Die Russlanddeutsche Kultur

Deutsch, aber anders Die Russlanddeutsche Kultur

Eine Handreichung zur Erleichterung der Arbeit vor Ort von Dr. Katharina Neufeld 1

IMPRESSUM: Herausgeber: VIRA e.V.- Vereinigung zur Integration der russlanddeutschen Aussiedler e. V. Bismarckstrasse 90, 40210 DĂźsseldorf Tel. 02137-933 533 E-Mail: vira@vira-ev.de, Internet: www.vira-ev.com Redaktion: Dr. Katharina Neufeld Gestaltung: Werbung und Ideen, Neuss

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Textkorrektur: Anna Dschaak Bildredaktion Alexander KĂźhl Alle Rechte vorbehalten. Copyright by VIRA e.V. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers. Es gelten im Hinblick auf Personen und Fakten die Datenschutzbestimmungen.

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S Kapitel Titel

Seiten

Vorwort

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Einführung

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1.

Bestandteile und Besonderheiten der russlanddeutschen Kultur

1.1. Eine gemeinsame Vergangenheit im Kontext der russischen und deutschen Geschichte.

Die deutschsprachige Städtische Bevölkerung.

Die deutschen Bauern und Landwirte.

Deutsche Handwerker

Die Russlanddeutschen im Ersten Weltkrieg

Die Zeit nach Oktoberrevolution

Während des Zweiten Weltkriegs und danach 1.2.

Erinnerungskultur 1.3.

Sprache 1.4.

Kirche, Religion und Religiosität von Russlanddeutschen 1.5.

Deutsche Schulen 1.6. Presse 1.7. Dorfgemeinschaft 1.8. Familie 2.

Alltagskultur in den Regionen: Einige Beispiele

5 5

13 14 16 17 18 19 21 21

2.1. Über die Wolgadeutsche Kolonien.

2.2.

Deutsche im Gouvernement St. Petersburg 2.3.

Im Gouvernement Jekaterinoslaw, Mennoniten 2.4.

Deutsche im Gebiet Odessa und Cherson.

2.5.

In Bessarabien 2.6.

Die Molotschnaer Kolonisten. Prischib 2.7.

Deutsche auf der Krim 2.8.

Deutsches Leben in Transkaukasien 2.9.

Deutsche Siedlungen rund um der Stadt Mariupol 2.10. Die Besonderheiten der Deutschen Siedlungen in Wolhynien 2.11.

In den Tochtersiedlungen: 2.11.1. Im Donezkbecken 2.11.2. Sibirien 2.11.3. Mittelasien

22 22 22 23 24 24 24 25 26 26 27 27 28 28

3.

Einige besonderen Elemente der bildenden und darstellenden Künste der Deutschen aus Russland

28

3.1.

3.2.

3.3.

3.4.

Literatur Musik Kunst: Malerei und Skulptur Theater

29 32 35 36

4.

Besonderheiten der materiellen Kultur am Beispiel der Architektur.

38

5.

Volkskunde in Sitten und Brauchtum

39

6.

Wandel der Kultur

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7.

Fazit

40

3

und dort präsentiert, erklärt, erforscht und beschrieben werden. Auch über die Einflüsse beider Kulturen aufeinander sind mehrmals Ausstellungen vorbereitet worden, die sich in entsprechenden Katalogen widerspiegeln(1).

Wer bin ich?

Auslanddeutscher, Volksdeutscher, Russlanddeutscher, Sowjetdeutscher, Deutschstämmiger Sowjetbürger, Deutschrusse auch – Was noch?

Ach, was denn noch?

Doch, doch, ja noch: Hier Aussiedler, da Umsiedler, Emigrant und Einwanderer, Verschleppter Häftling noch dazu, Aus dem Gewahrsam fremden Staates schließlich freigegeben, Russischer Bürger deutscher Zunge, Ein fremder Deutscher, Vertriebener und Flüchtling – Ausgewiesen, eingewiesen – integriert und angepasst!

Was will man denn von mir?

Was macht man hier mit mir?

Was müssen diese Etiketten feststellen und bestimmen?

Merkmale sind es, die mein Schicksal zeichnen Und festnageln für immer!

Entscheidungen der hohen Politik sind das, Maßnahmen von Behörden!

Was soll diese Distanz bewirken?

Warum nimmt man mich nicht auf?

Heimkehrer bin ich doch – Ein Deutscher, weiter nichts!

Ein Deutscher, der den ganzen Hass, die Rache gegen Deutschland Stellvertretend fühlen, tragen und erdulden musste.

Als Sklaven hungernd, kaum dem Tod entronnen sind meine Eltern – Beschimpft, zurückgesetzt in Schulen und Beruf Riß ich mich los!

Die ganze Jugend, die ihre Ängste überwand, Sie drängt zurück zur alten Heimat, Kost‘ es, was es wolle!

Nur wenigen gelingt’s, ans Ziel zu kommen – Nun bin ich da!

Und danke, danke, danke!

Wer bin ich jetzt?

Kein fremder Gast, der irgendwann zurück will, Sondern euer Landsmann, der endlich nun daheim ist, und in den Kirchenbüchern den Namen seiner Ahnen sucht, Die einst des Vaterlandes notgezwungen auszuwandern!

Irmgard Stoldt-Holzwarth, im Juli 1979 4

Dr. Katharina Neufeld

Vorwort Aus verschiedenen Gründen ist über die russlanddeutsche Kultur bis dato kaum in Kunst- oder Kulturkatalogen zu lesen. In der Bundesrepublik wird die Kultur der Russlanddeutschen oft als russische Kultur vermittelt.

Auch unter den Kulturträgern selbst, den Russlanddeutschen, ist die eigene Geschichte und Kultur nur rudimentär bekannt, sodass es notwendig geworden ist Definitionen und Begriffe der russlanddeutschen Kultur in Form einer Handreichung zu schaffen. Und damit hoffentlich auch eine Möglichkeit zu geben, sie aus dem Bestand der Unerkennbaren, einer Fiktion also, herauszuholen.

Diese Handreichung für die Kultur der Russlanddeutschen ist für alle Interessierten gedacht. Insbesondere aber für die Multiplikatoren, die mit dem Begriff „Kultur der Russlanddeutschen“ ins Stocken geraten. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit - es gibt hier vieles zum nachlesen, überlegen und verbessern. Aber wir möchten einen Ansatz schaffen und Anstoß geben für weitere Diskussionen und Forschung in dieser Richtung.

Einführung Die Kultur der Russen in Russland und der Deutschen in Deutschland ist weltweit bekannt. Es sind zwei große Nationen, die als Träger von ideellen und alltäglichen Kulturgütern, in unzähliger Art und Weise in Museen, der Literatur vertreten sind,

Aber was passiert, wenn sich eine deutsche Gruppe von Emigranten in einem fremden Land unter besonderen rechtlichen und politischen Bedingungen ansiedelt? Was passiert mit ihrer Kultur, wenn sie mit Nachbarn, wie Russen, Ukrainern und verschiedene Nomadenvölker, wie TatarenNogyer, Baschkiren, Kalmyken, Kirgisen in Kontakt kommen? Welche Kultur, wenn überhaupt, formiert sich dann bei den Deutschen dort? Welche Merkmale bezeichnen solch eine Kultur? Unter welchen Bedingungen kann eine ‚deutsche‘ Kultur existieren? Haben sich solche Prozesse, wie Integration und Assimilation, bemerkbar gemacht? Eine lange Zeit wurde es in der Forschung für unmöglich gehalten, dass sich unter kleinen europäisch - ethnischen Minderheiten eine selbständige Kultur entwickeln kann, die für Forscher von Interesse sein konnten. Wie definiert man solche Kulturen? Haben diese ein Recht zu existieren? Inwieweit sind sich Russlanddeutsche selbst über ihre eigene Kultur bewusst?

Diese und noch mehr Fragen begleiteten mich bei den Vorbereitungen zu den Seminaren „Russlanddeutsche Kultur“ (Würzburg 2010) und „Haben die Russlanddeutsche einen Recht eine Kultur zu haben?“ (Detmold und Düsseldorf 2015). Auch die Vorträge zu den Themen: „Russlanddeutsche Kultur“, „Russlanddeutsche Musik“, „Russlanddeutsche Kultur im Wandel“ haben mir viel Anlass zum nachdenken gegeben. Es ist schwer zu irgendwelchen endgültigen Ergebnissen zu kommen: die Kultur der Deutschen, die im Russischen Reich und später in der Sowjetunion gelebt haben und jetzt in der Mehrzahl nach Deutschland zurückgekommen sind ist unglaublich vielfältig! Über diese Vielfalt der Alltags- und schönen Kultur der Russlanddeutschen möchte ich in dieser Handreichung erzählen.

Es sind hier einige Beobachtungen über die Russlanddeutschen gesammelt, Forschungsergebnisse, Fotos, Gedichte, - alles Bruchstücke vom großen Nachlass der russlanddeutschen Kultur.

Die Kultur der Russlanddeutschen ist eine Mischung aus mehreren Kulturen - mindestens aus zwei Kulturen: Deutscher und Russischer, die in einer verschmolzen sind und die Russlanddeutsche ausmachen.

Zu den Merkmalen einer eigenen Kultur dieser ethnischen Gruppe gehören: eine Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Vergangenheit und eigener Erinnerungskultur, zu einer Sprache und Religion, eigenen Sitten und Bräuche, Mentalität, auch Merkmale einer eigenen Literatur, Musik und Kunst können diese Kultur bekräftigen. So möchten wir in unserer Ausgabe über diese Bestandteile der russlanddeutschen Kultur informieren.

nien sowie 7 % im Kaukasusgebiet und in Sibirien.

2. Die Deutschen in den Weichselgouvernements, dem ehemaligen Königreich Polen (Russisch Polen), mit knapp einem Viertel aller Deutschen (25 %)

50.000 deutschsprachige Einwohner (5,5 %). Die Mehrheit - 37,3 % - der Deutschen waren im Handwerk tätig und wurden als Meščane (Standname) bezeichnet. 15 % gehörten zum Adel. 1833 gehörte über die Hälfte aller Zuckerbetriebe, die Hälfte der Schreibpapier- und Tabakfabriken

1. Bestandteile und Besonderheiten russlanddeutscher Kultur Nemezkaja Sloboda, Deutsche Vorstadt

1.1. Eine gemeinsame Vergangenheit im Kontext der russischen und deutschen Geschichte.

Die Deutschsprachige städtische Bevölkerung Die Deutschen kamen bereits im Mittelalter und im 16. Jh. in die Rus‘ und dort wurden nicht wenige von ihnen seit dem späten 15. Jh. dauerhaft ansässig. Außerdem waren die Russen mit keinem anderen mittel- und westeuropäischen Volk so eng verbunden wie mit dem deutschen Volk, besonders in den drei Bereichen wie Politik, Wirtschaft und Kultur. Nach Nowgorod, wohin die frühhansischen Kaufleute schon in der zweiten Hälfte des 12. Jh. einen Weg suchten, kam seit Mitte des 16.

Jh. Moskau als bedeutendste russische Wirkungsstätte der Deutschen hinzu, die dann erst ab Anfang des 18. Jh. durch St. Petersburg ergänzt wurde (2).

Zumindest vier Großgruppen, die ihrerseits wieder in zahlreichen Untergruppen zerfallen, sind zu unterscheiden: 1. Die zahlenmäßig weitaus größte Gruppe, die Nachkommen der Kolonisten, macht 1897 eine Million, das heißt rund 56 % aller Deutschen Russlands aus. Von ihnen lebten 39 % an der unteren Wolga, 37 % im Schwarzmeergebiet, 17 % in Wolhy-

3. Die Deutschbalten in den Ostseeprovinzen, etwa 10 %.

4. Die deutschsprachige Bevölkerung der großen Städte, vor allem Petersburgs und Moskaus (ca. 9 %) (3).

In unserer Handreichung nehmen wir nur die erste und vierte Gruppe von Deutschen in Betracht.

4. Die deutschsprachige Bevölkerung der großen Städte, vor allem Petersburgs und Moskaus (ca. 9 %) (3).

Die deutschsprachige städtische Bevölkerung: Schon seit dem 15.-16.

Jh. sind zahlreiche deutsche Fachleute nach Russland gekommen.

Dieser Zustrom vermehrte sich insbesondere im 18. Jahrhundert. Es waren deutsche und nicht deutsche Zuwanderer, die man als Fachleute für die Modernisierung des Russischen Reiches bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. brauchte. Vor allem die größten Städte wiesen einen beträchtlichen Anteil an deutscher Bevölkerung auf. 1912 waren in Moskau 28.500 Deutsche unter den 1,5 Mio. Einwohnern Moskaus, was bedeutete, dass sie die zweitgrößte ethnische Gruppe nach den Großrussen bildeten. 13 % der Kaufmänner in Moskau waren Deutsche. Im Jahre 1881 waren in Petersburg von insgesamt 900.636 Einwohnern fast

sowie ein Drittel der Lederwarenund Hutfabriken deutschen Unternehmern. In der ersten Hälfte des 19.

Jh. wurden 22 deutsche Periodika in der russischen Hauptstadt gegründet, die sich mit noch 30 Neuerscheinungen bis zum ersten Weltkrieg vergrößerten. Zu den ältesten Zeitungen Russlands überhaupt zählte die von 1727 bis zu ihrer Einstellung 1914 ohne Unterbrechung erschienene „St. Petersburger Zeitung“, deren Besitzerin die Akademie der Wissenschaften war. Die ersten zwei evangelischen Kirchen und Gemeinden wurden noch zur petrinischen Zeit in St. Petersburg angelegt.

In dem Maße, wie die deutsche Bevölkerung an der Wolga zunahm, entwickelte sich Saratow zur Hauptstadt des Wolgagebietes. Auf privater Grundlage wurden in Saratow deutsche Fortbildungs- und Hochschulkurse errichtet, die bis in die Bolschewikenzeit fortbestanden. In Saratow erschienen für die Wolgadeutschen die „Saratower Deutsche Zeitung“ und einige religiöse Blätter.

Eine ähnliche Bedeutung hatte für die Schwarzmeerdeutschen die Hafenstadt Odessa. Zur Zeit der Einwanderung der Deutschen in das Schwarzmeergebiet war Odessa ein kleiner Fischerort mit 4.000 Einwohnern. 1803 wurde hier eine deutsche Handwerkerkolonie gegründet. Die Deutschen in Odessa (10.000 bis

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12.000 Deutsche) besaß in einem besonderen Stadtteil, dem „Lutherischen Hof“, einen geistigen Mittelpunkt. Neben der evangelischen Kirche mit 1.200 Sitzplätzen standen auf diesem Hof zwei Pfarrhäuser, höhere Schulen (St.-Pauli-Realschule), ein Waisenhaus, Wohltätigkeitsanstalten und das Altersheim. Das evangelische Krankenhaus mit seinen deutschen Ärzten genoss hohes Ansehen nicht nur bei der deutschen, sondern auch bei der russischen Bevölkerung. Außer der evangelisch-lutherischen Kirche gab es in Odessa auch eine katholische, eine evangelisch-reformierte und eine Baptistenkirche. In Odessa gab es über 200 deutsche Geschäfte und Unternehmungen und die größte Pflugfabrik der Ukraine (J. Höhn). Von großem Segen für die gesamte Zahl der Schwarzmeerdeutschen waren die in Odessa erscheinende „Odessaer Zeitung“ (1863-1914) und der „Neue Hauswirtschaftskalender“ oder der „Odessaer Kalender“ (1863-1915).

Außer den oben erwähnten vier Städten mit einer Bevölkerungszahl zwischen 10.000 und 50.000 gab es in Russland weitere 50 Städte mit einer deutschen Bevölkerungszahl

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zwischen 500 und 5.000. Auch hier gab es überall deutsche Geschäfte, Unternehmungen und Handwerker.

Die Deutschen in den Städten hatten ihre Kirchen und Pastorate, Schulen, Wohltätigkeitsverbände, Vereine und Klubs. Sie hatten in vielen Bereichen wie Verwaltung und Unternehmen, Schul- und Gesundheitswesen ihren Anteil an der Modernisierung Russlands geleistet.

ter den Ministerialräten (starschij sowetnik). Von 1835 bis 1902 waren von 18 älteren Räten 11, von acht Direktoren der Kanzlei fünf Deutsche.

Einen beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung der gesamten Politik Russlands übte neben dem Außenministerium sowie den Kriegs- und Marineministern der Reichs- und Staatsrat (gosudarstwennyj Sowet) aus. Von 215 Mitgliedern des Staatrats 1894 bis 1914 waren 48 (22 %) Deutsche. Im Ministerium des Inneren waren nur in Einzelfällen Deutsche in leitender Funktion tätig.

Lorenz Blumentrost war der erste Präsident der Akademie der Wissenschaft in St. Petersburg

Im Militär- und Staatsdienst: Insgesamt waren zwischen Ende des 19. bis Anfang des 20. Jh. in Russland im Staat- und Militärdienst ca.

35.000 Deutsche. Insgesamt waren 300 Deutsche im Amt als Militär- und Zivilgouverneurs, Vize- und Generalgouverneure. Von 12 Finanzministern waren bis Ende des 19. Jh. fünf Deutsche. Der Offizierskorps war seit der Regierungszeit von Peter I. (1696-1725) stark von Deutschen dominiert. Nach dem Erlass von 1721 wurden alle ausländischen Offiziere automatisch zum Adel betitelt.

Im Jahre 1880 betrug der Anteil der Deutschen im diplomatischen auswärtigen Dienst 57 %. Viele Deutsche befanden sich im Zentralapparat un-

In der Wissenschaft: Die Akademie der Wissenschaften wurde 1724 von Peter I. gegründet. 1725 waren von 13 Mitgliedern der ersten Akademie 9 Deutsche dabei. Von 111 Mitglieder der Akademie der Wissenschaften Ende 18. Jh. waren 67 Deutsche (60 %). Unter den 11 ersten Präsidenten der Akademie der Wissenschaften vor 1917 waren 5 Deutsche. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden die deutschen Mitglieder und korrespondierende Mitglieder der Akademie der Wissenschaften aus der Akademie ausgeschlossen. Insgesamt wurden nach einer kleinen Recherche etwa 79 Mitglieder der Akademie der Wissenschaften deutscher Herkunft festgestellt (4).

Die erste russische Akademie der Wissenschaft in SanktPetersburg wurde durch Erlaß des Regierenden Senats am 22. Januar 1724 gegründet.

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Im Unternehmen: Deutsche Handwerker sind in Russland ab dem 10.

Jh. bekannt. Seit dem 17. Jh. haben sie schon ein bemerkenswertes Erscheinen in der russischen Gesamtproduktion. Erstmals waren es Kaufleute und Handwerker, dann Unternehmer, Betriebsbesitzer und Banker. Sie pachteten oder erwarben in Russland staatliche Manufakturen oder waren dort Manager. Eine besonders große Zahl von ihnen

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Alexander König wurde am 20. Februar 1858 in St. Petersburg geboren. Sein Großvater Johann Georg König wanderte 1785 aus Thüringen nach Russland aus, wo er sich als Bäcker in St. Petersburg niederließ.

(russ. – ‚inozemcy’), dann als Deutsche – ‚nemcy‘, und heute in der Forschung als Deutschrussen genannt, weil sie eine größere Tendenz, als die ländlich lebende Deutsche, zur Assimilation nachweisen.

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Alexander König – Der Zuckerkönig

ner von Siemens, der Besitzer einer Eisengießerei und Industriegelände von Franz Karl San-Galli berühmt.

Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jh. treten immer mehr deutsche Firmen als Investoren oder Filialisten in Russland auf. So die Firma Singer & Co., Siemens und andere.

Die Deutschen machten mit 90 Firmennamen und 10 Banker ein Drittel aller Auslandsinvestitionen vor dem ersten Weltkrieg in Russland aus und damit hatten sie einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung Russlands beigetragen.

Die deutschen Bauern und Landwirte.

Zu den von Kolonisten gegründeten Fabriken zählten u.a. die größte Pflugfabrik Russlands von Johannes Höhn in Odessa, in der neben Pflügen noch andere landwirtschaftliche Maschinen produziert wurden.

Vor 250 Jahren sind die ersten Deutschen auf Grund des Manifestes der russischen Kaiserin Katharina II. vom 22. Juli 1763 nach Russland in das mittlere Wolgagebiet eingewandert.

Es bildete sich in den weiteren 250 Jahren eine ethnische Gruppe von Deutschen, die in Russland und in der späteren Sowjetunion lebten.

1851 eröffnete der brandenburgische Zuckerbäcker Theodor Ferdinand von Einem aus Belzig eine kleine Konditorei am Arbat. In der Konditorei „Einem“, in der Schokolade und Bonbons hergestellt wurden, beschäftige er fünf Mitarbeiter.

Von Einem lernte 1857 seinen zukünftigen Geschäftspartner Julius Heuss kennen, mit dem er im selben Jahr ein Konditoreigeschäft am Theaterplatz in Moskau eröffnete.

Nach der Oktoberrevolution wurde die Firma verstaatlicht und im Jahr 1918 in „Staatliche Süßwarenfabrik Nr. 1“, vormals Einem umbenannt. 1922 wurde sie in den heutigen Namen „Roter Oktober“ umbenannt.

ließ sich in Archangelsk, Nowgorod und Moskau nieder. Bekannt wurden große Unternehmer in Moskau, wie Gustav List (Maschinenbau), Emil Lipgardt (Zementbetrieb), Julius Heuss (Schokoladenkönig genannt), Textilproduzent Ludwig Rabeneke, der Bankier Junker, die Besitzer von Großfirmen wie „Ludwig Knopp“ und „Wogau & Co.“ Anfangs des 19. Jh. waren 200 deutsche Handwerker in Petersburg tätig. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. waren in St. Petersburg der Zuckerkönig L. König, der Elektrotechnikbetrieb von Ernst Wer-

Im Gesundheitswesen: Die Begriffe „Deutscher“ und „Arzt, Apotheker“ waren in Russland eine lange Zeit Synonymen. Deutsche Ärzte waren in Russland schon vom 15. Jh. bekannt. Die Deutschen stehen als Gründer der medizinischen Organisationen Russlands, der Apotheken und Hospitale. Im Jahr 1822 sind in 50 Apotheken St. Petersburgs 7090 % Deutsche tätig. Die Deutschen waren es auch, die Zeitschriften und Zeitungen für Pharmazeutik und Medizin gründeten (5). Die städtischen Deutschen wurden erst Ausländer

Als rechtliche Grundlage für die von den russischen Regierungen gewollte und gelenkte planmäßige Ansiedlung von Ausländern, insbesondere Deutschen, diente das Manifest der Kaiserin Katharina II. In diesem Manifest waren die Ansiedlungsbedingungen und damit ihr rechtlicher Status festgelegt. Gesetzlich gehen sie auch in der Literatur als ‚Kolonisten‘ ein (schon in den ersten Dokumenten von 1763 werden sie von Graf Grigorij Orlow so genannt) (6).

Entsprechend dem Erlass vom 10.

Oktober 1799 durften Kolonisten in Russland erst dann in einen anderen Stand überwechseln wenn sie die Ansiedlungskosten bezahlt hatten (7). Die ersten Kolonisten siedelten an den Ufern der Wolga in der Nähe der Stadt Saratow. Von 1764 bis 1773 wurden hier 104 Kolonien mit ca. 23.216 Deutschen gegründet.

Durch einen besonderen Erlass der Kaiserin vom 30. September 1765 wurden 110 Familien aus Südwestdeutschland, aus der Pfalz, aus Hessen-Darmstadt, Württemberg

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(Schwarzwald) und Brandenburg in drei Kolonien in der Umgebung von St. Petersburg angesiedelt: Neu-Saratowka; Srednjaja Rogatka und Kolpinoer Kolonie (Ižora). Insgesamt entstanden hier 1765-1819 14 Kolonien.

Die ersten Kolonisten bekamen finanzielle Darlehen von der russischen Regierung, die sie erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig begleichen konnten.

Der Generalgouverneur Neurußlands, Grigorij Potjemkin (17391791), überließ den Mennoniten Land am Ufer des Flusses Dnjepr.

Die ersten 228 Familien ließen sich dort 1789 nieder. Diese Ansiedlung mit insgesamt 18 Dörfern wurde Chortiza genannt. Die zweite Ansiedlung mit 56 Dörfern wurde ab 1804 an der Küste des Asowschen Meeres angelegt.

Verwaltung der Kolonien

Die Kolonisationspolitik Katharinas II. wurde von Kaiser Alexander I. (18011825) fortgesetzt. Die Einwanderung war nicht so einfach zu kontrollieren wie geplant.

Viktor Hurr, „Auswanderung an die Donau“

Viktor Hurr, „Südkaukasus“

„762 Deutsche Familien aus südwestlichen und westlichen Staaten Deutschlands siedelten 1810-1813 an dem rechten Ufer des Flusses Molotschnaja in 18 Kolonien an.“(8). „Die meisten Einwanderer aus dem Herzogtum Warschau wurden nach Bessarabien (gehörte 1812-1918 und 1939-1992 zu Russland) geschickt. Es handelte sich um 1.743 Familien, mit wenigen Ausnahmen alle Lutheraner. Sie mussten zwei Jahre auf ihre Ansiedlung warten und wurden 1816 schließlich in 11 lutherischen Dörfern im Kreis Ackermann angesiedelt“ (9).

Die ersten deutschen Siedler auf der Halbinsel Krim kamen 1804 aus der Schweiz (10). „1818/19 wanderten rund 500 Familien aus Westpreußen nach Neurußland, bei der Stadt Mariupol fanden sie ihr zugewiesenes Landareal erst 1823/24. Es entstanden elf lutherische und sechs katholische Dörfer. 1825 - 42 kamen noch 100 Familien aus Baden und Hessen dazu (11).

1816 reisten 1.500 Familien mit 9.000 Personen von Schwaben in den Südkaukasus aus. In ihrer alten Heimat bedrängten sie die napoleonischen Kriege, Missernten und Hungersnöte. Im Kaukasus kamen aber nur 500 Familien an, die anderen blieben bereits in Odessa und Bessarabien.

Diese ersten Siedler im Kaukasus gründeten sieben Mutterkolonien.

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Viktor Hurr, „Erntefest - Wohlstand“

Die russische Regierung hatte schon 1819 ihre Mission im Ausland angewiesen, keine Einwanderungspässe mehr auszustellen, weil sie am finanziellen und wirtschaftlichen Erfolg der Ansiedlungspolitik zu zweifeln begann.

Nach Gouvernement Wolhynien kamen die ersten deutschen Kolonisten bereits in den 1830er Jahren, nach 1861 kamen mehr dazu, vor allem 1862 – 64, aber noch bis 1890er Jahren kamen immer neue Siedler aus Russisch Polen, Galizien dazu. 1914 lebten über 200.000 Deutsche dort.

Insgesamt legten von 1764 bis 1880 die deutschen Auswanderer im Russischen Reich zehn deutsche Siedlungen an. Jede Siedlung umfasste mehrere Kolonien. Eine Kolonie kann man sich als Dorf vorstellen. Die Kolonien lagen in den Verwaltungsbezirken Saratow, Samara, Petersburg, Jekaterinoslaw, Taurien, Cherson/ Odessa, Wolhynien und im Kaukasus.

Die den Kolonisten im Manifest versprochene Selbstverwaltung bestand bis zum Jahre 1874. Sie nannte sich „Petersburger Kanzlei der Vormundschaft für Ausländer“ oder „TutelKanzlei“. Sie besaß die Rechte eines Ministeriums und galt als die höchste Instanz für die Kolonien. Die sollte sich um den Empfang und über die Absendung der Einwanderer kümmern. Aber diese Aktion brauchte extra eine Verwaltungsinstitution vor Ort. So entstand seit 1766 ein Fürsorgekontor in Saratow.

Zur Betreuung der Kolonisten in Südrußland wurde im Jahre 1800 in Jekaterinoslaw ein „Kontor für ausländische Kolonisten“ eingerichtet.

1818 wurde im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Kolonisten das „Fürsorgekomitee für die ausländischen Ansiedler der südlichen Gebiete Russlands“ (Попечительный Комитет об иностранных поселенцах Южного края России) eingerichtet. Es hatte seinen Sitz in Jekaterinoslaw (1818-1820), dann in Kischinjow (1820-1833) und Odessa (1833-1871). Der Aufgabenkreis dieser Vormundschaftsbehörde umfasste alle Zweige der Verwaltung, Rechtsprechung, Kontrolle, Polizei, Landvermessung, Ansiedlung, Landwirtschafts- und Gewerbeaufsicht.

Zur Verwaltung der Kolonien vor Ort waren Inspektoren eingesetzt, die zum Fürsorgekontor gehörten, außerdem gab es Bezirks- und Gemeindeämter (sel‘skij prikaz), an deren Spitze die Schulzen und Beisitzer standen, die von den Kolonisten gewählt und vom Kontor bestätigt wurden (12).

Nach 1871 wurden die Kolonisten der allgemeinen russischen Verwaltung unterstellt. Nach der Schaffung von Selbstverwaltungsorganen auf der Ebene der Kreise und Gouvernements, der so genannten Semstwo, beteiligten sich die Kolonisten aktiver am politischen Leben. Deutsche wurden in den Semstwo der Kreise

gewählt und in jene der Gouvernements delegiert. Zum Beispiel: Von vier Mitgliedern der Saratower Gouvernements-Verwaltung waren zwei Deutsche. Im Saratower Stadtrat der Wahlperiode 1913-1916 waren von 82 Abgeordneten 12 Deutsche.

Viktor Hurr, „Erntezeit. Weingarten im Herbst“

Damit waren die Deutschen Saratows im Stadtrat deutlich überpräsentiert (6,7 % der Stadtbevölkerung waren Deutsche). In der ersten russischen Duma wurde Heinrich Schellhorn (Gouvernement Samara) und Jakob Dietz (Gouv. Saratow) gewählt, in die zweite Duma wurde Alexander Kling gewählt. Der dritten Duma gehörten Nikolaj Rothermel (Samara) und Konstantin Grimm (Saratow) an (13).

besaß kein Recht zur Veräußerung bzw. Verpfändung des Hofes. Der Agrarverfassung nach wurde von der Gemeinde in gewissen Zeitabschnitten eine Neuumteilung der Felder vorgenommen, und zwar entsprechend der Zahl der erwachsenen Einwohner männlichen Geschlechts.

Das hatte einen lähmenden Einfluss auf die Entwicklung der Landwirtschaft. Es drückte die persönliche Initiative und den Unternehmungsgeist der Kolonisten herab, führte zu ständiger Verkleinerung des Landanteils einer jeden Familie. Erst die Stolypinsche Landreform 1906 brachte den großen Einschnitt in das bäuerliche Leben an der Wolga.

Im Schwarzmeergebiet wurde die Umverteilung nicht praktiziert, sondern das gesamte Landstück an ein Kind vererbt. Die Landlosigkeit wuchs, so dass sie in den 1840er Jahren zu einem Problem führte, was den Landankauf und die Pachtung auslöste. Mit der Reform von Alexander II. (zweite Hälfte des 19.

Jh.) wurde das Land zum Eigentum.

Das führte zu einer größeren Motivation an ihren Besitz und zur Modernisierung der Landwirtschaft. Zu einigen Beispielen können genannt

durch Kreuzung der friesischen Kuh mit der ukrainischen Steppenkuh.

Nur die Wolgakolonisten brachten in der zweiten Hälfte des 19. Jh. bis zu 320.000 Tonnen Getreide pro Jahr auf den Markt und der Umsatz im Getreidehandel erzielte 50-60 Mil. Rubel. Durch den Anbau an der Wolga wurden 1880 bis zu 1.600 Tonnen Tabak verkauft. Der in den Südkaukasus-Kolonien erzeugte Wein betrug vor 1914 ein Sechstel der gesamten Weinproduktion Russlands. Der Getreideexport in Russland betrug 1856/60 im Durchschnitt 609.600Tonnen, wovon 90 % aus den südlichen Häfen exportiert wurden.

Die deutschen Handwerker in den Kolonien produzierten nicht nur für die deutschen Kolonisten, sondern auch für die russischen Nachbarn.

1852 zum Beispiel bauten die Handwerker im Schwarzmeergebiet 2.634 Pferdewagen, die nicht nur von Landwirten, sondern auch vom russischen Militär gekauft wurden.

Deutsche Handwerker in Russland Auch in den Städten arbeiteten deutsche Kolonisten als Handwerker, zum Beispiel in Saratow, Odessa,

Wirtschaft und demographische Entwicklung. „Die Kolonisten sind unsere Amerikaner, die die wüste Steppe in herrliche Dörfer mit Gärten und Fluren verwandeln, unsere kapitalistischen Landwirte, die von Jahr zu Jahr reicher werden und immer mehr Land einnehmen und ihm Wert zumessen und den Preis der Arbeit durch ihre außergewöhnliche Nachfrage maßlos erhöhen. Die völlige Überzeugung von der Notwendigkeit der Arbeit, die Einfachheit des Lebens, die bis zum Stoizismus reicht, das Bewusstsein des sozialen Vorteils gegenseitiger Unterstützung und der Pflichten gegenüber der Regierung kennzeichnet sie.“ (14).

Der Erfolg der wirtschaftlichen Entwicklung war in verschiedenen Regionen unterschiedlich. Ein Grund dafür war die Landverteilungsordnung.

An der Wolga verblieb das Grundeigentum bei der Gemeinde. Es war also Gesamthandeigentum, kein Bruchteileigentum. Der Hofbesitzer

werden: Erfindung und Verwendung der Drei- und Vierfelderwirtschaft mit Schwarzbrache; regelmäßige Dünung mit vorhandenem Mist aus dem Stall; Bewässerung im Gartenbau; Einführung der Kartoffel; Konstruktion, Einführung und Verbreitung neuer Geräte: den mehrscharigen Schäler (‚Bugger‘), die Egge mit eisernen Zähnen, die Erntemaschine (russ.- ‚Lobogrejka’) und andere; Begründung der Merinozucht; die Züchtung der roten deutschen Kuh:

Tokmak, Berdjansk und Simferopol.

Ein Reporter der „Odessaer Zeitung“ schreibt 1863 über Odessa: „Überall, wo man hinsieht, elegante Aushängeschilder deutscher Wagenbauer, Schuhmacher, Drechsler, Schneider, Konditoren, Tischler, Bäcker, Uhrmacher, Magazinbesitzer, Photographen, Buch- und Steindruckereien.“ Handwerker und Landwirte taten den Regionen und Gesamtrußland gut: Sie förderten die wirtschaftliche Entwicklung und sie konnten die land-

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wirtschaftlichen Geräte erheblich verbessern“. Allerdings konnten sich die wenigsten Familien regelmäßig Handwerker leisten. Deswegen wurden viele handwerkliche Arbeiten, gerade auf dem Land, von den Menschen selbst ausgeführt.

Nach 1850 hatten die meisten Russlanddeutschen ihre Staatskredite zurückgezahlt und waren schuldenfrei.

Das frei gewordene Kapital und die Einnahmen aus der Verpachtung von Land wurden in die Fabrikation landwirtschaftlicher Produkte investiert.

In den Regionen, in denen Deutsche lebten, entstand mehr Industrie als in anderen Gegenden Russlands.

1911 gab es 140 russlanddeutsche Betriebe, die landwirtschaftliche Maschinen und Geräte produzierten.

Das war ungefähr ein Viertel der gesamtrussischen Produktion (15).

Der Ausbau des Eisenbahnverkehrs führte dazu, dass sich große Gebiete Südrusslands zum Weltmarkt anschlossen. Immer größere Flächen Land wurden im Süden bebaut. Besonders im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die wirtschaftliche Lage erfolgreich.

Die Zahl der Kolonien wuchs. Bis zum Jahr 1890 waren es an der Wolga insgesamt 198 (16) und im Schwarzmeergebiet 919 (17). Die Zahl der Menschen wuchs ebenfalls: im Kaukasus von 2.864 im Jahr 1850 - bis 12.059 Personen 1913; an der Wolga von ca. 24.000 bis auf 402.037 Personen Ende 19. Jh. Auch der Landbesitz vergrößerte sich beträchtlich: allein im Schwarzmeergebiet und an der Wolga bis über 5,5 Mil. Hektar an (18). Die Veränderungen in den Deutschen Kolonien, die mit der Reform von Alexander II. auf sie zukamen, führten zu einer Emigration im Jahre 1874, teilweise wanderten die Deutschen nach Nordamerika, teilweise nach Südamerika aus. In der russischen Gesellschaft, besonders in den Berichten russischer Journalisten, Wirtschaftsforscher, Beamter und Intellektueller kam immer öfter die Frage nach der zukünftigen Entwicklung Russlands auf und nach der Rolle der deutschen Bauern darin. Nach der Niederlage im Krimkrieg gewann in Russland das panslawistische Denken an Boden, in Gestalt eines das gesamte Slawentum ein-

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beziehenden großrussischen Nationalismus (19). Dazu spielte die außenpolitische Entfremdung zwischen Deutschland und Russland vor allem in den achtziger Jahren des 19.

Jahrhunderts und vor dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle für die Haltung von Regierung und Öffentlichkeit gegenüber den deutschen Kolonisten. Seit dem letzten Drittel des 19. Jh. gerieten die deutschen Kolonisten unter den Beschuss der Öffentlichkeit.

Seit 1883 übte die nationalistische Presse einen starken Druck auf die Regierung aus, etwas gegen die „friedliche Eroberung“ des Südwestgebietes durch die Deutschen zu unternehmen. Der Feldzug der Presse gegen die Deutschen wegen des unaufhörlich starkem deutschen Landerwerb und der auffälligen Widersetzung jeder Assimilation ging bis Ende 19. Jh. weiter und ging in die Versuchung, die Kolonisten als „Sündenböcke“ für die ungelösten Probleme der russischen Agrarpolitik zu nutzen, um die sozialen Spannungen zwischen Bauern und Gutsbesitzern auf den gemeinsamen Kampf gegen den „nationalen“ Feind abzuleiten (20).

Die Russlanddeutschen im Ersten Weltkrieg 1914 brach der Erste Weltkrieg aus.

Während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) wuchsen die Zweifel der russischen Regierung und Armee-

führung an der Loyalität der deutschen Siedler.

Damit änderte sich das Leben der Russlanddeutschen schlagartig: Über 300.000 von ihnen dienten in der russischen Armee, das waren immerhin 2 % aller eingezogenen Männer. Die Mennoniten kämpften aus religiöser Überzeugung nicht. Über 15.000 arbeiteten in den Lazaretten und Spitälern der Armee. 1914 verlor die russische Armee eine wichtige Schlacht gegen Deutschland. Daraufhin wurden die deutschstämmigen Soldaten von der West-Front abgezogen und an die Kaukasus-Front verlegt.

Vor allem im Alltag bekamen die Menschen die Veränderungen zu spüren.

Die Deutschen galten nun als ‚innerer Feind‘. Um diesen Feind zu bekämpfen, beschloss die Regierung 1915 tausende Wolhyniendeutsche in den Osten des Landes zu deportieren. Es wurde verboten, die deutsche Sprache zu sprechen oder auf Deutsch zu unterrichten; Versammlungen von Russlanddeutschen wurden verboten; Unternehmen, an denen Deutsche beteiligt waren, aufgelöst. Die deutsche Presse wurde verboten; alle deutschen Ortsnamen wurden in russische umbenannt.

1914 fanden in Petrograd und 1915 in Moskau Pogrome, gewaltsame Massenausschreitungen, gegen Deutsche statt. Die russische Regierung verabschiedete 1915 zwei Gesetze, die bereits damals als ‚Liquidationsgesetze‘ bezeichnet wurden.

Die deutschen Landbesitzer sollten bis 1917 ihr Land dem Staat übergeben. Das wurde allerdings nicht mehr umgesetzt, denn kurz darauf dankte der Kaiser Nikolaus II. ab und die folgende provisorische Regierung setzte die Gesetze wieder außer Kraft.

Unter diesen Umständen bedeuteten die Februarrevolution 1917 und die Garantien der Bürgerrechte durch die provisorische Regierung für viele Deutsche zunächst einmal die Rettung vor Gefahr an Leib und Leben.

Die Zeit nach der Oktoberrevolution 1917.

Erste russlanddeutsche Soldaten des ersten Weltkrieges: Nach der Aufhebung der Privilegien mussten auch die Deutschen, die in Russland lebten in der Zarenarmee dienen.

Ende Oktober 1917 wurde die Macht von den Bolschewisten erobert. Die Deutschen wurden automatisch Bürger Sowjetrusslands. Am 19. Oktober

Zwangspolitik der bolschewistischen Führung - mit seinen ersten Großaktionen zur Kollektivierung der Landwirtschaft und mit seinen Missernten rief auf dem Lande Hungerkatastrophen von so gewaltigem Ausmaßen hervor, dass vom Ausland her Hilfsmaßnahmen in Gang gesetzt wurden. Die deutschen Bauern, die sich – wie die anderen – gegen die zwangsweise Requirierung von Vieh und Getreide durch die bolschewistischen Kommissare gewehrt hatten, mussten ebenfalls grausame Zwangs- und Strafmaßnahmen erleiden.

Bürgerkriegs Soldaten in Russland/Sowjetunion

1918 setzte Lenin seine Unterschrift unter das Dekret über die Errichtung der „Arbeitskommune der Deutschen des Wolgagebiets“. Mit der Gründung der UdSSR wurden die Deutschen automatisch Bürger der Sowjetunion. Ihr rechtlicher Status unterschied sich nicht von den anderen Nationalitäten.

Anfang 1924 wurde, die Republik der Wolgadeutschen mit der Hauptstadt Engels (früher Pokrowsk) gegründet.

In der Ukraine wurden im folgenden Jahr aus den deutschen Kolonien fünf Deutsche Landkreise (Rayons) gebildet, bis 1931 kamen drei hinzu.

Innerhalb der Sowjetunion entstanden seit der zwanziger Jahre im Kaukasusgebiet, in Sibirien (vor allem im Altaigebiet) und auf der Krim je ein deutscher Kreis. Außerdem wurden in verschiedenen Regionen des sowjetischen Territoriums 550 deutsche Dörfer mit nationalen Sowjets gezählt, so Hans Hecker (Köln, 1994).

Immer öfter wurden die Deutschen als nationale Minderheit betrachtet und rechtlich entsprechend behandelt.

Seit den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts hing die Behandlung der Russlanddeutschen immer wieder von den staatlichen Beziehungen zwischen beiden Mächten, Russland und Deutschland, ab. Solange das außenpolitische Verhältnis intakt oder gar auf Freundschaft gestimmt war, ging es den Deutschen in Sowjetrussland unter den gegebenen Umständen gut. Sie konnten sogar nach dem Vertrag von Rappalo 1922 an die sowjetische Handelsmission in Berlin einen eigenen Vertreter entsenden, der ihre wirtschaftlichen und finanziellen Verbindungen ins Ausland, vor allem auch Hilfeleistungen seitens ausgewanderter Russlanddeutscher, betreute.

Was die gesamte politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung anging, so teilten die Deutschen das Schicksal der anderen Völker der Sowjetunion. Die Schrecken und Verwüstungen des bis 1921 tobenden Bürgerkrieges machten selbstverständlich vor deutsch besiedelten Gebieten nicht halt. In der Ukraine etwa zogen die Fronten des Bürgerund Interventionskrieges immer wieder über große Landstriche hinweg, und zwischendurch tobten sich anarchistische Terrortrupps aus.

Der Kriegskommunismus - die anfängliche Phase wirtschaftlicher

Zwar verschaffte die 1921 verkündete Neue Ökonomische Politik (NEP) für ein paar Jahre eine gewisse Erleichterung, indem sie privatwirtschaftlichen Initiativen Chancen bot.

Aber schon ab 1929 brach eine weitere Welle der Drangsalierung aus Stalinsche Politik der Fünfjahrpläne und die Kollektivierung der Landwirtschaft. Von den 14.000 Deutschen, die ihrem Schicksal durch Emigration zu entgehen versuchten, bekam nicht einmal die Hälfte die Genehmigung zum Fortgehen; die meisten trafen Verfolgung und schwere Strafen. Rund 50.000 deutsche Kulaken wurden deportiert.

Noch härter wurden die Deutschen durch die „stalinschen Säuberungsaktionen“ zwischen 1934 und 1939 betroffen. In manchen Ortschaften wurde mehr als die Hälfte aller deutschen Männer verhaftet.

Viktor Hurr, „Deportation“

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Genehmigung des Kommandanten zu verlassen. Von 1945 bis Sommer 1956 durften sie nicht die Grenzen ihres Kreises überschreiten. Für die Verletzung dieses Erlasses gab es bis zu 20 Jahre Zuchthaus. Laut Erlass des Obersten Sowjets vom 1948 waren die Deutschen „auf ewige Zeiten verbannt und der Sonderkommandantur unterstellt“. Das war der Höhepunkt der Entrechtungspolitik gegenüber den Deutschen in der UdSSR. Viktor Hurr, „Lagerbaracke“

Während des Zweiten Weltkriegs und danach Der Zweite Weltkrieg hat allen Völkern Europas unsägliches Elend gebracht. Einen besonders hohen Preis haben die Deutschen in der UdSSR zahlen müssen. Von August 1941 bis Januar 1942 waren 894.626 (so Peter Rempel (21) Angehörigen der deutschen Minderheit aus dem europäischen Teil des Landes nach Sibirien, Kasachstan und Mittelasien deportiert. In der zweiten Phase der Deportation wurden die Deutschen am 17. März 1942 aus der Blockade von Leningrad deportiert. Im September 1941 wurden die Deutschen in der Sowjetarmee in Baubataillonen versetzt und nach Osten in die Zwangsarbeit gebracht. Im Januar und Februar 1942 wurden die noch verbliebenen Männer, später im Oktober auch die Frauen (außer Mütter von 1- bis 3-jährigen Kinder) in die so genannte Arbeitskolonne eingezogen. Die Anzahl der Deutschen in der Arbeitskolonne in den Jahren 19421945 sind über 315.000 Menschen.

Das war 9 % von der Gesamtzahl der Zwangsarbeiter, die den NKWD (Innenministerium) unterstellt waren, so Hermann A. A. und Kurotschkin. Die Verhältnisse, unter denen sie arbeiten mussten, waren wie in einem Gefangenenlager mit strenger Bewachung, Schwerarbeit und psychischem Druck von Seiten der Vorgesetzten. Die Deutschen in der Sowjetunion waren praktisch seit Beginn des Hitlerangriffs an den Orten der Deportation, in den Lagern, aber auch in den schon früher bestehenden Siedlungen des asiatischen Teiles der Sowjetunion, unter Aufsicht der Sonderkommandantur gestellt.

Das bedeutete, dass sie nicht das Recht hatten, ihren Wohnort ohne

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Viktor Hurr, „Hinter dem Zaun“

Nach Stalins Tod (5.03.1953), dem Besuch Adenauers in Moskau (8-13.

September 1955) und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und Bonn erließ der Oberste Sowjet der UdSSR am 13.

Dezember 1955 das Dekret „Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in den Sondersiedlungen befinden“. Die Kommandantur wurde abgeschafft, aber das Verbot, in die früheren Wohnorte zurückzukehren sowie Ansprüche auf reguliertes Vermögen zu erheben, blieb noch bis 1972. Durch dieses Dekret wurden die Deutschen zwar nicht vollständig rehabilitiert, aber sie konnten jetzt ihre Verwandten und Bekannten aufsuchen. Viele zogen aus den kalten Regionen Sibiriens und des hohen Nordens in wärmere Gegenden Mittelasiens und Kasachstans. Es gab wieder einige deutsche Zeitungen (1957 „Neues Leben“ in Moskau, „Rote Fahne“ 1955 im Altai). 1960 erschien der erste Sammelband deutscher Autoren, schon seit 1944 knüpften die Gläubigen erste Kontakte zu Glaubensbrüdern im Ausland.

Seit 1958 konnten deutsche Schüler ihren Anspruch zum Erlernen der deutschen Sprache als Muttersprache wahrnehmen.

Am 29. August 1964 verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR den Beschluss „Über die Abänderung des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 über die Umsiedlung der Wolgadeutschen“. Dieser Beschluss nahm den Russlanddeutschen den Makel des Verrats. Ihnen wurden aber nicht die Rückkehr in die alten Wohnorte mit Wiederherstellung der autonomen wolgadeutschen Republik sowie der deutschen Rayons mit gemischter Bevölkerung und anderer Bildungsund kultureller Einrichtungen genehmigt.

Die großen Bevölkerungsverschiebungen, die Deportationen und auch die Binnenwanderungen nach 1954 veränderten sowohl die Wohngebiete als auch die Sozialstruktur der Deutschen. Diese Verschiebungen brachten eine Veränderung der Lebensbedingungen mit sich wie etwa eine neue ethnische, sprachliche und kulturelle Umgebung, die ein hohes Maß an Anpassung und Selbstbehauptung erforderte. Die wirtschaftlichen Tätigkeiten änderten sich und als Folge davon die sozialen und kulturellen Bindungen und Orientierungen. So kletterte der Anteil der Stadtbewohner in den Jahren 19471957 von 15 auf 50 %. Der Anteil der qualifizierten Arbeiter in Industrie und Bergbau, der Ingenieure und Techniker, der Mediziner wie überhaupt der akademischen Berufe stieg steil an.

Hand in Hand damit ging jedoch auch ein fortschreitender Verlust an nationaler und kultureller Identität vonstatten. Von den rund zwei Millionen Deutschen (1989) die sich bei der Volkszählung als solche eintragen ließen, gaben nur noch 48,7 % Deutsch als Muttersprache an. 1926 waren es 94,9 %, 1939 – 88,4, 1979 noch 57,0 %.

Bis zum ersten Weltkrieg sind schätzungsweise 300.000 Deutsche aus Russland ausgewandert – hauptsächlich nach Amerika (Kanada, USA, Brasilien, Argentinien). Durch den Ersten Weltkrieg und dessen Folgen - Liquidationsgesetzte, Oktoberrevolution und dessen Folgen - Enteignungen, Verbannungen 1929 bis 1932 und Verhaftungen 1934 bis 1939 unter Stalin, die Ereignisse und Schicksalsschläge durch den von Hitlerdeutschland eingeleiteten II. Weltkrieg und dessen Folgen ha-

ben dazu geführt, dass sich die Auswanderungsbestrebungen der Deutschen in Russland (Sowjetunion) seit den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts in immer verstärkendem Maße bemerkbar machten. Durch die Weltkriege und durch Auswanderung hatte es viele Familientrennungen gegeben, die ein zusätzliches Motiv der Abwanderung bildeten.

Nach der Gründung der UdSSR (30.12.1922-21.12.1991) und der Weimarer Republik (9.11.191830.01.1933), wurden die Deutschen in der Sowjetunion aus ideologischen Gründen in andere Kategorien eingeordnet und die Begriffe entsprechend angepasst. So finden wir bei dem ehemaligen Pastor Johannes Schleuning, der 1918 nach Deutschland übergesiedelt war, und sich sehr stark für die Deutsche aus Russland in Deutschland einsetzte, den Begriff „Russlanddeutschtum“ in seiner Ausgabe von 1927 (22). Seit 1930 gab es in Südamerika die erste Zeitung „Der Russlanddeutsche“. Dieser Begriff in Form „Russlanddeutsche“ wurde dann auch von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. (gegründet 1950) akzeptiert. In der Sowjetunion wird der Begriff „Sowjetdeutsche“ seit Anfang der 1930er Jahren benutzt. So wurde die erste Konferenz Deutscher Schriftsteller in der Sowjetunion von der Zeitung „Literaturnaja gazeta“ als sowjetischdeutsche benannt („Literaturnaja Gazeta“. 24, 26,28 März, 1934). Die Deutschen selbst identifiziert sich in der Spätsowjetzeit immer öfter als „Sowjetdeutsche“, weil sie sonst überhaupt nicht in der Öffentlichkeit der Sowjetunion erscheinen dürften.

Eine Diskussion über den allgemeinen Begriff für die Deutschen in und aus Russland entsteht in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren in der Bundesrepublik auf wissenschaftlichen Tagungen und Veröffentlichungen. Und als nach dem Zerfall der Sowjetunion die Deutschen zu ihrer Zugehörigkeit immer öfter den Begriff Russlanddeutsche (rossijskije nemzy) benutzen, wurde klar, dass das der einfachste Begriff für den Umgang, aber auch für die Wissenschaft ist.

Nach Deutschland durften die Russlanddeutschen nach dem Bundesvertriebenen Gesetz einreisen.

Rechtlich werden sie als Aussiedler und Spätaussiedler aufgenommen.

Die größte Zahl von Ihnen sind schon nach einem Jahr Bürger der Bundesrepublik. Die Integration aber dauerte länger und zeigt erst nach 25 Jahren ihre positive Balance.

Besonders die Geschichte während und nach dem II. Weltkrieg hat die Russlanddeutschen unter einem Schicksal zusammengebunden, obwohl nicht örtlich oder territorial, sondern historisch durch ihr gemeinsames Schicksal, das keinem Deutschen in der Sowjetunion eine Ausnahme angeboten hat. Die Deutschen in Deutschland haben eine ganz andere geschichtliche Erfahrung erleben müssen, als die Deutschen aus der Sowjetunion. In diesem geschichtlichen Kontext muss jede deutsche Familie, jedes Individuum, das sich als Deutsch bekennt hat, kulturell betrachtet werden.

1.2. Erinnerungskultur Erinnerungskultur bezeichnet den Umgang des Einzelnen und der Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit und ihrer Geschichte. In Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern ist Erinnerungskultur im Wesentlichen ein Synonym für die Erinnerung an den Holocaust und die Opfer des Nationalsozialismus.

Viktor Hurr, „Verhaftungen, Terror“

Ausgehend von der gemeinsam erlebten Vergangenheit, sind bei den Russlanddeutschen andere Erinnerungsverfahren als bei der einheimischen Bevölkerung möglich. Wenn auch die Identifizierung als Opfer je nach Generation und Familie der

Russlanddeutschen sich unterscheidet, so finden sich doch in jeder Familie Berichte und Erzählungen über die Geschehnisse, die der Wahrnehmung eines Opferstatus zugrunde liegen.

Allen russlanddeutschen Familien ist gemein, dass die Erinnerungen an die Verfolgung und Deportation der deutschen Minderheit in der Sowjetunion innerfamiliär wach gehalten wird. Fallübergreifend übernimmt die Großelterngeneration diese Funktion, was darauf zurückzuführen ist, dass sie die Zeit persönlich miterlebt hat und somit über eigene Erfahrungen verfügt. Mehrere Erinnerungen sind hier in Deutschland von Russlanddeutschen veröffentlicht, einige Lebensläufe und persönliche Erlebnisse aufgeschrieben. Die werden meistens von den Großeltern geschrieben. Hierbei werden übergreifend traumatische Erfahrungen beschrieben, die sowohl den Tod von Familienmitgliedern als auch das Auseinanderreißen der Familien und die überaus schweren Lebensbedingungen in den Arbeitslagern betreffen. Auffallend ist eine Ähnlichkeit in der Erzählerstruktur der Opferberichte, die alle über äußerst ausführliche und sehr detaillierte Beschreibungen verfügen. Daraus wird deutlich, dass sich die Großelterngeneration sehr genau an die Erlebnisse erinnert und bereitwillig davon erzählt. Das Erzählen der eigenen Vertreibungserlebnisse scheint der Großelterngeneration in allen Familien ein großes Bedürfnis zu sein. Die Opferberichte weisen fallübergreifend eine derart große Ähnlichkeit in Inhalt und Erzählstruktur auf, dass davon auszugehen ist, dass eine Art objektives Wissen über den Opferstatus der ehemaligen deutschen Minderheit in Russland besteht und die allgemeine Wahrnehmung der einzelnen Opfer durch die Volksgruppe der Russlanddeutschen mit konstituiert wird.

Die in den Familien wachgehaltenen Opferberichte beziehen sich neben den direkten Erlebnissen der Vertreibung auch auf die jüngere Zeit des Lebens in Russland. Hierbei wird von einem anhaltenden Status der Ausgrenzung berichtet, wobei diesbezüglich vorrangig die Eltern als Erzählende auftreten. Auch diese Berichte sind in ihrem Inhalt austauschbar, enthalten sie doch

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übergreifend Beschreibungen von Diskriminierungen, denen die Familien aufgrund ihrer deutschen Zugehörigkeit ausgesetzt waren. Die Stigmatisierung der Deutschen von Seiten der sowjetischen Majorität als „Faschisten“ taucht in beinahe jedem Opferbericht auf.

Wahrnehmung beeinflusst. So wird im Generationenverlauf nicht nur der Opferstatus der Großeltern tradiert, sondern ebenso ein die Eltern- und in abgeschwächter Form auch die Kindergeneration betreffender Status als Opfer neu konstruiert (23).

Beschreibungen der Wahrnehmung einer Opferrolle tauchen in allen Familien auch bezüglich des Lebens in der Bundesrepublik Deutschland auf und werden von der Elterngeneration und der Kindergeneration getätigt, wobei die Berichte der Kinder weniger häufig und inhaltlich abgeschwächt auftauchen.

1.3. Sprache

Auch bestehen statusspezifische Unterschiede, so dass in den nicht-akademischen und religiösen Familien stärker von einer erneuten Wahrnehmung des Opferstatus erzählt wird als in den akademischen Familien.

Die vorliegenden Opferberichte sind inhaltlich sehr ähnlich. Übergreifend wird von einer negativen Außenansicht der Russlanddeutschen von Seiten der bundesdeutschen Gesellschaft berichtet, die die Eltern und Kinder in ihren Erzählungen zu widerlegen versuchen und auf eine falsche und übertrieben negative Berichterstattung über Russlanddeutsche in den Medien zurück zu führen ist. Als das am häufigsten an sie herangetragene Vorurteil wird die überdurchschnittlich hohe finanzielle Förderung russlanddeutscher Aussiedler genannt. In einigen Berichten wird die Bezeichnung von Russlanddeutschen als Russen für eine Diskriminierung und erneute Ausgrenzung gehalten.

Wie ein roter Faden zieht sich dabei generationsübergreifend die Wahrnehmung, Opfer zu sein, als ein wesentliches Element der Identitätsbildung durch die Familien. Jeder Generation scheint die Betonung dieses Opferstatus wichtig zu sein, da sie ihre je spezifische Opferrolle gerne und ausführlich beschreibt, was den identitätsstiftenden Charakter der Selbstwahrnehmung als Opfer deutlich werden lässt. Es ist davon auszugehen, dass der von den Großeltern erlebte Status als Opfer auch für die Eltern- und Kindergeneration noch derart stark präsent ist, dass dieses Erleben die aktuelle

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Die Kultur der Russlanddeutschen ist sehr eng mit ihrer Sprache verbunden. Und auch hier, wie in ihrer Vergangenheit und Erinnerungskultur haben die Russlanddeutschen ihre Besonderheiten dabei. Schon über 40 Jahren forscht Prof. Nina Berend aus Mannheim die Sprachliche Spezifika der Russlanddeutschen in Russland/Sowjetunion und in Deutschland. Hier einige von ihren Forschungsergebnissen. „Bei der Einreise nach Deutschland verfügen die russlanddeutschen Aussiedler größtenteils über Sprachkenntnisse, die als Kombination ‚russische Sprache plus deutscher Dialekt‘ erscheinen. Die Schwierigkeiten bei der sprachlichen Eingliederung ergeben sich daraus, dass diese beiden Kompetenzen nicht als selbständig autonome Teile oder Varietäten im Sprachrepertoire der Sprecher vorhanden sind, wie dies z. B. beim Zweitsprachenerwerb der Fall ist...

Bei russlanddeutschen Aussiedlern liegt eine Sprachkompetenz vor, wie sie aus Situationen des natürlichen Bilingualismus …bekannt ist.

Es ist die aktive zweisprachige Kompetenz und die Situation des entwickelten Bilingualismus, wenn beide Sprachen gleichzeitig und nicht getrennt voneinander, sondern „gemischt“ verwendet werden. Für Russlanddeutsch-Sprecher ist Code switching die „unmarkierte“, „normale“ oder „natürliche“ Form des Sprachgebrauchs, und es kommt dabei die zweisprachige deutschrussische Kompetenz zum Ausdruck.

Diese gemischtsprachige deutschrussische Kompetenz hat für russlanddeutsche Aussiedler vor allem in Deutschland Konsequenzen. Im gesellschaftlich-kulturellen Aspekt äußert sich das in der schwierigen Identitätszuordnung:

Aussiedler empfinden sich als Deutsche, werden aber von der aufnehmenden Gesellschaft vielfach – nicht zuletzt aufgrund von Sprachkriterien – als Russen oder Ausländer im Sinne von „Nicht-Deutschen“ identifiziert. Die sprachliche Situation der Russlanddeutschen ergibt sich aus ihrer Geschichte hervor.

Die Sprachgeschichte der Russlanddeutschen und der russlanddeutschen Sprachgemeinschaft in Russland umfasst zwei deutlich voneinander zu trennende Perioden: Die Phase der Stabilität und kontinuierlichen Entwicklung und Die Phase der Instabilität und Diskontinuität.

Die Phase 1 begann mit der Umsiedlung von Deutschen nach Russland und dauerte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges an (1941). In dieser Phase des vergleichsweise stabilen Bestehens der kompakten deutschen Siedlungen vollzog sich die Sprachentwicklung der Russlanddeutschen unter Bedingungen der Einsprachigkeit. Der sozilinguistische Kommunikationsgemeinschaftstyp der Russlanddeutschen waren mononationale deutsche Siedlungen (Sprachinseln) mit einer vorherrschenden dialektalen Variante des Deutschen als Verkehrsvarietät. Für die deutschen Sprachinseln Russlands kamen drei Varietäten in Frage: 1. Der örtliche Dialekt, das heißt die dialektale Varietät des Deutschen, die im entsprechenden Ort als Verkehrsvarietät vorwiegend benutzt wurde.

2. die deutsche „Literatursprache“, eine standartnahe russlanddeutsche Variante des Hochdeutschen. Sie wurde in der Schule angelernt und war die offizielle Sprache der Kirche, der Schule und der Presse.

3. Die kontaktierende Umgebungssprache – das Russische, das Ukrainische, das Georgische u. a. In den örtlichen Dialekten waren fast alle dialektalen Typen aus Deutschland vertreten.

Entsprechend der Auswanderungszeit und den Auswanderungsregio-

nen haben sich in Russland allmählich Sprachlandschaften konstituiert, die vorwiegend als hochdeutsche, mitteldeutsche oder niederdeutsche charakterisiert wurden. Es ist jedoch im Einzelnen schwer zu beurteilen, wie die dialektgeographische Verteilung genau war; eine historische dialektgeographische Karte der gesamten deutschen Siedlungen in Russland existiert nicht. Einige russlanddeutsche Dialekte haben bis heute viele primäre Merkmale bewahrt und weisen keinerlei Mischungsanzeichen auf.

Eine weitere Varietät im Registerspektrum in deutschen Sprachinseln Russlands während der stabilen Phase war die deutsche „Literatursprache“, die nationale Variante der hochdeutschen Standartsprache in Russland. Die deutsche Standartsprache war von Anfang an in konfessionellen Schulen Unterrichtssprache, nach der Revolution 1917 wurde sie zur Amts- und Verwaltungssprache.

Das Russische als die dritte Varietät spielte zunächst eine geringe Rolle im Varietätenspektrum. Nach der Revolution gewinnt das Russische allmählich die führende Rolle als Sprache der „interkulturellen“ Kommunikation und entwickelt sich von einer Kontaktsprache (Nachbarsprache) zu einer „Überdachungssprache“…

Der Dialekt, das wichtigste Kommunikationsmittel in den deutschen Orten, wurde im Familienkontext erworben und erfüllte die Rolle der Mutter- und Erstsprache.

In den frühen 20er Jahren wurden sich um einen verbesserten Hochdeutschunterricht bemüht und es hat dazu geführt, dass die Hochdeutschkompetenz der russlanddeutschen Dialektsprecher deutlich stieg. Die Folgen der Erhöhung der Hochdeutsch-Kompetenz und der Verbesserung des Hochdeutschunterrichts wirken sich auch noch in der Gegenwart aus. Über eine – wenn auch minimale – Hochdeutsch-Kompetenz verfügen nämlich nur diejenigen Russlanddeutschen der älteren Generation, denen in der Vorkriegszeit (bis 1938, in der Wolgarepublik bis 1941) muttersprachlicher Deutschunterricht erteilt wurde.

Trotz der Erweiterung der Russischstunden im Jahre 1938 war die Russisch-Kompetenz der russlanddeutschen Bevölkerung sehr mangelhaft.

Bei der Charakterisierung des Sprachgebrauchs in der Vergangenheit muss betont werden, dass die deutsche Sprachgemeinschaft insgesamt nicht bilingual war, sondern durchgehend einsprachig; alle Domänen waren durch die herrschende dialektale Verkehrsvarietät belegt, Schule und Kirche nicht ausgenommen. Die im Umgang verwendete Bildungssprache Hochdeutsch war stark dialektal gefärbt. Dies berichten Zeugen, die den Sprachgebrauch der Russlanddeutschen in der Vorkriegszeit erlebt haben.

Noch in den 30er Jahren spielt nicht die Bildung eine entscheidende Rolle für den Gebrauch des Hochdeutschen, ja nicht einmal für ein Bemühen darum. Die stabile Sprachverwendungspraxis der deutsch-dialektalen Verkehrsvarietät ließ wenig Platz für Innovationen im alltäglichen Sprachgebrauch.

Die Phase 2 Mit dem Anfang des 2. Weltkrieges beginnt die zweite Phase in der Sprachentwicklung der Russlanddeutschen. Die Phase der Instabilität und Diskontinuität, die auch in der Gegenwart noch andauert.

Diese Phase war charakterisiert durch mehrfache Verwerfungen der russlanddeutschen Minderheiten und Verschiebungen von ganzen deutschsprachigen Regionen in andere Teile des Landes oder auch ins Ausland. Die Russlanddeutschen wurden familienweise in einzelnen, oft weit voneinander entfernten Orten, vorzugsweise entlang der „Transsibirischen Magistrale“, in anderssprachige Umgebungen angesiedelt. Dadurch entstanden neue abrupte Sprachkontakte zum Russischen, Kasachischen, Kirgisischen und anderen Sprachen. Die alten Dialektkontakte zwischen Sprechern des Deutschen waren aus Entfernungsgründen nicht mehr möglich.

Aus der Perspektive der Sprachentwicklung bedeutete der Zwangscharakter der Umsiedlung, dass die deutsch-russischen Sprachkontakte in der neuen Gegend in einer nicht gerade ‚sprachfreundlichen‘

Atmosphäre begannen und dass das Deutsche allseitig angeprangert wurde – mit allen daraus für den Spracherhalt und Sprachverlust folgenden Konsequenzen.

Bei der Beurteilung der Folgen des Zweiten Weltkrieges für die Sprachentwicklung darf auch das Phänomen der sogenannten ‚Arbeitsarmee‘ nicht ohne Berücksichtigung bleiben.

Schon einige Monate nach der Umsiedlung in den Osten wurden alle erwachsenen Russlanddeutschen erneut in Bewegung versetzt, diesmal in Richtung Norden… In diesen Arbeitslagern für Russlanddeutsche war die gesamte deutsche Dialektlandschaft vertreten. Dadurch kamen verschiedene Dialektkontakte zustande, die für die Vorkriegszeit nicht typisch waren. Auch das wirkte sich insgesamt destabilisierend aus, obwohl die Folgen dieser Dialektkontakte erst später zum Tragen kamen.

Nach dem Tod Stalins verbesserte sich die Situation der Deutschen in Russland, aber die alten Sprachinselstrukturen konnten nicht mehr hergestellt werden. Im Rahmen der neuen Siedlungsgebiete im Osten des Landes konnten die Russlanddeutschen jedoch ihren Wohnsitz selbst bestimmen. Das bedeutete den Beginn eines neuen sprachlichen Konsolidierungsprozesses: In den Regionen West- und Ostsibiriens, in den mittelasiatischen Republiken und zum Teil auch in der Ural-Region begann eine intensive, diesmal vergleichsweise freiwillige Migration der Russlanddeutschen zu den neuen Wohnorten. Es bildete sich infolge dieser Migrationen im Laufe von ungefähr zwei bis drei Jahrzenten nach Kriegsende mehrere Sprachinseln und Sprachinselchen, die den Erhalt der deutschen Sprache zumindest in geringem Umfang auch heute noch gewährleisten. Als Stützpunkte der deutschen Sprache und als zentrale Ausstrahlungsgebiete der Ballungszentren dienten dabei die am Anfang des 20. Jh. gegründeten deutschen ‚Tochterkolonien‘ im Südural, Westund Südsibirien (Omsk, Altai) und in Mittelasien (Kasachstan, Kirgisistan).

Der größte Teil der deutschen Bevölkerung lebte jedoch in der Nachkriegszeit außerhalb dieser Sprachinseln in unstabilen sprachlichen Verhältnissen, was zum allmählichen

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Abbau der Deutschkenntnisse und zum Verlust des Deutschen geführt hat.

Zu der Sprachsituation der Russlanddeutschen in Deutschland: … der deutsche (russlanddeutsche) Dialekt als Kommunikationsmittel ist nicht vollständig durch das Russische verdrängt worden. Gravierende Veränderungen sind jedoch im Sprachgebrauch außerhalb der Familie beobachtet worden. Da Russisch in Deutschland nicht mehr die offizielle Landessprache ist, verliert sie ihre dominante Bedeutung. Verbunden ist dies mit dem Phänomen der Sprachverdrängung und der Domäneneinengung.

Es hat sich gezeigt, dass Russlanddeutsche mehr oder weniger bewusst das Ziel verfolgen, sich von der Umgebung nicht zu unterscheiden bzw. die Unterschiede nach Möglichkeit zu verringern und sich der neuen Gesellschaft sozial und sprachlich anpassen. Man kann davon ausgehen, dass dieses Verhalten eine dauerhafte Sprachgebrauchsmaxime der Russlanddeutschen in allen öffentlich-formellen und auch informellen oder teilweise formellen Outgroup-Situationen ist. In der informellen Ingroup-Kommunikation, in der kein Anpassungsdruck besteht, bewahren die Russlanddeutsch-Sprecher größtenteils ihre authentischen Sprach- und Kommunikationsregeln.

Der allgemeine Anpassungsdruck wirkt sich hier in Form von bestimmten „Abwehrreaktionen“ aus, wodurch Nischen entstehen, in denen keine Anpassung stattfindet. Im Einzelnen stellt sich die Anpassung bzw.

Nicht-Anpassung freilich etwas differenzierter (24).

ZWEI MUTTERSPRACHEN Gedicht von Nelly Wacker Als seltenen Reichtum hat das Leben zwei Muttersprachen mir gegeben: Bei Mutter ich die eine fand, die andere spricht mein Vaterland.

Ich trank der beiden Sprachen Ton in meiner frühsten Kindheit schon wie Muttermilch, um dann zu bauen aus ihren Klängen das Vertrauen zum Leben. Meiner Mutter Liebe ist in dem Klange mir geblieben…

Und beider Wort, vom Lied umschlungen, ist oft mir tief ins Herz gedrungen...

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Wie hat der Märchen Poesie und trauter Verse Melodie mich oftmals himmelhoch geschwungen!

Durch dunkle Jahre lang und bang behütete ich ihren Klang...

Sie waren beide immer wieder für mich Begleiter, Freund, Behüter...

1.4. Kirche, Religion und Religiosität von Russlanddeutschen Religion hat die russlanddeutsche Identität und Kultur in Geschichte und Gegenwart entscheidend geprägt. Die Kirche (bis ihre Schließung Anfangs 1930er Jahren) als Insitution hat die deutsche Identität geprägt, gestaltet und beeinflusst.

Die konfessionellen Traditionen und soziokulturelle Prägungen, sowie der Integrationsverlauf der Russlanddeutschen unterscheiden sich erheblich von weiteren Aussiedlern, Deutschen aus dem Baltikum, Polen oder Rumänien. Über den Alltag und die Religion der Deutschen in der Sowjetunion war lange Zeit in Deutschland nur wenig bekannt. Der sowjetischen Propaganda zufolge lebten sie als „Sowjetdeutsche“ gleichberechtigt neben anderen Nationalitäten der UdSSR, als Atheisten wie alle anderen Sowjetbürger. Die Situation der Russlanddeutschen kann daher als Tabu-Thema des Kalten Krieges bezeichnet werden. Es ist höchste Zeit auch darüber ausführliche Informationen darzubieten.

Im 18. Jahrhundert gab es ev.-lutherische Gemeinden in St.-Petersburg, Jekaterinburg (1720), Barnaul (1745), Tobol’sk (1718), Irkutsk (1720), Smolenks (1740), Kazan‘ (1767), Orenburg (1767), Omsk (1792), Mogilev (1775) und anderen Städten.

Nach dem Manifest von Kaiserin Katharina II. hatten die Ausländer die Glaubensfreiheit bekommen.

Sie durften ihre Kirchen bauen und mit ihren Kirchdiener ausstatten.

Am 28. Dezember 1832 mit dem Dekret von Kaiser Nikolaus I. über die Gründung der Ev. – Lutherischen Kirche in Russland wurde eine Generalsynode mit dem Oberkirchenrat in St. Petersburg und eine zweite Generalsynode in Moskau gegründet.

1905 waren im Konsistorium St.-Petersburg 117 Kirchspiele mit 145 Kirchen, von denen 107 aus Stein gebaut waren. 56 Kirchen waren in der Stadt und 89 auf dem Land. Hier waren 641.000 Lutheraner, von denen 390.000 Deutsche waren. Im Konsistorium Moskau gab es 77 Kirchspiele mit 142 Kirchen, von denen 37 in der Stadt und 105 auf dem Land gebaut wurden. Die Gesamtzahl der Lutheraner hier war 459.000, von denen 411.000 Deutsche waren. 1917 hatte die Ev.-luth. Kirche im Russischen Reich 1.828 Kirchengebäuden und Bethäuser mit ca. 1 Mio. Seelen.

Nach dem Konkordat vom 3. Juli 1848 wurde das katholische Bistum in Cherson (Tiraspol) gegründet, das neben den früheren, wie Wilna, Samogitien, Minsk, Luck und Kamenez, existierte. In der Liste des Bistums fanden 52 Pfarreien mit ebenso vielen Pfarrkirchen und 40 Filialen mit Kirchen oder Oratorien namentliche Aufnahme. Das Bistum war die erste Institution mit katholisch-deutschem Charakter in Russland. Nach 1877 wurde der Bischofssitz nach Saratow verlegt. 1902 gab es 87 Pfarrkirchen, 34 Filialkirchen und wenige Kapellen in Russland. 131 Priester betreuten 297.662 „Seelen“.

1910 gab es insgesamt 60 Mennoniten-Gemeinden und 40 Mennoniten -Brüdergemeinden in Russland, in denen mindestens ein Bethaus pro Gemeinde aufgebaut wurde.

1914 waren 1,7 Millionen Deutsche im Russischen Reich, von denen waren:

Viktor Hurr, „Kirche, Abschied“

1,1 Mio. Lutheraner (mit Reformierten), oder 65 % von allen Russlanddeutschen, 400.000 Katholiken oder 24 % von allen Russlanddeutschen, 120.000 Mennoniten, die 7 % der Russlanddeutschen und 30.000 Baptisten (meistens Mennoniten) (1,8%).

Die Dörfer und Schulen waren in den Kolonien wie an der Wolga so auch im Schwarzmeergebiet nach Konfessionen getrennt.

Im 19. Jh. unterstützten die Russische und die Evangelische Bibelgesellschaft seit 1812 und 1831 ein bibelorientiertes und kirchenunabhängiges Christentum in den Kolonien. Chiliasmus und Millenarismus sowie Einflüsse des süddeutschen Separatismus waren in den Kolonien verbreitet und enthielten ebenfalls antikirchliche Tendenzen. Die kulturelle Prägung der Deutschen im Zarenreich bis zum Ende des 19. Jh. war regional, sozioökonomisch, bildungsmäßig und vor allem hinsichtlich ihrer Kirchlichkeit und Frömmigkeitspraxis sehr heterogen. Kennzeichnend ist vor allem ein Stadt-Land-Gegensatz zwischen den eher kulturprotestantisch geprägten städtischen Gemeinden und den erweckt-pietistischen Kolonien mit ihrem starken (teils antikirchlichen, teils separatistischen) Laienelement.

Die Verfolgung der Geistlichen, die Zerstörung der Kirchen und Bethäuser und das Verbot der Religionsausübung (Höhepunkt 1928-1934) beendeten das organisierte kirchliche Leben. Die Deportationen beendeten auch die konfessionelle Geschlossenheit der Kolonistendörfer. Die Sowjetisierung erzwang eine beschleunigte sprachliche und kulturelle Assimilation. Die Deutschen in Russland der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts waren Teil des „Konglomerats von sozialen Strukturen, das die Bezeichnung Sowjetgesellschaft“

trug. Trotz ihrer Verstreuung über die Sowjetunion, trotz der vielfältigen beruflichen und privaten Kontakte mit anderen ethnischen Gruppen haben sie das Gefühl der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit bewahrt. Diese kollektive kulturelle Identität darf nicht mit einer nationalen Identität gleichgesetzt werden. Vielmehr basierte sie auf dem Wissen um die kulturelle Bedeutung der Deutschen für die historische Entwicklung Russlands einerseits, der Erfahrung unverschuldeter Entrechtung durch Zwangskollektivierung und „Entkulakisierung“ und des 2. Weltkrieges als „traumatisches Kernerlebnis“ andererseits, sowie ferner dem Bezug auf ein fernes, unbekanntes Deutschland als „Fluchtpunkt des Selbstverständnisses“ und der Zugehörigkeit zu nicht-orthodoxen Konfessionen. Das Bewusstsein, deutsch zu sein, war mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zum evangelischlutherischen, katholischen oder mennonitischen Glauben verbunden.

Frömmigkeit war in der Sowjetunion über Jahrzehnte eine heimliche, unterdrückte und unsichtbare Religion.

Glaube wurde als innerer Halt erlebt, konnte aber meist nur im familiären Kreis gelebt werden. Erst allmählich und auf der Grundlage brüdergemeinschaftlicher Traditionen konnte sich der Protestantismus in der Sowjetunion neu konstituieren. Hierbei zeigte sich ein Traditionsabbruch: Während die ältere Generation ein brüdergemeinschaftliches Luthertum mit einer konstitutiven Ablehnung der Amtskirche (wieder)konstituierte, in dem vielerorts die Frauen dominierten, suchten die Jüngeren eher areligiöse oder neoprotestantische Ausdrucksformen (25).

weiblichen Geschlechts. Diese Ordnung wurde nie durchbrochen. Die Ehepaare kamen meist auch getrennt in die Kirche und wenn schon gemeinsam, dann ging die Frau einige Schritte hinter dem Mann her (26).

1.5. Deutsche Schulen Die ersten deutschen Schulen wurden Ende 17. – Anfang 18. Jahrhunderts in Moskau errichtet – es waren zwei lutherische, eine reformierte und eine katholische Schulen. Die deutsche Schule in St.-Petersburg – Petrischule genannt – wurde 1709 gegründet. Die Schüler kamen aus allen Ständen und Nationalitäten, obwohl der Unterricht in allen Fächer Deutsch war.

Das erste russische Gymnasium wurde von Johann Ernst Glück 1704 gegründet. Er kam aus Sachsen, hatte sein Studium in Deutschland absolviert. Er hatte einen regen Briefwechsel mit August Hermann Francke aus Halle, bei wem er fünf Professoren für das neue Gymna-

Aus Erinnerungen [1920] von einem Kirchenbesuch im Wolgadorf Grimm:

Die Petri - Schule / Петришуле (Architekt Hoffmann) war die erste Schule Sankt Petersburgs. Sie wurde bei der lutherischen Gemeinde der heiligen Apostel Peter und Paul im Jahr 1709 auf Initiative von Peter I. gegründet. Im Jahr 1912 hatte die Petri-Schule etwa 1600 Schüler, davon etwa 25% Russen. Als weiterführende Schule funktioniert sie bis heute.

„Die Kirche war voll, selbst auf der Treppe, die zum Chor hinaufführte, saßen die Kirchenbesucher. Unten saßen die Männer, links die Weibsleut rechts vom Altar aus, und oben auf dem Chor links die männlichen Ledigen und rechts die Ledigen

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sium bestellte. Es kamen drei: P. D. Bretschneider, M. Ruttich, und I.-C. Bittner. Nach Glücks Tod wurde das erste Gymnasium geschlossen. Das zweite Gymnasium wurde von der Akademie der Wissenschaften 1726 in Petersburg vom Akademiemitglied Gottlieb Siegfried Bayr (1694-1738) gegründet, wo nur die ersten 30 Jahre auf Deutsch unterrichtet wurde.

Deutsche Gelehrte gründeten in Russland im 18. Jh. die ersten Kadettenschulen, Gartenschulen, Medizinschulen, die Artillerieschule, Mathematik- und Navigationsschule.

und die Lebensmittellieferung an die Schulmeister selbst festlegen. Die Lehrer sollten in den Schulgebäuden freie Wohnung und Heizung und ein Gartengrundstück von vier bis zwei Desjatinen erhalten. Assistierten sie den Geistlichen, durften sie bestimmte Gebühren für Taufen, Begräbnisse und Trauungen erheben. Die Gemeinden ließen sich häufig dazu verleiten, den Bewerber einzustellen, der das geringste Gehalt forderte, dabei war es nicht immer der klügste und nicht der beste Lehrer.

Das Schulwesen auf dem Land konnte völlig als eine Funktion und eine Tätigkeit im Rahmen der Kirche erscheinen. Es war gerade eine Eigenart der deutschen Kolonien bzw. der evangelischen und katholischen Gemeinden, dass die Unterweisung der Jugend zu den Pflichten der Geistlichen gehörte. Der Lehrer wurde von der Gemeinde gewählt und in sein Amt eingesetzt.

Alle Kolonien besaßen Schulen, die in der Regel die elementaren Bedürfnisse abdeckten. Die Aufsicht über die lutherischen und katholischen Kolonistenschulen wurde 1819 den Geistlichen übertragen. Das Dekret vom 28. September 1822 des Geistlichen Synode führte die Schulpflicht ein. Vom 7. bis zum 14. Lebensjahr, bis zur Konfirmation, waren die Kinder in der Schule. Das Schuljahr dauerte 6 Monate von Anfang Oktober bis Ende März. Es wurden Religion, Deutsch und Arithmetik gelehrt.

Das lutherische Kirchengesetz von 1832 erklärte den Religionsunterricht zum Hauptzweck des Schulbesuchs.

1890 gingen katholische Kinder ein bis zwei Jahre weniger zur Schule als protestantische, nämlich die Jungen sechs und die Mädchen fünf Jahre lang. In den Chortizcaer Kolonien mussten Jungen acht, Mädchen sechs Jahre die Schule besuchen.

Während die Lehrer in den protestantischen Gemeinden eine gesellschaftliche Rolle spielten, hatte es in katholischen Gemeinden Spannungen zwischen Lehrern und Bauern gegeben.

Das Innenministerium schrieb den Kolonien vor, wie viel Gehalt sie den Pastoren bezahlen mussten, doch durften die Gemeinden das Gehalt

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In Saratow wurde 1786 die Kirchenschule zu St. Marienkirche gegründet. Anfangs des 20. Jahrhundert waren hier drei deutsche Schulen: zwei Primarschulen und eine Zentralschule mit über 1.000 Schüler. Im 18.-19. Jh. wurden deutsche Schulen in den Städten Barnaul, Jekaterinburg, Kiev, Odessa, Taganrog, Tomsk, Charkow u. a. gegründet.

In den deutschen Kolonien an der Wolga waren bis 1771 12 Schulen gegründet. 1838 waren in allen mennonitischen Dörfern im Schwarzmeergebiet Schulen eingerichtet, die über 3.000 Schüler besuchten. 1820 wurde die erste Zentralschule in Orlov (Taurien) gegründet. 1833 wurde in Katharinenstadt (Saratov) eine weitere Zentralschule eröffnet, 1834 in Grimm (Wolga), 1835 in Halbstadt (Taurien), 1842 in Chortiza (Jekaterinoslav), 1844 in Sarata (Bessarabien) und 1846 in Prischib (Taurien).

1907 gab es eine Kommerzschule in Halbstadt (Taurien) und 1914 eine Landwirtschaftsschule in Eugenfeld (Taurien). 1881 gab es insgesamt 535 deutsche Schulen und 13 deutsche Zentralschulen in Russland.

1911 waren es 152.398 Schüler in den deutschen Schulen, von denen 86 % die Schulen auf dem Land besuchten und 14 % in den Städten (27).

Durch die Reformen von Alexander II. wurde für die weitere Verbreitung und Unterrichtsverbesserung in den deutschen Schulen gesorgt, aber auch die russische Sprache als Fach langsam eingeführt.

Nach dem Erlass vom 23. Januar 1918 über die Trennung von Kirche und Staat und der Schule von der Kirche, wurden die Schulen von der Kirche getrennt. In den 1920er Jahren wurde vom Bildungsministerium der UdSSR in allen, auch in deutschen Schulen, die atheistische Erziehung vorgeschrieben. Bis 1938 gab es noch die deutschen Schulen, danach wurden sie in russische und ukrainische verwandelt. Deutsch als Muttersprache wurde erst ab 1958 in der RSFSR, und in anderen Republiken der SU erst ab 1960, erlaubt.

Insgesamt führten diese Einschränkungen seitens der Sowjetregierung und durch die Deportation zu einem großen Verlust nicht nur von Kenntnissen der deutschen Sprache, sondern auch am Bildungsniveau der Deutschen überhaupt.

1.6. Presse Zur Erhaltung und Stärkung der Identität der Deutschen trug in hohem Maße die von ihnen gegründete und geleitete Presse bei. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Deutschen ein umfassendes Netz im Russischen Reich gebildet, das die Versorgung mit deutschsprachiger Literatur und deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften sicherstellte. Es gab 113 Zeitungen und Zeitschriften, die regelmäßig erschienen.

Es gab sechs große deutsche Verlage, die den Büchermarkt in ganz Russland versorgten: A. F. Marx, G. D. Hoppe, K. D. Ricker, V. E. Henkel, O. O. Herbeck und die Gesellschaft „Herold“. Sie veröffentlichten auch Bücher russischer Schriftsteller. Außerdem gab es viele kleinere, regionale Verlage und Druckereien, die von Russlanddeutschen betrieben wurden. Zahlreiche deutsche Buchläden sorgten für den Vertrieb, nicht

nur in den Großstädten, sondern auch auf dem Land (28).

Die deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften wurden mit dem Beginn des I. Weltkrieges alle geschlossen. Während der turbulenten Zeit des Umbruchs: 1917-1920 erschienen unter den provisorischen Regierungen sechs deutschsprachige Medien. Noch in den Jahren der neuen ökonomischen Politik wurden drei nichtkommunistische Zeitschriften herausgegeben. In denselben Jahren hat die Sowjetregierung 24 Zeitungen von kommunistischen Kriegsgefangenen und 9 regionale Zeitungen von den kommunistischen regionalen Sektionen erlaubt herauszugeben. In den 1920er Jahren wurden 24 probolschewistische deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben, davon nur 11 in der ASSR der Wolgadeutschen. Wenn 1933 eine Höchstzahl von 33 deutschsprachigen Zeitschriften und 28 Zeitungen erreicht wurde, sind 1936-1939 die meisten davon geschlossen worden. 1941 wurden dann mit der Auflösung der Wolgarepublik alle deutschsprachigen Zeitungen aufgelöst.

Die Hauptthemen, die in der deutschsprachigen Presse der Sowjetunion seit den ausgehenden zwanziger Jahren behandelt wurden, wandelten sich im Zuge der jeweiligen Veränderungen der Parteilinie.

Erst nach der Aufhebung der Sonderkommandantur wurde 1957 die erste regionale Zeitung „Arbeit“ herausgegeben. Von 1958 erschien dann regelmäßig die zentrale, vom Verlag „Prawda“ herausgegebene Zeitung „Neues Leben“. Ab 1. Januar 1966 erschien in Zelinograd, Kasachstan die Zeitung „Freundschaft“. Bis Ende der 1980er Jahren wurden drei Zei-

tungen und von 1981 bis 1990 wurde die literarische Zeitschrift „Heimatliche Weiten“ herausgegeben.

Trotz ihrer ins Auge springenden ideologischen und politischen Schranken besitzen die deutschsprachigen Presseorgane nicht nur einen linguistischen Wert; als einzige relativ repräsentative Einrichtungen einer politisch nicht vertretenen nationalen Minderheit leisten sie im engen Rahmen des Möglichen die wichtigen Aufgaben einer Verteidigung der nationalen Rechte der Deutschen auf lokaler Ebene und gegen ungesetzliche Übergriffe der örtlichen Behörden, gegen die Benachteiligung deutscher Kinder in den Schulen und einer Bewahrung der deutschen Sprache einschließlich ihrer kulturellen und sozialen Werte.

Die deutschsprachigen Medien wurden so, in engen Grenzen, zu einem Schutzwall gegen die drohende Assimilation (29).

1.7. Dorfgemeinschaft Eine Dorfgemeinschaft zeichnet sich aus durch soziale Beziehungen (Nachbarschaftsbeziehungen, soziale Kontrolle), feste Strukturen und Normen (Sitten, Brauchtum, Feste, Vereinswesen) bis hin zur ländlichen Architektur, Bekleidung, Nahrung usw. Sie waren auch territorial miteinander gebunden. Die Dorfgemeinschaft bei den Russlanddeutschen zeichnete sich durch ihre eigenartige deutsche Mundart aus, die sich im Laufe der Zeit aus mehreren von Deutschland mitgebrachten Dialekten etablierte. Die Struktur des Dorfes formierte sich auf der Basis des rechtlichen Status der Deutschen in Russland.

Kaiserliche Erlasse, die später zusammengefasst und unter der Bezeichnung „Verwaltung und Gesetze der Kolonien ausländischer Ansiedler im Russischen Reich“ (das Kolonistengesetz) in die Gesetzsammlung Russlands aufgenommen wurden, sicherten den Siedlern weitgehende Rechte zu. Außer im Gesetz über die Ansiedlungsbestimmungen waren in einem Rahmengesetz vom 19. März 1764 die Richtlinien für den Begriff Kolonist und die Landordnung festgelegt, die nach Ort und Zeit der Ansiedlung abgeändert und den jeweiligen Verhältnissen angepasst wurden. Danach bildeten die Kolonisten in Russland einen besonderen Stand, den Kolonistenstand.

Die den Kolonisten durch das Gesetz zugestandenen Standesrechte waren bedeutend; sie besaßen Glaubensfreiheit, hatten das Recht, eigene Kirchen und Schulen zu bauen und die Geistlichen und Lehrer zu berufen und anzustellen. Im ganzen Russischen Reich wurde ihnen das Bürgerrecht zuerkannt. Sie waren berechtigt, von Privatpersonen Ländereien käuflich als Eigentum zu erwerben, sowie Handel und Gewerbe zu treiben (30). Das Kolonistengesetz, das den Ansiedlern eine Reihe von Vergünstigungen und Sonderrechten gewährte, setzte sich im Wesentlichen aus folgenden Punkten zusammen: 1. Verwaltung der Kolonien 2. Standesrechte der Kolonien 3.Bürgerliche Rechte 4. Pflichten und Steuerlasten 5. Wirtschaft und bürgerliche Einrichtungen 6. Kirchliche und bürgerliche Verwaltung 7.Strafrecht 8.Gerichtsbarkeit. (31) Die Dorfgemeinschaften der Kolonisten bildeten sich ausgehend von ihrem rechtlichen Status – dem Kolonistengesetz, das sich regional und konfessionell anpasste. Das allgemeine war, dass jede Dorfgemeinschaft sich von einer Zahl deutschen Kolonisten in einem bestimmten Ort bildete. Jedes Dorf/Kolonie bekam sein Areal von Land und wurde als Siedlung angelegt, wo gemeinsame Einrichtungen vorhanden waren: eine Kirche, eine Schule, ein Amtsgebäude, ein Friedhof, Straßen, Brücken etc. – wenn nicht alle aufgeführten komplett in allen Dörfern vorhanden

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waren, aber in einigen schon. Im Übrigen unterscheiden sich die Dorfgemeinschaften: die Wolgakolonien von den Schwarzmeerdeutschen u. a.

Geprägt waren die deutschen Dörfer durch die Selbstverwaltung. Die Kolonisten führten in ihren Dörfern in Russland (1764-1771) die Selbstverwaltung. Die Gemeinden wählten den Dorfschulzen, einen Beisitzer und den Dorfschreiber; außerdem die „Zehntmänner“ (desjatzkije – auf 10 Wirtschaften wurde ein Zehntmann gewählt). Der Dorfschulze und Beisitzer besaßen keine große Machtbefugnisse, weil der „sel’skij schod“ (die Gemeindeversammlung) alle wichtigen Fragen durch Stimmenmehrheit entschied. Der Dorfschulze musste sich diesen Entscheidungen fügen.

Die Zehntmänner verrichteten Hilfspolizeidienste. In Aktion brauchten sie so gut wie gar nicht treten, weil in den deutschen Dörfern äußerst selten strafbare Delikte vorkamen. Nur wenn es galt, fremde Diebe (meistens Pferdediebe) zu ermitteln und festzunehmen, wurden sie als Hilfspolizisten eingesetzt.

An der Wolga war der Prozess des Übergangs zur Dorfgemeindeordnung schon in den achtziger Jahren des 18. Jh. eingesetzt worden und fand im zweiten Jahrzehnt des 19.

Jh. seinen Abschluss. 1816 wurde sie juristisch festgelegt. Die Einführung des ‚Mir-System‘, der Dorfgemeindeordnung, war aus Gründen der Besteuerung der Wolgadeutschen so wie in den russischen Dorfgemeinden durch Umverteilung des Landes zu organisieren. In einem Zeitraum von zumeist sechs bis zehn Jahren wurden innerhalb der Dorfgemeinde die Landanteile zwischen den Familien ausgetauscht. Jede männliche „Seele“ erhielt periodisch einen Anteil von gutem, mittlerem und schlechtem Land. Dadurch wurde die Neigung zur Bildung großer Familien befördert. Die Zahl der Kinder wuchs, und das Land wurde knapp.

Durch das System der Umverteilungsgemeinde blieb allerdings die extensive Form der Bodennutzung aufrechterhalten. Es war ein durch und durch konservatives System der Bodennutzung. Aber das Leben an der Wolga stand indes keineswegs still.Wie eh und je lebte man so ziemlich unter sich. Selbst dort, wo inmitten der deutschen Dörfer manchmal russische Bauern ihre Siedlungen

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hatten, oder – was auch schon vorkam – deutsche, russische und ukrainische Bauern in einem Dorf wohnten, unterhielt jeder mit dem anderen so wenig Verkehr wie möglich. (32) Mit dem Erlass vom 4. Juni 1871 von Alexander II. wurde der Kolonistenstatus aufgehoben, die deutschen Kolonisten wurden jetzt als Siedler-

ministerium endgültig unterstellt. Anstatt Privilegien gab es jetzt Verfolgung wegen Wohlstand, Religiosität und Widerstand dem sozialistischen System. Im Dorf dominierte die Gleichstellung in Armut. Die Wohlhabende wurden als ‚Kulaken‘ teilweise aus dem Dorf zwangsmäßig entfernt und teilweise aus ihren Häusern verjagt. Alles Christliche in den Sitten

Die Familie Würz ist eine typisch Deutsche Familie in Russland

Eigentümer benannt. Danach gab es die Privilegien und die Selbstverwaltung nicht mehr. Die Deutschen würden rechtlich mit anderen Bürgern des Russischen Reiches ausgeglichen. (33). Durch dieses Gesetz verloren die Kolonisten ihren Status und als „Siedler-Eigentümer“ kamen sie unter Zuständigkeit der Gouvernements- und Kreisämter und der örtlichen Behörden für Bauernangelegenheiten. 1874 verloren die Kolonisten mit dem Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht das letzte der bei der Ansiedlung gewährten Privilegien, die Freiheit vom Kriegsdienst (34).

Trotzdem hatten auch nach 1874 die Dorfgemeinschaften einen großen Einfluss auf das Leben der deutschen ländlichen Bevölkerung in Russland. Viele Traditionen, Bräuche und Sitten, blieben in den Dörfern lebendig bis die sowjetische Macht kam. Danach verwandelte sich das Leben in den Gemeinden nach dem sowjetischen Gesetz drastisch. Das kirchliche Leben fiel aus, die Schulen werden von der Gemeinde und Kirche getrennt und dem Bildungs-

und Bräuchen wurde bekämpft und in atheistisches verwandelt: die Gemeinschaftshäuser (öfters waren es die ehemaligen Kirchengebäude) wurden Klubs. Die Jugend musizierte dort und lernte tanzen und singen im sowjetischen Sinne. Eine kulturelle Wandlung trat in der Dorfgemeinschaft ein. Sie wurde von „sozialen“ Schichten befreit, wurde durch arme Verähltnisse gekennzeichnet und stellte die fast ungerträgliche ideologische Unterdrückung fest.

Die Dorfgemeinschaften im europäischen Teil der Sowjetunion wurden in den Jahren 1941-1943 durch die Deportationen der Deutschen nach Osten des Landes aufgelöst. Östlich des Landes: Südural, Kasachstan, Sibirien, da wo die deutschen Dörfer geblieben waren, trat in immer größerem Masse der sowjetische sozialistische Assimilationsprozess ein, obwohl er nicht so drastisch verlief, wie in den Dorfgemeinschaften die durch die Deportation ganz ausgelöscht wurden.

1.8. Familie Als die Deutschen nach Russland zogen, brachten sie die Familientradition ihres Vaterlandes mit. Sie war durch die christliche Überlieferung bestimmt. Da heißt es, dass Mann und Frau sich lieben sollen, aber der Mann ist des Weibes Haupt. Die Kinder sollen den Eltern gehorsam sein und die Väter sollen ihre Kinder nicht zum Zorn reizen. Die Ehe schließlich ist nach christlicher Überlieferung als Grundlage der Familie unzertrennlich. Nach diesen Regeln hat man sich in der neuen Wahlheimat gehalten. Ehescheidungen kamen fast nicht vor. Die Kinder wurden gemeinsam erzogen, wenn auch dabei die Mutter oder die Großmutter die Hauptlast trugen. Die Kinder nahmen in der Regel den Glauben der Väter an. Gewisse Vorrechte hatte der Mann. Es war aber in der Regel so, dass einer Entscheidung, z. B. über die Wahl des Wohnortes eine gemeinsame Unterredung der Eheleute vorausging. Ja auch die Großeltern, manchmal auch die nähere Verwandtschaft, wurde um Rat gefragt. Und nicht selten war ihr Rat maßgebend.

Die Ehen wurden rechtlich durch die Trauung in der Kirche geschlossen.

Wilde Ehen gab es kaum. Die Kinder wurden getauft und im Glauben der Väter, hauptsächlich durch kirchliche Einrichtungen, unterrichtet. Gemischte Ehen zwischen verschiedenen Konfessionen und Nationen gab es selten. Man hielt sich in Glaubensfragen an die jeweilige Tradition der Väter. Die Kinder sahen in den Eltern ein Vorbild und richteten sich danach. Das Band zwischen den Eltern und Kindern, die in der Regel sehr zahlreich waren, war eng geknüpft.

Jugendkriminalität gab es nicht.

Man sah in der Familie eine Einrichtung Gottes und hielt sich daran. In schwierigen Fällen wurde der Pastor um Rat gefragt. Seine Autorität war recht groß.

Bei den Russlanddeutschen Familien gehörten außer Vater, Mutter und Kinder in vielen Fällen auch die Großeltern zur Familie. Besonders in bäuerlichen Kreisen der Russlanddeutschen waren die Großeltern sehr geachtet, so besonders die Großmütter, die die Kinder beaufsichtigten und ihnen die Sitten und den Glauben des Herkunftslandes weiterga-

ben. In diesen Familien waren der Mann und die Frau durch vielfältige Arbeit auf Feld, Haus und Hof an der Aufsicht der Kinder gehindert (35).

In der Sowjetzeit veränderten sich in vielen Ansichten die Familienverhältnisse. Die Ehe wurde nur durch Standesamt rechtlich anerkannt.

Durch viele Repressalien sind mehrere Familien ohne Vater, seltener auch ohne Mutter geblieben. Durch mehrere Deportationen wurden die Deutschen Familien von Ort zu Ort geschickt, wo sie immer neu Anfangen und in Armut und Leid um ihre Existenz kämpfen mussten. Die meisten Familien kamen im II. Weltkrieg auseinander. In diesen Zeiten

und ihren Enkelkindern das Beten beibrachten. Die Eltern in den katholischen Familien lebten ihren Kindern den Glauben vor, vor allem die Mutter war gleichzeitig Lehrerin und Priesterin für ihre Familie. Durch die gottesfürchtige Atmosphäre und Erziehung konnten sie in ihren Kindern trotz aller Hindernisse einen fruchtbaren Boden für den Glauben an Gott schaffen. Die Kinder bekamen ein Bild von der Familiengeschichte, z. B. wenn sie stundenlang dem täglichen Abendgespräch des Vaters oder Onkels über die „guten alten Zeiten“ zuhörten.

Bis zur Ausreise nach Deutschland, war die Familie noch die einzige standhafte Burg der deutschen Mundart, Tradition und Gemeinschaft.

2. Alltagskultur in den Regionen: Einige Beispiele

war der Zusammenhalt der restlichen Verwandten sehr hoch tradiert.

Als die deutschen Kirchen (ab 1934), Schulen (ab 1938) und Dorfgemeinschaften (1941) von der Sowjetregierung abgeschafft wurden, kam nur noch die Familie in Frage, die imstande war, die Traditionen, Sprache und Glauben der nächsten Generation weiterzugeben. Wenn es in einer Familie aus welchem Grund auch immer, die Weitergabe nicht gelang, war die nächste Generation von Deutschen der Assimilation ausgesetzt.

Die Russlanddeutschen Familien hielten im Untergrund unter dem militanten Atheismus der Sowjets an ihrem Glauben fest und gaben ihn an ihre Kinder weiter. Angesichts der atheistischen Ideologie in der Sowjetzeit verringerten sich die katholischen, lutherischen und freikirchlichen Gemeinden überall im Lande erheblich. Und dennoch: in den nachfolgenden Jahrzehnten lebte die katholische und kulturelle Tradition jahrzehntelang – ohne Priester und Kirchen – im Verborgenen weiter, vor allem als ethnisch-religiöse Tradition, aufrechterhalten in den Familien, meist von älteren Frauen (Großmüttern), die zu Hause beteten

Der Begriff Alltagskultur nach Ina-Maria Greverus hat einen sehr breites Spektrum von „Gütern“ in sich: Haus und Siedlung, Geräte, Volkskunst, Sprache, Erzählung, Lied, Musik, Tanz, Brauch, Verhaltenskomplex wie Lebensunterhalt, Haushalten, Erziehung der Heranwachsenden, Freizeitgestaltung, Teilnahme am religiösen Leben und Teilnahme an Gemeindeaktivitäten (36).

All das hat im Leben der Russlanddeutschen einen deutlichen Schnitt in der Zeit vor 1917 und danach. Unten bringen wir einige Bruchstücke des Alltagslebens in den deutschen Muttersiedlungen, von Reisenden und Lebenserinnerungen aus verschiedenen Zeiten erhalten.

Haus in Novo-Saratowka

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2.1. Über die Wolgadeutsche Kolonien Von Peter Pallas im Jahre 1776: „Diese Kolonien sind fast aus allen Gegenden Deutschlands versammelt und von verschiedener, auch zum Teil vermischter Religion. Sie haben einen lutherischen Prediger, welcher bei der evangelischen Kirche in Priwalnaja wohnt und zwei katholische Geistliche in Krasnopolje und Kasizkaja. Die Wohnhäuser sind in allen Kolonien von Holz und Mehrteils nach einem neuen Plan zwei Wohnungen unter einem Dach, gebaut worden. Daraus entstehen zuweilen nachteilige Nachbarschaften und weil die Gehöfte zwischen denen Gebäuden ununterbrochen fortgehen und der Zwischenraum derselben nicht groß ist, so ist auch bei Feuersbrünsten die Gefahr groß, welches jedoch verhindert werden sollte. Ein jeder Kolonist hat eine gute Wohnstube, ein Vorhaus und eine Feuerstelle oder Küche, zuweilen auch noch ein Kämmerchen außer der Stube.

Alle diese Kolonien sind in Religion vermischt, und haben Einwohner aus allen Gegenden von Deutschland, auch einige holländische und französische Familien. Sie haben zusammen nur einen evangelischen und einen katholischen Prediger, und sind der Lage und Nahrung nach etwas besser, als die obenerwähnten unteren Kolonien. Überhaupt müssen alle Kolonisten an der linken Seite der Wolga auf Viehzucht und Tabakbau am meisten rechnen. Denn im Ackerbau werden die meisten Dorfschaften, durch die hartnäckige Dürre des Sommers, welche von der Anziehung der bergigen Gegend über der Wolga ganz unzertrennlich ist, wohl immer zurück gesetzt werden und den Vorrat der guten Jahre am allerklügsten auf die schlechten Jahre sparen. Die Einwohner der Kolonie Namens Splawnucha… sind, so wie die meisten reformierten Kolonien, größtenteils gute Ackersleute, aus dem Ysenburgischen, der Pfalz und anderen Gegenden des deutschen Reiches. Sie haben fast seit Anlegung der Kolonie sich selbst mit Getreide versorgt, ja schon genug zum Verkauf gehabt und sich allerlei Bequemlichkeiten, auch gut gebaute Kornhäuser geschafft“ (37).

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Ida Bender: „In den deutschen Dörfern derWolgaregion gab es vor 1917 kein elektrisches Licht, kein Radio.

Die Kirche war Hüterin der Kultur, der Sitten und Bräuche, der deutschen Muttersprache. Und die Schulen, meist nur 4-Klassen-Schulen, nur in größeren Siedlungen gab es 7 Klassen oder 10 Klassen in einzelnen Siedlungen. Begabte Naturtalente gab es in jedem Volk, auch in den deutschen Wolgadörfern.“ Jakob Dietz: «И действительно, немецкий колонист Поволжья не являет собою тип германской нации, потомков древних тевтонов. Это новый народ, даже новая раса, создавшаяся в особых жизненных условиях. Слово «немец», коим до сих пор еще называют колонистов, есть форма, лишенная всякого содержания. При этом слове следует представлять западноевропейского немцагерманца: колонист не немец в этом смысле, однако и не русский. Колонисты – это новая, самобытная, самодовлеющая нация, ничем абсолютно не похожая на немца-германца. Если колониста-немца отправить в Германию, то, как показал опыт, он окажется в чужой, непонятной ему среде, он будет за границей, а не в «фатерлянде» и рано или поздно вернется на свою Волгу.

(38).

2.2. Deutsche im Gouvernement St. Petersburg Erich Koch 1935: „Die Tram-Bahn bringt mich an den Rand der Stadt Leningrad, und bald stehe ich an der breiten Newa, um mich von dem kleinen Fährboot nach der deutschen Kolonie Neu-Saratowka übersetzen zu lassen. Es ist die größte und die älteste Kolonie Nordrusslands. Längst der Newa zieht sich eine lange beidseitig mit Birken bepflanzte Straße hin, die fast nur auf einer Seite – der der Newa entfernter liegenden – besiedelt ist. Die Häuser sind durchweg aus Holz gebaut. Man kann verschiedene Bauarten genau unterscheiden.

Da ist ein zweistöckiges Blockhaus mit so genanntem Mesonin, einem Aufbau im ersten Stock, weiter eine ‚Datsche’, ein Landhaus, das die Kolonisten an Sommerfrischler aus der Stadt vermietet, und schließlich ein

ganz kleines einstöckiges Haus, das aus der Nachkriegszeit stammt und schon sehr an die russische ‚Isba’ erinnert. Vor den Holzhäusern befinden sich Ziergarten, die leider teilweise in recht schlechtem Zustand sind.

Längs der Ziergärten läuft der Graben, überbrückt mit einem Brettersteg. Ehemals war dieser Brettersteg in gutem Zustand, und es gebührt der Kolonistenfamilie Wallisser den Ruhm, mit der Anlage des Bretterstegs begonnen zu haben, wie ich auch aus den vergilbten Blättern der interessanten Hauschronik entnehmen konnte. Diese Einrichtung hat dann Schule gemacht und ist in den meisten Kolonien verbreitet. In der Mutterkolonie Neu-Saratowka steht das älteste deutsche Bauernhaus der nordrussischen Kolonien. Es ist ein großes Zweifamilienhaus, das aus der Zeit Katharinas II. stammt. Heute hat dieses alte Bühlersche Haus Radio. Den Haupterwerbzweig bildet der Anbau von Kartoffeln. Ist ein schlechtes Kartoffeljahr, so müssen die Familien Not leiden. Überhaupt dreht sich bei ihnen alles um die Kartoffeln, was Neu-Saratowka den Namen „Kartoffelburg“ eingebracht hat.

Hafer und Gerste baut man nur zum eigenen Gebrauche an.“ (39).

2.3. Im Gouvernement Jekaterinoslaw, Mennoniten Daniel Schlatter, 1830: Die Mennoniten sind eine Religionsgemeinschaft, die im 16. Jahrhundert in Holland und Norddeutschland entstand. Im 18.

Jahrhundert reisten Mennoniten von Westpreußen nach Südrussland. Es waren Bauern und Handwerker. Die Ärmeren reisten mit dem Schiff, die Vermögenderen packten ihre Habe auf eigene Wagen. Der Generalgouverneur Neurusslands, Grigorij Potjemkin, überließ den Mennoniten Land am Ufer des Flusses Dnjepr.

Die ersten 228 Familien ließen sich dort 1789 nieder. Diese Ansiedlung mit insgesamt 18 Dörfern wurde Chortiza genannt. Die zweite Ansiedlung am linken Ufer des Flusses Molotschnaja mit 56 Dörfern wurde 1804-1830 angelegt. Sie lag 100 km weiter südlich.

Jedes Dorf enthält nur zwischen 20 und 30 Wirte oder Häuser. Die Wohnungen und Ställe der Mennoniten sind im Ganzen schöner und besser, als die der übrigen Kolonisten. Die

Lebensart dieser Leute ist noch sehr einfach. Einiger Luxus wird mit so genannten Spazierwagen getrieben.

In den Häusern findet man selten Tischtücher, Gläser, Messer und Gabeln, Teller, Betten für Gäste, selten ein besonderes Gastzimmer. Viele, auch wohlhabende Wirte tragen nicht einmal ein Nasentuch. Die fast einzigen Getränke sind Milch und Wasser. Bier wird noch wenig gebraut.

Wein aus der Krim oder vom Don ist teuer und wird mehr von den meist ärmeren Kolonisten am rechten Ufer der Molotschnaja getrunken, so wie auch Branntwein. Der Mennonit ist sparsamer und hat seine eigenen Gewohnheiten. So begnügen sich viele, statt der teuren Kaffeebohnen, mit geröstetem Weizen. Sie kommen aus Preußen. Die Sprache ist das Niederdeutsche mit Holländisch vermischt, weil sie auch aus Holland abzustammen scheinen und noch vor nicht langer Zeit in Preußen in holländischer Sprache unter ihnen gepredigt worden ist. Die Schnitte der Haare und die Kleidung sind teilweise mit Knöpfen, die anderen mit Hafte. Überhaupt genommen findet man beim Mennoniten Einfachheit, Gastfreiheit, ehrbaren äußeren Wandel, Fleiß und Arbeitsamkeit, aber auch viel Eigensinn, Selbstgenügsamkeit, Unbelehrbarkeit, Unduldsamkeit, Verschlossenheit, Abneigung gegen Neuerung, und Unwissenheit.

Die Mennonitengemeinde hat vier selbst gewählte Älteste, nach Art der Bischöfe der Brüdergemeinde, und viele Lehrer, welche in fünf Bethäusern Vorträge halten. Sie können sich zum studieren oder memorieren keine Zeit nehmen, da sie, wie der Laie, ihr Feld bauen und die Wirtschaft führen müssen. Diese Prediger sind alle unstudiert und unbesoldet und essen ihr eigenes Brot. Die Versammlungshäuser sind einfach. Der Gesang ist über alle Maassen grell und laut aus der Kehle gepresst. Für Arme, Witwen und Waisen wird gesorgt. Kein Mennonit darf betteln gehen. Brandschaden wird durch Beiträge aller Glieder der Gemeinde in Verhältnis des Vermögens gedeckt (40).

2.4. Die Deutschen rund um Odessa und Cherson.

Anton Bosch, Josef Lingor, 1990: Die Anlage der Kolonistendörfer war in den einzelnen Gebieten verschieden und richtete sich nach dem Gelände und dem vorhandenen Baumaterial.

Im Gebiet Odessa beherrschte das Straßendorf die Landschaft. Die weißen Häuser lagen schnurrgrade ausgerichtet zu beiden Seiten einer sehr

breiten Straße. Die Zierbäume, meistens Akazien, auf beiden Straßenseiten grenzten die Gehwege von den Straßen ab. Die Häuser zeigten mit dem vorderen Giebel zur Straße hin.

Das Wohnhaus, die Stallung und die Scheunen waren im Kutschurganer Gebiet oft in einer Reihe unter einem Dach gebaut, so dass der gesamte Baukomplex eine beträchtliche Länge erreichte. Die meist einstöckigen Häuser waren aus Lehm oder Muschelstein erbaut, mit einem Kalksandgemisch verputzt und weiß getüncht. Alljährlich, in der Regel zu Pfingsten, wurde das ganze Bauernhaus frisch angekalkt. Somit boten

die deutschen Kolonien mitten in einer fremden Umgebung immer einen freundlichen und gepflegten Anblick.

Das Wohnhaus war etwas breiter im Bau als die Wirtschaftsgebäude. Der Fußboden im Wohnzimmer wurde wöchentlich mit einer lehmigen Masse beschmiert und mit Sand bestreut.

Der sauber gekehrte Bauernhof wurde den Mauern entlang ebenfalls mit diesem gelben, mit feinen Muscheln durchsetzten Sand bestreut. Sämtliche Häuser in den Kutschurganer deutschen Dörfern hatten den gleichen Grundriss und die gleiche Inneneinteilung. Beim Eingang in das Haus trat man auf einen Flur, genannt Vorderküche, von hier aus gelangte man erst in die Winterküche.

Zu beiden Seiten des Flurs waren die Wohnzimmer angelegt, und zwar in der vorderen zu Straße zugekehrten Seite befand sich die Vorderstube und in der Hinterkammer zum Hof befanden sich die Kinderstube und das Kinderschlafzimmer.

Die Innenwände der Wohnungen waren schön geweißt. Die Bauernhöfe waren alle gleichmäßig groß angelegt: 30-40 Meter in der Breite und 80-100 Meter in der Länge. Der Innenhof bestand aus zwei Teilen- der Vorderhof mit den Wohngebäuden, Sommerküche und Blumengärtchen und dem Hinterhof mit den Stallungen – getrennt für Pferde, Kühe, Schweine, Schafe u. a. Der Hühnerstall war meistens extra auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes aufgebaut, danach folgten der Dreschplatz, der große Heu- und Strohhaufen sowie der Misthaufen. Im Sommer spielte sich das Leben in der Sommerküche ab. Hier wurde gekocht, gegessen und Käse hergestellt. Das gute weiße Bauernbrot buk man hier im Steinofen, der mit Stroh, Schilf oder Rebholz geheizt wurde, nach alt überlieferten Rezepten.

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Zierbäume, wie Akazien und Maulbeerbäume, standen nicht nur entlang der Mauern und Gehsteige, sondern auch in den Innenhöfen und dienten als Schattenspender während der Sommerhitze. Dicht an den Mauern und dem Wohnhaus, stand ein fein gezimmertes Holzbänkchen (Holzbänkl). Hier saßen die Bauern abends nach der verrichteten schweren Tagesarbeit oder an Sonn- und Feiertagen und tauschten Informationen aus („machten Maistub“). Im Keller, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes befand, bewahrte man Kartoffeln auf, lagerte Wein und eingelegte Gurken und Tomaten und in den Sommermonaten Wassermelonen (41).

2.5. Deutsche in Bessarabien Georg Bodamer, 1990: Teplitz war ein Dorf im Kreis Akkermann, gegründet 1817. Die Teplitzer waren die ersten Schwaben, die 1817 direkt aus Württemberg gekommen sind.

Chiliasten, 14 Familien vom Kreis Calw waren dabei und sind unter dem Reiseziel Teplitz versammelt.

Es waren zunächst 98 Familien mit 487 Seelen, die sich in der Steppe eingruben. Jede Familie erhielt 100 Silberrubel als Starthilfe von der Russischen Regierung. Dennoch war der Anfang schwer. Als aber die Nomadensteppe kultiviert war, entstand allmählich neben der Landwirtschaft eine beachtliche Pferdezucht.

Milchwirtschaft wurde betrieben, der Obst- und Weinbau brachte sichere Einkünfte.

Nach vielen Rückschlägen säumten aber schließlich stattliche Bauernhöfe die mit Akazien geschmückten Straßen. Dem Schulwesen galt große Aufmerksamkeit, dem Religionsunterricht nicht weniger, wie überhaupt das pietistisch geprägte kirchliche Leben als verpflichtendes Erbe der Väter treu bis in die letzten Tage bewahrt wurde. Es gab eine Kirchenbibliothek, man las den „Schwäbischen Merkur“ neben den in Russland in deutscher Sprache erscheinenden Blättern. Der Bildungsverein besaß eine Bücherei, veranstaltete Theaterund Vortragsabende und war Mittelpunkt des geistigen Lebens (42).

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2.6. Die Molotschnaer Kolonisten, Prischib Die Kolonie Prischib am Ufer des Molotschnaja Flusses hatte der Siedlung den gleichen Namen gegeben.

Felicitas Schidtgall, 1957: Die Kolonie Prischib, welches nach dem Stand von 1914 1.173 Einwohner zählte, befand sich die Zentralverwaltung – Gebietsamt – mit dem Wolostgericht. Es hatte eine Volks-, Mädchen- und Taubenstummschule. Bereits 1873 wurde eine Zentralschule mit Lehrerseminar erbaut.

In einem großen Staatsgebäude war die Buchhandlung mit Druckerei „Gottlieb Schaad“ untergebracht.

Von weit her kamen Kranke in die Praxis der Ärzte Dr. Kludt und Dr. Oberländer. Ferner hatte Prischib eine Apotheke, ein Postamt, eine große Dampf- und Ölmühle, zwei Ziegeleien, eine Zementfabrik, eine Holzhandlung, Gerberei, Eisenfabrik, eine Holzhandlung, Federwagenerzeugung, Bierbrauereien, ein großes Geschäfts- und Kaufhaus, Bäckereien, Metzgereien, Gaststätten usw.

bigen zum Gottesdienst. In tiefer Frömmigkeit folgten sie der Predigt des Pastors. Unmittelbar an die Kirche schloss sich, durch eine Mauer getrennt, der Friedhof an. Schöne Denkmäler aus weißem und schwarzem Marmor glänzten in der hellen Sonne. In den vorderen Reihen befanden sich die Familiengräber von Meiers, Priebs, Dinkels, Glöcklers u. a. Schlichte Kreuze warfen ihre Schatten über einfache Grabhügel, auf welchen blaue und weiße Schwertlilien, Iris und Veilchen wuchsen. Wilde Rosen rankten an Eisengittern. Die Wege waren mit Sand bestreut (43).

2.7. Die Deutschen auf der Krim

Es mangelte an nichts. Die Gemeinde, die stets neues Land dazukaufte, besaß 1914 3.122 Desjatinen Land, und hatte bis dahin 41 deutsche Tochterkolonien gegründet.

Das Leben in Prischib war vor dem I. Weltkrieg sorglos und schön. Davon zeugen die großen schmucken Ziegelhäuser, angelegte Bürgersteige mit schattenspendenden Akazienbäumen und die reichen Feldfluren.

Daniel Schlatter, 1830: Auf der Halbinsel, am Fuße des taurischen Gebirges, befinden sich die deutschen Kolonien Neusatz, Zürichthal, Heilbronn, Rosenthal, Friedensthal, Kronthal, Sudak, nebst einigen wenigen Häusern auf dem Delizerberg und in Oethus. Sie stehen… unter dem ekaterinowschen Kontor. Der Inspektor, nebst einem Sekretär, wohnt in Neusatz. Letzterer Ort und Zürichthal haben evangelische Prediger, welch auch die andern Dörfer und die in den Städten befindlichen Konfessionsverwandten bedienen.

Rosenthal hat einen katholischen Geistlichen. Man findet Kirchen- und Schulhäuser. Die Kolonien stehen gut, haben sehr fruchtbaren Boden, doch weniger große Stücke Land als die Kolonisten auf der Steppe.

Als weithin sichtbarer Wahrzeichen von Prischib erhob sich auf einer Anhöhe unsere evangelische Kirche.

Dem Prischiber Kirchspiel gehörten 10 Dörfer an. Wenn am Sonntag die Kirchenglocken läuteten, kamen von fern und nah, mit Wagen und zu Fuß die festlich gekleideten Gläu-

Sie betreiben den Ackerbau und die Viehzucht sehr stark, dann Gartenbau, Obst und Bienenzucht, und auch Weinbau. Weizen, Butter, Käse, Gartengewächse können sie in den benachbarten Städten gut absetzen. Die meisten dieser Kolonien, besonders Zürichthal und Neusatz,

sind sehr angenehm gelegen. Die Bewohner von Zürichthal sind meistenteils aus dem Kanton Zürich in der Schweiz. Der tatarische Name des Dorfes ist Djelau. Die Krimschen Kolonisten sind mit den Tataren in gutem Vernehmen und beständiger Verbindung, weswegen auch die meisten von jenen gut tatarisch sprechen… Der krimsche Tatar… hilft den Deutschen beim Bau der Häuser, bei der Ernte usw. (44).

Paul Strack, 1918: „So rollte unser Bataillon als zweite Staffel der Küste zu und hatte an einem Sonntagmorgen den üblichen langen Aufenthalt auf einer kleinen Station. Wir dösten, wie das gute Recht des Soldaten ist, wenn er gerade keinen Dienst hat, in den schönen Aprilmorgen hinein, als plötzlich aus der kleinen Kirche inmitten einer Gruppe von Gehöften, unter denen uns eine stattliche Mühe auffiel, ernst und feierlich die Klänge unseres Chorals „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’“ an unser Ohr schlugen. Dann hörten wir die uns wohl bekannten Melodien unserer Liturgie, die Glocke läutete und aus der Kirche kamen Männer und Frauen, wie sie auch in einem deutschen Dorf zur Kirche gehen. Nur selten erinnerte eine Pelzmütze aus schwarzem Lammfell oder bei den Frauen ein um den Kopf geschlungenes buntes Tuch an die russische Umwelt. Bald wussten wir, dass wir in der ersten deutschen Kolonie waren und es dauerte auch nicht lange, so saßen wir in der guten Stube des Müllers.

Sie können sich unser Gefühl nicht vorstellen, als wir mitten im weiten Russland, so fern der deutschen Heimat, in ein echt deutsches Heim traten. Es fehlte aber auch nichts, der segnende Christus, ein Lutherbild, eine Reihe Bibelsprüche in Silberdruck auf schwarzem Karton, genau wie vor einem Menschenalter bei uns. Aber auch ein gut besetztes Bücherbrett mit Bibel, Gesangund Erbauungsbüchern und einigen deutschen Klassikern bildete den Schmuck der Wand.

Bald wurde uns eine Tasse echten Bohnenkaffees- im Jahre 1918 ein lange entbehrter Genuss- gereicht und der Müller, Schatz mit Namen, dessen Vorfahren aus dem Elsass zugewandert waren, erzählte uns sehr lebhaft von den Leiden und Bedrängungen der letzten Wochen,

wie die Bolschewisten ihm u. a. den ganzen Speicher ausgeplündert hatten; aber, sagte er zu seiner Frau: „Mutter, für unsere deutschen Brüder haben wir sicher doch noch einen Schinken im Rauch.“ (45).

2.8. Deutsches Leben in Transkaukasien

Freiherr August von Haxthausen, 1856: „Die deutschen Kolonisten in der transkaukasischen Provinz bestehen sämtlich aus Schwaben, größtenteils Württembergern, die um das Jahr 1818 auswanderten, weil sie sich im Vaterlande in ihren religiösen Anschauungen und Rechten tief versetzt glaubten.

Auch hier im russischen Transkaukasien hatten sie mit vielen Drangsalen zu kämpfen, Krankheiten, Viehsterben, schlechten Ernten, eine Folge der Unkenntnis hiesiger Landesverhältnisse, und dergleichen mehr, setzten sie vielfach in ihrem Wohlstande zurück, aber jetzt haben sie Alles überwunden. Viele Kolonien sind reich, die meisten wenigstens blühend geworden.

Es versteht sich von selbst, dass das russische Gouvernement sich nicht im Mindesten in ihre religiösen Verhältnisse einmischt. Die Kolonien stehen im Allgemeinen unter der Leitung des protestantischen Konsistoriums, niemand stört sie in ihrem Willen und ihren Gebräuchen; sie haben ihr altes liebes Gesangbuch behalten, sie wählen sich ihre Prediger selbst, nachdem sie sie zuvor einer strenger Prüfung über Grad, Maß und Inhalt ihrer religiösen Anschauungen unterwarfen. …

„Die deutsche Kolonie bei Tiflis ist sehr blühend, sie ist für die europäisch lebende Bevölkerung von Tiflis, das russische Militär und die russischen Beamten wichtig, fast unentbehrlich. Die ganze Gartenkultur ist in ihren Händen, sie ziehen und liefern alle Gemüse, das meiste Obst, sowie fast alles Geflügel. Die Grusier

sind träg und nicht im Mindesten industriös. Sie lieben z. B. die Kartoffeln, sie kaufen, betteln und stehlen sie bei den Kolonisten; aber es fällt ihnen bis jetzt nicht ein, sie selbst zu bauen und zu ziehen.“ (46) Oswald Zienau aus Deutschland war 1918-1920 in Helenendorf (Transkaukasus) zu Gast: Eines Abends habe ihn Dr. Hurr mit einer Trompete unter dem Arm zu einer Musikprobe eingeladen, dem der Gast aus Neugierde und Höflichkeit spontan zustimmte. Voller Erwartung betrat Zienau das Volkshaus und wurde dort auf erfreulichste überrascht.

“Die Klänge Wagnerischer Musik, die ich von weitem hörte, verrieten, dass tüchtige Musiker dort wirkten. Beim Eintritt in den Saal bleib ich wie verzaubert stehen. Der Dirigent war ja der bekannte Musikpädagoge Alois Melichar, der gottbegnadete Wiener Musiker, den es aus dem Treiben der Weltstadt Berlin in den fernen Kaukasus gezogen hatte. Und nun das Orchester! Im ersten Geiger erkannte ich den Küfer der Konkordia, der mir neulich die Weinproben reichte. Der Sohn des Weinbauern, bei dem ich zur Ernte gewesen war, spielte Cello. Ein Weinkutscher der Konkordia strich die Bassgeige, einer der Lehrer schlug die Pauke, das Horn blies der Schuhmacher, und neben ihm stand

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der Geschäftsleiter der Konkordia mit der Oboe. An keinem Berliner Konzert mit den ausgewählten Musikern habe ich je solche Freude gehabt wie an dieser Probe, in der sich ausnahmslos alle Kreise der Helenendorfer Bevölkerung zusammenfanden…“ Wilhelm Reitenbach: „Die meisten Bewohner hatten ein Klavier im Haus – oft war es ein „Zimmermann“-Instrument aus Deutschland. In fast jedem Haus beherrschte jemand ein Musikinstrument, alle kannten die deutschen Volkslieder und sangen aktiv im Verein mit. Von den Dirigenten des Helenendorfer Streichorchesters mit etwa 100 Mitgliedern hat dieser Cousin vom Jahrgang 1925 noch den Lehrer Widerspan in Erinnerung behalten. Jedes Jahr wurden in allen Kolonien einige Theaterstücke aufgeführt, mit einem Wort, die Dorfbewohner waren sehr intelligent“ (47).

Dr. Rolf Biedlingmaier, 2003: Unser Haus wurde von meinem Urgroßvater Ferdinand Biedlingmaier (18341918) zwischen 1860 und 1870 [in Katharinenfeld, heute Bolnisi) gebaut. Es war ein typisches Winzerhaus, das sein ältester Sohn Gottlob (1860-1900) mit Familie übernahm und in dem bis 1941 seine Söhne Ernst und Gottlob II., die beide vier Söhne hatten, samt ihren Familien wohnten. Das Haus hat drei Keller: einen Gewölbeweinkeller, einen Keller für Lebensmittel und Gemüse und im Hof einen Gewölbeeiskeller, in dem im Winter Eis (aus Schnee hergestellt) für den Sommer gelagert wurde. Auf zwei Stockwerke verteilt, gab es zwölf separate Zimmer, eine große gemeinsame Terrasse zur Hofseite im Obergeschoss und einen 22 Meter langen Durchgangsbalkon zur Straße (48).

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2.9. Deutsche Siedlungen rund um die Stadt Mariupol

tes Hilfe ohne Unterstützung zu helfen gewusst.

Aus den Gemeindeberichten von 1848: „Die Kolonie Rosenberg wurde 1823 gegründet. Mit der Anlegung von dauerhaften Wohnhäusern wurde erst 1824 begonnen. Die Kolonie liegt auf flacher Steppe. Die Steppe besteht aus schwarzer Erde, die bei günstiger Witterung ziemlich fruchtbar ist. Niederungen, Steinbrüche und Naturwaldungen sind nicht vorhanden.

Nur einiges Vieh ist vor Hunger umgekommen. Seither ist die Kolonie, da kein Unglück dieselbe betroffen hat, aufgeblüht und befindet sich in gutem Wohlstand. Im Jahr 1842 legten die Kolonisten neben dem Dorf eine Waldplantage von 13 Hektar an, welche mit Wald- und Maulbeerbäumen nach und nach bepflanzt wird.“ In Eichwald, dem Mittelpunkt der katholischen Dörfer im Planer Siedlungsgebiet, entstand die erste Pfarrei dieses Siedlungsgebiet.

Den Namen Rosenberg wählten die Ansiedler deshalb, weil in ihrem Vaterland in der Gegend, wo sie gewohnt hatten, ein Dorf diesen Namen führte.

In dieser Kolonie haben sich 26 aus dem Marienburgischen und Elbingschen Kreisen, Westpreußens stammende Familien als Landwirte niedergelassen.

An Unterstützung zur Ansiedlung und Einrichtung haben die Ansiedler von der hohen Krone 300-400 Rubel blanko auf die Familie erhalten, welches sie nach 7 zinsfreien Jahren in 16 Jahren abzuzahlen hatten. Aus Deutschland hat die Mehrzahl außer dem zur Reise notwendigen Wagen und 1-2 Pferden kein bares Vermögen mitgebracht.

In den Jahren 1823-25 haben die Heuschrecken auf den Feldern viel Schaden angerichtet, und es ist mühsam und betrübt hergegangen, denn in diesen 3 Jahren haben die Landwirte nicht einmal hinlänglich Weizen für Brot geerntet. Im Jahr 1833 ist durch gänzliches Misswuchs nichts geerntet worden, so dass Menschen und Vieh beinah Hunger leiden mussten. Und da die Kolonie von der Viehseuche verschont geblieben ist, so haben sich die Ansiedler mit Got-

Schon 1848 gehörten zur Pfarrei 7 Kolonien, sowie die Katholiken der umliegenden Russen- und Griechendörfer. Das erste Bethaus wurde im Mariupoler Kreis 1860 in Mariupol selbst gebaut.

Die Kolonie Göttland (Katholisch) wurde 1823 gegründet. 1875 hatte die Pfarrei Göttland eine Pfarrkirche mit dem Turm aus Backstein auf eigene Kosten erbaut. Zur Ausschmückung der Kirche bestellte das Pfarramt 1901 bei der Kunstanstalt Stuflesser eine Mutter-Gottes-Statue, halbreich vergoldet und einen Corpus Christi (49).

2.10. Die regionalen Besonderheiten in Wolhynien Michail Kostjuk, 2004: Die Kolonistengruppen schoben sich in nicht erschlossene Gebiete, wo sich je-

der die Parzelle bebaute. So sah die Siedlung etwas fleckig aus, da jeder für sich baute. Der Hof stand inmitten der Felder. Zwischen den Feldern gab es Abgrenzungen. Die Kolonien verbanden 6 bis 8 Meter breite Feldwege. Die Anzahl der Höfe pro Kolonie war verschieden: von 15 bis 130 Höfen. Grundsätzlich bestanden die Kolonien als monoethnische Anlagen. Den Hof mit seinen Parzellen umgaben Felder, Gärten, Hofgebäu-

teil von ihnen lebte vorher in Polen, was sich auf ihr Bewusstsein und Gesellschaft auswirkte. Zu grundlegenden Veränderungen führte das aber nicht. Gewöhnlich siedelten sie im ländlichen Raum und stützten sich auf die mitgebrachte Religion, Mentalität, Brauchtum, tradiertes Familien- und Eheleben. Lange Zeit blieben sie unter sich ohne Kontakt zu den Ukrainern und der lokalen Verwaltung.

fer jeglichen Bodenrechts bezeichnet. Insgesamt wurden vor 1914 bei 2.800 solche Dörfer angelegt. Die Auswahl des Ortes war vom freien Land abhängig das man kaufen oder pachten konnte. Erste Tochtersiedlungen wurden in der Umgebung von der Muttersiedlung gegründet. Als das Land ab der Reformzeit 1861 in Russland immer teurer wurde, verlegten sich die Deutsche Dörfer nach Osten, nach Ural, nach Kasachstan und Mittelasien, sowie nach Sibirien.

2.11.1. Im Donezbecken

de; dem Wohngebäude gegenüber stand der Speicher; zwischen Haus und Speicher der Viehstall, der oft durch einen Verbindungskorridor eine Einheit bildete. Gegenüber dem Viehstall lagen Schuppen und Keller, im Süden gewöhnlich der Garten mit allerlei Blumen. Um das Gehöft lief der Zaun. Bei der Anlage des Hauses und der Wirtschaftsgebäude folgten die Deutschen Hufeisenbauformen.

Sie verband Wohn- und Wirtschaftsbereich.

Die Wolhyniendeutschen waren fast ausnahmslos evangelisch. Im Waldreichen Wolhynien baute man die Häuser ausschließlich aus Holz, auch den Zaun, soweit überhaupt einer da war.

Festtage und freie Tage dienten der Erholung. Besuche fanden auf Einladung oder zu besonderen Anlässen, wie Taufe, Geburt, Hochzeit, statt.

Für die Jugend gab es Tanz auf der Tenne, wo erste Liebesbande geknüpft werden konnten. Große Kolonien verfügten über Orchester, Chöre, die bei Festen und besonderen Anlässen auftraten (50).

2.11. In den Tochtersiedlungen Als Tochterkolonien werden ab 1848 von Altsiedlern neu angelegte Dör-

Das Dorf Bessabotowka wurde im Jahr 1888-89 von 22 Familien aus den Muttersiedlungen bei Odessa und Cherson gegründet. Das Land für das Dorf kauften die Siedler von einem russischen Gutsbesitzer Namens Proper. Das Dorf wurde nach einem einheitlichen Plan angelegt.

Dieser Plan, ein sogenannter Gemeindespruch, lag bei den Akten der Gemeindekanzlei. Er erzählt über folgende Bestimmungen: Die Dorfstraße, von der großen Dorfstraße im Osten ausgehend, sollte schnurrgerade nach Westen verlaufen. Sie war 30 m breit.

Jeder Hofplatz musste 45 m breit und 144 m lang sein.

Die Hofgebäude musste 12,6 m von der Straße weg gebaut sein und 1,8 m von der Mitte des Hofes zurück.

Diese Bestimmungen gewährleisteten ein schönes, einheitliches Bild des Dorfes. Jeder Hof war zur Straße hin durch einen Zaun abgegrenzt, gewöhnlich bestehend aus drei von Pfosten zu Pfosten horizontal untereinander hinlaufenden Bretterzeilen (51).

Das gesellschaftliche Leben der deutschen Kolonisten in Wolhynien gestaltete sich unter Einfluss eines ganzen Komplexes nationaler, historischer und religiöser Traditionen, ebenso wie unter sozialen und ökonomischen Bedingungen, in die sie im Emigrationsprozess gerieten.

Festzuhalten gilt, dass nur Mehrheit von ihnen direkt aus deutsch-ethnischen Gebieten stammte. Der Groß-

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2.11.2. Sibirische deutsche Dörfer Eine Ansiedlung von der Wolga nach Sibirien begann 1893. Bei der Ansiedlung gab es viele Schwierigkeiten. Baum für Baum musste gefällt werden. Nachts kamen öfters die Wölfe. Im Frühjahr 1894 kamen noch mehr Wolgadeutsche dazu.

Da begann die Arbeit. Zuerst wurde ein Brunnen gegraben. Nach Fertigstellung hat man den Brunnen verschlossen, und das Wasser musste gekauft werden. Nun ging das Bauen los. Tag für Tag und Jahr für Jahr. Es kamen immer mehr Wolgadeutsche.

So entstand die Kolonie Warenburg (Priwalnoje) südlich von Omsk. Es fehlte in den ersten Jahren die ärztliche Betreuung, daher war die Sterblichkeit besonders unter Kindern sehr groß. Die Dorf- und Hausformen waren wie im Schwarzmeergebiet – an geraden und breiten Straßen angelegt. Die Häuser wurden vorwiegend aus Lehm, seltener aus Holz und ganz selten wenn Gutshöfe, aus Steinen gebaut. Den Lehm mischte man mit Stroh, presste ihn in Holzform und trocknete ihn in der Sonne.

Solch ein Lehmziegel hatte oft eine Länge von 70 cm und Breite von 40 cm. In den ersten Jahren baute man auch die primitiven „Wiesenhütten“.

Man spannte 4-6 Pferde vor dem

Pflug und riss die bisher brachliegende Scholle um. Da der Boden mit tiefen Wurzeln durchsetzt war, zerbröckelte er nicht, sondern rollte in langen, festen Streifen vom Pflug ab.

Diese Streifen zerstach man dann in gleichlange Stücke und erhielt so die „Rasenziegel“, die man nur zu Wänden aufeinander zu legen brauchte. Solch ein Häuschen kostete gar nichts. Später musste es dann einem besseren Haus aus Lehmziegeln weichen. Die Türen waren immer der Südseite zugekehrt. Die Nordseite hatte überhaupt keine Fenster. Über die Gemeinde Hoffental in der

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Kulundasteppe folgender Bericht von Bischof Meyer, ca. 1910: „Das ganze Dorf besteht aus Lehmhütten mit flachen Dächern. Wohnhäuser, Stallungen und Wirtschaftsgebäude bilden jedes Mal ein Geviert. Der ganze Hof ist überdacht. Innerhalb dieses gedeckten Hofes befindet sich der Brunnen mit den Tränken, sonst wäre es nicht möglich, während der Schneestürme das Vieh zu versorgen; man könnte nicht einmal in die Ställe gelangen. Im Sommer wird das Dach in einigen Ställen geöffnet, um Licht und Luft hereinzulassen…“ (52).

2.11.3. Deutsche in Mittelasien und Kasachstan Anfang Juni 1880 brachen rund 400 Mennoniten auf: davon waren 68 Familien aus dem Trakt an der Wolga und 80 aus der Siedlung an dem Fluss Molotschnaja. Monatelang ging es auf Planwagen durch Steppen und Wüsten einen wahrlich beschwerlichen Weg. Im Januar 1881 erreichte der Wanderzug die Stadt Taschkent. Hier spalteten sich die Gruppe: die einen nahmen das Angebot an, sich im Tal südlich von Aulea-Ata (heute Dschambul) am Fuß des Alatau-Gebirges, zwischen diesem und der Alexanderkette un-

weit des Flusses Talas niederzulassen; die anderen gingen in Richtung Samarkand. So ließ sich der größere Teil 1882 in 4 Siedlungen (Köppental, Nikolaipol, Gnadental und Gnadenfeld) auf 95 Höfen mit 2.200 ha Land nieder. 1899 entstand das aus Mennoniten und Lutheranern bestehende Dorf Orlowskoje mit 49 Höfen und 1.401 ha Land. 1892 die Siedlung Konstantinowka bei Taschkent mit 123 Höfen und 5.353 ha. Land. Dieser Landbesitz erweiterte sich aber immer mehr, indem immer neues Land, das sie ankauften, unter den Pflug genommen wurde. Die Beob-

achtung des deutschen Botschaftsrates Dr. Asmis von 1923: Es tut so wohl, zu sehen, wie diese Deutschen noch gute deutsche Art pflegen, wie man mitten im Hof alle Sachen liegen und stehen lassen kann, ohne dass das Geringste wegkommt, wie fleißig die Leute von morgens bis in die dunkle Nacht hinein arbeiten, wie peinlich sauber die Höfe, Häuser und Wohnungen sind.“ (53).

3. Einige besondere Elemente der bildenden und darstellenden Künste bei den Deutschen in Russland Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Kulturleistungen sind alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, wie in der Technik oder der bildenden Kunst, aber auch geistige Gebilde wie Sprachen, Literatur, Moral, Religion, Recht, Wirtschaft und Wissenschaft.

In der sozialen Kultur unterscheidet man: ideelle und materielle Kultur.

Beide Aspekte zusammen beziehen Kultur auf den Lebensstil innerhalb einer Gesellschaft. Man kann kaum behaupten, dass die Russlanddeutsche ohne einen kompakten Lebensraum, immer umgeben von nichtdeutschen Nachbarn eine eigenartige Literatur, Musik oder Kunst entwickeln konnten. Man kann aber, meines Erachtens, nach den Werkeninhalt oder Menschen, die sie geschaffen haben, aufmerksam werden. Nach meinen Kriterien, wenn die Inhalte über die Geschichte oder Identität der Russlanddeutschen berichten und die Autoren Russlanddeutsche sind, so gehört diese Literatur, diese Malerei, Architektur und Musik zu einer Besonderheit.

Auch weil es, besonders in der Malerei, keineswegs ein russlanddeutscher Stil erarbeitet würde, so ist doch die russlanddeutsche Literatur bilinqual, die Musik hat ihre besondere Richtungen genommen bei den Deutschen in Russland. In der Architektur haben die Deutsche auf dem Land ein besonderen Einfluss auf die Nachbarvölker hinterlassen.

3.1. Literatur Die Literatur der Russlanddeutschen ist deshalb eigenartig weil sie sich als bilingual (zweisprachig: Deutsch-Russisch) oder sogar trialingual (Dreisprachig: Deutsch-Russisch-Mundart) auszeichnet. Einige Autoren, wie Dominik Hollmann, Viktor Klein, Viktor Heinz u. a. Autoren konnte in drei Sprachen schreiben. Die anderen haben ihre Werke in zwei Sprachen verfassen können und die dritten haben nur in einer Sprache ihre Werke geschrieben.

Nach dem Inhalt des Literaturwerkes erkennt man oft, das es ein russlanddeutscher Autor/in ist (54). „Wenn es irgend darum gehen soll, so etwas wie ein Identitätsbewusstsein bei den Russlanddeutschen wiederherzustellen oder überhaupt erst zu schaffen, eine Assimilation an Russland, Kasachstan oder die Bundesrepublik zu meiden und im Entdecken der eigenen Wurzeln einen positiven Wert zu zeigen, dann müssen die „kanonischen“ Texte der Russlanddeutschen in ungekürzter Form und für alle erreichbar sein. Sie halten Phasen der Geschichte fest, und sie schildern Lebensumstände in einer Sprache, die weitgehend verständlich ist, vielen vertraut und überdies schön“, so Frau EngelBraunschmidt. „Was Russlanddeutsche selbst nicht erzählen können… kann ihre Literatur vermitteln, vor allem aber bewahrt sie russlanddeutsches Leben, das nur durch den Wegzug der Deutschen aus Russland endgültig zu Ende geht. Als literarische Zeugnisse begegnen uns Gedichte, Erzählungen, Schwänke, Stücke für das Laientheater, einige wenige Dramen, Romane. Vom frühen Einwandererpoem Bernhards von Platen, in

Schriftsteller Jakob Gerner bei seiner Präsentation

dem die Verheißungen vom gelobtem Land im Reich Katharinas der Großen mit den Enttäuschungen in der Wirklichkeit kontrastiert werden, führt der Weg sehr schnell in das 20. Jahrhundert und über die Zwischen- und Nachkriegszeit zu ganz jungen Autoren, die bereits auf den westdeutschen Markt drängen. Da sich der Schwerpunkt der Produkti-

Schriftsteller Warkentin

Schriftsteller Nelli Kosko

Hugo Wormsbecher wirkt als Schriftsteller und Redakteur diverser Periodika. Er war Mitarbeiter der Zeitungen Freundschaft und Neues Leben. Von 1981 bis 1989 gab er den zweimal jährlich erscheinenden Literaturalmanach Heimatliche Weiten heraus. Weiterhin verfasste Wormsbecher einige Erzählungen.

on russlanddeutscher Literatur nach Deutschland verlagert hat, ist die jüngere, hier deutsch oder russisch schreibende Generation verhältnismäßig zahlreich geworden (55).

Schriftsteller Viktor Heinz

Schriftstellerin Gossen-Giesbrecht

Literaturkreis der Deutschen aus Russland

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„Genre der Russlanddeutschen Autoren sind Lieder, Idyllen, Botschaften, Elegien, Poemen, Fabeln, Balladen, Schwänke, Sprüche, Sonetten, Gebet, Psalmen, Fragmenten u. a.

Nur in der Zeit zwischen Mitte des 20. Jh. bis 2010 hat Dr. Seifert 406 russlanddeutschen Autoren erforscht. Nach Beobachtungen von Hugo Wormsbecher ist die russland-

Die russlanddeutsche Literatur ist nicht ohne Einfluss der sowjetischen Literatur geblieben, weil sie unter dem Diktat der sowjetischen Kultur sich befand, aber auch die sowjetische Literatur hatte unter ihrer Normkodifizierung praktisch die russlanddeutsche Literatur voll ignoriert. Als Beweis kann man die fehlende Information darüber in sowjetischen Nachschlagwörterbücher und Enzyklopädien hinnehmen, langes Verbot die russlanddeutschen Werke zu publizieren in Periodika und Büchern.

Schriftsteller Wendelin Mangold

Die Werke wurden nach außen an die entsprechende sowjetische Ideologie angepasst, der innerliche Inhalt aber sollte und hatte den sowjetischen Deutschen deutlich gemacht, wie und was darunter „gemeint“ und „verdeutlicht“ wurde. Den brauchte man es nicht erklären, was unter dem „sowjetischen Patriotismus“ verstanden werden sollte (56 ).

Hier einige Gedichte russlanddeutschen Autoren: Schriftstellerin Nora Pfeffer

deutsche Literatur fest in den Kontext ihrer Geschichte angebunden, wobei sie diese in ihren langsamen Aufschwüngen und totalen Niedergängen widerspiegelt und damit auch mit dem dramatischen Schicksal der sowjetischen Literatur verbunden ist.

Sie hat aber schon seit der 1920er Jahren ihre Besonderheit gezeigt, in-

Adam Emich (*22.08.1872 in Katharinenstadt an der Wolga † 22.11.1937 im Gefängnis von Ufa erschossen: Lehrer, Buchhalter, Journalist) (57). „Die gefesselte Muse“, geschrieben 1930, nachdem A. Emich aus der Untersuchungshaft entlassen worden war: Lern’s beizeiten und merk es gut: Nichts bleibt ewig gemeinsam.

Liebe ist Drängen von Blut zu Blut Bald erlischt auch die loderndste Glut, und dein Ende ist einsam…

Such’ keine Heimat, bau’ kein Nest, Kann keinem Wanderer taugen.

Deines Herzens armseligen Rest, Wahre ihn dir, halte ihn fest.

Sehnsucht hat blinde Augen. „Gedichtet vom Wolgabauer in der Verbannung“:

Der Burau Verlag präsentiert die Bücher der Russlanddeutschen Autoren.

dem sie in sich die Erfahrungen und Errungenschaften der deutschen klassischen Literatur, sowie der russischen klassischen und mehrnationalen sowjetischen Literatur vereint hat.

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Diese Verse schrieb Adam Emich kurz vor seinem Tod, im August 1937, Warum bin ich denn nur geboren?

Warum kam ich nur zur Welt?

Mein Leben ist für mich verloren; Dahin ist mein Gut und mein Geld.

Mein Haus, mein Hof sind mir genommen;

Man riß mich fort von Weib und Kind.

Und dazu bin ich noch gekommen In Kerker, wo Sträflinge sind…

Ich hab gar nicht verbrochen; Doch ist’s um mich bald geschehen.

Das Urteil ist mir gesprochen, In die Verbannung muss ich jetzt gehn.

Wiegenlied einer sowjetdeutschen Mutter Dominik Hollmann schrieb 1953 das Gedicht „Wiegenlied einer Wolgadeutscher Mutter“

Schlaf mein Kind, mein lieber Knabe!

Dunkel ist die Nacht.

Nur der Mond am Wanderstabe Hält allein noch Wacht.

An dem schönen Wolgastrande Waren wir zuhaus.

Doch man trieb mit Schmach und Schande Uns von dort hinaus.

Malte uns ‚nen schwarzen Flecken Auf die freie Brust.

Mussten leiden Greul und Schrecken, Kummer und Verdruss.

Jeden Sowjetdeutschen nennt man Diversant, Spion…

Schlaf, mein kleiner deutscher Landsmann!

Schlaf, mein lieber Sohn!

Und auch du, in deiner Wiege Hast schon diesen Fleck, denn trotz aller großer Siege, niemand wischt ihn weg: In dem großen Sowjetlande Jedem blüht sein Glück.

Du allein bleibst ein Verbannter, denn zum heimatlichen Strande darfst du nicht zurück.

Viele schöne Worte sagt man Einst auch dir, mein Sohn.

Doch solang den Fleck wir tragen, ist es schnöder Hohn.

habilitierung der Russlanddeutschen und Wiederherstellung ihrer Republik an der Wolga waren. Sie haben ihre Muttersprache – wolgadeutschen Dialekt - in den Briefen aufgesucht, um der strengen sowjetischen Zensur leichter zu entkommen.

Viktor Klein an Dominik Hollmann: Wann ich haamdenk, tät ich greine Wie a Kind, des glaabt mir gern, dann die Wolga ist mei Alles, is mei Lewe, Glick im Stern.

Moderator des Kulturfestes in Neuss, Viktor Scherf, bei der Ehrung der Solistin Nina Geiger

Schlaf mein Kind, beim Silberscheine, bist noch klein und schwach, weißt noch nicht, warum ich weine, nichts von Hass und Schmach.

Wachse Kind! Straff deine Sehnen!

Sei kein stummer Knecht Denkt an deiner Mutter Tränen Und verlang dein Recht! „Mein Heimatland“.

Von Dominik Hollmann, 1948.

Wo der Karaman leise plätschernd Um den sandigen Hügel biegt, wo die alte Trauerweide über ihm die Äste wiegt, wo die breiten Ackerfelder dampfen in dem Sonnenbrand, an der Wolga, an der Wolga ist mein liebes Heimatland.

Wo beim ersten Sonnenstrahle Sich die Lerche trillernd schwingt, wo des Dampfers schrilles Tuten weitaus in die Steppe dringt, wo mir jeder Stein und Hügel ist von Jugend auf bekannt, an der Wolga, an der Wolga ist mein trautes Heimatland.

Wo die Kirschen purpurn glühen, reift der Äpfel goldne Last, wo die saftigsten Arbusen labten uns zur Mittagsrast, wo wir deutschen Tabak bauten, wie kein zweiter war bekannt, an der Wolga, an der Wolga ist mein teures Heimatland.

Wo wir neunzehnhundertachtzehn Kämpfen für die Sowjetmacht, unsrer fließ’gen Hände Arbeit Wohlstand und Kultur gebracht, wo im Brederbund wir bauten unsre Wolgarepublik, an der Wolga! And der Wolga!

Ist mein Heimatland, mein Glück.

Wann ich haamdenk, möchte ich kreische: Loßt die Zottel, lost des Vieh!

Wann ach nackig, an aam Hemdje, an die Wolga wolle mir ziehn.

Wann ich haamdenk, möchte ich heule Un könnt fast vor Laad vergeh. Wersch net glaabt, der hot im Lewe Nie die Wolga mol gesehn.

Chor aus Dortmund unter der Leitung von Taisia Fischer

Die Russlanddeutsche Autorin Ida Bender wiedergibt in ihrem Artikel im Heimatbuch von 1997/1998 folgende Briefe in Mundart, geschrieben von Viktor Klein, ihren Vater Dominik Hollmann und Heinrich Kaiser. Diese Briefe in Gedichtform widerspiegeln die Ereignisse in der Mitte der 60er Jahre, als Viktor Klein, Dominik Hollmann und Heinrich Kaiser Teilnehmer der ersten Delegation der Russlanddeutschen nach Moskau zwecks Re-

Antwort Dominik Hollmanns an Viktor Klein: Liewer Viktor, wann mr haamdenkt, kommt die Laadmut, du host Recht.

Un do denk mr, un do plant mr, Dass am bald der Kopp verbrecht.

Zwanzig Johr schun vun drhaam weg, is des net bal iwers Moß?

Wann mr haamdenkt un net haamderf, ist die Laadmut doch so groß.

Stern-Granate-Donnerwetter!

Nemmt das Elend net a End! Helfts Gebetnet, muss mr fluche: Himmerl-Herrgott-Sakrament!

Heinrich Kaiser an Viktor Klein und Dominik Hollmann: Is die Sehnsucht nach der Heimat Un die Ladmut noch so groß, wolle mr hoffe, wolle glawe, dass mr kumme in Heimats Schoß.

Wär doch das e große Fraad Un a frohes Wiedersehn, könnt mr schung in fünfundsechzig unser Jubelfest begehn (58).

Wo mein Herz der ersten Liebe Und der Freundschaft Macht erkannt, wo bei gut und schlechten Zeiten ich auf festen Füßen stand, wo mein Vater arbeitsmüde seine letzte Ruhe fand, an der Wolga, an der Wolga, ist mein wahres Heimatland.

Musikalische Begleitung mit russlanddeutschen Lieder

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Viktor Schnittke: *31.01.1937 in Engels- †17.11.1994 in Regensburg.

Friedhof an der Wolga.

Pflüge ziehen über die Gräber.

Die Toten liegen tiefer.

Die Gemeinde von einst – vertrieben.

Die Vorväter bleiben da (59).

Als das erste russische Konservatorium gegründet wurde, betrug der Anteil der deutschen Interpreten in der Petersburger Abteilung 37 % und 1866 sogar 41 %. Für die Konzerte des Vereins wurde viele deut-

zieren zusammenkamen. Verbreitet waren Saiteninstrumente, wie Mandoline, Gitarre, Zitter, Geige, aber auch Klavier und Harmonium waren nicht selten in den Häusern anzufinden. Während der Zarenzeit gab es

Waldemar Weber DU fragst wie es war Ein Volkslauf mit Hürden aus Stacheldraht ohne Ziel ohne Lust zu überholen ohne die Möglichkeit aufzugeben GRÄBER DER VÄTER Eine ganze Generation aufgewachsen ohne Gräber der Väter Ein anderes Lebensgefühl schwebendes Entwurzeltsein Trauern beim Anblick der Wolken die zu den Toten fliegen.

Wendelin Mangold: „Zugvögel“ Welche von zwei ist ihre richtige Heimat: Wo sie den Winter oder den Sommer verbringen?

Sicher steht: Wird ihnen eine verwehrt, gehen sie zugrunde.

Rudolf Kehrer (* 10. Juli 1923 geboren in Tiflis, Georgien; † 29. Oktober 2013[1]) war ein russlanddeutscher klassischer Pianist und Klavierpädagoge.

sche Musiker aus beiden Hauptstädten und extra aus Deutschland engagiert, und die ersten russischen Konservatorien beschäftigten sie als Pädagogen. Die Direktion des Russischen Musikvereins schloss Verträge mit berühmten deutschen Pianisten, Theoretikern und Dirigenten (60).

3.2. Musik Die Deutschen in den Städten investierten viel Kraft und Arbeit in die Entwicklung oder gar die Gründung vieler Bereiche des russischen Musiklebens: zu nennen sind z. B. der Einfluss der Deutschen auf die Gründung und Entwicklung der russischen Konservatorien, Musiktheater, Musikwissenschaft. Ihr Einfluss auf die musikalische Landschaft, besonders in St. Petersburg und Moskau, waren enorm.

Die Orgel ist als Musikinstrument durch die Deutschen in Russland bekannt geworden.

Das Musiktheater wurde durch Pastor Johann Gregori, Lehrer G. Hübner, den Orgelbauer Timofej Hasenkrug und den Doktor Blumentrost gegründet.

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Dimitri Germann schreibt Lieder über die Schicksale der Russlanddeutschen

Singen, Musizieren und Geselligkeit waren bei den Russlanddeutschen sehr beliebt. Chöre und Musikgruppen bestanden anfangs in vielen Kolonien. Der gesellige Charakter der Menschen sowie die feste Kirchenordnung aller Konfessionen, die intensives Singen und Beten förderte, hatten dazu beigetragen, dass die Menschen regelmäßig zum Musi-

in jeder Kirche einen Kirchenchor, aber auch Bläser- und Streichergruppen existierten. Mit der Auflösung der Kirchengemeinden in den 1930er Jahren wurde diese Form der Geselligkeit immer mehr zurückgedrängt (61).

Besonders die Lieder sind ein Ausdruck der nationalen Identität (von Prof. Lena Seifert sind 678 Werke aufgenommen). Die durchgehende Thematik der Lieder: verlorene Heimat, verlassenes Haus, Wanderungen, in der Welt umtreibender, Sehnsucht nach Heimat, nach seinem Haus, der Verbot auf seine Heimat, gezwungene Vertreibung, verloren sein, die schmerzliche Sehnsucht nach seinem Herd, einsames Schicksal des ewigen Wanderers, die Tragik des Heimatlosen – ist das verbreitetste und der herzzerreisenste Motiv der Lieder. Ein besonderes Thema in den Liedern ist der Deportation gewidmet. Weiterhin sind Lieder über die Arbeit, Schicksal, und Frieden verbreitet (62).

Das Volkslied ist eine mündlich überlieferte Geschichte eines jeden Volkes. Keine Ausnahme ist dabei das Lied der Russlanddeutschen.

Schon zum Anlass des 150. Jubiläum der Wolgakolonien (1913) haben Forscher des Volksliedes der Russlanddeutschen so eingeschätzt: „Der Segen, der von dem guten und sorg-

Komponist Robert Denhof

fältig gepflegten Volksliede über das Volk ausgeht, kann gar nicht genug angeschlagen werden.“ Im Volkslied sahen Wolgadeutschen einen „Rettungsanker“ für die Erhaltung der deutschen Sprache und der nationalen Kultur. Das Lied ist mit den Bräu-

1917 stellten die Liedersammler 733 geistliche Lieder und Messgesänge der katholischen Russlanddeutschen in Südamerika zusammen, die bis heute in der Kirche verwendet werden. Auch in der Sowjetunion wurden die Sammlungen von Volksliedern vom Volkskommissariat für Bildungswesen der Wolgarepublik und Privatpersonen weiter gesammelt. Es erschienen Liedersammlungen, Bücher und Abhandlungen.

zwei Sammelbändchen. Hier wurden neben Volksliedern auch einige Lieder aus der sowjetischen Zeit aufgenommen: aus dem Bürgerkrieg, der Kollektivierung und der Vorkriegszeit.

Das Volkslied wurde in diesen Jahren im Hause, bei Familienfesten, auf Hochzeiten gesungen, seltener auf der Bühne, gar nicht in der Öffentlichkeit. In der Spätsowjetzeit hat sich für einen wesentlichen Teil der Deutschen Minderheit das deutsche Volkslied im geistlichen Lied wieder gefunden. „Damit präsentiert sich das geistliche Lied als der eigentliche Träger des volksmusikalischen Denkens der deutschen Minderheit in der Spätsowjetzeit.“ – so Alexander Schwab. Auch das russische und ukrainische Lied hat einen Einfluss auf das Volkslied der Russlanddeutschen in dieser Zeit aufgenommen.

In den 1980-1990er Jahren hat sich auf diesowohl in der Sowjetunion, so auch in den Bundesrepublik lebende Russlanddeutschen der mediale Einfluss verstärkt. Die sowjetische oder deutsche Volks-, Pop- und Rockmusik wurde stark und hat ihre Musiktraditionen geändert.

Im Ganzen kann man resultieren, dass die Volksmusik der Russlanddeutschen als ein bedeutender Bestandteil ihrer Kultur von mehreren Forschern anerkannt wird.

chen und Sitten eng verbunden. Wo sie noch ausgeübt werden, lebt auch das Volkslied. Die Sammler hatten damals 280 Lieder und Kinderreime, sowie 300 Rätsel gesammelt. Schon vor 1917 wurden die Volkslieder von Forschern entdeckt und für die Wissenschaft bereitgestellt. Sie hatten schon damals die Erschließung ihres Reichtums und ihrer Vielfalt, die grundlegenden stilistischen Merkmale und ihrer Vortragsweise feststellen können.

Hier noch ein Lied aus der Sammlung von Johann Windholz: es schildert den Tag der Auswanderung nach Deutschland:

In der Zeit nach 1956 wurde das Volkslied von Viktor Klein und Oskar Geilfuß erforscht und von ihnen weitere Lieder notiert. Es erschienen

„Der Abreiß von Russland, die fällte mir nicht schwer.

Denn was wir hier erlebten, das wünschen wir nicht mehr.

Keine Heimat keine Rechte, keine Freude hatten wir, Überall sind wir „Faschisten“, Und kein Klagen helfet dir.

Aus der Heimat von der Wolga Ausgesiedelt sind wir all Und in Russland ausgestreut, sind wir Deutsche überall.

Von einunddreißig und einundvierzig Fing bei uns das Elend an, Hunger, Krankheit, große Armut Und der Tod traf viele an.

Mit großer Mühe und schwerer Arbeit Haben wir uns durchgeschleppt, Das, was wir erworben haben, Ist mit Blut und Schweiß bedeckt Meine Zukunft ist mir Unwissen Deshalb reise ich nach Deutschland,

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lein“, „Gemeinschaftslieder“, „Zionslieder“, „Heimatklänge“, „Missionsharfe“ und Goßners „Sammlung auserlesener Lieder“.

Um mir zu suchen ein Heimatland.

Russland, Russland, dir zum Vergleichen. Ist kein Reich mehr in der Welt.

Falsch dein Reden, schlecht die Taten, und nur Betrügen dir gefällt. Heimat, Heimat, wie süß die Worte, Kann nur verstehen, wer keine hat, Wer muss sprechen fremde Sprachen und keine Muttersprache hat.

Wie das Schicksal mir wird führen Und wie Deutschland mich empfängt, Geb ich gern in Gottes Hände, Der alles führt und alles lenkt.“ (63).

1824 brachte die Gesamtsynode der WolgaPropsteibezirke das Wolgadeutsche Gesangbuch, die „Sammlung christlicher Lieder für die häusliche und öffentliche Andacht, zum Gebrauch der deutschen evangelischen Kolonien an der Wolga. Zusammengetragen von den Predigern derselben“ heraus. 1824 wurde eine Vorschrift des „liturgischen Ganges“ entwor-

Das russlanddeutsche geistliche Liedgut ist sehr vielseitig und umfangreich und hat ihre Tradition am längsten bewahrt. Es entwickelte sich abhängig von der Konfession sehr unterschiedlich.

So hatte sich bei den Katholiken das Liedgut in Russland kaum geändert.

Es wurde also bei der katholischen Bevölkerung in Russland das Liedgut verwendet, das man auch im Deutschen Reich sang.

Anhänger der evangelischen Konfession sind in dieser Hinsicht viel

Kunst von Günther Hummel

beweglicher. Die Ansiedler hatten schon mehrere Liedersammlungen.

Durch Einfluss der Herrnhuter, die in den Jahren 1764-1774 an die Wolga gekommen waren, um unter Kalmücken zu missionieren, wurde der Schatz in Liedern noch reicher. Mit der Zeit wurden in den Kirchen neben den offiziellen Gesangbüchern auch folgende, eindeutig durch den Pietismus bestimmte Liedsammlungen benutzt wie Hillers „Schatzkäst-

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Günther Hummel / Selbstbildnis

fen. Das neue Liederbuch und die Gottesdienstordnung lösten die aus Deutschland mitgebrachten Gesangbücher und Liturgien ab. Aus dem „Wolgadeutschen Liederbuch“ singt man auch heute noch – wenn man ein solches hat.

Bei den Mennoniten, die sich in der Ukraine ansiedelten, wurden zum Teil dieselben Liedsammlungen verwendet wie bei den Evangelischen, so die „Heimklänge“, „Zionslieder“, „Frohe Botschaft“. Baptistische Einflüsse führten dazu, dass auch die Onkensche „Glaubensstimme“ bei den Mennoniten Eingang fand.

Mennoniten Brüdergemeinden entwickelten ihre eigene Liedersammlung.

Die Mennoniten gebrauchten die Ziffernoten.

Die Mennoniten entwickelten einen guten Chorgesang. Zu Anfang des 20. Jh. besaßen sie gedruckte „Lie-

derperlen“ – eine Achtteilige Sammlung von Chorliedern, die in vier Büchern eingebunden wurde. Daraus sangen die Chöre vor und auch während der Gottesdienste. Für den allgemeinen Gesang während der Gottesdienste wurde der „Vierband“ verwendet, der aus „Glaubensstimme“, „Zionslieder“, „Frohe Botschaft“ und „Heimatklänge“ bestand. Auch der allgemeine Gesang in den Gottesdiensten war vierstimmig. Als es dann in den 1920er Jahren ruhiger wurde, blühte das geistliche Leben vielerorts auf wie nie zuvor.

Erst nach dem II. Weltkrieg begannen wieder im größeren Ausmaß die deutschen Gottesdienste. Doch wie ganz anders sah es da aus! Die älteren Männer, jedenfalls die aktiven, waren nahezu alle tot; sie hatten die drei Wellen der Verfolgung: die Kollektivierung, die Säuberungen im Jahre 1937 und die „Trudarmee“nicht überstanden. Die Generation, die nach 1920 geboren war, hatte von klein auf praktisch keine Gottesdienste besucht, geistliche Lieder waren ihnen kaum bekannt.

Nach 1945 wurden an vielen Orten die Gottesdienste auch in deutscher Sprache gehalten. Wegen der knapp gewordenen Liederbücher entwickelte sich der Brauch, den Versammelten jeweils eine Strophe vorzulesen bzw. auswendig aufzusagen, danach wurde sie gesungen, dann wurde die nächste Strophe vorgelesen. Die Lieder wurden von Hand abgeschrieben, ganz gleich, ob es Lieder mit Noten oder Ziffern waren oder nur Texte für den allgemeinen Gesang.

Kunst von Günther Hummel

Obwohl die Gottesdienste in Deutsch abgehalten wurden, kamen schon Anfang der sechziger Jahre die ersten russischen Lieder in die Gemeinden, zunächst über die Sängerchöre.

Die Herausgabe eines „Dreibandes“ in deutscher Sprache durch den Geheimverlag Christianin Ende der Sechziger Jahre, der seit 1968 ge-

der Einfluss der Zeit, die sie in der UdSSR gelebt haben, und zwar darin, dass sie die russischen Lieder nicht vergessen möchten, die sie „drüben“ immer häufiger in den Gottesdiensten gesungen hatten. Neue Lieder von Jugendlichen werden verfasst und für Kinder herausgegeben.

Auch russische Lieder werden ins Deutsche übersetzt (64).

fried Tannauer, Georg Christopher Grooth, Karl Brüllow und Bildhauer Peter Klodt von Jurgensburg, u. a. „Eine Kunst, die zwischen Kulturen und Welten verläuft. Russlanddeutsche Künstler – Bereicherung für die hiesige Kulturlandschaft.“ Russlanddeutsche Künstler vertreten alle Generationen, zeigen ganz unterschiedliche Kunstrichtungen und

3.3. Kunst: Malerei und Skulptur.

Künstler Nikolaus Rohde

heim gedruckte christliche Literatur verbreitete, war ein starker Impuls zur Erhaltung des deutschen kirchlichen Liedgutes. Verbreitet wurde er überwiegend in Freikirchen;

Kunst von Nikolaus Rohde

er bestand aus der „Glaubensstimme“ mit 500 Liedern (gekürzte Ausgabe, die vollständige hat 703 Lieder), den „Zionsliedern“ und der „Frohen Botschaft“ und erlebte mehrere Ausgaben. Der Dreiband war hauptsächlich in den nichtregistrierten Gemeinden verbreitet.

Die seit den fünfziger Jahren in die Bundesrepublik umgesiedelten Deutschen verwendeten in den Gottesdiensten der Vierband oder den Sammelband. 1983 wurde im Auftrag einer Reihe von Gemeinden das „Liederbuch“ herausgegeben, das 1.191 Lieder enthält und den Vierband auflöste.

Das „Wolgadeutsche Liederbuch“ wurde erst 1979 vom Missionswerk „Brücke zur Heimat“ in Kassel wieder nachgedruckt und auf verschiedenen Arten in die UdSSR gebracht.

Bei den Aussiedlern zeigt sich indes

In der russischen Kunstgeschichte sind über 121 deutsche Namen zu erwähnen, die nur in der vorsowjetischen Zeit tätig waren. Sie sind in Deutschland kaum bekannt, aber in Russland sehr berühmt. So, zum Beispiel, der Maler Johann Gott-

Viktor Hurr (geb. 1949) ist Nachfahre einer deutschen Winzerfamilie, die sich Anfang des 19. Jh. aus dem Raum Reutlingen in Württemberg nach Russland aufbrach. Seine künstlerische Ausbildung als Grafiker, Kunstmaler und Bildhauer erhielt er in Moskau und Usbekistan. Seit 1994 lebt Hurr in Deutschland (derzeit in Meersburg). Seit 20 Jahren setzt er sich künstlerisch mit der Geschichte der Russlanddeutschen auseinander und hat einige Bildzyklen geschaffen, darunter „Helenendorf – verlorene Vergangenheit, die mit uns bleibt“, „Vergangenheit, die die Zukunft prägt“, „Der Weg zum Paradies, der in der Hölle endete“. In seinen Ölbildern und Grafiken hält Hurr Stationen der russlanddeutschen Geschichte über 250 Jahre fest: von der Auswanderung und Gründung der deutschen Kolonien im Wolgagebiet oder im Kaukasus, über politische Repressionen, Deportationen, Zwangsarbeit in den stalinistischen Lagern und Sonderansiedlung in Kasachstan, bis zur Auswanderung in das Land der Vorfahren und neuer Verwurzelung.

Der Grafiker Diesterheft zeichnet Schicksalsbilder der Russlanddeutschen

eine Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten – in Öl, Aquarell, Collagen oder Bildhauerei. So unterschiedlich wie vielgestaltig nur Kunst sein kann: von akademisch über avantgardistisch bis abstrakt und surrealistisch.

Traditionelles und Modernes fließen oft zu einer harmonischen Einheit

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zusammen. Jeder Künstler ist ein Geschichtserzähler in der Kunst mit eigener unverkennbarer Sprache.

Die ältere Generation, die den ganzen entwürdigenden Leidensweg der Volksgruppe im 20. Jh. (Krieg, Deportation, Hunger, Tod der Angehörigen, Verfolgung, Diskriminierung und geistige Unfreiheit unter dem Sowjetregime) miterlebt hat, bring diese Themen auf besonders eindringliche , fast provozierende Art zum Ausdruck, mit einer Botschaft, die gehört werden will, die beeindruckt und aufrüttelt.

Manche von ihnen haben erst in Deutschland die Möglichkeit bekommen, die russlanddeutsche Geschichte künstlerisch aufzuarbeiten: in erschreckenden Innenbildern, die eine ganze Volksgruppe in sich trägt – als Trauma, das sie auch in der neuen Heimat verfolgt. In Werken, die die jahrzehntelange Vertreibungsgeschichte festhalten, geht es vordergründig um Menschenwürde, die für die Russlanddeutschen jahrzehntelang unerreichbar war. „Der Mensch und das Unmenschliche war und ist das Objekt meiner Darstellung der Verschleppung“ so der Künstler Nikolaus Rode.

Bei den jüngeren Generationen bleibt das Vertreibungstrauma ihrer Eltern und Großeltern zwar ein Baustein ihrer Identität, spiegelt sich aber nicht unbedingt in ihrem Werk: Daher ist auch die Stilistik und Thematik ihrer Kunst eine andere.

Die Nachkriegsgenerationen der russlanddeutschen Künstler durften meist unbeschränkt eine beachtliche akademische Kunstausbildung in der Sowjetunion genießen, die einem Künstler das Rüstzeug gab, sein Talent in vollem Maße zum Ausdruck zu bringen.

Der nicht selten in Zusammenhang mit zugewanderten Künstlern strapazierte Vorwurf, die Kunst in der Sowjetunion wäre lauter nachahmender Realismus und politischer Auftrag, bewahrheitete sich vor allem in den letzten Jahrzehnten immer weniger.

Trotz der geistigen Knebelung der Kulturbehörden gab es zu jeder Zeit Künstler, die mit ihrer Kunst bewegen und aufrütteln konnten.

Viele russlanddeutsche Künstler der jüngeren Generation durften noch im Herkunftsland ihre Experimentierlust und ihre Phantasie ausleben.

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So mancher hatte durch Ausstellungen und anspruchsvolle Kunstprojekte in verschiedensten Stilrichtungen schon dort eine grenzüberschreitende Bekanntheit erlangt und die Grenzen der eigenen Möglichkeiten ausgelotet: Der Bogen spannt von klassischen Kompositionen mit Landschaften und Stillleben über Avantgarde bis zum Surrealismus. Die Werke sind von beachtlicher Vielfalt an Motiven, Stilrichtungen, Farben und Techniken.

theaters im 17. – 18. Jh. Die zweite Blütezeit des deutschen Musiktheaters ist mit Petersburg verbunden.

1804 erlebte das deutsche Theater in Moskau noch einmal einen kurzen Aufschwung unter den Intendanten K. Steinsberg.

Die Geistlichen und Lehrer versuchten das Kulturleben in den Dörfern zu gestalten. So wurden kleine einfache Dorfszenen inszeniert, besonders zu Weihnachten, Ostern.

Die russlanddeutschen Künstler sind von ihrer Zeit. Mitgebrachte Erfahrungen aus einem anderen Kulturraum und herkömmliche Kunsttraditionen werden in Europa durch neue Impressionen und Anregungen bereichert.

Nachdem 1918 die deutsche Autonomie an der Wolga gegründet wurde, die Arbeitskommune der Wolgadeutschen hieß, begann ein reger Aufschwung des Kulturlebens dieser.

1929 wurden in Engels – damals die Hauptstadt der ASSR der Wolgadeutschen – zwei deutsche Theater gegründet: Das deutsche Akademietheater und ein Kindertheater.

So ist eine Kunst entstanden, die etwas andere Akzente setzt, die an der Grenze zwischen Kulturen und Welten verläuft und dem Betrachter ganz neue Zugänge ermöglicht. Es ist immer öfter, dass russlanddeutsche Künstler gemeinsame oder Einzelausstellungen in Galerien, Rathäusern, Banken, Hotels, Ministerien, auf Messen oder Kulturveranstaltungen organisieren und damit Bundesweit die künstlerische Landschaft bereichern. Sie tragen zur Aufklärung, positiven Resonanz und zum besseren Verständnis der Kultur und Identität der Russlanddeutschen in der Öffentlichkeit bei (65).

3.4. Theater Das Theaterleben wurde von den Deutschen in Moskau eingeführt: Pastor Johann Gregori, Lehrer G. Hübner, der Orgelbauer Timofej Hasenkrug und ein Doktor Blumentrost waren die Gründer des ersten Hof-

1928 wurde hier die deutsche Pädagogische Hochschule eröffnet, allmählich weitere Hochschulen und Fachschulen. Zu dieser Zeit gab es in vielen Dörfern Laienkunstkollektive, da die Kirchen 1928 allerorts verboten, geschlossen, die Geistlichen verhaftet worden waren. So hatten die Einwohner zum Stillen ihrer kulturellen Bedürfnisse nur die Kulturveranstaltungen der Laienkunst: Chöre und Theaterinszenierungen. 1931 wurde die Gründung eines nationalen deutschen Theaters beschlossen. Der Kommissar für Kultur und Volksbildung der ASSRdWD Alexander Weber gründete ein Team, das viele Laienkunstkollektive besuchte, um talentierte Personen als Schauspieler für das Theater zu wählen. So wurden zum Beispiel die Lehrer das Ehepaar Konstantin und Amalia Roth für das entstehende Theater gewor-

Theaterstück August-Hermann-Francke-Schule dem 250 Jubiläum, dem Katharinenerlass gewidmet

ke“. Im Spielplan war auch Goldonis „Ein Glas Wasser“, Lessings „Emilia Galotti“, Ibsens „Nora (ein Puppenhaus)“, in dem Hilda Faber die Nora wunderbar darstellte. „Diener zweier Herren“, „Die 12. Nacht“ Shakespeare, und Bühnenstücke russischer Dramaturgen: Gogols „Die Heirat“, Nikolaj Ostrowskis „Balsaminows Heirat“. Der Wolgadeutsche Schriftsteller und Dramaturg Andreas Saks arbeitete einige Jahre als literari-

ben. In den Jahren 1932-33 konnten sie zusammen mit ihren Kollegen mehrere Monate außer ihrer Arbeit im Theater an der Moskauer Theaterschule des MCHATes ihr Können ausbilden. Das deutsche Theater in Engels bot in diesen Jahren mehrere Bühnenstücke den Zuschauern dar.

1935 kamen aus Deutschland, flohen vor Verfolgung, deutsche Antifaschisten, darunter auch Schauspieler, die im Deutschen Staatstheater der Stadt Engels, einige im deutschen Theater der Stadt Marxstadt, arbeiteten.

Folgende Aufführungen fanden statt: Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ und „Die Räuber“ - in letzterem

spielte Nikolaus Baumann den Franz Moor wunderbar. Lessings „Minna von Barnhelm“, in dem Leo Gläser den Tellheim ausgezeichnet verkörperte, Herta Jörsch das Fräulein von Barnhelm sehr natürlich alle der vom Autor ihr zugeschriebenen Eigenschaften verkörperte. Die Schauspielerin Hein spielte die Franziska.

Der führende Schauspieler Faller spielte den eingebildeten Kranken in Molieres „Der eingebildete Kran-

Kultur, Sprache, Sitten und Bräuche und so das Verschwinden unseres Volkes zu äußern. Die Schriftsteller Dominik Hollmann, Reinhold Köln, Victor Klein, Johann Warkentin, der Schauspieler Nikolaus Baumann und andere appellierten an die oberste Sowjetregierung: wir haben keine Schulen, in denen unsere Kinder ihre Muttersprache erlernen können; wir haben keine Filme, keine Theater, keine Laienkunst, wir haben keine

Maria und Peter Warkentin in dem Theaterstück „Der lange Weg zurück“

scher Beirat am Engelser Theater.

Sein Bühnenstück „Der eigene Herd“, handelte von der Periode 1914. In einem Land, wo der Partei in allem die führende Rolle gehörte, empfahl (sprich befahl) die Partei den Theaterkollektiven, welche Bühnenstücke in den Spielplan aufzunehmen sind.

Widerreden wurden nicht geduldet.

1940 begann das Deutsche Theater Engels Vorbereitungen zu einer Dekade der Kunst der Wolgadeutschen in Moskau. Leider hat das deutsche nationale Theater durch den Erlass der Sowjetregierung vom 28. 08.

1941 - die Deportation aller Deutschen nach Sibirien - seine Existenz einstellen müssen. 1942 traf man einige Schauspieler im Zwangsarbeitslager.

1941 bis 1956 war für die Russlanddeutschen eine totale Schweigeperiode, Rechtlosigkeit. Keine Bücher, Filme, Theater - nichts! Man hütete sich in der deutschen Muttersprache laut ein Wort zu sprechen, um nicht Grausamkeiten ausgesetzt zu sein. Doch nach der offiziellen Aufhebung der Kommandanturaufsicht begannen die kühnsten Vertreter unserer Volksgruppe ihre Besorgnis um das Verschwinden unserer

Verlage, wo unsere Schriftsteller ihre Werke herausgeben können - ist das wohl eine Gleichberechtigung mit den anderen Völkern der Sowjetunion??? Unser Volk hat keine Möglichkeit, ihre kulturellen Bedürfnisse zu tilgen, das ist Verletzung der Menschenrechte, Verletzung des Grundgesetzes der Sowjetunion!!! Durch mehrere solche Vorwürfe sah sich die Sowjetregierung gezwungen, mit einigen Versprechungen den „Aufrührern“ das Maul zu stopfen. Die Wiederherstellung der zu Unrecht aufgelösten Wolgadeutschen Republik sagte man schroff ab. Auch versprach man etwa 20 begabte Jungen und Mädchen an der Moskauer Theaterschule auszubilden, damit diese danach als ein deutsches nationales Theater die kulturellen Bedürfnisse der Russlanddeutschen tilgen könne. Man versprach auch ein Theatergebäude zu errichten oder zu Verfügung zu stellen. Mit Erfolg absolvierten die deutschen Theaterstudenten ihr Studium, wurden nach Kasachstan geschickt, wo die meisten verbannten Deutschen lebten, aber ein Theatergebäude gab es nicht. Die Schauspieler übten zu Hause in einer Wohnung vereinzelte Szenen und wenn das Kasachische

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Die Kunstkammer des Architekten Georg Johann Mattarnovi, N. Gerbel, G. Kiaveri und M. Semzov

Nationale Theater ihnen ihr Gebäude freigab, konnten das deutsche Team ihre Bühnenstücke aufführen.

An Fleiß und Enthusiasmus fehlte es nicht, auch wunderschöne Kostüme hatte das Team von Deutschland bekommen. Wieder brachten die deutschen Schauspieler Schiller, Goldoni auf die Bühne, meisterhaft! Aber, um die in ganz Sibirien und Kasachstan verstreut lebenden Russlanddeutschen mit ihrer Kunst zu beglücken, musste das Theaterteam immer auf Achse sein, von Dorf zu Dorf. Sie gaben sich beste Mühe. Ernteten stürmischen Applaus und Begeisterung.

Tränen rollten über die Wangen der Zuschauer, die endlich!!! mal wieder eine Vorführung in der Muttersprache miterleben konnten. Keine Aussicht auf ein eigenes Theatergebäude, und Bühnenstücke, die von oben erlaubt wurden. Aber eigene, sowjetische Bühnenstücke gab es nur russische. Viktor Heinz, ein junger Schriftsteller, wagte sich und schrieb eine Bühnenstück-Trilogie „Auf den Wogen der Jahrhunderte“. Der Autor bangte dieses Stück dem Theater zur Aufführung zu geben. Da gerade Präsident Gorbatschows Glasnost im Lande erklärt worden war, sagte der Regisseur des Theaters, ein

Bei der Jubiläumsfeier, dem 250 Jahrestag dem Katharinenerlass gewidmet, spielten die Mitglieder des Vereins FreundschaftDruschba in Kreis Lippe die Bräuche der Deutschen nach

Kasache: „Ich setze das durch. Mir wird man das nicht verbieten“. Das war aber ein Bühnenstück! Uns, den Zuschauern blieb der Mund vor Verwunderung aufstehen. Die ganze Geschichte unseres verfolgten deutschen Volkes in Russland ging über die Bühne von den betrogenen unsere Vorfahren - den ersten Einwanderern an die Wolga, die Entkulakisierung, Verschleppung und schließlich die uns - vielen Zuschauern noch so bekannten Holzpritschen in der Baracke hinter der Stacheldrahtumzäunung. Auch die Aufseher grob und brutal, wie sie viele von uns dulden mussten, waren da gezeigt.

Die Schauspieler des deutschen Theaters wanderten nach Deutschland aus, fast alle gleichzeitig (nach Ida Bender).

4. Besonderheiten der materiellen Kultur am Beispiel der Architektur „Die Geschichte der Petersburger Architektur ist ein faszinierendes Thema, das nach wie vor Autoren und Leser in seinen Bann zieht. … Blickt

Ehemaliges deutsches Viertel (Nemeckij Kvartal / Newskij Prospekt 22 – 24.)

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man genauer auf die Geschichte der Stadt, so wird deutlich, in welch hohem Maße deutsche Architekten an der Errichtung und Gestaltung der Stadt über Jahrhunderte beteiligt waren. Die einen kamen aus Deutschland in die neue russische Hauptstadt, andere waren schon gebürtige Petersburger Deutsche. Es sind ca.

240 Namen deutscher Architekten zu zählen, die allein in St. Petersburg tätig waren“ (66) Der Architekt Sergej Terjochin spricht in seinen Monographie über den Einfluss der deutshen Siedler- Architektur in Russland. „In den ersten Jahren der Ansiedlung der Deutschen an der Wolga wurden vor allem die Jahrhundertealte kulturelle, konfessionelle, ethnische, mündlich erhaltene Erfahrung eines Volkes, seine Alltagsgewohnheiten und seine psychische Eigenart (der sogenannte „Nationalcharakter“) nach Russland gebracht.

Alles dies materialisierte sich in der Typologie der Bauten der Wolgadeutschen, insbesondere in der Planung der Wohnhäuser und Höfe, im architektonischen Ornament. Mit Blick auf die lokalen Faktoren wirkten auf die Formierung der Siedler-Architektur Natur- und Klimabedingungen sowie die Beschaffenheit der zur Verfügung stehenden Baumaterialien ein. Außerdem war das Eingreifen der russischen staatlichen Organe von Bedeutung, die insbesondere die Konzeption der Ansiedlung der Wolgadeutschen vorschlugen, eine Reihe von Projekten zur Planung der Kolonien ausarbeiteten und den Bauprozess regelten. In den ersten 100 Jahren ihres Bestehens entsteht, strukturiert und stabilisiert sich eine Siedlungs-Architektur bei den Wol-

gadeutschen. In dieser Zeit differenzierten sich die Kolonien in funktionaler Hinsicht (Handwerk, Handel und Landwirtschaft), - sie unterscheiden sich in der Art der Bebauung. Es bildeten sich die wichtigsten Typen von Wohn- und Gemeinschaftsgebäude

Tanzgruppe der Ortsgruppe Düsseldorf der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.

heraus, Methoden und Bautechniken. Einzelne Formen, Teile der Ornamente, die typisch für die Geburtsorte der deutschen Siedler waren, bildeten eine Synthese, nahmen allmählich Züge einer neuen Stileinheit an. Letztere verbreiteten sich aktiv, bereits im fertigen Zustand, in den Tochterkolonien des Wolgagebiets.

Zudem fanden konzeptionelle Ideen der staatlichen Siedlungskampagne, die Planung von Dörfern im Wolgagebiet Anwendung in anderen Regionen, beispielsweise im Gouvernement Ekaterinoslav. Am Anfang des 20. Jh. erscheint die Siedler-Architektur an der Wolga bereits als eine völlig ausgereifte Erscheinung; sie entwickelte sich weiter, nur im Rahmen ihrer „Stadtetappe“.

Im 20. Jh. übernahm die SiedlerArchitektur, die sich in ihrer „Stadtetappe“ befand, Methoden der Formierung des Gesamtbildes der Siedlungszentren, Komfortbauten, Straßenbau. Ebenso wurden Lagerund Fabrikbauten nachgebaut: Die Bestandteile der Gebäude, ihre Anordnung auf dem Gesamtgrundstück, die Raumgestaltung, der Maßstab, Zeichnungen und Proportionen der Architekturelemente. Praktisch ohne Veränderungen nahm man grundlegende Typen der Gemeinschaftsbauten an die neuen Wohnorte mit: Schulen, Ambulatorien, Gemeindeämter, Apotheken, Geschäfte u. a.m.

Ein deutlich erkennbares Zeichen der Architektur dieser Periode war

eine besondere Art der Ziegelsteinmauer mit Reliefornamenten; bevorzugtes Element eines Gebäudes war der Giebel (oder Attika) über dem Haupteingang, mit dem eingemauerten Baudatum.

Die Kirchenarchitektur am Ende des 19. Jh. war ausgereift als Typ der Gotteshäuser, die dem Stil nach zur städtischen Siedler-Architektur gehörten, und war keine Besonderheit des Wolgagebiets. Solche Kirchen wurden von professionellen Architekten und Ingenieuren in verschiedenen Städten der großen deutschen Kolonien des Russischen Reiches entworfen. Dennoch stützt sich in bestimmtem Ausmaß auch ihre Architektur auf die traditionelle. Von 1920 bis 1940 fand dieser Kirchentyp keinerlei Verbreitung und Entwicklung: in der UdSSR infolge der bekannten politischen Gründe.

Die deutsche materielle Kultur, wie sie sich in der Architektur darstellt, wahrte ihre äußere Form und Eigenart an verschiedenen Orten in der Welt (67).

5. Volkskunde in Sitten und Brauchtum Feste und Bräuche Von Geburt an über Jugend, Reife und Alter, bei Fest- und Werktagen stehen wir immer im Zeichen der Volkskunde, von Sitten und Bräuchen; sie begleiten uns auf Schritt und Tritt durch das Leben.

Im Gebiet der Wolgakolonien hielt man an Ritualen fest, die die Siedler aus ihrer Heimat mitbrachten: Kreuzwegandachten in der vorösterlichen Fastenzeit und Bittprozessionen, die außerhalb der Ortschaften angelegten Kapellen veranstaltet wurden.

An dem Fest des „Heiligen KreuzTages“ (3. Mai) in der Kolonie Köhler, das auf der Legende zurückgeht (ein Bauer fand ein Kruzifix beim Pflügen, das zu wandern begann), nahmen Tausende von katholischen Gläubigen teil (68).

Die großen Feste der Kolonisten Weihnachten, Neujahr, Allerheiligen, Buß- und Bettag, Karfreitag, Ostern, Pfingsten, Erntedank, Reformationsfest wurden feierlich begangen.

Streng fastete man in den Wochen vor Ostern, die vier Wochen vor

Taufe in Oerlinghausen

Weihnachten und traditionell streng am Karfreitag. Die Fastenzeit diente zur „inneren Reinigung“ und Besinnung. Die Deutschen wechselten sehr selten ihre Konfession (69).

Vor 1917 waren die Kalenderfeste: das Osterfest, Weihnachten, Neujahr, Pfingsten, Maibaum, sowie Familienfeste wie Taufe, Konfirmation, bzw. Kommunion, Hochzeit, Begräbnis unter allen Deutschen eine rege Sitte.

Nach dem die Macht der Bolschewiken die Sitten und Bräuche gravierend veränderte und neu regelte, haben sich die Deutsche, besonders in der Spätsowjetzeit (1956-1992) an diese Feste angepasst. Es waren folgende sowjetische Feste, wie: Männertag – der Tag der Gründung der Roten Armee – 23. Februar; Frauentag – 8. März, Tag der Solidarität der Werktätigen – 1. Mai, oder der Erster Schultag – 1. September und Oktoberfest – Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917. Diese Feste werden bis heute von der Generation, die nach Deutschland im alter ab 35 Jahre kam, in Erinnerung behalten.

Kleidung der Wolgadeutschen: August Lonsinger, 1929: Die Kleidung wurde aus Pflanzlichen und teils aus der Tierwelt Stoffen gemacht. Die Frauentracht bestand aus Unterkleidern: Hemd, Unterrock, Oberkleider: Obermieder, „Goft“ – kurze Jacke, Überrock, Schürze, Strümpfe und Kopfbedeckung – einen Kopftuch. Es gab Alltagskleider und Sonntagskleider. Die Stoffe waren eintönig und meist dunkel: braun, grau, blau. Bei den Männern wurde

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das Hemd, die Unterhose und die Strümpfe als Unterwäsche getragen, Oberkleid: Hose, Weste und der Rock, der Benschak - weite Jacke, und als Kopfbedeckung wird am häufigsten eine Schildmütze oder ‚Kartus‘ (russ.) getragen. Für die Kinder waren eintönige für Alltag und karierte und gestreifte Stoffe für Sonntagskleidung typisch. Die Schürze war ein fester Bestandteil der Sonntagskleidung. Die Röcke der Kleider hatten einen Saum, die man aufmachte sobald das Kind ein Paar Zentimeter gewachsen war. Genau so auch bei den Langärmel der Kleider (70).

Kleidung der Mennoniten P. M. Friesen, 1910: Über die Kleidung der Mennoniten wurde kurz so festgestellt: „Reinlich, doch schmucklos“. Am empfindlichsten wurde in den ersten Jahren nach der Einwanderung der Mangel an Kleidern gefühlt. Es gab hier noch größere Entbehrungen durchzumachen, als in Bezug der Lebensmittel, denn als die aus der Schweiz mitgebrachten Anzüge bei der rauen Arbeit nur zu bald zerrissen waren, so musste man sich oft fast nicht zu helfen, besonders in

Beispiel der Russlanddeutschen Kleidung im Museum für Russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold

großen Familien.“ Und das in Umständen - kein Markt rundherum und kein Geld. „Unter solchen Verhältnissen konnten sie nicht daran denken, sich Zeug zu neuen Kleidern zu kaufen; aber sie suchten auch hier, wie in anderen Dingen, sich so bald als möglich selbst zu helfen. Sie züchteten Schafe und pflanzten Flachs, und jede Hausfrau spann Garn aus Wolle und Lein, welches von den Hausvätern auf einheimischen Webstühlen zu Tuch gewoben wurde. In jenen Tagen trugen die Mädchen und Jungfern grobe leinene Röcke, die mit Baumrinde gelb oder schwarz gefärbt waren, und die jungen Bur-

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schen gingen in weißen Werg- oder „Kuderhosen“ einher (71).

6. Wandel der Kultur Die Wissenschaften vom Menschen – Anthropologie und Kulturanthropologie, Soziologie und vor allem die Psychologie – bestätigen, dass Zeiten der Wanderungen und des Exils unter fremden Völkern ein großes Maß an kreativen geistigen Kräften freisetzen.

Zwei Prozesse sind dabei von besonderer Bedeutung: Einerseits vertieft die Abwehr des Druckes zur Assimilation an fremde kulturelle und gesellschaftliche Systeme die Wurzeln der eigenen Kultur- und Sozialgemeinschaft… Die Auseinandersetzung mit fremdem Glauben intensiviert die eigene Religion, die verpflichtende Verbundenheit mit den Angestammten und anerzogenen Werthaltungen.

Unter dem äußeren Druck der Assimilation erstarken im Inneren – des Einzelnen wie der Gruppe – die erhaltenden Kräfte, werden die Mächte der Kontinuität zum Maß der eigenen Identität. Andererseits führt eine mehr oder weniger weit reichende Akkulturation (das ist eine teilweise Aneignung der fremden Kultur oder – in einem Vielvölkerstaat – fremder Kulturen) zu einer Aufnahme und Einverleibung weiterer, anderer Inhalte in die eigene geistige Welt.

So treten unter den Bedingungen der Existenz unter fremden Völkern zugleich eine Vertiefung der eigenen, im eigentlichen Sinne des Wortes: hergebrachte Geistigkeit und eine Verbreitung, Verzweigung, Verästelung der angeeigneten und neu aufgenommenen geistig kulturellen Inhalte ein. Die geistige Welt des Wandernden erfährt eine beträchtliche Ausweitung. „Russlanddeutsche haben im 20.

Jahrhundert epochale Umbruchzeiten, wie die Oktoberrevolution, den Zweiten Weltkrieg und die Perestroika, erlebt. Alle diese Wendepunkte und Phasen haben ihre Lebenswelt, Kultur und Identität stark verändert.

Ihre Anpassung an veränderten Umfelder, Lebensbedingungen und gesellschaftliche Transformationen war das Ergebnis ihrer kulturellen Mobilität. Diese zeigte sich im Laufe der

Geschichte in ihren Migrationen, Deportationen und Bewegungen in den verschiedenen kulturellen Milieus Russlands (religiösen, politischen, ethnischen), den damit einhergehenden Veränderungen ihrer Selbstund Fremdwahrnehmungen und in der Reflexion ihrer Vergangenheit.

Ihre wechselvollen Migrationserfahrungen (Ausreise nach Russland, Migrationen im Land, Wegzug zur Sondersiedlungen, Ausreise nach Deutschland) sowie ihre Adaptation der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse nach der Oktoberrevolution, während des Zweiten Weltkrieges und nach der Perestroika verweisen auf ein großes Maß an Improvisationsfähigkeit und Flexibilität. Mit ihren tradierten Lebenserfahrungen übten sie die Fähigkeit, „immer wiederneu anzufangen“. Dies ist zum Credo vieler geworden, das sie noch heute befähigt, ohne Frustration nach Deutschland – in ein unbekanntes wie fremdes Land – zu emigrieren und sich an die deutschen Lebensverhältnisse anzupassen bzw. ihr Leben unter neuen Bedingungen zu normalisieren. Mit ihrem wiederholten Ortwechsel haben sie verschiedene multikulturelle Umgebungen und Kulturen kennen gelernt. Das Leben in multiethnischen Milieus und der Status einer Minderheit in Russland förderten ihre Toleranz gegenüber anderen. Multikulturelle Erfahrungen, trainieren gleichzeitig ihre Anpassungsfähigkeit an verschiedenen fremden Kulturen.

Die kulturelle Bedeutung der Mobilität liegt in der Entstehung einer russlanddeutschen Kultur, einer Mischkultur, die sich von russischer, aber auch von deutscher Kultur durch die Vermischung beider Kulturelemente unterscheidet„ (72).

7. Fazit Die Russlanddeutschen sind eine neue eigenartige Ethnie, deren Prägung in Verbindung mit den Völkern der ehem. Sowjetunion steht. Nach Herold Belger sind die Russlanddeutschen in ihrem politischen Schicksal eine deutsche Subkultur geworden.

In der Mehrheit sind die Russlanddeutschen bilingual.

Die Kritiker, Literaturexperten und selbst die Russlanddeutschen neigen dazu sich als eine besondere Ethnie zu betrachten. Herstellung von ihrer literarischen Familienge-

schichte, gezielte Aufmerksamkeit zu ihren Wurzeln offenbaren ihre duale Mentalität. Auch die gebrauchten chronologischen und thematischen Elemente in ihren Werken weisen auf ihre ethnische Dualität zu. Viele Übersetzungen aus dem Russischen ins Deutsche, aus dem Deutschen ins Russische, Benutzung von deutschen Wörtern in einem russischen Text und umgekehrt, in den deutschen Texten russischer Wörter, Verwendung gleichzeitig von deutschen und russischen Motiven und Illusionen – all das kennzeichnet die Selbstidentifizierung der Russlanddeutschen.

Die Subkulturalität der russlanddeutschen Literatur trägt dazu bei, dass die ethnischen Traditionen und Dokumentationen behalten bleiben, dass das Neue auf der Scheide der russischen und deutschen Kultur generiert. Die schöpferische Denkweise der Russlanddeutschen als Kennzeichen eines selbständigen gesonderten Ethos ist stabil.

Die Russlanddeutschen mussten zwei Mal in einer fremden Kultur ihr Leben finden können. In Russland, als sie als Deutsche dahin und in Deutschland, als sie aus Russland zurückkamen.

10. L I T E R AT U R N A C H W E I S Literaturnachweis: 1. . Kataloge von Ausstellungen: „Spuren-Следы“. Deutsche und Russen in der Geschichte. Begleitbuch zu Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 3. Dezember 2003 bis 12.

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2. . Detlef Brandes / Von den Zaren adoptiert. – München: Ouldenburg, 1993. S. 11-24.

3. Andreas Kappeler / Die Deutschen im Rahmen des zaristischen und sowjetischen Vielvölkerreiches: Kontinuitäten und Brüche – In: Die Deutschen im Russischen Reich und im Sowjetstaat/ A. Kappeler; B. Meissner, G. Simon (Hrsg.) – Köln: Markus, 1987. S. 11.

4. Nemcy Rossii. Énciklopedia.Bd. 2. – Moskwa: ÉRN, 2004.S.61-75.

Das Spezifikum der russlanddeutschen Kultur ist die Diffusion der russischen und deutschen Kultur. Auch die Literatur hat in sich die russischen und deutschen Traditionen beibehalten, sie lebt von ihnen, sie lebt von den beiden. Die russlanddeutsche Kultur nimmt nicht die Mischung von russischer und deutscher Kultur an, sondern sie ist eine besondere, selbständige Erscheinung, die in ihrem Inneren das russische vom deutschen nicht mehr trennen kann.

Die russlanddeutsche Kultur ist bilingual und bikulturell (auch polilingual und polikulturell).

5. Ibidem: S. 77-95

Es gibt eine Ethnie – die Russlanddeutschen, die sich von den Russen und Deutschen unterscheiden (73). Dieses Ergebnis ist der heutige Stand der Kultur der Russlanddeutschen und betrifft die gegenwärtige Erwachsene Generation von Russlanddeutschen. Die Zukunft wird zeigen, wie schnell oder langsam, die nächste Generation der Russlanddeutschen sich zu dieser Ethnie noch bekennen wird.

9. Detlef Brandes / Von den Zaren adoptiert…S. 89.

6. Nemcy-kolonisty w wek Jekateriny (Deutsche Kolonisten und Katharinas Jahrhundert. Sammlung von Dokumenten aus dem Russischen Staatsarchiv für alte Akten zur Geschichte der Organisation deutscher Kolonien an der Wolga) - Moskwa: „Drewlechranilitsche“, 2004. S. 36.

7. Detlef Brandes. Von den Zaren adoptiert… S. 333.

8. Detlef Brandes / Von den Zaren adoptiert… S 208.

10. Auszug aus einem Brief des Pastors Kyper vom Jahre 1839 an Andistes G. Gessne r- Im: Heimatbuch der Deutschen aus Russland (weiter HB) – Stuttgart, 1960, S. 155.

11. Detlef Brandes / Von den Zaren adoptiert... S. 126.

12. Dietmar Neutatz / Die „deutsche Frage“ im Schwarzmeergebiet und in Wolhynien. Politik, Wirtschaft, Mentalitäten und Alltag im Spannungsfeld von Nationalismus und Modernisierung (1856-1914). – Stuttgart: Steiner, 1993. S. 23.

13. Die Russlanddeutschen. / Alfred Eisfeld. 2. erw. und akt. Aufl. – München: Albert Langen, 1999. S. 66-67.

14.Beobachtungen eines Russischen Generalstabsoffiziers vor 1863.- in: Von den Zaren adoptiert./ Detlef Brandes. - München, 1993, S. 454.

15. Ingeborg Fleischhauer/ Die Deutschen im Zarenreich /. - Stuttgart, 1984, S. 326; Von den Zaren adoptiert./ Detlef Brandes. - München, 1993, S. 263).

16. Dittmar Dahlmann; Ralph Tuchtenhagen. Zwischen Reform und Revolution. Die Deutschen an der Wolga 1860-1917. – Essen: Klartext, 1994. S. 34.

17. Nemcy Rossii. Énciklopedia.Bd. 2. – Moskwa: ÉRN, 2004. . S. 149.

18. Dietmar Neutatz /Die „deutsche Frage“ im Schwarzmeergebiet und in Wolhynien. Politik, Wirtschaft, Mentalitäten und Alltag im Spannungsfeld von Nationalismus und Modernisierung (1856-1914). – Stuttgart: Steiner, 1993, S. 72, 268-269; NemcyRossii. Énciklopedia.Bd. 2. – Moskwa: ÉRN, 2004. , S. 150.

19. Dietmar Neutatz. Die „deutsche Frage“ ... S. 63.

20. Dietmar Neutatz. Die „deutsche Frage“ ... S. 436-437.

21. Peter Rempel. Депортация немцев из европейской части СССР и трудармия по «совершенно секретным» документам НКВД СССР 1941.1944 гг. – В книге: Российские немцы. Проблемы истории, языка и современного положения. – Москва: Готика, 1996, стр. 69-96.

41

22. Johanes Schleuning/ Die Deutschen in Sowjetrussland – „Grenzund Ausslanddeutschtum“ Heft 24, [1927], S.S. 7, 10, 11.

23. Nach: Svetlana Kiel / Wie deutsch sind Russlanddeutsche? Eine empirische Studie zur ethnisch-kulturellen Identität in russlanddeutschen Aussiedlerfamilien. – Münster: Waxmann, 2009, S.S. 176-179,182-183.

24. Nach: Nina Berend/ Sprachliche Anpassung. Eine soziolinguistischdialektologische Untersuchung zum Russlanddeutschen. – Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1998 – (Studien zur Deutschen Sprache: Bd. 14), S.S.3, 8-11,13-15, 18-20, 67, 69.

25. Nach: Stefanie Theis / Religiosität von Russlanddeutschen – Stuttgart: W. Kohlhammer, 2006 – (Praktische Theologie heute: Bd. 73). S.S. 13,65 26. Heimatbuch‘1961. Von Edgar Stahf.

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28. Nemcy Rossii. – St. Petersburg...

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29. Benjamin Pinkus; Ingeborg Fleischhauer / Die Deutschen in der Sowjetunion – Baden-Baden: Nomos, 1987, S. 135-137 und 438-444.

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36. Ina-Maria Greverus / Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthropologie – München: C. H. Beck., 1978. S.S.111, 114.

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40. Daniel Schlatter / Bruchstücke aus einigen Reisen nach dem südlichen Russland, in den Jahren 1822 bis 1828. Mit besonderer Rücksicht auf die Nogayen-Tataren am Asowschen Meere. – St. Gallen, In Kommission bei Huber und Comp, 1830.

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49. Gemeindeberichte der Schwarzmeerdeutschen - 1848, S. 176-177.

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41. Anton Bosch; Josef Lingor / Entstehung, Entwicklung und Auflösung der deutschen Kolonien am Schwarzen Meer. – Stuttgart: LMDR e. V., 1990, S. 37-44.

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69. Michailo Kostjuk / Die deutschen Kolonien in Wolhynien. 19. bis Anfang 20. Jahrhundert. – Wiesentheid: Historischer Verein Wolhynien, 2006.

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70. August Lonsinger/ Sachliche Volkskunde der Wolgadeutschen – Remshalden: Bernhard Albert Greiner, 2004.

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