Klz 15

Page 14

14

KONSTANZ

KreuzlingerZeitung

Nr. 15

13. April 2018

«Es ist unsere verdammte Pflicht» Der Kabarettist, Autor und Regisseur Serdar Somuncu inszeniert am Theater Konstanz das Stück «Mein Kampf» von George Tabori. Die Aufführung ist am 20. April, Hitlers Geburtstag, und die Zuschauer sollen wahlweise einen Davidstern oder ein Hakenkreuz tragen. Konstanz. Sandra Pfanner: Herr Somuncu, als ich von diesem Interview mit Ihnen erzählte, meinte ein Bekannter, der Sie von der heute-show kennt: «Ah, der lustige Türke, der immer so laut schreit.» Wie gefällt Ihnen diese Beschreibung? Serdar Somuncu: Was soll mir daran schon gefallen? Zum einen werde ich reduziert auf meine Herkunft und zum anderen auf etwas, das ich nicht ausschliesslich mache, wenn ich auf der Bühne stehe. Ja, ich schreie mal. Aber die Menschen, die sich nur das gemerkt haben, kennen meine Arbeit nicht. Das ist schade, aber nichts, was ich erwarte. Es ist manchmal nur unangenehm, auf etwas reduziert zu werden, was man gar nicht ist. Finden Sie, es ist eine gute Idee, dieses Stück an Hitlers Geburtstag auf die Bühne zu bringen? Nein. Das finde ich ein bisschen albern. Aber nicht alles, was Christoph Nix macht und will, muss ich gut finden. Das ist ein Marketing-Gag, den ich schon aus der Zeit kenne, als ich «Mein Kampf» vorgetragen habe. Da haben die Leute oft gesagt: Lies das doch mal in Hitler-Uniform am 20. April in Wunsiedel oder Braunau. Ich finde das okay, wenn man Karten verkaufen will. Aber notwendig ist das nicht.

Hitler wird als popelnder, deutlich bildungsferner, völlig talentfreier Möchtegern-Kunstsammler dargestellt, der an Verstopfung leidet. Als das Stück 1987 uraufgeführt wurde, war das die Lesart der Hitlerfigur. Ein Tölpel vom Land, der in die Grossstadt kommt, ungebildet, ungehobelt. Diese Figur müssen wir nicht noch mal erzählen im Jahr 2018. Die Themen Faschismus und Nationalsozialismus, die Figur Hitler – all das hat sich verändert. Dementsprechend muss auch die Antwort anders ausfallen.

«Ich freue mich über jeden, der sich auf die Form und Idee unserer Arbeit einlässt», sagt der Kabarettist und Regisseur Serdar Somuncu. Bild: Frank Lübke

Die Tatsache, dass Besucher des Stücks wahlweise einen Davidstern oder Hakenkreuz tragen müssen, trifft bei Vielen auf Unverständnis ... Als Theatermacher, der sich seit Jahrzehnten mit dieser Thematik auseinandersetzt, sehe ich meine Aufgabe darin, kritische Diskussionen über Themen der Gegenwart anzustossen. Auch mit ungewöhnlichen Mitteln. Ich erlebe es daher nicht zum ersten Mal, dass ich damit Empörung und Widerstand auslöse. Angesichts der Radikalität, mit der rechte Parteien heutzutage Stimmung gegen Minderheiten machen, braucht es eine ebenso radikale Antwort der Kunst auf diese Entwicklung. Aber wir fordern auch von unseren Zuschauern, dass sie sich positionieren. Jegliche Empörung schlägt in der Praxis fehl, wenn sie un-

sichtbar bleibt. Deshalb freue ich mich sogar darüber, wenn unsere Idee eine Auseinandersetzung auslöst. Darüber hinaus gibt es aber noch zahlreiche Aspekte in unserer Inszenierung, denen eine Reduzierung auf ein Beispiel nicht gerecht werden würde. Ich freue mich daher über jeden, der sich auf die Form und Idee unserer Arbeit einlässt. Der Humor in dem Stück ist so bitterböse, das einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Ihre Spezialität? Nein, nicht unbedingt. Es ist ein sehr vielschichtiges Stück mit zum Teil sehr ernsten, tief gehenden Passagen. Und dann gibt es wieder diese Slapstick-artigen Momente. Da eine ausgewogene Mischung zu finden, ist die Herausforderung.

Wie sieht Ihre Antwort aus? Hitler ist in dem Stück, wie wir es aufführen, kein originärer, einzigartiger Zufall. Er ist viel weniger klischeehaft und viel mehr Manipulierer. Darin sehe ich das Gefährliche: Er ist sich seiner selbst bewusst und übernimmt die Kontrolle. Im Stück werden auch Zitate von lebenden Politikern zu hören sein. Schauen Sie sich mal an, welche Politiker gerade an der Macht sind. Donald Trump – ein pathologischer Fall für sich. Erdogan, – unberechenbar aber für die Deutschen Verhandlungspartner genug. In der Schweiz die SVP, die im Wahlkampf Stimmung gegen Ausländer macht. In Österreich Heinz-Christian Strache, der bei Kameradschaften auftritt und Journalisten beschimpft. In Deutschland Alice Weidel, die eine lesbische Beziehung führt, aber für eine Partei eintritt, die gegen homosexuelle Partnerschaften ist. Selbst Angela Merkel, inzwischen in der vierten Legislaturperiode, zeigt seltsame Züge von Machtgier. Das sind alles Elemente, die, wenn man sie falsch zusammensetzt, einen Hitler ergeben. Es ist unsere verdammte Aufgabe und Pflicht im Theater, darauf hinzuweisen. Interview: Sandra Pfanner

DIE ZUSCHAUER SOLLEN DAVIDSTERN ODER HAKENKREUZ TRAGEN Die Aufführung: «Mein Kampf» beginnt laut Theater Konstanz schon mit dem Kartenkauf. Zuschauer können sich entscheiden: Mit dem regulären Erwerb einer Eintrittskarte in der Kategorie ihrer Wahl erklären sie sich bereit, im Theatersaal einen Davidstern zu tragen. «Sie haben auch die Möglichkeit, kostenlos ins Theater zu gehen: Für eine Freikarte willigt die Zuschauerin oder der Zuschauer ein, im Theatersaal ein Hakenkreuz zu tragen. Die Symbole erhalten Sie vor der Vorstellung im Theaterfoyer. Bitte nehmen Sie diese nach der Vorstellung noch im Theater wieder ab», so das Theater.

Proteste: «Ihr Theater-Einsatz von NS-Davidsternen, unter denen unzählige, völlig unschuldige Menschen in ganz Europa gedemütigt und ermordet wurden, stellt eine Verunglimpfung dieser Opfer da und ist unter keinen Umständen akzeptabel», schreiben Erhard Roy Wiehn, Salomon Augapfel und Minia Joneck, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Konstanz, in einer gemeinsamen Stellungnahme. Die Antwort des Dramaturgen Daniel Grünauer: «George Taboris Farce ‹Mein Kampf› ist eine Auseinandersetzung mit dem, was der Autor den «Fluch, seinen Feind zu ver-

stehen» genannt hat, ein subversives VerwirrSpiel zwischen Schmerz und Scherz. Darauf zielt unser Ansatz ab. Zentral im Stück ist dabei die Fülle an Bezügen, Anspielungen, Symbolen und Zitaten, derer wir uns bewusst im künstlerischen Prozess bedienen. Wir freuen uns, wenn Theater von gesellschaftlicher Relevanz ist und der Theaterbesuch eine Diskussion eröffnet. [...] Die künstlerische Auseinandersetzung mit moralischen Fragen begleitet den Zuschauer von Anfang an. Die beiden Symbole (Davidstern und Hakenkreuz) sind hierbei ein notwendiger Teil des Kunstwerks. Das Tragen des Davidsterns ist eine positive Geste der

Solidarität mit den Opfern von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, Fanatismus und Faschismus. Die Inszenierung als Ganzes will gerade vor Verunglimpfung, Ausgrenzung und wachsendem Totalitarismus in Europa und weltweit warnen. Dürfen die das überhaupt? Die öffentliche Zurschaustellung von NS-Symbolen ist in Deutschland nach den Paragraphen 86 und 86a des Strafgesetzbuches verboten. Allerdings verweist das Theater auf die künstlerische Freiheit und darauf, dass die Inszenierung schon mit dem Kartenkauf beginnt. sap


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.