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Aufbruch zum Sitz des Gottes der Musik
»Martha Argerich – die grösste Pianistin der Welt?«, titelte die Luzerner Zeitung unlängst. Zur österreichischen Hauptstadt hat die Klavierlegende, die Beethovens 2. Klavierkonzert mit den Wiener Symphonikern unter Lahav Shani aufführt, eine besondere Verbindung
VON MARTIN WILKENING
»Wien, das ist etwas Besonderes«, sagt Martha Argerich in einem kurzen Video-Gespräch mit Rico Gulda, das auf dem YouTube-Kanal des Wiener Konzerthauses abrufbar ist; aber ein Zuhause möchte sie es doch nicht nennen. Die Frage danach hat ihren guten Grund, denn es war Wien, wo die 14-jährige Martha den entscheidenden Schritt in die Welt außerhalb ihrer Heimatstadt Buenos Aires tat und sich aus dem Bannkreis des gleichermaßen tyrannischen wie genialen Klavierlehrers Vicente Scaramuzza befreite (durch dessen harte Schule ebenso der Pianist Bruno Leonardo Gelber gegangen war wie der später in Köln lebende Komponist Mauricio Kagel). Wien, das war schon für die siebenjährige Beethoven-Verehrerin der mythische Sitz des »Gottes der Musik« und konkretisierte sich dann als die Stadt, in der Friedrich Gulda lebte. Sie hatte ihn mehrmals im Konzert gehört, auch als Gulda während eines einmonatigen Aufenthaltes in Buenos Aires einen Zyklus aller Beethoven-Sonaten spielte, und sie war begeistert. Der erste persönliche Kontakt verlief holperig, denn bei dem Vorstellungstermin, den die ehrgeizige Mutter für ihre in Buenos Aires schon als Wunderkind bekannte Tochter ergattern konnte, weigerte sich diese glattweg, etwas vorzuspielen. Gulda begriff dies nicht als Affront, sondern als pädagogische Herausforderung, und beim nächsten Treffen gelang es ihm, die unnatürliche Vorspielsituation in ein natürliches Gespräch zwischen zwei Musiker:innen zu verwandeln, indem er selber einen BeethovenSatz anspielte und Martha dann um ihre Meinung bat, was das Tempo anging. Und daraufhin setzte sie sich selbst ans Klavier.
Dennoch war der spätere Brief mit der Einladung nach Österreich eine Überraschung, denn Gulda unterrichtete nicht regulär und tatsächlich blieb Martha Argerich seine einzige Schülerin. In einer Audienz beim argentinischen Staatspräsidenten Juan Perón wurde um ein Stipendium für das Wunderkind ersucht, und Martha musste dabei nicht vorspielen, aber noch einmal ihren Wunsch, nach Wien zu gehen, gegen ihre Mutter verteidigen, die sie doch lieber in New York gesehen hätte. So wurden für die Eltern flugs zwei Stellen an der Argentinischen Botschaft in Wien geschaffen, und dem Aufbruch der ganzen Familie nach Europa stand nichts mehr im Wege.
Musik ist wie das Leben. Es fließt immer. Alles. Es gibt nichts, das wir festhalten können. Auch wenn wir Fotos aufnehmen, können sie nicht das Leben so festhalten, wie es ist (...) Bei der Musik ist das gleich (...) Ein Konzert lässt sich auch nicht wiederholen, es ist einmalig, und das ist gut so. Es ist ein Abenteuer.- Martha Argerich
Gulda, der schon über die Zwölfjährige gesagt hatte, dass sie mit ihren Händen und ihrer Technik im Grunde genommen bereits »alles spielen konnte«, hatte ihr eine klare Vorgabe für die weitere Ausbildung gemacht: »Du darfst nur zwei Jahre bei mir bleiben.« Daraus wurden eineinhalb Jahre. Er schulte ihre Reflexion des eigenen Tuns durch das Aufnehmen und gemeinsame Abhören ihres Spiels, zeigte ihr, wo der Humor in Beethovens Musik steckt (das war etwas Neues für sie) und wie man Gefühl von Sentimentalität trennt (das entsprach auch ihrer eigenen Intuition). Auch ihre Liebe zum Jazz wurde durch Gulda begründet, obwohl sie selbst sich nicht auf das Improvisieren einließ. Wo Gulda bei ihr nicht erfolgreich war und was ihr manche Vorwürfe einbrachte, war die fehlende Zielstrebigkeit, der verschwenderische und manchmal destruktive Umgang mit ihrer musikalischen Begabung und der unökonomische Umgang mit Zeit. Für sie wurde es schon als Jugendliche wichtig, sich auch treiben zu lassen, und kam sie einmal unvorbereitet zum Unterricht, so bewies sie gleich darauf, dass sie auch schwierigste Stücke innerhalb eines Tages einstudieren konnte.

Während der Zeit bei Friedrich Gulda war sie von öffentlichen Auftritten befreit. Danach wollte sie es wirklich wissen, spielte 1957 als Sechzehnjährige innerhalb weniger Tage bei den bedeutenden Klavierwettbewerben in Bozen und Genf und gewann beide. Damit begannen sowohl der steile Aufstieg ihrer Karriere als auch ihre Rückzüge ins Private, die auch ihre frühen Auftritte im Wiener Konzerthaus widerspiegeln. 1959 spielte sie hier zum ersten Mal – als Solistin in einem Haydn-Klavierkonzert. Anfang der 1960er-Jahre stieg sie aus dem gerade angelaufenen Hamsterrad wieder aus und verschwand von den Konzertpodien. Ihr nächster Auftritt im Wiener Konzerthaus war erst 1966, diesmal mit einem Rezital mit Musik von Bach bis Prokofjew. Im Jahr zuvor hatte sie ihr erstes Comeback wiederum mit einem Wettbewerbsgewinn angekündigt, diesmal beim prestigeträchtigen Warschauer Chopin-Wettbewerb. Ihr letztes Rezital im Jahr 1983, bei dem sie auch Ravels »Gaspard de la nuit« spielte, markiert ziemlich genau den Punkt ihrer Befreiung von der Last, sich ganz alleine am Klavier einem Publikum zu präsentieren.
Seitdem spielt Martha Argerich nur noch mit anderen, altvertrauten wie neuen Klavier- oder Kammermusikpartner:innen (was einzelne Solostücke nicht ausschließt) oder mit Orchester – auf ihren eigenen alljährlichen Festivals im japanischen Beppo, in Lugano oder, seit 2017, in Hamburg, ebenso wie in den Musikzentren der Welt. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2025 stehen 33 Konzerte im Reisekalender der bald 84-Jährigen, die am 5. Juni 1941 geboren wurde. Es sind Konzerte in Europa und in Israel, wo sie beim Israel Philharmonic Orchestra auch mit Lahav Shani zusammenarbeitet. Mit ihm und den Wiener Symphonikern wird sie im Wiener Konzerthaus Beethovens 2. Klavierkonzert aufführen, vielleicht dasjenige Klavierkonzert, das sie mit seinen Spannungen zwischen wirbelnder Leichtfüßigkeit und den abgründigen Spannungen der mystischen großen Kadenz in der letzten Zeit am meisten beschäftigt hat, und das seit der Jahrtausendwende gleich in drei unterschiedlichen Einspielungen von ihr auf CD vorliegt.
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KONZERTTIPPS
26 & 27/04/25 Sa, 19.30 Uhr · Großer Saal, So, 11.00 Uhr · Großer Saal
Wiener Symphoniker · Argerich · Shani
Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62001