Wendezeit 6/12

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Alan Lightman

Herr G. Ein Roman der Schöpfung

sind sie ein Weil­chen im Nichts spazieren gegangen, mal traf man sich. Da es keinen Raum und keine Zeit im Nichts gab, gab es auch kein Vorher und kein Nachher, alles fand irgend­wie gleichzeitig statt, und so war es egal. Mit Beginn der ErzĂ€hlung Ă€ndert sich das durch eine Laune von Ihm: «Ich war gerade von einem Mittagsschlaf erwacht, da be­ schloss ich, das Universum zu erschaffen.» Da Herr G. zwar allmĂ€chtig ist, aber keinesfalls allwissend, geht das am Anfang grĂŒndlich schief, bis Er sich auf ein Universum (Aa­ lam-104729) konzentriert. Un­ seres? Man weiss es bis zum Schluss nicht, aber erhofft sich so einen intelligenten, ra­tio­ nalen und gleichzeitig gĂŒtigen Schöpfer.

teriöse, aber nicht unbedingt teuflische Widersacher Belhor. Lightman bietet eine angenehme Mischung aus Wissen­ schaft und Philosophie, er ĂŒber­ nimmt geschickt und ohne Herablassung die Schöpfungs­ geschichte – Deva, Penelope und Belhor fungieren als Spar­ ringspartner fĂŒr Seine existentiellen GrĂŒbeleien. Lightman vermittelt grosse Themen mit einem leichten, bisweilen sogar komischen Ton, lĂ€sst da­ bei allen GlĂ€ubigen Raum, er­ weckt aber auch in bekennen­ den Atheisten Sinn fĂŒr das Wunderbare unserer Existenz. Dieses Buch bereitet nicht nur erwachsenen Lesern – gleich welcher Religion oder Nichtreligion – LesevergnĂŒgen, die zahlreichen Denkanstösse in Kombination mit dem lockeren Tonfall bieten sich sicherlich auch an, die Geschichte von Herrn G. an Jugendliche weiterzureichen oder im Schul­ unterricht als Diskussionsgrund­ lage zu verwenden.

Claudia MĂŒller Ebeling / Christian RĂ€tsch / Wolf-Dieter Storl

Hexenmedizin Die Wiederentdeckung einer verbotenen Heilkunst – Scha­ ­manische Traditionen in Europa

Hexenmedizin ist die lange Zeit Der legt erst einmal ein paar verbotene, geĂ€chtete und ungrundlegende physikalische terdrĂŒckte «alternative» Heil­ Gesetze (einschliesslich der RelativitĂ€tstheorie und der Kau­ kunst unserer Ahnen, einer Heil­ salitĂ€t) fĂŒr Raum und Zeit fest kunst, die nicht nur gesund und lĂ€sst danach den Dingen macht, sondern Lust und Erin seinem kleinen Universum kenntnis, Rausch und mysti(im Nichts kaum grösser als sche Einsicht bringt. Die Autoein Gymnastikball) mehr oder In jedem Fall empfehlenswert! ren nehmen uns mit auf eine minder ihren Lauf, fungiert Erkundungsreise, die zum Urzusammen mit dem Leser oft Alan Lightman, geboren 1948, sprung der Heilkunst, durch mehr als Beobachter, denn von Haus aus Astrophysiker, die antike Mythologie, zur Heals Handelnder. Durch den ist Professor der Humanwissen­ xe als Verkörperung der SinnDennoch bin ich nach diesem Zwang und die Logik der Na- schaften am Massachusetts lichkeit und schliesslich zur Gift­ Buch ĂŒberzeugt: genau so könn­ turgesetze «geschieht» dann Institute of Technology (MIT). mischerin und Heile­rin fĂŒhrt. te es gewesen sein oder ist es aber doch alles dicht an der Obendrein unterrichtete er Das Buch öffnet die TĂŒr zum auch heute noch. Ganz klein Schöpfungsgeschichte, wobei kreatives Schreiben. Sein Ro- verdrĂ€ngten Wissen der Hexen­ fĂŒhlt man sich nach der Lek- Er bei seinen höchst sporadi- man «Und immer wieder die medizin und zeigt Wege, wie tĂŒre. Ein geschickter Schach- schen Besuchen im Univer- Zeit. Einstein’s Dreams» wur- die heiligen Pflanzen unserer zug des (ĂŒbrigens atheisti- sum verwundert feststellt, dass de in dreissig Sprachen ĂŒber- Ahnen heute wie­der genutzt schen) Autors: er lĂ€sst seine die Dinge, die Er plante, und setzt und war ein internatio- werden können. Leser teilhaben an den Erleb- ĂŒber deren Vor- und Nachtei- naler Bestseller. Daneben hat nissen des Ich-ErzĂ€hlers Herrn le er noch nachdachte (z.B. er die Romane «Der gute Be- Dieses Buch eröffnet einen G. und damit schlĂŒpft man die Erschaffung intelligenten nito» und «Die Diagnose» und erstaunlichen Zugang zu einem völlig unbemerkt in eine neue, Lebens), sich von ganz allei- zahlreiche wissenschaftliche faszinierenden Bereich unsegrosse Perspektive. ne entwickeln. Und natĂŒrlich Werke verfasst. Ausserdem rer Kultur- und Medizingephilosophiert Er, stellt wie schreibt er im «New Yorker» schichte: zur Heilkunst der Seit einer ungewissen Zeit hat nebenher logische Zusammen­ und in «Nature». Alan Light- Hexen, der verbotenen, geĂ€ch­ Herr G. im endlosen Nichts vor hĂ€nge zwischen Naturwissen­ man lebt mit seiner Familie teten, staatlich und kirchlich unterdrĂŒckten «alternativen» sich hin gechillt. Mehr oder schaft und Religion her. Denk­ in der NĂ€he von Boston. Medizin. Hexenmedizin ist wil­ weniger in einem DĂ€mmerzu- anstösse liefert dabei neben stand, denn in diesem Nichts Onkel Neva (ist fĂŒr ein Leben Geb., 319 S., CHF 24.90 / € de Medizin, sie ist unkontrolgibt es eben: Nichts. Er, sein nach dem Tod) und der zicki- 16.99 (D), 17.50 (A), ISBN lierbar und entzieht sich der Onkel Deva und Tante Penelo- gen aber lebensklugen Tante 978-3-86995-0, Quadriga Bas­ herrschenden Ordnung. Sie pe haben mal geschlafen, mal Penelope auch der etwas mys­ tei LĂŒbbe u macht Angst, denn sie ent-

Petra Bohm. Diesmal war es der neue «Roman» von Alan Lightman, der mir ein ziemlich geniales Lesewochenende beschert hat. Auch, oder gerade weil die Bezeichnung «Roman» nicht unbedingt tref­ fend ist, denn eigentlich handelt es sich um die fesselnde Biografie des Herrn G., wenn auch eine fik­tive


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