Eine kurze Institutsgeschichte

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Ursprünglich: Zündstoff 01/1999

Eine kurze Institutsgeschichte Neben dem wissenschaftlichen Wert der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Institutionalisierung des Faches in Wien sollten die Studierenden, abseits vom UniAlltag, durch die Beschäftigung mit der Institutsgenese ein gerüttelt Maß an Bewußtsein ausbilden um vielleicht etwas reflektierter zu studieren. Zu diesem Zweck nachstehend ein kurzer Streifzug durch die letzten 100 Jahre in Form eines Abrisses über Vorgeschichte, Gründung und Entwicklung des Institutes. Von Werner F. SOMMER.

Prolog Die Anfänge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Zeitungswissenschaft in Österreich reichen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. „Erstmals wurde im Verlauf der parlamentarischen Beratungen über die Preßgesetznovelle im Jahre 1903 auch die Forderung nach einer fundierten Ausbildung für Journalisten erhoben [...]“. (VENUS, 1987, 115) Der Historiker Wilhelm BAUER „hielt im Sommersemester 1909 seine erste Vorlesung über ‚Die Zeitung, ihre Geschichte und ihre Bedeutung als historische Quelle der Neuzeit‘“. (ebd., 116) Schlußendlich setzten aber weder Presse noch Academia, sondern die Politik den ersten Schritt. Für den 27. Feber 1919 berief Staatskanzler Karl RENNER eine Enquete über die Einrichtung von Hochschulkursen für Pressewesen – geplant war eine Studienrichtung an der Universität Wien – ein. Die Tagung blieb folgenlos und erst 1926 regte Rektor Hans SPERL „die Schaffung eines Lehrstuhls für Zeitungswissenschaften in Wien an.“ (ebd., 118) Praxisbezüge schuf man zwischenzeitlich mit „zeitungskundlichen Kursen an der Konsularakademie ab dem Sommersemester 1920 sowie an der Hochschule für Welthandel ab dem Sommersemester 1930.“ (DUCHKOWITSCH, 1989, 155) Im totalitären Ständestaat war es abermals die Politik, die mit der am 25. Mai 1935 beschlossenen Gründung der „Österreichischen Gesellschaft für Zeitungskunde“ einen Schritt Richtung Institutionalisierung machte. 1937 starteten unter Geschäftsführer Eduard LUDWIG – dem späteren Institutsleiter – die 6semestrig konzipierten Kammerkurse für Zeitungswesen, die durch den Einmarsch der deutschen Truppen 1938 aber ihr jähes Ende fanden. Ende Oktober 1938 setzte das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten die Philosophische Fakultät der Universität Wien von einer gewünschten Institutsgründung – forciert vom Präsidenten des Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes, Walther HEIDE – in Kenntnis. Im folgenden Monat wurde Wilhelm BAUER – offensichtlich um ihn als Bewerber auszuschließen - mit der Sondierung von Kandidaten beauftragt. HEIDE schaffte es, daß sein Protegé Karl Oswin KURTH am 19. Dezember 1941 mit der provisorischen Institutsleitung betraut wurde.

Die Institutsgründung und die Phase der kommissarischen Leitung „Am 7. Mai ist das im Jahre 1939 geschaffene Institut für Zeitungswissenschaft in Wien im Rahmen einer festlichen Veranstaltung an die Universität Wien angeschlossen worden, in deren Philosophische Fakultät die zeitungswissenschaftliche Disziplin gleichzeitig durch einen planmäßigen a.o. Lehrstuhl einbezogen wurde. Das neue Institut ist das elfte seiner Art.“ (ZEITUNGSWISSENSCHAFT, 1942, 265) Für das Institut galt es im allgemeinen – ganz im Sinne des Reichsministers für Volksaufklä-


rung und Propaganda, GOEBBELS – die „Dienstfähigkeit und Relevanz der Zeitungswissenschaft für die nationalsozialistische Presselenkung zu sichern.“ (DUCHKOWITSCH, 1989, 166)(1) „Die Spezialaufgabe und zugleich Hauptverpflichtung des Wiener Instituts sah Heide darin, Anziehungspunkt für die Zeitungswissenschaft des Südostens zu werden.“ (ebd., 163) Mit dem Bezug der Räumlichkeiten in der Heßgasse 7 im ersten Gemeindebezirk hatte das NS-Regime geschafft, woran zuvor die Vertreter der Ersten Republik, insbesondere die des Ständestaates – gescheitert waren. Freilich erfolgte die Institutionalisierung der Disziplin nicht in der Tradition der „im Geistesleben der 20er Jahre v. a. in Wien vorhandenen fruchtbaren intellektuellen Dispute“ (HAAS, 1988, 267) – eben diese Intellektuellen wurden ja von Regime zur Emigration gezwungen und ihre Erkenntnisse mußten später „reimportiert“ werden –, sondern diente vielmehr dem Zweck der Perfektionierung der Regime-Propaganda.(2) Am 12. März 1946 übernahm Eduard LUDWIG – der sich ja bereits im Ständestaat um die JournalistInnenausbildung verdient gemacht hatte, exakt acht Jahre zuvor verhaftet und ins KZ Dachau deportiert wurde und mittlerweile zum ÖVP-Nationalrat avanciert war – das Institut vom Musikwissenschafter Erich SCHENK, der nach der Einberufung KURTHs zum Wehrdienst am 4. Oktober 1943 die kommissarische Leitung innehatte. Vorausgegangen war ein Tauziehen zwischen Staatsamt und Fakultät um die Fortführung des Instituts, dem der Ruf der „Nazieinrichtung“ (LUNZERLINDHAUSEN, 1987, 113) nachhing. Nach der Wiedereröffnung im Herbst 1946 begann eine Erweiterung der fachlichen Grenzen. Langsam erfolgte eine Abkehr von der im Anschluß an die NS-Propaganda-Ausbildung opportun erschienenen und bis 1962 dominierenden pressegeschichtlichen hin zu einer medienkundlichen Orientierung. Die Grenzen wurden jedoch nicht gesprengt: „Intellekturell isoliert bemühten sie [Anm.: die frühen Vertreter des Faches] sich staatsnahe und politisch unmittelbar verwertbare Arbeit zu leisten. Die vereinzelten interdisziplinären Versuche sind Ausnahmen geblieben.“ (HAAS, 1988, 267) FABRIS beklagt: „Die politische ‚Belastung‘ des Faches hat eine Neuentwicklung auch nach 1945 lange Zeit behindert und so zur ‚doppelten Verspätung‘ – einerseits durch die Phase 1934/1938/1945 und anschließend durch die Nachkriegsentwicklung – der sozialwissenschaftlichen Orientierung als Kommunikationswissenschaft beigetragen. Außerdem ist die Publizistik personell und institutionell ein ‚kleines Fach‘ geblieben.“ (FABRIS, 1983, 207) 1958 zog LUDWIG sich aus Altersgründen zurück. Ihm folgte bis 1962 – der ursprüngliche Jurist und Industrielle, nach seiner Rückkehr aus dem Exil Historiker und Schriftsteller – Heinrich BENEDIKT als kommissarischer Leiter nach, der die historische Tradition fortführte. Diesem wiederum folgte der Orientalist Herbert DUDA.

Ausdifferenzierung und fachliche Neuorientierung Die Periode der fachfremden kommissarischen Leiter hinterließ ihre Spuren: „Lehrund Studienbetrieb lagen [Anm.: zwischen 1944 und 1969] ausschließlich in Händern der – zunächst nicht einmal habilitierten – Assistenten.“ (LUNZER-LINDHAUSEN, 1987, 111) Erst 1969 übernahm mit Kurt PAUPIÈ wieder ein im Fach habilitierter die Institutsleitung. „Ihm blieb es vorbehalten, den Übergang von der pressehistorisch orientierten Zeitungswissenschaft zur empirisch-analytischen Kommunikationswissenschaft zu vollziehen.“ (ebd., 116) Freilich „mitbewirkt auch durch ein aktives studentisches Protestpotential [...]“ (GOTTSCHLICH, 1987, 117) und aufstrebende Wissenschafter: „Die neue sozialwissenschaftliche Orientierung des Faches wurde vor allem von der neuen Assistentengeneration, namentlich Ulrich Vogt, Roland Burkart, Eugen Semrau und Maximilian Gottschlich getragen.“ (RANDL/MONSCHEIN, 1996, 19) Die fachliche Ausweitung spiegelte sich unter anderem in der Namensgebung


wider: „Die Entwicklung drückt sich auch aus in der anfänglichen Bezeichnung der Disziplin als ‚Zeitungswissenschaft‘, dann ‚Publizistik‘ und später – als das Fach als Studienrichtung Verankerung fand – ‚Publizistik und Kommunikationswissenschaft‘, da darin eine wichtige Erweiterung der Gegenstände sowie der Lehr- und Forschungsperspektiven sichtbar wird [...].“ (FABRIS, 1983, 207)(3) 1972 erfolgte eine Ausdifferenzierung in drei Abteilungen: eine kommunikationswissenschaftliche zur Grundlagenforschung, eine für angewandte Kommunikationswissenschaft vor allem zur Verbindung von Theorie und Praxis und eine historische Abteilung. In der Folge des politisch thematisierten Praxisbezugs der Hochschulstudien „läßt sich ab 1974 ein stetes Anwachsen praxisrelevanter Lehrveranstaltungen feststellen“, ohne aber „einen praktizistischen Wissenschaftsbetrieb aufzuziehen.“ (GOTTSCHLICH, 1987, 119) Auch Initiativen für außeruniversitäre JournalistInnenaus- und -weiterbildung gehen auf PAUPIÉ zurück. Nach dem Tod PAUPIÉs im Dezember 1981 wurde Marianne LUNZER-LINDHAUSEN – der es zu verdanken ist, daß das Institut nach Kriegsende nicht geschlossen wurde – mit der Institutsleitung betraut. Sie wurde als einzige Institutsmitarbeiterin – neben einem Institutsdiener – 1945 nicht wegen NS-Zugehörigkeit entlassen. 1984 ereilte Wolfgang R. LANGENBUCHER der Ruf ans IPKW. In seine Amtszeit – mit einem kurzen Intermezzo von Thomas A. BAUER (1994 – 1997) – fallen vor allem die Umsetzung der neuen Diplomstudienordnung – ursprünglich erlassen im Mai 1976, aber erst mit Sommersemester 1984 in novellierter Form in Kraft getreten –, der im September 1991 erfolgte Umzug vom NIG in die Schopenhauerstraße im 18. Bezirk und eine atemberaubende Expansion hinsichtlich Studierenden, AbsolventInnen und Lehrveranstaltungsangebot.(4)

Literatur Namentlich gekennzeichnet wurden nur wörtliche Zitate. Die Angaben stützen sich auf folgende Quellen: 

BOBROWSKY, Manfred; LANGENBUCHER, Wolfgang R. (Hg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte. Schriftenreihe der DGPuK, Band 13. Ölschläger, München, 1987. ISBN 3-88295-123-0. DUCHKOWITSCH, Wolfgang: Zeitungswissenschaft "an der schönen heimatlichen Donaustadt". Aufbau, Errichtung und Funktion des Wiener Instituts für Zeitungswissenschaft. In: HEISZ, Gernot; MATTL, Siegfried; MEISSL, Sebastian; SAURER, Edith; STUHLPFARRER, Karl (Hg.): Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938 - 1945. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1989. ISBN 3-85115-107-0. S. 155 - 178. FABRIS, Hans Heinz: Österreichs Beitrag zu Kommunikationswissenschaft und forschung: Zwischen Aufbruch und Verhinderung. In: Publizistik, 28. Jahrgang, Heft 2 April - Juni 1983. S. 204 - 220. GOTTSCHLICH, Maximilian: Notizen zur Geschichte des Instituts für Publizistikund Kommunikationswissenschaft der Universität Wien während des Ordinariats von Kurt Paupié. S. 117 - 121. In: BOBROWSKY/LANGENBUCHER, 1987 HAAS, Hannes: Zeitungswissenschaft und Communications Research 1918 bis 1945. Ein methodologischer, theoretischer und paradigmatischer Vergleich. In: RATHKOLB, Oliver, DUCHKOWITSCH, Wolfgang; HAUSJELL, Fritz (Hg.): Die veruntreute Wahrheit. Hitlers Propagandisten in Österreichs Medien. Otto Müller Verlag, Salzburg 1988. ISBN 3-7013-0750-4. S. 252 - 272. LUNZER-LINDHAUSEN, Marianne: Wege der Pressegeschichte am Wiener Institut. In: BOBROWSKY/LANGENBUCHER, 1987. S. 111 - 116.


RANDL, Fritz; MONSCHEIN, Wolfgang: 50 Jahre Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien (1942 - 1992). Diplomarbeit IPKW Universität Wien (6/1995) RANDL, Fritz; MONSCHEIN, Wolfgang: 50 Jahre Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien (1942 - 1992). Teil 1: Ein Abriß der Institutsgeschichte. In: Medien & Zeit, 11. Jahrgang, Heft 1/1996. S. 4 - 21. VENUS, Theodor: Zur historischen Tradition der österreichischen Zeitungswissenschaft. Ein Beitrag zur Institutionalisierung aus Anlaß der Wiedereröffnung des Wiener Instituts für Zeitungswissenschaft 1946. In: ÖGPuK (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Kommunikationswissenschaft 4 (1986/87). Braumüller, Wien 1987. ISBN 3-7003-0732-2. S. 115 - 130. ZEITUNGSWISSENSCHAFT. Monatsschrift für internationale Zeitungsforschung. (hrsg. von Karl D´ESTER und Walther HEIDE): Wien erhielt das 11. Hochschulinstitut für Zeitungswissenschaft. Bericht über die feierliche Eröffnung am 7. Mai 1942. 17. Jahrgang, Heft 6 (Juni 1942). S. 265 - 277

Fußnoten (1)

Zu diesem Zweck diente der 6semestrige Studienplan aus 1935, der für ganz Hitlerdeutschland Geltung hatte. (2) Ähnlich "praktische" Ziele verfolgte man ja auch im Ständestaat: "Theoretische Ansätze wurden somit in den zwanziger und dreißiger Jahren lediglich im Bereich der Wiener empirischen Sozialforschung, der Film- und Musiksoziologie gedacht." DUCHKOWITSCH, 1989, S. 155 (3) Nach der im WS 1969/70 erfolgten Umbenennung in "Publizistik" erfolgte die in "Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft" im WS 1982/83. Laut Beschluß der Gesamtösterreichischen Studienkommissions-Sitzung wird das Fach bei nächster Gelegenheit (sprich bei der Erlassung der neuen Studienpläne) in "Kommunikationswissenschaft" umbenannt. (4) Im Wintersemester 1979/80 waren 1.438 HörerInnen inskribiert, zehn Jahre später bereits 5.089. Die Ausweitung des Lehrveranstaltungsangebotes erfolgte durch die Aufnahme zusätzlicher externer LektorInnen wobei die Entwicklung das Institutspersonal praktisch stagnierte.


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