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VERNUNFT SEI DANK

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FRAGEN AN ...

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„Das Glas der Vernunft“ wurde im Jahre 1990 von Bürgern der Stadt Kassel und der Region gestiftet. Bisher wurde der Preis 31 Mal vergeben. Der Preis geht jährlich an Personen oder Institutionen, die mit ihrem Wirken den Idealen der Aufklärung – Überwindung ideologischer Schranken, Vernunft und Toleranz gegenüber Andersdenkenden – in besonderer Weise dienen. Preisträger waren beispielsweise Hans-Dietrich Genscher, Ai Weiwei und Edward Snowden. Im vergangenen Jahr wurde die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ausgezeichnet. In diesem Jahr wird zum 32. Mal der Preis „Das Glas der Vernunft“ verliehen. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung der Kasseler Bürgerschaft geht an die Korrespondentin und Moderatorin Natalie Amiri. Wir haben den Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“, Prof. Dr. Wilfried Sommer, zum Interview eingeladen, um mit ihm über die diesjährige Preisträgerin Natalie Amiri, die Rolle der Stadtgesellschaft und den Verein zu sprechen.

Der Vorstand und das Kuratorium des Kasseler Bürgerpreises würdigen Natalie Amiri für die humanistische Blickrichtung ihrer Berichterstattung. Erklären Sie uns das bitte genauer. Wenn Natalie Amiri berichtet, dann wendet sie sich den Menschen im Iran oder in Afghanistan voller Empathie zu. Sie findet dabei Punkte, an denen etwas zutiefst Menschliches aufleuchtet. Das berührt uns und geht uns alle etwas an. Sie gibt Menschen eine Stimme, die sonst keine Stimme haben. Die Frauen und die Jugend im Iran können wir als Heldinnen und Helden des Jahres 2022 erleben, gerade weil Natalie Amiri in ihrer Berichterstattung für sie Verantwortung übernommen hat. Kürzlich meinte Natalie Amiri in ihrer Weimarer Rede, dass sie im Iran gelernt habe, immer etwas mutiger zu sein, als sie es sich zuvor vorstellen konnte. Es ist ihr Mut, der die humanistische Blickrichtung ihrer Berichterstattung trägt. Auch spricht sie lieber von „humanistischer“ als von „feministischer Außenpolitik“.

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„Das Glas der Vernunft“ symbolisiert? Glas ist durchsichtig und zerbrechlich – wie die Vernunft selbst. Gläser in Form eines Prismas lassen Hell-Dunkel-Kontraste farbig erscheinen. Dank unserer Vernunft können wir verschiedene Perspektiven zusammenführen und SchwarzWeiß-Muster ausdifferenzieren. Sollten Sie Mitglied im Verein Gesellschaft der Freunde und Förderer des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“ werden, so würden Sie in der Präambel der Satzung finden, dass „Das Glas der Vernunft“ unsere auf Vernunft, Toleranz und Transparenz gegründete Gesellschaft symbolisiert. Aus Frank- furt zugezogen, bin ich durch mein Interesse am „Glas der Vernunft“ in Kassel richtig angekommen und fühle mich als Teil der Kassler Bürgerschaft. Meinem Eindruck nach steht das „Glas der Vernunft“ auch zunehmend für eine Zivilgesellschaft in Kassel, die weit mehr leistet, als es das Image Kassels in den Leitmedien vermuten lässt. Kurz und knapp: Es lohnt sich, Mitglied im Verein zu sein.

Wie gestaltet sich die Auswahl der Preisträger*innen?

Die Findungskommission kommt meist zweioder dreimal zusammen. In einer ersten Runde nehmen alle Anwesenden der Reihe nach zu Zeitfragen Stellung. Jede und jeder hebt hervor, was sie oder ihn besonders bewegt. Im Gespräch werden dann zentrale Fragen diskutiert und verdichtet. In einer nächsten Runde treten zu den Themen Namen hinzu. Die Gespräche sind durch ein starkes gemeinsames Interesse für Zeitfragen und die Offenheit für andere Positionen getragen. Wir stimmen nie ab, wir erwägen vielmehr gemeinsam, was die eine oder andere Position bedeutet – und haben bislang, unserer Vernunft sei Dank, immer eine tragfähige Entscheidung treffen können.

Erzählen Sie uns bitte etwas über die Zusammenarbeit mit dem Jugendsymposion?

Auf der Plattform des Jugendsymposions werden Schüler*innen aus den Kasseler Schulen mit gymnasialer Oberstufe eingeladen, um am Vortag der Preisverleihung mit den Preisträger*innen, Laudator*innen oder Festredner*innen zu diskutieren. Die Schüler*innen, welche an den Veranstaltungen teilnehmen, erhalten eine Freikarte für die Preisverleihung. Wir möchten so den Bürgerpreis auch für die Jugendlichen der Stadt erlebbar machen. Dank einer Initiative von Frau Prof. Dr. Ute Clement, der Präsidentin der Universität, werden dieses Jahr auch Studierende der Universität zu dem Gespräch mit Natalie Amiri am Vortag der Preisverleihung eingeladen.

Für welche Projekte setzt sich der Verein noch ein? Die Kasseler Stadtgesellschaft handelt sich jedes Jahr im Spiegel der Preisverleihung aufs Neue aus. Das möchte der Verein ermöglichen. Die Redakteur*innen der Schülerzeitungen werden zu den Pressekonferenzen des Vereins eingeladen und ich habe den Stadtschülerrat gebeten, eine Darstellung zum „Glas der Vernunft“ auf die Tagesordnung seiner nächsten Sitzung zu setzen.

Im Jahr 2022 haben Sie die Nachfolge von Bernd Leifeld angetreten. Wofür sind Sie ihm besonders dankbar?

Herr Leifeld hat von dem Mitgründer des Preises, Hansjörg Melchior, den Vorsitz nach der Preisverleihung 2015 (Preisträger: Avi Primor) übernommen. Ihm ist es gelungen, dass die Mitgliederzahl Jahr für Jahr wuchs und der Preis – ich zitiere ihn – „jünger und weiblicher“ wurde. Besonders dankbar bin ich ihm, dass er in uneitler und kollegialer Weise die Übergabe vorbereitet hat und mich weiterhin mit Rat und Tat unterstützt, wenn ich ihn darum bitte. Selbstverständlich hat er einen soliden Haushalt übergeben, die Webseite neu aufgesetzt und den Preis vielerorts ins Gespräch gebracht. An den Choreographien der Preisverleihungen durften wir alle erleben, dass

Herr Leifeld einen echten Sinn für das Theater und die Bühne mitbringt.

Auf der langen Liste der Preisträger*innen stehen sehr starke Persönlichkeiten. Hat das einen Einfluss auf Ihre eigene Persönlichkeit? Wenn Sie das Jahr über nach möglichen Preisträger*innen Ausschau halten und Laudator*innen wie Festredner*innen suchen und kontaktieren, so bleibt das nicht folgenlos. Ich bin sehr dankbar, dass ich aus einer gewissen Nähe erleben darf, wie mutig, klug und verantwortungsbewusst sich alle Genannten ins Leben stellen. Mir hilft das, meine eigene Leistungsfähigkeit ernst zu nehmen. Ja, es hat Einfluss, ich versuche, noch „erwachsener“ zu werden.

Mit welcher Preisträgerin oder welchem Preisträger würden Sie gern abendessen gehen? Was wären Ihre Themen?

Ich freue mich schon jetzt, am Vorabend der Preisverleihung 2023 mit Natalie Amiri im kleinen Kreis essen zu gehen. Unsere Themen werden sicherlich die Freude am Leben in fragilen Zeiten, kulturelle Brücken zwischen Ost und West, die Quellen für Mut und Engagement und nicht zuletzt der Genuss des Moments während eines feinen Essens mit edlen Weinen sein.

Haben Sie Vorbilder?

Ich bin nicht nur im „Glas der Vernunft“ unterwegs, sondern komme auch sonst im kulturellen Leben innerhalb und außerhalb Kassels etwas herum. Fast täglich erlebe ich Miniaturen, die wunderbare Menschen wunderbar ausgestalten. Das schätze ich sehr. So habe ich eine ganze Collage an Vorbildern vor Augen.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit im Vorstand am meisten Spaß?

Einen Anlass zu haben, die Zeit und die Gesellschaft, in der ich lebe, mit Interesse zu begleiten.

Gleichzeitig erfahre ich mit großer Freude, wie hervorragend die Kasseler Bürgerschaft vernetzt ist und zugleich Verantwortung für ihre Stadt übernimmt.

Was bedeutet Glück für Sie?

An einem späten Samstagmorgen ausgeschlafen und ungestört Zeitung zu lesen, Kaffee zu trinken und dabei eine Idee für die nächste Preisträger*in oder Preisverleihung zu bekommen. Selbstverständlich schätze ich meine Sommerpause auf der einen oder anderen griechischen Insel, das Theater, die Kunst und das Gefühl, am richtigen Ort zu leben.

Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Zeit, wünschen Ihnen und Ihren Vorstandskollegen*innen weiterhin ein vernünftiges Händchen bei der Auswahl der zukünftigen Preisträger*innen und freuen uns auf die Verleihung im Herbst im Opernhaus des Staatstheaters Kassel.

›› www.glas-der-vernunft.de

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