Programmheft »Carmen«

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CARMEN Georges Bizet


Jamais Carmen ne cédera ! Libre elle est née et libre elle mourra ! Nie wird Carmen nachgeben! Frei wurde sie geboren und frei wird sie sterben!


CARMEN → Opéra comique in vier Akten Musik Georges Bizet Text Henri Meilhac & Ludovic Halévy nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée

Orchesterbesetzung 2 Flöten (beide auch Piccolo), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Kornette, 3 Posaunen, Pauken, Schlagzeug, Harfe, Streicher Bühnenmusik 2 Kornette, 3 Posaunen

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. einer Pause Autograph Département de la Musique de la Bibliothèque Nationale de France Uraufführung 3. März 1875, Opéra-Comique Paris Erstaufführung an der Wiener Hofoper 23. Oktober 1875



INHALT

Die Handlung 4 Synopsis in English 6 Über dieses Programmbuch 9 Das Unerhörte im oft Gehörten →  Andrés Orozco-Estrada 10 Vergiss Carmen! →  Prosper Mérimée 16 Im Grenz­gebiet →  Ann-Christine Mecke 18 Abschied vom Militär →  Prosper Mérimée 24 Skandalöse Entgleisung → Susan McClary 30 Garcias Tod →  Prosper Mérimée 38 Carmen oder Bin ich das Arschloch der Achtziger Jahre → Wolf Wondraschek 40 Ein ziemlich andauernder Erfolg → Andreas Láng 48 Ich will frei sein! →  Prosper Mérimée 58 Toro muerto, vaca es →  Carrie B. Douglass 60 Unmögliches! →  Prosper Mérimée 74




DIE HANDLUNG 1. Akt Vor einer Zigarettenfabrik im Süden Spaniens schieben Soldaten Wache unter Leitung des Gefreiten Moralès. Micaëla, eine junge Frau aus dem Basken­ land, sucht Don José, mit dem sie aufgewachsen ist. Dieser hat gerade keinen Dienst. Als die Soldaten zudringlich werden, flieht Micaëla. Nach dem Wachwechsel, mit dem José seinen Dienst antritt, ist Pause in der Zigarettenfabrik. Die Arbeiterinnen treten auf den Platz – von den Männern begeistert betrachtet. Am begierigsten wird Carmen erwartet. Sie kommt und singt ein Lied über die Unberechenbarkeit und Unbeherrschbarkeit der Liebe. Am Ende wirft sie José eine Blume zu. Micaëla überreicht José einen Brief und berichtet, dass Josés Mutter ihr aufgetragen hat, ihn von ihr zu küssen. José ist gerührt und verwirrt von dieser überraschenden Erinnerung an sein früheres Leben. Die Fabrikarbeiterinnen alarmieren die Wachsoldaten: Carmen hat im Streit eine Kollegin verletzt. Im Verhör durch Leutnant Zuniga antwortet Carmen nur provozierend. José erhält den Auftrag, Carmen zu bewachen. Flirtend und mit der Aussicht auf ein Wiedersehen in der Kneipe von Lillas Pastia bringt Carmen ihn dazu, seine Pflicht zu vernachlässigen. Carmen gelingt die Flucht.

2. Akt Am Rande der Stadt betreibt Lillas Pastia eine improvisierte Kneipe, in der Zuniga und Morales zu Gast sind und von Frasquita und Mercédès unterhalten werden. Carmen singt ein aufstachelndes Lied. In Begleitung feiernder Soldaten kommt der Stierkämpfer Escamillo, wird bejubelt und zieht weiter. Die Schmuggler Dancaïre und Remendado schlagen den Frauen ein kriminelles Manöver vor, bei dem die Frauen ihre weiblichen Reize einsetzen sollen. Frasquita und Mercédès schließen sich ihnen an, Carmen lehnt ab. Sie ist in José verliebt und will auf ihn warten. José war wegen Carmens Flucht zwei Monate in Haft, heute sieht er sie erstmals wieder. Als schon nach kurzer Zeit das Signal zum Zapfenstreich ertönt, ist Carmen erbost, dass José ihm Folge leisten möchte. Der Streit eskaliert. Als José tatsächlich aufbrechen will, kommt Leutnant Zuniga zurück, DIE H A N DLU NG

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der es ebenfalls auf Carmen abgesehen hat. José verteidigt sie aggressiv. Als José und Zuniga sich prügeln, kehren die Schmuggler zurück und setzen Zuniga außer Gefecht. José hat den Zapfenstreich ignoriert und seinen Vorgesetzten angegriffen und sich damit für ein Leben mit der Schmugglerbande entschieden.

3. Akt Im Grenzgebiet treffen sich die Schmuggler und warten auf eine Gelegenheit, ihre Waren über die Grenze zu bringen. Carmen und José streiten sich, nicht zum ersten Mal: Sie möchte sich nichts befehlen lassen, er sieht in solchen Momenten »den Teufel« in ihr. Frasquita, Mercédès und Carmen legen sich die Karten: Mercédès sieht für sich die große Liebe voraus, während Frasquita sich einen reichen Ehemann und dessen baldiges Ableben prophezeit. Carmen erkennt in den Karten den Tod: erst ihren eigenen, dann den Josés. Die Schmuggler machen sich an die Arbeit. Micaëla hat sich zu den Schmugglern durchgeschlagen und verpasst ihren Abzug nur knapp. Sie versteckt sich, um auf José zu warten. José, der als Wache in der Nähe des Schmugglerlagers geblieben ist, trifft auf Escamillo, der Carmen sehen möchte. José geht mit dem Messer auf ihn los. Die zurückkehrenden Schmuggler trennen die Kämpfenden. Escamillo verabschiedet sich siegesgewiss und lädt alle zu seinem nächsten Stierkampf ein. Die Schmuggler entdecken Micaëla, die José drängt, zu seiner Mutter zurückzukehren. José zögert, weil er befürchtet, dass Carmen sich in seiner Abwesenheit Escamillo zuwenden könnte. Micaëla erzählt schließlich, dass Josés Mutter im Sterben liege, und kann ihn damit umstimmen. Von ferne ist Escamillos Lied zu hören.

4. Akt Vor der Arena herrscht große Aufregung: Die Menge bejubelt die einziehenden Mitwirkenden des Stierkampfes. Als letztes kommt der begeistert empfangene Matador Escamillo. Bevor der Kampf beginnt, versichern er und Carmen sich ihre gegenseitige Liebe. Frasquita und Mercédès warnen Carmen vor José, den sie in der Menge gesehen haben, aber Carmen will der Konfrontation nicht ausweichen und bleibt allein zurück. José stellt Carmen zu Rede, um sie zu einem Neuanfang zu drängen. Er bedroht sie, aber sie liebt ihn nicht mehr und ist nicht bereit zu heucheln. Während die Menge in der Arena dem erfolgreichen Escamillo zujubelt, ersticht José Carmen. 5

DIE H A N DLU NG


SYNOPSIS Act 1 Under the command of their corporal Moralès, soldiers are on guard duty outside a cigarette factory in the South of Spain. Micaëla, a young woman from the Basque region, is looking for a man she grew up with, Don José. He is not on duty. When the soldiers start to scare her making strong advances, she runs away. After the changing of the guard, as José goes on duty, the cigarette factory employees take a long break. The female workers enter the square – watched enthusiastically by the men. The woman most eagerly awaited is Carmen. She arrives and sings a song about the unpredictability and uncontrollability of love. At the end, she throws a flower to José. Micaëla gives José a letter and tells him, that his mother has also instructed her to give José a kiss for her. José is moved and confused about this surprising remembrance of his past life. The female workers alarm the guarding soldiers: during a fight Carmen has injured one of her co-workers. During questioning by the lieutenant Zuniga, Carmen answers provocatively. José is ordered to guard and keep a watch on Carmen. By flirting and the promise of possibly meeting her later at Lilia Pastia’s bar, Carmen makes José neglect his duties. Carmen is able to escape.

Act 2 On the outskirts of the city, Lilia Pastia hosts an improvised bar in which Zuniga and Morales are guests entertained by Frasquita and Mercédès. Carmen sings a stimulating song. Accompanied by celebrating soldiers, the bullfighter Escamillo then arrives. After being cheered and acclaimed, he moves on with his entourage. The smugglers Dancaïre and Remendado suggest to the women a potential criminal maneuver in which their feminine charms are particularly required. Frasquita and Mercédès accept and join them, but Carmen declines. She is in love with José and chooses to wait for him. José was punished to two months in prison because of Carmen’s escape, but today he can finally see her again. Unfortunately, after a short time, the last post SY NOPSIS

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trumpet call is heard and Carmen is infuriated that José wants to follow the call and return obediently to the barracks. The argument escalates. At the moment José finally decides to leave, lieutenant Zuniga returns to the bar, who has likewise thrown a glance at Carmen. José defends her aggressively. As José and Zuniga fight each other, the smugglers return and dispatch the lieutenant. Since José has now ignored the last trumpet call and attacked his superior officer, there is no way back and he has no choice but to lead a life as a member of the smugglers’ gang.

Act 3 In the frontier zone, the smugglers meet and wait for an opportunity to bring their goods over the border. Carmen and José are arguing with each other, and not for the first time: she will not let herself be controlled, and in such moments, he sees the devil in her. Mercédès is convinced she will find a great love, while Frasquita predicts for herself a rich husband who will soon pass away. Carmen sees death in the cards: first her own and then José’s. The smugglers get to work. Micaëla has managed to catch up to the smugglers but narrowly misses their withdrawal. She hides, waits, and hopes to find José. José, who has stayed behind in sentry duty, meets Escamillo, who would like to see Carmen again. José attacks him with a knife. The returning smugglers separate the fighters. Escamillo takes leave of them confident of his victory and invites them all to his next bullfight. The smugglers discover Micaëla. She begs José to return to his mother. José hesitates because he is fearful that in his absence Carmen could turn her attention to Escamillo. Micaëla finally explains that José’s mother is dying and can thereby at last convince him. Escamillo’s song is heard in the distance.

Act 4 The arena’s entrance is full of excitement. The fans are cheering for the entering participants of the bullfight, especially the wildly acclaimed matador Escamillo. Before the bullfight begins, he and Carmen pledge their love to each other. Frasquita and Mercédès warn Carmen about José, who they have seen in the crowd, but Carmen refuses to evade the confrontation and stays behind alone. José begs Carmen to renew their relationship and threatens her, but she no longer loves him and is not willing to play the hypocrite. While the fans in the arena celebrate the successful Escamillo, José stabs Carmen. 7

SY NOPSIS



ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

← Mitglieder der Komparserie

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Carmen spielt in den unteren Gesellschaftsschichten, die handelnden Figuren sind Soldaten, Roma, Fabrikarbeiterinnen und Schmuggler; die Protagonistin ist eine Frau, die Männer mit erotischen Mitteln für sich einnimmt und auf ihrer Freiheit besteht. Bei der Uraufführung 1875 in Paris sorgte all das für Kontroversen (eine bestürzte Rezension finden Sie auf S. 29). Wie eine heutige Aufführung die revolutionäre Frische der Uraufführung durch akribische Detailarbeit und engen Kontakt zur Szene wieder erschaffen kann, beschreibt der Premierendirigent Andrés Orozco-Estrada auf den folgenden Seiten. Auch das Regieteam um Calixto Bieito war auf der Suche nach einer Carmen jenseits der Klischees und fand Anregungen sowohl im Grenzgebiet um die spanische Exklave Ceuta als auch in der literarischen Vorlage zur Oper, der ungewohnt harten Carmen-Novelle von Prosper Mérimée. Mehr über die Hintergründe der Inszenierung erfahren Sie ab S. 18, Ausschnitte aus dem Text Mérimées durchziehen dieses Programmbuch. Außerdem haben wir Arbeiten verschiedener Fotokünstler ausgesucht, die sich mit den Themen der Produktion beschäftigen. Zu sehen sind dokumentarische Fotos aus der spanischen Provinz von Txema Salvans (von dem auch das Titelbild stammt) und aus der spanischen Exklave Melilla von Jordi Camí und Gianfranco Tripodo sowie ein inszeniertes Foto dreier Schmugglerinnen aus Ceuta von der marokkanischen Künstlerin Randa Maroufi. Was war es, das bei der Uraufführung als so ungeheuerlich empfunden wurde? Die amerikanische Musikwissenschaftlerin Susan McClary erläutert die musikalischen »Entgleisungen« ab S. 30. Die Legende besagt, dass die Wiener Erstaufführung mit nachkomponierten Rezitativen statt der originalen Dialoge für den Durchbruch der Oper sorgte. In seinem Artikel über die Wiener Aufführungsgeschichte von Carmen hat Andreas Láng diese Legende kritisch durchleuchtet (S. 48). Am Ende von Bizets Oper wird die Ermordung der weiblichen Haupt­ figur und die Tötung des Stieres in einer Corrida parallel geführt: Während Don José seine Ex-Partnerin umbringt, jubelt die Menge in der Arena dem erfolgreichen Matador zu. Welche Parallelen zwischen Frau und Kampfstier es in der spanischen Kultur gibt, erörtert die Ethnologin Carrie Douglass ab S. 60.


Andrés Orozco-Estrada

DAS UN­ERHÖRTE IM OFT GEHÖRTEN Carmen-Details

I. Schrieb Gustav Mahler, als er mit fernöstlichen Sujets und Klangelementen experimentierte, außereuropäische, ja fernöstliche Musik? Oder gab es nur Einflüsse, die er aufnahm – um dann, in dem was er schuf, wieder ganz Mahler zu sein? Ich meine mit gutem Grund, dass letzteres zutrifft. Nicht anders ist es bei Bizet und Carmen. Es handelt sich, musikalisch gesehen, um kein spanisches Werk, sondern um eine typische französische Opéra co10


mique, ganz in der Tradition eines Charles Gounod. Denn Bizet, der Spanien kaum kannte, hatte beim Komponieren zwar ein Bild dieses Landes vor Augen, doch war dieses nichts anderes als eine subjektive Sicht eines französischen Komponisten auf das ihm fremde Spanien. Wie auch die literarische Basis, eine Novelle von Prosper Mérimée, eine französische ist – selbst wenn der Autor die beschriebene Gegend oft bereist hatte und gut kannte. Daher scheint es mir als Dirigent wesentlich, dass man den französischen Hintergrund stets im Kopf behält und nicht um jeden Preis versucht, die Carmen-Musik übertrieben »spanisch« klingen zu lassen. Wenn es nun jemand im Publikum so empfindet und zum Beispiel die Hitze Andalusiens hört – umso besser. Aber ich setze es mir nicht zum Ziel, hier eine musikalische Geografie zu betreiben. Für Bizet wiederum stellte sich die Frage, wie authentisch-spanisch seine Carmen eigentlich sei, in dieser Form überhaupt nicht. Was ihn interessierte waren die Energie, der Schwung, das Drama – und natürlich, der Mode der Zeit gemäß, der exotische Reiz des Stoffes. Und so mischte er spanische Bruchstücke, Rhythmen und Motive mit erfundenen Melodien »im spanischen Stil«. Manches ist also nachempfunden, anderes original – und beides wird eingesetzt, um ein bestimmtes Kolorit zu erzeugen. Im Auftrittslied des Escamillo zum Beispiel haben die Begleitfiguren, die beim »Votre toast« im Orchester erklingen, die rhythmische Faktur des Paso Doble, also jenes traditionellen spanischen Tanzes, der den Stierkampf thematisiert. Hier griff Bizet also auf einen echten spanischen Tanz zurück und definierte so die Figur sowohl auf musikalischer als auch auf inhaltlicher Ebene präzise.

II. Eine Herausforderung bei Carmen ist es, sich durch den Melodienreichtum und die Schönheiten der Partitur nicht von einem genauen Blick unter die Oberfläche abhalten zu lassen. Denn gerade im Detail erkennt man die brillante Handwerkskunst Bizets. Wenn etwa Micaëla zu Beginn der Oper auf Moralès trifft, übernimmt sie im Laufe des kurzen Dialogs eine seiner musikalisch prägnanten Phrasen. Es steht außer Zweifel, dass es Bizet hier um mehr als nur die simple Wiederholung einer hübschen Melodie ging. Vielmehr wollte er etwas über das Verhältnis der beiden sagen. Ein anderes Beispiel für diese Herausforderung ist der Kopf des »Toreador«-Themas in der Ouvertüre: Bizet notiert beim ersten Einsatz ein Piano bzw. sogar ein Pianissimo und steigert sich erst bei der Wiederholung zum Fortissimo. Doch gerade weil die Melodie so charakteristisch, packend und schwungvoll ist und in den Streichern auch noch unisono gespielt wird, hört man in der Praxis die Stelle nur selten im Piano. Was schade ist, denn Bizet erzeugt einen räumlichen Effekt – zuerst ertönt die Musik aus der Ferne, dann rückt sie näher 11

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– sowie einen reizvollen Kontrast zur Wiederholung. Ein drittes Beispiel: Mercédès und Frasquita bilden als Gefährtinnen Carmens zwar eine Einheit, sie haben aber sehr unterschiedliche Charakterzüge, die auch in der Musik ausgeführt werden. Die eine ist träumerischer, glaubt an den Märchenprinzen, schwebt in den Wolken, die andere steht mit beiden Beinen am Boden. Dass in der aktuellen Inszenierung von Calixto Bieito diese Persönlichkeiten besonders deutlich herausgearbeitet sind, freut mich sehr: so fügen sich Szene und Musik sehr genau zueinander und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Aussage. Wie auch im Schmuggler-Quintett: Dancaïre ist in dieser Inszenierung offensichtlich drogenberauscht und daher überdreht, was wiederum durch das rasante Tempo des Quintetts – für alle Beteiligten übrigens die schwierigste Stelle der gesamten Oper – widergespiegelt wird. Dass Bizet als Klangfarbenmagier und als Genie der Instrumentierungskunst gilt, erstaunt nicht: Er kann die Farben im Orchester sehr genau steuern und verwendet sie, um ganz spezifische Stimmungen zu erzeugen. Wie er etwa im Kartenterzett, sobald Carmen hinzutritt und es um Schicksal und Tod geht, die Pauken und Posaunen einstimmen lässt, wie er in der Blumenarie den charakteristisch-elegischen Ton des Englischhorns einbindet, wie Trompeten das Militärische andeuten, Kastagnetten das Tänzerische und Erotische oder die Harfe das Traumhafte charakterisiert, das alles zeigt, zu welch elaborierter Klangdramaturgie Bizet fähig war. Micaëlas Arie im dritten Akt ist ein Sonderfall. Von Anfang an hatte ich bei diesem Musikstück den Eindruck, dass es sich nicht ganz organisch zum Rest fügt, ich spürte immer etwas Fremdkörperhaftes an der Arie, nicht nur, was die ungewöhnliche Instrumentalbegleitung angeht, sondern auch, was ihren Charakter sowie die musikalische Hinführung zu ihr anbelangt. Des Rätsels Lösung: Die Arie entstammt eigentlich aus einem früher entstandenen Opernfragment Bizets und wurde, mit neuem Text versehen, in die CarmenPartitur eingefügt. Dennoch: ein Meisterwerk. Und in diesem Fall ist dieses Fremde letztlich genau richtig, ist doch Micaëla fremd in der Welt der Schmuggler und Ganoven.

III. Spannend ist für mich die Frage, wie man die Frische, das Ursprüngliche, ja das Revolutionäre, das bei der Uraufführung für Spannungen gesorgt hat, heute aufs Neue hervorbringen kann. Denn es gibt ja kaum eine Oper, die so populär wie Carmen ist und von so vielen – bereits nach nur einmaligem Hören – wiedererkannt wird. Wie macht man es also, einem so oft gehörten Stück den unerhörten Geist der Uraufführung wiederzugeben? Zum Beispiel, indem man auf den Ursprung blickt, hier eine Dissonanz schärft, dort ein Tempo richtigrückt und Traditionen hinterfragt. Nicht um der Irritation A N DR É S OROZCO -E ST R A DA

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willen, sondern um dem Werk seine Wahrheit zu geben. Indem man sich ein wenig von den altbekannten (und nicht immer richtigen) Überlieferungen entfernt, stößt man auf das, was an Wildheit, an Wut, an revolutionärer Kraft in der Musik steckt. Und damit ist ein zentrales Wort gefallen: Tradition. Wie bei allen, besonders aber den so bekannten Werken, birgt sie neben Chancen auch Gefahren. Um die Chancen zu nützen und die Gefahren zu vermeiden muss man zwischen sinnvoller Tradition einem »So haben wir es immer schon gemacht« unterscheiden. Schon bei den allerersten musikalischen Proben bin ich daher mit Pianistinnen des Hauses das Werk durchgegangen, um zu lernen, wie man hier, an der Staatsoper, Carmen bisher gespielt hat. Ich stellte viele Fragen: Warum hält man da eine »Traditionsfermate«? Und warum gibt es hier ein Rubato? Hat es eine Begründung, oder hat es sich einfach so eingeschliffen? Ich notierte mir die Stellen und sagte mir auf gut Wienerisch »Schaun wir mal.« Und ich beschloss, diese Stellen als Chance zu sehen, als Angebot, das ich aber auf seine Gültigkeit und Sinnhaftigkeit abklopfen muss. Nur weil man es lange so spielte, muss es nicht falsch sein – aber eben auch nicht richtig. Wie bei einem Kartenspiel legte ich im Kopf nebeneinander, links: Das sagen die Noten, rechts: Das erzählt die Tradition. Und in der Mitte trifft beides aufeinander. Im Idealfall verbinden sich dabei die Unverbrauchtheit des Notenmaterials und die Erfahrung der langjährigen Praxis zu etwas Spannendem. Manchmal aber ziehe ich das eine dem anderen vor. Oft führe ich beides zusammen. Aber immer will ich eine Begründung, die über eine simple Annahme oder Ablehnung der Tradition hinausgeht. Dieses Kopf-Kartenspiel findet freilich – wie beschrieben – nicht in einem leeren Raum statt, sondern immer in Bezug auf eine konkrete Inszenierung. Natürlich soll die Musik reflektieren und sich mit dem auseinandersetzen, was ein Regisseur anbietet: einerseits technisch (ich muss den Bühnenraum, die Stellung und Entfernungen der Sänger, des Chores zueinander und zum Orchester stets in meine Arbeit aufnehmen), andererseits dramaturgisch: nur als Einheit von Szene, Drama, Geschichte und Musik ist eine Oper sinnvoll. Und so komme ich erneut auf das oben angesprochene Neue: Ich kann es in der authentischen, wahrhaften Wiedergabe finden, ich kann es im Zusammenklang mit der Regie finden, vielleicht aber auch einen zündenden Funken aus dem Widerstand gegen eine falsche Tradition gewinnen.

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DAS U N ER HÖRT E IM OF T GEHÖRT EN


Anita Rachvelishvili als Carmen und Piotr Beczała als Don Josè



VERGISS CARMEN! Ich stand mitten in der Stube, beladen mit all den Waren, die sie eingekauft hatte, und wusste nicht wohin damit. Sie warf den ganzen Kram zu Boden, sprang mir um den Hals und rief: Ich tilge meine Schulden, das ist Kalé1Gesetz! Herr, das war ein Tag, das war ein Tag! Wenn ich daran denke, vergesse ich den, der morgen kommt ... Der Bandit schwieg einen Augenblick. Dann setzte er seine Zigarre wieder in Brand und fuhr fort: Wir verbrachten den ganzen Tag mit Essen, Trinken und dem Übrigen. Nachdem sie wie ein kleines Kind vom Zuckerzeug gegessen hatte, warf sie Händevoll davon in den Wasserkrug der Alten. Ich mache ihr Sorbet, sagte sie. Sie warf zerquetschte Yemas2 an die Wand. Damit uns die Fliegen in Ruhe lassen, erklärte sie. Es gab keinen Unsinn, den sie nicht gemacht hätte. Ich sagte, dass ich sie tanzen sehen möchte. Doch wo Kastagnetten auftreiben? Sofort nimmt sie den einzigen Teller der Alten, bricht ihn in Stücke, und siehe da, sie tanzte den Romalis3 unter dem Geklapper der Steingutscherben genauso gut, als hätte sie Kastagnetten aus Ebenholz oder Elfenbein gehabt. Bei dem Weibe langweilte man sich nicht, das versichere ich Ihnen. Der Abend brach herein, und ich hörte in der Ferne den Trommelschlag des Zapfenstreichs. Ich muss zum Appell in die Kaserne, sagte ich zu ihr. In die Kaserne? rief sie in verächtlichem Tone. Du bist wohl ein Sklave, den der Stock regiert? Du bist ein echter Kanari4, außen wie innen! Geh, du Angsthase! Ich blieb, mich im Voraus mit dem Arrest abfindend. Am Morgen war sie die erste, die vom Abschied sprach. Joseito, sagte sie, höre mal! Du bist abgefunden. Nach Gesetz war ich dir überhaupt nichts schuldig, weil du ein Payllo5 bist; aber du bist ein hübscher Junge und hast mir gefallen. Wir sind quitt. Guten Tag! Ich fragte sie, wann ich sie wiedersehen könne. Wenn du nicht mehr so dumm bist! erwiderte sie lachend. Ernsthafter setzte sie dann hinzu: Weißt du, Jungchen, dass ich dich ein wenig liebe? Doch das wird nicht lange währen. Hund und Wolf vertragen sich auf die Dauer nicht. Wenn du zum ägyptischen Gesetz6 wechseln würdest, würde ich wohl gern deine Romi7 sein. Aber das ist dummes Zeug; es geht nicht.

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Glaube mir, mein Junge, du bist gut weggekommen. Der Teufel ist dir in den Weg gerannt, jawohl der Teufel. Er ist nicht immer schwarz, und den Hals hat er dir auch nicht umgedreht. Ich gehe zwar in Wolle, aber ich bin alles andre denn ein Schaf. Geh, stifte deiner Majari8 eine Wachskerze; die hat sie wahrlich verdient. Also nochmals: Gott befohlen! Vergiss Carmencita! Sonst könnte es geschehen, dass sie dich an eine Witwe mit Holzbeinen verkuppelt. So redend, nahm sie den Querbalken fort, der die Türe schloss, und wie sie auf der Gasse war, hüllte sie sich in ihre Mantilla9 und drehte mir den Rücken zu. → Prosper Mérimée, Carmen

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1 Eigenbezeichnung der Roma 2 Süßspeise aus Eigelb 3 Tanz der Roma 4 Verweis auf die gelbe Kleidung der Dragoner, zu denen José gehört. 5 Nicht-Roma. 6 Roma-Recht; die Bezeichnung beruht (wie »Gitano« oder »Gypsy«) auf der Annahme, die Roma würden aus Ägypten stammen. 7 Partnerin 8 Maria 9 Wörtlich »Mäntelchen«, traditionelles spanisches langes Kopftuch aus Spitze


Ann-Christine Mecke

IM GRENZGEBIET

Zu Calixto Bieitos Inszenierung 18


Ein Kolportage-Roman wird Oper Es sind die Randbereiche der spanischen Gesellschaft, in die uns die Vorlage zur Oper Carmen führt, Prosper Mérimées gleichnamige Novelle: Soldaten mit krimineller Vorgeschichte, Schmuggler, Prostituierte, Fabrikarbeiterinnen und spanische Roma sind die handelnden Figuren. Erzählt wird in einer doppelten Rückblende: Der Erzähler begegnet auf seiner Reise durch Andalusien einem gesuchten Kriminellen und mehrfachen Mörder: Don José. Dieser erzählt seine Lebensgeschichte: Bei einem Streit in seinem baskischen Heimatdorf hat er seinen Gegner mit einer Eisenstange getötet, musste seine Heimat verlassen und landete beim Militär in Andalusien. Nachdem er die Bekanntschaft mit der Roma Carmen gemacht hat, gerät er ins kriminelle Milieu: Er ersticht einen Leutnant, der ihm als Rivale um Carmens Gunst erscheint, und wird Mitglied ihrer Schmuggler- und Räuberbande. Die Bande ist skrupellos, nicht nur im Umgang mit den überfallenen Opfern, sondern auch untereinander: Als José einen auf der Flucht angeschossenen Kumpanen tragen will, schießt ein anderer dem Verletzten ins Gesicht, damit er der Gruppe nicht zur Last fällt und nicht identifiziert werden kann. José fordert Garcia, den offiziellen Partner Carmens, zum Duell und ersticht ihn, worauf der Anführer ihm erklärt: »Hättest du Carmen einfach von ihm verlangt, er hätte sie dir um einen Piaster verschachert!« Auch Carmen verhält sich rücksichtslos: Als Kopf der Bande fädelt sie Schmuggelgeschäfte und Raubüberfälle ein. Dabei wirkt sie völlig unabhängig, bewegt sich autonom zwischen Sevilla, Gibraltar und Cordoba und trifft die Männer ihrer Bande nur gelegentlich, um neue Pläne zu besprechen und José zu sehen, der sich als zunehmend eifersüchtig und aggressiv erweist. Sie hingegen schläft mit wohlhabenden Männern, lässt sich dafür bezahlen, nutzt aber vor allem die emotionale Abhängigkeit dieser Männer aus, um sie in die Falle zu locken. Um Schmuggelaktionen zu ermöglichen, nimmt sie auch Wachsoldaten mit erotischen Mitteln für sich ein. José ermordet Carmen, weil sie sich weigert, sich nach dem Erkalten ihrer Gefühle weiter an ihn zu binden. Es ist eine geplante, vorbereitete Hinrichtung in einer einsamen Schlucht, und der Bandit schließt seine Erzählung mit den Worten: »Die Kalé [Roma] sind schuld, sie haben sie so erzogen.« Die Carmen-Novelle ist ein geschickt komponierter und mit Expertenwissen angereicherter Kolportage-Roman, den der Autor auf sein französisches Lesepublikum zugeschnitten hat. Für die darauf beruhende Oper milderten die Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy die Kolportage-­Elemente etwas ab: Bis zum Mord an Carmen, der in der Oper eher ein Totschlag im Affekt ist, begeht José keine schweren Verbrechen. Raubüberfälle und Trickbetrug sind kein Thema, Prostitution wird lediglich angedeutet – die dargestellten kriminellen Aktivitäten der Schmugglerbande beschränken sich auf nächtlichen Warentransport. Carmen ist nicht mehr der autonom agierende 19

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Kopf der Bande, sondern Teil der Gemeinschaft; sie hat zwei Freundinnen an ihrer Seite und ihr Gesang findet stets Widerhall in der Gruppe, die in ihren Refrain einstimmt. Trotz dieser Zugeständnisse bleibt die gewalttätige Stimmung der Novelle auch in der Oper erhalten – die kontroverse Reaktion auf die Uraufführung beweist die Radikalität der Stoffwahl. Höchst ungewöhnlich war 1875 die Menge der auf der Bühne gezogenen und eingesetzten Messer, Degen, Gewehre und Pistolen. José ist zwar kein Serienmörder wie in der Novelle, zettelt aber mehrere bewaffnete Kämpfe an und muss von seinen Kontrahenten getrennt werden, bevor Schlimmeres geschieht. Und auch wenn das Opern­ libretto ihm eine (abwesende) Mutter und eine potentielle ideale Ehefrau an die Seite stellt, bleibt er ein besitzergreifender und aggressiver Zeitgenosse, der selbst bei den Schmugglern unangenehm auffällt. Wie die Novelle spielt die Oper unter den Entwurzelten und Heimatlosen: José musste ebenso wie die meisten seiner Soldaten-Kameraden seine Heimat verlassen, die Roma sind ohnehin der Inbegriff der Nicht-Sesshaften, Escamillo reist als Stierkämpfer von Corrida zu Corrida, und auch Micaëla befindet sich allein und schutzlos im fremden Land. Immer noch sind die Minderprivilegierten und Ausgestoßenen die handelnden Figuren: Arbeiterinnen einer Tabakfabrik, Soldaten, Roma und Kriminelle – lediglich der für die Oper hinzuerfundene Escamillo hat den sozialen Aufstieg geschafft.

Wartende Schmuggler an der Grenze der spanischen Exklave Melilla 2010. Foto aus der Serie Esclaus del contraban (Sklaven des Schmuggels) von Jordi Camí. →

Das spanische Grenzgebiet Das Andalusien des 19. Jahrhunderts war ebenso legendär wie gefährlich: Die Bevölkerung war arm, die Kriminalitätsrate hoch und die Landschaft mit ihren Schluchten und Felsen kaum zu kontrollieren. Die Nähe zu Gibraltar sorgte nicht nur für lebhaften Handel, sondern lockte auch Schmuggler und Bandoleros (Straßenräuber) an. Deshalb gab es einen hohen Bedarf an Soldaten, die aus Kriminellen und Verstoßenen anderer Landesteile rekrutiert wurden. Zur Vorbereitung für ihre Carmen-Inszenierung (die beim Festival Peralada 1999 erstmals gezeigt wurde) reisten Calixto Bieito und sein Team durch den spanischen Süden. Den gesuchten Grenzbereich Europas fanden sie nicht mehr in Andalusien, sondern erst auf der afrikanischen Seite, in der spanischen Exklave Ceuta, die von Marokko umgeben ist. Heute ist uns die exponierte Lage der Stadt wohl noch präsenter als 1999: Immer wieder versuchen Menschen auf der Flucht, den bereits mehrfach erhöhten Grenzzaun zu überwinden, um in die Europäische Union zu gelangen. Gleichzeitig wurde der Schmuggel von Alltagsgütern lange Zeit stillschweigend geduldet, erst seit Kurzem will Marokko härter durchgreifen. Inspiriert von Bildern aus und um Ceuta entstand die Carmen-Welt dieser A N N- CHR IST IN E MECK E

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Inszenierung. Dabei fanden manche Elemente der Novelle den Weg zurück in die Oper. Es ist wie Mérimeés Andalusien eine gefährliche und von Gewalt geprägte Welt, und wir sehen, wie ein Mädchen, vielleicht die Tochter von Mercédès, in diese Welt hineinwächst. Von der realistischen Anmutung der Kostüme und Szenen sollte man sich dabei nicht täuschen lassen: Diese Carmen spielt in einem poetischen Niemandsland. Kunstvoll werden nationale Symbole zitiert und durch Montage in Frage gestellt. Wir sind bei aller dokumentarischen Inspiration in einem künstlerisch verdichteten Raum, dessen Horizont immer von einer Barriere versperrt scheint. Grenzen, sagt Calixto Bieito, bedeuten immer auch Gefahr für diejenigen, die sie zu überschreiten versuchen. Und fast alle Figuren versuchen, die Grenzen zu überwinden, die Armut, Gewalt und Frustrationen ihnen setzen: Sie leben, lieben und feiern, und insbesondere in den szenisch gestalteten Zwischenspielen spürt man ihre Schönheit und ihre Sehnsüchte, die sie sich nicht haben austreiben lassen. Carmen sticht durch ihr Selbstbewusstsein, ihre Leidenschaft und ihre Klarheit heraus, bleibt aber in Bieitos Inszenierung ein Mensch aus Fleisch und Blut. Sie lacht über unser Stereotyp von einer »Zigeunerin« im Flamencokleid sicher nicht weniger als über Josés Behauptung, sie sei der Teufel.

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IM GR ENZGEBIET


Grenzzaun der spanischen Exklave Melilla. Aus der Serie Frontera Sur (Südgrenze) von Gianfranco Tripodo.



ABSCHIED VOM MILITÄR In der Nacht bekam ich den Posten an der Bresche. Kaum war der aufziehende Gefreite weg, da sah ich, wie ein Frauenzimmer auf mich zukam. Mein Herz sagte mir, dass es Carmen war; doch ich rief: Halt! Zurück! Hier ist kein Durchgang. Tu nur nicht so bös! rief sie wieder und gab sich zu erkennen. Carmen, du hier! Jawohl, lieber Landser! Ein paar Worte, kurz und bündig! Willst du dir einen Douro verdienen? Es werden Leute mit Hucken kommen. Lass sie durch! Nein! entgegnete ich. Ich muss sie anhalten. So lautet die Instruktion. Die Instruktion, die Instruktion! In der Lampengasse* hast du nicht daran gedacht. So! erwiderte ich, ganz wirr durch die bloße Erinnerung. Das wäre es wert, die Instruktion zu vergessen, aber ich nehme von Schmugglern kein Geld. Höre mal! Wenn du kein Geld willst, willst du, dass wir wieder bei der alten Dorothea unsre Mahlzeit halten? Nein, sagte ich, halb erstickt durch die Mühe, die mich die Ablehnung kostete. Ich kann nicht. Sehr gut! Wenn du so schwerfällig bist, so weiß ich, an wen ich mich zu wenden habe. Ich werde deinen Leutnant einladen, mit mir zur Dorothea zu gehen. Man sieht ihm an, dass er ein guter Junge ist, und er wird schon einen auf Posten stellen, der nur sieht, was er sehen soll. Leb wohl, Kanari. Und am Tage, wo die Instruktion lautet, dich zu henken, werde ich mir einen Ast lachen. Ich war so schwach, rief sie zurück und versprach, wenn nötig, die ganze Zigeunerbande durchzulassen, gegen die einzige Gegenleistung, die ich mir wünschte. Sofort schwor sie mir, sie werde gleich morgen ihr Wort einlösen. Dann eilte sie zu ihren Kumpanen, die in der Nähe waren. Es waren ihrer fünf, darunter Pastia, alle mit englischen Waren schwer beladen. Carmen stand Schmiere. Sie sollte mit ihren Kastagnetten warnen, sobald sie bemerkte, dass die Runde käme. Aber das war gar nicht nötig, denn die Schmuggler vollführten ihr Werk im Handumdrehen. Tags darauf ging ich in die Lampengasse. Carmen ließ auf sich warten und kam in ziemlich schlechter Laune. Leute, die sich nötigen lassen, mag ich nicht, sagte sie. Du hast mir das erste Mal einen größeren Dienst erwiesen, ohne dass du dabei auf irgend24


welchen Gewinn rechnetest. Gestern hast du mit mir gefeilscht. Ich weiß nicht, warum ich gekommen bin, denn ich habe dich nicht mehr gern. Hier hast du einen Douro für deine Mühe. Nun geh! Es fehlte nicht viel, dass ich ihr das Geldstück an den Kopf geworfen hätte, und ich musste mich gewaltsam beherrschen; sonst hätte ich sie verhauen. Nachdem wir uns eine Stunde lang gestritten, ging ich wütend weg. Einige Zeit irrte ich durch die Stadt, indem ich wie ein Narr hin- und herstrich. Endlich betrat ich eine Kirche, setzte mich in den dunkelsten Winkel und flennte heiße Tränen. Soldatentränen! Draus brau ich einen Liebestrank. Ich blickte auf. Carmen stand vor mir. Sag, Landser, grollt Ihr mir noch? fragte sie. Ich muss Euch doch wohl gernhaben, denn seit Ihr mich habt stehen lassen, ist mir unheimlich zumute. Schaut, jetzt bin ich‘s, die Euch fragt: Willst Du mit mir in die Lampengasse gehn? Also schlossen wir Frieden. Aber Carmen war launenhaft wie bei uns das Wetter. Nie ist in unsern Bergen Sturm näher, als wenn die Sonne am grellsten strahlt. Sie versprach mir, ein andermal zur Dorothea zu kommen; aber sie kam nicht. Und die Alte wollte mir weismachen, sie wäre nach Laloro (Portugal) gereist. Da ich aus Erfahrung wusste, was davon zu halten war, suchte ich Carmen überall, wo ich sie vermutete, und ich ging zwanzigmal am Tage nach der Lampengasse. Einmal abends war ich gerade bei Dorothea, die ich mir gewonnen hatte, weil ich ihr hin und wieder ein Glas Anisschnaps bezahlte, da trat Carmen ein, mit ihr ein junger Mann, Leutnant in meinem Regiment. Drück dich! Rasch! sagte sie auf Baskisch zu mir. Ich blieb, verdutzt, innerlich voll Wut. Was machst du hier? fragte mich der Offizier. Pack dich weg! Ich vermochte keinen Schritt zu tun; ich war wie gelähmt. Der Leutnant, zornentbrannt, da er sah, dass ich mich nicht entfernte, ja nicht einmal mein Käppi abgenommen hatte, packte mich am Kragen und schüttelte mich derb ab. Ich weiß nicht mehr, was ich ihm zurief. Er zog seinen Säbel und ich auch. Die Alte ergriff mich am Arm, und der Leutnant versetzte mir einen Hieb über die Stirn; die Narbe sieht man noch. Ich wich zurück und gab Dorothea einen Stoß mit dem Ellbogen, so dass sie rücklings hinfiel. Dann, wie der Leutnant mir nachkam, streckte ich ihm den Säbel entgegen. Er rannte hinein.

→ Prosper Mérimée, Carmen

* Calle Candelejo, wörtlich »Lampengasse«, Straße in Sevilla

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Dennoch mag es uns auch in der Oper manchmal so vorkommen, als ob die Gestalt des Escamillo und die ganze rauschende Schluss­szene gar nicht das Wesentliche seien und als ob Carmen am Ende viel weniger nach dem neuen ­Geliebten als nach ihrer Freiheit begehre. Da wäre dann, dank der Kraft der zugrundeliegenden Dichtung ­alles BürgerlichPathetische der Oper wieder aus­gelöscht und es träte wie in den erbarmungs­loseren und klareren Zügen der Novelle das Urbild der schönen Verführerin überzeugend hervor. → Marie Luise Kaschnitz (1962) Anita Rachvelishvili als Carmen →



Anita Rachvelishvili als Carmen, Slávka Zámečníková als Frasquita und Peter Kellner als Zuniga


Valga me dios! (Grundgütiger!) Die Freunde offenherziger spanischer Ausgelassenheit kamen gewiss auf ihre Kosten. Hierfür sorgten Andalusierinnen mit sonnenge­ bräunten Brüsten, von denen ich gerne annehme, dass sie nur in den Kaschemmen von Sevilla oder von Granada, der hübschen, zu finden sind. Verflucht seien diese Weiber, die die Hölle ausgespien hat! Und welch kastilische Schamlosigkeit bietet diese sonderbare Opéra comique! Ein Alptraum aus Kastagnetten, verliebten Blicken à la Congreve, provokanten Verrenkungen, Messerhieben, von beiden Geschlechtern galant versetzt, aus von diesen Damenhänden gerösteten Zigaretten, aus Liebes- und Wutgebrüll, aus wollüstigen, nein: anstößigen Veitstänzen, Eifersuchtsanfällen, leidenschaftlichem Flehen, aus Todes­­drohungen und Exaltationen aller Art. Diese Carmen, deren Erscheinung man im Élysée, in Montmartre oder Chez Valentin selbst noch im Karneval als gewagt empfinden würde, ist buchstäblich absolut tollwütig. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Sicherheit der Dragoner und Toreros, die dieses Fräulein umgeben, sollte man sie knebeln und ihre zügellosen Hüftschwünge unterbinden, indem man ihr zur Erfrischung einen Eimer Wasser über den Kopf schüttet und sie anschließend in eine Zwangsjacke steckt. Der pathologische Zustand dieser Unglücklichen, die sich - wie der Notar aus den »Mystères de Paris« – auf Gedeih und Verderb der Fleischesglut weiht, ist glücklicherweise ein äußerst seltener Fall. Er ist eher geeignet, ärztlichen Eifer, als das Interesse ehrenhafter Zuschauer zu erregen, die in Begleitung ihrer Frauen und Töchter die Opéra-Comique besuchen. → Aus Oscar Comettants Kritik der Uraufführung in Le Siècle, 8. März 1875


Susan McClary

SKANDALÖSE ENTGLEISUNG

Carmen und die Tradition der Opéra comique


Carmens musikalische Promiskuität Im Gegensatz zu den anderen Figuren, die meist innerhalb eines einzigen musikalischen Stils verbleiben, bewegt sich Carmen in allen Stilen virtuos. Wenn sie mit sich selbst spricht (wie im Kartenterzett) oder es ernst meint (wie im finalen Dialog mit José), werden ihre Äußerungen nicht stilistisch abgehoben – als wären persönliche Aussagen universell, unbeeinflusst von Ethnizität oder Geschlecht. Aber ihre öffentliche Persona ist semiotisch promisk: Sie singt zwar »Zigeunermusik«, doch stets so, dass man das einfach als Darbietung von Kabarettnummern verstehen kann und nicht als persönlichen Ausdruck. Sie kann sich in Josés musikalischer Sprache fließend verständigen und verführt ihn in der Seguidilla mit Hilfe seines eigenen pathetischen Stils; sie singt ein Duett mit Escamillo und scherzt mit ihren Schmugglerkollegen. Wie Mérimées Carmen beherrscht Bizets Heldin die Sprachen der Menschen um sie herum und kann leicht in sie hinein- und herausschlüpfen, ohne »sich selbst« zu verraten. Dieser Aspekt von Carmens Charakter weckt sowohl Faszination als auch Misstrauen. Bliebe Carmen durchgehend »Orientalin«, wäre sie nicht annähernd so bedrohlich. Stattdessen schlüpft sie unvorhersehbar vom »exotischen Tanz« einer Kabarettnummer in die Hochkultur und bringt die kulturellen Grenzen von Klasse, Rasse und sexuellem Anstand durcheinander, und das in einer Zeit, in der diese Grenzen als gefährdet empfunden wurden. Die Opéra-Comique war ein Ort, an dem die Bourgeoisie erwarten konnte, ihre Werte eindeutig bestätigt zu sehen. Die Tatsache, dass Bizet diese Bühne mit Musik der »Spanier in der Rue Taitbout« (wie es in einer Kritik hieß), der Arbeiter-Café-Konzerte und der Showgirls entweihte, erklärt ein Stück weit den Schrecken, mit dem diese Oper aufgenommen wurde. Die Massenkultur, der Bizet so viele Anleihen entnahm, stellte für das Bürgertum das ge­ fürchtete Andere dar: Ungeachtet der Würde, die Bizet der Figur der Carmen verliehen haben mag, schöpfte er einen Großteil ihrer Musik aus den Abgründen des Pariser Nachtlebens, die seine Zeitgenossen schockierten. Carmen handelt von den Begegnungen zwischen diesen Diskursen: zwischen hoher Kunst und niedriger Unterhaltungsmusik, zwischen der Sentimentalität der Opéra comique und dem »Realismus« der zeitgenössischen Literatur, zwischen »orientalisch« und europäisch, zwischen französischer Klarheit und wagnerianischem Exzess.

Carmen als »das Andere« Das typisch westliche Narrativ erfordert einen Protagonisten sowie etwas, das im Gegensatz zum Protagonisten steht. Ohne Protagonisten verlöre die Erzählung die Perspektive – und ohne das kontrastierende Element käme 31

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keine Handlung in Gang. »Das Andere« sorgt für das Begehren, das für eine Erzähldynamik notwendig ist, aber es stellt auch ein Hindernis dar, das letztlich – trickreich oder gewaltsam – überwunden werden muss. In der etablierten Literatur wird die Rolle des Protagonisten in der Regel jemandem zugewiesen, der dem Künstler ähnlich ist – männlich, bürgerlich, europäisch –, während »das Andere« in einem dynamischen Kontrast dazu steht. Weil die Handlung typischerweise durch romantische Interessen motiviert wird, ist »das Andere« in der Regel weiblich, und die Handlung kommt dann an ihr Ziel, wenn sich die Schwierigkeiten zwischen den beiden Kräften auflösen und geheiratet wird. Die Handlungen der Opéra comique folgen fast ausnahmslos diesem Schema, was sie zur idealen Kulisse für Verlobungsfeiern machte. Auch die traditionelle Tonalität folgt einem solchen Paradigma, wie Schönberg in seiner Harmonielehre beklagte, als er sich in das stürzte, was wir – gegen seinen Willen – Atonalität nennen: Das Formgefühl der Alten verlangte das anders. Für sie schloss das Lustspiel mit der Ehe, das Trauerspiel mit der Sühne oder der Vergeltung und das Musikstück »im gleichen Ton«. Darum entsprang für sie aus der Wahl der Tonleiter die Verpflichtung, deren ersten Ton als Grundton zu behandeln, ihn als Alpha und Omega aller Ereignisse darzustellen, als patriarchalischen Beherrscher des durch seine Macht und seinen Willen abgegrenzten Gebiets: an den sichtbarsten Stellen stand sein Wappen, insbesondere am Anfang und am Ende. Und damit war ihnen eine Schlussmöglichkeit gegeben, die an Wirkung einer Notwendigkeit ähnelt. Verschiedene Kunstrichtungen haben im zwanzigsten Jahrhundert versucht, den Zwängen der Erzählung zu entkommen, indem sie eine Handlung, eine einheitliche Perspektive und einen Schluss vermieden haben. Schönberg plädiert in seiner Harmonielehre dafür, Dissonanzen und tonale »Vagabunden« (er hätte sie auch »musikalische Zigeuner« nennen können) zuzulassen, anstatt sie zu zwingen, sich der Tonika zu unterwerfen. Aber im 19. Jahrhundert hatte das Standard-Erzählparadigma immer noch Geltung für Literatur und Musik, auch wenn es zunehmend von Künstlern in Frage gestellt wurde, die sich gegen solche Konventionen wehrten. Selbst wenn eine Erzählung des 19. Jahrhunderts vom Paradigma abweicht, wird man der Tragweite dieser Abweichung nur gerecht, wenn man sie in Spannung zur erwarteten Norm versteht. Don José hält sich für den Protagonisten einer solchen Erzählung. Noch bei ihrer letzten Konfrontation präsentiert er Carmen seine Vision eines »und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute«-Endes ihrer

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turbulenten Affäre. Sein Traum vom Ende verlangt natürlich ihre Domestizierung, ihre Unterwerfung unter seine Autorität; und ihm (und dem Publikum der Opéra-Comique) erscheint diese Lösung nur angemessen. Seine »Andere« Carmen ist ihm nicht nur im Hinblick auf ihr Geschlecht, sondern auch in Bezug auf Rasse und Klasse untergeordnet. Ihre dreifache Andersartigkeit ist vom Beginn des ersten Akts an offenkundig, bei dem ein Chor von Kolonialsoldaten eine einheimische Bevölkerung von dunkelhäutigen Frauen aus der Arbeiterklasse bewacht. In fast jeder Hinsicht liegt die Macht bei den Soldaten und José – sie kontrollieren den erzählerischen Rahmen. Carmen erweist sich jedoch als eine schwer zu bändigende Kraft. Das Begehren, das sie weckt, dominiert die Erzählung und stellt das Team des Protagonisten in den Schatten, das ihre Energie doch eigentlich zunächst nutzen und dann unterwerfen soll. Ihr Beharren auf ihrer Autonomie droht die Erzählung aus ihrer konventionellen Verankerung zu reißen. Ihre verführerischen Kabarett-Melodien kapern die Oper geradezu und drängen die sentimentale Leidenschaft von Josés repräsentativem musikalischen Idiom an den Rand. Carmen lässt Elemente von Unberechenbarkeit, Dissonanz und Chromatik in die Musik einfließen; zwar erzwingen diese skandalösen Entgleisungen eine Säuberung, doch eine Rückkehr zur Diatonik wird fast unvorstellbar. Wie so manche fantasierte Femme fatale aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts erhebt sich Carmen als ein Phantom, das zu gewaltig ist, um es mit normalen Machtmitteln zu entschärfen. Doch trotz Carmens szenischer Dominanz nimmt sie in der Handlung immer noch die untergeordnete Position ein. In Carmen steht weit mehr auf dem Spiel als das Schicksal dieses einen Mannes und dieser einen Frau: Die soziale Ordnung des 19. Jahrhunderts, die den reibungslosen Ablauf des Erzählens garantiert hatte, stützte sich auf allgemein geteilte Annahmen über das »richtige« Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen, Europäern und Kolonialherren, Mittel- und Arbeiterklasse, hoher und niederer Kunst, Konsonanz und Dissonanz. Sobald eine Bedrohung an einer dieser Fronten auftauchte, war die Antwort meist zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung eingesetzte Gewalt. In einer Erzählung des 19. Jahrhunderts kann einer sexuell emanzipierten, »orientalischen« Kabarettkünstlerin der Arbeiterklasse nur vorläufig Macht zugestanden werden. Und das Abblättern der Privilegien des männlichen Protagonisten verlangt geradezu nach einer gewalttätigen Gegen­reaktion. Die Hauptfrage, die in der Oper offenbleibt, betrifft die Bedeutung von Josés finaler Tat. Zweifellos erreicht er damit einen Abschluss: Der musikalische Exzess, der bei der Begegnung von Jose und Carmen entfesselt wurde, wird durch ihre Ermordung beendet. Doch dieser Schluss ist kaum als Triumph zu werten.

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Slávka Zámečníková als Frasquita, Maya Andrea Pandrea als das Mädchen und Szilvia Vörös als Mercédès


Ein wenig Hure also, ein wenig Jüdin, ein wenig ­Araberin, völlig gesetzlos, stets am Rande des ­Lebens. In den Ramschrüschen, in die Bizet, Meilhac und Halévy ihre Frauengestalt eingepackt haben, ist Carmen genauso wenig Zigeunerin wie Butterfly ­Japanerin ist. Uns bleiben Bilder, ­vergleichbar diesen touristischen Püppchen, die wir von unseren Reisen mitbringen, verflossene Stereotypen von Frauen, die wir an den Orten nicht antreffen, wo unsere kultivierten Herzen sie, vergebens suchend, sich erträumt haben: in den Sträßchen, in den Tempeln, in den ­Palästen, auf den Stufen der Gärten. Sieh die Carmen als Puppe an: Den Kamm aus Sevilla im Knoten, das Klimpern des Filigrangoldschmucks, die beweglichen Schlangen der Fransen ihres Schals, und überall ­Rüschen ... Das ist keine Zigeunerin. Aber durch eine französische Musik auf die ­geschriebenen Worte ­zweier der berühmtesten Librettisten der Offenbachzeit, nach einer Geschichte, die ein französischer Schriftsteller, der den Exotismus liebte, ­beschrieben, zeigt sich die ganze ausgebreitete Geschichte eines r­ eisenden Volks. → Catherine Clément


Martin Häßler als Moralès, Szilvia Vörös als Mercédès, Anita Rachvelishvili als Carmen, Slávka Zámečníková als Frasquita, und Peter Kellner als Zuniga



GARCIAS TOD Jedes Mal wenn sie zu mir sagte: Geh! vermochte ich es nicht. Ich versprach ihr, abzureisen, die Genossen wieder aufzusuchen und dem Engländer aufzulauern. Ihrerseits versprach sie mir, sich bis zur Abreise von Gibraltar krank zu stellen. Ich blieb noch zwei Tage dort, und sie hatte die Kühnheit, mich in meiner Herberge zu besuchen. Ich brach auf. Auch ich hatte einen Plan gefasst. Ich kehrte zu unserm Sammelplatz zurück, den Ort und die Stunde, da der Engländer und Carmen vorüberkommen sollten, im Gedächtnisse. Ich fand den Dancaïre und Garcia* mich erwartend. Wir verbrachten die Nacht in einem Busch an einem Feuer aus Pinienzapfen, die wunderbar leuchteten. Ich forderte Garcia zum Kartenspiel auf. Bei der zweiten Partie beschuldigte ich ihn des Betrugs. Er lachte. Da warf ich ihm die Karten ins Gesicht. Er wollte seine Muskete ergreifen; aber ich trat mit meinem Fuß darauf und sagte ihm: Man sagt, du seist ein Messerstecher ohnegleichen. Willst du es mit mir versuchen? Der Dancaïre warf sich zwischen uns, aber ich hatte Garcia zwei oder drei Faustschläge versetzt. Die Wut machte ihm Mut. Er zog sein Messer und ich das meine. Beide forderten wir den Dancaïre auf, uns Raum zu geben und uns unsre Sache austragen zu lassen. Als er denn einsah, dass wir durch nichts mehr zu halten waren, wandte er sich ab. Garcia war sprungbereit wie eine Katze, die auf eine Maus geht. In der Linken hielt er seinen Hut zur Abwehr; sein Messer nach vorn. Das ist die Auslagestellung der Andalusier. Ich dagegen legte mich auf Navarraer Art aus, Front gegen ihn, den linken Arm hoch, das linke Bein vorgestellt, das Messer am rechten Schenkel. Ich fühlte mich stark wie ein Riese. Er schnellte auf mich wie ein Pfeil. Ich drehte mich auf dem linken Fuß, so dass er ins Leere stieß; ich aber traf ihn an der Gurgel, und mein Messer drang so tief ein, dass meine Hand unter seinem Kinn hing. Dann drehte ich die Klinge mit solcher Gewalt herum, dass sie brach. Garcia war hinüber! Die Klinge flog aus der Wunde, herausgetrieben durch einen armdicken Blutstrom. Er selber fiel aufs Gesicht, steif wie ein Klotz. Was hast du getan? rief der Dancaïre. Will ich dir sagen, erwiderte ich ihm. Beide konnten wir nicht leben. Ich liebe Carmen und will der Einzige sein. Übrigens, Garcia war ein Schuft. Ich habe nicht vergessen, wie er den armen Remendado behandelt hat. Jetzt sind wir nur noch zwei, aber wir sind ganze Kerle. Willst du mich zum Freund auf Leben und Tod? KOLUMN EN T IT EL

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Der Dancaïre ergriff meine Hand. Er war ein Fünfzigjähriger. Zum Teufel die Liebschaften! rief er. Hättest du Carmen einfach von ihm verlangt, er hätte sie dir um einen Piaster verschachert. Wir sind nun nur zwei. Wie sollen wir morgen fertig werden? Lass mich die Sache allein machen! erwiderte ich ihm. Jetzt spotte ich der ganzen Welt. Wir begruben Garcia und verlegten unser Lager zweihundert Schritte weiter. Am andern Tage kam Carmen mit ihrem Engländer nebst zwei Maultiertreibern und einem Diener vorbeigeritten. Ich sagte zum Dancaïre: Den Engländer nehme ich auf mich. Jage du den drei andern Angst ein; sie haben keine Waffen. Der Engländer war ein Mann mit Mut, und hätte ihn Carmen nicht am Arm gestoßen, er hätte mich erledigt . . . Kurz und gut, ich eroberte mir an diesem Tage Carmen wieder, und mein erstes Wort zu ihr war: Du bist Witwe!

→ Prosper Mérimée, Carmen

* In der Novelle der offizielle Partner von Carmen

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Wolf Wondraschek

CARMEN oder Bin ich das Arschloch der Achtziger Jahre Im Sommer kam ich auf einer Reise nach Tanger in Andalusien durch ein Städtchen, das Ronda hieß. Wie immer auf Reisen lebte ich jubelnd unbeschwert, ein Unbekannter überall, der ankommt und weiterfährt und niemand vertraut, nur seinem Glück. Carmen begleitete mich ein Stück, und verließ mich, noch bevor wir in Algeciras die Küste erreichten. Man hatte mich gewarnt, sie sei nur eines jener leichten Mädchen, von denen es, je näher man dem Meer komme, viele gebe, mehr noch als Möwen. Nun war das nichts, was mir Kopfzerbrechen bereitete. Ich liebte ihren begehrenswert schlechten Charakter, war der provozierenden Gleichgültigkeit verfallen, mit der sie den Männern einerseits gefallen wollte, ihnen aber doch gleichzeitig zu drohen schien. Sie gab sich ihren Launen hin, sorglos wie eine Schlafende, und war im nächsten Augenblick, wie unter einem Schmerz aus tiefen Wunden, schweigsam und ungerecht. 40


Das Fenster zu ihrem Zimmer schützte ein Geflecht aus schwerem Eisen. Dort verdorrten Blumen, vergilbten die Namen wild verliebter Burschen. Es kamen ganze Horden Einsamer an ihrem Haus vorbei, küssten das Eisen, erregt mehr vor Vergnügen an der Ketzerei als vom Verlangen, diese Frau zu besitzen. Einige sangen Lieder. Andere brüllten sie in der Annahme, dass sich ihre frechen Wünsche mit zunehmender Lautstärke noch am ehesten erfüllten. Ihre Ohnmacht entlud sich in derben Anspielungen, in rohen, höhnischen Witzen. Ein endloser Zug von Männern, unruhig alle, unduldsam, fordernd; ein Karneval obszöner Lust, der nie einem Höhepunkt zutrieb, da sie, die Schutzheilige ihrer Erregung, unsichtbar blieb. Betrunkene, Betrogene, unentschlossene Mörder — sie hat, wie sie es wollte, alle ausgenützt, und sich dabei doch nur geschützt vor den Grausamkeiten neuer Enttäuschungen. Es gab Stunden, wo sie alles mit gemeiner Genugtuung ertrug. Es gab Tage, wo sie genug hatte vom Unsinn der Liebe. Es gab Monate, da trank sie, abgestumpft, abgestoßen bis zum Erbrechen. Immer häufiger besuchte sie jetzt ihren Beichtvater, lachte viel und stritt mit ihm mehr als sie betete. Sie litt unter Langeweile wie andere unter Wahnsinn. Dass er gut zu ihr war und geduldig, dafür bedankte sie sich mit einem Lächeln, dem Lächeln der Verführerin, was dieser, weise, nie missbilligte. Umschwärmt wie eine Neugeborene und aufgegeben schon wie eine heillos Kranke, sah ich in ihr, sosehr mich der Gedanke heute entsetzt, meine Schwester, die Schwester meines eigenen Schicksals. Mein Paradies ist die Geschichte ihrer Sünden. Aus Gründen, die mir unbekannt geblieben sind, überließ sie, was sie wollte und fühlte, wie ein Kind dem Zufall, und in allem was sie tat, suchte sie mehr die Verwirrung der Sinne als ihre Besänftigung. 41

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Da war nur einer, den sie nie vergessen kann. Er ließ sie, wenn sie wollte, gehen. Er ließ sie auch das Unverständliche verstehen. Er hat sie wie kein anderer besessen. Sie war, als sie ihn sah, bereit zu handeln und ließ, was nie geschah, geschehen. Sich in der Liebe einmal in sich selbst verwandeln. Das war die Freiheit, die er ihr befahl. Er war der einzige, den sie wahrhaftig geliebt hatte, der einzige, der sie dennoch verließ. Keiner weiß, wer er war, wie er hieß, warum er es tat und wohin er ging. Es war für Carmen also leicht, die Sache geheimzuhalten. Nur ihre glühend kalten Augen wurden kälter. Der Stolz der Zigeunerinnen, unverwundbar zu sein, war zerbrochen. Die Nächte verbrachte sie aus Furcht, sie könne einmal im Traum darüber zu reden beginnen, allein. So tief wie er hat sie keiner jemals verletzt. Und niemals hat sie aufgehört, sich dafür zu rächen. Sie hat den Schönsten, im Namen der Liebe, zerfetzt. Sie will den Stärksten jetzt, nur um ihn zu zerbrechen. Aber der Wind, der sie wärmte, und der einfache Wohlklang der Dunkelheit machte sie wieder sehnsüchtig nach Liebe — nach einer, die sie nicht kannte oder noch nicht verstand. An diesem Abend gingen wir wie ein Liebespaar Hand in Hand, als wollten wir selbst die Glücklichen mit unserem Anblick verwöhnen. Der Sternenhimmel Andalusiens, scharf, prunkvoll klar und mächtig genug, mit den Dummheiten irdischen Lebens auszusöhnen, war ihr scheißegal. Sie suchte nach Glanz in den Augen der Männer, getrieben von der Hoffnung, noch einmal zu lieben, wie jenes erste, einzige Mal. Noch einmal fühlen, wissen, leben — statt dessen lebte sie wie eine Ausgestoßene, zermürbt von Bewunderung, von närrischen Neigungen hin und her gerissen, zu spät bekehrt zur Einsicht, die niemand je von ihr forderte. WOLF WON DR ASCHEK

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Bitter büßte sie den Ruhm, die Schönste, die Wildeste zu sein, hochmütig jedes Glück als viel zu klein verachtend. Sie hasste, was sie nicht begriff; und sie begriff nicht. Unnachgiebig verleugnete sie ihre Einsamkeit, ließ sich nach Landessitte die Karten legen und befahl, als plötzlich alle schwiegen, den Vorgang zu wiederholen. Auf irgendetwas schien sie zu warten. Alles Warten aber, sie wusste es ja, war vergebens. Den Spieler kannst du nur am Spieltisch testen. Das Spiel der Liebe verlieren die Besten. An jenem Abend, damals in Ronda, legte sie ihren Kopf, wie es nur alte Freunde tun, an meine Schulter, schloss ihre Augen und schlief. Es war, als wolle sie sich nur ein wenig noch ausruhen, bevor sie wieder einem ins offene Messer lief. Sie hatte abgerechnet. Es war vorbei. Jetzt war ich dran. Und noch während der Überfahrt nach Tanger begann ich, unter dem Geschrei der Möwen, mich zu erinnern. Du bist mir überall begegnet, in welches Land ich auch immer kam, auf Reisen oder auf Drogen. Dort stehst du, hingelehnt, verlockend, allein, und willst den sehen, der die Kraft hat, der Leidenschaft deiner Launen überlegen zu sein. Ihn willst du, wenn er widerstehen kann. Wer aber widersteht, wäre kein Mann.

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Erwin Schrott als Escamillia mit Mitgliedern der Komparserie und des Chors der Wiener Staatsoper



Endlich die Liebe, die in die Natur zurückübersetzte Liebe! Nicht die Liebe einer »höheren Jungfrau«! Keine Senta-Sentimentalität! Sondern die Liebe als Fatum, als Fatalität, zynisch, unschuldig, grausam – und eben darin Natur! Die Liebe, die in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter ist! – Ich weiß keinen Fall, wo der tragische Witz, der das Wesen der Liebe macht, so streng sich ausdrückte, so schrecklich zur Formel würde, wie im letzten Schrei Don Josés, mit dem das Werk schließt: »Ja! Ich habe sie getötet, ich – meine angebetete Carmen!« – Eine solche Auffassung der Liebe (die einzige, die des ­Philosophen würdig ist –) ist selten: sie hebt ein Kunstwerk unter tausenden heraus. Denn im Durchschnitt machen es die Künstler wie alle Welt, sogar schlimmer – sie missverstehen die Liebe. Auch Wagner hat sie missverstanden. Sie glauben in ihr selbstlos zu sein, weil sie den Vorteil eines andren Wesens wollen, oft wider ihren eigenen Vorteil. Aber dafür wollen sie ­jenes andre Wesen besitzen ... Sogar Gott macht hier keine Ausnahme. Er ist ferne davon zu ­denken »was geht dich’s an, wenn ich dich liebe?« – er wird schrecklich, wenn man ihn nicht wiederliebt. L’amour – mit diesem Spruch behält man unter Göttern und Menschen recht – est de tous les sentiments le plus égoïste, et par ­conséquent, lorsqu'il est blessé, le moins généreux. (B. Constant.) → Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner


Vera-Lotte als Micaëla


Andreas Láng

EIN ZIEMLICH ANDAUERNDER ERFOLG

Carmen in Wien seit 1875


Bevor es so weit war Carmen hätte Wien nicht benötigt, um sich dauerhaft als eines der weltweit bekanntesten und meistaufgeführten Musiktheaterwerke zu etablieren. Trotzdem sorgte die in der Rezeptionsgeschichte oft beschworene Erstaufführung im Haus am Ring für einen Turbo-Effekt in Sachen internationaler Popularität und Verbreitung, der effektiver nicht hätte sein können. Und er beeinflusste die Aufführungspraxis nachhaltig. Dass es überhaupt so weit kam, ist dem vor Gustav Mahler vielleicht innovativstem Leiter der Hofoper zu verdanken: Franz Jauner. Dieser »Theaterdirektor vom Dienst« stand in Wien vier großen Bühnen – zum Teil gleichzeitig – vor und galt als experimentierfreudig, ideenreich und geschäftstüchtig, als großer Kenner der damaligen gesamteuropäischen künstlerischen Strömungen sowie als überaus flexibel und rasch in der Reaktion auf neueste Entwicklungen. Insbesondere Frankreich und Paris standen, nach den besorgniserregenden Großmachtbestrebungen des frisch entstandenen Deutschen Reiches, hoch in der Gunst aller Intellektuellen und Künstler der Donaumonarchie. Jauner versäumte daher kaum eine Premiere in der Seine-Metropole, ja schickte sogar einige seiner Schauspieler aus Wien zur Inspiration durch als wichtig erachtete Aufführungen nach Paris. Als ihm nach der Hofopern-Vertragsunterzeichnung keine Zeit mehr für eigene Reisetätigkeiten verblieb, sandte er den Theateragenten Gustav Lewy als Mann seines Vertrauens auf die Jagd nach Novitäten. Und dieser war es, der ihm nach einem Besuch in der Opéra-Comique unter anderem die dort herausgekommene Carmen empfahl, die Jauner daraufhin umgehend für die Hofoper zu gewinnen trachtete. Freilich, nicht zuletzt bedingt durch die frankophile Stimmung, stand das Carmen-Projekt in Wien schon seit geraumer Zeit im Fokus des allgemeinen Interesses. Bereits im Herbst 1872, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Entscheidung für eine Carmen-Vertonung gerade erst gefallen war und Bizet mit der Komposition noch gar nicht begonnen hatte, konnte man hierzulande beispielsweise im Fremdenblatt am 12. November folgende Notiz lesen: »Meilhac und Halévy werden demnächst mit zwei neuen Operetten hervortreten. 1. La Boule, welche für das Palais Royal bestimmt ist, 2. einer dreiaktigen Operette (4 Tableaux), welche die beiden Autoren nach der Prosper Mérimée’schen Novelle Carmen bearbeiten; das letztere Stück, zu welchem Georges Bizet die Musik schreibt, wird im Winter in der OpéraComique zur Aufführung kommen.« Und auch der Pariser Weltpremiere selbst (die zwar nicht im angekündigten Winter, sondern erst über zwei Jahre später über die Bühne ging), räumten einige der großen österreichischen Zeitungen auffällig viel Raum ein: Paul d’Abrest schrieb noch im Uraufführungsmonat März in der Presse eine ausführliche Besprechung sowohl des Stückes als auch einer Aufführung, wobei er hinsichtlich der Qualität der 49

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Musik nur bedingt Euphorie zeigte: »Damit soll nicht behauptet werden, dass die Musik des Herrn Bizet überflüssig wäre; ist der melodische Teil dieses Singspiels keine besonders glänzende Schöpfung, kann man Carmen nur schwerlich eine lange Karriere voraussagen, so enthält das Werk Nummern genug, um es zu einem ›succès honorable‹ zu gestalten.« Selbst Eduard Hanslick stattete der Opéra-Comique einen Besuch ab und berichtete in der Neuen Freien Presse von einem »ziemlich andauernden Erfolg« des Werkes, das er für Wert befand, an den deutschen Bühnen nachgespielt zu werden – wenn auch »nicht als ein Meisterwerk«, sondern »als eine jener erfolgreichen Opern, die man bei der gegenwärtigen Novitäten-Armut unbedenklich aufführen darf, ja beinahe aufführen muss, will man überhaupt ab und zu Neues bringen.« Zugleich machte er für eine mögliche Premiere an der Wiener Hofoper bereits Besetzungsvorschläge (von denen einer – Bertha Ehnn als Carmen – sogar verwirklicht wurde). Direktor Franz Jauner sicherte sich mit Geschick und im Schnellverfahren die Rechte für die Hofoper und auch die österreichische Zensurbehörde gab innerhalb kürzester Zeit grünes Licht für die weltweit erste CarmenProduktion außerhalb der Opéra-Comique: »Die mir zur Begutachtung vorgelegte Oper beehre ich mich mit dem Bemerken zurückzuschicken, dass deren Aufführung im k.k. Hofoperntheater keinem Anstande unterliegt.«

Mehr oder weniger original Wie groß die Spannung vor der Wiener Premiere war, wie sehr die Opernwelt dem Werk entgegenfieberte, zeigt ein ausführlicher Bericht im eher dem Boulevard zuzuordnenden Salonblatt, dessen Rezensent die besondere Genehmigung erhielt, der nicht öffentlichen Generalprobe beizuwohnen. Dadurch konnte natürlich schon vorab eine (der Hofoper sehr genehme) Lobeshymne erscheinen, die das Werk ebenso in den Himmel hob, wie die Umsetzung desselben und auch nicht zu erwähnen vergaß, dass Erzherzog Wilhelm in der kaiserlichen Inkognito-Loge »Platz genommen« hatte. Mit anderen Worten: Marketing anno 1875. Inwieweit diese erste, von Hans Richter dirigierte Wiener Carmen den ursprünglichen musikalischen Intentionen Bizets entsprach, das war allerdings eine Frage, um die sich im Folgenden so manche Diskussion entspann: Erstens erlebte das Publikum, den damaligen Gepflogenheiten entsprechend, natürlich nicht das französische Original, sondern eine eher freie deutsche Übersetzung des auch kompositorisch tätigen Kapellmeisters Julius Hopp. Zweitens wurden einige Passagen gestrichen beziehungsweise bearbeitet, nicht zuletzt, um im vierten Akt ein Ballett eingliedern zu können. Dieses fremde Material stammte immerhin auch aus der Feder Bizets und umfasste – arrangiert vom Bizet-Intimus Ernest Guiraud – »Farandole« A N DR EAS LÁ NG

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und »Pastorale« aus L’Arlésienne sowie die »Danse bohémienne« aus La jolie fille de Perth. Drittens wurden spätestens ab 1880 die von Ernest Guiraud geschaffenen gesungenen Rezitative anstelle der gesprochenen Dialoge eingefügt, die später auch weltweit Verwendung fanden. Dass aber das Wiener Publikum im Gegensatz zur gern tradierten Meinung in den ersten Jahren doch nicht (ausschließlich) diese Rezitative zu Gehör bekam, sondern auch den (von Hopp übersetzen) gekürzten Prosatext, hat Laura Möckli sehr eindrucksvoll herausgearbeitet1. Sie erinnert unter anderem an Julius Korngolds am 16. Mai 1928 in der Neuen Freien Presse erschienene Besprechung eines Carmen-Gastspiels der Opéra-Comique an der Staatsoper, in der darauf hingewiesen wird, dass erst Gustav Mahler mit seinem ersten Wiener CarmenDirigat am 26. Mai 1900 die Rezitativ-Dialog Mischfassung aufgehoben und die gesprochenen Passagen vollends beseitigte. Korngold gibt übrigens der damals erstmals in Wien präsentierten originalen Fassung der französischen Gäste den Vorzug gegenüber der Guiraud’schen Fassung: »Die Oper wurde so gegeben, wie sie Bizet als Opéra comique komponiert hat: mit gesprochenem Dialoge, der nicht bloß bessere Motivierungen ermöglicht, sondern das Werk auch mit dem Reiz lebhafter Konversationsszenen bereichert. Handlung und Gestalten treten deutlicher und heller hervor.« Auch wenn die Wiener Erstaufführung am 23. Oktober 1875 laut der Rezension in der Abendpost letztlich »nur ein Halberfolg war«, mancher Applaus »sogar Opposition fand« und die Pausengespräche des Publikums zum Teil offenbar sehr negativ ausfielen, konnten sich Werk und Produktion im Repertoire nicht nur behaupten, sondern sehr rasch zum Kassenschlager mausern. So sehr, dass die Direktionen der nächsten 60 Jahre keine Neuinszenierung dieser Oper für nötig erachteten. Nicht von ungefähr stellte Josef Reitler anlässlich einer 1932 erfolgten musikalischen Neueinstudierung (mit einer eher schwachen Maria Jeritza in der Titelpartie) in der Wiener Zeitung die Frage, ob man »sich damit trösten sollte, dass die beliebtesten Opern, naturgemäß die abgespieltesten sind«. In Zahlen ausgedrückt hieß das: Die erste Wiener Carmen in Bühnenbildern von Carlo Brioschi und Kostümen von Franz Gaul kam auf weit über 500 Vorstellungen!

Vier Neuproduktionen in nur 10 Jahren So wenig sich hinsichtlich der szenischen Umsetzung zwischen 1875 und 1937 getan hatte, so intensiv war der entsprechende Wechsel zwischen 1937 und 1948: Innerhalb von knapp elf Jahren stellte das Haus nicht weniger als vier Neuproduktionen zur Diskussion, wenn auch mit äußerst wechselndem Erfolg. Die mit Abstand größte Zustimmung erzielte gleich die erste, die am 22. Dezember 1937, gewissermaßen am Vorabend des sogenannten »Anschlusses«. Premiere feiert (sowohl Regisseur Carl Ebert als auch Dirigent 51

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Bruno Walter und die Choreographin Margarete Wallmann, alle drei von der Kritik und vom Publikum für ihre Leistungen bei dieser vorweihnachtlichen Premiere gefeiert, müssen wenige Monate später vor den Nationalsozialisten fliehen). Mit Hilfe der Drehbühne, mit besonderen Licht-, Farbund Schatten-Effekten sowie einer ausgeklügelten, sehr detailreich und psychologisch motivierten Personenführung beeindruckte diese Inszenierung so sehr, dass sie für viele Jahre regelecht als Referenzarbeit angesehen wurde, an der sich alle nachfolgenden Versuche zu messen hatten. Die nächste, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs herausgekommene und von Karl Böhm geleitete Neuproduktion in der Regie von Oscar Fritz Schuh (18. April 1944), erntete zwar von den gleichgeschalteten Medien ebenfalls wohlwollende Besprechungen, wer aber nur ein bisschen zwischen den Zeilen zu lesen versucht, hört sehr wohl Enttäuschung, Kritik und den Hinweis auf altbackene Theaterpraxis heraus. Im seit 1938 in den NS-Propagandaapparat eingegliederten Wiener Tagblatt lautet dies beispielsweise folgendermaßen: »Äußerlich mag der Eindruck eines Zurückgehens auf die überwundene ›Operngestik‹ entstehen, doch einem Meister der Szene wie Schuh gelingt es selbstverständlich, das Erstarren der Geste in Typik zu vermeiden, man könnte auch sagen, der Konvention werde einmal durchaus unkonventionell gedient.« Ausgedient hatte die Produktion schon nach nur fünf Vorstellungen: Bereits 1946 folgte im Volksoperngebäude, dem zweiten Ausweichquartier der im Krieg zerstörten Staatsoper, die nächste Carmen. Das verbindende Glied zwischen der missglückten SchuhInszenierung und dem ebenfalls allgemein lauwarm aufgenommenen neuen Versuch war Erika Hanka: Hatte sie 1944 noch ausschließlich für die Choreographie verantwortlich gezeichnet, so übernahm sie zwei Jahre später auch die Aufgabe der Regisseurin. Das Ergebnis laut Neues Österreich gelang szenisch »sauber und korrekt. Aber wo bleiben die heißen Temperamentergüsse, die funkensprühende Sinnlichkeit? Spanien schien aufgenordet und seiner brennenden Leidenschaft beraubt. Die Inszenierung Erika Hankas vermochte sich nicht über eine etwas farblose Konvention zu erheben. Originell sind die doppelgeschoßigen Bühnenbilder des 2. und 4. Aktes (Walter von Hoeßlin).« Durchgehend gelobt wurde die Sängerriege: Lorna Sydney (Carmen), Sena Jurinac (Micaëla), Karl Fridrich (Don José) und Paul Schöffler (Escamillo). Zwar waren die beiden Staatsopern-Spielstätten Volksoper und Theater an der Wien zwischen 1945 und 1955 künstlerisch gleichberechtigt, dennoch sah man ersteres Haus eher als Ort der Operette und der deutschen Spieloper an und die schönere, ehemalige Schikaneder-Bühne als eigentliches Ausweichquartier des im Wiederaufbau befindlichen Mutterhauses. Diesem Gedanken entsprechend übersiedelte Carmen weitere zwei Jahre später, genauer am 21. Oktober 1948, ans Theater an der Wien. Dass aber für diese Übersiedelung gleich eine komplette Neuproduktion aus der Taufe gehoben A N DR EAS LÁ NG

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werden musste, tolerierte man in der vorherrschenden finanziell angespannten Situation nur sehr ungern, zumal viele wichtige andere Werke des Repertoires im Spielplan schmerzlich fehlten. Wenn sich wenigstens in der szenischen Qualität etwas verbessert hätte – aber dem war nicht so. So mancher fühlte sich regelrecht um vier Jahre zurückversetzt: Der Regisseur hieß abermals Oscar Fritz Schuh, die Choreographin erneut Erika Hanka. Lediglich mit dem neu hinzugekommenen Caspar Neher als Bühnen- und Kostümbildner schien das künstlerische Niveau angehoben. Kein Wunder also, wenn in den Besprechungen Begriffe wie »Steifheit und Staffage« fielen oder wehmütig an die Ebert-Produktion von 1937 erinnert wurde. Und auch mit der Carmen von Elisabeth Höngen (»nicht ganz ihre Partie«), Irmgard Seefrieds Micaëla (»zuviel von koketter Soubrettenhaftigkeit«), Helge Roswaenges Don José (»im ersten Akt stimmlich gehemmt«) und Ferdinand Frantz’ Escamillo (»blieb in konventioneller Operngestik stecken«) wurden viele nicht glücklich. Nur Josef Krips’ Dirigat war über jede Kritik erhaben.

Nach 1955 Für den Wiedereröffnungs-Premierenreigen des neuen Hauses am Ring schien der Bizet’sche Dauerbrenner nicht das passende Stück zu sein, aber immerhin schon ein knappes Jahr später bot die Staatsoper ihrem Publikum eine Carmen mit einem fast gänzlich neuen Leading-Team an (nur die Choreographin hieß erneut Erika Hanka). Und das gleich zwei Mal, denn die Regie des ehemaligen Burgtheater-Direktors Josef Gielen und seines Bühnen- und Kostümbildners Georges Wakhévitch erlebte eine von Heinrich Hollreiser musikalisch geleitete Doppelpremiere mit großteils unterschiedlichen Sängerbesetzungen (Premiere I am 19. November 1956: Jean Madeira, Rudolf Schock, Premisl Koci; Premiere II am 22. November 1956: Christa Ludwig, Hans Hopf, Walter Berry). Gielen, der kurz darauf zum Oberspielleiter der Staatsoper aufstieg, hatte in diesen Jahren so manches Schlüsselwerk der Opernliteratur in Szene gesetzt, eher bebildernd denn interpretierend und mit Ausnahme »seiner« Butterfly konnte sich keine seiner Arbeiten übermäßig lange halten. Immerhin durfte sich diese Carmen mit der historischen Tatsache schmücken, die erste gewesen zu sein, in der (nach einiger Zeit) das Deutsche vom französischen Original abgelöst wurde. Eine deutlich tiefgründigere, fesselndere Auseinandersetzung bot ab 1966 Otto Schenks Regie in Bühnenbildern Günther Schneider-Siemssens. Schon die Tatsache, dass es sich um die erste Eigenproduktion in der Geschichte des Hauses handelte, in der die als Fremdkörper wirkende eingefügte Ballettnummer eliminiert wurden, kam einer kleinen Revolution gleich. Und Schenks eminentes Sonder-Talent hinsichtlich der szenischen Einbeziehung des Chores kam hier zusätzlich positiv zur Geltung. Dass die 53

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Bühnenbilder von Akt zwei und vor allem Akt vier etwas an schon erlebte »Wagner’sche Landschaften« gemahnten, schien nicht weiter zu stören. (Bei der Premiere sangen unter Lorin Maazel u.a. Christa Ludwig, James King und Eberhard Waechter.) Franco Zeffirellis Carmen schlug hingegen einen gänzlich anderen Weg ein. Ursprünglich noch von Direktor Gamsjäger geplant, konnte sie auf Grund von Terminüberschneidungen des Regisseurs erst unter Egon Seefehlner am 9. Dezember 1978 realisiert werden, was die allgemeine Erwartungshaltung anheizte. Die von Carlos Kleiber dirigierte und vom ORF live übertragene Premiere (mit Plácido Domingo, Elena Obraztsová, Juri Mazurok) geriet schließlich zu einem Medienspektakel sondergleichen: Ausgedehnte Rahmenprogramme im Fernsehen, seitenlange, bebilderte Berichte in den Zeitungen stilisierten die Inszenierung ab ovo zum Ereignis. Auf jeden Fall überlebte die sehr filmisch gedachte Inszenierung 40 Jahre lang im Spielplan und bot für unzählige wechselnde Besetzungen den optischen Rahmen. Dass die ursprüngliche Regie immer weiter erodierte und immer wieder mit fremden Ideen und Ansätzen angereichert wurde, lag in der Natur der Sache. Die aktuelle Produktion in der Inszenierung Calixto Bieitos feierte am 21. Februar 2021 eine vom Fernsehen übertragene und in alle Welt gestreamte Premiere (Corona-bedingt zwei Wochen später als geplant und vor leerem Zuschauerraum). Unter Andrés Orozco-Estrada sangen u.a. Anita Rachvelishvili (Carmen), Piotr Beczała (Don José), Erwin Schrott (Escamillo) und VeraLotte Boecker (Micaëla). Angesichts der Tatsache, dass Carmen mit weit über 1000 Aufführungen auch an der Wiener Staatsoper zu den meistgespielten Werken gehört, würde ein Eingehen auf die immense Zahl der hier aufgetretenen wichtigen Sängerinnen, Sänger und Dirigenten den Rahmen sprengen. Aus diesem Grund soll auf ein ausführliches Namedropping verzichtet werden. Dennoch: Ein Artikel über die Aufführungsgeschichte der Carmen an der Wiener Staatsoper kann nicht schließen, ohne dass eine Agnes Baltsa, Elīna Garanča, ein José Carreras, Luis Lima, Roberto Alagna und einen Ruggero Raimondi zumindest genannt wurden.

1 Vgl. Laura Möckli, Carmen’s Second Chance: Revival in Vienna, in: Richard Langham Smith(Hrsg.), Carmen Abroad. Bizet's Opera on the Global Stage, Cambridge 2020, S. 26–44.

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Erwin Schrott als Escamillo →

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Randa Maroufi: Attente (Warten) aus der Serie Nabila & Keltoum & Khadija


Das Missverständnis der Liebe berichtigt Carmen: Sie bekennt jenen Egoismus ein. Ihre Generosität ist es, keine Generosität zu behaupten und darum nichts besitzen, nichts halten zu wollen, in dieser Welt so wenig wie in der anderen. Dieser Gestus der Entäußerung, der Preisgabe jeglichen herrschaftlichen Anspruchs des Menschenwesens durch Carmens Fatalismus, ist eine der Gestalten von Versöhnung, die dem Menschenwesen gewährt werden, Versprechen der endlichen Freiheit. Das Verbot von Transzendenz sprengt den Schein der Natur, mehr zu sein als sterblich. Das ist die genaue Funktion der Musik in Carmen. → Theodor W. Adorno, Quasi una fantasia


ICH WILL FREI SEIN! Einige Monate hindurch war ich mit Carmen zufrieden. Sie war uns weiterhin bei unsern Unternehmungen nützlich, indem sie uns auf günstige Gelegenheiten zu gutem Fang aufmerksam machte. Bald weilte sie in Malaga, bald in Kordova, bald in Granada. Doch ein Wort von mir genügte, und sie ließ alles stehen und liegen, um mich in einer einsamen Venta oder sogar im Biwak zu treffen. Ein einziges Mal, es war in Malaga, setzte sie mich einigermaßen in Unruhe. Ich wusste, sie hatte ein Auge auf einen schwerreichen Kaufmann geworfen, mit dem sie vermutlich den Spaß von Gibraltar wiederholen wollte. Trotz aller Reden, mit denen mich der Dancaïre davon abzuhalten suchte, begab ich mich nach der Stadt und betrat sie am helllichten Tage, suchte Carmen auf und nahm sie unverzüglich mit. Es folgte eine heftige Auseinandersetzung. Weißt du, sagte sie zu mir, seitdem du richtig mein Rom1 bist, liebe ich dich weniger als damals, da du mein Minchorrô2 warst. Ich mag nicht gequält und vor allem nicht befehligt werden. Ich will immer frei sein und tun können, was mir beliebt. Nimm dich in Acht und treibe mich nicht zum Äußersten! Wenn du mir lästig wirst, werde ich irgendeinen braven Burschen finden, der es dir genauso besorgt wie du dem Einauge.

→ Prosper Mérimée, Carmen

1 fester Partner 2 Geliebter, Affäre

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Anita Rachvelishvili als Carmen und Piotr Beczała als Don Josè


Carrie B. Douglass

TORO MUERTO, VACA ES

Zur Interpretation des spanischen Stierkampfs


Der Schlüssel zur Interpretation des spanischen Stierkampfes ist »Ehre«. Ehre strukturiert große Teile der spanischen Gesellschaft und basiert auf der Definition von männlich und weiblich. Im Stierkampf entspricht die Beziehung zwischen dem Torero und dem Stier der Beziehung zwischen Mann und Frau. Da die Geschlechterhierarchie oft die gesellschaftliche Ordnung widerspiegelt, ist der Stierkampf auch eine Metapher für diese.

Der Stierkampf In Spanien wird der Stierkampf auf verschiedene Arten ausgetragen. Man hetzt Stiere auf der Straße oder kämpft in der Manege gegen sie. Beide Formen tauchen etwa gleichzeitig in der Geschichtsschreibung auf (spätestens im 11. Jahrhundert) und es gibt sie bis heute. Wenn ein Stier (oder auch mehrere, auch Kälber oder Kühe) gehetzt wird, jagt ihn eine Horde junger Männer durch die Hauptstraße einer Stadt – oder wird von ihm gejagt. Dies geschieht normalerweise in kleinen Dörfern und ist die weniger offizielle Form des Stierkampfes mit langer Tradition. Es gibt auch inoffizielle, spontane Kämpfe im Ring, für die sich in kleinen Städten alle jungen Männer gleichzeitig in die Manege begeben und Jacken und Pullover als Capes benutzen, sowie – wichtiger – die tientas, die im Frühling auf den riesigen Stierfarmen stattfinden. Bei der tienta werden die Kälber auf ihren Kampfgeist geprüft und entsprechend sortiert, gleichzeitig ist es eine Trainingsmöglichkeit für aktive und angehende Stierkämpfer. Die offiziellen Kämpfe in der Manege sind landesweit durch strenge Regeln des Innenministeriums geordnet. Das Kämpfen und Töten eines Stieres zu Pferde ist die Kunst des Rejonear. Hier soll es jedoch um den offiziellen Stierkampf gehen, der im Wesentlichen zu Fuß ausgetragen wird. Diese Form zieht das größte Publikum an; die Helden des Stierkampfes sind Profis, und der Stierkampf beeinflusst das gesamte spanische Leben. Der offizielle Stierkampf beginnt mit einer Parade der Alguacils (wörtlich »Gerichtsdiener«, sie haben die Entscheidungen des Präsidenten umzusetzen), gefolgt von drei Stierkämpfern und ihren Assistententeams. Jedem Torero stehen 20 Minuten für den Kampf und die Tötung eines Stiers zur Verfügung, danach tötet jeder einen zweiten Stier. Jeder Kampf ist in drei Teile (tercios) geteilt, aber die vorbereitende Arbeit mit dem Tuch (capea) hat sich seit den 1920er Jahren praktisch zu einem vierten Teil entwickelt. Der Stier betritt die Manege aus einem kleinen, abgedunkelten Stall (toril). Schleifen in den Farben seines Zuchtbetriebs schmücken seinen Rücken, er trägt den Kopf erhoben. Der Kopf muss sich absenken, bevor der Torero ihn vom Boden aus töten kann. Während des ersten Teils des Kampfes verteidigt der Stier sein Territorium und die Toreros lernen sein Verhalten kennen, indem sie ihn mit dem Tuch anlocken und an sich vorbeiführen. Wenn der Stier nicht an 61


greift, wird er aus der Manege gebracht: Ein Stierkampf ist keine passive Opferung. Das erste echte Tercio gehört dem Pikador. Zwei Reiter kommen auf schwerfälligen Pferden mit verbundenen Augen in die Arena. Die Pferde tragen seit 1927 einen gepolsterten Schutz gegen die Hörner des Stiers. Wenn der Stier ein Pferd angreift, sticht einer der Picadores mit einer langen Lanze in den Nacken des Stiers, um die dort liegenden Muskeln zu schwächen und den Stier dazu zu bringen, seinen Kopf zu senken. Das zweite Tercio wird durch ein Hornsignal eingeleitet. Pferde und Reiter verlassen die Manage und das Platzieren der Bandarillas beginnt – mit Bändern verzierte kurze Speere mit Widerhaken, die auf dem Nackenbuckel des Stiers gesetzt werden, diesmal von Männern am Boden. Im letzten Tercio bereitet der Torero die Tötung vor. Er arbeitet mit einem kleinen, ziemlich steifen Umhang, der mit einem Stock geführt wird, der Muleta. Das Tier ist nun langsamer, aber immer noch sehr gefährlich. Der Torero pariert den Stier und setzt sich dabei, abhängig von seinem Mut, mehr oder weniger den scharfen Hörnern aus. Er muss den Stier innerhalb eines Zeitlimits unter Kontrolle bringen. Wenn der Stier anhält und der Kopf ausreichend gesenkt ist, fordert der Torero seinen Degen (Estoque). Wenn die Füße des Stiers parallel stehen, ist der Weg zwischen den Schulter­ blättern frei. Mit der linken Hand lockt der Torero den Kopf des Stiers weiter nach unten, während die rechte Hand mit dem Degen über die Hörner zum »Kreuz« (Cruz), einer bestimmten Stelle im Nacken geführt wird. Dort wird die Aorta durchtrennt und das Tier stirbt sofort. La hora de la verdad (der Moment der Wahrheit) ist ein sehr gefährlicher Augenblick. Wenn der Stier dem Tuch nicht folgt, sondern stattdessen seinen Kopf hebt, wird der Torero mit ziemlicher Sicherheit aufgespießt. Fällt der Stier beim ersten Versuch tot um, ist dies Zeichen eines gut gekämpften, riskanten Stierkampfs. Der Stierkampf in der Manage wurde nicht immer zu Fuß ausgetragen. Der Kampf gegen Stiere war ein Adelsprivileg, das man in Gesellschaft vom Pferd aus mit Lanzen ausübte. Auch arme christliche und maurische Stierkämpfer sind für das 11. Jahr­hundert belegt, die für Geld und zu Fuß bei öffentlichen Spektakeln auftraten. Im Siete Partidas, dem kastilischen Gesetzbuch aus dem 13. Jahrhundert, wurden bezahlte Stierkämpfer als infam oder ehrlos bezeichnet und ihre Auftritte verboten. Mit dem Siete Partidas wurde der Stierkampf zu einem berittenen aristokratischen Spiel, das zur Feier wichtiger Ereignisse öffentlich präsentiert wurde. Auch Hochzeiten gehörten zu den Ereignissen, die mit Stierkämpfen gefeiert wurden. Den meisten Wissenschaftlern zufolge sind die frühesten in Spanien aufgezeichneten Stierkämpfe toros de boda (Hochzeitsstiere). Der erste dokumentierte Stierkampf fand im Jahr 1080 bei der Hochzeit des Infanten Sancho de Estrada und der Doña Uraca Flores statt. In einigen ländlichen Teilen Spaniens (z.B. in der Extremadura) war diese Tradition bis ins 19. Jahr­ CA R R IE B. DOUGLAS S

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hundert populär: Der novio (Bräutigam) wählt mit großer Sorgfalt einen guten Stier aus, den er dann mit seinen Freunden am Haus seiner novia (Braut) vorbeiführt. Der Stier wurde nicht getötet, sondern es ging darum, ihn zum Bluten zu bringen. Der Historiker Alvarez de Miranda merkt an, dass »dies auf die nahende Hochzeitsnacht anspielen könnte« (auf die Verletzung des Hymens). Der aristokratische Stierkampf erreichte im 16. und 17. Jahrhundert unter den Habsburgern seinen Höhepunkt. Als die habsburgische Linie im Jahr 1700 endete, wurde das französische Haus Bourbon auf dem Thron etabliert. Nachdem der erste Bourbonenkönig Felipe seinen Adligen von Stierkämpfen abgeraten hatte, endete diese Tradition schnell. Das Spektakel verschwand jedoch nicht völlig, sondern es fand ein interessanter Rollenwechsel statt: Als der Stierkampf zu Pferd Anfang des 18. Jahrhunderts immer mehr zurückging, begannen die Assistenten (chulos) der Adligen, die viel Erfahrung mit den Stieren hatten, zu Fuß und gegen Geld gegen Stiere zu kämpfen. Die Zuschauer waren begeistert. Allerdings hielt man es weiterhin für nötig, den Stier zunächst vom Pferderücken aus zu verletzen, um seine Stoßkraft und Geschwindigkeit zu reduzieren. So blieb die Rolle des Reiters erhalten, der nun Pikador genannt wurde und dem Torero untergeordnet war. Der Stierkampf zu Fuß war also bereits im späten 18. Jahrhundert etabliert und ist bis heute im Wesentlichen gleichgeblieben. Bezeichnenderweise ist der Pikador heute die am meisten verspottete und verachtete Figur des Spektakels. Die Pferde, die er reitet, sind nicht mehr die tänzelnden, reaktions­ freudigen Tiere der Aristokraten, sondern alte Mähren, bereit für den Abdecker. Der Pikador selbst ist in der Regel ein dicker, älterer Mann, der es mit den Lanzenstichen in den Stiernacken gerne übertreibt und dann von der Menge ausgebuht wird. Allgemein gilt der Pikador als sinvergüenza (schamlos). Versteht man ihn als Repräsentanten der Aristokratie, wird damit die Aristokratie als ehrlos betrachtet. Der Wandel vom aristokratischen Stierkampf zu Pferde zu einer Profession zu Fuß verschaffte zahlreichen Männern der unteren Gesellschaftsschichten Gelegenheit zum sozialem Aufstieg. Die Rolle des Stierkämpfers bietet Status, Geld und Ehre. Es ist bekannt, dass ungewöhnlich viele berühmte Stierkämpfer Roma waren. Männer aus den unteren Klassen wurden so zu Helden des Dorfes. Der Stierkampf ist ein großes Geschäft. Riesige Landflächen sind der Aufzucht von Kampfstieren gewidmet. Viele Arbeitsplätze hängen vom Stierkampf ab: Schneider, Stierkampfpriester, Druckereien, Ärzte, die sich auf Stierwunden spezialisiert haben, Transporteure, Fleischverkäufer, Zeitungskritiker, Fernsehteams, Agenten und Maler. Doch im Grunde steht immer noch ein Mann einem Stier gegenüber.

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Ehre in Spanien Um die primäre Mensch-Stier-Beziehung zu verstehen, die die Grundmetapher des Stierkampfs darstellt, müssen wir den spanischen Ehrbegriff betrachten. Ich beziehe mich hier nur auf die Kastilisch sprechenden Gebiete, insbesondere im Süden Spaniens. Die wichtigsten Themen des Ehrenkodex wiederholen sich im Leben eines Kampfstiers und in seiner Beziehung zum Stierkämpfer. Der Ehrbegriff bestimmt die Regeln für das soziale Verhalten unter Männern sowie zwischen Männern und Frauen. Ehre ist eine anerkannte Kategorie, auf die im spanischen Recht Bezug genommen wird. Ehre ist ein komplizierter Begriff, weil das Wort eigentlich zwei verschiedene Bedeutungen umfasst. Der Anthropologe Julian Pitt Rivers beschreibt das Problem als eine Dialektik zwischen Ehre als Tugend und Ehre als Vorrangstellung. Garcia Valdecasas diskutiert dieses Problem, indem er honor (spanisch: Ehre) den Plural honores gegenüberstellt: »Um Zugang zu Ehren zu haben, muss man von einer nichtreduzierbaren, primären Ehre ausgehen, nämlich ein aktives und wirksames Mitglied der Gemeinschaft zu sein.« Diese primäre (angeborene, innere) Ehre korrespondiert mit dem christlichen Ideal der Gleichheit aller Menschen. In dieser Definition haben auch die niedrigen Klassen Ehre. Man kann dieser basalen Ehre nichts hinzufügen: Entweder man hat sie oder man verliert sie, und sie zu verlieren ist gleichbedeutend damit, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Honores (verliehene, äußere Ehren) unterscheiden sich von honor dadurch, dass sie erworben und gesammelt werden können, und Menschen erlauben, ihren sozialen Status zu erhöhen. Das Spanien, von dem hier die Rede ist (1054-1900), war weit entfernt von einer Gesellschaft, die auf der Gleichheit aller Menschen beruht. Formal war es auf einem System von Ständen und castas (Kasten) aufgebaut und basierte auf grundlegenden Ungleichheiten zwischen den Menschen – zunächst zwischen denen, die Ehre hatten (der Adel) und jenen, die keine besaßen (der Rest der Gesellschaft). Beginnend mit der Renaissance jedoch benutzten diejenigen mit der meisten Ehre (der Adel) die christliche Moral als Rechtfertigung ihrer sozialen Position: Diejenigen an der Spitze sagten, sie seien die ehrenhaftesten. Hier kam die Idee einer Elite ins Spiel, die sich im Sinne der christlichen Tugendideale zu verteidigen suchte. Allerdings geschah der soziale Aufstieg des Adels nach Ansicht der Spanier oft auf wenig ehrenhafte Weise. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert gab es keinen Konsens mehr darüber, was die primäre Bedeutung von Ehre war und wer Ehre hatte. Die Definition von Ehre hing von der sozialen Stellung und dem Interesse ab. Einige Autoren argumentierten, Ehre könne durch obras buenas (gute Werke) erlangt werden, während Aristokraten entgegneten, Ehre sei eine Frage der Geburt. Andere stellten die rechtlichen Definitionen des Adels in Frage, indem sie behaupteten, nur die Bauern seien wirklich frei von jüdischem und maurischem CA R R IE B. DOUGLAS S

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Blut (eine Voraussetzung für Reinheit im 16. und 17. Jahrhundert) und daher stellten nur die einfachen Menschen eine ehrenhafte Klasse dar. Hinter dem einen Wort »honor« verbergen sich also zwei sehr gegensätzliche Vorstellungen: Der Ehrenkodex kann verwendet werden, um den Status quo zu rechtfertigen oder um ihn in Frage zu stellen. Die Spannungen, die dem spanischen Ehrenkodex innewohnen, sorgen nicht nur für gute Literatur, sondern auch für einen guten Stierkampf.

Ehre als Tugend: vergüenza Die zwei Aspekte der Ehre werden auf die Geschlechter projiziert: Frauen repräsentieren gemäß dieser Vorstellung die primäre, essentielle honor, die vergüenza genannt wird (gewöhnlich mit »Scham« übersetzt), und es wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Ehre jeder Frau gleich ist: Hat eine Frau vergüenza, wird sie nicht an der Ehre anderer Frauen gemessen. Vergüenza ist den Frauen angeboren; wenn sie verloren geht, ist sie für immer verloren und die Frau und alle Männer ihrer Familie sind gebrandmarkt. Vergüenza hängt fast ausschließlich von der »Reinheit« der Frau ab, wobei rein zu sein bedeutet, jungfräulich zu sein oder nur mit dem rechtmäßigen Ehemann Geschlechtsverkehr zu haben. Jede Vermutung, dass eine Frau vor der Ehe Geschlechtsverkehr hatte, macht sie zu einer sinvergüenza (Schamlosen) und praktisch unverheiratbar. Die Jungfräulichkeit ist somit der wertvollste und verletzlichste Besitz einer Frau und die gepriesenste Eigenschaft eines der höchstverehrten nationalen Idole, der Jungfrau Maria. Männer partizipieren an der weiblichen Ehre durch die Frauen, mit denen sie verwandt sind, insbesondere ihre Mütter und Schwestern, aber auch ihre Ehefrauen und Töchter. Frauen repräsentieren sowohl die innere »Würde« der Männer als auch eine zugrundeliegende und wesentliche Gleichheit unter den Männern. Im sozialen Bereich ist ein männlicher sinvergüenza ein Mann, der es nicht verdient, ein Mitglied der Gemeinschaft zu sein. Zigeuner werden ausgegrenzt und üblicherweise als sinvergüenzas betrachtet. Auch eine anti-aristokratische Gesinnung kann mit diesem Wort ausgedrückt werden, wie z. B. in Tirso de Molinas Stück über Don Juan, El Burlador de Sevilla: »La desvergüenza en España se ha hecho caballeria« (»Die Schamlosigkeit ist in Spanien adlig geworden“). In einem sehr realen Sinn hängt die männliche Ehre von Wahrung und Kontrolle der sexuellen Reinheit der Frauen ab. Frauen sind jedoch mit ihrem angeblich unkontrollierten sexuellen Verlangen der Inbegriff der Leidenschaft. Daher gelten Frauen als gesellschaftlich destruktiv. Das Wesen der Frau ist es, zu verführen und verführerisch zu sein. Als Octavio in El Burlador de Sevilla entdeckt, dass seine Verlobte von einem anderen Mann verführt wurde, erklärt er, dass »selbst die beständigste Frau am Ende nur eine Frau 65

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ist« (»que la mujer mas constante es, en efecto, mujer«). Stanley Brandes berichtet in seinem Buch Metaphers of Masculinity (Metaphern der Männlichkeit), dass Männer in der kleinen südspanischen Stadt Monteros häufig sagen: »Alle Frauen sind Huren. Alle.« Männer hingegen gelten als sozial konstruktiv. Sie demonstrieren dies, indem sie sich selbst und/oder ihre Frauen kontrollieren. Frauen können nicht für ihre Ehre verantwortlich gemacht werden, sondern es ist Bestimmung und Aufgabe der Männer, die weibliche Ehre zu schützen und bewahren. In einer kastilischen Kleinstadt, berichtet der Anthropologe Joseph Aceves, »ist die schwerwiegendste Anfechtung der Ehre eines Mannes die Unterstellung, er sei ein betrogener Ehemann.« Dass man das Weibliche in Schach halten muss, zeigt auch die Aufteilung des sozialen Raums. Der weibliche Raum entspricht dem Haus. Der männliche Raum ist die Öffentlichkeit, und das einzige Interesse des Mannes am Haus besteht darin, seine Frauen darin abzuschirmen. Eine treffende Aussage über das Ideal und gleichzeitig die Schwierigkeit, Frauen einzuschränken, ist der volkstümliche Spruch »mujer honrada, en casa y con la pierna quebrada« (»Eine ehrenhafte Frau liegt zu Hause mit gebrochenem Bein«). Im 15. Jahrhundert wurde die Sorge um die Reinheit der Frauen zu einer nationalen Sorge um die Reinheit der »Rasse« erweitert, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand. Vor allem in der Oberschicht und bei denjenigen, die nach Ehrungen und Titeln strebten, mussten die Familien die Abwesenheit jeglichen jüdischen oder arabischen Blutes in ihrem sogenannten christlichen Erbe nachweisen. So erhielt das Ideal der »Blutreinheit« und das Konzept der casta Einzug in die Kultur. Casta, was »keusch« bedeutet, ist in Spanien auch ein lobendes Wort, das »hohe Zucht«, »Kaste«, »Abstammung« und ganz allgemein »authentisch kastilisch« bedeutet. Es ist ein Wort, das auf das spanische Volk, auf Frauen und, wie wir sehen werden, auf Stiere angewendet wird.

Ehre als Vorrangstellung: honores Anders als Frauen können Männer (verliehene) Ehre erlangen: die honores können ihren sozialen Status erhöhen. Männliche Ehre kann ausschließlich in Form von Hochachtung oder Ehrerbietung von anderen empfangen werden: »Kein Mann kann sich selbst Ehre gewähren und kein Mann kann Ehre von den Mitgliedern seiner Gemeinschaft einfordern, wenn diese nicht bereit sind, sie zu geben«, schreibt der Romanist Donald R. Larson in seiner Analyse von Lope de Vegas Ehrendramen. Da die eigene Ehre von anderen anerkannt werden muss, ist es notwendig, sie immer wieder in der Öffentlichkeit zu beweisen. Es gibt keinen symmetrischen Austausch von Ehre, es ist ein Spiel mit einem Gewinner und einem Verlierer. Wenn man z.B. in einer CA R R IE B. DOUGLAS S

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Bar jemandem erlaubt, sein Getränk zu bezahlen, impliziert das die Abhängigkeit von dieser Person und die Anerkennung ihrer Überlegenheit. PittRivers beschreibt den Fall eines Mannes aus dem 18. Jahrhundert, der sich weigerte, einen anderen Gentleman zahlen zu lassen, und ihn schließlich mit einem Schwert durchbohrte, um seine Vorrangstellung zu besiegeln. Man kann sagen, dass der Wettbewerb um die Ehre sowohl auf der persönlichen Ebene (zwischen Individuen) als auch auf der gesellschaftlichen Ebene (zwischen Klassen) stattfindet. In diesem Kampf sind Frauen oft das Mittel: Männer konkurrieren durch Frauen miteinander. Man kann einen Mann beleidigen, indem man die Reinheit seiner Mutter in Frage stellt: »Tu madre!« (Deine Mutter) oder »Hijo de puta!« (Hurensohn). Die berühmte literarische Figur Don Juan erlangt Ehre (Vorrangstellung), indem er die Ehre (Töchter) anderer Männer beschmutzte. Lope de Vega, der vielleicht populärste Dramatiker des 17. Jahrhunderts, hat die Gegensätze zwischen den Klassen oft in Form des Ehebruchs dargestellt. In Fuenteovejuna, Peribáñez und El mejor alcalde, el rey (Der beste Bürgermeister ist der König) begehen Männer der Oberschicht Ungerechtigkeiten gegen ehrbare Bauern. Diese Ungerechtigkeiten sind ausnahmslos Vergewaltigungen oder versuchte Vergewaltigungen der Frauen der Bauern, gefolgt von der erfolgreichen und gesellschaftlich anerkannten Rache des Bauern. Das Wort für Betrogener (cabron; wörtlich: Ziegenbock) oder die entsprechende Geste (die gehörnte Hand) beschuldigt einen Mann, seine Frauen nicht kontrollieren zu können, kein richtiger Mann zu sein. Das Thema des Mannes, der sich an einer untreuen Frau rächt, wurde zu einem Lieblingsthema der mittelalterlichen Bänkelsänger und dominierte das Theater des Goldenen Zeitalters im 16. und 17. Jahrhundert. In der Literatur war es bis ins frühe 20. Jahrhundert präsent. Das spanische Gesetzbuch bestrafte vom 13. Jahrhundert bis zu Verfassung unter Franco Verbrechen gegen die Ehre. Wenn ein Mann seine Frau mit einem anderen Mann ertappte und diesen ermordete, war er entschuldigt. Das der spanischen Ehre innewohnende Paradox besteht darin, dass der Mann seine Ehre = Tugend bewahren muss, um Ehre = Vorrang erlangen zu können. Obwohl die weibliche Macht also nicht offenkundig ist, kann sie Männer ruinieren, was die verbreitete Angst vor weiblicher Sexualität und weiblicher Geselligkeit verständlich macht.

Der Stier und der Ehrenkodex Die Behandlung des Stiers ähnelt der dem Ehrenkodex gemäßen Behandlung der Frauen. Die Analogie wird jedoch durch das Geschlecht des Stieres wird sie verschleiert. Natürlich ist der Stier nicht weiblich (in anderen Kontexten ist er sogar ausgesprochen männlich!), aber er hat in der Beziehung 67

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zum Torero die gleiche strukturelle Position wie die Frau. Die verschiedenen Artikel, die im Ehrenkodex für Frauen bedeutsam sind, gelten auch für den Stier: Reinheit, Jungfräulichkeit, Heirat, Einschränkung/Beherrschung, Kontrolle durch einen Mann. Der Toro bravo ist ein Kampfstier, der die Menschen bei Sichtkontakt spontan angreift. Das macht ihn gefährlich und schwer zu handhaben, auch auf den Zuchtfarmen. Aber genau diese Eigenschaften werden bei einem Stier für den Ring gesucht, daher sind Reinheit der Zucht und des Stammbaums wichtig. Die Zucht wird sorgfältig kontrolliert und langfristig geplant, anhand detaillierter, jahrhundertealter Stammbäume. Casta (Reinheit), die sich ursprünglich auf die Reinheit der Tierarten bezog, ist eine regelrechte Obsession. Der Kampfstier ist auch in einem anderen Sinne casta: jungfräulich. Die Tiere sind sowohl physische Jungfrauen als auch Jungfrauen im Kontakt mit dem roten Tuch, wenn sie im Alter von vier oder fünf Jahren (wenn sie das richtige Gewicht und die richtige Größe erreicht haben) in die Arena kommen. Viele Autoren geben zu, dass sie den Sinn der sexuellen Jungfräulichkeit nicht verstehen, und mir ist keine offizielle Begründung dafür bekannt. Was die Jungfräulichkeit in Bezug auf das rote Tuch angeht, so ist sie vermutlich notwendig, damit der Stier nicht lernt, das Tuch als Trick zu durchschauen. Bei den Frühjahrs-Tientas (Prüfungen) auf den großen Stierfarmen werden die Kälber auf ihren Kampfgeist getestet. Weil der Stier in einem offiziellen Kampf »jungfräulich« sein muss, werden mit jedem Kalb nur ein paar Sekunden verbracht – gerade genug Zeit, um ihre Angriffsbereitschaft festzustellen. Die Toreros üben stattdessen mit den Kühen, und die Stiere werden entsprechend des Muts ihrer Mutter bewertet. Die Farmbesitzer sind buchstäblich die Garanten für die »Jungfräulichkeit« des Stiers und können mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn sie ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Ihre Aufgabe ist jedoch nicht einfach. Im Gegensatz zu den Eisengittern an spanischen Fenstern können die Zäune der Zuchtfarmen die jungen Männer nur unzureichend fernhalten. Wenn die veröffentlichten Stierkämpfer-Biographien stimmen, wurde so mancher Stier mit dem Tuch provoziert, bevor er eine Manege betrat. Mehrere Stierkämpfer erzählen, wie sie nachts, insbesondere bei Vollmond, mit Freunden auf die Felder gingen, um ein paar Manöver mit einem Kampfstier auszuprobieren. Dies war das einzig mögliche Training für ihren Traum, professioneller Stierkämpfer zu werden. Beispielsweise berichten die berühmten Stierkämpfer Juan Belmonte (1892–1962) und El Cordobes (*1936), dass diese illegalen nächtlichen Eskapaden sehr verbreitet waren. Man kann davon ausgehen, dass in ganz Südspanien Stiere von jungen Burschen ohne das Wissen des Farmbesitzers mit Tüchern gereizt wurden. Ein Amateur, der sich zu diesem Zweck auf eine Ranch schleicht, kann rechtmäßig erschossen werden; er dringt in einen männlichen HerrschaftsbeCA R R IE B. DOUGLAS S

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reich ein und schändet die Stiere, insofern begeht er symbolischen Ehebruch. Jungfräulichkeit wird sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen Stierkämpfer und Stier durch Einschränkung und Einschließung gewährleistet. Tatsächlich wird der abgesperrte Platz für Stierkämpfe in kleinen Dörfern oft encierro genannt, was auch auch Kloster oder Gefängnis bedeutet. Zudem werden die Stiere in fest verschlossenen Kisten zur Arena transportiert. Wenn es sich um eine kleine Dorf-Corrida handelt, an der alle Jungen teilnehmen dürfen, wird der Stier oder das Kalb direkt in die Manege entlassen. Bei den offiziellen Stierkämpfen werden die Stiere jedoch aus den Kisten befreit und dürfen in einem kleinen Gehege umherlaufen, während die Agenten der Stierkämpfer und andere Fans sie begutachten. Dann werden sie getrennt und in kleine, sehr dunkle Ställe (toriles) gebracht. Der Beginn des Stierkampfes wird durch die zeremonielle Übergabe der Schlüssel der toriles durch den Präsidenten der Manege an die Alguacils markiert, der das toril aufschließt, wenn es Zeit für den Stier ist, die Manege zu betreten. Das toril und die Kiste sind symbolische und reale Behältnisse: Orte, an denen der Stier ruhig und lenkbar ist. Wenn er aus dem toril entlassen wird, ist der Stier hingegen wild und gefährlich – dann ist es Aufgabe des torero, den Stier wieder zu bändigen. Im Stierkampf selbst verliert oder gewinnt der Torero Ehre durch seine Fähigkeit, den Stier erst zu kontrollieren und dann zu töten. Nur wenn er den Stier anhält (parar), ihn dazu bringt, genau das zu tun, was er will, und ihn schließlich durch immer kürzere Manöver in Schach hält, erweist ihm die Menge Ehre. Durch die Beherrschung wird der wilde, potente und lebensgefährliche Stier mit dem gesellschaftlich Weiblichen identifiziert. Es gibt die Redensart »Toro muerto, vaca es« (»Ein toter Stier ist eine Kuh«). Wie der verspottete Ehemann, der gezwungen ist, Hörner zu tragen, wenn er seine Frau nicht unter Kontrolle hat, ist auch der Stierkämpfer das Objekt von Beleidigungen und Spott des Publikums, wenn er dem Stier ausweicht, anstatt seinen Angriff wirklich zu kontrollieren. Das Publikum merkt sofort, wenn der Stierkämpfer Angst vor dem Stier hat und sich von ihm beherrschen lässt. »Sinvergüenza!« ist die häufigste Beleidigung für einen feigen, inkompetenten Torero. In der Geschichte des Stierkampfes wurden oft zwei Stierkämpfer als Konkurrenten gesehen (die letzten waren Joselito und Belmonte, von 1914 bis 1920). Sie kämpften nicht direkt gegeneinander, sondern mittels des Kampfes gegen den Stier. Ein Torero erhält im Vergleich zu anderen Toreros eine Vorrangstellung aufgrund seiner Beziehung zu seinem Stier. Wie gut kann er einen Stier in Schach halten, kontrollieren und dominieren? Ähnlich hängt die Ehre eines Mannes letztlich davon ab, inwieweit er die Frauen seiner Familie kontrollieren kann. In diesem Sinne kann der Kampf gegen einen Stier als indirekter Wettbewerb mit einem anderen Mann gesehen werden. 69

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Der vielleicht bekannteste Frauen-Bändiger war Don Juan. Obwohl die beiden großen männlichen spanischen Persönlichkeiten, Don Juan und der Torero, oft verglichen und durcheinandergeworfen werden, werden die Ähnlichkeiten in der Beziehung zu ihren Opfern ignoriert. Erinnern wir uns daran, dass Don Juan (vorgeblich als angehender Bräutigam) Frauen neckt (burla; der Titel des Werkes von Tirso de Molina ist El Burlator de Sevilla); der Stierkämpfer neckt (burla) Stiere (ursprünglich als angehender Bräutigam vor einer Hochzeit). Meines Wissens hat nur ein einziger Autor das Ereignis des Stierkampfes in seinem Kern als Konfrontation zwischen Mann und Frau betrachtet. In seinem Buch Desde el Espectaculo a la Trivializacion (Vom Spektakel zur Trivialisierung, 1961) schreibt der spanische Soziologe Enrique Tierno Galvan, dass der Spanier bewusst oder unbewusst »den erotischen Umgang mit der Frau in enger Beziehung zur Haltung des Toreros vor dem Stier sieht. In der erotischen Beziehung wird die Frau als rebellisches und wildes [brava] Wesen gesehen, das mit denselben Methoden und Techniken beherrscht werden muss, die in der Stierkampfarena angewandt werden«. Nach Tierno Galvan sieht der Spanier die Eroberung einer Frau als dasselbe an wie die Unterwerfung eines toro bravo. Tierno Calvan kam durch Beobachtung der spanischen Sprache zu diesem Schluss: Zum einen stellte er fest, dass Attribute des Stiers auf Frauen übertragen werden. Zum anderen fand er, dass das Stierkampf-Vokabular auf die Beziehung zwischen Männern und Frauen übertragen wurde, insbesondere auf erotische Beziehungen. So kann sich der Ausdruck »los tiene bien puestos« auf die gut gebauten Hörner eines Stiers beziehen oder auf die gut gebauten Brüste einer Frau. »Trastear« bedeutet im Stierkampf, den Stier mit dem Tuch an sich vorbeizuführen, kann aber auch bedeuten, mit einer Frau fertig zu werden. Und die verschiedenen Stierkampfwaffen (estoque, puya und vara) können auch den Penis bezeichnen. Zahlreiche Gespräche wurden wissenschaftlich ausgewertet, in denen Frauen und Stiere gleichgesetzt wurden, beispielsweise zeigte ein Torero, als er gefragt wurde, die Stiere welcher Zucht die besten seien, auf eine attraktive Frau und antwortete: »Die Zucht, die Exemplare wie die Tusse da vorne produziert.«

Das einzige mögliche Ende Der letzte Akt des Stierkampfes unterstreicht die sexuellen Rollen der beiden Protagonisten in der Manege. Am eindeutigsten ist die sexuelle Bildsprache bei den letzten Manövern, jedes eingeschränkter als das vorige, und bei der Tötung am Ende. Der Torero fordert den Stier oft mit sexuellem Spott zum Angriff auf, indem er das Tier mit Beckenstößen anstachelt, wobei seine CA R R IE B. DOUGLAS S

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Genitalien durch seine enganliegende Hose modelliert werden. Er muss den Stier so nah wie möglich an sich vorbeiziehen lassen und seinen Oberkörper so weit in Richtung Stier drücken, dass die Hörner beinahe seine Kleidung aufschlitzen. Die atemlose körperliche Begegnung bringt uns zum Höhepunkt des Spektakels. In Spanien gibt es einen beliebten Spruch, der auf Keramikfliesen und Krügen zu sehen ist: Para torear y para casarse hay que arrimarse (»Zum Stierkampf und zum Heiraten muss man sich nahe kommen«). Zum Töten hat der Torero den Degen in der rechten Hand und benutzt die linke Hand, um das Tuch zu halten und den Stier mit dem Kopf nach unten an sich heran zu führen. Er stürzt sich auf den Stier, dringt in ihn ein (entrar) und stößt die Klinge über die Hörner in den Rücken des Tieres. Die Hörner des Stieres sind wirklich tödlich, und doch sind sie die ultimativen Garanten für Ehre: Nur wenn man die Hörner überquert, tötet man richtig und zeigt seine wahre Tapferkeit. Der Tod ist in einem offiziellen Kampf das einzig mögliche Ende für den Stier. Es mag ihm gelingen, seinen Angreifer zu verwunden oder, selten, zu töten, aber es gibt einen gesellschaftlichen Imperativ, der verlangt, dass dieser Bruch der »natürlichen« und notwendigen Hierarchie korrigiert wird: Ein zweiter Stierkämpfer wird kommen und den Stier erledigen.

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Anita Rachvelishvili als Carmen


Aber das Licht, kurz nach sieben Uhr, ist das schönste Licht der Welt. Dieses Licht in der Arena, von dem der Toro Besitz ergreift. Er säuft es, dieses goldene Licht, das seinen wunderbaren Körper vollkommen macht, seine samtig bewimperten Augen aufleuchten lässt. Fast sanft anzusehen ist er, bis er zum selbstmörderischen Angriff übergeht, um sein Leben zu retten. Dieses elegante Spiel, Licht und Beweg­ ung im Augenblick des Angriffes, ist gelebte animalische Poesie, erotisierend, vibrierend bis zur schieren Unerträglich­ keit. Weiß Göttin, sie mag dieses Stier geliebt haben, ehe er vom Mann zum Monstrum des Animalischen, Erdigen, Dunklen gestempelt wurde. → Mariella Mehr

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UNMÖGLICHES! Ich bitte dich, sagte ich zu ihr, sei vernünftig! Höre mich! Alles, was gewesen, ist vergessen. Du weißt doch, du, du hast mich zugrunde gerichtet. Deinetwegen bin ich Dieb und Mörder geworden. Carmen, liebe Carmen, lass mich dich retten und mich mit dir! José, erwiderte sie, du bittest Unmögliches. Ich liebe dich nicht mehr. Du, du liebst mich noch, und darum willst du mich töten. Ich könnte dir noch irgendeine Lüge vormachen, aber diese Mühe gebe ich mir nicht. Alles ist aus zwischen uns. Als mein Rom hast du das Recht, deine Romi zu töten. Carmen aber ist ewiglich frei. Als Kalé ist sie geboren, als Kalé wird sie sterben. Du liebst also den Lukas? Ja, ich habe ihn geliebt, wie einst dich, eine Zeitlang, vielleicht weniger als dich. Jetzt liebe ich nichts mehr, und ich hasse mich, weil ich dich geliebt habe. Ich warf mich ihr zu Füßen, griff ihre Hände und benetzte sie mit meinen Tränen. Ich erinnerte sie an alle die glücklichen Augenblicke, die wir zusammen erlebt hatten. Ich erklärte mich bereit, ihr zu Gefallen Räuber zu bleiben. Alles, alles hab ich ihr angeboten, auf dass sie mich wieder lieben sollte. Sie sprach: Dich noch lieben ist unmöglich. Mit dir leben will ich nicht. Da packte mich die Wut. Ich zog mein Messer. Hätte sie nur Furcht gezeigt, hätte sie mich um Gnade angefleht! Nichts; dies Weib war ein Dämon. Zum letzten Male, rief ich, willst du bei mir bleiben? Nein, nein, nein! rief sie, indem sie mit dem Fuß aufstampfte und den Ring, den sie von mir hatte, vom Finger zog und ins Gebüsch schleuderte. Ich stach und stach nochmals. Es war das Messer des Einäugigen, das ich mir angeeignet hatte, als das meine zerbrochen war. Beim zweiten Stiche brach sie lautlos zusammen. Noch ist‘s mir, als schaute ich ihr großes schwarzes Auge starr auf mich gerichtet. Bald ward es trübe und schloss sich.

→ Prosper Mérimée, Carmen

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Mitglieder des Chors der Wiener Staatsoper, Vera-Lotte Boecker als Micaëla, Anita Rachvelishvili als Carmen, Slávka Zámečníková als Frasquita, Piotr Beczała als Don Josè und Szilvia Vörös als Mercédès


Πᾶσα γυνὴ χόλος ἐστίν· ἔχει δ᾿ ἀγαθὰς δύο ὥρας· τὴν μίαν ἐν θαλάμῳ, τὴν μίαν ἐν θανάτῳ. Pasa gyne cholos estin; echei d'agathas dyo horas, Ten mian en thalamo, ten mian en thanato. Jede Frau ist wie Galle, doch hat sie zwei gute Stunden: eine im Hochzeitsbett, die andere dann im Tod. → Palladas (Griechische Anthologie 11.183) Motto, das Prosper Mérimée seiner Novelle Carmen voranstellte


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Piotr Beczała als Don Josè und Anita Rachvelishvili als Carmen



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Impressum Georges Bizet CARMEN Saison 2020/21 HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Dr. Ann-Christine Mecke Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Annette Sonnewend & Gabi Adébisi-Schuster (WerkstattWienBerlin) Hersteller: Druckerei Walla GmbH TEXTNACHWEISE – ORIGINALBEITRÄGE Ann-Christine Mecke: Die Handlung (englische Übersetzung von Steven Scheschareg), Über dieses Programmbuch, Im Grenzgebiet – Andrés Orozco-Estrada: Das Unerhörte im oft Gehörten – Andreas Láng: Ein ziemlich andauernder Erfolg ÜBERNAHMEN UND ÜBERSETZUNGEN Prosper Merimée, Carmen (übersetzt von Arthur Schurig), Leipzig 1928 – Marie Luise Kaschnitz, Zwei Frauengestalten, in: Merkur 16, Heft 172 (1962), S. 523 – 536, Zitat S. 536 – Oscar Commetant, Rezension der Uraufführung (deutsch von Sergio Morabito), in: Le Siecle 8. März 1875, S. 2 – Susan McClary, Georges Bizet: Carmen (Cambridge Opera Handbooks), Cambridge 1992 – Catherine Clément: Die Frau in der Oper. Besiegt, verraten und verkauft (aus dem Französischen von Annette Holoch), Stuttgart 1992, Zitat S. 94 – 95 – Wolf Wondratschek: Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018, S. 11–  15 – Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner, Turiner Brief von Mai 1888, zitiert nach http://www.nietzschesource.org/ – Carrie B. Douglass, Toro muerto, vaca es. An interpretation of the Spanish bullfight (deutsch von Ann-Christine Mecke), American Ethnologist 11 (1984), S. 242 – 258 – Mariella Mehr, Das Licht der Frau, Bern 1984, Zitat S. 25 – 26. BILDNACHWEISE Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH Coverbild: Txema Salvans, aus: The waiting game I, https://txemasalvans.com Weitere Abbildungen: Wartende Schmuggler in Melilla: Jordi Camí, aus: Esclaus del contraban, http://jordicami.com – Grenzzaun in Melilla: Gianfranco Tripodo, aus: Frontera Sur, https://www.gianfrancotripodo.com – Randa Maroufi: Attente aus der Serie »Nabila & Keltoum & Khadija«, Farbfoto 2015, https://www.randamaroufi.com – Osborne-Stier: Txema Salvans, aus: My Kingdom, https://txemasalvans.com Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen sind nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


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