnden Ausstattung der Behörden und häufig einem verzerrten Bild von Unternehmen und Akteuren in Presse und Politik. Strafrechtlich wird dieser Ansatz wenig bewirken. Das zeigen die Erfahrungen etwa von Österreich. Der Entwurf sieht die generelle Verfolgung von Unternehmen vor, deren Leitungspersonal Fehler gemacht hat. Hauptargument: Die Täter würden im Interesse der Firma handeln. Bekanntermaßen handeln jedoch niemals juristische Personen. Es sind immer Menschen. Ursache von Fehlverhalten sind Unwissenheit, die Fehlerhaftigkeit des Menschen an sich sowie kriminelle Energie. Ersterem lässt sich durch Schulung und Bildung begegnen. Dies ist Aufgabe von Compliance. Fehler eröffnen allenfalls Bußgelder. Krimineller Energie muss man begegnen. Auslöser ist meist das Auseinanderfallen von Boni und Verantwortung. Genau hier müsste das Gesetz ansetzen. Stattdessen wertet es unspezifizierte Fehler als Organisationsverschulden. Provokant ließe sich sagen, Ziel des Gesetzes ist es, vor allem neue Staatseinnahmen zu generie-

ren und nicht die Täter zu verfolgen. Das Unternehmen hat dabei keinerlei Rechte: Alle internen Ermittlungen dürfen beschlagnahmt werden. Deutschland hat heute schon ausreichend Gesetze, um Unternehmen zu sanktionieren, die gegen geltendes Recht verstoßen. Wenn wir wirklich eine weitergehende Regelung brauchen, muss sie die kriminelle Handlung ahnden. Das würde ein Gesetz, das Unternehmen auferlegt, die Täter zu ermitteln. Professionell durchgeführte interne Emittlungen helfen hier. Gelingt dies, wäre die Firma exkulpiert. Kann der Betrieb trotz ernster Ermittlungen neben der Staatsanwaltschaft oder unterstützend die Tat nicht aufklären, wäre sie auch nicht strafbar. Hier muss in dubio pro reo gelten. Nur wenn das Unternehmen versucht, sich vor Schadensersatzansprüchen Dritter zu schützen und Ermittlungsergebnisse geheim hält, würde es sich des Organisationsverschuldens strafbar ma­chen. Dies ist jedoch keine Option, die ein Vorstand oder Geschäftsführer wählen kann, weil er dann zivilrechtlich haftet. Nur wenn er selbst der Täter ist oder sich eine Besserstellung der Firma wegen nicht beweisbaren Schadens­ ersatzforderungen verspricht, würde er so handeln. l

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AKTUELL Unternehmen­s­strafrecht

Neues Zeitalter? Update läuft! Gemeinsam konfigurieren wir Ihr Unternehmen für eine erfolgreiche Transformation.

Wie gut sind Unternehmen auf die Arbeitswelt von morgen vorbereitet? Eine positive Unternehmenskultur lässt sich nur durch eine umfassende Neuausrichtung der Arbeit gestalten. „Digital upskilling“ wird zu einer zentralen Aufgabe für Führungs­ kräfte und Mitarbeiter. Unternehmen müssen jetzt handeln, damit der Sprung in die digitale Ära rechtzeitig gelingt. Unsere Experten helfen Ihnen dabei. Wir zeigen Ihnen, wie neue Technologien Ihre Geschäftsmodelle, operativen Prozesse und Organisationsformen revolutionieren. Und machen transparent, welche Potenziale und Risiken die Digitale Transformation für Sie birgt. So sichern wir gemeinsam den zukünftigen Erfolg Ihres Unternehmens. Kontaktieren Sie uns noch heute auf www.pwc.de

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© 2019 PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC“ bezieht sich auf die PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die eine Mitgliedsgesellschaft der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) ist. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.

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AKTUELL Energie und Klimaschutz

Energiewende marktwir D as Bundeskabinett hat am 9. Oktober 2019 das Klimaschutzprogramm 2030 und den Entwurf des Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Diese Beschlüsse sind auch für die Energiewende eine wichtige Weichenstellung. Die Beiträge der verschiedenen Sektoren zur Zielerreichung 2030 sind nun gesetzlich festgelegt und mit einem detaillierten Maßnahmenset unterlegt. Sie werden überprüft – und bei Bedarf steuert die Bundesregierung nach. Im Mittelpunkt der Klimabeschlüsse stehen Innovationen und marktwirtschaftliche Ansätze. Ein Paradigmenwechsel dabei war, eine CO2-Bepreisung für die Bereiche Wärme und Verkehr einzuführen: Kohlendioxid bekommt nun auch in diesen Sektoren erstmals einen Preis. Um den Betroffenen Zeit zu geben, sich an diese neuen Rahmenbedingungen anzupassen, ist der Einstieg ab 2021 mit einem Preis von zehn Euro pro Tonne Kohlendioxid moderat gewählt. Mittel- und langfristig wird der Preis aber steigen. Dieses neue marktwirtschaftliche Leitinstrument wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Energiewende nicht nur im Strombereich, sondern auch im Verkehrs-

Andreas Feicht

Foto: BMWi

Staatssekretär Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

„Im Zuge der jüngsten Beschlüsse zur Klimapolitik haben wir zudem eine schrittweise Senkung der EEG-Umlage ab 2021 ­beschlossen.“ 30

Das Klimaschutzprogramm 2030 und der Entwurf des Klimaschutzgesetzes geben auch wichtige ­Weichenstellungen für die Energiewende vor. Die Leitlinien für mehr Marktwirtschaft, Effizienz und Innovation.

und Gebäudesektor die notwendigen Fortschritte machen wird. Ein zentraler Eckpfeiler der Energiewende ist der Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich auf 65 Prozent bis 2030. Dies hat das Klimakabinett bestätigt und richtungsweisende Konkretisierungen vorgenommen. Um das Ausbauziel zu erreichen, wurde unter anderem das Ziel für die Förderung von Windenergie auf See von 15 auf 20 Gigawatt im Jahr 2030 erhöht. Um die Akzeptanz bei Windenergie zu steigern, sollen Kommunen künftig stärker finanziell am Betrieb von Windenergieanlagen beteiligt werden. Darüber hinaus ist ein Mindestabstand bei neuen Wind­ energieanlagen von 1.000 Metern zu Wohngebieten vorgesehen. Bei den erneuerbaren Energien haben wir aktuell bereits einen Anteil

von über 40 Prozent am Bruttostromverbrauch erreicht; ein Wert, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Gleichzeitig ist es uns gelungen, die Kosten der EEG-Umlage seit 2014 konstant im Bereich zwischen 6,2 und 6,9 ct/kWh zu halten. Und das, o ­ bwohl im gleichen Zeitraum die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien um rund 50 Prozent gestiegen ist. Dies haben wir erreicht, indem wir bei der Förderung den marktwirtschaftlichen Ansatz der Ausschreibung eingeführt und die Förderung kosteneffizienter ausgestaltet haben. Im Zuge der jüngsten Beschlüsse zur Klimapolitik haben wir zudem eine schrittweise Senkung der EEG-Umlage ab 2021 beschlossen. Und wir setzen stärker auf technische Innovation bei der Förderung erneuerbarer Energien: Mit der am 16. Oktober 2019 vom Kabi-

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AKTUELL Energie und Klimaschutz

Foto: AdobeStock©sidorovstock

irtschaftlicher gestalten

nett beschlossenen Innovationsausschreibungsverordnung sollen 2020 Anlagenkombinationen von fluktuierenden und nicht fluktuierenden erneuerbaren Energien ausgeschrieben werden. Solche Projekte können dazu beitragen, die Einspeisung zu verstetigen und besser in das Stromnetz zu integrieren. Allerdings gibt es aktuell einen deutlichen Rückgang beim Ausbau der Windenergie an Land zu verzeichnen. Wir wollen daher die bestehenden Hemmnisse im Umweltund Naturschutzrecht sowie bei der Luftverkehrssicherheit beheben. Das Bundeswirtschaftsministerium hat deshalb rund einen Monat nach dem offenen Gespräch vom 5. September 2019 mit der Windenergiebranche, Verbänden und Ländern einen konkreten Arbeitsplan zur Stärkung der

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Windenergie vorgelegt. Gleichzeitig bleibt es wichtig, den Netzausbau zu beschleunigen und das Stromnetz zu optimieren. Jüngst wurde der Trassenkorridor für den ersten Abschnitt des Erdkabelprojekts SuedOstLink, eine von zwei geplanten großen Stromautobahnen vom Norden in den Süden Deutschlands, verbindlich festgelegt. Das Gesamtvorhaben besteht aus vier Abschnitten und soll 2025 in Betrieb genommen werden. Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet mit Hochdruck an der Umsetzung der Klimabeschlüsse. Dazu gehört, die Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ zum Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 gesetzlich umzusetzen. Das ist eine komplexe Aufgabe, bei der wir vor allem auf Versorgungssicherheit und be-

zahlbare Strompreise für Industrie und Haushalte achten. Im Gebäudesektor hat das Bundeskabinett bereits zwei Gesetzentwürfe beschlossen: Zum einen den Gesetzesentwurf zur Einführung einer steuerlichen Förderung für energetische Gebäude­sanierungen, mit dem die bestehenden, investiven Förderprogramme des Bundeswirtschaftsministerium ergänzt werden sollen. Und zum anderen den Gesetzentwurf für das Gebäudeenergiegesetz, das ein neues, einheitliches, aufeinander abgestimmtes Regelwerk für die energetischen Anforderungen an Neubauten, an Bestandsgebäuden und den Einsatz erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteversorgung von ­Gebäuden schafft. Und schließlich ist neben den bereits genannten Elementen für eine erfolgreiche Energiewende zudem erforderlich, noch mehr auf Digitalisierung und Innovationen zu setzen. Für die Digitalisierung der Energiewende ist die vom BSI zertifizierte Technologie der Smart-Meter-Gateways ein wichtiger Baustein. Nach einer längeren und anspruchsvollen Entwicklungsphase wurde kürzlich das zweite Zertifikat vergeben. In Kürze sollen weitere folgen, so dass der verpflich­tende Rollout nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Um neue Energietechnologien und Innovationen zur Marktreife zu bringen, setzt das Bundeswirtschaftsministerium vor allem auf die Reallabore der Energiewende. Es ist erfreulich, dass das Interesse an diesem Programm so groß ist und Bundesminister Altmaier im Juli 2019 die 20 Gewinner-Projekte bekanntgeben konnte. Zentrales Thema dabei sind CO2-arme Wasserstofftechnologien, die enorme Potentiale für die Energiewende und den Klimaschutz wie auch für neue Arbeitsplätze bieten. Bis Jahresende plant die Bundesregierung deshalb auch eine Nationale Wasserstoffstrategie zu beschließen. l

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AKTUELL Energie und Klimaschutz

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ediglich 16 Zeilen widmet das 22 Seiten starke Papier zum Klimaschutzpaket, dem Recycling und der Kreislaufwirtschaft. Dabei ist laut diverser Studien der nachhaltige Umgang mit Rohstoffen kombiniert mit einem europaweiten Deponierungsverbot eine sehr wirkungsvolle Maßnahme, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Das Umweltbundesamt selbst hat dazu Zahlen veröffentlicht, die eindrucksvoll belegen, dass die deutsche Ab­ fallwirtschaft ihre direkten CO2-­Emissionen im Vergleich zu allen anderen untersuchten Kategorien im Laufe der Jahre am deutlichsten reduziert hat: Von über 40 Millionen Tonnen im Jahr 1992 auf rund 10 Millionen T ­ onnen im Jahr 2017. Der Anteil an den Gesamtemissionen fiel dementsprechend auf 1,1 Prozent. Umso beeindruckender, dass sich diese Statistik ausschließlich auf die Behandlung von Siedlungsabfällen bezieht und weder die Einsparungen betrachtet, die sich aus der gesamt behandelten Menge unterschiedlicher Fraktionen ergeben, noch diejeni-

gen, die aufgrund einer Stärkung des Recyc­ lings oder durch thermische Verwertung entstehen. Auch in der gemeinsamen Studie „Klimaschutzpotentiale der Abfallwirtschaft“ des Bundesumweltministeriums, Umweltbundesamtes und des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) untersuchte das Ökoinstitut den Beitrag der Recycling- und Kreislaufwirtschaft für den Klima- und Umweltschutz. Mit einem ähnlich eindrucksvollen Ergebnis: Allein durch eine Getrenntsammlung der Wertstoffe aus Siedlungsabfällen wird ein Einsparpotential von bis zu 13,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten belegt. Die echte Einsparung ist jedoch sogar noch weitaus größer, da Recyclingrohstoffe natürlich nicht nur aus Siedlungsabfällen gewonnen werden, sondern beispielsweise auch im Bereich biologischer Abfälle, Altpapier und Altglas hergestellt werden. Die Recyclingrohstoffe fließen in die Produktion zurück und ersetzen dort aus der Natur geförderte Rohstoffe in erheblichem Maße.

Ebenso bleibt bei den meisten Statistiken die energetische Verwertung unberücksichtigt, obwohl sich auch dadurch ein großer Beitrag zur Einsparung von Treibhausgasen ableiten lässt: Zum einen wird verhindert, dass aus Siedlungsabfällen Methan- und Lachgasemissionen entstehen, die weitaus umweltschädlicher sind als CO2, zum anderen wird durch den Einsatz von Ersatzbrennstoffen aus Abfällen der Einsatz fossiler Energieträger effektiv geschont. 60 Millionen Tonnen CO2-Einsparung durch Recycling Kurzum: Das Potential von Recycling ist ein realistisch umsetzbarer und

Potential von ­Recycling vernachlässigt Das Klimaschutzpaket 2030 der Großen Koalition ­konzentriert sich auf die Reduktion von Treibhausgasen in den Bereichen Stromerzeugung und Mobilität. Das enorme Potential der Kreislaufwirtschaft für das Erreichen der Pariser Klimaziele bleibt fast gänzlich unbeachtet.

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AKTUELL Energie und Klimaschutz

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umso wichtiger ist, denn die klimaschädliche Wirkung von Deponien durch den Ausstoß von Methan ist alarmierend und müsste zur Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 Grad Celsius bis 2100 zwischen 2010 und 2050 um 35 Prozent sinken.

Herwart Wilms Mitglied der Geschäftsführung REMONDIS Assets & Services GmbH & Co. KG Lünen

Foto: Remondis AG

wenn wir die ambitionierten Klimaziele fristgerecht erreichen wollen. Dabei deutet der Aktionsplan der EU-Kommission auf europäischer Ebene in die richtige Richtung: Eine Zielvorgabe von 65 Prozent für das Recycling von Siedlungsabfällen und von 75 Prozent für das Recycling von Verpackungen sowie eine Beschränkung der Deponierung von Siedlungsabfällen auf höchstens zehn Prozent und ein Verbot für die Deponierung von getrennt gesammelten Abfällen – alles bis 2030. Letzteres in Kombination mit der Förderung wirtschaftlicher Instrumente zur Abkehr von Deponierung hat die Kommission inzwischen auch auf dem Radarschirm, was

Foto: AdobeStock©photka

vor allem höchst effektiver Hebel für mehr Klimaschutz. Verbände wie der BDE fordern demnach eine Mindestquote für den industriellen Einsatz von Rezyklaten. Die Einsatzquote von Recyclingrohstoffen, die derzeit bei etwa 15 Prozent liegt, müsste verdoppelt werden. Denn das würde eine jährliche CO2-Einsparung von 60 Millionen Tonnen allein in Deutschland bedeuten und damit wären wir den in Paris festgelegten Zielwerten einen großen Schritt näher. Umso unverständlicher ist deshalb, warum die Bundesregierung dieses Potential fast gänzlich außer Acht lässt. Ein großer Schritt in Richtung Recycling ist eigentlich längst überfällig, vor allem

„Mit einer Verdopplung der ­Einsatzquote von Recyclingrohstoffen von derzeit etwa 15 auf 30 Prozent würden allein in Deutschland 60 Millionen Tonnen CO2 ­eingespart.“ Die Zeit drängt – wenn die Erderwärmung bis 2050 auf diesen Wert beschränkt werden soll, dürfen nur noch 420 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden und dieses Budget haben wir bei derzeitigem Emissionsniveau innerhalb der nächsten zehn Jahre aufgebraucht. Deshalb sollte das Recycling nicht nur in der Industrie, sondern auch in den Köpfen der ­Öffentlichkeit noch stärker verankert werden. Momentan stehen für öffentliche Einkäufer, die sich klimafreundlich und ressourcenschonend verhalten wollen, kaum Auswahlhilfen zur Verfügung. Wie soll erkannt werden, ob ein Produkt oder eine Verpackung aus einem hohen Anteil von Rezyklaten besteht und recyclingfähig ist? Es fehlt bisher ein Ökodesignlabel, das plakativ darstellt, welche rohstoffliche Effizienz ein Produkt hat. Wenn der Endverbrauer weiß, wie hoch der Anteil an recycelten Rohstoffen ist und inwieweit das Produkt bei Lebensende recyclingfähig ist, kann das effektiv sein Kaufverhalten beeinflussen und damit einen weiteren wirkungsvollen Hebel für mehr Klimaschutz in Bewel gung setzen.

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AKTUELL Energie und Klimaschutz

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pätestens seit der Bundestagswahl 2017 hat die Klimaschutz-Debatte Deutschland fest im Griff. Politik und Gesellschaft ringen intensiv um den richtigen Kurs. Ich wünschte mir, dass wir schon bei der Umsetzung wären. Warum? Weil nur konkrete Maßnahmen

nationalen Emissionshandel kaum 12 Stunden Zeit. Ich habe Verständnis für die Verbände, die das kritisieren. Aber alles in allem: Die Richtung der Bundesregierung stimmt. Die Energiewende braucht Tempo und die Unternehmen Planungssicherheit. Dies gilt für den Ausbau der Erneuer-

bau der Stromerzeugung ist auch für „mein“ Unternehmen RWE eine enorme Herausforderung. Dafür haben wir im Unternehmen alle Weichen auf Zukunft gestellt. RWE gehört inzwischen zu den weltweit größten Anbietern von erneuerbaren Energien. In Europa sind wir die Nummer drei,

Strom: sauber, sicher und bezahlbar

dazu führen, dass der CO2-Ausstoß schneller sinkt. Dass das weltweit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten passieren muss, ist unstrittig. Auch Deutschland muss und wird hier seinen Beitrag leisten. Dafür muss aus Wollen jetzt Machen werden. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung im Herbst Entscheidungen getroffen hat. Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 hat sie den Vorwärtsgang eingelegt. Natürlich lässt sich immer über Details streiten. Das gehört zu einem seriösen Gesetzgebungsprozess dazu. Die dafür aufgewendete Zeit ist jedoch zu unterschiedlich verteilt. Während die Energiewirtschaft seit Februar darauf wartet, dass die Politik aus den Ergebnissen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung Nägel mit Köpfen macht, lässt sie den Verbänden für Rückmeldungen zum geplanten

Dr. Rolf Martin Schmitz Foto: RWE AG

Vorsitzender des Vorstands RWE

„Über allen Klimaschutzzielen in Deutschland schwebt das ­Damoklesschwert der langen Planungs- und Genehmigungs­ verfahren.“ 34

Wie aus Vision ­Wirklichkeit werden und die Energiewende jetzt gelingen kann. baren genauso wie für die Umsetzung von Speicher- und Wasserstoffprojekten. Essentiell ist dabei die Befreiung aller Arten von Speichern von den bestehenden Umlagen wie zum Beispiel der EEG-Umlage. Die Erarbeitung einer Wasserstoffstrategie ist ebenfalls ein wichtiger Schritt. Das gilt auch für den Einstieg in eine CO2-Bepreisung außerhalb des europäischen Emissionshandelssystems, denn auch hier sind Lenkungssignale unerlässlich. Über allen Klimaschutzzielen in Deutschland schwebt das Damoklesschwert der langen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Sie müssen kürzer und einfacher werden, damit erneuerbare Energien schneller ausgebaut und Stromleitungen zügig errichtet werden. Dass die Bundesregierung das anpacken will, ist gut und notwendig. Sonst ist ihr Ziel, bis 2030 den deutschen Stromverbrauch zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken, nicht zu erreichen. Der Um-

bei O ­ ffshore-Wind weltweit Nummer zwei. Wir liefern sauberen, sicheren und bezahlbaren Strom. Für unser Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, steigen wir konsequent und verantwortungsvoll aus den fossilen Energieträgern aus und investieren zeitgleich massiv in Erneuerbare Energien und Speicher. 1,5 Milliarden Euro netto stellen wir jedes Jahr dafür bereit. Ich bin fest davon überzeugt, dass Industrie und Klimaschutz zusammenpassen. Neue Technologien ermöglichen Wachstum. Und zwar so, dass Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen profitieren können. Das ist die Formel, die dem Klima wirklich hilft. Klar ist auch: Klimaschutz funktioniert nur international. Mit dem, was wir als Unternehmen tun, orientieren wir uns nicht an Landesgrenzen. Deutschland ist und bleibt die Heimat von RWE. Und wo es sinnvoll und machbar ist, investieren wir liebend

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Foto: AdobeStock©agrarmotive

AKTUELL Energie und Klimaschutz

gerne in den heimischen Markt. Von unseren über 9.000 Megawatt installierter Leistung auf Basis von erneuerbaren Energien kommen aktuell 20 Prozent aus Deutschland. Zudem haben wir hier mehrere hundert Megawatt an verschiedensten Standorten in der Entwicklung. Als internationales Unternehmen agieren wir aber global und müssen uns im Wettbewerb behaupten. Wir investieren dort, wo es aus Sicht des Unternehmens am meisten Sinn ergibt, wo wir mit Erneuerbaren am besten werthaltig wachsen können. Zur Realität gehört daher die Erkenntnis: Deutschland ist ein Markt unter vielen. Deshalb: Auch Länder stehen untereinander im Wettbewerb um Investitionen. Deutschland muss sich sputen, um Marktumfeld und Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien wieder zu verbessern. Etwa indem Fördermaßnahmen zielgenau weiterentwickelt werden. Deutsch-

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land kann hier von anderen Ländern ­lernen. Großbritannien gilt als ­guter Investitionsstandort für Offshore-Windenergie. Dort garantieren „two-sided Contracts for Difference“ den Betreibern von Windkraftanlagen berechenbare Erlöse und ermöglichen ihnen somit eine Absicherung gegenüber Marktpreisrisiken. Im Gegenzug für diese Absicherung müssen Anlagenbetreiber Mehreinnahmen oberhalb des vereinbarten Niveaus bei hohen Strompreisen abtreten. So wird eine Überförderung der Projekte verhindert und es können zusätzliche Einnahmen für die Allgemeinheit generiert werden. Ich finde, das ist ein kluger Weg. Deutschland kann und muss bei der Energiewende mit Ideen und Sachverstand wieder vorangehen. Für unser Land ist das eine enorme Chance, Wertschöpfung, Innovationen und Klimaschutz miteinander zu verbinden.

Ich bin überzeugt, dass wir mit Mut und Leidenschaft für neue ­Technologien den Weg in eine zunehmend CO2-freie Industriegesellschaft meistern können. Bis eine weitgehend CO2-freie Stromversorgung zu jeder Zeit, genauso zuverlässig wie heute und zugleich bezahlbar gewährleistet sein wird, ist aber noch viel zu tun. Vor allem darf unser Industrieland nicht ins Abseits geraten, weil u ­ nsere Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, überfordert werden. Der Umbau muss deshalb vernünftig und auf der r­ichtigen Zeitachse vonstattengehen. Über alle Visionen darf man das Machbare nicht aus den Augen verlieren. Was nicht hilft, ist ein Wett­bewerb um die radikalste Forderung. Das schadet mehr, als dass es nützt. Vielen Menschen macht das Angst. Und die führt zu Abwehrhaltung. Was Deutschland aber braucht, ist die Lust l auf das Neue.

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Offene Netzwerke: Ein Erfolgskonzept für Innovation D ie zweite EU-Zahlungsdiensterichtlinie ist ein Meilenstein für die Innovationsfähigkeit des europäischen Finanzsektors. Zur Förderung des Open Banking Ansatzes definiert sie einen einheitlichen Rahmen für den Zugang Dritter zu Finanzinfrastrukturen. Dazu hat die Richtlinie einheitliche technische Standards für Schnittstellen festgelegt, die es insbesondere FinTechs ermöglichen, innovative Dienste in Verbindung mit Bankkonten anzubieten. Dies erleichtert allen Akteuren signi-

Albrecht Kiel

Foto: Visa

Regional Managing Director für Zentraleuropa Visa Europe

„Die zweite EU-Zahlungs­ diensterichtlinie greift die ­Megatrends Globalisierung und Digitalisierung auf.“

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fikant, Innovationen in gemeinsamen Netzwerken voranzutreiben. Die Richtlinie greift die Megatrends Globalisierung und Digitalisierung auf. Durch diese sind völlig neue Möglichkeiten entstanden, neue Akteure wie FinTechs in bewährte Partnerschaften von Banken und Technologie­ unternehmen wie Visa zu integrieren. Während FinTechs gänzlich neue Ideen entwickeln, die nicht durch bestehende Strukturen eingeengt sind, unterstützen etablierte Unternehmen wie Visa durch jahrzehntelange Erfahrung und bewährte Prozesse. Für Visa hat dieser gemeinsame Innovationsansatz Tradition. Wir arbeiten bereits seit über 60 Jahren in einem Netzwerk mit unseren Partnerbanken eng zusammen. Visa agiert darin als Bindeglied zwischen Verbrauchern und Händlern, indem wir deren Banken eine weltweite Zahlungsinfrastruktur zur Verfügung stellen. Um weitere innovative Partner in dieses Netzwerk zu integrieren, haben wir eine Vielzahl von Initiativen ins Leben gerufen. Die Visa Developer Platform gibt Entwicklern Zugänge zur Visa-Infrastruktur und Daten,

um damit innovative Lösungen für den Handel zu entwickeln. Über Visa Partner beraten wir junge Unternehmen, die smarte Ideen für digitales Banking haben. Zudem unterstützen wir FinTechs in Deutschland über Förderprogramme wie die Visa Every­ where Initiative, im TechQuartier in Frankfurt am Main oder in unserem Innovationscenter Spielfeld in Berlin. Damit solche Ansätze Früchte tragen, müssen alle Akteure im Zahlungsmarkt faire Chancen im Wettbewerb um die innovativsten Ideen erhalten. Gefragt ist ein technologie­ neutraler und innovationsfreund­ licher Regulierungsrahmen, der auch, aber nicht nur künstliche Intelligenz und Blockchain fördert. Er muss Kooperationen von Unternehmen jeder Größe unterstützen, damit diese gemeinsam neue und kreative Lösungen entwickeln können. Hierfür brauchen wir auch einheitliche Regeln für den grenzüberschreitenden Datenverkehr. Denn internationale Kooperationen sind zentral, um die Innovationskraft in Europa zu sichern und damit vor allem auch die europäische Wett­ l bewerbsfähigkeit zu stärken.

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Foto: AdobeStock©Eisenhans

AKTUELL Digitalisierung


Die deutsche Wirtschaft leidet unter zu viel Regulierung. Dabei brauchen wir gerade für die anstehende ­Digitalisierung einen fairen ­Wettbewerb aller Marktteilnehmer.

Digitalisierung braucht mehr ­Wettbewerb

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ie Versicherungswirtschaft erlebt einen epochalen Umbruch. Wünsche und Anforderungen der Kunden verändern sich rasant. Apps und Online-Services ersetzen Papierformulare und Briefpost. Startups mit neuen Technologien drängen auf den Markt der Assekuranz. Unter dem Druck, schneller und digitaler zu werden, bauen Konzerne ihre Geschäftsmodelle um. Gefragt sind in der digitalen Welt nicht mehr Versicherungsprodukte, sondern kundenfreundliche Lösungen für den Alltag der Menschen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich quer durch alle Branchen in der gesamten deutschen Wirtschaft beobachten. Bayer, ThyssenKrupp und Deutsche Bank – einst schillernde Namen der Deutschland AG – kämpfen gegen sinkende Börsenwerte. Schlüsselbranchen wie die Autoindustrie und der Maschinenbau müssen sich in der digitalen Welt neu erfinden. Die deutschen Versicherer, die mit knapp 438 Millionen Verträgen die ­Risiken von Bürgern und Unternehmen absichern und damit einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand ­ und der sozialen Absicherung ­leisten, nehmen die Herausforderungen der ­ Digitalisierung an. Kaum eine ­Branche

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verändert sich derzeit so rasch und grundlegend. Doch die Versicherer gehen mit einem Handicap an den Start. Denn im Gegensatz zu Internetkonzernen, die staatlich kaum kontrolliert werden, ächzen die Unternehmen unter einer immer stärkeren Regulierung. Kaum eine Branche wird staatlich so sehr überwacht wie das Versicherungswesen. Vom Vertragsverhältnis mit dem Kunden über die IT bis zu den Anforderungen an Produkte und den Vertrieb – jedes Detail wird durch Normen und Gesetze kontrolliert. Dazu kommen Vorschläge wie der jüngste Vorstoß zur Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung – bei dem die private Pflegeversicherung geopfert werden soll. Das Ergebnis wäre ein Ende des Qualitätswettbewerbs in der Pflege. Noch gravierender ist die Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten der großen Internetkonzerne beim Schlüsselthema Daten. Als Versicherer dürfen wir die Informationen etwa eines Kunden in der Krankenversicherung nicht in der Lebensversicherung verwenden. Obwohl dies für den Kunden einen deutlich besseren Service ermöglichen würde. Internetkonzerne wie Amazon oder Google können da-

gegen alle Daten in einen Topf werfen, ohne dass sich daran jemand stört. Die Lösung dieser Schieflage heißt nicht, die Rechtsnormen zu senken. Regulierung ist notwendig und wichtig zum Schutz der Verbraucher und für die Stabilität der Unternehmen. Was wir aber brauchen, ist ein echter und fairer Wettbewerb. Das heißt: Für alle Marktteilnehmer müssen die gleichen regulatorischen und gesetzUlrich Leitermann Foto: Andreas Oertzen

Foto: AdobeStock©wei

AKTUELL Digitalisierung

Vorsitzender der Vorstände SIGNAL IDUNA Gruppe

„Kaum eine Branche wird staatlich so sehr überwacht wie das ­Versicherungswesen.“ lichen Anforderungen gelten. Dabei muss die Maßgabe lauten: so viel Regulierung wie nötig und so wenig wie möglich. Denn nur mit einem fairen Wettbewerb und einer innovationsfreundlichen Regulierung kann die deutsche Wirtschaft in der digitalen l Zukunft bestehen.

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AKTUELL Unternehmensbewertung

Werte entscheiden über die Bilanz der Zukunft

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ls Teil der Gesellschaft tragen Unternehmen die Verantwortung, sich stärker an der Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu beteiligen. Treiber sind ökologische wie der Klimawandel und soziale H ­ erausforderungen wie die Partizipation an Wachstum. Denn trotz Petra Justenhoven

Foto: PwC

Mitglied der Geschäftsführung und Leiterin Assurance PwC

deut­lichen gesamtgesellschaftlichen Wachstums in den beiden letzten ­Dekaden, sind die Nettorealverdienste nahezu gleich geblieben. Die beginnenden Skaleneffekte der Digitalisierung verstärken diese Ungleichheiten. Schon heute ist

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der Marktwert großer Plattformunternehmen wie Microsoft, Amazon, Alphabet oder Apple nicht mehr vergleichbar mit dem durchschnittlichen Wert anderer Unternehmen, vor allem des produzierenden Gewerbes. Und die Skaleneffekte durch die Digitalisierung beginnen gerade erst. Die Wachstumsgrenzen, die uns durch Ressourcenverbrauch und die Herausforderung Klimawandel gesetzt sind, tun ihr Übriges. Fünf Erden würden wir benötigen, um den Lebenswandel der Weltbevölkerung auf das Wohlstandsniveau eines Nordamerikaners zu heben, auf das Level eines Deutschen immer noch drei (s. Grafik). Für Unternehmen bedeuten diese Entwicklungen, dass die Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen immer wichtiger wird. Ökologische und soziale Themen bestimmen stärker als bisher ihre Zukunftsfähigkeit. Stakeholder, und verstärkt Investoren, fordern von ihnen entsprechende Risiken zu managen und Chancen zu nutzen. Weiteres Wachstum kann nicht mehr auf Basis von Konzepten wie Shareholder Value stattfinden. Die Welt braucht neue Erfolgsmodelle, die Ressourcen intelligent nutzen und unter Lösung der Herausforderung Klimawandel Wachstum ermöglichen, an dem alle Bevölkerungsgruppen vernünftig partizipieren können. Das bedeutet sich wegzuentwickeln von der Profitmaximierung hin zur Wertoptimierung. Die Sustainable ­

Development Goals der Vereinten Nationen bieten hierfür ein Rahmenwerk. Bei den Wirtschaftsmodellen, die neu entwickelt werden müssen, tragen Unternehmen stärker dazu bei, einen gesamtheitlichen Wert für Gesellschaft und Umwelt zu schaffen. Dies kann künftig nicht mehr rein am finanziellen Erfolg gemessen werden. Wir benötigen daher neue holistische Wege, den Erfolg eines Unternehmens zu messen und zu bewerten, um die richtigen Entscheidungen für Unternehmen, Investoren, Gesellschaft und Umwelt treffen zu können. Durch neue Impact-Valuation-Ansätze können Unternehmen ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen transparent machen und sie in Euro

Wieviele Erden bräuchten wir, wenn alle Leute der Welt so leben würden, wie die Bewohner von … Quelle: Global Footprint: Network National Footprint Accounts 2019

Neue Bilanzierungsmethoden ermöglichen die Bewertung von ökologischen und sozialen ­Auswirkungen von Unternehmen auf die Gesellschaft. Das ist für die Unternehmen selbst bei vielen Entscheidungen wie auch für Investoren interessant.

USA 5,1 Russland 3,2 Deutschland 3,0 Japan 2,8 U.K. 2,7 Frankreich 2,7 China 2,2 Brasilien 1,7 Indien 0,7 gesamte Welt 1,75

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AKTUELL Unternehmensbewertung

Unsere Bilanz für eine bessere Zukunft Unsere Bilanz für eine bessere Zukunft Gesamte Lieferkette Sublieferanten

BASF-Produktion

Direkte Lieferanten

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Kundenindustrien Direkte Kunden in von BASF belieferten Industrien

Nettogewinn Tilgung & Abschreibung Steuern Löhne Humankapital Gesundheit & Sicherheit Luftemissionen CO2-Emissionen Landnutzung Abfall Wasserverbrauch -10

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ökonomisch

70 Mrd. € gesellschaftlich 70 Mrd. €

gesellschaftlich

bewerten. Dies geschieht durch die Analyse ihrer Auswirkungen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Gemessen werden also nicht nur die Produktion der Güter und Dienstleistungen, sondern auch die Nutzung der Produkte und Dienstleistungen durch die Kunden. So misst die BASF SE bereits seit einigen Jahren, welche Auswirkungen ihr Geschäftsmodell verursacht. PwC hat dazu die entsprechende Methodik entwickelt. Saori Dubourg

Foto: BASF

Mitglied des Vorstands BASF SE

Auch andere führende Unternehmen haben begonnen diesen Weg zu gehen. Sie erfassen ihre gesellschaftlichen Auswirkungen, bewerten und veröffentlichen sie. Derzeit sind diese Analysen oft noch nicht vergleichbar, weil sie auf unterschiedlichen Anwendungskreisen basieren und andere Berechnungsmethoden nutzen. Auch die Art der Darstellung der Veröffentlichung ist unterschiedlich. Der nächste Schritt muss sein, diese Informationen vergleichbar zu machen. Aus diesem Grund engagieren sich BASF und PwC in der Value Balancing Alliance, der sich mehrere global tätige Unternehmen angeschlossen haben. Universitäten wie Harvard,

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-30 Mrd. € ökologisch -30 Mrd. € ökologisch

Oxford und Hamburg, die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie die OECD konnten als strate­ gische Partner gewonnen werden. ­Gemeinsam werden diese Ziele verfolgt: Erstens, die Bewertungsmethoden gesellschaftlicher Auswirkungen sollen standardisiert und öffentlich frei zugänglich gemacht werden. Zweitens, die Berechnungen sollen für Geschäftsmodelle in allen Industrien anwendbar sein. Drittens sollen die Methoden prüfbar, einfach, transferierbar und skalierbar sein und in einer einheitlichen Veröffentlichung münden. Im Ergebnis wird die ­ökonomische, soziale und ökologische Leistung, die positiven wie negativen Wirkungen eines Unternehmens „fair“ abbilden. Dies wird Investoren erlauben, bessere Entscheidungen für ihre Kapitalallokation zu treffen. Für Unternehmen soll diese Initiative einen pragmatischen An­ satz schaffen, der die Hürde zur Anwendung solcher Analysen senkt. Dadurch wird die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Auswirkungen bei unternehmerischen Entscheidungen zur „neuen Realität“. Die künftige Integration dieser Metriken in die ERP-Systeme von Unternehmen wird helfen, die Informationen abrufen zu können, wenn Entscheidungen a­ nstehen – etwa hinsichtlich der ­Beschaffung von Rohstoffen und Waren, Technologieoptionen, der Auswahl von Standorten oder des Produktdesigns.

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Netto Wertbeitrag > 100 Mrd. € Netto Wertbeitrag > 100 Mrd. € PwC unterstützt die Initiative, weil sie der richtige Weg für den langfristigen Erfolg von Unternehmen ist. Ähnliches gilt für die BASF, die durch diese Initiative erwartet, die Bewertungsmetrik für ihren Unternehmenszweck zu finden. Gemeinsam mit den Partnern der Value Balancing Alliance sind PwC und BASF überzeugt, dass diese Informationen Unternehmen helfen, ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft besser zu verstehen und transparenter zu machen. Als Folge erwarten die Unternehmen mehr Entscheidungen zu treffen, die positiv auf Umwelt und Gesellschaft wirken. Unternehmen schaffen so Vertrauen dafür, dass sie „gute“ Entscheidungen Christian Heller Vizepräsident BASF CEO value balancing alliance e.V.

Foto: BASF

Milliarden E

Quelle: BASF

Emissionen in Wasser

treffen. Die Politik kann Rahmenbedingungen setzen, um die Anwendung von Impact-Valuation-Methoden zu erleichtern. Dadurch lässt sich der Transformationsprozess in ein modernes Wirtschaftssystem unterstützen, bei dem Wachstum stattfindet, gleichzeitig jedoch gesellschaftlich relevante soziale und ökologische Auswirkungen der Wirtschaft positiver ausfallen und Menschen leichter partizipieren l lassen.

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WIRTSCHAFTSRAT Klimaschutz

Klein-Klein statt großer Wurf

Foto: Jens Schicke

Licht und Schatten beim Klimaschutzgesetz und Klimapaket der Großen Koalition.

D

ie Aktivistin Greta Thunberg und der You-Tuber Rezo haben der Bundesregierung ­ gezeigt, dass ­Klimaschutz gerade auch für viele junge Menschen ein wichtiges Thema ist. Die Große Koalition hat reagiert und nach dem Kohleausstieg auch noch ein Klima-

Dr. Bernd Weber Foto: Jens Schicke

Bereichsleiter Industrie, Energie, Umwelt Wirtschaftsrat der CDU e.V.

„Leider hat die Bundesregierung es versäumt, das CO2-Preissignal zum Dreh- und Angelpunkt beim Klima zu machen.“ 40

paket geschnürt. Statt auf Verbote und Verzicht setzt es auf Innovationen und Befähigung und sieht ein marktwirtschaftliches CO2-Preissignal für die Sektoren Wärme und Verkehr vor. Dies sind Schritte in die richtige ­ Richtung, denen weitere folgen ­müssen. Leider hat die Bundesregierung jedoch versäumt, ein effizientes und marktwirtschaftliches CO2-Preis­signal zum Dreh- und Angelpunkt des Klimapaketes zu machen. Stattdessen setzt sie vielfach auf kleinteilige, oft ineffiziente und teure Maßnahmen, die unsere nationale Energie- und Klimapolitik noch komplexer machen. Um CO2-Emissionen zu den geringsten Kosten für Unternehmen und Bürger einzusparen, ist ein marktwirtschaftlicher CO2-Preis das beste Instrument. Daran müssten sich alle Maßnahmen orientieren.

Damit verbleibt die Lenkungs­ wirkung des Emissionshandels für die Nicht-ETS-Sektoren Wärme und Verkehr im Klimapaket gering. Mit Fix-, Höchst- und Mindestpreisen wird die Preisbildung für eine kosteneffiziente CO2-Vermeidung klar eingeschränkt. Ein klarer Fahrplan für die Überführung in einen sektorenübergreifenden europäischen Emissionshandel (EU-ETS) fehlt ebenso wie der konsequente Abbau überzogener staatlicher ­Abgaben und Umlagen – diese müssten dringend auf Effektivität überprüft werden. Kritisch ist zudem die fehlende Kompatibilität von Klimaschutzgesetz und Klimapaket. Die Einführung nationaler Ziele für jeden Sektor und für einzelne Jahre ist mit einem sektorenübergreifenden Zertifikatehandel nicht vereinbar. Hier drohen neue ineffiziente und kleinteilige Einzelmaßnahmen. Das Ziel einer sektorenübergreifenden, integrierten Energiewende würde durch ein staatliches Mikromanagement untergraben. Trotz Klimapaket bleibt zudem fraglich, ob Deutschland die euro­pä­ ischen Klimaziele bis 2030 einhalten kann. Ökonomische Analysen zeigen, dass sie für Verkehr und Wärme wohl verfehlt werden, bei gleichzeitigen Mehrkosten von 54 Milliarden Euro. Durch eine von der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ins Spiel gebrachte Erhöhung der europäischen Klimaschutzziele bis 2030 würde sich die Schieflage noch weiter verschärfen. Umso wichtiger ist es, das Klein-Klein in der Energieund Klimapolitik nicht auf hohem Niveau weiterzuführen, sondern auf einen innovativen marktwirtschaft­ lichen Paradigmenwechsel zu setzen. l

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WIRTSCHAFTSRAT Europäische Energiepolitik

Wettbewerbsfähig, innovativ und nachhaltig

Aufbruch für einen starken Energieund Industrie­standort in Europa.

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Fotos: FK/PH

uropa sollte auf der Weltbühne entschlossener auftreten und mit einer Stimme sprechen”, forderte Dr. ­Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates, zur Eröffnung des energie­ politischen Symposiums in Brüssel. Die hochkarätig besetzte Tagung stand unter dem Motto „Aufbruch für einen starken Energie- und Industriestandort Europa: wettbewerbsfähig, ­innovativ und nachhaltig”. Nicola Beer MdEP, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, machte auf die Bedeutung von Technologieoffenheit aufmerksam. „Wir sollten technologieoffen fördern”, forderte Beer. „Ich kann Ihnen versprechen, dass wir mit der liberalen Fraktion weiter d ­ arauf dringen werden.” Bernd Biervert, stellv. Kabinetts­chef des ­Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, setzt auf eine marktwirtschaftliche Integration der erneuerbaren Energien in den Markt. „Wir sind gespannt auf die Impulse, die uns der Wirtschaftsrat dabei geben wird.” Stefan Hakansson, Global Director City Energy Solutions, E.ON SE, sagte, dass Europa bereits viele Fortschritte gemacht habe. „Wir sollten uns aber nicht zurücklehnen – und unsere Nachhaltigkeits-Agenda weiter entschlossen vorantreiben.” Detlev Wösten, CTO, H&R GmbH & Co. KGaA, forderte im Hinblick auf den Strommarkt mehr Innovationen. „Die Strompreise werden bestimmen, welche Geschäftsmodelle sich künftig entwickeln werden.” Peter Liese MdEP, Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Fraktion der Europäischen Volkspartei, Europäisches Parlament, erklärte, die öffentliche

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Meinung zu Klimafragen habe sich drastisch geändert. „Die Klimapolitik muss dennoch so durchgeführt werden, dass wir ein Industrieland bleiben.” Dr. Andree Groos, Vorsitzender der Bundesfachkommission Energieeffizienz und Geschäftsführer Vaillant GmbH, ist der Auffassung, dass Energieeffizienz stets vernachlässigt werde, gleichwohl aber ein Hebel sei, der für den ­Klimaschutz schneller und direkter wirken könne als viele Investitionen in regenerative Energien. Dr. Artur Runge-­ Metzger, Direktor für Klimastrategie und Internationales, Generaldirektion Klima, Europäische Kommission, erläuterte, dass man einen modernen Industriestandort erhalten könne, indem man innovative Technologien wie Elektrizität, Wasserstoff, Power-to-X intelligent mit Sektorkopplung und einer K ­ reislaufwirtschaft verknüpfe. Dr. Markus Pieper MdEP, Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, Fraktion der Europäischen Volkspartei, Europäisches Parlament, forderte mehr marktwirtschaftliche Anreize für den ­Klimaschutz: „Wir müssen mit guten Rahmenbedingungen Lust auf die Energiewende machen.“ Michael Schack PhD, ENGIE Deutschland AG, führte aus, dass eine intelligente Sektorkopplung der einzige Weg sei, um Städte klimaneutral umzubauen. „Die Technologie gibt es. Städte wie Kopenhagen, Helsinki und Stockholm sind schon heute nahezu l kohlenstoffneutral.”

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Foto: Jens Schicke

STANDPUNKT STEIGER 42

„Eine Nachspielzeit wird es für diese Koalition nicht geben, aber ein vorzeitiger Spielabbruch ist möglich. Deshalb muss die Union in der zweiten Halbzeit noch ein paar Tore schießen.“

Wolfgang Steiger Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Union muss am Ball bleiben Z ur Halbzeitbilanz der GroKo kristallisiert sich heraus, was die Bundesregierung bisher geleistet hat – und was nicht. Laut einer Bertelsmann-Studie wurden bis Ende September 48 Prozent der Projekte im Koalitionsvertrag vollständig und vier Prozent teilweise umgesetzt. Weitere 14 Prozent hat Schwarz-Rot in Angriff genommen, 34 Prozent noch nicht. Gleichzeitig macht die Koalition auf Bundesebene bisher eher sozialdemokratische Politik. Zwar ist die SPD der mit Abstand kleinere Koalitionspartner, dennoch dominiert sie diese Bundesregierung. 33 SPD-Vorhaben wurden nach zwei Jahren umgesetzt, aber nur 14 von CDU und CSU. Ein krasses Missverhältnis. Wenn man bedenkt, dass die Union 62 Prozent der Mannschaft stellt, aber nicht einmal ein Drittel der umgesetzten, allein einem Koalitionspartner zuzuschreibenden Vorhaben auf sie entfällt, bleibt nur eine Schlussfolgerung: CDU und CSU müssen aufpassen, dass sie in der zweiten Halbzeit nicht gefoult werden. Zum Ende der ersten Halbzeit dribbelt die SPD kopflos im Abseits herum, indem sie bei Projekten wie der Grundrente den Koalitionsvertrag in Frage stellt. Hier muss die CDU konsequent die rote Karte zeigen, denn nach Jahren der sozialen Gießkannenpolitik kann sich Deutschland ein weiteres Fass ohne Boden wirklich nicht mehr leisten. Um völlige Willkür im Rentensystem zu vermeiden, sollte daher gelten, was in den Spielregeln der Koalition steht: Wer mindestens 35 Jahre lang eingezahlt hat und im Alter dennoch bedürftig ist, soll

ein Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung erhalten. Die Kosten lägen bei rund 200 Millionen Euro jährlich, profitieren würden tatsächlich bedürftige Ruheständler, und die Lasten für den Steuerzahler hielten sich in Grenzen – das ist gerade mit Blick auf die sich abkühlende Konjunktur besonders wichtig. Auch beim im Koalitionsvertrag vereinbarten säulenübergreifenden Renteninformationssystem sollte die Union deshalb mehr Tempo machen. Mit Blick auf die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel braucht es zudem Mut zu tiefgreifenden Reformen. Die vollständige Abschaffung des Soli für alle gehört dazu, ebenso eine Unternehmenssteuerreform und ein umfassender Bürokratieabbau zur Entlastung von Mittelstand und Familienunternehmen. Nicht zuletzt sind eine effiziente Haushaltspolitik und die Begrenzung staatlicher Belastungen für Unternehmen und Bürger Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz von Klimaschutz und Energiewende. Oberstes Ziel muss es daher sein, möglichst viel CO2 zu den geringsten Belastungen für Haushalte und Unternehmen einzusparen. Angesichts dieser großen Herausforderungen ist es wichtig, dass CDU und CSU konsequent am Ball bleiben. Eine Nachspielzeit wird es für diese Koalition nicht geben, aber ein vorzeitiger Spielabbruch scheint mit Blick auf den anstehenden Trainerwechsel bei den Roten möglich. Deshalb muss die Union in der zweiten Halbzeit noch ein paar Tore schießen l – je früher, desto besser.

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WIRTSCHAFTSRAT Mitgliederkarte

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Foto: ROTONDA Business Club

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN 

BAU, IMMOBILIEN UND SMART CITIES

INTERNATIONALER KREIS

Bundestag plant Normenkontrollklage gegen Mietendeckel in Berlin

Knackpunkt Landwirtschaft

Der stellvertretende Kommissionsvorsitzende der Bundesfachkommission Michael Lowak, Geschäftsführer & Segment CEO GETEC Wärme & Effizienz GmbH, konnte Fritz Güntzler MdB begrüßen, der die Details der Grundsteuer-Reform ab 2025 und den zeit­ lichen Fahrplan für das Gesetz erläuterte. Das ordentliche Mitglied im F ­ inanzausschuss im Deutschen Bundestag sagte, dass für die ­Reform eine Änderung des Grundgesetzes notwendig sei, die die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sicherstellen solle. Das Gesetz sieht ein wertabhängiges Modell zur Berechnung der Grundsteuer vor. Die Grundstückswerte sollen mit möglichst wenigen Parametern berechnet werden. Ob das wie geplant funktionieren kann, müsse sich noch erweisen, sagte Güntzler. Das Gesetz ist nach Zeitplan Anfang November durch den Bundesrat gegangen. Zum Thema Mietendeckel in Berlin hatte die Kommission Dr. Jan-Marco Luczak MdB, Vorsitzender der Berliner CDU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und Obmann im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, eingeladen. Luczak wertete den Mietendeckel als schweren ­Eingriff in den Wohnungsmarkt, vor allem wegen der willkürlichen staatlichen Festsetzung einer Preisobergrenze auf Basis eines früheren Jahreswertes ohne die Berücksichtigung der Lage. Die Zahl der Baugenehmigungen gehe dadurch weiter zurück. Erste Folgen: Die Handwerkskammern meldeten bereits Auftragsrückgänge in ­Millionenhöhe. Das werde die Wohnungssituation weiter verschlimmern.

Der geplante Mietendeckel ist zwar eine landespolitische Entscheidung, die Festlegung einer Preisobergrenze fällt jedoch in die bundespolitische Entscheidungskompetenz. Über die Zuständigkeit muss jetzt das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dazu muss der Bundestag ein Normenkontrollverfahren beantragen, das 178 Abgeordnete stützten. Die FDP-Fraktion will das Verfahren tragen und trotz der Verpflichtungen in der Großen Koalition ist sich der CDU/CSU-Fraktionsvorstand einig, dass ein Normkontrollverfahren eingeleitet werden muss. Falls die SPD Einwände hat, die gesamte Fraktion darüber abstimmen zu lassen, plädiert Dr. Jan-Marco l Luczak MdB dafür, die Abgeordneten entscheiden zu lassen.

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Über die Herausforderungen und Perspektiven der transatlantischen Beziehungen diskutierten die Mitglieder der Bundesfachkommission Internationaler Kreis unter dem Vorsitz von Dr. Jürgen Geißinger, Aufsichtsratsmitglied der MTU Aero Engines AG, mit Virginia Murray, Gesandte – Botschaftsrätin der US-Botschaft in Berlin, und Stefan Rouenhoff MdB. Virgina Murray erläuterte die US-Sichtweise auf aktuelle wirtschaftliche, (geo-)politische und technologische Themen im ­transatlantischen Verhältnis. Dabei betonte sie, dass es für die USA von essentieller Bedeutung sei, in den weiteren Verhandlungen für ein transatlantisches Industriegüterabkommen den Sektor Landwirtschaft miteinzubeziehen. Diesbezüglich wünscht sich Washington in Zukunft eine stärkere Führungsrolle von der deutschen Politik, so die Gesandte der US-Botschaft, damit auf EU-Ebene die ins ­Stocken geratenen Verhandlungen neu aufgenommen werden können.

Stefan Rouenhoff MdB plädierte hingegen für Verhandlungen „auf Augenhöhe“, bei denen man beiden Seiten gerecht werden ­könne. Dabei betonte er, dass man sich im Rahmen des Treffens von J­uncker und Trump im letzten Juli explizit auf den Ausschluss land­wirtschaftlicher Produkte im Industriegüterabkommen geeinigt hatte. Auf diese Einigung sollte man sich nun konzentrieren und die EU dabei nicht ihr Licht unter den Scheffel stellen oder sich von Drohungen beeindrucken lassen, forderte der Bundestags­ abgeordnete. Besonders kontrovers diskutiert wurden die deutsche und ­europäische Strategie in den Verhandlungen des transatlantischen Industriegüterabkommens. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass Trump die Strafzölle auf Autos als Druckmittel erheben wird, um insbesondere Deutschland zum Handeln zu zwingen, merkte der stellvertretende Vorsitzende der Bundesfachkommission, Frank Sportolari, Generalbevollmächtigter United Parcel Service l LLC & Co. OHG, an.

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Alle Fotos: Jens Schicke

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

ENERGIE FÜR MOBILITÄT

HANDEL UND ERNÄHRUNG

Marktwirtschaftliche Sektorkopplung voranbringen

Nutri-Score findet Gefallen des Verbrauchers

Der Wirtschaftsrat hat die Bundesarbeitsgruppe „Energie für Mobilität“ neu gegründet und konnte für den Vorsitz Joachim Drees, ­Vorstandsvorsitzender MAN SE, gewinnen. Dieser eröffnete die Auftaktsitzung mit den Worten, dass, wenn die Klimaziele der Bundesregierung erreicht werden sollen, die Treibhausgase im Verkehrssektor bis 2030 um 40 Prozent sinken müssen. Zugleich müsse der Verkehr Teil einer integrierten Energiewende werden und die Kopplung der Sektoren Strom und Mobilität konsequent vorangetrieben werden. Das Gremium solle über marktwirtschaftliche und technologieoffene Rahmenbedingungen beraten und diese in die politische Debatte einbringen. Es gehe nicht nur darum Klimaziele zu erreichen, sondern vor allem Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu halten sowie auf diesem Gebiet zum Motor für Wachstum und Innovation zu werden. Mit Steffen Bilger MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, diskutierte das Gremium die Frage, wie der Hochlauf alternativer Antriebstechnologien effizient und marktwirtschaftlich vorangetrieben werden kann. Über die aktuellen Beratungen informierte Mark ­Helfrich MdB, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestags und Berichterstatter der Unionsfraktion für Elektro­ l mobilität, Energienetze und Energiespeicher.

Thomas Kyriakis, Vorstand Schwarz Zentrale Dienste KG, übernimmt den Vorsitz der Bundesfachkommission von seinem Vorgänger im Amt, Gerd Chrzanowski. In der Auftaktsitzung informierte sich das Gremium bei Dr. Ludwig Franken, Abteilungsleiter Gesundheitlicher Verbraucherschutz, Ernährung, Produktsicherheit im Bundes­ ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, über die aktuellen Initiativen von Bundesministerin Julia Klöckner MdB. Thema war u. a. die Ausgestaltung einer Nährwertkennzeichnung. Verbraucher sprachen sich für den Nutri-Score aus, der in Frankreich und Belgien bereits genutzt wird. Weitere EU-Länder diskutieren seine Ein­ führung. In Deutschland bleibt diese den Herstellern freigestellt. Dr. Michael von Abercron MdB berichtete über die Aktivitäten der Bundesregierung: Mit dem Haushalt seien wichtige Weichen für die ländlichen Regionen gestellt worden, um sie als attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume zu erhalten – der Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“ sei neu geschaffen, das Bundesprogramm für ländliche Entwicklung aufgestockt worden. Zum Thema Ernährung sagte das Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft im Deutschen Bundestag: Sicherheit, Qualität und Vielfalt unserer Lebensmittel war noch nie so hoch wie heute. Prof. Ulrike Arenz-Azevêdo, Präsidentin Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. hielt einen Vortrag über „Nachhaltige Lebens­ l mittelempfehlungen“.

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UND WERTSCHÖPFUNG 4.0

Datensparsamkeit verhindert Geschäftsmodelle Unter dem Vorsitz von Hans-Georg Krabbe, Vorsitzender des Vorstandes ABB AG, diskutierte die Bundesfachkommission darüber, dass die KI-Strategie an vielen Stellen zu unkonkret ist und zu langsam umgesetzt wird. Es fehlt ein konkreter Zeitplan, was die Erfolgskontrolle erschwert. Die Bundesregierung arbeitet jetzt an einem Monitoring, um Maßnahmen zu evaluieren und den Fortschritt zu messen. Einer der Fortschritte: Etwa 30 der 100 geplanten Professuren an Hochschulen sind ausgeschrieben. Für die restlichen 70 gibt es noch keine Festlegung der Schwerpunkte, hier kann die Bundesfachkommission helfen Akzente zu setzen. Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Bevölkerung KI reserviert gegenübersteht, obwohl sie schon oft genutzt werde, sagte Prof. Dr. Stefan Wrobel, Geschäftsführender Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme und Mitglied der High-Level Expertengruppe für Künstliche Intelligenz der EU-Kommission. Die ARD nutze sie, um ihr Programm zu analysieren, mit KI schützten Anbieter ihre Kreditkarten vor Betrug,

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Maschinenbauer setzten sie ein, um frühzeitig Schäden an ihren Produkten zu erkennen. Um der ablehnenden Haltung zu begegnen, müssten KI-Systeme unbedingt vertrauenswürdig sein. Sein Hauptkritikpunkt an der Datenschutzgrundverordnung sei die Datensparsamkeit, die tragfähige KI-Geschäftsmodelle verhindere. Die Rolle des Datenschutzes dürfe für KI-Anwendungen nicht überhöht werden. Matthias Rumpf, Leiter Kommunikation OECD-Vertretung Deutschland, Österreich und Schweiz erklärte, dass der Schutz von privaten Daten auf eine OECD-Initiative zurückgehe und es jetzt auch einen Prozess zum Umgang mit den Prinzipien der KI gebe. l

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftstag

Junger Wirtschaftstag in Stuttgart Zum 16. Mal in Folge trafen sich rund 100 junge Unternehmer aus ganz Deutschland in Stuttgart, um auf dem Jungen Wirtschaftstag unter dem Motto „Unabhängigkeit und Freiheit stärken – ein Einblick in die Welt der Mobilität und der Zahlungsströme von morgen“ Deutschlands Zukunft zu diskutieren. Text: C hristian Forster

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en Auftakt bildete der Abend im Österreichischen Honorarkonsulat zum Thema „Start-up Szene in Österreich“, den Markus Barner, Landesvorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates, eröffnete. Markus Raunig von Start-Up-Austria rief die jungen Unternehmer auf, das politische Netzwerk im Wirtschaftsrat zu nutzen, um Politik aktiv mitzugestalten. Den Startschuss für die Hauptveranstaltung gab der Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates Baden-Württemberg, Joachim Rudolf. Er appellierte an die jungen Unternehmer und die politischen Entscheidungsträger, in den Bereichen Umwelt, Klima und nachhaltiger Finanzen eine Innovationsagenda umzusetzen, statt mit Verboten zu arbeiten. In seiner Impulsrede forderte Marcus Ewald, Bundesvorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates, den digitalen Euro weiter energisch voranzutreiben und ihn durch geeignete „Smart Contracts“ mit privaten, digitalen Crypto-Währungen verknüpfbar zu machen. So würden Unternehmen und der Staat von Vorteilen wie etwa einfachen Refinanzierungsmöglichkeiten, Transparenz, Datenschutz, Instrumenten gegen Geldwäsche und zusätzlichen Steuereinnahmen profitieren. „Deutschland hat die Jahrhundertchance, als First Mover in der globalen Digitalpolitik einen weltweiten Standard zu prägen“, erklärte Marcus Ewald. Roger Spindler, Zukunftsinstitut GmbH, referierte zu dem Themenkomplex eines gesellschaftlichen und ökonomischen Neustarts. Durch die weltweiten Krisen werde es in wichtigen wirtschafts- und gesellschaftsrelevanten Bereichen zu tiefen Zäsuren und weitreichenden Veränderungen kommen. Nicht nur die Finanzwelt sei davon betroffen. Alte Grundpfeiler der Wirtschaft, wie der Maschinenbau, die Automobilindustrie, die Banken aber auch das Marketing und die Arbeitswelt, würden künftig vor neue Herausforderungen gestellt.

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Im Fachforum „DrivingFuture: Mobilität & Nachhaltigkeit“ diskutierten Unternehmensvertreter der Bosch GmbH, der Volocopter GmbH und der eliso GmbH über die strategischen Ziele der Mobilität 2020. Dabei wurde festgestellt, dass eine neue Ära der Mobilität intermodal und technologieoffen erfolgen müsse. Das zweite Fachforum beschäftigte sich mit dem Thema, wie der Bankensektor im Jahr 2025 aussehen wird. Die beteiligten Akteure von GFT Technologies SE, der Südwestbank AG und der Debtvision GmbH waren sich einig, dass die Bundesregierung, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, die Weiterentwicklung einer gemeinsamen euro­ päischen Strategie in den Bereichen FinTechs, Blockchain und Mobile Payment vorantreiben sollte. Eine wichtige Erkenntnis des Jungen Wirtschaftstages bildete die These, dass ökonomischer Aufschwung und Umweltschutz kein Widerspruch sind. „Klimaschutz ist das Ziel. Innovation der Weg. Denn innovative Ansätze und neue Technologien sind ein wesentlicher Motor des Klimaschutzes“, betonte Dr. Christian Jung MdB, Mitglied des Bundestagsausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur der FDP-Bundestagsfraktion. Judith Skudelny MdB, Generalsekretärin der FDP ­Baden-Württemberg und umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, appellierte an die junge Genera­ tion, dass sie sich angesichts des digitalen Wandels nicht vollständig auf die Politik verlassen könnten. Vielmehr müsse die Kreativität, Leistungsbereitschaft und das Potential jedes Einzelnen entfesselt werden, damit der Wohlstand in Deutschland bewahrt werde. Und die Chancen des digitalen Wandels bei der Bewältigung der großen Herausforderungen der Gesellschaft, etwa im Klimaschutz, der Energiewende oder in der Gesundheits- und Pflegewirtschaft, realisiert l werden können.

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Fotos: Stephan Haase

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Junger Wirtschaftstag

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Text: A rmin Peter

S

taffelübergabe in turbulenten Zeiten: Seit März leitet Dr. Dirk Schröter, Geschäftsführer der KSP GmbH der LEAG-Unternehmensgruppe als Vor­ sitzender die Geschicke des Wirtschaftsrates Sachsen. Über Langeweile konnte der Radebeuler in den ersten sechs Monaten seiner ehrenamtlichen Tätigkeit kaum klagen, denn gerade im Wahljahr war der Wirtschaftsrat als

Stimme der Unternehmer im ­Freistaat besonders wichtig und gefragt. Mit Sorge beobachtet Schröter die gesellschaftliche Polarisierung: „Wir müssen die Debatten wieder dorthin zurückholen, wo sie hingehören: In Parlamente und Regierungen“, ist der im Bereich Internationale Be­ ziehungen Promovierte überzeugt. „Der ­politische Raum franst immer mehr aus, wichtige Diskussionen

werden heute zu einseitig von NGO und anderen Gruppen geprägt, die allein Partikularinteressen vertreten.“ Da verwundert es nicht, dass oftmals Alarmismus und Extrempositionen den Diskurs dominieren. Populisten von rechts und links, aber auch grüne Fundamentalisten machen mit ­schrillen Tönen auf sich aufmerksam – und die Politik verliert dabei leicht den Normalbürger und mittelständi-

Foto: AdobeStock©mojolo

„ Wo ist die gelebte Wertschätzungskultur für Fleißige?“

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schen Unternehmer aus dem Blick. „Jetzt gilt es, all den Fleißigen und Leistungsbereiten wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken“, fordert Schröter, „denn eine gelebte Anerkennungs- und Wertschätzungskultur kommt momentan viel zu kurz“. „Von der neuen Landesregierung wünsche ich mir daher einen wirtschaftspolitischen Aufbruch, der Privathaushalte und Unternehmen entlastet, die Standortbedingungen insgesamt weiter verbessert, wirtschaftsnahe ­Forschung dauerhaft fördert und bürokratische Hürden konsequent abbaut.“ Unter Schröters Führung wird sich der Landesverband Sachsen künftig noch stärker auf Themen fokussieren, die für Unternehmer ebenso wie die breite Mitte der Gesellschaft wichtig sind: Arbeit, Wohnen, Bildung, ­Gesundheit und Mobilität. „Verloren gegangenes Vertrauen in Politik und Wirtschaft kann durch Lösungskompetenz und marktwirtschaftliches Handeln zurückerobert werden“, ­erklärt Dirk Schröter. „Dazu bräuchte es jetzt nicht nur bei uns in Sachsen effizientes Bauen, qualifizierte Fachkräfte und eine moderne Infrastruktur.“

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Auch der Ausbau digitaler Netze, Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiekosten zählen für ihn dazu. Denn weite Teile Sachsens stehen durch den schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle erneut vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Schon jetzt zahlen deutsche Unternehmen die europaweit höchsten Strompreise. Und auch private Haushalte müssen für die Stromversorgung immer tiefer in die Tasche greifen. Niemand weiß das besser als Dirk Schröter, dessen Arbeitgeber die Lausitz Energie Bergbau AG und Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG) vom politisch beschleunigten Kohleausstieg unmittelbar betroffen ist. Der 43-jährige blickt dennoch mit viel Optimismus in die Zukunft: „Wir Sachsen sind Meister des Strukturwandels und haben schon nach der friedlichen Revolution gewaltige Umbrüche bewältigt“,

„Unser Anspruch muss sein, ‚die Welle zu reiten‘: mit sächsischer Ingenieurs­ kunst, Entdeckergeist und Leistungswillen.“ bilanziert er. „Die Menschen wurden damals besonders gefordert, haben sich aber nicht unterkriegen lassen und Neues aufgebaut.“ Jetzt gelte es, stabile Rahmenbedingungen zu schaffen, um keine neuen Ängste aufkommen zu lassen: „Rechtliche und politische Vorgaben, die in den letzten Jahren zum Thema CO2-Einsparungen gesetzt wurden, hatten leider oft eine kurze Halbwertszeit“, kritisiert Schröter. „Hier ist vor allem von der Bundesregierung mehr Klarheit und Verlässlichkeit gefragt.“ Von der künftigen Landesregierung erwartet der Landesverband Sachsen, dass die vom Bund zugesagten Milliarden aus dem Strukturstärkungsgesetz für den Kohleausstieg zur Entwicklung einer langfristigen Perspektive und neuer Industriearbeitsplätze eingesetzt werden. Gerade um das Land für Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung attraktiv zu machen, brauche es nicht nur gut ausgestattete

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Hochschulen, sondern auch eine kluge Ansiedlungspolitik, wie Schröter sagt. Er wünscht sich deshalb eine Renaissance des Unternehmertums und einen effizienten Staat, der die wuchernde Überregulierung zurückstutzt und EU-Vorgaben nicht übererfüllt. Was ihn bei seinem Engagement antreibt, ist der Glaube an das Gestalten und das Machbare. „Alles ist in uns“ – dieses Hölderlin-Zitat hat Schröter beeindruckt und ist ihm zu einer Art Lebensmotto geworden. „Es liegt an uns, ob wir die Dinge zum Guten oder zum Schlechten gestalten. Für Defätismus gibt es keinen Grund“, erklärt er. „Denn wenn wir den Glauben an das Gestalten, das Machbare verlieren, geben wir den Anspruch auf Mitwirkung und letztlich ein selbstbestimmtes Leben auf. Es geht immer darum, zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, um dann konkrete Lösungen zu entwickeln.“ Falls es dabei einmal nicht so gut läuft, findet der leidenschaftliche Hobbykoch seinen Ausgleich in der Küche: „Wenn ich etwas schnibbeln kann, ist die Welt gleich wieder in Ordnung“, sagt er lachend. „Der Rest der ­Freizeit gehört meiner Frau und unseren drei Kindern.“ Mit seiner Familie lebt Schröter im romantischen Elbtal. Der gebürtige Sachse ist fest überzeugt von den ­Potentialen seiner Heimat: „Unser Anspruch muss sein, ‚die Welle zu reiten‘: mit sächsischer Ingenieurskunst, Entdeckergeist und Leistungswillen. Der dem gegenwärtigen Zeitgeist folgende Wunsch nach dem Ausstieg aus wirtschaftlichen Schlüsseltechnologien, die die Basis des Wohlstandes bilden oder aus Energieträgern, die die Daseinsvorsorge und bezahlbaren Strom garantieren, sollten wir den Wert des Bestehenden, verbunden mit der Lust am Neuen, entgegensetzen“, fasst Schröter zusammen. Ihm ist es deshalb wichtig, dass sich noch mehr sächsische Unternehmer als Mitglieder im Landesverband einbringen. Mit Blick auf die gewaltigen Herausforderungen der Zukunft für die Wirtschaft im Freistaat dürfte Dirk Schröters zupackende Art auch in der nächsten Legislaturperiode stark l ­gefragt sein.

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Dr. Dirk Schröter ist seit dem Frühjahr Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates in Sachsen. Unter seiner Führung wird sich der Landes­ verband künftig noch stärker auf Themen fokussieren, die für Unternehmer ebenso wie die breite Mitte der Gesellschaft wichtig sind: Arbeit, Wohnen, Bildung, Gesundheit und Mobilität.

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Die fünf norddeutschen Landesverbände luden zum 7. Norddeutschen Wirtschaftstag (NWT) „Wirtschaft(en) für Genera­ tionen – die Zukunft beginnt jetzt“ weit in den Südwesten, nach Osnabrück ein. Spannende Themen und hochkarätige Gästen wie etwa Annegret Kramp-Karren­bauer, Bundes­ ministerin und Vorsitzende der CDU Deutschlands, Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bank und Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes sowie Astrid Hamker, ­Präsidentin des Wirtschafts­rates, zogen 350 Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft an. „Entscheidend ist es, neuen Herausforderungen mutig zu begegnen, dann lassen sich nachhaltige Rahmenbedingungen für die Zukunft schaffen. Die länderübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht den Blick über den eigenen Tellerrand. Regionale Stärken können der gesamten Hanseregion zugutekommen“, eröffnete Anja Osterloh, Vorsitzende des Wirtschaftsrates in Niedersachsen, den NWT. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing Unweigerlich zwingt die digitale Transformation Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, jeden Lebens- und Arbeitsbereich zu Begrüßung von Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: hinter­fragen. Parallel steigt der Druck, das Jahrhundertprojekt Energiewende auf v.l.n.r. Dirk Abeling, Landesgeschäftsführer Wirtschaftsrat in NiederKurs zu bringen und für effektiven Klimaschutz zu sorgen, ohne Deutschland zu sachsen; A ­ strid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates; Annegret Kramp-­Karrenbauer, Bundesministerin für Verteidigung und Vorsitdeindustria­lisieren. Dem Norden kommt hier eine Schlüsselrolle zu. zende der CDU Deutschlands; Anja Osterloh, Landesvorsitzende des Höhepunkt des NWT Wirtschaftsrates in Niedersachsen; Dr. Henneke Lütgerath, Landeswar das Dinner mit Deutvorsitzender des W ­ irtschaftsrates in Hamburg; Andreas Mau, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates in Mecklenburg-Vorpommern sche-Bank-Chef Christian Sewing, der über den Handelskonflikt USA – ­China, die D ­ igitalisierung und das Thema Nachhaltigkeit sprach. Eindringlich warnte er davor, dass Europa drohe, weiter an Boden zu verliere: „Das Innovations- und UmAuf Podium II widmeten sich die Diskutanten v.l.n.r. Dr. Julia setzungstempo Chinas ist Köhn, geschäftsführende Gesellschafterin, PIELERS GmbH; Auf Podium I „Norddeutschland und seine Nachbarn – Wie sehen die der Maßstab, an dem sich ­Jacob P. Bußmann, Jacob P. Bußmann, Geschäftsführer, SeedHandelsbeziehungen im nächsten Jahrzehnt aus?“ diskutierten Europa messen muss“, und v.l.n.r. Andrea Bruckner, Mitglied des Vorstands, BDO AG; Dr. ChrisForward; Hans-Joachim Fuchtel MdB, Parlamentarische Staatstian Thiel, Chief Executive Officer, Energy Nest AS; Per Thöresson, sekretär bei der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtforderte „endlich den einen, Schwedischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland; Lars schaft, Dr. Hagen Duenbostel, Sprecher des Vorstandes, KWS europäischen Binnenmarkt“ Friis Cornett, Direktor, Femern A/S; Hans-Christoph Stadel, HonorarSAAT SE und Magnus von Buchwaldt, Inhaber, WPE Westprüfung sowie ein flexibleres WettEmde GmbH & Co. KG dem Thema „Landwirtschaft vor techno­ konsul von Finnland und Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor Ham­ logischer Eruption und die Startup-Kultur in der Hanseregion“. burgisches WeltWirtschaftsinstitut bewerbsrecht.

Nordrhein-Westfalen Der gefesselte Riese ist Vergangenheit Fast auf den Tag genau zweieinhalb Jahre nach dem Wahlsieg zog NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Halb­zeitbilanz der bürgerlichen Koalition – zunächst bei einer Presse­konferenz, v.l.n.r. Frank-Norbert Oehlert, Landesgeschäftsführer Wirtschaftsrat in Nordrhein-­ dann auf dem Wirtschaftstag NRW in Düsseldorf. Die Gäste Westfalen; Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Paul Bauwens-­ Adenauer, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat in Nordrhein-Westfalen zollten dem Chef der Landesregierung auf ihre Weise ­Respekt für die Leistung: Mit langanhaltendem Beifall. Laschet war der prominenteste Redner des Wirtschaftstages, den der Wirtschaftsrat in Nordrhein-Westfalen unter das Motto „Wirtschaft in ­Nordrhein-Westfalen: Innovativ – digital – mobil“ gestellt hatte. Rund 500 interessierte Besucher konnte der Landes­vorsitzende Paul ­Bauwens-Adenauer begrüßen. Erneut war die DZ-Bank ein guter Gastgeber – im Namen des Unternehmens hieß Uwe Berghaus,

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Wirtschaft(en) für Generationen

Rückblick Einblick Ausblick

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Norddeutscher Wirtschaftstag


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­ itglied des Vorstands, die Gäste w M ­ illkommen. Laschet umriss die Aufbruchstimmung, die das Land erfasst hat. Der „gefesselte Riese“, mit dem NRW zu Zeiten von Rot-Grün verglichen wurde, ist Vergangenheit. „Man muss sich ja nur einmal erinnern wie es war vor dem 14. Mai 2017“, erinnerte der Ministerpräsident an die Krise der inneren Sicherheit, v.l.n.r. Hendrik Wüst MdL, Minister für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen; die lähmende Schulpolitik und einen Landes­ Dr. Christoph Bach, Chief Technology Officer, Ericsson GmbH; Dr. Frank Hiller, Vorsitzender des Vorstands, DEUTZ AG; Hildegard Müller, Mitglied des Landesvorentwicklungsplan, der Entwicklung eher verstandes, Wirtschaftsrat in NRW; Dr. Martin Kessler, Leitender Redakteur Politik, hinderte als förderte. Schwarz-Gelb hat damit Rheinische Post; Dr. Tilman Frosch, Managing Director, G DATA Advanced AnaHendrik Wüst MdL, aufgeräumt – und die Politik unter das Leitbild lytics GmbH; Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates; Thomas Schie­Verkehrsminister des mann, Director „Telekom Cloud for Industry“, T-Systems International GmbH Landes Nordrhein-Westfalen der Entfesselung gestellt. Laschet zählte Erfolge auf: In der inneren Sicherheit ein deutlicher Anstieg der Aufklärungsquote und sinkende Einbruchszahlen, in der Bildung die Rückkehr zu G9, in der Verkehrspolitik das Abarbeiten des Investitionsstaus, auch auf der Schiene und im Bereich der Wasserstraßen. Das Rezept der Landesregierung: Politik ohne ideologische Scheuklappen. Etwa in der Energiepolitik. Laschet: „Da brauchen wir Realismus.“ Die Forderung, das Steinkohlekraftwerk Datteln IV nicht in Betrieb gehen zu lassen, ist grundfalsch, so der Ministerpräsident. „Wir müssen rational entscheiden – und nicht im Sinne einer Symbolpolitik. Datteln IV ist das modernste Kraftwerk seiner Art.“ Für Laschet ist der Emissionshandel der richtige Weg zur CO2-Reduzierung. „Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die EEG-Umlage weiter gesenkt oder ganz abgeschafft wird“, blickte er auf den Klimakompromiss. Gerade für langfristig planende Unternehmen seien EEG-Umlage und Stromsteuer eine „unkalkulierbare Belastung“, so Laschet. Unterstützung erhielt Laschet von Astrid Hamker, der Präsidentin des Wirtschaftsrates, die einen Impulsvortrag hielt: „Die Herausforderungen des Klimawandels werden nicht durch Panik und Verbote gelöst, sondern durch Innovationen.“ Die „effektive und geräuschlose Arbeit der Landesregierung“, sagte Paul Bauwens-Adenauer, sei wichtig in Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates einer Zeit, in der „der Kitt, der unser Land zusammenhält, bröckelt“. Dies fand allenthalben Zustimmung auf dem Wirtschaftstag. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, forderte die Mitglieder auf, an ihrem Engagement festzuhalten: „Es braucht Mutmacher, die sich gegen den Zeitgeist stellen.“ Abgerundet wurde der Wirtschaftstag durch ­einen Vortrag von Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Vorsitzender der „Wirtschaftsweisen“ und eine hochkarätige Podiumsdiskussion u. a. mit Landesverkehrsminister Hendrik Wüst. Vorangegangen war dem Wirtschaftstag die Mitgliederversammlung des Landesverbandes NRW, der inzwischen 500 Unternehmer aus der Region lauschten der Halbv.l. Landesvorsitzender Paul Bauwens-Adenauer im zeitbilanz des ­Ministerpräsidenten Gespräch mit Minister­präsident Armin Laschet 2.200 Mitglieder stark ist.

Brüssel Dr. Stefan Berger MdEP: Wirtschaftspolitische Prioritäten der EU „Wir haben wichtige Aufgaben zu bewältigen: die Finanzmarkt­ regulierung, die Strukturreformen bei der nationalen Haushaltsplanung, und eine faire Unternehmensbesteuerung in ­allen EU-Ländern“, sagte Dr. Stefan Berger MdEP und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament auf dem Wirtschaftspolitischen Gespräch des Wirtschaftsrates Brüssel. Europa solle im Währungswettbewerb nicht nur auf der Zuschauertribüne sitzen, während China und private Konzerne in den USA das Rennen machen. Es sei ­gefährlich, wenn ein globales Unternehmen wie Facebook das Finanzsystem ohne einen umfassenden Rechtsrahmen oder

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Dr. Stefan Berger diskutiert mit Wirtschaftsratsmitgliedern in Brüssel

Standards in der Datensicherheit aufmische. Es müsse ver­ hindert werden, dass Akteure wie Facebook durch Anleihe­ käufe zum zentralen Gläubiger von Staaten werden könnten.

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Baden-Württemberg

Berlin-Brandenburg

Mobilitätswandel als Chance für Zulieferer

RWE-Chef Dr. Rolf Schmitz auf dem Hauptstadtfrühstück

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Die Zukunft der Automobil- und Zuliefererindustrie birgt große Herausforderungen, aber auch viele Möglichkeiten für die betroffenen Unternehmen. In den Räumen der Eberspächer Gruppe diskutierten Heinrich Baumann, Geschäftsführender Gesellschafter von Eberspächer und Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrates sowie Andreas Deuschle MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Landtag Baden-Württemberg und Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Esslingen, mit den Unternehmern vor Ort. Wichtig sei es, das Thema technologieoffen anzugehen und sich nicht nur ausschließlich auf die Elektromobilität zu fokussieren, empfahl Baumann. Dies betonte auch Andreas Deuschle: „Wir sollten in alle vorstellbaren Richtungen denken.“

v.l.n.r. Sektionssprecher Cornel Pottgiesser, Heinrich Baumann, Andreas Deuschle

Austausch mit Justizminister Guido Wolf

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Baden-Württemberg ist ein Tagungsland – der Anbietermarkt ist größer als die Baubranche im Land und stellt viele Arbeitsplätze. In den letzten zwei Jahren hat die Landesfachkommission Messe, Tourismus, Eventwirtschaft in zahlreichen Positionspapieren der Landesregierung Handlungskonzepte und Ideen für eine neue Tourismuskonzeption an die Hand gegeben. Im Gespräch mit Justizminister Guido Wolf bestand Einigkeit darüber, dass es ein breiteres Verständnis für die Wichtigkeit der Branche brauche. Der Minister versicherte mit der Kommission im Austausch bleiben.

„Sauber, sicher und bezahlbar“ lautet die Devise der RWE AG, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten. Doch wie sieht eine klimaneutrale Zukunft aus? RWE selbst lebt die Transformation hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung vor und treibt die Dekarbonisierung voran. Um dies zu erreichen, müssen Einzelinteressen hintenangestellt werden. „Ich mache mir Sorgen um die Regulierungen. Man kann nicht die sofortige Abschaltung von Kohlekraftwerken verlangen, aber zugleich keine Stromleitungen oder Windräder im Vorgarten haben wollen“, betonte Dr. Rolf Schmitz, Vorstandsvorsitzender der RWE AG. „Zur Verteilung des dezentral produzierten Stroms brauchen wir Stromtrassen. Die Genehmigungsverfahren für ihren Ausbau müssen beschleunigt werden, wenn wir CO2 reduzieren möchten.“ Die Ergebnisse des „Klimakabinetts“ als auch der Kommission „Wachs tum, Strukturwandel und Beschäftigung“ hält RWEChef Schmitz für vernünftig:„ „Das Klimapaket der BundesreDr. Rolf Schmitz, RWE-Vorstandsvorsitzender; Dr. Nikogierung kann so laus Breuel, Landesvorsitzender Berlin-Brandenburg und Präsi­diumsmitglied des Wirtschaftsrates schlecht nicht sein. Wenn alle unzufrieden sind, ist meist ein guter Kompromiss gefunden.“ Außerdem sei es richtig, endliche Rohstoffe nicht mehr einfach zur Energiegewinnung zu verbrennen und stattdessen auf Wind und besonders Sonne zu setzen. Bei der Umsetzung konzentriert sich RWE nicht nur auf den deutschen Markt: „Die Investitionsbedingungen in Deutschland sind bei Ökostrom leider nicht so gut. Wenn wir den Anspruch haben, auch bei den Erneuerbaren Global Player zu werden und wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir auf andere Staaten ausweichen“, sagte Dr. Rolf Schmitz.

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Landesfachkommission im Austausch mit Minister Guido Wolf

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Spannendes Hauptstadtfrühstück über den Dächern Berlins

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Startup-Nation Israel Israel ist heute einer der innovativsten Hightech-Standorte der Welt. Carsten Ovens MdHB, Executive Director bei ELNET Deutschland e.V. und Kenner der israelischen Innovationslandschaft, gab auf dem Politischen Frühstück des Landesverbandes Tipps, wie Unternehmen sich den Zugang zur Startup-Nation Israel erhalten. Als Erklärung für die Innovationsfähigkeit Israels machte Carsten Ovens mehrere Gründe aus: Die Israelis investierten über vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Bildung – in Westeuropa liege dieser Wert nur bei knapp 1,9 Prozent. Zum anderen biete die Armee die Möglichkeit, sich auf exzellente Weise im Bereich Informatik ausbilden zu lassen. Und auch die Einwanderung sei ein nicht zu unterschätzender Faktor: „Wenn wir uns die Tech-Szene in den USA und Israel anschauen, wo rund die Hälfte aller Gründer einen Migrationshintergrund haben, dann ist es neben der politischen Regulierung die Einwanderung, die Israel in den letzCarsten Ovens MdHB, ten drei Jahrzehnten stark gemacht hat“, Executive Director beim ELNET Deutschland e.V. sagte Carsten Ovens.

Armin Laschet: „Deutschland wird nicht regierbar sein, wenn wir zu allem Nein sagen“ Die deutsche Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Klimaschutz und eine international wettbewerbsfähige Industrie gehen nur überein, wenn Klima- und Industriepolitik entlang marktwirtschaftlicher Grundsätze eng aufeinander abgestimmt werden. Zu diesem Thema sprach Armin Laschet MdL in Hamburg. „Wir Deutschen haben uns angewöhnt, quasi aus allem aussteigen zu wollen“, sagte der nordrheinwestfälische Ministerpräsident. Die Steinkohleförderung habe man 2018 beendet, 2022 folgten der Ausstieg aus der Kernenergie, 2038 der aus der Braunkohle. Und auch die Alternativen würden nur halbherzig verfolgt. Zwar gebe es Forderungen mehr Gaskraftwerke zu bauen, aber diese dürften nach Möglichkeit nicht mit russischem oder amerikanischem Gas aus Fracking

betrieben werden: „Jetzt haben Sie keine Kernkraft mehr, keine Steinkohle, keine Braunkohle und kein Gas. Und bauen Sie eine Trasse für regenerative Energien, wird auch dagegen protestiert. Deutschland wird nicht regierar sein, wenn wir zu allem Nein sagen“, erklärt Armin Laschet. Um die Energiewende zu schaffen, sprach er sich für ein schnelleres Planungsrecht in Deutschland aus und formulierte als Kernforderung: „Wir wollen die Klimaschutzziele erreichen, aber wir wollen auch Industrieland bleiben.“

Sachsen Daniel Caspary MdEP zu Gast in Sachsen In Zeiten von Politikverdrossenheit und der landläufigen Meinung, dass eine einzelne Wählerstimme nichts bewegen könne, setzte Daniel Caspary ein deutliches Statement dagegen. Er wies darauf hin, dass einige Wahlkreise bei den letzten Landtagswahlen mit hauchdünnen Abständen von etwa zwölf Stimmen gewonnen oder verloren wurden. Die einzelne Stimme also oft einiges an Gewicht in die Waagschale werfe. Auch den deutschen beziehungsweise sächsischen Einfluss auf das Geschehen in der Europäischen Union proklamierte Caspary als durchaus spürbar. So schreibe die Europäische Union nicht haarklein vor, was zu tun sei. Vielmehr gebe sie die Richtung vor. Wie dieser Weg dann beschritten werde, entschieden die jeweiligen Regierungschefs auf Bundes- und Landesebene. So sei etwa der Atomausstieg ein deutsches Phänomen und keine Forderung der EU. Unsere Nachbarländer würden andere Strategien fahren. Ähnliches gelte für das Migrationsproblem und die daraus resultierende Integrationsfrage. Diese Herausforderung könne man direkt zur Lösung der Fachkräfteproblematik im Land nutzen. Aber auch hier verfolgten die Parteien stark unterschiedliche Strategien – sie reichten vom „Sozialstaat für Alle“ bis Europaabgeordneter Daniel Caspary wirbt für stärkere Wahlbeteiligung hin zur „totalen Abgrenzung“.

Sachsen-Anhalt Staatsminister Robra beim Wirtschaftsrat in Magdeburg

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Der Wirtschaftsrat lud Staatsminister Rainer Robra zu einem

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet MdL vor Unternehmern im Hafen-Klub

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Hintergrundgespräch nach Magdeburg ein. 20 Unternehmer diskutierten mit dem Regierungsvertreter über aktuelle T ­ hemen und stellten konkrete Forderungen an die Landes­ regierung. Insbesondere der Strukturwandel, die Digitalisierung und die Herausforderungen der Industrie bildeten Schwerpunkte. Der Minister sagte zu, sich diesen Themen verstärkt ­anzunehmen. „Wir freuen uns über den persönlichen Austausch. Bei ­Fragen zu wirtschaftspolitischen Problemstellungen steht der

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Hamburg


Unternehmer tauschen sich mit Staatsminister Rainer Robra aus

­ irtschaftsrat als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung“, W ­versicherte Dr. Michael Moeskes, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates.

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Unternehmer diskutieren mit Siegfried Borgwardt MdL

v.l.n.r. Siegfried Borgwardt MdL, Karolin Braunsberger-Reinhold, Michael A. Hoffmann

Der Vorsitzende der CDULand­tagsfraktion SachsenAnhalt, Siegfried Borgwardt MdL, gab einen Einblick in die aktuelle Arbeit seiner Fraktion und einen Ausblick in die Zukunft. Nach einer spannenden, intensiven Diskussion bedankte sich der Sprecher der Sektion, Michael A. Hoffmann, für den offenen, konstruktiven Dialog.

Bremen

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Carsten Meyer-Heder im Dialog mit dem Wirtschaftsrat Mitglieder und Freunde des Bremer Wirtschaftsrates trafen sich in der Meierei im Bürgerpark, um sich mit Carsten Meyer-Heder, Landesvorsitzender der CDU, mit der politischen Zukunft Bremens auseinanderzusetzen. Jörg Müller-Arnecke, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrats, lobte die Arbeit des Wirtschaftsrates vor den Bürgerschaftswahlen. Der Verband hatte immer wieder wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen für die Politik formuliert und spannende Diskussionsforen mit allen Parteien organisiert. Es sei nach dem historischen Wahlsieg der Bremer v.l.n.r. Carsten Meyer-Heder, Landes­vorsitzen­ der der CDU; Jörg Müller-Arnecke, Landes­ CDU nicht leicht gewesen vorsitzender des Wirtschaftsrates zu akzeptieren, dass sich die

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Grünen gegen einen politischen Neuanfang entschieden hätten, betonte Carsten Meyer-Heder. Doch die über 100.000 Stimmen hätten ihn motiviert, sein Bürgerschaftsmandat ebenso anzunehmen wie auch den CDU-Landesvorsitz und als stärkste Oppositionspartei in den nächsten vier Jahren inhaltlich die Finger in die Wunden zu legen. Meyer-Heder kritisierte den Koalitionsvertrag der Rot-GrünRoten Koalition, der sich als „Weiter so“ der verfehlten Politik in Bremen lese. Die Trennung der Bereiche Wirtschaft, Häfen und Verkehr, die ab sofort drei Senatoren besetzten, sei kein positives Signal an die Unternehmer im Land. Auch die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage sei ein klares Bekenntnis dafür, dass sich die Koalition gegen ein besseres Bildungsniveau ausspreche und versuche, das Problem des Fachkräftemangels auf die Wirtschaft abzuwälzen, ein „Armutszeugnis für die ­Koalition“. Ebenso sei die Programmatik mit dem Umgang der Finanzen nicht geklärt. Die neue Bürgerschaft strotze vor Ideen, ohne jedoch zu sagen, wie sie umgesetzt oder finanziert werden sollen.

Rheinland-Pfalz Friedrich Merz ehrt Peter Eckes Die Jahrestagung des Landesverbandes stand im Zeichen der Ehrung von Peter E. Eckes aus Anlass der Vollendung seines 80. Lebensjahres. Friedrich Merz, Vizepräsident des Wirtschaftsrates, würdigte das Ehrenmitglied und frühere Präsidiumsmitglied Peter E. Eckes als Unternehmerpersönlichkeit, die sich in großartiger Weise um den Wirtschaftsrat in Rheinland-Pfalz und Deutschland verdient gemacht habe. Für ihn, so Merz, sei der Wirtschaftsrat ohne Eckes und Eckes ohne den Wirtschaftsrat nicht vorstellbar. Deutschland brauche mehr Unternehmer wie ihn, die sich nicht nur erfolgreich für ihre Firma einsetzten, sondern auch politisch wie gesellschaftlich Verantwortung trügen. Friedrich Merz sieht die Welt vor einem tiefgreifenden Wandel: Die Annexion der Krim, durch die erstmals nach dem Krieg in Europa militärisch Grenzen verändert worden seien, den Beschluss des Vereinten Königreiches, die Europäische

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v.l.n.r. Frank Gotthardt, Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz; Friedrich Merz; ­Peter E. Eckes; Christian Baldauf MdL, Vorsitzender CDU-Landtagsfraktion

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Weil Menschen Chancen brauchen. Spenden Sie jetzt: DE75 3706 0193 0000 1010 10 www.misereor.de/jetztspenden 4/2019 TREND

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Thüringen 25. Weimarer Wirtschaftsgespräch mit Friedrich Merz und Mike Mohring Auf dem 25. Weimarer Wirtschaftsgespräch erneuerten die Akteure ihre Forderungen in Richtung Landespolitik nach wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die Unternehmen stärken. Als Ehrenredner beleuchteten aus ihrer jeweiligen Perspektive Friedrich Merz, Vizepräsident des Wirtschaftsrates, und CDU-Landeschef Mike Mohring die „Thüringer Wirtschaft im Wandel der Zeit“. Auf den Klimawandel, betonte Friedrich Merz, müsse ­reagiert werden. Nur seien hier Innovationen und Technologie­ offenheit der Weg und nicht Verordnungen und Verbote sowie einseitige Orientierung auf die Elektromobilität. Deutschland brauche zudem als Industriestandort eine grundlastfähige Energieversorgung, die derzeit durch Sonne, Wind und Gas ohne entsprechende Speichertechnologien nicht gewährleistet sei. Mit Blick auf das sich verändernde globale Wirtschaftsgefüge, würde sich laut Merz zukünftig nicht mehr die Frage nach „G-8“ oder „G-9“ sondern nach „G-2 USA – China“ oder „G-3

Impressum Herausgeber: Astrid Hamker, Präsidentin, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V. Redaktion: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redakteurin Wissenschaftliche Beratung: Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de

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USA – China – Europa“ stellen. Hierfür jedoch müssten schnell handlungsfähige europäische Institutionen geschaffen werden. Deutschland komme die entscheidende ­Rolle zu. Positive Beispiele hoben die Laudatoren Antje Tillmann MdB und Mihajlo Kolakovic mit Prof. Hans B. Bauerfeind und Prof. Dr. Bernhard Vogel v.l.n.r. Mike Mohring, Mihajlo Kolakovic, Friedrich Merz hervor. Beiden wurde vor mehr als 170 Gästen in der Notenbank Weimar die Wilhelm-Röpke-Medaille des Wirtschaftsrates für ihre besonderen Verdienste um die Soziale l Marktwirtschaft in Thüringen verliehen.

Foto: Christian Tiller

Union (EU) zu verlassen, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sowie der 19. Parteitag der kommunistischen Partei Chinas, der den Generalsekretär auf Lebenszeit ernannt hat und das 950-Milliarden-Dollar-Projekt Ausbau der Seidenstraße beschlossen habe, seien Zeichen für den umfassendsten Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg. Alles stehe auf dem Prüfstand! Wenn Europa, so Merz Plädoyer, künftig eine Rolle spielen wolle, müsse Deutschland in der EU mehr Verantwortung übernehmen. Merz beklagte, dass Deutschland bei der Energiewende und in der Einwanderungspolitik keine Abstimmung mit den europäischen Partnern vorgenommen habe, sondern einen eigenen Weg gegangen sei.

Foto: Christian Tiller

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v.l.n.r. Andreas Elm von Liebschwitz, Mihajlo Kolakovic, Prof. Hans B. Bauerfeind

Bankverbindung: Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380 Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH Anzeigenkontakt: Katja Sandscheper, Telefon 0 30 / 2 40 87-301 Gesamtherstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück Telefon 05 41 / 9 59 00-0, Telefax 05 41 / 9 59 00-33 Erscheinungsweise: quartalsweise Anzeigenpreise: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 17

Projektleitung: Information für die Wirtschaft GmbH

Bestellungen: Beim Verlag

Geschäftsführer: Iris Hund Klaus-Hubert Fugger (v.i.S.d.P.) Daniel Imhäuser Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-401, Telefax 0 30 / 2 40 87-405

Bezugsbedingungen: Einzelpreis 7,50 Euro (einschl. MwSt.) Jahresabonnement 25,– Euro ­(einschl. MwSt.), zzgl. Versandkosten. Abonnements (vier Ausgaben) ­werden für ein Jahr berechnet. Kündigungen müssen sechs Wochen vor Ablauf des Abonnements schriftlich vorliegen, andernfalls verlängert es sich für ein weiteres Jahr.

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Im Spiegel der Presse ImSpiegel Die Welt am 27.09.2019 In seinem Gastbeitrag schreibt Generalsekretär Wolfgang Steiger, was wir erleben, ist eine gefährliche Symbiose zwischen keynesianisch geprägter Geldpolitik und einer Politik, die gern verteilt, aber ungern notwendige Reformen durchführt. Die Folge ist ein immer wiederkehrendes Handlungsmuster: Im Abschwung werden Schulden gemacht, im Aufschwung aber nicht wieder abgebaut. Die Zentralbanken senken im Abschwung die Leitzinsen, erhöhen sie im ­Aufschwung aber nicht annähernd auf gleiche Weise.

Frankfurter Allgemeine Zeitung am 29.10.2019 Die Wirtschaft blickt erschrocken nach Erfurt. Der Wirt­ schaftsrat warnt vor einer Koalition der CDU mit der Linken in ­Thüringen. „Durch die Fehlentscheidungen der Vergangenheit und der Gießkannenpolitik der GroKo, hat das Profil der CDU sowieso schon schwer gelitten, wovon die AfD profitiert hat.“

Deutsche Welle am 09.10.2019 Die Bundesregierung hat das Klimaschutzgesetz zur Erreichung der deutschen Klimaziele bis 2030 auf den Weg gebracht. Der Wirtschaftsrat kritisierte zwar „kleinteilige, kostspielige und vielfach ineffiziente Maßnahmen“, bewertete aber positiv, dass die GroKo in erster Linie nicht auf Verbote und Verzicht sondern auf Innovation setzte. Frankfurter Allgemeine Zeitung am 08.10.2019 Der Wirtschaftsrat spricht sich dafür aus, den Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung weiter zu senken. Angesichts hoher Überschüsse und der Konjunktureintrübung sei es „entscheidend den Faktor Arbeit wettbewerbsfähig zu ­machen“, sagte Wolfgang Steiger.

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darf nicht bereit sein, der SPD weitere Überlebenspakete zulasten der jungen Generation zu gewähren“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger.

Der Tagesspiegel am 27.09. 2019 Wirtschaftsrat-Präsidentin Astrid Hamker kritisierte am Freitag den Vorstoß der SPD für Nachbesserungen des Klimapakets. Sie warnte davor, das gerade beschlossene Klimapaket wieder „aufzureißen“. „Statt Parteiquerelen sind jetzt Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit gefordert. Die fehlt mal wieder bei den Sozialdemokraten.“

Neue Osnabrücker Zeitung am 18.09.2019 Der Wirtschaftsrat hat die Union aufgefordert, den Bürokratieabbau zugunsten von Unternehmen auch gegen den Willen der SPD durchzusetzen. „Die Union darf sich nicht weiter ausbremsen und austricksen lassen“, sagte Wolfgang Steiger. Er hält die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen im Steuerund Handelsrecht auf acht Jahre sowie die Lockerung der Aufzeichnungspflichten zum gesetzlichen Mindestlohn für unverzichtbar. Lebensmittel Praxis am 13.09.2019 In einem Kommentar äußert sich Wolfgang Steiger zu den Plänen der Bundesumweltministerin, Hersteller von Einwegverpackungen zur Kasse zu bitten, um Städte sauberer zu halten und das Klima zu schonen. Es handele sich um populären Populismus, da die Verbraucher die Vermüllung verursachen. Die Hersteller hierfür haften zu lassen verkehre das Verursacherprinzip. Fuldaer Zeitung am 09.09.2019 Wolfgang Steiger lehnt in einem Gastbeitrag Verbote und Steuererhöhungen zum Klimaschutz ab und rät, sich „auf die Stärken unseres Industriestandorts zu besinnen, statt ­Verzichtsdebatten zu führen. Erneuerbare Energien können mithilfe digitaler Technologien schon heute einen größeren Beitrag leisten, um unser Land sicher und bezahlbar mit Energie zu versorgen.“

Handelsblatt am 07.10.2019 Trotz neuer Zolldrohungen betonen die Amerikaner und die Europäer ihre Verhandlungsbereitschaft. Der Wirtschaftsrat sieht die Bundesrepublik als größten Verlierer des ­transatlantischen Handelsstreits. „Deutschland würden neue Zölle mit geschätzten Exportverlusten von zwei Milliarden Euro am härtesten treffen.“

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Die Welt am 28.09.2019 Eine schnelle Einigung im Koalitionsstreit um eine Grundrente ist trotz wachsenden Erfolgsdrucks nicht in Sicht. Kritik kam auch vom Wirtschaftsrat der CDU: „Die Union

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75 220.000 Im August 2019 waren in Deutschland rund 220.000 E-Fahrzeuge zu­ge­lassen. Der Verband der Automobil­industrie geht davon aus, dass sieben bis 10,5 Millionen E-Autos bis 2030 in Deutschland rollen müssen, um die Klima­ schutzziele zu erreichen. Quelle: FAZ

Das Bruttoinlandsprodukt ­ stdeutschlands lag 1991 bei O 43 Prozent des westdeutschen Niveaus, 2018 stieg es auf 75 Prozent. Damit liegen die neuen Bundesländer im EU-Durchschnitt. Quelle: Neue Zürcher Zeitung

8,7 Der Anteil der Leistungsempfänger sank von 9,2 Prozent zum Jahres­ ende 2017 auf 8,7 Prozent zum Jahresende 2018. Der Anteil ging das dritte Jahr in Folge zurück. Quelle: Statistisches Bundesamt

Zahlen des Quartals Denunziationsrituale

770.000.000.000 Heute betreiben 135 zumeist ­au­sländische Banken in der Hauptstadt Luxemburgs eine ­Niederlassung. Deren gemeinsame Bilanz­summe betrug zuletzt fast 770 Milliarden Euro. Quelle: FAZ

8 Die Genehmigungen stauen sich, gegen viele Vorhaben wird geklagt. So wurden im Jahr 2018 etwa nur gut 740 neue Windräder an Land in Deutschland gebaut. Quelle: Bundesverband Windenergie

29 Die Autobahn 44, die von Aachen bis nach Eisenach führen soll, war im April 1991, also vor 29 Jahren als

„Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ geplant worden. Ein Teil des Projekts befindet sich noch immer im Bau.

Quelle: FAZ

43 Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis 2050 zwei Drittel aller Menschen in Städten leben werden. Schon bis 2030 wird es 43 Megacities mit mehr als zehn Millionen Einwohnern geben. 1990 waren es gerade einmal zehn. Quelle: Handelsblatt

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Ein Beispiel für den Übereifer im Kampf gegen Rechtsaußen lieferte kürzlich die ­eigentlich seriöse ZEIT. Unser Vizepräsident Friedrich Merz hatte in seiner regelmäßigen Kolumne in der WELT AM SONNTAG die linksradikale Intoleranz an deutschen Universitäten kritisiert, die sich gegen Bernd Lucke, Christian Lindner und auch Thomas de Maizière richtete. Für den ZEIT-Autor Christian Bangel Anlass, Friedrich Merz in einem Artikel über Rechtsextreme im Netz in deren Nähe zu rücken. Online richtete sich schnell ein shitstorm gegen Merz. Erst nach einem kleinen über Twitter entfachten Gegensturm wurde der Beitrag online – wahrscheinlich durch die Redaktions­ leitung – korrigiert. Auch in der Printausgabe erfolgte eine Berichtigung. Das platte Denunziationsritual verfängt dennoch oft: Linke sind immer gut, und wenn sie von Konservativen und Liberalen kritisiert werden, werden diese schnell gebrandmarkt, Rechtsextreme zu verharmlosen oder gar ihnen nahe zu ­stehen. Merkt denn keiner im linken Spektrum, dass diese Strategie auf fatale Weise die Schwerter gegen die Feinde der Demokratie abstumpft?

Ihr Spindoktor

TREND 4/2019

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4/2019 TREND Bild: plainpicture, Anthony Lee


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