Leseprobe – "Es ist für's Vaterland, wenn's auch nur Spiel erscheint."

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . Vorbemerkung . .

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Braunschweig – Hochburg der Nationalsozialisten

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Die Zeit des Nationalsozialismus im Spiegel des Eintracht-Nachrichtenblatts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hitler im Eintracht-Stadion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf Hitler folgt Göring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gute Beziehungen zur Stadt und zur Staatsregierung Neue Aufgabe: Wehrsport .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuer Vereinsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettgehen und Gepäckmärsche .. . . . . . . . . . . . . . . . . „Großdeutschland“ auch im Stadion . . . . . . . . . . . . . . Kriegsjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Letzte Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Furchtbare Bilanz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Entnazifizierungsakten wichtiger Eintracht-Funktionäre . . Gründungsmitglied und Olympiateilnehmer: Johannes Runge Nationalspieler: Richard Queck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintrachts Mann in der Regierung: Kurt Bertram . . . . . . . . . . . Funktionär auf vielen Ebenen: Willi Steinhof . . . . . . . . . . . . . . . Vereinsführer 1944/45: Adolf Lorenz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sturmtank und Architekt: Otto Buckendahl . . . . . . . . . . . . . . . . Vorstandsmitglied in vier Jahrzehnten: Heinz Graßhof . . . . . . . Späterer Präsident: Dr. Kurt Hopert .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jugend-Abteilungsleiter: Dr. Alfred Schaper . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsbank-Prokurist: Herbert Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportlehrer: Heinrich Lacour . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parteilose Vorstandsmitglieder .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eintrachts Beziehungen zur Staatsregierung . . Geher-Wettkämpfe und Gepäckmärsche .. . . . . Leichtathletik-Wettkämpfe im Stadion . . . . . . . Instandhaltung des Stadions . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterungspläne für das Stadion . . . . . . . . . . Fazit ..

Dank . . . . Nachwort

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Anhang Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitleiste (Verein und Land Braunschweig) . . . . . . . . Eintrachts Vorstände in den Jahren 1933 und 1941 . . Kategorien der Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Der deutsche Fußball hat sich über viele Jahre schwer damit getan, sich im Hinblick auf die Verbrechen der NS-Zeit seiner Verantwortung zu stellen. Auch unser Verein hat sich mit der Thematik und somit unserer Geschichte in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft erst sehr spät auseinandergesetzt. Umso wichtiger ist es, dass dieser Prozess nun eingeleitet ist und mit dieser Publikation erste wichtige Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Sehr deutlich wird, dass die Führung des bürgerlichen Sportclubs Eintracht – ähnlich wie bei vielen anderen Vereinen – der nationalsozialistischen Ideologie schon vor 1933 nahe gestanden hat. Die große Mehrheit der Eintracht-Funktionäre war bereits vor der Machtergreifung auf der Seite der Nationalsozialisten zu finden und hat mit ihnen zusammen gearbeitet. Die vorliegende Arbeit ist nicht als Abschluss der Aufarbeitung zu verstehen, sondern als Anfang. Wir setzen dabei neben den eigenen Recherchen auch auf die Hilfe von Zeitzeugen, die uns hoffentlich tatkräftig mit Dokumenten, Fotos und Informationen unterstützen. In Anlehnung an unser in diesem Sommer veröffentlichtes Leitbild muss von uns Einträchtlern ohne Ausnahme das „Nie wieder!“ gelebt werden. Nie wieder darf es Rassismus und Antisemitismus geben. Ausgrenzende und diskriminierende Parolen haben bei uns im Verein und im Stadion nichts verloren. Wir stellen uns gerne unserer gesellschaftlichen Verantwortung und setzen uns aktiv dafür ein, dass – auch mit Hilfe unserer neuen Eintracht Braunschweig Stiftung – im präventiven Bereich vor allen Dingen mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird. Es gilt für uns alle, den Anfängen zu wehren, für alle Zeiten. Das sind wir den Millionen Opfern des NS-Staates schuldig. Sebastian Ebel, Präsident des Gesamtvereins und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Eintracht Braunschweig GmbH & Co. KGaA

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Vorbemerkung

Eine ausführliche Darstellung der Geschichte von Eintracht Braunschweig unter dem Hakenkreuz harrte noch der Bearbeitung. Nur für den Deutschen Fußball Bund und wenige Vereine (z. B. Schalke 04, 1. FC Kaiserslautern, München 1860, Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund und Hertha BSC) liegen solche Studien bereits vor.1 Andere Vereine, wie z. B. der HSV, behandeln dieses Thema intensiv im Rahmen von Sonder-Führungen durch ihr Museum.2 Der Autor dieses Beitrags (seit Juli 2014 verantwortlich bei Eintracht Braunschweig für die Ausstellung zur Vereinsgeschichte) versteht diesen Text als einen ersten Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte des Vereins und will sich in den kommenden Jahren weiterhin der Eintracht-Geschichte von der Gründung 1895 bis zum Jahr 1945 widmen. Eintracht Braunschweig bittet daher alle Leserinnen und Leser, die aus eigenem Erleben bzw. Gehörten oder mit Dokumenten zu diesem Vorhaben beitragen können, herzlich um ihre Unterstützung. Spätestens zum 125 jährigen Bestehen des Vereins im Jahr 2020 soll dieser Teil der Vereinsgeschichte aufgearbeitet sein. Als Einstieg in das Thema wurden vorrangig drei Arten von relativ leicht recherchierbaren Quellen vor Ort ausgewertet: 1. Der Inhalt des „Nachrichtenblatts des Braunschweiger Sportvereins ,Eintracht‘ von 1895 e.V.“ (der Mitgliederzeitschrift also), 2. die im Staatsarchiv Wolfenbüttel lagernden Entnazifizierungsakten wichtiger Eintracht-Verantwortlicher und 3. die ebenfalls dort befindlichen Akten der Braunschweigischen Staatsregierung, soweit sie Eintracht Braunschweig betreffen. Über die besondere Rolle von Stadt und Land Braunschweig bei der nationalsozialistischen Machtergreifung und der Einbürgerung Hitlers ist an vielen Stellen ausführlich berichtet worden.3 Alle Studien kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass es der NSDAP in Braunschweig (so z.B. auch an der Technischen Hochschule) gelungen ist, sich hier wesentlich früher als in anderen Städten eine Vorrangstellung zu erobern. An dieser Stelle soll daher zum besseren Verständnis der nachfolgenden Vereinsgeschichte kurz auf die Braunschweiger Landesgeschichte in den Jahren vor der „nationalen Revolution“ eingegangen werden. 8


Braunschweig – Hochburg der Nationalsozialisten Obwohl gerade in der Stadt Braunschweig Sozialdemokraten und Kommunisten traditionell stark vertreten waren, gilt die Stadt, mehr aber noch das Land Braunschweig bereits 1933 als „braune Hochburg“. Zum Flickenteppich des damaligen Freistaats Braunschweig gehörten außer der Landeshauptstadt u. a. Wolfenbüttel, Bad Harzburg, Seesen, Oker, Braunlage, Bad Gandersheim, Holzminden, Eschershausen sowie Blankenburg, Helmstedt und das Amt Calvörde. Bis heute übrigens kommen noch viele Zuschauer auch aus den entlegenen Gebieten dieses früheren Landes Braunschweig zu den Spielen der Eintracht, die historischen Bindungen überdauern also viele Jahrzehnte. Seit dem 1. Oktober 1930 war die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) an der Regierung im Land Braunschweig beteiligt. Dies nutzte die Partei konsequent aus, um Verwaltung, Polizei und Schulpolitik in ihrem Sinn umzugestalten. Es gelang ihr dadurch rasch, den Rechtsstaat auszuhöhlen und das Bürgertum weitgehend für sich zu gewinnen. Unmittelbar nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann die völlige Demontage der demokratischen Strukturen, „die in Braunschweig noch schneller als im Reich und in anderen Ländern erfolgte“.4 Nach nur wenigen Monaten war die Braunschweiger Arbeiterbewegung (einschließlich der Arbeiter-Sportvereine) zerschlagen, trat der „Stahlhelm“ (Bund der Frontsoldaten) zur NSDAP über und lösten sich die letzten bürgerlichen Parteien auf. So konnte Braunschweigs Ministerpräsident Klagges bereits Ende April 1933 seinem „Führer“ stolz das erste rein nationalsozialistische Landesparlament Deutschlands (wenn auch inzwischen ohne wirklichen Einfluss auf die Politik) vermelden5 und einen Monat später schließlich eine nationalsozialistische Alleinregierung. Alle nicht-nationalsozialistischen Kräfte waren zur Jahresmitte 1933 von der Macht in der Stadt und im Land Braunschweig ausgeschlossen. Der hier skizzierte rasante regionale Aufstieg der Nationalsozialisten ist vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise von 1929 und dem damit verbundenen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu sehen.

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Die Zeit des Nationalsozialismus im Spiegel des Eintracht-Nachrichtenblatts Nach diesen Vorbemerkungen soll die Mitgliederzeitschrift6 betrachtet werden. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929/30 schlagen sich in einem resignierenden Bericht der Eintracht-Vereinsnachrichten von Februar 1930 nieder: „Noch nie waren unsere finanziellen Schwierigkeiten so groß (…) und noch nie lag unser Vereinsleben so darnieder, wie es im Jahre 1929 der Fall war.“ Und fast ein Jahr später, im Dezember 1930, bekommen die Vereinsmitglieder zu lesen, dass „die uns allgemein ergriffene Not auch jede Sportart hemmend beeinflusst“. 1932 muss sogar das Erscheinen der Vereinszeitung aus finanziellen Gründen vorübergehend eingestellt werden. Zuvor hatte der Verein bereits den Vertrag mit seinem Sportlehrer Heinrich Lacour, der seit Mai 1924 mit Erfolg bei Eintracht tätig war, auflösen müssen. Ganz offensichtlich sympathisierten daher viele Mitglieder des bürgerlichen Sportvereins Eintracht zu dieser Zeit bereits mit den Nationalsozialisten. Es ist daher kein Zufall, dass der Verein bereits im Sommer 1932 (und nicht 1933, wie sowohl Pollmann als auch Peters schreiben)7 Adolf Hitler und weiteren nationalsozialistischen Politikern die Möglichkeit bot, im Eintracht-Stadion auf einer Serie von Wahlkampfveranstaltungen zu sprechen.

Hitler im Eintracht-Stadion 1932 war in den Vereinsnachrichten (nachfolgend Nachrichtenblatt genannt) über den Auftritt Hitlers im Stadion noch nicht berichtet worden. Das geschah erst 1939, anlässlich Hitlers 50. Geburtstages (vgl. dazu das Kapitel: „Großdeutschland“ auch im Stadion). Zunächst ein Blick auf die NSDAPWahlkampfauftritte Hitlers und Görings im Stadion am 21. Juli und am 9. Oktober 1932, also noch vor der Machtergreifung und der Gleichschaltung. Die Braunschweigische Landeszeitung, ein zunächst bürgerlich-konservatives, ab 1931 rechtsradikal einzuordnendes Organ8, würdigte die beiden Reden ausführlich. Bei beiden Veranstaltungen war die NSDAP nicht gerade mit dem Wettergott im Bunde, wie die Berichte der Zeitung zeigen. Unter der Überschrift „Adolf Hitler im Eintracht-Stadion“ und nach dem Hinweis, dass sich trotz Dauerregens Zehntausende von seinen Worten 10


begeistern ließen, meldete die Zeitung am 22. Juli 1932: „Der Führer sprach, und lautlose Stille lag über den Massen. Nur der Regen trommelte wie mit nervösen Fingern auf das Tribünendach. Unten aber standen sie wie die Mauern und nahmen des Führers Worte in ihre Herzen auf.“ In einem Kommentar wird in derselben Ausgabe – offenbar von einem Eintracht-Mitglied – an den Bau des Stadions im Jahr 1923 erinnert: „Als wir vor zehn Jahren in einer Art freiwilligen Arbeitsdienstes daran gingen, das Eintracht-Stadion zu bauen (…) da dachte wohl keiner daran, Adolf Hitler bei seiner Rede im daß dieser Platz einmal Zeuge einer Eintracht-Stadion 1932. mächtigen politischen Kundgebung werden würde.“ Das Projekt ,Stadion an der Hamburger Straße‘ konnte damals nur dank der finanziellen und materiellen Unterstützung durch zahlreiche Vereinsmitglieder so rasch und erfolgreich beendet werden. Hitler hatte im Vorfeld des Wahlkampfes zur Reichstagswahl am 21. Juli 1932 im Stadion gesprochen. Die umfangreiche Berichterstattung darüber in der Presse kritisiert die sozialdemokratische Zeitung „Volksfreund“ am 30. Juli 1932 wie folgt: „Nicht nur die Nazis, die in ihrer Presse lügen, daß die Hitlerversammlung im Braunschweiger Eintracht-Stadion von 70.000 Personen besucht gewesen sei, die in strömendem Regen ausharrten, um nur 10 Minuten den ,Retter Deutschlands‘ reden zu hören, nein auch die Landeszeitung schwindelt das Blaue vom Himmel herunter, wenn es sich darum handelt, den Nazis Erfolge anzudichten.“

Auf Hitler folgt Göring Noch vor der erneuten Reichstagswahl am 6. November desselben Jahres, die durch die Auflösung des Reichstages durch Hindenburg notwendig wurde, war die Eintracht wie andere Vereine mit bildungsbürgerlicher Tradition auch (z. B. der VfB Stuttgart, der TSV München 1860 und Werder Bremen) 11


Luftaufnahme des Eintracht-Stadions (1935).

„ein schon vor dem Umbruch dem Nationalsozialismus wohlgesonnener Verein“, der sich deshalb schnell auf die neue Zeit einstellen konnte.9 Nur wenige Monate nach dem Hitler-Auftritt im Stadion wurde das erneut deutlich, als Hermann Göring, der damalige Reichstagspräsident und spätere Oberbefehlshaber der Luftwaffe, die Tribüne im Eintracht-Stadion für eine weitere NSDAP-Veranstaltung nutzen durfte. Die Landeszeitung berichtet am 10. Oktober 1932 darüber wie folgt: „Hermann Göring (…) hat gestern in Braunschweig als Verfechter der Ideen der deutschen Freiheitsbewegung den Wahlkampf eröffnet. Er sprach im Eintracht-Stadion zu etwa zwanzigtausend Braunschweigern, die immer wieder in stürmischen Beifall ausbrachen, wenn Göring in seiner Rede dem Wollen des Nationalsozialismus das Nichtkönnen der derzeitigen Regierung (…) gegenüber (stellte)“. Trotz der Ungunst der Witterung habe es einen „gewaltigen Zustrom der Massen nach dem Stadion“ gegeben, der Berichterstatter sah „das Volk im umfassendsten Sinne dieses Wortes unter freiem Himmel versammelt“. Überaus aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Person des damaligen NSDAP-Landtagsabgeordneten und langjährigen EintrachtMitglieds Kurt Bertram. Der Leichtathlet übte im Verein zudem Hockey, 12


Fußball und Tennis aus. Er ist der Verfasser des im Frühjahr 1942 erschienenen Büchleins „Fünfzig Jahre Leichtathletik in der Braunschweiger Eintracht“ und hat in dieser Chronik die Wahlkampfauftritte und die Kritik der sozialdemokratischen Zeitung an Hitlers Auftritt wie folgt bewertet: „Wild heulte der Volksfreund auf und verlangte Boykott dieses Nazisportvereines. Auch von bürgerlicher Seite durfte die Eintracht freundliche Belehrungen über das Thema vom unpolitischen Sport entgegennehmen, untermischt mit versteckten Drohungen. Mit Gleichmut quittierten wir diese Angriffe und ließen im selben Jahre (…) noch Bernhard Rust, Dietrich Klagges und Hermann Göring von unserer Tribüne zu Wort kommen.“10 Der Einträchtler Bertram wurde zur moderaten Fraktion der NSDAP in Braunschweig gezählt, sein Parteikollege Dietrich Klagges hingegen zur radikalen.11 Eben dieser Klagges wurde, nachdem er zunächst am 15. September 1931 zum Minister für Inneres und Volksbildung ernannt worden war, im Mai 1933 Ministerpräsident, unter Beibehaltung der beiden Ministerämter. Der für zahlreiche Gewaltexzesse durch SA und SS im Braunschweiger Land verantwortliche Friedrich Alpers übernahm das Justiz- und Finanzministerium. Sein Stellvertreter als ehrenamtlicher Staatsrat wurde Bertram. In dieser Funktion war der NSDAP-Politiker, auf den Eintracht sehr stolz war, zwölf Jahre lang der Verbindungsmann des Vereins in der Regierung. In seiner schon erwähnten Leichtathletik-Chronik zog Bertram folgendes Fazit der Monate vor und nach der Machtergreifung: „Von den Schlacken der Vergangenheit befreit begrüßte der deutsche Sport das neue Jahrtausend, welches Adolf Hitler in die Schranken forderte. Für Eintracht Braunschweig war die Umstellung spielend leicht, hatten doch mindestens 75 Prozent der Mitglieder bereits 1932 für den Nationalsozialismus votiert.“ Die Demokraten nennt Bertram in diesem Zusammenhang nur spöttisch „diese erlauchten Barden der Republik.“ Es lässt sich nicht verifizieren, ob tatsächlich drei Viertel aller Mitglieder der Eintracht bereits im Jahr 1932 die NSDAP gewählt haben. Es könnte sein, dass bei dieser Formulierung der Wunsch Vater des Gedankens bei dem Nationalsozialisten Bertram gewesen ist. Eine klare Zustimmung zur Politik der Nationalsozialisten hat es jedoch im Verein bereits vor 1933 gegeben, zumindest auf Seiten der Vereinsführung. So schrieb Bertram z. B. in einem Rückblick auf das Jahr 1929 von einem „Fanal der Freiheit, das von München herüberleuchtete und auch politische Aktivisten aus unseren Reihen in seinen Bann geschlagen hatte.“ Den Wahlausgang 1930 kommentierte er mit den Worten: „Leuchtend ging über Braunschweig das Hakenkreuz auf.“ 13


Das Nachrichtenblatt des Vereins griff in seinen Neujahrsgrüßen an die Mitglieder im Januar 1939 noch einmal Hitlers Auftritt im Stadion sieben Jahre zuvor auf: „Als im Jahre 1932 Adolf Hitler auf Anfrage der NSDAP im Stadion sprechen wollte, und das von uns sofort zugesagt wurde, gab man uns von der damaligen sportlichen Leitung Niedersachsens aus Hannover unter der Hand zu verstehen, daß das einmal unerwünscht sei, und zweitens uns Zuschauer und Mitglieder verloren gehen würden! Zuschauer verloren wir zwar unter dem Druck der linksradikalen Presse (…), Mitglieder haben wir nicht eines deswegen verloren!“

Gute Beziehungen zur Stadt und zur Staatsregierung Ein Zeitungsbericht zum 40jährigen Bestehen Eintrachts im Jahr 1935 blickt ganz in diesem Sinne auf die Jahre 1932 und 1933 zurück: “Wie die Vereinsleitung schon lange vor dem Umbruch der Bewegung Adolf Hitlers das Stadion für die großen Massenversammlungen zur Verfügung stellte, in denen der Führer und sein Mitkämpfer Hermann Göring Zehntausende für die neue Volksgemeinschaft begeisterten, so hat sie auch nach der Machtübernahme durch die NSDAP allen Gliederungen der Partei die Übungsstätten geöffnet. So hat der Sportverein Eintracht auch von Oberbürgermeister Dr. Hesse stets die größte Unterstützung erfahren.“12 Ein Beispiel hierfür findet sich in dem Kapitel über Leichtathletik-Wettkämpfe im Stadion. Der Nationalsozialist Wilhelm Hesse war am 18. Oktober 1933 zum Oberbürgermeister der Stadt ernannt worden. Ganz offensichtlich hat sich also die frühzeitige politische Orientierung des Vereins hin zu den Nationalsozialisten positiv auf seine Beziehungen zur Stadtverwaltung ausgewirkt. Ebenso erfreulich im Sinne des Vereins gestaltete sich in den Jahren bis 1945 das Verhältnis der Eintracht zur neuen Braunschweigischen Staatsregierung. In den Akten13 findet sich nur ein einziger Beleg dafür, dass dem Verein zwischen 1933 und 1945 die Bitte nach einem Staatszuschuss verwehrt wurde. Am 17. Juli 1933 schrieb der Innenminister: „Mit Rücksicht auf die angespannte Finanzlage des Staates sehe ich mich zu meinem Bedauern nicht in der Lage, ihrem Gesuche um Bewilligung eines Staatszuschusses zu entsprechen.“ Das aber ist die große Ausnahme. Eine Vielzahl ähnlicher Anfragen des Vereins wird hingegen (wie noch gezeigt wird) von der Staatsregierung bis in das Jahr 1944 hinein stets wohlwollend entgegen genommen und durchweg positiv beschieden. Für Eintracht gilt damit, was auch für den 14


Dr. Kurt Hopert (rechts) als Eintracht-Präsident.

Späterer Präsident: Dr. Kurt Hopert Über Dr. Kurt Hopert (1900-1979), seit 1941 Kuhlmanns Stellvertreter im Vereinsvorsitz, Eintrachts späteren Präsidenten (1952 bis 1965) und Ehrenpräsidenten, der 1973 auch zum Ehrenmitglied des Norddeutschen Fußballverbandes ernannt wurde, existiert nur eine äußerst dünne Entnazifizierungsakte. Immerhin ist dort festgehalten, dass der Entnazifizierungsausschuss seinen Fall am 5. Januar 1948 überprüft hat und dabei einstimmig zu dem Urteil gelangte, „dass es bei der früheren Entscheidung zu belassen sei und dass Hopert weder als Rechtsanwalt noch als Notar tragbar sei.“54 Zu diesem Zeitpunkt war Hopert jedoch bereits wieder als Rechtsanwalt tätig. Dies geht aus der, ebenfalls in Wolfenbüttel befindlichen, umfangreichen Personalakte des Rechtsanwalts und Notars hervor. Demnach wurde seine Zulassung am 14. Mai 1945 zurück genommen und Hopert aus seinem Amt als Notar entlassen. Er bittet zwar umgehend um seine Wiederzulassung, 38


was aber von der Militärregierung und dem Landessäuberungs-Ausschuss abgelehnt wird, die in ihm „einen überzeugten und regen Nazi, der politisch nicht tragbar ist“ sehen. Hopert, zunächst in Kategorie III, später in Kategorie V eingestuft, wird im Mai 1947 erneut beim Amtsgericht und Landgericht in Braunschweig zugelassen. Aus der Personalakte wird zudem deutlich, dass der Truppführer und Rechtsberater der Motorstandarte 58 als Kamerad von Graßhof „in der früheren Motor S. A., jetzigen N.S.K.K.“ Dienst tat. 1937 berichtet der NSKK-Vorstand wie folgt über ihn: „Er hat in jedem einzelnen Fall bewiesen, daß ein echter SA Geist immer die Triebfeder seines Denkens und Handelns war.“ Und dennoch haben Hoperts seit 1935 jährlich erfolgende Versuche, zum Notar ernannt zu werden, erst im August 1938 Erfolg. Die Gesuche in den Jahren zuvor scheitern, weil ihm vorgeworfen wird, mit dunklen Geschäften befasst gewesen und eine „unsympathische Persönlichkeit“ (so der Landgerichtspräsident über ihn) zu sein. Vier Jahre später musste sich Hopert sogar einem Ehrengerichtsverfahren unterwerfen, weil er die Standesregeln bei einem Grundstücksgeschäft verletzt hatte. Das Ehrengericht der Braunschweiger Rechtsanwaltskammer sprach ihn am 27. Juni 1942 zwar schuldig, beließ es aber bei einer Warnung. Deshalb verwundert es nicht, dass OLG-Präsident Dr. Mansfeld im Januar 1946 darauf dringt, im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens auch zu prüfen, ob Hopert nicht nur aus politischen, sondern auch aus moralischen Gründen (wegen Verletzungen der Standespflicht) entlassen werden müsste. Hopert bat den Präsidenten daraufhin um eine Rücksprache, die dieser ihm auch am 6. November 1946 gewährte. Bei dieser Gelegenheit drang Hopert darauf, dass der Präsident mit dem Justizausschuss in seiner Sache Rücksprache nehmen solle, was von Dr. Mansfeld aber abgelehnt wurde. Dennoch empfahl der Entnazifizierungs-Ausschuss am 9. April 1947 Hoperts Wiederzulassung; denn er sei kein überzeugter Nationalsozialist gewesen und könne daher als nomineller Anhänger der Partei angesehen werden. Die 1946 erfolgte Einstufung als eifriger Nazi-Unterstützer stand, wie wir heute wissen, seinen späteren Erfolgen als Sportfunktionär, die ihm keineswegs abgesprochen werden sollen, nicht im Wege. Es war ganz entscheidend seinem Geschick zu verdanken, dass Eintracht 1963 als Gründungsmitglied in die Bundesliga aufgenommen wurde. Schon 1948 war Hopert wieder als juristischer Beirat für den Hauptvorstand des neuen Großvereins TSV Braunschweig tätig. 39


Jugend-Abteilungsleiter: Dr. Alfred Schaper Von Dr. Alfred Schaper (geb. 1896), von 1934 bis 1945 und auch nach dem Krieg wieder der Abteilungsleiter der Eintracht–Jugend, ist aus den Entnazifizierungs-Akten ein wenig mehr zu erfahren. Er übte seit 1935 auch das Amt des stellvertretenden Gaujugendwartes Niedersachsen aus. Der 1933 in die NSDAP eingetretene Schaper war Oberscharführer und Fürsorgereferent der SA und Mitglied im NS-Kriegerbund, in der Deutschen Arbeitsfront, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt sowie (als 50% Kriegsbeschädigter) der NS-Kriegsopferversorgung. Nachdem der Braunschweiger Entnazifizierungsausschuss den bei der Landes-Versicherungsanstalt (LVA) angestellten Schaper bereits einstimmig für nicht tragbar erklärt hatte, schloss sich der Landessäuberungsausschuss 1946 dieser Stellungnahme an. Angemerkt wurde in der entsprechenden Vorlage an die Militärregierung zudem, dass auch der LVA-Präsident Dr. Lammers seine Weiterbeschäftigung strikt ablehne.55 Gemeinsam mit Graßhof startete Schaper 1948 eine Aktion für die Fußballjugend zur Beschaffung von Fußballstiefeln. Beide gehörten auch zu den Initiatoren einer Altherrenabteilung des TSV, die ganz bewusst einen starken Rückhalt für den wieder im Kommen begriffenen alten EintrachtGeist bieten sollte und dies wohl auch tat.56

Staatsbank-Prokurist: Herbert Heinrich Herbert Heinrich (geb. 1894), der allen Vorständen von 1933 bis 1945 angehört hat, war dem Verein ebenfalls bereits 1910 beigetreten. Auch er wurde am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Wie Bertram war Heinrich bei der Staatsbank angestellt, als Abteilungsleiter und Prokurist. Mit ihm und Bertram besaß Eintracht also zwei einflussreiche Mitglieder in den Reihen dieser Bank. Kein Wunder, dass Vereinsführer Kuhlmann auf der Jahreshauptversammlung am 17. März 1937 „der Geber hochherziger Spenden, insbesondere der Braunschweigischen Staatsbank“ gedenken konnte – übrigens in einer von Hopert geleiteten Versammlung. Heinrich wird zwar 1947 als nomineller Nazi-Unterstützer eingestuft, aber dennoch für eine Weiterbeschäftigung empfohlen; denn „H. hat sich, nach den hier eingereichten Entlastungszeugnissen (…) nicht aktiv nationalsozialistisch betätigt.“ Mehrere Verfolgte des Nazi-Regimes hatten ihm eine unpolitische Persönlichkeit mit Interesse nur auf beruflichen und sportlichen Gebieten bescheinigt.57 40


Jugend-Abteilungsleiter Dr. Schaper 1954 am Stadion.

Sportlehrer: Heinrich Lacour Interessante Details fördern die Personalakten des Braunschweigischen Staatsministeriums58 über Heinrich Lacour (1901-1976) zutage, der Eintrachts engerem Führungsring 1933/34 angehörte. Der Sportlehrer an der Technischen Hochschule Braunschweig, der mit großem Erfolg Eintrachts Leichtathleten und Fußballer trainierte und den der Verein – wie erwähnt – im Zuge der Weltwirtschaftskrise entlassen musste, war Mitglied der NSDAP (seit dem 7. Juli 1931, Parteinummer 596184) und der SA (seit dem 5. Dezember 1933). Seit Ostern 1931 leitete Lacour das neu geschaffene 41


Institut für Leibesübungen der TH. Umso unverständlicher muss es für ihn gewesen sein, dass sein früherer Assistent Kurt Völl im Juli 1933 ihm vorgezogen und nicht nur zum Beauftragten des Reichssportführers im Lande Braunschweig ernannt wurde, sondern bei dieser Gelegenheit auch gleich noch auf eine planmäßige Beamtenstelle gehievt wurde. Im Dezember 1933 bittet daher auch Lacour in einem Brief an Klagges um eine Umwandlung seiner Dozenten- in eine Beamtenstelle. Er führt dabei seine eifrige politische Betätigung für die Nationalsozialisten, auch als Blockwart, an und schließt mit den Worten: „Ich glaube, dass ich dasselbe Vertrauen verdiene, habe ich doch Herrn Völl herangezogen und ausgebildet.“ Nachdem sich auch Oberbürgermeister Hesse für ihn mit der Aussage, „daß ich Herrn Lacour seit langer Zeit als eines der rührigsten Parteimitglieder persönlich kennen gelernt habe“, eingesetzt hatte, wird dieser tatsächlich am 1. April 1934 zum planmäßigen akademischen Turn- und Sportlehrer ernannt und damit, wie von ihm angestrebt, in das Beamtenverhältnis übernommen. Lacours Personalakte endet abrupt am 30. Juni 1945 mit der Mitteilung: „Gemäß Anordnung der Militärregierung werden Sie mit sofortiger Wirkung aus dem braunschweigischen Staatsdienst entlassen.“ Wie Weßelhöft nachweist, konnte der in Kategorie IV eingereihte Lacour nach einer halbjährigen Internierung (1946) seine zunächst auf fünf Jahre befristete Wiedereinstellung bei der TH (1950) erreichen. Der 1965 noch zum Obersportrat Ernannte wurde 1966 pensioniert, arbeitete anschließend aber noch fünf Jahre als Sportlehrer an einer Realschule. Zudem engagierte sich Lacour für den Basketballsport, leitete von 1957 bis 1969 den Niedersächsischen Basketballverband und war zwei Jahre lang auch Vizepräsident des Deutschen Basketballverbandes, der ihn zu seinem Ehrenmitglied ernannte.59

Parteilose Vorstandsmitglieder Es ist schwer, unter Eintrachts Führungspersonal aus den Jahren 1933-1945 Männer zu finden, die nicht der NSDAP angehört haben. Einige wenige aber gab es. Zum Glück möchte man anfügen, denn diese wurden für den Neuanfang des Sports nach dem Zusammenbruch ab 1945 dringend gebraucht. An erster Stelle ist hier Karl Michel zu nennen, Begründer der Eintracht-Skiabteilung (1923), dem der Verein die Skihütte in Oderbrück (1925) verdankt.60 Der 1893 geborene Michel, der die Skiabteilung über zwei Jahrzehnte leitete, war niemals Parteimitglied und wurde daher im Entnazifizierungs42


verfahren rasch entlastet. Über seine mehrmaligen Reisen in die damalige Tschechoslowakei gibt er in dem entsprechenden Formular als Gründe an: „Beschaffung antifaschistischer Zeitungen und Bücher zur Verbreitung in Deutschland, Unterstützung von Emigranten, Verwandtenbesuch.“61 Michel, „ein mit seiner Familie vegetarisch lebender Sozialdemokrat“62, blieb die gesamten nationalsozialistischen Jahre im Amt, obwohl es Haftbefehle gegen ihn „wegen öffentlicher Würdigung von Leistungen jüdischer Sportler“ gegeben haben soll. Offenbar wurde die tatkräftige ehrenamtliche Mitarbeit seiner ganzen Familie für die Ski-Abteilung von den Verantwortlichen des Vereins so sehr geschätzt, dass sie mit ihrem politischen Einfluss für ihn eintraten. Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates war es Michel, der 1945 die Mitglieder der Eintracht als verhandlungsführender Beauftragter in den zu gründenden TSV Braunschweig führte. Folgerichtig wurde er am 13. Januar 1946 zum 1. Vorsitzenden des neuen Großvereins gewählt. Dieses Amt hat er bis 1949 ausgeübt. Ebenso wie Michel war Karl Engel, Eintracht-Vorstandsmitglied bis 1945, kein Parteimitglied. Daher bestanden auch keine Bedenken, dem Schlachtermeister (und häufigem Inserenten im Nachrichtenblatt) nach raschem Abschluss seines Entnazifizierungsverfahrens die Beschäftigung in seinem Beruf und die Mitarbeit im Vorstand des neuen Clubs TSV zu erlauben.63 Engel diente der Eintracht und dem TSV auch als Platzwart und als Fahrer bei Auswärtsspielen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch der bereits als Leiter des TSV-Ehrengerichts erwähnte Erich Degen zu nennen. Auch er, Eintrachts Torwart der frühen Jahre und späterer Funktionär, war nicht der NSDAP beigetreten. Es ist nicht auszuschließen, dass sich unter Eintrachts Führungspersonal der Jahre 1933 bis 1945 noch weitere Nicht-Parteimitglieder befunden haben, dabei dürfte es sich jedoch wie in den Fällen von Michel, Engel und Degen um Ausnahmen gehandelt haben.

Wappen des TSV Braunschweig (1946-1949).

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