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Wie die Sternleinuhr Geschichte schreibt
Unermüdlich drehen die Zeiger der großen Wanduhr von Helga Schäffer ihre Runden. Tausende Stunden haben sie gezählt. Das wertvolle Familienstück ist im wahrsten Sinne des Wortes „Zeit-Zeuge“ eines bewegten Lebens.
„Ich zieh’ erstmal am Schnürchen“, sagt Helga Schäffer und eröffnet das Gespräch mit lieblichen Klängen aus dem Inneren der Uhr. An der Wand gegenüber der Tür hat sie die Uhr aufgehängt. „So habe ich sie immer im Blick, wenn ich das Wohnzimmer betrete“, erklärt die rüstige 83-Jährige. Wenn sie dem sanften Ticken des alten Uhrwerks lauscht, werden Erinnerungen wach … Alles begann auf der Leipziger Messe Mitte der 1930er Jahre. Helga Schäffers Onkel Josef Friedrich Schmidt präsentierte das Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“, welches er Anfang der 1900er Jahre erfunden hatte. Auf der Messe müssen er und seine Frau auch am Stand von Wendt & Kühn vorbeigekommen sein. Die Wanduhr mit den musizierenden Engeln verzückte sie so sehr, dass sie noch vor Ort drei der Uhren kauften. Ein Exemplar behielten Onkel und Tante für sich, das zweite schenkten sie ihrer Tochter und das dritte sollte über Umwege schließlich zu Helga Schäffer gelangen. Doch zunächst bekam es ihr Bruder 1938 zur Erstkommunion überreicht. „Schon damals war die Uhr in unserer Familie heiß geliebt“, schwärmt die gebürtige Münchnerin: „Wir nannten sie immer ‚Sternleinuhr‘, da unzählige Sterne das Gehäuse zieren. Zudem spielt sie neben ‚Guter Mond, du gehst so stille‘ auch ‚Weißt du, wie viel Sternlein stehen‘. Das waren auch die ersten Lieder, die ich als kleines Kind singen konnte.“
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Der Weitsicht des Vaters war es zu verdanken, dass die Uhr den Zweiten Weltkrieg überstand. Kurz vor den Bombenangriffen auf München hatte er das kostbare Stück im Rucksack zu Freunden aufs Land gebracht. So gehörte die Uhr zu den wenigen Dingen, die der vierköpfigen Familie blieben, als im Dezember 1944 eine Luftmine das Wohnhaus zerstörte.
1955 reichte Helga Schäffers Bruder die Uhr an sie weiter. „Für mich ging an diesem Tag ein Traum in Erfüllung“, schaut die lebensfrohe Dame zurück. „Im Laufe der Jahre sangen erst meine beiden Kinder zu den Melodien, jetzt meine zwei Enkel – so wie einst ich als kleines Mädchen.“ Die beiden
Stechwalzen im Inneren der Uhr lassen die Lieder bis zum heutigen Tag verlässlich erklingen. Das Uhrwerk hingegen stand Jahrzehnte still. Erst vor etwa 15 Jahren brachte es Helga Schäffer zu einem Uhrmacher nach Furtwangen, Sitz der ältesten Uhrmacherschule Deutschlands. Durch den Einsatz einer neuen Unruh wurde die Uhr wieder zum Leben erweckt. „Das war ein wahrer Gänsehautmoment“, spricht Helga Schäffer für die ganze Familie. Damals stellten die Experten fest, dass das Uhrwerk seinerzeit in einer Schwarzwälder Uhrenfabrik gefertigt wurde – und das vermutlich in aller Eile. Vielleicht drängte die Zeit wegen des Messebeginns in Leipzig …
Und auch wenn Helga Schäffers Wanduhr je nach Spannung der alten Federn der Zeit manchmal ein klein wenig vorauseilt, ist und bleibt sie ein „Familienmitglied“. „Sie erfreut mich jeden Tag aufs Neue und zeigt mir, wie kostbar unsere Zeit ist.“ Wahre Worte einer weisen Dame. Als wir Helga Schäffer erzählen, dass ihre „Sternleinuhr“ in diesem Jahr ins Sortiment von Wendt & Kühn zurückkehrt, beginnen ihre Augen zu leuchten. „Sie wird viele Menschen erfreuen“, sagt sie zufrieden, den Blick auf den Familienschatz gerichtet.