AUSGABE NR. 41 I NOVEMBER 2015
Wohnfenster E I N E I N BLICK I NS WOH N H E IM SCHANZACKE R – E I N ZUHAUSE FÜR F RAUE N M IT E I N E R GE ISTIGE N BE H I N DE RU NG
Unser Thema in die
Kindheitserinnerungen ser Wohnfenster-Aus
gabe:
Editorial
Interviews mit Bewohnerinnen
Regina Ich han ganz e schöni Chindheit gha. Mir händ viel unternoh zämä, sind in Wald go brötlä oder sind go Pilz sueche. Mir händ im ene schöne Hus gwohnt. Mis Mami häd mini Hoor früener immer züpflet. Speziell isch mir min Schuelschatz Kandi bliebe… Brigitte Graf Wenn ich Angst hatte in der Nacht, durfte ich zum Mami ins Bett. Elisabeth Ich han buuret und Chüe gmolche und gmischtet. Gheuet und grächet hani au. Das stimmt. Holz hani au gsammlet und gsaaget und gschnitte. Ja, chasch d’Jutta fröge. Go wandere bini au. Ich han langi Haar zumene Zopf gflochte gha. Ich han am Mami viel ghulfe. Id Schuel bini in St. Galle gange, stimmt, wo s’Mami no gläbt hät. In Wiifälde bini imene Heim xsi. Im Chindergarte bini au xsi, weiss aber nümme wo?! Obfelde? Eutsch bi Frankental? Ich weiss nümme. Im Spital hani mis Mami bsuechet, kasch mini Schwöschter fröge! Ich kännä viiiiel Lüt. Am Limmatplatz bin ich go wäsche. Marianne Ich weiss nüt meh… Ich han früener Schoppe trunke und Windle treit. Evelyne Ich bin mit vieri bi de Frau Fäh in Chindergarte, und bi de Frau Stiefel id Schuel. Ich bin soooo chli xsi. (zeigt mit den Händen ca. 30 cm) Im Chinzgi hani gsändelet und gritiseilet. I de Schuel hani glärnt rächne und schriibe und Boim ahmale. Zu dere Ziit hani no mis Grosi gha. Ich bin mängisch äs Lusmeitli xsi. Mis Mami hät inere Bäckerei gschaffet und hät Brot verchauft. Im Sprüngli. Im Lindt und Sprüngli. Ich bin vo de Schuel abgholt worde. Nicole Mir chunnt nüt in Sinn. Gäll mir chunnt nüt in Sinn! Doch, doch – ich han e Schwöschter! (und lacht dabei) Mignon Ich han als Chlini ganz viel Chruseli gha… und mir händ amigs Versteckis im Wald gspielt. Gabi Mir händ en rote Opel gha und ich ha dörfe mit em Pappi Auto fahre. Min Pappi hätt Musik gmacht und ich ha mit em Mammi tanzet. Janine Mein Bruder und ich wurden oft an den jüdischen Feiertagen krank. Der Fussweg zum jüdischen Gemeindehaus wäre ja noch gegangen, aber die Anfangsrede war immer sehr lang und ebenso die zwei Kapitel aus der Thora. Mir und meinem Bruder war es kaum möglich, so lange still zu sitzen. Die Gebete sind ebenfalls sehr lang gewesen. Wir mussten immer recht lange stehen und ich habe immer einen Krampf bekommen. (Das hat sie unter Kichern verraten) Anni Ich bin es Lusmeitli xsi und han vieli Streich gschpielt.
Als Kind verbrachte ich mit meiner Familie viele Ferien im Berner Oberland bei einer der zahlreichen Tanten meiner Mutter. Da meine Mutter in diesem Ort aufgewachsen war, kannte sie jede Ecke und sie gab uns vieles aus ihrer Kindheit und Jugendzeit weiter: Wir lernten jeden Berggipfel und Bergbach mit Namen kennen, wussten, zu welcher Jahreszeit welche Bergblumen blühten, und sammelten Kräuter und Pilze, die wir im Winter als Hustentee oder Bratenbeilage genossen. Ich erlebte meine Mutter selten so glücklich wie in diesen Ferien. Die Grosstante empfand ich als einschüchternd und gefühllos, obschon meine Mutter meiner Schwester und mir immer wieder erfolglos zu erklären versuchte, dass das schon seine Richtigkeit habe. Sie entschuldigte die Härte der Tante mit der Tatsache, dass sie einen behinderten Sohn habe, den sie nun schon mehr als 30 Jahre betreue wie ein kleines Kind, welches nie grösser werde: Sie müsse ihn waschen, rasieren, füttern und wickeln, und das jeden Tag, ohne Ferien machen zu können wie wir. Ich verstand zwar, dass die Betreuung eine grosse Belastung sein musste, aber ich verstand die Art und Weise nicht, wie sie geleistet wurde, und empfand sie als lieb- und respektlos. Ich hatte grosses Mitleid mit Christoph, der in meinen Augen herumgeschubst und mit dem nicht gesprochen wurde, weil er angeblich sowieso nichts verstand. Zudem musste er meistens den ganzen Tag ohne Beschäftigung in der düsteren Küche verbringen. Auf der Suche nach Lösungen, wagte ich einmal zu fragen, ob es noch andere behinderte Menschen im Ort gebe, und erhielt zur Antwort, dass man darüber nicht spreche. Da begann ich zu verstehen, dass es wohl nicht die Pflege des behinderten Sohnes war, die so kräftefordernd und aufreibend war, sondern wohl vielmehr die Tatsache, dass man diese im Versteckten und ganz ohne Unterstützung leisten musste. An einem Sonntag wanderte meine Mutter mit uns Kindern zum Gletscherbach, während Onkel und Vater Christoph ins Auto packten und mit ihm zum Bach fuhren. Dort halfen wir alle ihm dabei, es sich auf einem Stein bequem zu machen. Wir picknickten, bauten Staudämme im Bach, warfen Steine und brachten auch Christoph welche, die er ins Wasser warf und jauchzte, wenn es so richtig weit spritzte. Wir genossen das unbeschwerte Zusammensein sehr und ich glaube, wir gaben das Bild einer glücklichen und harmonischen Familie ab. Und ich glaube auch, dass dies wohl das erste Mal in meinem Leben war, dass ich einen Eindruck davon erhielt, was «Teilhabe» ist, auch wenn mir dieses Wort damals, vor mehr als 50 Jahren, noch nicht geläufig war. Zurück bleibt die Erinnerung an einen sonnigen Nachmittag in den Bergen, an dem einfach alles stimmte und wir gemeinsam das Leben unbesorgt genossen, ohne viel dabei zu überlegen. Vielleicht müssen wir im Zusammenleben mit allen Menschen generell weniger überlegen – sondern bloss sein. Marlies Anstaett, Gesamtleitung