TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 2/2016

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38. JAHRGANG 2 / 2016

Europa am Scheideweg: Echte Reformen anstoÃ&#x;en

INTERNATIONALE HANDELSABKOMMEN

Wie frei soll der Handel sein? JUNGE GENERATION

Interview mit Paul Ziemiak

ENERGIEPOLITIK

Strommarkt und EEG neu ausrichten


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Foto: Franz Bischof

EDITORIAL

Werner M. Bahlsen Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

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nser Exportmotor brummt, die Beschäftigungszahlen klettern auf immer neue Höhen und die Steuereinnahmen fließen in die öffentlichen Haushalte wie nie. Diese Rekorde sind, wenn wir vom günstigen Ölpreis und niedrigen Zinsen mal absehen, zuerst tolle Ergebnisse der großen wirtschaftlichen Anstrengungen unserer Betriebe und unserer Mitarbeiter. Das ist eine schöne Bestätigung für uns alle in der deutschen Wirtschaft.

Titelbild: European Union, 2014

„Soziale Sicherheit braucht wirtschaftlichen Erfolg!“ Wir wissen alle, dass unser Land von nachhaltigen Reformen im letzten Jahrzehnt profitiert, in dem der Arbeitsmarkt durchlässiger, Steuern gesenkt und die Sozialsysteme reformiert wurden. Die Erkenntnis vor diesem Umkrempeln: Deutschland war zum belächelten „kranken Mann Europas“ geworden – das „Wirtschaftswunder“ Ludwig Erhards ein vergangener Traum. Selbst – und gerade die Sozialdemokraten und die Grünen in der damaligen Bundesregierung – erkannten an, was immer Gültigkeit hat: „Soziale Sicherheit braucht wirtschaftlichen Erfolg!“ Von dieser Einsicht ist in den vergangenen drei Jahren mit der Verabschiedung der Wahlprogramme der Oppositionsparteien vor der Bundestagswahl leider wenig übrig geblieben. Und mit der Bildung der Großen Koalition sind zu viele der erfolgreichen Reformen zurückgedreht worden. Das ist sehr bedauerlich für unser Land. Diese Bundesregierung sollte das verbliebene Jahr bis zum Eintritt in die heiße Phase des Wahlkampfes

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für nachhaltige wirtschaftspolitische Weichenstellungen nutzen. In einer Präsidiumsklausur haben wir uns mit der grundsätzlichen Ausrichtung unseres Wirtschaftsrates befasst und ein Strategiepapier beschlossen. Zehn Kernziele für die Zukunft von der Europapolitik über den Infrastrukturausbau bis hin zur Zuwanderung haben wir darin formuliert. Die einfache Grundregel der Sozialen Marktwirtschaft „Erst erwirtschaften, dann verteilen!“ sollte für alle wirtschafts- und sozialpolitischen Themenfelder gelten. Das schließt mit ein: Der jungen Generation dürfen nicht durch höhere Staatsschulden und falsche Weichenstellungen in den Sozialversicherungen weitere zusätzliche Bürden auferlegt werden. Deutschland verfügt derzeit über die höchsten Steuereinnahmen seiner Geschichte. Diese müssen zielgerichtet dafür eingesetzt werden, unser Land zukunftsfähig zu machen. Nur so kann der Satz von Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“ auch bedeuten: „Wohlstand für die nächsten General tionen!“

Zum Papier „Soziale Sicherheit braucht wirtschaftlichen Erfolg“:

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INHALT

Inhalt

START EDITORIAL 3 E Werner M. Bahlsen

VERKEHRSINFRASTRUKTUR 24 Mehr Straße für den Euro 26 Mehr Effizienz, mehr Transparenz, mehr Wettbewerb

AUSSENANSICHT 6 Das große Zocken E Dr. Dorothea Siems

INNOVATION 28 Chancen der Digitalisierung optimal nutzen

8 TITEL Europa am Scheideweg Die Europäische Union – und ins­ besondere die Europäische Wäh­ rungsunion – steht vor immensen Herausforderungen. Um Vertrauen bei Bürgern und Wirtschaft zurück­ zugewinnen, braucht es eine klare Strategie. Die Regierungschefs der Mitgliedstaaten sind gefordert, sich an Verabredungen und Verträge zu halten, die EU­Kommission muss die Einhaltung dieser Regeln überprüfen und gegebenenfalls sanktionieren und Europa klar auf zukünftiges Wachstum ausrichten.

TITEL EUROPA AM SCHEIDEWEG 8 Das Vereinbarte einhalten – und damit Europa voranbringen E Dr. Wolfgang Schäuble MdB 10 Der Kabeljau und die Europäische Währungsunion E Dr. Jens Weidmann

ENERGIEPOLITIK 31 Strommarkt und EEG neu ausrichten E Dr. Bernd Weber UNTERNEHMENSPRÄSENTATION 33 UPS Jubiläum Interview mit Frank Sportolari DIGITALE WIRTSCHAFT 34 EU­US Privacy Shield zum Erfolg führen E Thomas Jarzombek MdB

12 Eine starke Börse für die Europäische Kapitalmarktunion E Carsten Kengeter

INTERNATIONALE HANDELSABKOMMEN 36 Frei? Wie frei soll der Handel sein? E Dr. Karl­Ernst Brauner

14 Politik der Europäischen Zentralbank gefährdet Deutschlands Wohlstand E Wolfgang Steiger

MIGRATION 38 Außengrenzsicherung 4.0 für Europa E Dr. Wolf­Ruthart Born

16 EU­Finanzmarktregulierung nach der Krise: Zeit für eine Bestandsaufnahme E Burkhard Balz MdEP

DIGITALISIERUNG 40 Cloud Computing: Wie fit ist der Wirtschaftsstandort Deutschland? E Harald Kayser

18 Deutsch­Französischer Partner­ schaft neues Leben einhauchen E Prof. Dr. Henrik Enderlein

36 INTERNATIONALE HANDELSABKOMMEN Wie frei soll der Handel sein? Die Integration in die Weltwirtschaft von Entwicklungsländern hat die Lebensbedingungen von Millionen Menschen verbessert. Gleichzeitig haben Verbraucher in den Industrie­ ländern eine erhebliche Steigerung ihrer Kaufkraft erfahren. Regeln ha­ ben diesen verlässlichen Rahmen geschaffen, der allen Vertrauen gibt. Handelsabkommen schaffen diese Regeln.

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AKTUELL JUNGE GENERATION 20 Im Interview: Paul Ziemiak ALTERSVORSORGE 22 Der beste Schutz gegen Altersarmut: Klare Informationen und eigenes Handeln E Prof. Dr. Andreas Hackethal

20 JUNGE GENERATION sprach exklusiv mit Paul Ziemiak, dem Bundesvorsitzenden der Jungen Union. Er bewertet die Arbeit der Großen Koalition – und sieht Verbesserungsbedarf.

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INHALT

WIRTSCHAFTSRAT INNENANSICHT 42 Neues aus den Kommissionen VORWÄRTSSTRATEGIE 44 Soziale Sicherheit braucht ­wirtschaftlichen Erfolg ENGAGEMENT 46 Masterplan für den Wirtschafts­ standort Niedersachsen Anja Osterloh

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 48 Steuererleichterung für Web-Bürger STANDPUNKT STEIGER 49 Deutschland muss sich in der Rentendebatte ehrlich machen

31 ENERGIEPOLITIK

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 50 Rückblick | Einblick | Ausblick 56 Impressum

FORUM 57 Im Spiegel der Presse 58 Zahlen des Quartals Spindoktor

Strommarkt und EEG neu ausrichten Die Energiewende kommt Wirtschaft und Bürger mit jährlich neuen Rekordkosten ­teuer zu stehen. Bisherige Reformen bleiben Stückwerk. Wenn Deutschland Industrie­ land bleiben soll, brauchen wir jetzt den Paradigmenwechsel hin zu mehr Markt und weniger Staat.

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AUSSENANSICHT

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ie Große Koalition kann es einfach nicht lassen. Wenn es darum geht, die Alterssicherung in Deutschland zu ramponieren, dann sind sich Union und SPD erstaunlich einig. Weil das eine Lager die abschlagsfreie Rente mit 63 wollte und das andere Lager die Mütterrente, beschloss die Regierung einfach beides und reichte die horrende Rechnung nonchalant an die junge Generation weiter. Jetzt verkündet CSU-Chef Horst Seehofer, dass die private Riesterrente gescheitert sei. SPD-Chef Sigmar Gabriel stimmt ihm umgehend zu. Und einträchtig fordern die beiden Parteivorsitzenden ein höheres Rentenniveau. Falls sich auch noch die CDU diesem populistischen Kurs anschließt – wofür es Anzeichen gibt –, dann wird von zehn Jahren erfolgreicher

Dr. Dorothea Siems Foto: Frank Lehmann

Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik DIE WELT / Welt am Sonntag / N24

„Alarmierend ist, dass nicht nur die sozialpolitische Kurzsichtigkeit der Politik die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Verruf bringt. Auch die ultra-lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wirkt verheerend.“

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Rentenreformpolitik binnen Kürze kaum mehr etwas übrig bleiben. Das wäre im hohen Maße unverantwortlich. Deutschland altert rasant. In den nächsten Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Auch Zuwanderung wird nicht verhindern, dass künftig immer weniger Arbeitskräfte immer mehr Rentner alimentieren müssen. Die mit der Riesterrenten-Reform eingeleitete schrittweise Absenkung des Rentenniveaus war unumgänglich, um das System finanziell tragfähig zu halten. Mit Blick auf den demografischen Wandel wäre es deshalb grob fahrlässig, das staatliche Rentensystem zulasten der privaten Vorsorge wieder auszubauen. Wer den jungen Beitragszahlern dauerhaft noch höhere Lasten aufbürdet, riskiert nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Wirtschaft. Zumal Deutschland bei der Steuer- und Abgabenquote schon jetzt weltweit an der Spitze liegt. Auch der Generationenvertrag – die Grundlage des Umlageverfahrens, bei dem die Aktiven die jeweiligen Renten finanzieren – hätte dann wohl keine Zukunft mehr. Die einzige Chance, die Alterssicherung trotz steigender Lebenserwartung und chronischem Geburtenmangel zu gewährleisten, liegt in einer Stärkung, nicht jedoch in einer Schwächung der kapitalgedeckten Vorsorge. Die Riesterrente muss entbürokratisiert und die staatliche Förderung ausgeweitet werden. Alarmierend ist, dass nicht nur die sozialpolitische Kurzsichtigkeit der Politik die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Verruf bringt. Auch

Foto: Fotolia.com ©Constantinos

Die Große Koalition ist sich nicht sehr oft so einig. Aber beim Zurückdrehen der Rentenreform sind sich die Politiker aller drei Parteien selten einig. Zwischen dem Rentenpopulismus in Deutschland und der gefährlichen Geldpolitik der EZB gibt es Parallelen.

die ultra-lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wirkt verheerend. Denn in Zeiten negativer Zinsen drohen selbst hoch solide Versicherungsunternehmen zunehmend in die Schieflage zu geraten. Überdies wird es für die Unternehmen, die ihren Mitarbeitern eine betriebliche Alterssicherung garantiert haben, immer teurer, die Pensionsverpflichtungen einzuhalten. Denn alle Renditekalkulationen der Vergangenheit sind Makulatur. Der Zins- und Zinseszinseffekt, in Normalzeiten eine der großen Vorteile der Kapitaldeckung, existiert kaum mehr. Um auf die gleiche Rentenhöhe zu kommen, ist somit eine größere Sparleistung nötig. Betriebe mit Betriebsrentenvereinbarung müssen entsprechend höhere Rücklagen bilden. Je länger die EZB ihren umstrittenen Kurs beibehält, desto mehr gerät nicht nur die Altersvorsorge, sondern das gesamte Finanzsystem in die Bredouille. Besonders das Geschäfts-

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AUSSENANSICHT

Das große Zocken modell der Lebensversicherer und Sparkassen droht unter die Räder zu kommen. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn gerade solche Finanzinstitute, die sich in der Finanzkrise aufgrund ihrer grundsoliden Geschäftsstruktur als Stabilitätsanker erwiesen hatten, nun zu Opfern der Hochrisiko-Politik der Euro-Retter würden. Es wird immer offensichtlicher, dass die derzeitige Geldpolitik den Interessen der hoch verschuldeten Staaten Südeuropas dient und man die Kollateralschäden in den solideren Ländern wie Deutschland schlicht in Kauf nimmt. Niemand weiß, ob die Strategie von EZB-Präsident Mario Draghi irgendwann aufgeht. Bislang

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jedenfalls bremst die Geldflut den Reformwillen in den Schuldenstaaten. Der Aufkauf von Staatsanleihen im großen Stil stellt eine indirekte Staatsfinanzierung dar. Und die historisch niedrigen Zinsen machen das Leben auf Pump billig wie nie. Kein Wunder, dass vereinbarte Schuldengrenzen permanent gerissen werden. Und die Europäische Kommission denkt gar nicht daran, die vertraglich vorgesehenen Sanktionen gegen Länder wie Italien oder Portugal zu verhängen. Zwischen dem Rentenpopulismus in Deutschland und der gefährlichen Geldpolitik der EZB gibt es Parallelen. In beiden Fällen geht es den Protagonisten darum, einem Teil der Gemeinschaft unverdiente Vorteile zu ver-

schaffen. Und in beiden Fällen können sich die Leidtragenden kaum wehren. Bei der Rente werden zukünftige Beitragszahler jahrzehntelang für die sozialen Wohltaten aufkommen müssen. Die Jungen haben das Nachsehen, weil sie zahlenmäßig den Älteren unterlegen sind, und die Volksparteien deshalb vor allem um die Generation 50plus buhlen. Die EZB-Politik wiederum macht Deutschlands Sparer zu Verlierern. Denn bei einer negativen Realver­ zinsung verlieren die Guthaben stetig an Wert. Und noch eine Parallele gibt es: Je weiter Rentenpopulisten und EZB-Hasardeure ihr Spiel treiben, desto unsicherer steht es um die Zul kunftschancen der Deutschen.

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TITEL Europa am Scheideweg

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s bleibt die vernünftige Entwicklungsrichtung der Geschichte – und deshalb wird es auch so kommen: Europa wird Schritt für Schritt zu stärkerer Zusammenarbeit und tieferer Integration ­ finden. Nur so kann Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts relevant bleiben. Es geht manchmal quälend langsam voran, aber es geht. Der Druck, sich zu bewegen, muss nur groß genug sein. Und der Druck ist gerade ziemlich groß, nicht nur von außen, von den

eine Skepsis gegenüber Europa aus, an der dieses Europa, die Europäische Union, die europäischen Regierungen ja nicht ganz unschuldig sind. Und mindestens eines der möglichen Gegenmittel liegt ganz in der Hand aller gutwilligen nationalen Regierungen: Wir können Vertrauen der Menschen in Europa zurückgewinnen, wenn alle konsequent umsetzen, was wir zur Besserung der wirtschaftlichen Lage Europas vereinbart haben, wenn wir uns einfach an das halten, was wir beschlossen haben – mit den positiven

werden ganz schnell Probleme Europas. Und wir werden nur gemeinsam mit ihnen fertig. Eigentlich bräuchten wir dafür meist auch Änderungen der europäischen Verträge, um kraftvoller gemeinsam handeln zu können. Ohne solche Vertragsänderungen ist vieles, was an weiterer Integration notwendig ist, schwieriger zu erreichen, gerade für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Aber solange wir Vertragsänderungen noch nicht zustande bringen, weil sie nur einstimmig bei Ratifizierung

Das Vereinbarte einhalten – und damit Europa voranbringen Die europäischen Staaten können nur gemeinsam in der Welt des 21. Jahrhunderts relevant bleiben. Der Druck ist jetzt schon groß. Europa wird auf Dauer zusammenwachsen und eine tiefere Integration wagen. Jetzt muss es erst einmal heißen, das Verabredete einzuhalten. zahlreichen Krisen um Europa herum, auch von innen, politisch, aus den e­ uropäischen Gesellschaften heraus. In vielen Mitgliedstaaten werden extreme und populistische Parteien stärker, inzwischen auch in Deutschland. Die Situation ist nicht ganz ungefährlich für Europa. Aber sie kann zugleich eine Chance sein. Bei denen, die solche rechts- oder auch linkspopulistischen Bewegungen unterstützen, drückt sich eben auch

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Resultaten, die das für den Zustand des Euro-Raums und Europas hätte. Man sieht es ja an den Erfolgen, die sich dort zeigen, wo man es schon einmal mit Strukturreformen und Haushaltsdisziplin versucht hat. Wir stehen heute, wie jeder spürt, in Europa einer Krisen-Lage gegenüber, wie wir sie selten hatten. Wir erleben heute direkt und unmittelbar, was wir lange eher theoretisch besprochen haben: Die Probleme in der Welt

durch alle Mitgliedstaaten möglich sind, solange arbeiten wir in Europa im gegebenen Rechtsrahmen weiter. Es gibt genügend, was wir besser machen können. Und es gibt genügend Wege, die wir dazu gehen können. Wenn wir – wie oft in den vergangenen Jahren – nur intergouvernemental, nur mit zwischenstaatlichen Absprachen und Verträgen, vorankommen können, gehen wir eben so voran, auch wenn das nicht ideal ist.

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TITEL Europa am Scheideweg

realistische Risikogewichtung von Staatsanleihen – weg von der Null­ gewichtung. Und wir sollten weiter über Verfahrensregeln für Staateninsolvenzen nachdenken. Beides zusammen würde die Anreize für solides Wirtschaften und Haushalten stärken und die Ansteckungsgefahren von Staaten zum Bankensektor in Krisen verringern.

Dr. Wolfgang Schäuble MdB

Foto: Bundesministerium der Finanzen, Ilja C. Hendel

Recht, den gemeinsamen Regeln, nicht entsprechen. Wenn die Europäische Kommission dies nicht sein will, weil sie sich politischer versteht, und weniger als Regelwächter, dann müssen wir jemand anderen damit betrauen. Das ist heute der Kern der Debatte: Ob wir in Europa das, was wir nicht vergemeinschaftet haben, was wir uns aber gegenseitig als Regierungen versprochen haben zu tun – ob wir das auch einhalten. Neue europäische Transfers da­ gegen lösen keine Strukturprobleme. Die Anreize für Reformen würden nur ­ geringer. Solange wir in Europa nicht die Bereitschaft haben, den euro­ päischen Institutionen weitere wesentliche Teile unserer nationalstaatlichen Souveränität zu übertragen – und diese Bereitschaft sehe ich in Europa weiterhin nicht –, solange liegt die Verantwortung für das eigene Handeln bei den Mitgliedstaaten, und solange müssen die gemeinsam beschlossenen Regeln eingehalten werden. Ohne weitere Souveränitätsübertragung darf auch Haftung nicht einseitig vergemeinschaftet werden. Stattdessen sollten wir mittelfristig anderes erreichen: Wir brauchen eine

Bundesminister der Finanzen

Wir erleben ohne Zweifel schwierige Zeiten. Aber gerade weil nur Europa die Antwort sein kann, bin ich nach wie vor überzeugt, dass der Druck der weltpolitischen Entwicklungen die europäischen Staaten zueinander-, ­ nicht auseinandertreiben wird. Es mag dauern. Aber Günter Grass hatte Recht, wenn er sagte: Der Fortschritt l ist nun einmal eine Schnecke.

Foto: European Union, 2016, EC - Audiovisual Service, Georges Boulougouris

Wenn Fortschritte und Verbesserungen auf der Ebene der europäischen Institutionen und Verfahren möglich sind, dann ergreifen wir diese Möglichkeit. Wenn nationale Wirtschaftspolitiken Hebel sind, dem eigenen Land und damit auch der gesamten europäischen Gemeinschaft zu helfen, dann sollen die Mitgliedstaaten dies nutzen. Wenn eine Gruppe von Mitgliedstaaten in einem Bereich ­vorangehen will und kann, dann soll sie dies tun und den anderen zeigen, dass es sich lohnt, nachzuziehen. Wir werden all dies künftig wahrscheinlich immer öfter erleben: ­Einstimmigkeit ist im Europa der 28 zu schwer zu erreichen. Wir werden in nächster Zeit in Europa wohl weiter auf Instrumente der zwischenstaat­ lichen Zusammenarbeit setzen, ja setzen müssen, und gelegentlich auch auf Koalitionen von Willigen. Daraus kann sich auch eine neue Integrations-Dynamik entwickeln. Man kann übrigens auch institutionell vor Vertragsänderungen schon entscheidende Schritte vorankommen. Jemand muss in Europa legitimiert sein, nationale Haushalte zurückzuweisen, die dem europäischen

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TITEL Europa am Scheideweg

Der Kabeljau und die Europäische Währungsunion Auf den ersten Blick haben ein Kabeljau aus dem Nordatlantik und die Europäische Währungsunion nichts gemeinsam. Auf den zweiten Blick schon. Deshalb schweben beide immer wieder in Gefahr.

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er Kabeljau und die Europäische Währungsunion – sie haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick meinen mag. Beide können nämlich gefährdet werden, weil ein aus individueller Sicht rationales Verhalten Schaden für die Gemeinschaft verursacht. So ist der Kabeljau zum Beispiel in der Nordsee oder im Nordatlantik vom Aussterben bedroht, weil es für den einzelnen Fischer lohnend war, seine Fangmengen zu maximieren. Handelt aber eine Vielzahl von Fischern so, führt dies zur Überfischung der Meere – zulasten aller.

Foto: Deutsche Bundesbank / Manjit Jari

Dr. Jens Weidmann Präsident Deutsche Bundesbank

Hier gibt es Parallelen zur Verschuldung in der Währungsunion: Eine hohe Verschuldung kann aus Sicht eines einzelnen Landes attraktiv erscheinen, denn bei einer gemeinsamen Währung steigen die Risiko-

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prämien für einen Schuldner in der Regel weniger stark an, als für ein Land, das keiner Währungsunion angehört: Zum einen verteilt sich der Anstieg des risikofreien Zinses auf mehrere Länder, so dass er für alle weniger stark ausfällt. Und zum anderen nimmt auch die Risikoprämie des betroffenen Landes weniger stark zu, wenn die Finanzmarktakteure davon ausgehen, dass im Notfall die übrigen Mitgliedsländer für die Schulden dieses Landes einstehen. Der Anreiz, für solide Staatsfinanzen zu sorgen, ist in einer Währungsunion also tendenziell geringer. Wie gefährlich Zweifel an der Solidität der Staatsfinanzen aber sind, hat die Euro-Krise eindrücklich gezeigt. Besorgnis über die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung einzelner Euro-Länder hatte wesentlich zur Zuspitzung der Krise beigetragen. Der Anreiz zu einer verstärkten Verschuldung in einer Währungsunion war den Gründungsvätern der Europäischen Währungsunion sehr wohl bewusst. Deshalb haben sie ein Regelwerk vereinbart, das Obergrenzen für die Haushaltsdefizite und die Verschuldung der Länder vorsieht. So sollten solide Staatsfinanzen gesichert werden. Zusätzlich stellt das Regelwerk auf die Eigenverantwortung jedes

Landes ab: Es soll die Konsequenzen seiner Haushaltspolitik selbst tragen, ohne Andere für die Folgen des eigenen Handelns in Haftung nehmen zu können. Zu diesem Zweck wurde mit der No-bail-out-Regel eine gegenseitige Haftung explizit ausgeschlossen. Mit einer höheren Verschuldung gehen so im Prinzip auch höhere Zinsen einher, die die Fiskalpolitik disziplinieren. Allerdings zeigte dieses Regelwerk nicht die erhoffte Wirkung. Die Finanzmärkte glaubten bis zum Ausbruch der Staatsschuldenkrise offenkundig nicht an die No-bail-outKlausel im Euro-Raum – und lagen mit dieser Einschätzung auch nicht wirklich falsch. Auch die Defizitregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts wurden seit Bestehen der Währungsunion von manchen Ländern häufiger verletzt, als dass sie eingehalten wurden. Als Lehre aus der Krise sollten diese Regeln daher gestärkt werden. Sie wurden außerdem auf deutschen Wunsch hin durch einen Fiskalpakt ergänzt. Gleichzeitig wurden sie aber deutlich komplizierter. Die Europäische Kommission bekam mehr Spielraum bei der Überwachung dieser Regeln. In ihrer Doppelrolle, die Regeleinhaltung zu kontrollieren und

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Foto: Fotolia.com ©Piotr Wawrzyniuk

TITEL Europa am Scheideweg

gleichzeitig politische Kompromisse zu formulieren, hat sie diesen Spielraum bisher häufig zulasten der Regeleinhaltung genutzt. Den Ländern, die die vereinbarten Konsolidierungsziele nicht erreichten, wurde ein ums andere Mal Aufschub gewährt. Im Ergebnis hat die Bindungswirkung der Regeln nicht zu-, sondern abgenommen. Haushaltskonsolidierung ist aber weiterhin eine dringliche Aufgabe, denn seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 sind die Staatsschulden im Euro-Raum um rund 25 Prozentpunkte auf jetzt 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Die Krise hat auch gezeigt, dass sich strauchelnde Banken und wankende Staaten gegenseitig nach unten gezogen haben. Einige große oder sehr vernetzte Banken wurden mit Steuermilliarden gerettet, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Das hat wiederum einzelne Länder an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht, so dass ihnen am Ende die Staatengemeinschaft finanziell zur Seite springen musste. Um das Haftungsprinzip im Finanzsektor zu stärken, wurde in den letzten Jahren die Regulierung verschärft. Banken müssen nun mehr und hochwertigeres Kapital vorhalten. Und sollte ihr Eigenkapital zur De-

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ckung von Verlusten nicht ausreichen, so werden neben den Eigentümern auch Gläubiger herangezogen, die Verluste zu tragen. Ziel ist, dass der Steuerzahler erst in allerletzter Instanz einspringen muss. Das ist nicht nur zentral, um Fehlanreize zu begrenzen, sondern es auch fair und wichtig für die Akzeptanz unserer marktbasierten Wirtschaftsordnung. Das Haftungsprinzip muss aber auch für die Staaten gestärkt werden. Auch bei ihnen muss das Postulat von Walter Eucken gelten: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“ Im Extremfall müssen Staatsschulden restrukturiert werden können, ohne dass die Stabilität des Finanzsystems gefährdet wird. Über fünf Jahre nach Ausbruch der Staatsschuldenkrise sind die hohen Bestände an Staatsanleihen bei den Banken in einigen Euro-Ländern hierfür noch ein Hindernis. Staatsanleihen gelten in den Eigenkapitalvorschriften für Banken noch immer als risikolos. Wie die Ereignisse in Griechenland eindrucksvoll zeigen, ist dies jedoch eine Fiktion. Deshalb sollten Staatsanleihen künftig ähnlich wie Kredite an Private behandelt werden: Sie sollten in den Bankbilanzen mit Eigenkapital unterlegt werden müssen und Klumpenrisiken gegenüber den Staaten sollten

vermieden werden. Dadurch würden auch die Geldgeber die unterschiedlichen Risikoprofile der einzelnen Staaten stärker berücksichtigen. Das stärkt das Prinzip der Eigenverantwortung – für die Staaten, und für die Anleger. Und es erhöht den Anreiz für die Banken, anstatt Staatspapiere zu kaufen, Kredite an Unternehmen und private Haushalte zu vergeben. Solange die Banken aber mit Anleihen ihrer Staaten vollgesogen sind und solange jedes Euro-Land noch erheblichen Einfluss auf die Qualität der Bankbilanzen im eigenen Land hat, etwa weil die Insolvenzverfahren nationales Recht sind, solange würde eine europäische Einlagensicherung dem Haftungsprinzip widersprechen. Denn mit ihr würden beispielsweise auch Ausfallrisiken einzelner Euro-Länder auf die europäischen Sparer überwälzt. Der Verschuldungsanreiz in der Währungsunion ginge damit aber nicht zurück, sondern er stiege noch. Einzel- und Gemeinschaftsinteressen gerieten weiter aus der Balance. Eine stabile Währungsunion braucht aber solide Staatsfinanzen, auch um die Geldpolitik vor dem Druck zu schützen, die lockere Ausrichtung länger beizubehalten als mit Blick auf die Preisstabilität unbel dingt nötig.

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TITEL Europa am Scheideweg

Gemeinsame Werte sollten die Mitgliedstaaten in ­Europa verbinden. Doch das ist nicht immer der Fall. Für die angestrebte Kapitalmarktunion in Europa sind gemeinsame Infrastrukturen und ein europäischer Börsenstandort wichtig, der an stabilen Finanzmärkten interessiert sind. Dann können sich Unternehmen in Europa auch leichter mit frischem Kapital versorgen.

Eine starke Börse für die Europäische Kapitalmarktunion G

emeinsame Werte verbinden die Nationalstaaten Europas. „Die Schlüsselwerke der gemeinsamen Wertebasis Europas umfassen jedoch nicht nur Immanuel Kants Moral- und Rechtslehre, sondern auch Adam Smiths Wohlstand der Nationen“, stellte Carsten Kengeter klar. Nicht alle in Europa bekennen sich zu diesen gemeinsamen Werten. Deshalb sei es wichtig, dass man sich jenseits aller Unterschiede auf die gemeinsamen Werte besinne. Die Kapitalmarktunion ist in diesem Zusammenhang ein tragfähiges europäisches Reformprojekt, hob der Vorstandsvorsitzende der Deutschen ­Börse AG hervor. Denn Finanzstärke

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ist heute ein globaler Wettbewerbs­ faktor. „Die Kapitalmarktunion in Europa kann uns jedoch nur gelingen, wenn wir eine gemeinsame Infrastruktur für diesen Kapitalmarkt bereitstellen. Deshalb brauchen wir eine Börsenorganisation, die ihr Geld damit verdient, Risiken verantwortungsvoll zu managen – und gleichzeitig die Stabilität des europäischen Finanzsystems als oberstes Anliegen in sich trägt.“ Der geplante Zusammenschluss von Deutscher Börse und London Stock Exchange Group (LSEG) ist wichtig für die europäische Wirtschaft. „Sie wird einen erheblichen Beitrag dazu liefern, dass Europas glo-

bale Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt“, sagte Kengeter. Heute gibt es in Europa 17 Börsenplätze, insgesamt sogar 120 Handelsplätze für Aktien. „Da kann man nicht mehr von Subsidiarität oder nationaler Souveränität reden, sondern nur noch von Zersplitterung“. In Zeiten der Globalisierung dokumentiert diese Zersplitterung Schwäche, die sich negativ auf den europäischen Kapitalmarkt auswirkt. „Das ist ein eklatanter Wettbewerbsnachteil“, kritisierte Kengeter. Für die europäische Wirtschaft insgesamt, insbesondere aber für die deutsche Wirtschaft. „Wir müssen uns ins Gedächtnis rufen, dass wir in Deutschland ein krasses Missverhältnis zwischen der

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Stärke unserer Realwirtschaft und der mangelnden Stärke unserer Finanzwirtschaft haben“, betonte der Börsenchef. Unternehmen müssen dringend Zugang zu Kapital bekommen – über Märkte, die Effizienz, Transparenz und Sicherheit vereinen. „Das ist die Aufgabe von Börsenorganisationen. Wir stellen Finanzinfrastruktur her, die weit über den Handelsteil hinausreicht.“ So leistet zum Beispiel das Clearing einen wichtigen Beitrag zu verantwortungsvollem Handeln und ist damit ein zentrales Element für die Stabilität des Finanzsystems insgesamt. „Sicherheit und Transparenz sind eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Erfolg einer Börsenorganisation“, unterstrich Kengeter. Erfolg für die Kunden sei nur bei entsprechender Größe einer Börse möglich. „Wir sind ein klassisches Netzwerkunternehmen. Die Größe ist bei uns ebenso wichtig wie bei Anbietern von Suchmaschinen.“ Fragmentierung hingegen behindere den europäischen Kapitalfluss. Die globale Bedeutung der Deutschen Börse ist in den letzten zehn Jahren geschrumpft, sie rangiert heute nur noch an vierter Stelle. Der Finanzplatz London wiederum spielt auf den globalen Finanzmärkten eine entscheidende Rolle. „Deshalb sind

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wir davon überzeugt, dass es die beste Lösung ist, wenn wir eine Brücke nach London bauen“, so Kengeter. „Wir brauchen einen starken europäischen Börsenstandort.“ Dieser muss global aktiv sein und von europäischen Institutionen reguliert werden. Das Ziel ist eine Finanzinfrastruktur für die europäische Wirtschaft, die europäisches Wachstum begleitet. Ein Zusammenschluss der Frankfurter Börse und der LSEG kann die Kapitalmarktunion unterstützen und zu einem gut regulierten Kapitalmarkt beitragen. „Denn Europa braucht eine dynamische Gründer- und Investitionskultur“, hob Kengeter hervor. Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen, Familienunternehmen und Star-

brücke der größten beiden europäischen Börsenorganisationen: London und Frankfurt kommen zusammen auf einen Schlag auf eine global relevante Größe; sie vereinen unterschiedliche Dienstleistungen in einer Hand; Frankfurt ist das Tor zur größten europäischen Volkswirtschaft, Sitz der EZB und anderer wichtiger europäischer Finanzinstitutionen; der Finanzplatz London wiederum schlägt die Brücke in die USA und nach Asien. Mit dem Gelingen einer Kapitalmarktunion verbindet Kengeter die Hoffnung auf mehr Wachstum. Deutsche Unternehmen benötigen mehr Möglichkeiten, sich mit Kapital zu versorgen. Britische Investoren suchen Unternehmen mit Wachstums­ potential. „Der Zusammenschluss der Börsen ermöglicht genau diesen Kapitalfluss – und zwar in geordneten Bahnen und unter einer europäischen Gesetzgebung. Das ist der Sinn der L ­iquiditätsbrücke“, erläuterte Kengeter. „Finanzplätze müssen der Realwirtschaft dienen. Beide sind aufeinander angewiesen.“ Europa ist eine politische Gemeinschaft und eine Wertegemeinschaft. „Wir müssen deshalb darauf achten, dass die wirtschaftliche Grundlage für Europa

Carsten Kengeter

Foto: Deutsche Börse AG

Foto: Fotolia.com ©tom

TITEL Europa am Scheideweg

Vorsitzender des Vorstands, Deutsche Börse AG

„Europa braucht eine dynamische Gründer- und ­Investitionskultur. Auch deshalb braucht der europäische Wirtschaftsraum einen einheitlichen Kapitalmarkt.“ tups benötigen einen besseren Zugang zu Kapitalquellen. „Deshalb braucht der europäische Wirtschaftsraum einen einheitlichen Kapitalmarkt“, so Kengeter. Notwendiger Beitrag für den einheitlichen Kapitalmarkt ist eine gemeinsame Börseninfrastruktur. Die Vorteile einer solchen Liquiditäts-

gewahrt bleibt. Denn die Idee Europa wird global nur überzeugen, wenn sie auch wirtschaftlich erfolgreich ist. Europa muss das globale Finanzsystem so mitgestalten, dass auch die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft nicht verloren gehen. Das sollte l unser gemeinsames Ziel sein.“

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TITEL Europa am Scheideweg

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ls die ausufernden Staatsschulden Europa in die Krise führten, rief Bundes­ kanzlerin Merkel die schwäbische Hausfrau in den Zeugenstand. Damit meinte sie nichts anderes, als dass niemand auf Dauer über seine Verhältnisse leben kann. Acht Jahre und viele Rettungspakete später, hat dieses Vorbild für die Politik offenbar gänzlich ausgedient. Die zuletzt von der Europäischen Zentralbank (EZB) beschlossenen Maßnahmen, die noch mehr Liquidität in den Markt spülen, entwerten schwäbische Tugenden vollends. Die ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit der Institution EZB bekommt immer tiefere Risse im Fundament. Von August 2015 und Januar 2016 schwankte die Kerninflation im Euro-

Die Milliardenprogramme führen zu einer massiven Vermögensumverteilung von Nord nach Süd – ohne gesellschaftliche Diskussion oder demokratische Legitimation. Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass die EZB nur Zeit kaufen kann, egal wie weit sie den Geldhahn aufdreht. Die wirtschaftspolitischen Probleme muss die Politik lösen. Doch das billige Geld lullt ein: Die EU-Staaten verweigern Reformen. Die neue Linksregierung in Portugal will viele mühsam errungene Reformen rückgängig machen. Italiens Ministerpräsident Renzi weicht den Stabilitätspakt auf und verteilt soziale Wohltaten. Frankreich hat die Chance vertan, vor der Präsidentschaftswahl 2017 die Wirtschaft schlagkräftig umzubauen. Und Griechenland? Es gibt kaum Fortschritte bei der Privatisierung oder im

Die Politik der Euro­päischen Zentralbank enteignet Sparer und bringt enorme Belastungen für deutsche Unternehmen mit sich. Ein Proteststurm bleibt bislang aus. Wie lange noch und was ist dann noch zu retten?

Politik der Europäischen Zentralbank gefährdet raum lediglich um ein Prozent – kein Grund für diesen Aktionismus. Insbesondere wo die Politik des billigen Geldes ihre Wirkung bislang ohnehin zu verfehlen scheint. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Deflationsargumente dazu dienen, die EZB zum Staatsfinanzierer zu transformieren.

Wolfgang Steiger Foto: Jens Schicke

Generalsekretär Wirtschaftsrat der CDU e.V.

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Umgang mit faulen Krediten im Bankensystem. Und es widerspricht dem Geist der Gründungsväter Europas, dass die EZB über die Notfallkredite Richter in der Frage „Grexit?“ war. Die EZB-Entscheidungen stellen zunehmend ein Risiko für die Finanzmarktstabilität in Europa dar. Banken und Großanleger wie Lebensversicherer und Pensionskassen werden in risikoreichere Geschäfte gedrängt. Auf den Aktien- und Immobilienmärkten türmen sich gefährliche Ungleichgewichte auf. Bewährte nationale Besonderheiten wie etwa die (Bau-) Sparkassen, die gut durch die Krise gekommen sind, drohen jetzt unter die

Räder zu kommen. Gleichzeitig stellt die EZB konkursgefährdeten Banken in Südeuropa Langfristkredite zu negativen Zinsen in Aussicht. Dabei sind das größte Hindernis für Wachstum in Südeuropa immer noch die faulen Kredite in den Büchern der Banken. Die EZB behindert mit ihrem billigen Geld die Aufräumarbeiten und bringt „Zombiebanken“ hervor. Dabei belegen alle Daten, dass das billige Geld nicht in der Realwirtschaft ankommt. Negative Zinsen führen nicht zu Investitionen, sie verunsichern Wirtschaft und Bürger. Unternehmen müssen zudem Milliarden Euro in Rücklagen stecken, um Pensionszusagen zu

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Foto: Fotolia.com ©helmutvogler

TITEL Europa am Scheideweg

Die Machtfülle, die sich bei der EZB konzentriert, hat beängstigende Ausmaße erreicht. Durch die institutionalisierte Verquickung von Geld- und Fiskalpolitik werden mehr Probleme geschaffen als gelöst. Ohne Diskussion und Rechenschaftslegung werden hier Entscheidungen getroffen, deren Folgen sich niemand entziehen kann. So werden noch mehr

übertragen werden, für die sie nicht gerüstet und politisch nicht legitimiert ist. Notenbanken können nicht nachhaltig Wachstum oder Beschäftigung stimulieren. Die Konsequenz kann nur sein, die Aufgaben der Zentralbank drastisch zu reduzieren. Notwendig ist eine Neufestlegung des Mandats mit transparenten und einfach überprüfbaren geldpolitischen Regeln.

Aktueller Leitzins in ausgewählten Industrienationen 7,00

Euroland USA Japan Großbritannien

6,00 5,00 4,00 3,00 2,00

0,00 ­1,00 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Quelle: Finanzen.net

1,00

Deutschlands Wohlstand erfüllen. Die deutsche Bevölkerung gehört zu den ältesten der Welt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, die sozialen Sicherungssysteme auf ein tragfähiges Fundament zu stellen, bevor die Demografiefalle zuschnappt. Umso wichtiger ist eine zusätzliche Altersvorsorge in Form einer starken kollektiven und individuellen Ersparnisbildung. Doch in Deutschland besteht das Finanzvermögen vor allem aus Bargeld, Sparguthaben, Pensionsrückstellungen und Ansprüchen gegen Versicherungen. Die Ausschaltung des Zinses lässt die Altersvorsorgepläne im großen Stil Makulatur werden. Das birgt gesellschaftlichen Sprengstoff.

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Menschen dem europäischen Projekt den Rücken kehren. Es gilt deshalb, die Zurückhaltung bei der Bewertung der Notenbankentscheidungen abzulegen und eine ehrliche gesellschaftliche Debatte zu führen. Einen Freifahrtschein für eine weitere Umverteilung von Sparern zu Schuldnern darf es nicht geben. Seit die Notenbank selbst politischer Akteur geworden ist, kann das Argument der Unabhängigkeit nicht mehr verfangen. Selbst die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – die Zentralbank der Zentralbanken – warnt eindringlich, dass der Geldpolitik zu lange zu viele Aufgaben

Europa braucht einen Paradigmenwechsel zurück zu den Prinzipen der Sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehören Eigenverantwortung, das Einhalten von Regeln, das Zusammenführen von Handlung und Haftung und funktionierende Märkte mit einem Zins, der seine Steuerungsfunktion wahrnehmen kann. Nicht nur die Notenbanker der EZB müssen umdenken: Wir brauchen eine grundsätzliche Abkehr von der Rettungskultur. Das hektische „ Retten“ kollabierender Banken und Staaten hat „Zombies“ geschaffen, die öffentliche Schuldenberge dramatisch anwachsen lassen, und Europa durch die Erosion l gemeinsamer Regeln spalten.

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TITEL Europa am Scheideweg

Europäische Finanzmarktregulierung nach der Krise

A

ls Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament war meine Arbeit in der letzten Legislaturperiode geprägt von der Bewältigung der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Eine grundlegende ­Reform des Finanz- und Bankensektors erschien unausweichlich. Die regulatorische Agenda, die darauf folgte, zeichnete sich durch eine Gemengelage aus kurzfristiger Krisenpolitik und nachhaltiger Regulierung aus. Es wurden zahlreiche regulatorische ­Lücken geschlossen, bestehende Regulierungen überarbeitet oder neues Recht geschaffen, wo dies nötig war. Dabei war es sicherlich nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. Denn auch die zeitliche Abfolge neuer Regulierungsvorhaben nahm kontinuierlich zu. Das Resultat ist eine fragmentierte Europäische Finanzmarktpolitik, die man mit einem unvollständigen ­Puzzle vergleichen kann. Eines der zentralen Projekte der letzten Jahre – wenn nicht sogar das

unter ihrer jeweils nationalen Aufsicht. Ich bin der Meinung, dass dies auch so bleiben muss. Auch bei der Bankenabwicklung hat das Europäische Parlament einen proportionalen Ansatz durchgesetzt. Konkret heißt das, dass die Europä­ ische Abwicklungsbehörde für die Sanierung und Abwicklung der Kredit­ institute verantwortlich ist, die auch unter die direkte Aufsicht der EZB fallen. Kleine und mittlere Banken, die national beaufsichtigt werden, werden auch weiterhin im Ernstfall national abgewickelt. Zudem werden die Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds risikobasiert berechnet. Ein Thema, das uns langfristig beschäftigen wird, ist die Einlagensicherung. Die 2014 als dritte Säule auf den Weg gebrachten Maßnahmen umfas-

Zeit für eine Bestandsaufnahme

zentrale Projekt – ist die sogenannte Bankenunion. Mit der Verabschiedung der dazugehörigen Gesetzesvorhaben im April 2014 haben wir sicherlich einen wichtigen Fortschritt in der Entwicklung eines stabilen und verantwortungsvollen Finanzsystems gemacht. Fest steht aber auch, dass damit neue, komplexe Puzzleteile zur Europäischen Finanzmarktregulierung hinzukamen. Ein Blick auf die Bankenunion lässt erahnen wie vielschichtig und umfangreich die Re­ gulierungsagenda der letzten Jahre ist.

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Die drei Säulen der Bankenunion, der einheitliche Aufsichts- und Abwicklungsmechanismus sowie die Einlagensicherung gehören zu den größten Puzzleteilen der Regulierungsagenda, die sich sowohl untereinander als auch ins Gesamtbild einsetzen lassen müssen. Ein roter Faden, der sich durch alle drei Säulen der Bankenunion zieht, ist das Thema der Proportionalität. Die Maßnahmen rund um die Bankenunion haben gezeigt, dass Regulierung verhältnismäßig und zunehmend stärker nach Größe und Risiko differenziert werden muss. Vor dem Hintergrund, dass mit der Bankenunion die Ursachen der Finanzkrise angegangen werden sollten, ist es nur konsequent, dass hauptsächlich die Verursacher der Krise im Fokus der Regulierung stehen. So sind es

Die Europäische Finanz- und Staatsschuldenkrise ­erforderte eine Agenda aus kurzfristiger Krisenpolitik und nachhaltiger Regulierung. Das ­Ergebnis ist eine fragmentierte europäische ­Finanz­marktpolitik, die jetzt mit dem Blick auf ihre Kohärenz und Konsistenz überprüft werden sollte. die großen, systemrelevanten Kredit­ institute, die direkt und unmittelbar von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigt werden. Kleine und mittlere Banken bleiben zunächst

sen die Harmonisierung nationaler Einlagensicherungssysteme. Dies war durchaus ein wichtiger Schritt mit dem nun europaweit Spareinlagen gleichermaßen geschützt sind. Die neuerliche

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TITEL Europa am Scheideweg

tigen Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen und entsprechend zu handeln. Letztendlich muss sichergestellt sein, dass sich die einzelnen Puzzleteile der Finanzmarktregulierung zu einem kompletten Gesamtbild zu-

Burkhard Balz MdEP

Foto: www.burkhard-balz.eu

lierungsvorhaben zu legen. Doch das allein ist nicht ausreichend. Es gilt insbesondere die kumulativen Folgen der vielen bestehenden Regulierungsvorstöße sowie die Wechselwirkungen einzelner Vorhaben aufzudecken. Dies hat das Europäische Parlament unter meiner Federführung in einem im Januar verabschiedeten Initiativbericht aufgegriffen und die Europäische Kommission aufgefordert, bis Ende 2016 eine Auswirkungsstudie vorzulegen. Eine solche Auswirkungsstudie, die zum einen über alle Finanzmarktsektoren hinweg und zum

Koordinator der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung

„Die neuerliche Initiative der Europäischen Kommission, ein ­Europäisches Einlagenrückversicherungssystem vorzuschlagen, ist für mich nicht nachvollziehbar.“ anderen innerhalb der einzelnen Sektoren durchgeführt wird, wäre ohne Zweifel ein wichtiger Ausgangspunkt für unsere zukünftige Arbeit im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Unsere Aufgabe im Europäischen Parlament wird es dann sein, die rich-

sammensetzen lassen. Davon sind wir noch ein Stück weit entfernt. Denn dies kann nur mit kohärenten Puzzleteilen gelingen, die einwandfrei ineinander greifen und zueinander passen, das gilt auch für die weitere Umsetl zung der Bankenunion.

Foto: Fotolia.com ©Grecaud Paul

Initiative der Europäischen Kommission, ein Europäisches Einlagenrückversicherungssystem vorzuschlagen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Auch eine Eilbedürftigkeit sehe ich hier nicht. Meiner Meinung nach werden mit diesem Vorschlag die falschen Anreize gesetzt. Denn mit einer vollständigen Vergemeinschaftung der Einlagensicherung werden Risiken, die weiterhin stark national geprägt sind, auf die Europäische Ebene umverteilt. Zunächst muss die Umsetzung der bereits beschlossenen Elemente der Bankenunion die höchste Priorität haben. Nur so lässt sich Puzzleteil für Puzzleteil richtig zusammensetzen. Die entscheidende Frage, die sich daran anschließt ist, ob wir eine umfassende Überarbeitung des „Regulierungspuzzles“ brauchen, die gezielt die Kohärenz und Konsistenz der e­inzelnen Puzzleteile überprüft. Meiner Ansicht nach lässt sich dies eindeutig mit „Ja“ beantworten. Als Initiativgesetzgeber ist es zunächst an der Europäischen Kommission, zukünftig ein größeres Augenmerk auf eine bessere Abstimmung der Regu-

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TITEL Europa am Scheideweg

Deutsch­Französischer neues Leben einhauchen Deutschland und Frankreich haben in Europa eine lange Tradition und Geschichte. Aber die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat die beiden Staaten in Kerneuropa auseinanderdriften lassen. Es wäre an der Zeit, dass ein erfolgreiches Tandem die Vertiefung des Binnenmarktes mit allen 20 EU-Staaten vorantreibt.

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ie deutsch-französische Freundschaft wird in den letzten Jahren immer dann sichtbar, wenn es um gemeinsame Symbole geht – wie erst neulich in Verdun, um die großen geopolitischen Momente – wie in der Ukraine-Krise – oder um Richtungsentscheidungen in Europa – wie in der Griechenland-Krise. Weniger sichtbar ist eine wirklich enge deutsch-französische Kooperation der Integration der beiden Volkswirtschaften. Sicher, Frankreich ist immer noch einer der größten Handelspartner Deutschlands – inzwischen knapp die Nummer 2 hinter den USA, aber von einem echten deutsch-französischen Wirtschaftsraum sind wir weit entfernt. Das liegt daran, dass in einzelnen strategisch bedeutenden Industriezweigen, in denen regulatorische Schranken die wirtschaftliche Aktivität in besonderem Maße hemmen, zu wenig gemeinsame Projekte entstehen. In Bereichen wie der Energiepolitik, und leider auch bei vielen Aspekten der Digitalwirtschaft, ist die deutsch-französische Grenze immer noch gleichbedeutend mit der Gren-

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ze zwischen unterschiedlichen politischen und regulatorischen Modellen. Die Beispiele reichen von den Regeln zur Förderung erneuerbarer Energien über die Datenschutzregeln auf den Krankenversicherungskarten bis hin zu den Garantiebestimmungen bei Käufen im Internet oder dem Geoblocking. Es gibt zwei Wege, mit solchen Unterschieden zwischen Deutschland und Frankreich umzugehen. Der erste Weg ist der Umweg über Europa: Weil die EU-Kommission den Binnenmarkt ohnehin weitertreiben muss, könnten beide Länder sich nach und nach im Konzert mit den anderen 26 Ländern im immer tiefer integrierten Markt aufeinander zubewegen. Ich halte diesen Weg nicht für falsch, aber für viel zu langsam. Eine Einigung aller 28 EU-Länder setzt immer lange Kompromissfindungen voraus, die oftmals weder inhaltlich noch zeitlich sinnvoll sind. Der zweite Weg führt über gemeinsame deutsch-französische Initiativen auf die breiteren EU-28-Lösungen hin: Warum arbeiten Deutschland und Frankreich nicht gemeinsam an ihren eigenen Projekten zur vertieften

Integration, um sie dann in der EU zur Diskussion zu stellen? Ein erfolgreiches Tandem ist kein Bremsklotz für die breitere europäische Integration, sondern könnte die Vertiefung des Binnenmarkts mit allen 28 Mitgliedern sogar erleichtern und beschleunigen. Deshalb sollten Deutschland und Frankreich gemeinsam an „Branchen ohne Grenzen“ arbeiten. Dieses Projekt reicht weit über die klassische gemeinsame Koordination und gemeinsame Initiativen hinaus. Es geht darum in einzelnen Bereichen einen gemeinsamen Rechtsrahmen aufzubauen, ein gemeinsames und identisches Regelwerk zu schreiben, ja sogar eine gemeinsame Regulierungsbehörde einzurichten. So könnten Deutschland und Frankreich die gerade beschlossene EU-Datenschutz-Grundverordnung nutzen, um wirklich identische Regeln in den beiden Ländern umzusetzen. Zwar handelt es sich technisch um eine Verordnung, aber es gibt zahllose Bereiche, in denen Unterschiede zwischen Deutschland und

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TITEL Europa am Scheideweg

Frankreich fortbestehen werden. Warum muss das so sein? Warum können die Regierungen und Parlamente beider Länder sich nicht in gemeinsamen Ausschüssen und Arbeitsgruppen auf einheitliche Regelungen verständigen? Dadurch entstünde im Herzen Europas in einzelnen Branchen ein gemeinsam regulierter Markt, dessen Größe mit fast 150 Millionen Menschen für Investitionen gerade im Digitalbereich deutlich interessanter wäre als die gerade einmal halb so großen nationalen Märkte. Oft werde ich gefragt, was das nächste deutsch-französischen Industrieprojekt nach Airbus sein könnte. Meine Antwort ist: Ein identisches Datenschutzgesetz in beiden Ländern. Und zwar wirklich identisch. Das ist sicherlich ähnlich schwer, wie der Bau eines Flugzeugs. Aber es ist notwendig – und möglich. Deutschland und Frankreich haben ähnliche Interessen und Präferenzen, die sich abheben von den Datenschutzmodellen in den USA oder auch, wenn auch weniger ausgeprägt, von Großbritannien. Ein

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deutsch-französisches Gesetz würde eigene Standards setzen, die kein Unternehmen außer Acht lassen könnte. Gleichzeitig würde durch die Erweiterung des einheitlich regulierten Markts plötzlich ein deutlich größerer Investitionsraum entstehen – mit hohem Potential für Wachstum in beiden Ländern.

Prof. Dr. Henrik Enderlein

Foto: Hertie School of Governance GmbH/Dirk Bleicker

Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann

Partnerschaft

sie auseinandergetrieben. Die Gründe für die neue deutsch-französische Divergenz sind vielschichtig, aber sie weisen darauf hin, dass beide Länder wieder mehr tun müssen, um sich einerseits selbst wieder fit zu machen und anderseits wieder näher aneinander zu rücken. Dafür sind Reformen und Investitionen in beiden Ländern wichtig – und echte gemeinsame Projekte. In einem Bericht, den ich mit meinem französischen Kollegen Jean Pisani-Ferry im November 2014 an die beiden Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Emmanuel Macron übergeben habe, sind viele Vorschläge für konkrete Maßnahmen enthalten. Europa ist mehr als nur ein Markt, eine Währung oder ein Etat. Europa wurde auf der Grundlage gemeinsamer Werte und eines gemeinsamen Wirtschaftsmodells erbaut. Heute steht das europäische Projekt auf dem Prüfstand. Es ist die Aufgabe Frankreichs und Deutschlands, das Wirtschafts- und Sozialmodell Kerneuropas wiederzubeleben und zu erneuern. Dies sollte mit konkreten Initiativen zur Integration der Digitalwirtschaften beginnen und sich dann

Professor für Politische Ökonomie und Associate Dean der Hertie School of Governance, Direktor des Jacques Delors Institut – Berlin

„Es ist die Aufgabe Frankreichs und Deutschlands, das Wirtschafts- und Sozialmodell Kerneuropas wiederzubeleben und zu erneuern. Dies sollte mit konkreten Initiativen zur Integration der Digitalwirtschaften beginnen …“ Einige werden jetzt die Frage aufwerfen, ob diese vertiefte Integration zwischen den beiden bereits stark integrierten Ländern wirklich so wichtig ist. Die Antwort ist ein klares Ja. Bis zum Beginn des wirtschaftlichen Krisenjahrzehnts im Jahr 2007 liefen die deutsche und französische Konjunktur recht parallel. Doch die Krise hat

in Bereichen wie der Energiepolitik, der Bildungspolitik und später auch der Arbeitsmarktpolitik, Rentenpolitik und Sozialpolitik fortsetzen. Deutschland und Frankreich werden im Weltmarkt nur als tatsächlich integrierter Wirtschaftsraum bestehen können. Symbole sind wichtig – aber gemeinsame Taten noch wichtiger. l

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AKTUELL Junge Generation

sprach exklusiv mit Paul Ziemiak, dem Bundesvorsitzenden der Jungen Union. Er bewertet die Arbeit der Großen Koalition aus dem Blickwinkel der Jungen Generation – und sieht Verbesserungsbedarf.

„Eine Gesellschaft, die sich ein 233 Milliarden-Euro-Rentenpaket leistet, sollte Investitionen in einen flächendeckenden Breit­bandausbau finanzieren können.“ Herr Ziemieak, Sie sind jetzt seit gut anderthalb Jahren Bundes­vorsitzender der Jungen Union. Sie haben von Beginn an auf Wirtschaftsthemen gesetzt. Das ist nicht bei allen politischen Jugend­organisationen so, schon gar nicht bei Jusos und Grüner Jugend. Warum haben Sie diese Positio­nierung vorgenommen? Als Junge Union verstehen wir uns als politische Organisation ohne ideologische Scheuklappen. Damit unterscheiden wir uns im besonderen Maße von unseren politischen Mitbewerbern. Wenn wir uns Gedanken um die Lösung ­gesellschaftlicher Probleme machen, darf die Umsetzbarkeit und die Finanzierung der dazu notwendigen Maßnahmen nicht außer Acht gelassen werden. Allzu oft höre ich in politischen Diskussionsrunden gut gemeinte und ­wohlklingende Vorschläge, die schlicht weg nicht finanzierbar sind. Die erfolgreiche deutsche Wirtschaft und ins­ besondere der deutsche Mittelstand, sorgen dafür, dass es uns in Deutschland so gut geht. Wenn wir die Unternehmen auf einseitige Weise durch hohe Steuerabgaben belasten, wird es nicht so erfolgreich weitergehen können. Deshalb setzte ich mich von Beginn an für eine Wirtschaftspolitik mit Augenmaß ein. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsrat haben Sie sich für die Entlastung mittlerer Einkommen, Stichwort „Kalte Progression“ engagiert. Wie sind die Aussichten für eine Entlastung?

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Die Aussichten sind gut. Die Abschaffung der kalten ­Progression war uns ein Anliegen für das wir auf dem Bundesparteitag der CDU 2014 erfolgreich gekämpft haben. Finanzminister Schäuble gab bereits im letzten Jahr zu verstehen, dass die Abschaffung der kalten Progression schrittweise kommen wird. Wir werden diesen Vorgang aufmerksam begleiten und wenn nötig die Regierung an ihr Versprechen erinnern. Eine spürbare Erleichterung er­ warten wir aber noch in dieser Legislaturperiode. Mit der Art, wie Themen der jungen Generation gerade durch die Große Koalition behandelt werden, können Sie nicht zufrieden sein. Was muss sich ändern? Wir brauchen allgemein eine generationengerechtere Politik. Dies macht besonders die aktuelle Rentenpolitik der Großen Koalition deutlich. Man bekommt das Gefühl, die Bundesregierung mache Politik nach dem Gießkannenprinzip. Besonders die Rente mit 63 war ein Fehler, aber auch die Mütterrente war falsch, da sie falsch finanziert wurde. Was wir brauchen ist eine Rentenpolitik, die in die Zukunft blickt. Die Menschen werden immer älter und beziehen logischer Weise somit auch länger Rente. Dem muss Rechnung getragen werden. Eine Konsequenz, die ich daraus ziehe, ist, dass Menschen, die gesundheitlich dazu in der Lage sind länger als bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten, dies auch tun müssen. Sonst wird meine Generation später sicher nicht von ihrer Rente leben können.

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Foto: Junge Union ©Steffen Stilpirat Böttcher

AKTUELL Junge Generation

Südkorea, Israel oder Estland liegen bei der ­Digitalisierung weit vor unserem Land. Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung der Digitalen Agenda? Die Regierung hat den Nachholbedarf im Bereich der Digitalisierung erkannt und geht mit der Digitalen Agenda den richtigen Weg. Wichtig ist, dass wir zunächst eine leistungsstarke digitale Infrastruktur aufbauen. Ich bin der Meinung, dass wir auch hier weiter in die Zukunft planen sollten und deswegen auf Glasfaserausbau setzen sollten. Leider kommen wir hier noch nicht schnell genug voran. In einer Gesellschaft, die sich ein Rentenpaket über 233 Milliarden Euro bis 2030 leistet, sollte es möglich sein, einen flächendeckenden Breitbandausbau zu finanzieren und Investitionen insgesamt besser zu fördern. In Deutschland stehen 330.000 Unternehmens­ schließungen nur 300.000 Neugründungen gegenüber. Das sind zu wenig. Welche Weichen muss die Politik hier stellen? Mit dem Startup-Standort Deutschland sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen. Wir müssen die Voraussetzungen für ein attraktives Startup-Klima verbessern. Dazu gehört es die Entbürokratisierung voranzutreiben sowie Investitionsmöglichkeiten in Startups leichter, transparenter und steuerlich vorteilhafter zu gestalten. Das Wagniskapitalgesetz muss kommen!

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Wie glauben Sie lassen sich die Menschen – und insbesondere die junge Generation – wieder für Europa begeistern? Indem wir den Fokus wieder mehr auf das Erreichte und nicht auf das noch nicht Erreichte legen. Mit der Europäischen Union haben wir eine Ära des Friedens eingeleitet, die es so noch nicht auf unserem Kontinent gegeben hat. 28 Mitgliedstaaten überwinden Grenzen und wachsen zusammen. Ein großartiges Projekt der Völkerverständigung, das einmalig in der Weltgeschichte ist. Wir sollten stolz auf die EU sein und jeden Tag dafür werben. Wie lautet Ihr Rezept gegen das Erstarken von Parteien am rechten Rand in Europa und Deutschland? Am Beispiel der AfD sehen wir, dass es populistischen, rechten Parteien gerade gut gelingt, die Ängste und ­Verunsicherungen der Menschen durch vermeintlich einfache Antworten auszunutzen. Das Ergebnis ist eine menschenverachtende und rückwärtsgewandte Politik. Unsere Aufgabe ist es, die gesellschaftlichen Probleme und deren oft komplizierten Lösungen besser zu erklären. Den ­politischen Gegner zu dämonisieren bringt aber nichts und hilft den rechten Populisten sogar bei ihrer Politik gegen das sogenannte Establishment. Wir müssen die AfD ­argumentativ schlagen, dann wird sich das Problem des Rechtspopulismus bald wieder auf ein normales Maß begrenzen. l

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AKTUELL Altersvorsorge

Der beste Schutz gegen Altersarmut:

Foto: Fotolia.com ©Thomas Reimer

Klare Informationen und eigenes Handeln

Mehr Klarheit statt Datenchaos motiviert die Eigeninitiative zur Rentensicherung. In der ­derzeitigen Nullzinsphase ist das wichtiger denn je. Nichts regelt sich mehr wie von selbst. Jeder muss aktiv etwas für seine Absicherung im Alter tun. Der beste Schutz gegen ­ flächen­ ­ deckende Altersarmut ist rechtzeitiges Handeln. Dafür aber muss jeder klare ­Infor­mationen zu seinem Vorsorgestand haben. Auch Wirtschaft und Politik werden ­profitieren, denn die Kosten für verarmte Generationen werden weit höher ausfallen.

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AKTUELL Altersvorsorge

Ansprüchen zu bekommen. Auf dieser Basis können sie fundiert Initiative ergreifen und gegebenenfalls im Zeit­ ablauf nachjustieren. Andere europäische Länder sind bereits auf dem Weg und haben entsprechende Systeme aufgebaut, die individuell säulenübergreifende Renteninformationen anbieten. Aktuell haben in Großbritannien die dortige Finanzaufsicht und das Finanzministerium ein „Pension Dashboard“ vorgeschlagen.

Eigeninitiative in der Bevölkerung motivieren Flexi-Rente, Deutschlandrente und Appelle an Unternehmen, die Lücken in Pensionskassen zu schließen, sind dabei nur einige der Forderungen. Immer wieder neue Modelle und Angebote drohen jedoch zu verpuffen ohne mehr Eigeninitiative in der Bevölkerung. Bislang fehlt die Motivation und auch das Instrumentarium zur Analyse der eigenen Situation. Dieser weitverbreitete Blindflug in die Rente kann nur durch verständliche und individuell abrufbare Informationen beendet werden. Es braucht Klarheit zum Stand der eigenen Vorsorge mit allen Daten, die dafür wichtig sind. Die Ansprüche aus allen drei Säulen müssen verständlich dargestellt werden. Denn nur dann weiß jeder, was er genau zu erwarten hat und wo er vorausschauend nachbessern muss, um nicht in eine Altersarmut abzurutschen. Stellen Sie sich selbst die Frage: Wie hoch wird Ihr Renteneinkommen sein? Wie hoch ist die Summe aller Ansprüche aus allen Etappen Ihres Berufslebens? Und wissen Sie, ob und wieviel noch zu tun ist?

Anbieter- und produktneutrale Informationsplattform notwendig Die Umsetzung ist nicht einfach, aber machbar. Die Deutsche Renten Information hat im Vorfeld wichtige Fragen geklärt. Dabei geht es um Datenstandards, Sicherheit und Schutz der ­Informationen sowie um die Ermittlung, Abgrenzung und Darstellung der Ansprüche. Es muss sichergestellt

Verständlicher Überblick für alle Erst wenn eine Datenabfrage möglich ist, die alle relevanten Informationen zusammenführt und nutzerfreundlich aufbereitet werden, kann zielgerichtet reagiert werden. Das Zielfoto der Deutschen Renten Information ist daher, dass spätestens 2020 alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland die Möglichkeit haben werden, schnell und einfach einen verständlichen Überblick zu all ihren individuellen

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zur dringenden Notwendigkeit von klaren Vorsorgeinformationen. Bessere Entscheidungen durch mehr Transparenz Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mit Altersarmut in ganzen Bevölkerungsgruppen konfrontiert werden. Deshalb ist jetzt Transparenz nötig. Die Deutsche Renten Information kann Stück für Stück realisiert werden, begleitet von Testläufen mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern, um eine konsequent nutzerorientierte Oberfläche zu gewährleisten und um Reaktionsmuster zu

Prof. Dr. Andreas Hackethal Vorsitzender des Vorstandes Deutsche Renten Information e.V. Professor House of Finance, Goethe Universität, Frankfurt am Main

Foto: Uwe Dettmar

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ullzinsen für das Ersparte auf der Bank und eine immer älter werdende Gesellschaft lassen die sicher geglaubte Vorsorge schrumpfen – deutliche Warnzeichen für drohende Altersarmut, die momentan noch nicht zu spüren ist, aber schon in den kommenden Rentnergenerationen ein massives Problem sein wird. Der Kollaps des Systems droht und das treibt zu Recht die Debatte zu Rentenreformen an.

„Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mit Altersarmut in ganzen Bevölkerungsgruppen konfrontiert werden. Deshalb ist jetzt Transparenz nötig.“ sein, dass die Informationsplattform anbieter- und produktneutral ist und keine Daten zentral auf Vorrat gespeichert werden. Die Plattform darf nicht dem Zugriff des Staates, der Versicherungswirtschaft, der Banken oder Kapitalanlagegesellschaften ausgesetzt werden. Deshalb sind in anderen Ländern diese Informationsdienste auch halbstaatlich neutral organisiert. Die Deutsche Renten Information wurde über die letzten Jahre hinweg entwickelt und vor allem deswegen erschaffen, um das offensichtliche Koordinationsproblem zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu lösen. Begleitend wurden Studien durchgeführt, erste Prototypen ent­ wickelt und in detaillierten Abstimmungen mit Politik und Wirtschaft die jetzige Reife dieses Konzepts erreicht. Wichtige Grundlagen sind beispielsweise die MLP-Studie zur Unverständlichkeit der Standmitteilungen oder das PwC-Positionspapier

untersuchen. Partner sind, bei aller Neutralität der Deutschen Renten Information, namhafte Beratungsgesellschaften, Banken, Versicherungen und Technologie­unternehmen. Oberste Ziele sind der Datenschutz und die Verständlichkeit Oberste Ziele dabei sind immer der Schutz der Daten und die Verständlichkeit für die Bürgerinnen und Bürger. Mit der Einführung dieser unabhängigen und wettbewerbsneutralen Plattform würde vor allem eines erreicht: Endlich Transparenz und jeder Zeit abrufbare verständ­liche Informationen zur Altersvorsorge. Das führt zu mehr Eigeninitiative und zu besseren Entscheidungen, besonders auch bei den jungen Generationen. Die Fakten liegen auf dem Tisch und es ist keine Zeit mehr zu ver­ lieren. Wir brauchen endlich auch in Deutschland Klarheit in Sachen l ­Rente.

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AKTUELL Verkehrsinfrastruktur

Mehr Straße für den Euro Der Wirtschaftsrat fordert schon lange eine Neuausrichtung der Verkehrswegefinanzierung. Jetzt hat sich auch die ­Bundes­regierung für einen solchen Schritt ausgesprochen. Und auch die Länder plädieren für mehr Effizienz und bessere Finanzierungsstrukturen.

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oviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig – das soll künftig das Leitmotiv sein. „Wer die Musik bezahlt, der soll auch bestimmen, was gespielt wird“, forderte Werner M. Bahlsen, Prä­

Eine neue Fernstraßengesellschaft muss schnellstmöglich ins Leben gerufen werden. „Das ist eine Verpflichtung gegenüber den nächsten Generationen“, betonte Wolfgang Steiger,

Der Bund ist zwar der Eigentümer der Straßen, er hat aber keine Kontrolle über das Netz, kritisierte er. Der Wirtschaftsrat setzt sich deshalb für eine betriebswirtschaftlich aufgestellte Bundesfernstraßengesellschaft ein, die mit einem schlanken Management Planung, Finanzierung, Bau, Erhalt und Betrieb der Fernstraßen steuert. „Richtig eingesetzt, würde eine solche Lösung gewährleisten, dass die Einnahmen aus dem Verkehr auch tatsächlich dort ankommen“, betonte Bahlsen. „Ein weiterer Vorteil wäre, dass sich auch privates Kapital besser einbinden ließe.“ Der Wirtschaftsrat wolle nicht Straßen privatisieren, sondern ihre Verwaltung effizienter gestalten. Mehr Wettbewerb und stärkeres privates Engagement für Betrieb und Unterhalt seien die Leitgedanken. Zugleich sprach sich Bahlsen strikt gegen staatliche Garantien für private Investoren aus. „Unser Konzept der Bundesfernstraßengesellschaft wäre ein echter Befreiungsschlag!“

tragsverwaltung; mehr betriebswirtschaftliche Aspekte bei Bau, Erhalt, Betrieb und Finanzierung des Straßennetzes; und mehr Transparenz bei Kosten und Abläufen: „Das alles lässt sich am besten in einer Infrastrukturgesellschaft des Bundes abbilden, die für Autobahnen und Bundesstraßen zuständig ist“, betonte Steiger. „Wenn wir wollen, dass Deutschland ein starkes Industrieland bleibt, stehen wir unter enormen Handlungsdruck.“ Den Vorstellungen des Bundes stehen die Empfehlungen der Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ gegenüber. Die sogenannte Bodewig-II-Kommission empfiehlt, das Verhältnis von Bund und Ländern neu auszutarieren. „Der Bund wird vom Bauherrn zum Besteller, Finanzier und Kontrolleur – die ausführenden Länder zu eigenverantwortlichen Durchführern“, erläuterte

sident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

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Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V. Mehr Effizienz in der Auf-

Prof. Kurt Bodewig, Bundesminister a.D. und Vorsitzender der Kommission. Im

Vergleich zur Gründung einer Bun-

desautobahngesellschaft ist für diesen Vorschlag der Länder keine Grundgesetzänderung notwendig.“ Nach Auffassung Bodewigs würde eine reine Autobahngesellschaft eine Verzerrung zugunsten von Investitionen in Autobahnen nach sich ziehen: „Die nachgeordneten Netze, selbst die ­übrigen Bundesfernstraßen, würden dabei kaum mehr eine Rolle spielen.“ Er warb für die Vorschläge seiner Kommission. Vorteil eins: Die Länder hätten die gesamte Netzverantwortung im Blick, wodurch sich Synergien beim Betrieb über alle Straßen hinweg ergäben. Zweitens, ein markanter Zeitvorteil. „Während Gründung und Aufbau einer Bundesgesellschaft mehr als zwei Legislaturperioden dauern würden, wären die Empfehlungen der Kommission in wenigen Jahren umsetzbar.“ Für Deutschland ist eine gute Infrastruktur von zentraler Bedeutung. „Das hat man vernachlässigt, man ist

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Fotos: Jens Schicke

AKTUELL Verkehrsinfrastruktur

viele Jahre auf Verschleiß gefahren“, kritisierte Enak Ferlemann, Parlamen­ tarischer Staatssekretär beim Bundes­ minister für Verkehr und digitale Infra­ struktur. Eine Investitionssumme von

rund zehn Milliarden € pro Jahr reicht nicht aus. „Deshalb war es eine geniale Idee, unter anderem des Wirtschaftsrats, eine Bund-Länder-Kommission für eine schonungslose Bestandsaufnahme ins Leben zu rufen“, betonte Ferlemann. „Ich weiß gar nicht, wie oft Generalsekretär Steiger bei mir war und mich ermahnt hat, dass da mehr Geld kommen muss!“ Heute haben Bundesregierung, Bundestag und Länder das Problem erkannt. Im Rahmen des neuen Bundesverkehrswegeplans sollen bis 2030 rund 265 Milliarden Euro in den Erhalt und Neubau von Straßen, Schienen und Wasserstraßen fließen. Rund 70 Prozent der Mittel in den Erhalt. „Aber es wird auch Aus- und Neubau geben, um Engpässe zu beseitigen“, kündigte

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der Staatssekretär an. Netzschlüsse, der Ausbau von EU-Magistralen sowie die Verbesserung von Seehafenhinterland- und Flughafenanbindungen sind weitere Schwerpunkte. Hier muss auch mehr privates Kapital mithilfe von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften mobilisiert werden. Ferlemann wies auf die Verkehrs­ prognose seines Ministeriums hin. Während der Personenverkehr bis 2030 um geschätzte 13 Prozent (Personenkilometer) zulegen soll, müsse man sich beim Güterverkehr auf ein Plus von stattlichen 38 Prozent (Tonnenkilometer) einstellen. Der größte Zuwachs entfällt auf die Bahn (plus 43 Prozent), aber auch LKW-Verkehre (plus 39 Prozent) und Schifffahrt (plus 23 Prozent) nehmen demnach bis 2030 massiv zu. „Wir werden alle drei Verkehrsträger ausbauen müssen“, betonte Ferlemann. „Bürger und Wirtschaft sollen den Verkehrsträger wählen können, der für sie der güns-

tigste ist. Es ist nicht Aufgabe der Politik, den Leuten zu erklären, wie sie von A nach B kommen.“ Mit Blick auf die Umsetzung der Pläne sprach sich der Staatssekretär für eine umfassende Änderung der Bundesauftragsverwaltung aus. Das bisherige System ist aus Sicht des Bundes ineffizient. Ferlemann wies auf die Personalengpässe in den Ländern hin – bereits heute haben sie Schwierigkeiten, Aufträge abzuarbeiten. Planungsund Ausführungszuständigkeit für Bau und Erhalt der Autobahnen sollten deshalb beim Bund gebündelt werden, forderte er und sagte. „Die dafür notwendige Grundgesetzänderung ist in unserem Hause vorbereitet.“ Die Bundesautobahngesellschaft kann voraussichtlich im Jahr 2020 oder 2021 an den Start gehen. „Wir müssen der Wirtschaft die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen, wenn wir ­Logistik- und Exportweltmeister bleil ben wollen“, betonte Ferlemann.

v.l.n.r.: Werner M. Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrates; Christiane Preuß, Kaufmännische Leiterin Mercedes-­BenzNiederlassung Berlin; Enak Ferlemann MdB, Parlamen­ tarischer Staats­sekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen eröffnet das Verkehrs­forum zum Thema Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur in der Mercedes Welt

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AKTUELL Verkehrsinfrastruktur

Mehr Effizienz, mehr Transparenz, mehr Wettbewerb Wie lässt sich die Bund-Länder-Auftrags­verwaltung neu gestalten, damit sie schlank, kostengünstig und v­ erständlich ist. Welche Strukturen eignen sich am besten? Klarer Favorit ist die zentrale Bundesfernstraßengesellschaft.

D

as überregionale Verkehrsnetz soll mit dem Fokus auf die Bundesautobahnen aus dem System der Auftragsverwaltung herausgelöst werden. Der damit einhergehende Investitionshochlauf muss jedoch mit einer Effizienzsteigerung der Verwaltung einhergehen, damit zusätzliche Mittel nicht in ineffiziente Strukturen fließen, hob Jens Spahn MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, hervor. Er machte darauf aufmerksam, dass sich der Bereich der Bundesfernstraßen in einigen Aspekten von der Reform anderer Verkehrsträger unterscheidet. „Zum einen kommt dem Straßennetz eine Daseinsvorsorgefunktion zu, zum anderen sind Mitarbeiter der Länder in den Reformprozess zu integrieren.“ Die

„Viele Riester-Sparer sind jetzt auch schon in den Infrastrukturfonds investiert.“ Hilko Schomerus, Macquarie Capital Europe Ltd.

Bundesregierung hat sich auf ein Konzept verständigt, das die Gründung einer Infrastrukturgesellschaft vorsieht. Das Eigentum der Bundesfernstraßen verbleibt beim Bund, die Gesellschaft ist ebenfalls Bundeseigentum. „Der Deutsche Bundestag legt weiterhin gesetzlich fest, für welche Projekte es einen Bedarf gibt“, erläuterte Spahn. „Und der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen bei Ausbau und Erhalt des vorhandenen Netzes, Rechnung getragen wird.“ „Deutschland baut zu schöne und zu gute Autos. So hat lange niemand gemerkt, wie schlecht die Straßen sind“, sagte halb scherzhaft Dr. Klaus Schierhackl, Vorstand der

­sterreichischen ASFINAG Autobahnen- und Schnellstraßen-­ ö Finanzierungs-Aktiengesellschaft. Er regte an, auch in der

Bundesrepublik ein Maut-System zu etablieren: „Millionen von Kunden werden es danken, wenn die Mauteinnahmen direkt in das Budget der Gesellschaft fließen und un­mittelbar für das Straßennetz verwendet werden.“ Gleichwohl sei eine Eins-zu-Eins-Kopie des ­ASFINAG-Modells keine Lösung für Deutschland. „Grund­sätzlich aber ist eine privatwirtschaftlich organisierte Gesellschaft eine sehr gute Lösung.“ Schierhackl sprach sich für eine Infrastrukturgesellschaft im Bundesbesitz aus. „Ich bin für einen bundes­ einheitlichen Ansatz. Denn 70 Prozent bauliche Instandhal-

Foto: Jens Schicke

Eine spannende Diskussion zum Thema „Mehr Effizienz, mehr Transparenz, mehr Wettbewerb – Bund-Länder-­ Auftragsverwaltung neu gestalten“ führten v.l.n.r.: Daniel Strücker, Dr. Klaus Schierhackl, Prof. Kurt Bodewig, Moderator Christian Schlesiger, Wirtschaftswoche, Jens Spahn MdB, Mathias Oberndörfer und Hilko Schomerus

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AKTUELL Verkehrsinfrastruktur

„Deutschland baut zu schöne und zu gute Autos. So hat lange niemand gemerkt, wie schlecht die Straßen sind.“ Dr. Klaus Schierhackl, ASFINAG

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Deutschlands Verkehrsinfrastruktur ist verbesserungswürdig. Neue Ideen sind gefragt, die viel Gesprächsstoff bieten

v.l.n.r.: Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur; Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates

Unternehmer interesssieren die vorgestellten Konzepte zur Verbesserung der Infrastrukturfinanzierung in Deutschland

Fotos: Jens Schicke

tung sind ausschließlich technische Entscheidungen. Da ist nichts politisch – weder ­regionalpolitisch noch sonst irgendwas.“ Die Vorteile einer zu gründenden Bundesfernstraßengesellschaft überwiegen. Davon ist auch Daniel Strückler, Vorsitzender der Geschäftsführung, Eiffage Infra-Bau GmbH, überzeugt. „Neben der Finanzierung sollte sie auch die Verantwortung für Planung, Genehmigung, Bau, Erhaltung und Betrieb der Bundesautobahnen und fernverkehrsrelevanten Bundesstraßen übernehmen“, erläuterte er. Ihre Vorteile liegen in der strafferen Organisation, einer optimierten Abstimmung zwischen Bund und Ländern und einer projektbezogenen Finanzierung. Strückler gestand zu, dass die Auftragsverwaltungen der Länder ihre große Vor-Ort-Kenntnis in die Waagschale werfen können. Deshalb sollte die Bundesfernstraßengesellschaft zwar zentral geführt werden, regionale Standorte aber für den Erhalt der Kompetenzen in der Fläche sorgen. „Die effiziente Umsetzung von Verkehrsinfrastrukturprojekten erfordert eine deutliche Aufstockung der personellen Kapazitäten in den Bauverwaltungen“, forderte Strückler. Eine einheitliche Auftragsverwaltung, die einheitliche Standards setzt und viele Konzessionen an private Betreiber im Wettbewerb vergibt – so stellt sich Hilko Schomerus, Managing Director Infrastructure and Real Assets bei der Macquarie Capital Europe Limited, bis 2030 die ideale Welt der Verkehrswegefinanzierung vor. Er erläuterte, wie sein Unternehmen Infrastrukturfonds aufsetzt. „Wir sind zwar ein australischer Konzern. Aber unter unseren Kunden sind auch viele deutsche Investoren. Vor allem Lebens- und Rentenversicherungen oder Pensionsfonds von Dax-Konzernen“, erklärte Schomerus. „Viele Riester-Sparer sind jetzt auch schon in den Infrastrukturfonds investiert.“ Als privater Betreiber und Finanzierer sei sein Unternehmen daran interessiert, Verantwortung für die Infrastruktur zu übernehmen. Weltweit habe man schon sehr viel Erfahrung mit dem Betrieb und der Finanzierung von Infrastrukturprojekten gesammelt. So betreibt das Unternehmen etwa gemeinsam mit Eiffage die Autobahn von Paris nach Lyon. „In Deutschland sind wir da noch sehr, sehr weit zurück“, kritisierte Schomerus. Die Qualität der deutschen Straßen schafft es laut Global Competitive Index des World Economic Forum (WEF) im internationalen Vergleich nur noch auf Rang 13. Mängel im Straßennetz sehen bereits zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland laut einer IW-Umfrage als Hemmschuh für ihre Geschäftstätigkeit an, betonte Mathias Oberndörfer, Bereichsvorstand Öffentlicher Sektor, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Sanie­ rung der Infrastruktur ist deshalb für den Wirtschaftsstandort eine vorrangige Aufgabe. Zersplitterte Zuständigkeiten, fehlende Transparenz und hohe Bürokratiekosten kennzeichnen jedoch das gegenwärtige System der Bund-Länder-Auftragsverwaltung. „Der Ausbau der Fernstraßen orientiert sich oft eher an politischen Partikularinteressen als an sachlichen Notwendigkeiten“, bemängelte Oberndörfer. Ein effektives Controlling und die nötige Transparenz für die Bundesfernstraßen seien im aktuellen System kaum zu realisieren. „Eine Bundesfernstraßengesellschaft kann hingegen wirtschaftlichen Handlungsspielraum zurückgewinnen, indem sie Finanzierung, Planung und Durchführung aus dem politischen Prozess herauslöst und in einer Hand zusammenbringt.“ Politische Partikularinteressen lassen sich so besser zurückdrängen. „Durch Bau, Instandhaltung und Betrieb aus einer Hand schafft eine Bundesfernstraßengesellschaft Kontinuität und l ­Planungssicherheit.“

Wirtschaftsrats-Generalsekretär Wolfgang Steiger spricht sich klar für eine Bundesfernstraßengesellschaft aus

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AKTUELL Innovation

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ir erleben durch das Digitale einen Innovationsschub, der alles übertrifft, was wir uns in den letzten 20 Jahren vorgestellt haben“, sagte­ Peter Altmaier MdB, Chef des Bundes­ kanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben. Dabei ist die Fra-

ge zu beantworten, welche Unternehmen, welche Länder und welche Weltregionen am meisten von der digitalen Revolution profitieren. Die Bundesregierung hat nach den Worten Altmaiers ein hohes Interesse daran, dass ein großer Teil der Wertschöpfung auch in der digitalen Zukunft in Deutschland stattfindet. „Nur wenn es Unternehmen gibt, die erfolgreich unterwegs sind, wird der Standort Deutschland profitieren.“ Dass es Innovationen geben wird und dass sie immer schneller voranschreiten, steht für den Chef des Bundeskanzleramtes außer Zweifel. „Aber die Frage ist, welche Akteure diese Innovationen tragen werden. Die Claims werden neu abgesteckt – sowohl zwischen Unternehmen als auch zwischen Ländern.“ Altmaier wies auf die enormen Produktivitätsfortschritte hin, die im Zuge der Digitalisierung der Wirtschaft zu erwarten seien. Damit geht zwar auch ein Verlust von Arbeitsplätzen in traditionellen Geschäftsmodellen einher. „Aber es werden mehr neue Arbeitsplätze entstehen – das ist die Erfahrung seit der ersten Industrialisierungswelle.“ Die Frage

„Die Claims werden neu abgesteckt – sowohl zwischen Unternehmen als auch zwischen Ländern.“ Peter Altmaier MdB, Bundeskanzleramt sei deshalb, ob die neuen Arbeitsplätze in Deutschland oder in anderen Weltregionen entstehen. „ Deshalb ist die erste Aufgabe der Politik die Bewusstseinsbildung“, erklärte Altmaier. Ein gutes Beispiel ist die Automobilindustrie. Apple, Google oder Tesla ringen mit deutschen Herstellern um die Vorherrschaft. „Die deutsche Automobilindustrie hat den Kampf auf-

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genommen, die Schlacht aber ist noch nicht geschlagen.“ Deutschland kann nur Schritt halten mit den USA oder Asien, wenn genügend qualifizierte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Gleichwohl solle man amerikanische Unternehmen wie Google nicht dafür kritisieren, dass sie in Deutschland auf der Suche nach Fachleuten für Künst-

sie in einer Petrischale nur wenige Organismen haben, dann müssen sie eben deutlich länger auf eine Innovation warten.“ Zalando ist ein originär digitales Unternehmen. „Wir wurden im Internet gegründet, uns gibt es nur online“, erklärte Rubin Ritter, Vorstandsmitglied der Zalando SE, zur Grundphilosophie

Die vierte industrielle Revolution entscheidet nicht nur über die Geschäftsmodelle der Zukunft, sondern über die Sieger in einem neuen Wettbewerb der ­Kontinente. Wie gehen deutsche Hersteller und politische Entscheider mit dieser Entwicklung um? Wie können wir die Chancen der Digitalisierung optimal zu nutzen?

Chancen der Digitali liche Intelligenz seien. „Manche sehen das als Bedrohung. Ich sehe das nicht als Bedrohung. Wenn wir mit der digitalen Entwicklung Schritt halten wollen, wird uns das nur in Partnerschaft mit solchen Unternehmen gelingen.“ Deutschland braucht nach Altmaiers Überzeugung noch mehr Startups. Einer übertriebenen staatlichen Förderung erteilte er jedoch eine Absage. Der Markt müsse darüber entscheiden, welche Unternehmen sich durchsetzen. „Die Politik muss die regulatorischen Rahmenbedingungen dafür setzen. Ich wünsche mir ein großzügiges Regelwerk, das es erlaubt, in Deutschland Innovationen auszuprobieren.“ Altmaier verglich den Prozess mit der Kultivierung von Mikroorganismen in Petrischalen: Je mehr Organismen – Startups – in einer Kultur starten, umso größer ist die Chance für eine erfolgreiche Mutation. „Wenn

des größten europäischen Online-Modehändlers. „Wir müssen insgesamt mehr dafür tun, dass Digital Natives wie wir entstehen“, forderte Ritter. Der Zalando-Vorstand machte darauf aufmerksam, dass nach dem Zweiten Weltkrieg nur zwei neu gegründete Unternehmen – der Softwarehersteller SAP und der Fernsehsender ProSieben/Sat1 – in den Deutschen Aktien­ index DAX hineingewachsen sind. Zum Geschäftskonzept Zalandos führte Ritter zehn Punkte an: 1.  Digitale Unternehmen müssen in besonderer Weise kundenorientiert sein. „Wir versuchen das Denken, dass der Kunde im Zentrum steht, auch an der Börse beizubehalten“, betonte Ritter. 2.  „Wir haben gezeigt, dass digitale Unternehmen das Wachstum traditioneller Unternehmen in den Schatten stellen können.“ Nach vier

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Foto: Zalando SE

AKTUELL Innovation

Foto: Fotolia.com ©Jens Engel

sierung optimal nutzen Jahren hat Zalando die Umsatzmilliarde geknackt, 2016 rechnet Ritter mit einem Umsatz von rund vier Milliarden Euro. „Es gab in Europa zuvor kein Unternehmen, das so schnell organisch gewachsen ist. Das geht nur digital.“ 3.  „Online-Marktführer aufzubauen ist extrem teuer.“ In den ersten fünf Jahren hat Zalando 400 Millionen Euro investiert. 4.  Digitale Unternehmen können ganze Branchen umkrempeln. „Am Ende aber entscheidet der Kunde. Er kauft einen Schuh bei uns, weil wir ihm ein tolles Angebot machen. Wir

sehen darin nichts Schlechtes, wenn Kunden ihre Wahl treffen.“ Zalando zeige: Wenn etablierte Unternehmen es nicht schaffen, sich der Digitalisierung zu stellen, werden sie von neuen Wettbewerbern womöglich aus dem Markt gedrängt. 5.  „Digitale Unternehmen schaffen Arbeitsplätze.“ Zalando beschäftigt mehr als 10.000 Mitarbeiter, ein großer Teil davon in der Logistik. Rund die Hälfte ist in hochqualifizierten Bereichen wie Technologie und Marketing beschäftigt. „Wir leben sehr stark das Thema flache Hierarchien und Teamarbeit“, berichtete Ritter.

„Es gab in Europa zuvor kein Unternehmen, das so schnell organisch gewachsen ist wie Zalando. Das geht nur digital.“ Rubin Ritter, Zalando SE 6.  „Wenn man Teams autonom arbeiten lässt, entstehen natürlich Fehler.“ Das ist nach den Worten Ritters aber keine Schwäche, sondern eine der größten Stärken. „Die große Kunst ist dabei, möglichst keine großen Fehler zu machen – sondern viele kontrollierte kleine, aus denen man schnell lernt.“

Deutschland braucht viel mehr Startups und Digital Natives 2/2016 TREND

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AKTUELL Innovation

7.  Digital Natives sind datenbasiert. „Unser Geschäftsmodell funktioniert nur mit Daten, ohne Daten können wir kein Geld verdienen“, so Ritter. 8.  Digitale Unternehmen müssen europäisch aufgestellt sein. „Wenn man einmal so eine Infrastruktur aufgebaut hat wie wir, ist es für die Marken wahnsinnig attraktiv, mit uns zu arbeiten.“ 9.  Digitale Plattformen schaffen Mehrwert vor allem für kleinere Unternehmen, weil sie über eine Plattform wie Zalando einen größeren Markt erreichen. 10.  „Digital Natives träumen immer von der Zukunft. Mit vier Milliarden Euro Umsatz haben wir rund ein Prozent Anteil am europäischen Modemarkt. Da sind also noch 99 Prozent übrig, die wir theoretisch erobern können.“

Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier MdB diskutiert mit Prof. Dr. Norbert Winkeljohann, PWC, Rubin Ritter, Zalando und Max Müller, DocMorris über Chancen der Digitalisierung

Digitalisierung als Wachstumsmotor verstehen Die digitale Transformation stellt für den Mittelstand und die Industrie eine nie dagewesene Herausforderung dar. „Etablierte Geschäftsmodelle werden über Nacht bedroht oder sogar zerstört“, sagte Prof. Dr. Norbert

Wirtschaftsrats-Generalsekretär Wolfgang Steiger (rechts) und Prof. Dr. Norbert Winkeljohann (Mitte) begrüßen Bundeskanzleramts-Chef Peter Altmaier MdB (links)

Winkeljohann, Sprecher des Vorstands, PricewaterhouseCoopers AG WPG und

Fotos: Jens Schicke

v.l.n.r.: Rubin Ritter, Zalando, Friedbert Pflüger, Internet Economy Foundation, Gesda Schulz, Zalando, diskutieren angeregt

Das Innovationsforum des Wirtschaftsrates zum Thema Chancen der Digitalisierung optimal nutzen, fand Anklang bei den Unternehmern in der Metropolregion Berlin

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Vorsitzender des Innovationsforums des Wirtschaftsrates. Winkeljohann wies darauf hin, dass ein internationaler Rechtsrahmen für Datensicherheit, Datenschutz und den Schutz geistigen Eigentums unerlässlich sei. Am besten in einem globalen Maßstab, mindestens jedoch auf EU-Ebene. „Wir dürfen gespannt bleiben, welche konkreten Konsequenzen und Reaktionen die neue Datenschutzgrundverordnung der EU mit sich bringen wird“, erläuterte der PWC-Vorstand. Der Geltungsbereich der Verordnung bestimmt sich nach dem „Marktortprinzip“. Daten können zwar auch künftig außerhalb der EU verarbeitet werden. „Aber das Geschäft, das auch innerhalb des EU-Marktes betrieben wird, unterliegt den Bestimmungen dieser Verordnung. Das ist ausdrücklich auch auf amerikanische Anbieter wie Facebook, Amazon und Co. gemünzt.“

Winkeljohann wies ferner auf die zentrale Bedeutung des Themas Cyber Security hin. „Der jährliche Schaden durch Cyber-Angriffe auf mittelständische Unternehmen in Deutschland lag 2015 bei 51 Milliarden Euro“, berichtete Winkeljohann. Die Bundesregierung hat deshalb Gesetze auf den Weg gebracht, die die Sicherheit informationstechnischer Systeme erhöhen sollen. Das „IT-Sicherheitsgesetz“ fordert ab Mitte 2017 Mindestanforderungen insbesondere für kritische Infrastrukturen. „Es gibt Risiken, vor allem aber Chancen“, betonte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates,

„Es gibt Chancen, weil wir in Deutschland mutige Unternehmer haben; es gibt Chancen, weil wir die Digitalisierung als Wachstumsmotor begreifen; und es gibt Chancen, weil wir an der Spitze des Bundeskanzleramtes als Chef des Hauses einen Bundesminister haben, der mit hohem Engagement dem Thema Digitalisierung nachgeht.“ Zugleich kritisierte Steiger, Deutschland falle im internationalen Vergleich zurück. So sei die Geschwindigkeit der Digitalisierung in Südkorea doppelt so hoch wie in Deutschland. „Wir brauchen das schnelle Internet – und zwar ganz schnell“, forderte der Generalsekretär. „Und wir brauchen ein funktionierendes Umfeld für Startups.“ Um an die Weltspitze zu kommen, muss Deutschland seine jungen Talente noch stärker fördern. Dazu gehöre

„Etablierte Geschäftsmodelle werden über Nacht bedroht oder sogar zerstört.“ Prof. Dr. Norbert Winkeljohann, PwC insbesondere auch eine Verbesserung der Finanzierungsbedingungen. „Der Wirtschaftsrat versucht immer, wichtige Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Wir wollen in die politischen Debatten der Zukunft die Kraft unserer Mitglieder und den Schwung unseres Engagements einbringen. Gerade bei der Digitalisierung ist es wichtig, Kompetenzen schnellstmögl lich zu bündeln.“

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AKTUELL Energiepolitik

Foto: Fotolia.com ©Ingo Bartussek

Die Energiewende in Deutschland kommt Wirtschaft und Bürger mit jährlich neuen Rekordkosten teuer zu stehen. Bisherige Reformen, um dem entgegenzuwirken bleiben Stückwerk. Die Kosten steigen ebenso weiter wie die staatlichen Interventionen. Wenn Deutschland Industrieland bleiben soll, dann brauchen wir jetzt eine Agenda für einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Markt und weniger Staat.

Strommarkt und EEG neu ausrichten

Verzerrungen abbauen, marktwirtschaftliche Elemente stärken Text: Dr. Bernd Weber, Wirtschaftsrat der CDU e.V.

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ehr als ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms stammt mittlerweile aus erneuerbaren Energien. Diesen Erfolg der Energiewende hat sich unser Land in den letzten Jahren teuer erkauft: Rekordkosten, immer neue staatliche Interventionen, die unzureichende Markt- und Systemintegration erneuerbarer Energien sowie der Anstieg von Versorgungsengpässen zeigen die Problematik einer fehlgeleiteten staatlichen Lenkung der Energiewende von mehr als einer Dekade. Angesichts dieser enormen Herausforderungen vertreten die Wirtschaft und die Mehrheit der politischen Entscheider übereinstimmend die Ansicht, dass das bestehende Strom-

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marktmodell nicht zukunftstauglich ist und grundlegend überarbeitet werden muss. Die eingeleiteten Reformen für den Strommarkt und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bleiben jedoch Stückwerk und reichen keinesfalls aus, um die Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit des Industrielandes Deutschland zu gewährleisten. Im Gegenteil: Zunehmende staatliche Steuerung und eine fehlende Technologieoffenheit stehen einer kosteneffizienten, verlässlichen Energiewende, offenen Märkten und dem essentiellen Industrialisierungsprozess der erneuerbaren Energien entgegen. Um auch mit einem hohen, wachsenden Anteil von Erneuerbaren eine wettbewerbsfähige und verlässliche

Versorgung mit Strom zu gewährleisten, muss das Strommarktdesign ganzheitlich neu ausgerichtet werden. Dabei gilt es, sowohl erneuerbare und konventionelle Energien als auch Flexibilität auf der Angebots- und Nachfrageseite marktwirtschaftlich und transparent miteinander zu verknüpfen. Zudem ist eine wettbewerbsfähige und verlässliche Energiewende strukturell auf einen starken europäischen Energiebinnenmarkt angewiesen. Damit das Ziel einer weitgehend auf Erneuerbaren aufbauenden Stromversorgung in Deutschland erreicht werden kann, bedarf es eines diskriminierungsfreien grenzüberschreitenden Ausgleichs mit den Nachbarländern. Daneben gilt es, mit europaweiten

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AKTUELL Energiepolitik

Ausschreibungen die besten Standorte für erneuerbare Energien zu nutzen, um ein Höchstmaß an Kosteneffizienz bei der Förderung zu erzielen.

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Mehr Markt statt mehr staatliche Intervention Der Wirtschaftsrat setzt sich mit Nachdruck dafür ein, Verzerrungen im Strommarkt abzubauen. An die Stelle von staatlichen Interventionen müssen verlässliche Rahmenbedingungen treten, die Preissteuerungsmechanismen im Strommarkt konsequent stärken. Ziel muss es dabei sein, mit unverzerrten Preissignalen Marktakteuren eine klare Einschätzung der Marktsituation zu erlauben, damit sie ihren individuellen Liefer- und Abnahmeverpflichtungen stets nachkommen und Investitionen tätigen können. Gleichzeitig müssen Erneuerbare mehr System- und Marktverantwortung übernehmen. Grundlage dafür ist ein maximal kosteneffizienter Zubau sowie die Verpflichtung für Erneuerbare, schrittweise einen deutlich größeren Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Nur wenn mit dem Strommarktgesetz und der EEG-Novelle hierfür die nötigen Weichen gestellt werden, kann es gelingen, den eingeschlagenen Weg der Energiewende mit einem stetigen Ausbau der Erneuerbaren weiterzugehen, ohne die schleichenden Desinvestitionen und die Deindus­ trialisierung am Standort Deutschland weiter zu befeuern.

Mit Blick auf die wachsende Volatilität des Energiesystems gilt es, rechtzeitig kosteneffiziente Lösungen zu finden, damit genügend Kapazitäten zur Verfügung stehen. Um den Transformationsprozess der Energiewende voranzutreiben, ohne Versorgungssicherheit aufs Spiel zu setzen, sollte der Optionsmarkt weiterentwickelt werden. Technologieoffene Optionen können fossile Kraftwerke, Speicher und auch Erneuerbaren-Anlagen mit gesicherter Leistung umfassen. Der Wirtschaftsrat fordert dabei, den Handel mit Optionsprodukten in kürzeren Zeitspannen an der Börse zu ermög­ lichen und kurzfristige Preissignale zu stärken. Gleichzeitig muss durch mehr Wettbewerb die Flexibilität des Strommarkts steigen. Die Verzerrung von Preissignalen am Strommarkt verhindert eine effiziente Erschließung der Flexibilitäts- und Lastabsenkungspotentiale und erhöht die Kosten zur Integration erneuerbarer Energien. Ziel sollte es sein, die kosteneffizientesten Flexibilitätslösungen durch einen technologieoffenen Wettbewerb und die Öffnung von Regelenergiemärkten für alle Akteure am Strommarkt nutzbar zu machen. Der Wirtschaftsrat fordert daher gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Flexibilitätsoptionen zu schaffen und perspektivisch Netzentgelte und Abgaben für alle Letztverbraucher von einer energieauf eine leistungsbezogene Berechnungsgrundlage umzustellen.

Weiterentwicklung des Strommarktes Der Strommarkt muss zunehmend flexibel auf die schwankende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien reagieren. Deshalb bedarf es dringend einer umfassenden Flexibilisierung des Stromsystems auf der Nachfrageseite. Zusätzlich sind moderne und emissionsarme Gas- und Kohlekraftwerke sowie sektorenübergreifende Speicherlösungen notwendig, um die verbleibende Nachfrage bei Schwankungen der regenerativen Energien auszugleichen, und jederzeit eine ausreichend gesicherte Leistung bereitstellen zu können.

Weiterentwicklung des EEG Der stetige Ausbau der Erneuerbaren stellt an einen zukunftsfähigen Strommarkt zwei wesentliche Anforderungen: die Markt- und Systemintegra­tion der erneuerbaren Energien. Damit beides gelingen kann, muss die Novellierung des EEG im Gleichschritt mit der Reform des Strommarktes erfolgen und einen vollständigen, an Marktmechanismen ausgerichteten Systemwechsel der Förderungssystematik mittels wettbewerblicher Ausschreibungen von Erneuerbaren einleiten. Die Wiederholung von Fehlern früherer Reformen, die die Kosten der Förderung erneuerbarer Energie weiter erhöht und

das Gesetzeswerk dazu intransparent gestaltet haben, gilt es zu vermeiden. Bei der Förderung erneuerbarer Energien muss ein konsequenter Systemwechsel herbeigeführt werden. Grundsätzlich wird mit der Umstellung auf ein Ausschreibungsmodell ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Markt und Effizienz gegangen. Damit die angestrebte umfassende Umstellung auf eine marktwirtschaftliche Fördersystematik für mindestens 80 Prozent der neuen Anlagen ab 2017 gelingen kann, müssen Ausschreibungen ohne preistreibende Regionalisierungsquoten und Freigrenzen umgesetzt werden. Ziel muss es sein, den Ausbau von Erneuerbaren kosteneffizient und systemverträglich zu verstetigen sowie die Kompatibilität mit Marktstrukturen deutlich zu stärken. Der Wirtschaftsrat fordert, die etablierten Technologien Windkraft an Land und PV gemeinsam auszuschreiben und Marktprämienausschreibungen einzuführen, um die effizientesten Erneuerbaren-Standorte zu nutzen. Effiziente Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Erneuerbare Anlagen sollten dort installiert werden, wo die Wetterbedingungen einen optimalen Betrieb ermöglichen. Eine ineffiziente Förderung, wie sie das Referenzertragsmodell derzeit vorsieht, muss aus diesem Grunde unbedingt überdacht werden. Gleichzeitig gilt es den Netzausbau zu beschleunigen und ihm auf allen Spannungsebenen höchste Priorität einzuräumen. Es darf nicht die Situation eintreten, dass kostengünstige Erzeugungsstandorte aufgrund des unzureichenden Netzausbaus gegenüber unwirtschaftlicheren Standorten benachteiligt werden. Der Wirtschaftsrat fordert deshalb weitere Optionen zur Beschleunigung des Netzausbaus auf Bundes- und Länderebene voranzutreiben. Um die Härtefallkosten deutlich abzusenken sollten zudem Ausschreibungsverfahren von erneu­er­baren Energien mit dem Netzanschlussverfahren für Neuanlagen verknüpft und vorhandene Energie aus Erneuerbaren für Flexibilitätssteigerun­ gen genutzt l statt abgeregelt werden.

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AKTUELL Unternehmenspräsentation

UPS

Vor 40 Jahren erfolgte der Markteintritt in Deutschland. Damit kam etwas Neues auf den Paket-Markt: Service. Ein Gespräch mit Frank Sportolari, dem Chef von UPS Deutschland.

Jubiläum Foto: United Parcel Service Deutschland Inc. & Co. OHG

Was bedeutet das 40-jährige Bestehen von UPS Deutschland für Ihr Unternehmen und für Sie selbst? Deutschland war für UPS der erste Markt außerhalb von Nordamerika. Unser Erfolg hier hat gezeigt, dass unser Service international gefragt ist. Dass wir jetzt auf 40 erfolgreiche Jahre zurückblicken, macht mich natürlich auch persönlich stolz. Warum zuerst Deutschland? Und zu einer wirtschaftlich schwierigen Zeit? Deutschland war auch damals wirtschaftlich stark. Nach der Liberalisierung des Paketmarktes sahen wir die Chance, etwas Neues anbieten zu können: zuverlässigen Service im Logistiksektor. Damals wie heute verstehen wir uns als Dienstleister. Wir helfen unseren Kunden erfolgreich zu sein und zu wachsen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist ein starker Partner wichtig. Wir haben Kunden, die wir seit 40 Jahren begleiten. Was waren die Schlüsselfaktoren für den Erfolg in Deutschland? Es sind die gleichen wie heute und in den anderen 220 Ländern und Gebieten, in denen wir aktiv sind: Wir verstehen uns als Dienstleister und wollen dafür die besten Mitarbeiter. Daher investieren wir in unsere Mitarbeiter. Unser Unternehmensgründer Jim Casey sagte: „Jeder kann Fließbänder und Transporter kaufen. Wir müssen unsere Leute ausbilden und aufbauen.“ Sie waren schon damals und sind heute unser Schlüssel zum Erfolg. Inwiefern helfen Sie Unternehmen bei ihrem Wachstum? Wir machen gerade für mittelständische Unternehmen den Export in andere Märkte möglich. Oft kommen Unternehmen zu uns und fragen nach einem Transport von A nach B. Den können wir übernehmen, aber die ­Frage ist meistens zu kurz gegriffen. Wir fragen dann, was wollen Sie erreichen? Wie sollte die Supply Chain für diese Ziele aussehen, wie die Distribution? Was sind die ­Herausforderungen? … Jetzt fangen wir an, über Lösungen zu sprechen.

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Sie sind sicherlich ein Befürworter des Freihandelsabkommens TTIP? TTIP beflügelt den Handel, den Austausch von Waren. Und hierfür haben wir intelligente Lösungen. Gerade kleinere Unternehmen können von TTIP profitieren. ­Übrigens merken wir jetzt bereits, dass die neue, erhöhte de minimis Grenze für Exporte in die USA, also die Grenze, bis zu der keine Verzollung notwendig ist, das Geschäft von so manchem unserer Kunden beflügelt. Was sind die Herausforderungen für die nächsten 40 Jahre? Da gibt es Einiges zu nennen: Nachhaltigkeit wird immer wichtiger. Wir erproben heute unterschiedliche alternative Antriebe. City-Logistik ist ein Thema: Wie können wir die letzte Meile ökologisch und ökonomisch gestalten? Hier erproben wir eine Depot-Lösung in Hamburg. Die Zustellung erfolgt von Containern aus zu Fuß und per Fahrrad. Der demografische Wandel lässt die Health­ care-Logistik wachsen: Medikamente müssen geschützt und pünktlich immer mehr Patienten erreichen. Wir sind l bereits dabei, die nächsten 40 Jahre zu gestalten.

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AKTUELL Digitale Wirtschaft

EU-US Privacy Shield Wie geht es weiter nachdem der Europäische Gerichtshof das Save-Harbor-Abkommen für ungültig erklärt hat? Das Abkommen bildete die zentrale Grundlage für den transatlantischen Datenaustausch und eine erfolgreiche europäische Digitalwirtschaft. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sowie Startups haben von diesem einfach anzuwendenden und kostengünstigen Rahmen profitiert. Sie tragen am stärksten zum Wachstum in Europa bei.

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er transatlantische Datenaustauch ist ein wichtiger Teil des internationalen Handels und damit von essentieller Bedeutung für die europäische und amerikanische Wirtschaft. Der grenz­ überschreitende Datenaustausch zwischen Europa und den USA gehört mit rund 15 Terabit pro Sekunde zu den höchsten der Welt, er liegt fast 55 Prozent höher als der Datenaustausch zwischen den USA und Asien und fast 40 Prozent höher als zwischen den USA und Lateinamerika. In sei-

Thomas Jarzombek MdB Foto: Tobias Koch

Vorsitzender der Arbeitsgruppe Digitale Agenda CDU/CDU-Bundestagsfraktion

ner Entscheidung in der Rechtssache „Schrems“ hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Oktober 2015 das hergebrachte Safe-Harbor-Regime für ungültig erklärt. Für die über 4.500 Unternehmen, die auf der Grundlage von Safe Harbor Datenaustausch vor-

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nahmen, war das ein schwerer Schlag. In der Folge war nun die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA dann unzulässig, wenn sie allein auf Safe Harbor gestützt ist. Bereits seit 2013 und den Enthüllungen im Kontext des Abhörskandals in den USA hatte es deutliche Kritik am Safe-Harbor-Mechanismus gegeben, so dass die Europäische Kommission ankündigte, die Regelung auf den Prüfstand zu stellen und zu verbessern. Nun muss möglichst schnell wieder ein einheitlicher Rechtsrahmen für den transatlantischen Datenaustausch entstehen, der eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche europäische Digitalwirtschaft ist. Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) wie auch Startups bilden den am stärksten wachsenden Teil der europäischen Wirtschaft. Fast 60 P ­ rozent der Firmen, die von Safe Harbor und dessen einfach anwendbaren und damit kostengünstigen Regelungsrahmen profitiert haben, waren KMU und Startups. Gerade in der ­innovativen Startup-Szene besteht nach dem EuGH-Urteil verständlicherweise Verunsicherung. Diese Branche nutzt vielfach etwa Cloud-basierte Dienste, verfügt aber nicht über

große R ­ echtsabteilungen. Daher sind sie insbesondere abhängig von der Möglichkeit Daten rechtssicher auszutauschen. Nach dem Urteil des EuGH hatte die Europäische Kommission zunächst empfohlen, alternative Möglichkeiten zur Übermittlung personenbezogener Daten zu nutzen. Dazu zählen etwa die Standardvertragsklauseln oder die Binding Corporate Rules. Die EU-Kommission hat schließlich nach intensiven Verhandlungen mit den USA am 29. Februar 2016 den Entwurf einer Nachfolgeregelung für Safe Harbor, das EU-US-PrivacyShield vorgelegt. Auf dessen Grundlage wird sie nun eine sogenannte Adäquanzentscheidung treffen, die dann Grundlage für den transatlantischen Datenaustausch sein wird. Faktisch haben die EU-Kommission und der

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AKTUELL Digitale Wirtschaft

„Der rechtssichere Datenaustausch ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Digitalindustrie.“

US-amerikanische Verhandlungspartner ein sehr gutes Ergebnis ausgehandelt: Unter anderem beinhaltet das Privacy Shield konkrete Auflagen für Unternehmen, die personenbezogene Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger verarbeiten, klare Schutzvorkehrungen und Transparenzpflichten beim Datenzugriff durch die US-Regierung und einen wirksamen Schutz der Rechte von EU-Bürgerinnen und -Bürgern durch verschiedene Rechtsbehelfe, wie eine zu diesem Zwecke eingerichtete Ombudsstelle, an die sich EU-Bürger mit Anfragen oder Beschwerden wenden können. Zudem soll die Funktionsweise des Datenschutzschildes jährlich gemeinsam überprüft werden. Das Kollegium der Kommissare der EU-Kommission wird voraussichtlich noch vor der Sommerpause

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die endgültige Adäquanzentscheidung treffen. Zwischenzeitlich wurde die sogenannte „Art.  29-Datenschutzgrup­ pe“, bestehend aus den europäischen Datenschutzbehörden, konsultiert, die die Vereinbarung prinzipiell begrüßt, aber im Detail auch erhebliche Vorbehalte geäußert hat. Ende Mai hat nun auch das Europäische Parlament ebenfalls einzelne Nachbesserungen gefordert. Bis Juni sollen diese erfüllt sein. Für betroffene Unternehmen bleibt bis dahin für den transatlantischen Datenaustausch der von der Kommission beschriebene Weg über die Model Contract Clauses der Europäischen Kommission, Binding Corporate Rules oder, falls möglich, über ausdrückliche Einwilligungen. Aber das Thema Datenaustausch bleibt auch in Zukunft von höchster Aktualität: Ende Mai hat nun die iri-

Foto: Fotolia.com ©agnormark

zum Erfolg führen

sche Datenschutzbehörde angekündigt, den Rechtsweg zum EuGH zu beschreiten, um auch Datentransfers nach den Standardvertragsklauseln zu untersuchen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Verfahren entwickeln wird. Die Zukunft der Datenwirtschaft steht außerdem auch im Zusammenhang mit der Reform des Datenschutzrechts in Europa im Zuge der Datenschutzgrundverordnung, das ab 2018 zur Anwendung kommt. Hier gilt für die Wirtschaft dasselbe wie bei den Regelungen zum trans­ atlantischen Datenaustausch: Ein Wettbewerb auf Augenhöhe muss das Ziel sein. IT-­Unternehmen und insbesondere Startups in Deutschland und Europa brauchen Rechtssicherheit für ihren transatlantischen Datenverkehr. Europa darf nicht in die Datenisola­ l tion fallen!

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AKTUELL Internationale Handelsabkommen

Frei? Wie frei soll der Handel sein? Die Integration von Entwicklungsländern in die Weltwirtschaft hat die Lebensbedingungen von Millionen Menschen verbessert. Gleichzeitig haben die Verbraucher in den Industrie­ ländern eine erhebliche Steigerung ihrer Kaufkraft erfahren. Regeln haben den verlässlichen Rahmen geschaffen, der allen Wirtschaftsbeteiligten, Unternehmen wie Verbrauchern, das Vertrauen gibt, ausländische Partnerschaften zu begründen oder ausländische Produkte zu kaufen. Handelsabkommen schaffen diese Regelsetzungen.

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reihandel, schon das Wort allein, lässt manche Gemüter kochen. Im amerikanischen Wahlkampf versuchen die Kandidaten einander in der Ablehnung von neuen Freihandelsabkommen zu übertrumpfen. In Hannover versammelten sich Tausende Demonstranten, um gegen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zu demonstrieren. Was treibt die Menschen auf die Straße und die Kandidaten ins Lager der Ablehnung? Sie attackieren Projekte, die darauf angelegt sind, Handelshemmnisse zu beseitigen, das

Dr. Karl-Ernst Brauner

Foto: WTO

Deputy Director General, World Trade Organisation

„Beim Begriff ,Freihandelsabkommen‘ scheint es das Wort ,frei‘ zu sein, das Ablehnungsreize auslöst.“

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Handelsvolumen zu vergrößern, Beschäftigungschancen zu eröffnen und die weltwirtschaftliche Integration zu verbessern. Die Integration in die Weltwirtschaft von Entwicklungsländern wie China, Thailand oder Mexiko hat Millionen Menschen aus der bitteren Armut aufsteigen lassen und damit ihre Lebensbedingungen verbessert. Gleichzeitig haben die Verbraucher in den Industrieländern eine erhebliche Steigerung ihrer Kaufkraft erfahren. Der Kauf von Textilien und Schuhen wurde preiswerter, die Konsummöglichkeiten breiter: Handy, Flachbildschirm und Urlaub sind heute eine Selbstverständlichkeit, die es ohne die internationale Arbeitsteilung nicht gäbe. Das sind doch Ziele die Unterstützung verdienen!? Eine klare Win-Win-Situation, basierend auf Innovationen und verlässlichen Regeln. Innovationen ermöglichten den Transport über ­große Entfernungen zu vergleichsweise günstigen Preisen. Die verbesserte Kommunikationstechnologie lässt die Märkte noch mehr zusammenwachsen. Regeln haben den verlässlichen Rahmen geschaffen, der allen Wirtschaftsbeteiligten, den Unternehmen

wie Verbrauchern gleichermaßen, das Vertrauen gibt, ausländische Partnerschaften zu begründen bzw. ausländische Produkte zu kaufen. Beim Begriff „Freihandelsabkommen“ scheint es das Wort „frei“ zu sein, das Ablehnungsreize auslöst. Nach den Vorstellungen der Kritiker werden den Unternehmen Freiräume geschaffen, damit Sie zu den Freibeutern der Weltmärkte werden können. „Frei“ stünde danach für „ohne Regeln und Restriktionen“ und es seien natürlich die Großen, die davon profitierten. Ein Angriff auf die Demokratie wird befürchtet und die Entmachtung der Politik. Tatsächlich geht es heute aber darum, Rechtssicherheit, Transparenz und Vorhersehbarkeit über Verfahren und Kosten sowie Standards zu schaffen. Es geht um den Ausbau der Spielregeln in einer zusammenwachsenden Welt. Es geht um Rechtssicherheit und Wettbewerbsgleichheit. Indem die EU am Verhandlungstisch sitzt, gestaltet sie diese Spielregeln mit – im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger, die das EU-Parlament und die Regierungen in den Mitgliedstaaten wählen. Die Lobby der Wähler dürfte jedem Politiker am Herzen liegen.

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AKTUELL Internationale Handelsabkommen

Moderne Handelsabkommen, die technische und sanitäre- und phytosanitäre Standards sowie Nachhaltigkeitsaspekte umfassen, nützen gleichermaßen dem Konsumenten im Land des Warenimportes wie auch den Produzenten im Ursprungsland. Dies wird deutlich am Beispiel von Fischereiprodukten aus dem Mekong Delta. Für die Produzenten geht die Einhaltung sanitärer Standards einher mit einer Ertüchtigung im Hinblick auf Hygieneprozesse und bedeutet gleichzeitig eine Verbesserung der eigenen gesundheitlichen Situation. In Deutschland haben wir in der Vergangenheit stark von der Globalisierung profitiert – das bestreitet niemand – dies war aber auch mit schmerzlichen Anpassungsprozessen verbunden. Durch die Abwanderung der Textilindustrie haben beispielsweise Näherinnen ihre Arbeitsplätze verloren. Das waren harte Verluste, die

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die Einzelschicksale schwer belasteten. Solche Herausforderungen müssen immer wieder bewältigt werden. Die Mehrzahl der verloren gegangenen Arbeitsplätze beruht allerdings nicht auf einer fortschreitenden Liberalisierung, sondern hat ihre Ursachen in technischen Entwicklungen, die aber auch wieder neue Arbeitsplätze schaffen. Die Einführung der Flachbildschirme hat die Arbeitsplätze in der TV-Geräteproduktion auf Röhrenbasis überflüssig gemacht. Mit der massenhaften Verbreitung von Handys sind den Produzenten von Telefonzellen die Aufträge weggebrochen. Das sind zwei Beispiele, die im Kontext der Globalisierung zu sehen sind, deren Hauptursache aber im technischen Fortschritt liegt. Beim Blick auf das große Ganze lässt die Politik nicht die Einzelschicksale außer Acht. Natürlich kann der Bau von Röhrenbildschirmen nicht

mit Subventionen aufrechterhalten werden. Aber den Betroffenen kann die Angst genommen werden durch die Unterstützung bei eigenen Anpassungsleistungen. Es ist die Angst, selbst zu den Verlierern zu gehören, die die Menschen auf die Straße treibt. In der Tat sind mit der Globalisierung Wettbewerbsbeziehungen entstanden, die es früher so nicht gab. Die Welt wächst zusammen. Bei diesem Prozess spielen Handelsabkommen eine wichtige Rolle – mit ihnen werden Spielregeln gesetzt; multilateral, aber auch bilateral. Gerade das sollte auch den Bürgerinnen und Bürgern am Herzen liegen, denen Verbraucherschutz, Sozial- und Umweltstandards ein Anliegen sind. Diesen Anliegen eine Stimme zu geben, heißt bei der Regelsetzung mitzuwirken – das ist letztlich aber gerade ein Votum für die Verhandlung von international len Abkommen, nicht dagegen.

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AKTUELL Migration

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is heute polarisiert die von der Bundeskanzlerin allein getroffene Entscheidung, wochenlang kontrollfreie Zuwanderung zuzulassen, die Gesellschaften in Deutschland und Europa. Immer noch ist nicht klar, welche humanitären und politischen Beweggründe Angela Merkel zu dieser einsamen, alle nationalen und europäischen Normen außer Acht lassenden Entscheidung veranlasst haben, und ob sie sich der europäischen, nationalen, gesellschaftspolitischen und materiellen Folgen ihres Handelns bewusst war.

Foto: Dr. Wolf-Ruthart Born

Dr. Wolf-Ruthart Born Staatssekretär a.D., Auswärtiges Amt, Berlin

Als überzeugter Europäer, und einer der am Zustandekommen der Schengener Abkommen Beteiligten, habe ich mir damals große Sorgen um den Zusammenhalt Europas gemacht, um den gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, den wir nur dann haben, wenn wir seine Regeln beachten.

dies kritisiert wurde, war man hinter vorgehaltener Hand dankbar für diese realistische Haltung. Die Bundesregierung hat seitdem mehrere Asylpakete verabschiedet und, ohne dies öffentlich einzugestehen, ihre Haltung um 180 Grad geändert. Sie wendet das geltende Recht wieder an und setzt dabei auf europäische Unterstützung. Weiterhin ungelöst sind die Grundprobleme der Migration und ihre Ursachen. Europa und Deutschland bleiben daher politisch und huma­ nitär gefordert, Lösungen zu suchen. Es geht um Hilfe, aber es geht auch um Kontrolle an den gemeinsamen Außengrenzen, ohne die kein kontrollfreies Reisen über die Binnengrenzen möglich ist. Es reicht nicht aus, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, dass Politik und Sicherheitsbehörden wissen, warum so viele Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen. Mindestens ebenso wichtig ist es zu wissen, wer zu uns kommt, und kommen darf und wer bleibt. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (EU) enthält dazu klare Verpflichtungen für alle Mitgliedstaaten, für Kommission und Parlament. Die Überschrift seines V. Titels lautet, „Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. Bisher sind die dort aufgeführten Vorgaben

Bis heute polarisiert die ­wochenlang kontrollfreie ­Zuwanderung Deutschland und Europa. Die Politik bleibt gefordert, Lösungen für die Ursachen der Migration wie auch eine solide ­Außengrenzsicherung 4.0 für Europa zu entwickeln.

Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen

(Artikel 3 EU-Vertrag; Titel V, Artikel 67-88 des Vertrags über die Arbeits­ weise der EU). In ihm soll der kontrollfreie Personenverkehr gewährleistet sein. Allerdings nur dann, wenn geeignete Maßnahmen bei der Außengrenzkontrolle umgesetzt worden sind. Dann gewährleistet die Union auch Asyl, Einwanderung und die Verhütung und Bekämpfung der ­Kriminalität. Im Umkehrschluss heißt dies: Kontrolliere ich die Außengrenzen der EU nicht ausreichend, gefähr-

Außengrenzsicherung 4.0 für Europa Bei aller Bewunderung der humanitären Hilfsbereitschaft, gerade auch der Zivilgesellschaft, kam doch der Eindruck auf, dass Deutschland der „gesunde Menschenverstand“, abhanden zu kommen drohte. So sahen es jedenfalls unsere europäischen Freunde, Nachbarn und Partner. Inzwischen haben Österreich und Mazedonien die Zuwanderung über die Balkanroute gestoppt. Auch wenn

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nur unvollständig umgesetzt worden. Angesichts der jüngsten Migrationserfahrung hat die EU-Kommission am 6. April 2016 eine Mitteilung an Parlament und Rat mit Vorschlägen zu „solideren und intelligenteren Informationssystemen für das Grenzmanagement und mehr Sicherheit“ gesandt, zu einer Außen- und Sicherheitskontrolle 4.0 für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

de ich diesen Raum und das kontrollfreie Reisen über die Binnengrenzen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU enthält in seinem V. Titel in den Artikeln 77-79 klare Vorgaben für Grenzkontrollen, Asyl, subsidiären Schutz, vorübergehenden Schutz, Einwanderung, Steuerung von Migrationsströmen, auch in Notlagen plötzlichen Zustroms sowie Verhütung und Bekämpfung von illegaler Einwanderung und Menschenhandel. Für die Politik der EU in diesen Bereichen gilt der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwort-

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AKTUELL Migration

Grenzmanagement und Sicherheit 4.0 Die Kommission hat vor dem Hintergrund der unkontrollierten Zuwanderung und der wachsenden Reiseströme Vorschläge für ein besseres Grenzmanagement und höhere Sicherheit gemacht. Ziel ist es, bestehende Systeme mit neuen Systemen zu vernetzen. Alle bisherigen Informationssysteme weisen, bei aller Effizienz, erhebli­ che Mängel auf. Am Ende soll ihre Interoperabilität stehen.

E Schengener Informationssystem (SIS) Das SIS speichert Personen- und Sachfahndungsdaten. Mit SIS erfolgt die Grenzkontrolle durch Datenabfrage mit Namen und Geburtsdatum bei Vorlage eines Reisedokuments. Eine Regelüberprüfung durch Fingerabdruck erfolgt nicht. Bei Vorlage falscher Dokumente ist keine Identifizierung durch das SIS möglich. Dieser Mangel soll bis 2017 um die Suchabfragefunktion „AFIS – ­Automatisches Fingerabdrucksystem“, behoben werden, ebenso wie das SIS um zusätzliche Suchfunktionen erweitert werden soll, wie etwa die Rückführung ­irregulärer Migranten.

lichkeiten unter ihren Staaten. Manches ist inzwischen umgesetzt. Bestes Beispiel ist der Schengenvertrag mit einer gemeinsamen Visumpolitik und dem Informationssystem SIS. Auch im polizeilichen und Justizbereich findet eine enge Kooperation statt. Angesichts unterschiedlicher Rechtsordnungen und Traditionen der EU-­ Staaten bleibt aber noch viel zu tun. Um einen besseren Datenaustausch und eine gemeinsame Datennutzung hinzubekommen, bedarf es einer zentralen Schnittstelle. Zugleich müssen alle Informationssysteme in der EU miteinander vernetzt werden. Die müssen automatisch über alle Systeme abgefragt werden können. Aufzubauen ist zudem ein gemeinsamer Dienst für den Abgleich biometrischer Daten sowie ein gemeinsamer Datenspeicher. Rat und Parlament sollten rasch entscheiden und unter Setzung einer klaren Frist die Kommission mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen beauftragen. Europa steht vor großen Herausforderungen. Dazu gehört die Wahrung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Es ist ein besonders sensibler Raum. Seine gemeinsame Sicherung liegt im Interesse aller Mitgliedstaaten. Er betrifft immer auch Kernelemente nationaler Souveränität. Gelingt uns die Zusammenarbeit, wird die EU ihr Ziel erreichen, den Frieden in der Welt, ihre Werte und das Wohll ergehen ihrer Völker zu fördern.

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E Visa Informationssystem (VIS) Hier sind die Daten kurzfristiger Visa gebündelt. Eine Nutzung von VIS zur ­ ekämpfung von Identitäts- und Visummissbrauch bei Kontrollen an den Außen­ B grenzen und in den EU-Staaten wird derzeit evaluiert.

E EURODAC Dieses System sammelt Fingerabdruckdaten von Asylbewerbern und Drittstaa­ tern, die illegal Grenzen überschritten haben. Verbessert werden soll die Funk­ tion, die unmittelbareren Zugriff auf gespeicherte Fingerabdrücke und Identitäts­ daten möglich macht. So können Wanderungsbewegungen illegaler Migranten zwischen Mitgliedstaaten entdeckt und überwacht werden.

E Passenger Name records (PNR) Bisher erhebt jeder EU-Staat Passagierdaten mit einem eigenen System. Die Kommission arbeitet an einer Richtlinie, die zu einer besseren Zusammenarbeit der nationalen Systeme und höherer Sicherheit führen soll.

E Stolen and Lost Travel Documents (SLTD) Die Interpol Datenbank registriert gestohlene und verlorene Reisedokumente. E Advance Passenger Information System APIS Das System erfasst Fluggastdaten für Flüge in die EU. E Electronic Travel Information Authorization System (ETIAS) Das System ist ein neuer Vorschlag, der dem US-System ESTA nachempfunden ist.

E Informationsaustausch bei Strafverfolgung und justizieller Kooperation. E Informationsaustausch gemäß PRÜM-Rahmen von DNA, Fingerabdrücken und Fahrzeugregisterdaten.

E Europäisches Strafregister Informationssystem (ECRIS) E EUROPOL mit dem European Information System (EIS), das schwere Straftaten und Terrorismus erfasst.

E Reiseauthorisierungssystem (ETIAS)

Das System ist ein neu einzuführendes zentrales Europäisches Einreise- und Ausreisesystem (EES) zur Erfassung aller Ein-und Ausreisen von Drittstaatern mit Personendaten, Fingerabdrücken und Gesichtsbild in die EU, für Einreisen auf dem Landweg. Die Kommission will die Einführung prüfen.

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AKTUELL Digitalisierung

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aten gewinnen eine immer größere Bedeutung. Sie sind der Rohstoff des digitalen Zeitalters. Software- und internetbasierte Technologien wie Cloud Computing und Big Data bedeuten für den digitalen Binnenmarkt und die Industrie Wettbewerbsvorteile. Durch ein europaweit einheitliches Vorgehen mit Blick auf die Digitalisierung der Wirtschaft kann ein viel größerer wirtschaftlicher Nutzen erzielt werden. Unternehmen sind auf Dauer nur dann existenzfähig, wenn sie es nicht versäumen, dem digitalen ­Umbruch zeitnah zu begegnen. Dazu gehört, zu digitalen Geschäftsmo-

in der EU könnten im Jahr 2020 auf fast 80 Milliarden Euro steigen4. Cloud-Services sind Realität in Unternehmen Cloud Computing ist schon lange kein Trend mehr – das neue Paradigma ist in Unternehmen bereits zur Realität geworden und im Alltag der IT-Abteilungen angekommen. In der PwC-Studie „Cloud Governance in Deutschland – eine Standortbestim-

von K ­ ostenvorteilen und der ortsunabhängigen Verfügbarkeit von Daten und Dokumenten. Laut der Studie verfügt jedes zweite Unternehmen über eine Cloud-Strategie. Entweder als Teil ­einer IT-Gesamtstrategie oder als eigenständiges Konzept. Bei 86 Prozent der Befragten ist Cloud-Computing ein Vorstandsthema. Jeder vierte Befragte erwartet durch die Cloud Nutzung sogar eine verbesserte Informations­sicherheit.

Cloud Computing

Wie fit ist der Wirtschaftsstandort Deutschland?

dellen zu wechseln und vorhandene Technologien voll zu nutzen. Cloud-Technologie hat das Potential, 2,5 Millionen neue Jobs in Europa zu schaffen und das Brutto­ inlandsprodukt (BIP) der Euro­ päischen Union (EU) um ein Prozent bis zum Jahr 2020 zu erhöhen1. Damit wäre bis 2020 mit einer jährlichen Zunahme des BIP um 160 Milliarden Euro oder rund 300 Euro pro Person2 zu rechnen. Das entspricht einem Gesamtzuwachs um fast 600 Milliarden Euro von 2015 bis 20203. Die mit Cloud-Computing erzielten Umsätze

Foto: Frank Rumpenhorst

Harald Kayser Wirtschaftsprüfer und Steuerberater; Chief Operating Officer / Chief Data Officer PwC AG

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Technologien wie Cloud C ­ omputing und Big Data bedeuten für den digitalen Binnenmarkt und die Industrie Wett­ bewerbsvorteile. Durch ein europaweit e­ inheitliches Vorgehen kann dabei großer wirtschaftlicher Nutzen erzielt werden. ­Unternehmen sind nur dann zukunftsfähig, wenn sie sich dem digitalen Umbruch mit neuen Geschäftsmodellen stellen. mung“ gaben 70 Prozent der Befragten an, Cloud Computing in ihren Unternehmen bereits einzusetzen. Und die meisten von ihnen gehen davon aus, dass sich der Anteil weiter erhöhen wird. Zugleich steigt auch der Wunsch nach mehr Orientierung und Steuerungsmodellen, die Cloud-spezifische Anforderungen besser abdecken. Insbesondere große, international tätige Unternehmen nutzen Cloud Computing und profitieren dadurch

Im Cloud Computing befinden sich die Anwendungen und Daten statt auf Rechnern in einer metaphorischen Wolke. Der Server ist über das Internet mit dem Nutzer verbunden. Dadurch sinken die Investitionskosten in Datentechnik und IT-Infrastruktur. Diese Kostenvorteile sind auf Grund der nötigen Investitionsmittel für den Aufbau einer eigenen Infrastruktur besonders für kleine Unternehmen relevant.

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AKTUELL Digitalisierung

die erforderliche Schützenhilfe gibt. Angesichts der heterogenen Gesetzeslage in der EU ist es nicht verwunderlich, dass die derzeit sechs größten Cloud-Unternehmen Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft und Salesforce.com in den USA gegründet wurden. Einen wichtigen Schritt in Richtung Vereinheitlichung ist der Gesetzgeber mit der Datenschutzgrundverordnung nun gegangen. Diese ist

Teil noch erhebliche Herausforderungen bei der Nutzung von Cloud-Technologie stellen. Hierzu zählen etwa die Schnittstellen zum Telekommunikations- oder Telemedienrecht sowie die Cloud-Nutzung durch die öffentliche Verwaltung. Ferner fallen hierunter bestimmte Berufsgruppen, die besonderen gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, wie Ärzte, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Ihnen sind im

kürzere IT-Projektlaufzeiten (Time-toMarket), hohe Skalierbarkeit, womit Lastspitzen abgefedert werden können, hohe Kostentransparenz etwa bei Payper-Use Modellen sowie eine bessere Verfügbarkeit von Daten ortsunabhängig, unmittelbar und weltweit. Die anhaltenden Diskussionen haben gezeigt, dass Cloud Computing weit mehr als einen Marketing-Hype darstellt. Das Thema berührt in seinen zahlreichen Facetten unterschiedlichste Unternehmensbereiche und hat in seiner strategischen Bedeutung das Potential, einen nachhaltigen Paradigmenwechsel in der IT einzuläuten.

nach fast fünfjährigem politischem Prozess am 24. Mai 2016 in Kraft getreten. Nach Ende der zweijährigen Übergangsfrist wird sie die nationalen Datenschutzgesetze in der EU ablösen und ab Juni 2018 das einheitliche europäische Datenschutzrecht bilden. Etliche bestehende Hemmnisse werden damit gelöst. Dass zum Beispiel Pharmaunternehmen Gesundheitsdaten in vielen Ländern der EU von Auftragsverarbeitern unabhängig ihres geographischen Standortes rechnen lassen dürfen, wird dann auch in Deutschland möglich sein, was nach dem bislang geltenden Bundesdatenschutzgesetz nicht erlaubt ist.5

Hinblick auf die Cloud-Nutzung noch engere Grenzen gesetzt, obwohl viele Cloud Lösungen nachweislich sicherer sind als traditionelle IT Konzepte mit einer Datenhaltung auf eigenen Servern. Der Gesetzgeber ist daher weiterhin gefragt. Entwicklungen wie das neue europäische Datenschutzrecht geben jedoch Anlass zur Hoffnung, dass Hemmnisse nicht nur im Datenschutzrecht, sondern auch in den anderen Bereichen abgebaut werl den können.

Foto: Fotolia.com ©sdecoret

Freie Ressourcen für Investitionen ins Kerngeschäft nutzen Das Nutzen von Cloud-Services ermöglicht es Unternehmen, frei werdende finanzielle Ressourcen in das Kerngeschäft zu investieren. Neben der Kosteneinsparung im IT-Betrieb gibt es weitere Argumente für die Cloud-Nutzung: Keine Vorabinvestitionen in teure Infrastruktur und dadurch eine geringe Kapitalbindung, schnellere Umsetzung von Anforderungen und

EU-Datenschutzgrundverordnung ebnet endlich den Weg Aus diesem Grund ist wichtig, dass auch der Gesetzgeber der weiteren Entwicklung des Cloud Computing

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Gesetzgeber bei Schnittstellen und hochsensiblen Daten weiter gefragt Neben dem Datenschutzrecht gibt es weitere Bereiche, in denen sich zum

1V gl. http://ec.europa.eu/justice/contract/ cloud-computing/index_en.htm. 2 Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_ MEMO-12-713_de.htm. 3 Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_ MEMO-12-713_de.htm. 4 Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_ MEMO-12-713_de.htm. 5 §§ 3 Abs. 8, 11 und 28 Abs. 6 BDSG.

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

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NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN 

INTERNATIONALER KREIS

Fotos: Jens Schicke

Migration und Integration von Flüchtlingen Unter Vorsitz von Frank Sportolari, stellv. Vorsitzender der Bundesfachkommission, diskutierten die Unternehmer über aktuelle Migrationsbewegungen und die Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Tanja Gönner, Ministerin a. D. und Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit erklärte, dass seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so viele Menschen auf der Flucht gewesen seien wie heute. Hinzu kämen die Menschen

„in B ­ ewegung“, die auswanderten, um eine bessere Zukunft zu ­finden. Im Zentrum stand die Frage, ob Deutschland eine Migration in den Arbeitsmarkt brauche. Da die Nachfrage an Arbeitskraft weiterhin hoch und die Einbindung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt für die Integration von entscheidender Bedeutung sei, sei auch eine berufliche Qualifizierung der Flüchtlinge eine Priorität. Gönner regt an, für Flüchtlinge u. a. Module anzubieten, die sie kurzfristig für eine berufliche Tätigkeit qualifizierten und schneller in das Berufsleben integrierten. Dr. Karl-Ernst Brauner, Vize-Generalsekretär der Welthandelsorganisation (WTO) berichtete, dass der Appetit der Regierungen nach Freihandelsabkommen weltweit ungebremst sei. Als größter Aktivist steche die EU hervor, die aktuell in Verhandlungen mit zwölf Partnern stehe. Rechtssicherheit, Transparenz und die Vorhersehbarkeit über Verfahren und Kosten sowie die Festsetzung gemeinsamer Standards seien dabei von höchster Bedeutung. l

MEDIENWIRTSCHAFTSPOLITIK

STAATSFINANZEN

Aktuelle Herausforderungen in der Medienlandschaft

Weitere Ausgabenbeschränkungen notwendig

Thomas Dittrich, geschäftsführender Gesellschafter der Euro­ päische Medien- und Business-Akademie Hamburg, hat den Vorsitz der Arbeitsgruppe übernommen. Sein Stellvertreter ­ ist Martin Moszkowicz, Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG. Die Arbeitsgruppe will die Leitplanken für eine ­Medienordnung des 21. Jahrhunderts entwerfen und Lösungsansätze zur Bewältigung der enormen Herausforderungen erarbeiten, vor denen der Wirtschaftsfaktor Medienwirtschaft mit über 250.000 Unternehmen und mehr als einer Million Beschäftigten in Zeiten des digitalen Wandels steht. Das übergeordnete Ziel dabei ist die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Medienanbieter. Die Beauftragte für Kultur und Medien, Staatsministerin Prof. Monika Grütters, diskutierte mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe unter anderem die Konsequenzen eines möglichen Geoblocking-Verbots und die Umsetzung von l Urheberrechtsmaßgaben im digitalen Zeitalter.

Die Arbeitsgruppe Staatsfinanzen diskutierte unter dem Vorsitz von Eckhardt Rehberg MdB, Haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, anlässlich der jüngsten Steuerschätzung die Haushaltspolitik der Bundesregierung. Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, betonte, dass die Haushaltspolitik des Bundes in den letzten Jahren von Erfolgen geprägt gewesen sei. Erstmals seit 1969 sei der Bundeshaushalt 2014 ohne Neuverschuldung abgeschlossen worden. Und auch 2016 werde es trotz der beträchtlichen flüchtlingsbezogenen Ausgaben gelingen, den Bundeshaushalt ohne neue Schulden auszugleichen. Insgesamt ziele der Bund in seiner Finanzplanung bis 2020 stets darauf ab, neue Schulden zu vermeiden. Besorgniserregend sei der Trend, dass der Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt um fünf auf 57 Prozent im Jahr 2020 steigen werde. Zu Zeiten der schwarz-gelben Vorgängerregierung habe dieser Wert noch 47 Prozent betragen. Dies verdeutliche den finanzpolitischen Handlungsbedarf. Umso wichtiger sei es, Lösungen zu finden, die eben geral de nicht zulasten künftiger Generationen gingen.

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

DEUTSCH-FRANZÖSISCHE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN

Der Wirtschaftsrat setzt starke Signale für eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und ruft die Arbeitsgruppe Deutsch-Französische Wirtschaftsbeziehungen ins Leben. Die Arbeitsgruppe tagt unter der Leitung von Hans-Christian Gützkow, Geschäftsführer der TOTAL Deutschland GmbH, und dem stellvertretenden Vorsitz von Prof. Joachim Bitterlich, Botschafter a. D. „Deutschland und Frankreich sind nicht nur der Kern der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft“, betonte Dr. Hans-Peter Friedrich MdB, Bundesminister a.D. und Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion auf der Eröffnungsveranstaltung und hob die besondere Bedeutung der Zusammenarbeit beider Länder hervor. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, bekräf-

tigte: „Wir brauchen mutige deutsch-französische Initiativen zur Gestaltung der Energiewende und zur Digitalisierung – etwa über gemeinsame Standards bei Industrie 4.0 oder eine einheitliche Umsetzung der EU-Datenschutzverordnung. Eine Verständigung in diesen Fragen würde eine neue Dynamik entfachen und die Vision eines künftigen Europas vorgeben.“ Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer begrüßte es, dass der Wirtschaftsrat nach Saarbrücken gekommen sei, um die europäische Dimension der Zukunft zu unterstreichen, weil die meisten Probleme national nicht zu lösen seien. Manches laufe derzeit in die falsche Richtung. Schließlich sei nicht alles gut in Europa. ,,Wir bräuchten mehr an abgestimmter Politik!“, um die Menschen mitzunehmen, l so Kramp-Karrenbauer.

Foto: Rolf Ruppenthal

Wirtschaftsrat gründet neue Bundesarbeitsgruppe

EUROPA-DINNER

Im Mittelpunkt des Europa-Dinners des Wirtschaftsrates standen dieses Jahr der Aufbruch zu einer europäischen Kapitalmarktunion und der geplante Zusammenschluss der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange. „Das wird einen erheblichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Europas liefern“, betonte Hauptredner Carsten Kengeter, Vorsitzender des Vorstands, Deutsche Börse AG. „Die Kapitalmarktunion in Europa kann uns jedoch nur gelingen, wenn wir eine gemeinsame Infrastruktur für diesen Kapitalmarkt bereitstellen. Deshalb brauchen wir eine Börsenorganisation, die ihr Geld damit verdient, Risiken verantwortungsvoll zu managen – und gleichzeitig die Stabilität des europäischen Finanzsystems als oberstes Anliegen in sich trägt.“ (s. S. 12) Als Antwort auf die drängenden Herausforderungen der ­globalen Finanzmärkte beschrieb Dr. Hans-Peter Friedrich MdB, Bundesminister a.D., Stellvertretender Vorsitzender der CDU/

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Fotos: Jens Schicke

Gelebte Kapitalmarktunion: Ein starker europäischer Player für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität!

CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und neuer Vorsitzender des Europa-Dinners, die geplante Kapitalmarktunion. „Wir wollen auch mittelständischen Unternehmen und Startups einen ­besseren Zugang zu Finanzierungsquellen ermöglichen.“ F ­ riedrich regte darüber hinaus eine neue Vision für ein bürgerliches Europa der individuellen Freiheit und Verantwortung an. Ein starkes und geeintes Europa braucht das Zusammenstehen für gemeinsame Werte. „Dazu gehört auch das Thema Kapitalmarktunion“, erklärte Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates. „Mit einem starken europäischen Player an der Börse könnten wir ein ­bedeutsames Gegenwicht zu den Riesen in den USA und l Asien schaffen.“

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WIRTSCHAFTSRAT Vorwärtsstrategie

Soziale Sicherheit braucht wirtschaftlichen Erfolg Deutschland und Europa müssen heute grundlegende Reformen einleiten, um die Weichen auf Zukunft zu stellen. Die Große Koalition sollte dies noch bis Ende der Legislatur anstoßen.

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eutschland hat sich in sieben Jahrzehnten zu einer der weltweit führenden Industrienationen entwickelt. Die Soziale Marktwirtschaft hat uns ­ Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit gebracht. Der Zusammenhalt Europas, die Bewältigung von Globalisierung, Digitalisierung und demografischem Wandel werden darüber entscheiden, wie wir in Zukunft leben können. Wichtig sind Reformen in Deutschland und Europa: 1. Wirtschafts- und finanzpolitische Agenda für ein starkes Europa Die Zerstrittenheit der EU bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms wie auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik muss ein Ende haben. Notwendig sind: E Stärkung des EU-Binnenmarktes, dessen Potentiale ­bisher nur zu zehn Prozent ausgeschöpft sind; E die Setzung gemeinsamer Prioritäten und Standards für den digitalen EU-Binnenmarkt; E Verzicht auf die Ausweitung der Gemeinschaftshaftung, Ausbau des Subsidiaritätsprinzips und die Beschleunigung nationaler Reformen; E Rückkehr zur strikten Trennung von Geld- und Fiskalpolitik, die Bereitschaft der Politik, Strukturprobleme zu lösen statt dies der EZB zu überlassen; E engere Zusammenarbeit Europas in der Außen- und ­Sicherheitspolitik. 2. Strukturelle Haushaltskonsolidierung durchsetzen, Steuererhöhungen vermeiden So erfreulich die schwarze Null im Bundeshaushalt seit 2014 ist, dringende strukturelle Korrekturen von den konsumtiven zu den investiven öffentlichen Ausgaben sind bislang nicht erreicht worden. Der Bund gibt mehr als jeden zweiten Euro für Soziales aus, obwohl der demografische Wandel erst noch bevorsteht. Der Wirtschaftsrat fordert:

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E Erhöhung der Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur; E der Bund darf nicht zum einzigen großen Zahler im ­Finanzausgleich werden, das schwächt die Selbständigkeit der Länder; E Steuererhöhungen, vor allem bei der Erbschafts- und Schenkungsteuer gilt es zu vermeiden. 3. R ückstand bei der Digitalisierung aufholen Die Digitalisierung ist weltweit Wachstumstreiber Nummer eins. Sie verändert industrielle Produktionsprozesse, die Unternehmensorganisation und die Arbeitsmärkte. Der Wirtschaftsrat empfiehlt: E die Setzung von Prioritäten für Big-Data und IT-Leuchtturmprojekte wie etwa Autonomes Fahren, Industrie 4.0, Digital Health etc. sowie Datenschutz nach europäischem Standard; E flächendeckender Ausbau mit Glasfaserkabeln und schnelle Einführung des 5G-Mobilfunkstandards; E Stärkung der IT-Sicherheit und Mobilisierung des Mittelstands für Industrie 4.0; E Start einer digitalen Bildungsoffensive. 4. D eindustrialisierung stoppen: Energie- und Umweltpolitik europatauglich machen Nur mit einem europaweit wettbewerbsfähigen Level-­ Playing-Field in der Energie- und Umweltpolitik, lässt sich die Deindustrialisierung in Deutschland auf Dauer ver­ hindern. Der Wirtschaftsrat fordert: E Reduzierung der Energiepreise durch Senkung des Staatsanteils und der Subventionen; E steigende Mitverantwortung der Erneuerbarer für das Energiesystem; E schnellerer Ausbau der Stromnetze;

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WIRTSCHAFTSRAT Vorwärtsstrategie

E flexible Beschäftigungsmodelle und Abkehr vom Präsenzprinzip; E Erarbeitung eines transparenten, einheitlichen Arbeitsgesetzbuchs. 7. Wachsende Staatseingriffe im Wohnungsbau korrigieren und Anstieg der Baukosten eindämmen

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Die Baukosten sind durch staatliche Vorgaben wie die Erhöhung der Grundsteuer und Grunderwerbssteuer sowie energetische Sanierungsziele explodiert. Gleichzeitig bremst die Mietpreisbremse in Ballungsräumen Neubau und Sanierung im Bestand aus. Um den Wohnungsneubau insbesondere in Ballungszentren auszuweiten, empfiehlt der Wirtschaftsrat:

E Stärkung der Energieeffizienz- und Digitalisierungsmärkte, um CO2-Emissionen kosteneffizient einzusparen; E Verzicht auf einen nationalen Alleingang beim Klimaschutzplan 2050. 5. D emografiefeste Rente sichern – staatliche Willkür verhindern Umlage- und kapitalmarktfinanzierte Rentenversicherungen stehen durch die Alterspyramide und die anhaltende Niedrigzinsphase unter Druck. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen für kapitalfinanzierte Renten verbessert werden. Der Wirtschaftsrat fordert: E Zulassung eines höheren Anteils von Aktien und Immobilien im Anlageportfolio; E verringerte Anrechnung von Betriebs- und Riesterrenten auf die Grundsicherung im Alter und Anhebung der Förderhöchstgrenzen; E Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge durch Stärkung der wirtschaftlichen Anreize unter Beibehaltung der Freiwilligkeit auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite; E Flexi-Rente und Kopplung des Renteneintritts an die steigende Lebenserwartung sind notwendig; E Einrichtung eines säulenübergreifenden Renteninformationssystems (s. S. 22). 6. F achkräftebedarf sichern, digitale Arbeitswelt voranbringen! In vielen Branchen herrscht bereits heute Fachkräftemangel. Gleichzeitig verändern digitale Revolution und Internationalisierung die Berufswelt. Deshalb fordert der Wirtschaftsrat: E Schaffung eines Einwanderungsgesetzes zur Steuerung qualifizierter Zuwanderung; E bessere Bildung mit Verringerung der hohen Abbrecherquoten;

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E neue Energiesparnormen stoppen und Klimaschutz kosteneffizient gestalten; E Einführung einer Bundesbauordnung statt 16 Landesbauordnungen; E Verzicht auf ein zweites Mietrechtsänderungsgesetz, das Mieten noch stärker vom Markt abkoppelt ; E Vorschläge der Baukostensenkungskommission zügig umsetzen. 8. Mehr Effizienz und Wettbewerb bei der Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur Die Qualität der Verkehrsinfrastruktur ist entscheidend für Deutschland als Logistikstandort und Verkehrsdrehscheibe. Umso dramatischer ist der vielfach marode Zustand von Straßen und Brücken. Der Wirtschaftsrat setzt sich dafür ein, den Investitionsstau zu beseitigen durch E Schaffung einer Bundesfernstraßengesellschaft, die Neubau und Sanierung von Autobahnen und Bundesstraßen vornimmt; E Zweckbindung der Finanzmittel und Sicherstellung der überjährigen Verfügbarkeit; E Verbreiterung der Finanzierungsgrundlage durch privates Kapital. 9. Jedem eine Chance – Bildung, Innovation, Aufstieg Internationale Studien, zuletzt der OECD, zeigen, dass der Bildungserfolg der Schüler in Deutschland stärker als in anderen Ländern vom Elternhaus abhängt. Aufstieg durch Bildung muss deshalb eine zentrale bildungspolitische ­Herausforderung sein. Deutschlands Wohlstand fußt auch in Zukunft auf einer starken und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Deutschland muss wieder mehr investieren anstatt vor allem zu kon­ sumieren. Nur eine Wirtschaftspolitik, die diesen Über­ zeugungen gerecht wird, fördert Wachstum und Voll­ beschäftigung. Soziale Sicherheit braucht wirtschaftlichen l Erfolg!

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Masterplan für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen Text: K atja Sandscheper

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er, wenn nicht wir Unternehmer, können der Politik vor Augen führen, welche Weichen sie stellen muss, damit der Wohlstand für alle erhalten bleibt“, fragt Anja Osterloh, Geschäftsführende Gesellschafterin der mod Gruppe in Einbeck. Die 49-jährige ist neu gewählte Vorsitzende im Landesverband Niedersachsen und Mitglied im Bundesvorstand des Wirtschaftsrates. Anja Osterloh trägt seit zwölf Jahren unternehmerische Verantwortung für ihre auf Dienstleistungen für Mittelständler spezialisierte mod Gruppe und identifiziert sich zu 100 Prozent mit den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards. Das ist auch der Grund, warum sie sich aktiv im Wirtschaftsrat engagiert. Ihr Ziel: Als die Stimme der niedersächsischen Wirtschaft soll der Wirtschaftsrat mit seiner Arbeit den Grundstein für einen Politikwechsel im Jahr 2018 legen. Denn von der derzeitigen Landesregierung ist die Unternehmerin wie viele Wirtschaftsvertreter bitter enttäuscht.

Anja Osterloh hat nicht nur eine Vision für ihr Unternehmen, sondern auch für ihr Land. Deshalb entwickelt der Wirtschaftsrat derzeit ein wirtschaftspolitisches Konzept, das sich an den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft orientiert, und ­Blaupause für die Landespolitik sein kann. Es soll sicherstellen, dass Niedersachsen dauerhaft Industriestandort bleiben kann und für Investitionen wieder attraktiv wird. „Um die Positionen wird in Kärrnerarbeit in un­ seren Fachkommissionen gerungen. So fließt wirtschaftliche Expertise vieler Unternehmer in unseren Masterplan ein“, erläutert die Landesvorsitzende. Der Masterplan soll Landesverband und Sektionen als ordnungspolitischer Kompass dienen. „Das Konzept bildet die Basis für unsere Veranstaltungen, und wir werden auf

dieser Grundlage Hintergrundgespräche mit Politikern führen“, betont Anja Osterloh. „Wir stellen der Öffentlichkeit unseren Masterplan vor und unterstützten die Politiker, die unsere Sprache sprechen, damit meine ich die Sprache der Sozialen Marktwirtschaft, Missstände abzubauen und weitere Katastrophen zu verhindern.“ Diese „Katastrophen“ sind aus Sicht der Vorsitzenden seit Antritt der Landesregierung offensichtlich: „Die Investitionen in die Verkehrs­ infrastruktur werden vernachlässigt, der Breitbandausbau geht schleppend voran, eine schlanke Verwaltung gibt es nicht mehr, eine echte Agrarpolitik fehlt und in der Bildung werden die Gymnasien geschwächt. Im Prinzip dreht Rot-Grün alles zurück, was die Vorgängerregierung zum Wohle des Industriestandortes Niedersachsen umgesetzt hat.“

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„Breitband meint Breitband und nicht nur eine bessere Verkabelung mit 50 Mbit/s im Download.“

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Foto: Michael Löwa

WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Anja Osterloh ist neue Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates in Niedersachsen. Die Unternehmerin hat sich fest vorgenommen mit dazu beizutragen, ihr Land wieder auf Kurs zu bringen. Dazu entwickelt der Landes­ verband Niedersachsen Positionen für ein wirtschaftspolitisches Konzept, das Politik und Öffentlichkeit präsentiert werden soll.

„Der Landesverband sucht seit dem Amtsantritt Kontakt zu den Ministern der rot-grünen Landesregierung. Doch trotz vielfältiger Angebote unsererseits, am Ende muss man leider konstatieren, dass es zwischen Wirtschaftsrat und Landesregierung keinen echten Dialog gibt, was ich sehr bedaure. Aber das geht nicht nur uns so, sondern vielen niedersächsischen Wirtschaftsverbänden“, sagt die Landesvorsitzende. So wünscht sich die Unternehmerin etwa ganz konkret in Sachen Verkehrsinfrastruktur, dass die Landesregierung nicht nur erkennt, wie zentral das Thema für das Flächenland Niedersachen im Herzen Deutschlands und Europas ist, sondern auch danach handelt. „Daher erwarte ich,

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dass das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr die Forderungen des Wirtschaftsrates umsetzt und die bürokratische Bund-Länder-Auftragsverwaltung reformiert.“ Ebenso dringenden Handlungsbedarf sieht Anja Osterloh im Bereich der flächendeckenden Breitbandversorgung: „Breitband meint Breitband und nicht nur eine bessere Verkabelung mit 50 Mbit/s im Download.“ Gleichzeitig mahnte sie einen zügigen Ausbau der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung an. Auf die Agenda gehörten ebenso die Themen Daten­sicherheit und Datenschutz. Letzteres müsse die Politik kritisch begleiten. Sorgen macht der Unternehmerin das Thema Digitalisierung im Mittelstand. „Es ­

gibt immer noch Unternehmen, die das Thema nicht sehen. Es ist fraglich, ob sie regional in der globalen Wirtschaft überleben können, wenn sie sich der Digitalisierung nicht zügig öffnen.“ „In der Haushaltspolitik würden wir begrüßen, wenn der Landtag einen Haushalt fraktionsübergreifend verabschiedet – in manchen Kommunen gelingt das“, sagt Anja Osterloh. „Das Land sollte sich auf zentrale Punkte beschränken, sinnvolle Investitionen dürfen gegenüber den Sozialausgaben nicht immer weiter abfallen.“ Zudem müsse Niedersachsen in Zukunft besser als bisher Bundesmittel und EU-Förderungsmöglichkeiten ausschöpfen. Auf bundespolitischer Ebene bewegt die Unternehmerin besonders die Debatte zur Erbschaftsteuer: „Es ist erschreckend, wie dieses Thema für eine Neiddebatte ausgeschlachtet wird und wie wenig sachbezogene Auseinandersetzung dazu möglich ist.“ Insgesamt dauern der Landesvorsitzenden politische Entscheidungen zu lange – etwa gerade in der Umweltpolitik: „Wenn wir unsere Betriebe so führten, wäre es effektiver nur das investierte Kapital zu verwalten. Was wir daher dringend brauchen, ist eine Entwirrung der Komplexität und eine Beschleunigung des Systems. Der Wirtschaftsrat gibt der Politik hier sowohl auf Landes-, als auch auf Bundesebene schon viele Vorlagen.“ „Man kann alles schaffen, wenn man wirklich will“, ist Anja Osterloh überzeugt. Sie sagt von sich selbst, dass sie durch Zufall Unternehmerin geworden ist. „Ich habe eine Chance genutzt, die mir geboten wurde.“ Die gebürtige Verdenerin liebt Niedersachsen – „die Menschen, die Landschaft und den Wind, der uns hier um die Nase weht“. Sie ist entschlossen ein gutes Stück dazu beizutragen, dass in Niedersachen Wirtschaft wieder ein Thema wird, Unternehmer attraktive Rahmenbedingungen vorfinden und deshalb investieren. „Mein Ziel ist es, gemeinsam mit allen Gremien im Landesverband daran zu arbeiten, den Wohlstand für alle im Land auch in l Zukunft zu erhalten.“

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Digitalisierung

Foto: Fotolia.com ©Maksym Yemelyanov

„Das Ziel der Bundesregierung, eine Breitbandversorgung von 50 Mbit/s bis 2018 zu gewährleisten, kann nur ein Zwischenziel sein.“ Dr. Alexander Bode, Bundesvorsitzender Junger Wirtschaftsrat

Steuererleichterung für Web-Bürger U m auf die Missstände der mangelnden Umsetzung der Digitalisierung im staatlichen Bereich aufmerksam zu machen, hat der Junge Wirtschaftsrat Forderungen zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen der Öffentlichen Hand im Bereich E-Government erarbeitet. Mit dem Ziel, diese Anwendungen zeitnah auf eine breite Nutzerbasis umzustellen.

IT-Verträglichkeitsprüfung und E-Akte in allen Behörden Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie ist die Einführung der E-Akte in allen Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen. Dazu muss das Schriftformerfordernis radikal gekappt werden. Neue Gesetze sollten ebenenübergreifend auf ihre IT-Fähigkeit ausgerichtet werden (IT-Verträglichkeitsprüfung). Einführung einer rechtsverbindlichen digitalen ID, Einsparung von Verwaltungskosten Alle Bürger erhalten mit ihrem Personalausweis eine rechtsverbindliche digitale ID und können künftig wählen, ob sie staatliche Leistungen nur noch online oder weiterhin offline nutzen möchten. Der Staat könnte auf diesem Weg Verwaltungskosten einsparen und gleichzeitig die Effizienz der ­öffentlichen Leistungserstellung signifikant erhöhen. Gewährung von Steuererleichterung für Digitalnutzer Um Bürgern einen echten Anreiz für die Umstellung auf Online-Verfahren zu bieten, kann ein Nachlass bei der Einkommensteuererklärung von fünf Prozent auf die indi­ ­ viduelle Einkommensteuer gewährt werden. Diese

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Steuererleichterung vor Augen, wären die Bürger motiviert, ihre Politiker vor Ort zur Umsetzung zu drängen und dem ­Thema den notwendigen „Push“ geben können. Ausbau der digitalen Infrastruktur

Damit der Staat seinen Bürgern die Nutzung von E-Government ermöglichen kann, muss eine entsprechende digitale Infrastruktur vorhanden sein. Das Ziel der Bun­ des­regierung, eine Breitbandversorgung von 50 Mbit/s bis 2018 zu gewährleisten, kann nur ein Zwischenziel sein. Bis 2020 sollte ein flächendeckendes Gigabitnetz in Deutschland entstanden sein. E Der Staat muss zur Unterstützung der Maßnahme explizit gewährleisten, dass die Datensicherheit bei der Übertragung als auch der Speicherung von Daten gegeben ist. Ebenso wichtig ist, dass er den Datenschutz garantiert. Nur wenn Bürger Vertrauen in den Umgang mit seinen Daten haben, werden sie E-Government-Dienstleistungen nutzen. E Soll der E-Government-Ausbau von Erfolg gekrönt sein, ist eine haushaltspolitische Flankierung unerlässlich. ­Investitionen in die IT-Infrastruktur sind Priorität einzuräumen und sollten mit einem eigenen IT-Haushaltstitel versehen werden. Bei der Beschleunigung des E-Govern­ ment-Ausbaus könnten konkrete Sparvorgaben mit der Vorschrift zur Verwendung standardisierter Lösungen helfen. E Ziel sollte es sein, das Projekt bis zum Ende der nächsten l Legislatur umzusetzen.

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Wolfgang Steiger Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Deutschland muss sich in der Rentendebatte ehrlich machen

G

ut ein Jahr vor der Bundestagswahl knirscht es gewaltig zwischen den drei Parteien in der Großen Koalition. Selbst mühsam ausgehandelte Kompromisse gehen am Ende nicht glatt durch, sondern enden erneut in Gezerre. Wie zuletzt beim bereits zwischen allen voll ausgehandelten Erbschaftsteuerkompromiss oder dem Gesetz zu Zeitarbeit und Werkverträgen. Die Parteien schalten bereits auf Wahlkampfmodus und schärfen ihr Profil. Sie wollen dem Wähler ganz klar machen, dass sie in der Großen Koalition auf einer von ihm verordneten Zwangsgemeinschaft fußen, die keineswegs ein Wunschkonzert ist. Dabei liegt noch jede Menge Arbeit vor dem Trio, die in dieser Legislatur vom Tisch muss, wenn in Deutschland nicht zwei Jahre Stillstand herrschen soll – mit verheerenden Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort. Angesichts des aufziehenden Wahlkampfgetöses ist es nicht verwunderlich, dass man sich vor allem die große Wählergruppe 50plus gewogen halten will. Da rutscht bei Regierungs- wie Oppositionsparteien das Thema Rente wieder an erste Stelle der Agenda. Ganz schnell können sich die im Bundestag vertretenen Parteien – am zurückhaltendsten die CDU – darauf verständigen, neue Wahlgeschenke zu verteilen, die der jungen Generation schon längst nicht mehr zuzumuten sind. So will Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die gesetzlich vorgesehene weitere Absenkung des Rentenniveaus stoppen und erklärt „die Bundestagswahl zum Votum über die Rente“. Damit nicht genug: Auf ihrem kleinen Parteitag hat die SPD wieder einmal per Linksruck beschlossen, das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ in den Vordergrund zu stellen. Die Grünen halten die Riester-Rente für gescheitert und wollen mit ihrem neuen Konzept eine Garantierente und eine abgespeckte Basis-Privatvorsorge

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einführen. Das sind fatale Signale – demografische und haushalterische Faktoren sprechen eindeutig eine andere Sprache. Schon heute fließen Jahr für Jahr rund 30 Prozent des Bundeshaushaltes in die Rente – Tendenz steigend, die Kosten für alle Sozialleistungen betragen längst deutlich mehr als 50 Prozent. Deshalb müssen wir uns endlich ehrlich machen bei der Rente: Die Große Koalition 2006 hat mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der Absenkung des Rentenniveaus den Grundstein gelegt – und das ist angesichts der demografischen Welle, die erst noch über Deutschland schwappen wird, richtig gewesen! Mit einer transparenten Renteninformation über alle Säulen hinweg, müssen wir den Bürgern reinen Wein über ihre Bezüge im Alter einschenken (s. S. 22). Denn es ist kein Geheimnis, dass die Deutschen immer älter werden und länger leben und über kurz oder lang das Rentenalter weiter angehoben werden muss. Ebenso wie gleichzeitig die betriebliche und private Altersvorsorge – ob durch Riester- oder Rürupverträge oder Wohneigentum – stärker ausgebaut werden müssen, damit Bürger eine auskömmliche Rente erreichen. Wer über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeitet, und so das System entlastet, sollte damit belohnt werden, dass er seine Renten­ bezüge aufbessert. Statt bei der Rente weiter aus dem Vollen zu schöpfen, stünde es den Parteien im Wahlkampf besser an, Antworten auf die Frage zu geben, wie wir in Zukunft Wirtschaftswachstum und damit Arbeitsplätze generieren wollen. Denn dies muss auch mit Investitionen in Infrastrukturen einhergehen – allem voran einem auch so zu bezeichnenden flächendeckenden Breitbandnetz wie einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur. Wirtschaftlicher Erfolg ist und bleibt die l Grundvoraussetzung für soziale Sicherheit.

STANDPUNKT STEIGER

Foto: Jens Schicke

„Statt bei der Rente weiter aus dem Vollen zu schöpfen, stünde es den Parteien im Wahlkampf besser an, Antworten auf die Frage zu geben, wie wir in Zukunft Wirtschaftswachstum und damit Arbeitsplätze generieren wollen.“

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Foto: Wirtschaftsrat

Rückblick Einblick Ausblick Hamburg Empfang mit Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble Rund 800 Mitglieder und Gäste fanden sich zum Empfang in der Alten Hagenbeck’schen Dressurhalle. Landesvorsitzender Gunnar Uldall würdigte Bundesminister Schäubles Verdienste um die Deutschen Einheit, seinen Einsatz für Europa und sei­ ne solide Finanzpolitik. Der Finanzminister sprach offen über die Herausforderungen und Risiken, vor denen Deutschland und Europa stehen. „Wir haben eine Fülle von Krisen“, sagte Schäuble und verwies u.a. auf den Ölpreisverfall, den Uk­ rainekonflikt und den islamistischen Terror. „All dies schreit nach einem handlungsfähigen Europa (…) und ist ein Weck­ ruf, dass Europa stärker werden muss“, mahnte der Politiker und kritisierte Bestrebungen hin zu alten nationalstaatlichen Grenzen.

v.l.n.r.: Werner Gliem, Logistik­Initiative Hamburg; Moderator Gunnar Uldall, Landesvorsitzender Wirtschaftsrat Hamburg; Patrick Won, Hanjin Shipping Europe; Jens Kaß, Mackprang jr. GmbH & Co. KG

rung der Logistik­Initiative Hamburg; Jens Kaß, Geschäfts­ führer C. Mackprang jr. GmbH & Co. KG und Patrick Won, Managing Director Hanjin Shipping Europe GmbH & Co. KG. Für Werner Gliem hat Hamburg zwei Asse im Ärmel: die gute Hinterlandanbindung sowie eine digitalisierte Verkehrs­ lenkung und Prozessoptimierung. Dieses Alleinstellungsmerk­ mal gelte es, schnell gezielt auszubauen, um eine Vorreiterrol­ le in Europa einzunehmen. Der Bundesverkehrswegeplan mit starkem norddeutschen Fokus sowie das smartPORT­Projekt seien erste Schritte in die richtige Richtung. „Wir dürfen uns nicht verkriechen, sondern müssen mit Optimismus zur Tat schreiten“, fasste Uldall zusammen. Patrick Won betonte: „Die Ladung sucht sich ihren Weg selbst“. Wir werden jedoch alles daran setzen, dass dieser Weg über Hamburg führt.

Baden­Württemberg Christie’s Direktor beim Wirtschaftsrat in Pforzheim

Foto: Wirtschaftsrat

Die Sektion Pforzheim begrüßte im Schmuckpark Wellendorff Christie’s Europa­Direktor Prof. Dr. Dirk Boll. Er gab Einbli­ cke in ein Imperium mit einem jährlichen Umsatz von 68,5

v.l.n.r.: Cord Wöhlke; Gunther Bonz, Staatsrat a.D.; Astrid Lurati; Christina Block; Dr. Philip Marx; Ulf Gehrckens; Dr. Henneke Lütgerath; Dr. Wolfgang Schäuble; Dr. Hubert Baltes; Hauke Harders; Gunnar Uldall, Senator a.D.; Rene S. Spiegelberger; Aygül Özkan, Ministerin a.D.

Erstmals nach Jahren des Wachstums ging der Container­Ge­ samtumschlag im Hamburger Hafen 2015 zurück, während die Konkurrenz zulegte. Die Gründe sind vielfältig, im Zent­ rum jedoch stehen die „Mega­Containerschiffe“, die den Ha­ fen an seine Grenzen bringen. Unternehmer trafen sich, um Perspektiven für diese Herausforderungen zu entwickeln. Auf dem vom Landesvorsitzenden Gunnar Uldall moderierten Po­ dium diskutierten Werner Gliem, Sprecher der Geschäftsfüh­

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Patient Hafen: Hamburgs Herz auf dem Prüfstand

Christie‘s Europa­Direktor Prof. Dr. Dirk Boll über die Besonderheiten des inter­ nationalen Kunstmarkts

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

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Milliarden Euro auf den internationalen Kunstmärkten. Als äl­ testes Kunstauktionshaus der Welt versteigert Christie’s seit dem 5. Dezember 1766. Die Hauptmotive der Einkäufer seien Liebe zur Kunst, Investition, Verschönern des Umfeldes und Sozialprestige, so Boll. Der Markt, betonte der Experte, sei so individuell wie kaum ein anderer. Der Kunsthandel ist nicht reguliert, sondern orientiert sich an globalen Entwicklungen. Damit knüpft Kunst direkt an gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen an und drückt diese Er­ eignisse auf eine eigene, kreative Weise aus. Boll stellte die Kunst als Wirtschaftsfaktor und – nicht erst in Zeiten niedri­ ger Zinsen – als gefragte Anlageform vor.

Koalitionsverhandlungen in Baden­Württemberg – ein Zwischenbericht „Junior­Partner zu sein, ist für die CDU nicht schön.“ Annette Widmann­Mauz MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, beleuchtete im Landes­ vorstand die Regierungsbildung in Baden­Württemberg. Auf einer Wochenendklausur wurden haushaltspolitische Zwänge, Infrastrukturfragen, Bildungssystem und Start­up­Förderung diskutiert. Unisono sprachen sich Staatssekretärin und Lan­ desvorstand für einen stärkeren Dialog mit der Wirtschaft und eine Innovations­Offensive aus. Neben einer adäquaten Breit­ bandversorgung seien die Verkehrswege für die Zukunftsent­

Annette Widmann Mauz MdB, Parlamentarische Staatsekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, und Martina Musati, Geschäftsführerin Regionaldirektion Bundes­ agentur für Arbeit in Baden­Württemberg diskutieren mit dem Landesvorstand

wicklung des Landes wesentlich. Auch arbeitsmarktpolitische Themen vertieften die Vorstandsmitglieder während ihrer Tagung. Gesprächspartnerin war Martina Musati, die für Baden­Württemberg operativ zuständige Geschäftsführerin der Regionaldirektion Baden­Württemberg der Bundesagen­ tur für Arbeit.

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Die Wirtschaft ist für die Menschen da – nicht umgekehrt

Foto: Wirtschaftsrat

Dr. Michael Otto, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Otto Group, stellte den 150 Unternehmern auf dem Hauptstadt­ frühstück eindrucksvoll dar, wie stark das Tempo der Digi­ talisierung zugenommen hat und wie schnell sich die Otto Group im Zuge dessen verändere. Trotzdem möchte Dr. Otto Kernidentität und Werte des Unternehmens beibehalten: „Die Wirtschaft ist für Menschen da und nicht umgekehrt.“ So sei­ nen u.a. die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine Änderung der Form und Führung der Zusammenarbeit, flexible Arbeitszei­ ten und kontrollierte Leitungsabgabe notwendig, um nachhal­ tig zu wirtschaften sowie die besten Talente zu gewinnen und zu halten. „Man kann dauerhaft nur erfolgreich sein, wenn man zu seinen Werten steht!“, ist Dr. Otto überzeugt.

v.l.n.r.: Ministerpräsident Volker Bouffier, Wirtschafts­ rats-Landesvorsitzender Prof. Hans Helmut Schetter

Kontinent zu sichern. Die Kanzlerin sei die einzige Person sei, die Europa zusammenhal­ te. „Deutschland ist derzeit einer der weni­ gen Lichtblicke in Eu­ ropa“, sagte Bouffier.

Foto: Wirtschaftsrat

Berlin-Brandenburg

Die USA und Europa im Dialog „Die Sicherheitspolitik in Europa hat sich seit 2008 grundle­ gend geändert“, sagte Generalleutnant Ben Hodges, komman­ dierender General der Landstreitkräfte der Vereinigten Staa­ ten in Europa, auf dem „Deutsch-Amerikanischen-Gespräch“ der Landesfachkommission „Internationaler Kreis“ des Wirt­ schaftsrates Hessen. Dies sei auf die Realpolitik Russlands und die Flüchtlingskrise zurückzuführen. Deutschland habe in beiden Fällen eine großartige Führungsrolle eingenommen. Die Mission der US-Streitkräfte in Europa sieht heute anders aus als früher. „Die USA müssen sich ihrer Bündnisse vergewis­ sern, um sich und ihre Interessen zu verteidigen“, so Hodges. Doch gerade das sei heute sehr schwierig. Die Wichtigkeit der US-Landstreitkräfte für die europäische Weltpolitik und das Bündnis der Alliierten sei jedoch weiterhin unabdingbar.

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v.l.n.r.: Dr. Michael Otto, Vorsitzender des Aufsichtsrates Otto Group; Dr. Nikolaus Breuel, Vorsitzender Wirtschaftsrat Berlin-Brandenburg

Hessen Volker Bouffier: Politik muss Bürger wieder erreichen „Die Politik muss für die Bürger handeln“, lautete das Fa­ zit des hessischen Ministerpräsidenten auf den Ausgang der Landtagswahlen. Volker Bouffier thematisierte vor dem Wirt­ schaftsrat die Herausforderungen der etablierten Parteien. Er nannte das Ergebnis enttäuschend, das vor allem auf ein Protestverhalten der Wähler und Nichtwähler zurückzuführen sei. „Wir müssen jedem Bürger eine Antwort auf seine Fragen geben“, betonte Bouffier, „die Menschen müssen sicher sein können, dass die Politik in ihrem Sinne handelt.“ Doch nicht nur die innenpolitische Lage, sondern auch in­ ternationale Konfliktherde stellten einen Schwerpunkt der Rede des Ministerpräsidenten dar. Dabei ging er besonders mit den Entwicklungen in der Türkei sowie dem russischen Präsiden­ ten Putin hart ins Gericht, dessen Politik Europa destabilisiere. „Eine Renaissance des Nationalismus wäre für Europa fatal“, lautete sein Urteil. Es sei überaus wichtig, den Frieden diesem

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Generalleutnant Ben Hodges mit einem Unternehmer und LFK-Vorsitzender ­Carola Paschola im Gespräch

Thüringen Wirtschaftsrat diskutiert mit Gesundheitsministerin Heike Werner Der Einladung zur Diskussion mit Thüringens Gesundheits­ ministerin Heike Werner über die aktuellen Entwicklungen in der Gesundheitspolitik folgten rund 40 Vertreter aus Ge­ sundheitskassen, Ärzteschaft, Kliniken und ambulanten Ein­ richtungen, Hilfsmittelproduzenten und -lieferanten sowie der ambulanten und stationären Pflege. Aus Sicht der Ministerin

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

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Unternehmern des Wirtschaftsrates. Er sprach über die poli­ tische Situation in Großbritannien, die Bedeutung des Landes für die EU und die Folgen eines Austritts. Für McAllister ist es für Europa wichtiger denn je, sich auf die Vorteile einer starken EU zu besinnen. Als problematisch schätzt er den hohen Motivationsgrad der Europagegner ein und befürchtet, dass es „bei der A ­ bstimmung nicht nur um den Verbleib in der EU geht, sondern auch um Themen wie Zuwanderung, Globalisierung bis hin zu Banalitäten wie dem schlechten Wetter.“ v.l.n.r.: Stefan Hauschild, Ministerin Heike Werner, Andreas Elm von Liebschwitz

hat die vom Freistaat selbst gestaltbare Prozess- und Struk­ turqualität P ­rioriät. Neben dem Krankenhausgesetz stün­ de hier der Erhalt von Arztpraxen besonders im ländlichen Raum, Facharzt- und Pflegepersonalstellen auf ihrer Agenda.

Foto: Wirtschaftsrat

Hamburg Europa am Scheideweg: Droht der Brexit? „No to Brexit! Yes to remain! Together we are better, stronger and saver!“, erklärte David McAllister, Ministerpräsident a.D. und seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments, vor

Starkes Interesse am Vortrag des Europaabgeordneten David McAllister

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Schleswig-Holstein

Nordrhein-Westfalen

Deutschland: Mehr Pragmatismus gefordert

Michael Hüther vor Kölner Wirtschaftsrat: „Nein zur Vergemeinschaftung von Staatsschulden!“

Foto: Wirtschaftsrat

Rantum/Sylt. Big Data, also die perfekt abgestimmte Analyse aus vorhandenen Technologien, aus bisher nicht absehbaren Datenmengen und unterschiedlichen Quellen – dazu das Gan­ ze in nahezu Echtzeit, das wird die große Herausforderung der Zukunft sein. In Rantum auf Sylt tagten im Rahmen des CFO-Events Sylt des Wirtschaftsrates in Schleswig-Holstein Finanzvorstände deutscher Unternehmen u.a. zum Thema Big Data und Industrie 4.0. Die Diskussion zum Thema Big Data polarisiert: Martin Lochte-Holtgreven, Geschäftsführer der Softwarefirma Con­ sist Software Solutions in Kiel, ist von den Chancen über­ zeugt. Man könne neue Kombinationen von Datenquellen nutzen und das sogar evolutionär. Analysen könnten in Istzeit genutzt werden und Steuerungsprozesse in Unternehmen optimieren. Knackpunkt sei allerdings zukünftig der direkte Draht zum Endverbraucher. Wer den nicht habe, gebe sein Feld leicht ab an die Großen des Internets wie Amazon und Google.

Sorgen über die wirtschaftspolitische Entwicklung in Eu­ ropa prägten die Diskussion von über 120 Unternehmern der Sektion Köln mit Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen ­ Wirtschaft. Der Gastred­ ner hob die mangelnde Reformbereitschaft eini­ ger EU-Staaten als eine eklatante Gefahr für Eu­ ropa hervor. Während Deutschland aufgrund von Reformen durch die Agenda 2010 die Eu­ ro-Krise gut überstanden habe, seien die Wirt­ schaftsstrukturen in an­ deren EU-Ländern nicht Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des I­nstituts oder zu wenig verändert der deutschen Wirtschaft worden. Die Debatte über eine europäische Fiskalkapazität drohe dieses Problem weiter zu verschärfen. Hierdurch würden falsche Anreize ge­ setzt. Gerade reformunwillige Staaten entließe man somit aus der Haftung, um die Lasten zu Ungunsten der wirtschaftlich starken Staaten zu verlagern.

Foto: Wirtschaftsrat

WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Nordrhein-Westfalen braucht eine starke und international wettbewerbsfähige Stahlindustrie

Risiken sieht auch Konstantin von Notz MdB, Bündnis 90/Die Grünen. Er machte deutlich, dass aus Big Data auch diejenigen wirtschaftlichen Mehrwert schöpfen könnten, die nicht unbedingt erwünscht seien. Das müsse nicht unbe­ dingt kriminelle Hintergründe haben. Wenn etwa Google eine Schnittstelle in europäischen Automobilen habe, werde das nicht jedem Hersteller gefallen. „Bei allem Optimismus soll­ ten wir auch Problembewusstsein mitbringen“, so von Notz. Industrie 4.0: Immer komplexere Entwicklungen in der Industrie bedeuten Risiken für den deutschen Mittelstand, wenn er Schnittstellen und Steuerungsmöglichkeiten nicht nutzt. Maik Beermann MdB, CDU, Mitglied im Ausschuss Verkehr und Digitale Infrastruktur: „Wir müssen uns als ­Politiker afragen, was wir bereit sind, an Bestehendem da­ für aufzugeben.“ Sorgen mache auch die Sicherheit im Netz. Da werde zu wenig investiert, so Hans-Wilhelm Dünn, Vize­ präsident des Cyber-Sicherheitsrates Deutschland. Während dem Innen­ ministerium Milliarden zur Verfügung stünden, ­unterstütze man das Bundesamt für Sicherheit in der Infor­ mationstechnik gerade mit zehn Millionen. „Das Problem wird nicht ernst genommen“, so Dünn. kp

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Der Wirtschaftsrat Nordrhein-Westfalen hat eine Stellung­ nahme zur aktuellen Situation der Stahlindustrie veröffent­ licht, in der er sich für starke und international wett­­­ be­ werbsfähige Stahlanbieter ausspricht. Das Positionspapier finden Sie hier:

Foto: Fotolia.com ©industrieblick

v.l.n.r.: Dr. Dirk Thorsten Vogel, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Veronica Lange, Nils Seebach, Moderator Frank Pörschmann

Stahlstandort Nordrhein-Westfalen

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© 2016 PricewaterhouseCoopers Legal Aktiengesellschaft Rechtsanwaltsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC Legal“ bezeichnet in diesem Dokument die PricewaterhouseCoopers Legal Aktiengesellschaft Rechtsanwaltsgesellschaft, die zum Netzwerk der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) gehört. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.


WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Bremen

Sachsen

Wieviel Staat brauchen wir?

Unternehmensfinanzierung Wie unterstützen Bürgschaftsbank, Mittelständische Beteili­ gungsgesellschaft sowie Sächsische Aufbaubank den säch­ sischen Mittelstand? Das war das Thema der Veranstaltung des Wirtschaftsrates in Chemnitz, das vielen Unternehmern unter den Nägeln brennt. Mitglieder diskutierten mit Markus H. Michalow, Geschäftsführer der Bürgschaftsbank Sach­ sen GmbH sowie der Mittelständische Beteiligungsgesell­ schaft Sachsen mbH und Olrik Börnicke, Abteilungsdirektor Wirtschaft bei der Sächsische Aufbaubank – Förderbank ­ – unter der Moderation von Landesgeschäftsführer Peter ­Michael Münnich, die Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung für sächsische Unternehmen.

Foto: Wirtschaftsrat

Rund 60 Bremer Unternehmer diskutierten mit Ole von Beust darüber „Wieviel Staat brauchen wir?“ Der frühere Erste Hamburger Bürgermeister betonte, dass in Deutschland die Aufgabenverteilung zwischen Wirtschaft und Politik immer weiter in Richtung Staat verschoben würde. R ­ isiken wie etwa

in der Bankenregulierung, im Miet- oder Arbeitsrecht wür­ de auf Druck der öffentlichen Meinung immer weiter durch einschränkende Regulierungen begegnet. Weniger Risiko, so von Beust, hieße aber auch weniger Entscheidungsspielraum, Eigeninitiative, Selbstverantwortung, Fehlerkultur und Risi­ kobereitschaft. Das könne sich Deutschland im internationa­ len Wettbewerb langfristig nicht leisten.

v.l.n.r.: Olrik Börnicke, Peter Michael Münnich, Markus H. Michalow

Impressum

Bankverbindung: Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380

Herausgeber: Werner Michael Bahlsen, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH

Redaktion: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redakteurin Wissenschaftliche Beratung: Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer

Anzeigenkontakt: Katja Sandscheper, Telefon 0 30 / 2 40 87-301 Gesamtherstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück Telefon 05 41 / 9 59 00-0, Telefax 05 41 / 9 59 00-33

Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de

Erscheinungsweise: quartalsweise

Projektleitung: Information für die Wirtschaft GmbH

Bezugsbedingungen: Einzelpreis 7,50 Euro (einschl. MwSt.) Jahresabonnement 25,– Euro ­(einschl. MwSt.), zzgl. Versandkosten. Abonnements (vier Ausgaben) ­werden für ein Jahr berechnet. Kündigungen müssen sechs Wochen vor Ablauf des Abonnements schriftlich vorliegen, andernfalls verlängert es sich für ein weiteres Jahr.

Geschäftsführerin: Iris Hund (v.i.S.d.P.) Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-401, Telefax 0 30 / 2 40 87-405

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Foto: Wirtschaftsrat

Der frühere Erste Hamburger Bürgermeister Ole von Beust diskutierte mit Bremer ­Unternehmern

Anzeigenpreise: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 17 Bestellungen: Beim Verlag

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ImSpiegel der Presse Spiegel Im Entdeckt in der Welt am 09.05.2016 „Die Bund­Länder­Auftragsverwaltung ist zu bürokratisch, mit ihren 16 Einzellösungen zu teuer, und zu ineffektiv“, sagt der Präsident des Wirtschaftsrates, Werner M. Bahlsen über den Autobahn­ und Fernstraßenbau und ­erhalt in Deutschland. Das Handelsblatt vom 30.05.2016 Der Wirtschaftsrat bemängelt „die zunehmende staatliche Steuerung und fehlende Technologieoffenheit, die einer kosteneffizienten, verlässlichen Energiewende, offenen Märkten und dem Industrialisierungsprozess erneuerbarer Energien entgegen“ stünden. „Wir erwarten mehr Markt im System“, so Generalsekretär Wolfgang Steiger. Ausschreibun­ gen müssten „ohne preistreibende Regionalisierungsquoten und Freigrenzen konsequent umgesetzt werden“. Entdeckt in der Welt vom 23.05.2016 „Die historische Chance, unser Land auf allen Ebenen nachhaltig zu konsolidieren, wurde nicht ergriffen, sondern regelrecht verworfen“, sagt der Präsident des Wirtschaftsrates, Werner M. Bahlsen, zur Politik der Großen Koalition.

WIRTSCHAFTSRAT Forum

Gefunden in der Frankfurter Allgemeine vom 27.04.2016 Der Wirtschaftsrat nannte Kaufprämien für E­Autos einen „ordnungspolitischen Sündenfall“. „Andernfalls könnten auch Waschmaschinenhersteller nach Kaufprämien rufen, weil sie besonders umweltschonende Modelle am Markt platzieren wollen.“

Börsen-Zeitung vom 26.04.2016 In einem Gastbeitrag erklärte Generalsekretär Wolfgang Steiger: Mit dem geöffneten Geldhahn der Europäischen Zentralbank (EZB) lassen sich die wirtschaftspolitischen Probleme Europas offensichtlich nicht lösen. Durch die schnellen, fragwürdig gerechtfertigten und zunehmend erfolglosen Schüsse, die die EZB abfeuert, droht sie von den fatalen Nebenwirkungen ihres Handelns eingeholt zu werden.

WirtschaftsWoche Online am 25.04.2016 In einem Namensbeitrag schreibt der Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrates, Dr. Alexander Bode: „Wir brauchen dringend Arbeitszeitmodelle, die dem Arbeitnehmer die Freiheit geben, selbst zu wählen, wie viel er arbeiten möchte.“ Gefunden in der Bild vom 18.04.2016 Der Wirtschaftsrat lehnt die von CSU und SPD geplante Anhebung des Rentenniveaus entschieden ab. „Ein drittes großes Rentengeschenk in dieser Legislaturperiode passt nicht in die Zeit“, betonte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Die Rheinische Post zitiert am 16.04.2016 „Ich bezweifle, dass jeder zweite von Altersarmut bedroht ist. Es gibt 16,5 Millionen Riester­Verträge, rund 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bekommen später Betriebsrenten“, erklärte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Gefunden im Handelsblatt vom 14.04.2016 Generalsekretär Wolfgang Steiger warnt vor „fatalen Folgen“ der EZB­Politik für deutsche Sparer: „Altersvorsorgepläne drohen im großen Stil zur Makulatur zu werden – das ist gesellschaftlicher Sprengstoff. Die EZB bewegt sich gefährlich nah an der Grenze der Akzeptanz.“ Die Frankfurter Allgemeine schreibt am 14.04.2016 „Schon heute gehört der Wohnungsmarkt zu einem der reguliertesten Wirtschaftsbereiche und funktioniert para­ doxerweise dadurch nicht besser. Den Schaden haben das Handwerk, Wohnungssuchende, Mieter und Vermieter“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger.

©Klaus Stuttmann

Die Nordwestzeitung am 17.05.2016 Der Wirtschaftsrat kritisierte das Krisenmanagement und die Bonuszahlungen deutlich. „Ein sauberer Verzicht des VW­Vorstands hätte alle Kritik verstummen lassen“, sagte Werner M. Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrates.

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90 53 Der Anteil der Deutschen, die E­Government zur Kommunikation mit staatlichen Stellen und Behörden nutzen, liegt bei 53 Prozent. Deutschland belegt damit den vierten Platz, hinter Frankreich, den Niederlanden und Dänemark, das mit 88 Prozent an der Spitze liegt. Quelle: Eurostat

Die Bauzeit für den jüngst eröffneten 57 Kilometer langen Gotthard­Basistunnel in der Schweiz betrug 17 Jahre, die Kosten rund 11 Milliarden Euro. Das Besondere: Der Zeitplan wurde eingehalten ohne dass die Kosten explodiert sind. Bei vergleichbaren Projekten ist dies zu 90 Prozent nicht der Fall. Quelle. Deutsche Welle

Zahlen des Quartals

286 2015 wurden 286 Milliarden US­ Dollar in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert – so viel wie noch nie zuvor. Die Gesamtkapazität dieser Anlagen beläuft sich auf 147 Gigawatt. Spitzenreiter unter den Investoren waren China, USA, Japan und Groß­ britannien. Quelle: Global Status Report Renewables 2016

0,26 Um monatlich 0,26 Prozent sind die Mieten in den Regionen mit Mietpreisbremse gestiegen. In den Regionen ohne Mietpreisbremse waren es dagegen 0,24 Prozent. Quelle: DIW

51 Damit führt Griechenland die traurige Statistik der Jugendarbeitslosigkeit in Europa an, gefolgt von Spanien mit 45, Kroatien mit 39 und Italien mit 37 Prozent. Am niedrigsten sind die Quoten in Deutschland mit sieben, auf Malta mit neun und in Tschechien mit knapp zehn Prozent. Quelle: Eurostat

7 Im Schnitt betrug die Rentenlaufzeit im Jahr 1889 sieben Monate. Heute sind es 20 Jahre. Quelle: Deutsche Renteninformation

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Das Wort „Shitstorm“ hat es längst in den gu­ ten, alten Duden geschafft. Jeder weiß inzwi­ schen, wie schnell sich im Internet via Social Media kleine Wellen zu Tsunamis auswachsen können. Markenartikler setzen, um jederzeit schnell reagieren zu können, auf umfangreiche Web­Screenings. Auf Twitter, Facebook und Diskussionsseiten der Medien toben sich längst nicht mehr nur reale Personen aus. Immer mehr dieser „Trolls“ verstecken sich hinter anony­ misierten Fake­Accounts und zwingen immer mehr News­Portale ihre Kommentarfunktionen über Nacht auszusetzen. Kürzlich ließ einmal die Online­Redaktion des Berliner Tagesspiegel in einem Artikel einen Blick hinter die Kulissen zu: Für einen namhaften, aber umstrittenen Pro­ minenten sollen mehrere virtuelle Profile eine Positiv­Kampagne auf der Diskussionsseite der Zeitung selbst und denen anderer Medien ge­ startet haben. Die Profile lobten nur den besag­ ten Herrn, seine Ehefrau und sogar den Trainer seines Lieblingsvereins, beteiligten sich an­ sonsten aber an keinen weiteren Debatten. Eine Steigerung solcher Manipulationen bedeuten Chat­Bots. Diese speziellen Computerprogram­ me „können“ wie Menschen kommunizieren und von ihnen in Debatten lernen. Im regen Einsatz sind nach Beobachtung von Social­Media­Forschern derartig programmierte Bots in Web­Debatten um den Ukraine­ und Syrien­Konflikt sowie im US­Wahlkampf. Zuspruch im Internet bildet so immer weniger reale Zustimmung ab. TREND 2/2016

Fotos: Fotolia.com ©kebox; ©Alex White; ©Natalie Prinz; ©pololia; ©blantiag; ©psdesign1; AlpTransit Gotthard AG

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115 Prozent weltweit höhere Wirtschaftsleistung

25 Prozent gestiegene Energienachfrage

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