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Soundtrack für eine Femme fatale
In den 1920er-Jahren, als Georg Wilhelm Pabst das Drama um Wedekinds Gestalt der verführerischen Lulu auf die Leinwand brachte, galt der Jazz noch als unmoralische Erscheinung. Wolfgang Puschnig bedient sich nun der Offenheit dieses Genres und liefert die Musik zu den laufenden Bildern
VON MIRIAM WEISS
Es war einer der letzten Stummfilme von Georg Wilhelm Pabst, bevor er sich ganz der Produktion von Tonfilmen zuwandte: »Die Büchse der Pandora« aus dem Jahr 1929. Im Zyklus Film + Musik live trifft Pabsts Film im Wiener Konzerthaus auf die Musik von Wolfgang Puschnig. Der Saxophonist und Komponist, der seit Jahrzehnten zwischen musikalischen Genregrenzen lustwandelt und zu den einflussreichsten Jazzmusikern Europas zählt, wird dem einst so brisanten filmischen Meisterwerk ein neues Klanggewand verleihen.
Pabst wagte sich mit seinem Film an ein damals heißes Eisen: Die darin erzählte Geschichte handelt von Lulu, einer Frau, die sich nicht um gesellschaftliche Normen schert und alle in ihrem Umfeld bezirzt und verführt, ganz gleich ob Mann oder Frau, jung oder alt, verheiratet oder sonstwie gebunden. Die Umgarnten verfallen Lulu reihenweise und wollen sie schließlich ganz für sich allein haben. Das bringt Missgunst, Eifersucht, Verderben und schließlich den Tod – auch für Lulu. Erfinder dieses tragischen Geschöpfs war Frank Wedekind, der Lulu zur Protagonistin seiner beiden Dramen »Erdgeist« (1895) und dessen Fortsetzung »Die Büchse der Pandora« (1902) erkor und sich mit dieser »Schundliteratur« prompt Skandale und einen Zensurprozess einhandelte. Wedekinds Lulu-Dramen zeigen schonungslos, wie die erotisierten, triebgesteuerten Figuren in der moralischen Zwangsjacke der Gesellschaft ersticken. Gut zwanzig Jahre später entwickelte Pabst aus diesem Stoff seinen Film, der auf den beiden Wedekind-Dramen basiert, sich aber auch einige Abweichungen von der literarischen Vorlage gestattet.
Ein Stummfilmpianist der späten 1920er-Jahre mag die pikante Filmhandlung vielleicht mit einer Musik begleitet haben, die damals ebenfalls als verrucht galt, aber gleichzeitig eine ungeheure Faszination auf das urbane Publikum ausübte: In den Ball- und Tollhäusern der europäischen Metropolen von Berlin über Wien bis Paris und London tanzte man sich damals zu Charleston, Shimmy, Foxtrott und Tango die Seele aus dem Leib. Das Zauberwort, das die erotischen Fantasien der ansonsten so wohlerzogenen Großstädter:innen entfachen konnte, hieß »Jazz«. Der Musik aus der Neuen Welt mit ihren hitzigen Rhythmen wurde alles einverleibt, was moralisch nicht niet- und nagelfest war, so auch die unterschiedlichsten amerikanischen Modetänze.

Von diesen bizarren Klischees hat sich der Jazz längst befreit. Für Puschnig bedeutet der Jazz immer auch die Freiheit, ganz unterschiedliche musikalische Welten zu betreten, sich diese improvisatorisch anzueignen und als Inspiration für seine Kompositionen zu nutzen – ganz ohne jenen fragwürdigen Exotismus von damals. So wird der Saxophonist auch stilistisch experimentieren, wenn er die Musik zu »Die Büchse der Pandora« skizziert: Der klassische Streichquartettklang wird die atmosphärische Grundstimmung legen. Dabei kann Puschnig auf die kreativen Musikerinnen des Koehne Quartetts vertrauen. Die Viererformation ist auf die Interpretation zeitgenössischer Musik spezialisiert, realisiert regelmäßig Projekte mit Jazzmusiker:innen und hat auch mit Puschnig schon mehrfach zusammenarbeitet. Individuelle Akzente werden Puschnigs langjährige musikalische Weggefährten setzen, der Organist und Spezialist für elektroakustische Musik Wolfgang Mitterer und der Klangmagier am Schlagzeug Uli Soyka – und natürlich Puschnig selbst.
Wer in dieser Geschichte in Wahrheit Täter oder Opfer ist und wer die Büchse der Pandora tatsächlich öffnet, bleibt sowohl im Bühnenstück als auch im Film die spannende Frage. Genauso spannend wird es, wie sich Puschnig, der dem Kärntnerlied den Blues abzulauschen vermag, in seiner oszillierenden Musik aufmacht, um nach dem richtigen Ton für den schillernden Charakter Lulus zu suchen.
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KONZERTTIPP
09/04/25 Mi, 19.30 Uhr · Großer Saal
Film + Musik live
Pabst: Die Büchse der Pandora
Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61989