Spuren - Eine Suche nach dem kunsthistorischen Lustgewinn

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»Alles, was läßt Spuren

uns begegnet, zurück, alles

trägt unmerklich zu unserer

Bildung bei.« Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Buch 7, Kapitel 1


EDITION KRITISCHE AUSGABE Band 3

Weidle Verlag


Mit Beiträgen von Fabian Apel, Helga Becker, Martin Bredenbeck, JÜrn Garleff, Christoph Heuter, Birgit Kastner, Holger Kempkens, Alexander Kleinschrodt, Denis Kretzschmar, Constanze Moneke, Martin Neubacher, Angelika Oelgeklaus, Heinrich Otten, Ludmila Siman, Lena Weber und Lisa-Marie Wittler herausgegeben von Martin Bredenbeck, Constanze Moneke und Martin Neubacher.

SPUREN Eine Suche

nach dem kunsthistorischen

Lustgewinn


Inhalt Vorwort

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Denis Kretzschmar Die aufklärerisch-freimaurerische Geisteshaltung als weiterer Baustein zur Domvollendung in Köln

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Helga Becker Folgen der Geschichte des Bauhauses Beispiel: Black Mountain College in North Carolina

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Jörn Garleff Energie und Macht Vom Sichtbaren und Unsichtbaren in der französischen Energiepolitik

20

Angelika Oelgeklaus Rot macht high – Rupprecht Geiger und die Ausgestaltung der Kirche St. Ludwig in Ibbenbüren

30

Heinrich Otten Die Dächer der Heiligsten Dreieinigkeit in Halle an der Saale

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Constanze Moneke »Verstaut, gestapelt, ausgelagert« Gedanken zu zeitgenössischen Reaktionen auf Großbauten der 1970er

44

Lisa-Marie Wittler Johannes Jackel und die Kirche Mariä Heimsuchung in Wiesbaden

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Martin Neubacher Die Lücke als kunsthistorisches Problem Die Debatte um das Plauener Rathaus

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Lena Weber Kunst trifft Natur Eine kleine Kunstgeschichte Finnlands

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Birgit Kastner Das Navi ist eine Scheibe Weltbild, Navigationskunst und die Lust des Menschen, sich zu verirren

76

Ludmila Siman Als die Stadt Köln ihre Bauten noch selbst entwarf … Vergessene Architektur des städtischen Hochbauamtes

86

Christoph Heuter Rheinische Förderung westfälischer Eleganz Die Akzentuierung der Stadtsilhouette von Warburg um 1900

94

Martin Bredenbeck Von der Architekturkritik zur Kunstgeschichte Ein Lehr-Gang zur Postmoderne

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Fabian Apel Das Verbindungshaus des Katholischen Studentenvereins Arminia in der Bonner Südstadt

116

Alexander Kleinschrodt Lob des Durcheinanders Die Kunstgeschichte und die Vielfalt der Stadt

124

Holger Kempkens Wie gewonnen so zerronnen? Von der Wiedergewinnung und dem erneuten Verlust des Bayenturms als Wahrzeichen der Stadt Köln

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Anmerkungsverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

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Impressum

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Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser! Mit diesem Band laden wir Sie herzlich dazu ein, uns bei einer Spurensuche zu begleiten. Wir, das sind die Mitglieder des Oberseminars von Prof. Dr. Hiltrud Kier am Kunsthistorischen Institut der Bonner Universität. Gleich ob Ehemalige oder Aktuelle: Wir alle wurden und werden von ihr bei Seminaren und Exkursionen oder im persönlichen Kontakt immer wieder aufs Neue mit einer Frage konfrontiert, die zunächst ungewohnt klingt, vielleicht unverständlich, vielleicht komisch oder gar geheimnisvoll ‒ mit ihrer Frage nach unserem kunsthistorischen Lustgewinn. Anlässlich des 75. Geburtstags von Hiltrud Kier haben wir uns aufgemacht, diesem Begriff nachzuspüren. Hiltrud Kier zählt zu den Persönlichkeiten, die beim Lehren der Materie eine Faszination verleihen können, die über reine Vorbereitung auf Examina und Beruf hinausgeht. Mit Anregungen und Anstößen, vor allem aber mit beharrlichem Nachhaken und Fordern weckt sie immer wieder anhaltende Neugierde, facht Lust auf Erkundungen und Erklärungen an und vermittelt fachliche Sensibilität. »Worin liegt hierbei Ihr kunsthistorischer Lustgewinn?« – Mag diese Frage anfangs verlegen machen, sie führt zu einem persönlich und kunsthistorisch bereichernden Nachhall, indem individuelle Motive und Erfahrungen den Forschungsdrang verstärken und durch neue Ansätze bereichern. Mag die Kier‘sche »Urfrage« nach diesem Lustgewinn gelegentlich auch situative Komik bewirken: Sie erweist sich als Hiltrud Kiers unschlagbares pädagogisches Konzept, mit dem es ihr gelingt, tiefgehende Identifikation mit der Kunstgeschichte und ihren vielfältigen Perspektiven zu stiften und diese auf Freude zu gründen. Die Beiträge in diesem Band verdanken sich genau dieser Identifikation mit dem Fach. Sie sind das Ergebnis eines lustvollen Zugriffs auf die Kunstgeschichte, den uns Hiltrud Kier mit ihrer Geist und Herz ansprechenden Ausbildung vermittelt hat. Mögen oft auch trockene und staubige Pflichtübungen den Alltag von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern bestimmen, die Frage nach dem 6


Lustgewinn ist der Weg zur Kür. Viele Studierende durften bei Hiltrud Kier diese bereichernde Erfahrung machen! Wie stark und wie lange sie nachwirkt, sieht man auch daran, dass am Entstehen dieses Bandes, von der ersten Idee bis zum Erstellen der Druckvorlage, alle Generationen Kier‘scher Studierender mitgewirkt haben. Verschiedenste Formen der Unterstützung, nicht zuletzt finanzielle, haben dieses Gemeinschaftswerk zustande gebracht. Liebe Leserin, lieber Leser, Begeisterung und Bereicherung möchten wir Ihnen weitergeben. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre der thematisch bunt gemischten Beiträge, die stellvertretend für viele weitere Fragen und Aspekte stehen, die sich beim Lernen aufgetan haben. Ihnen, liebe Frau Kier, überreichen wir diesen Strauß mit den besten Wünschen zu Ihrem 75. Geburtstag und sagen damit von Herzen Danke für alle Unterstützung, für Anleitung, Forderung und Förderung und natürlich für den kunsthistorischen Lustgewinn.

Ihr Oberseminar

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Denis Kretzschmar »Jetzt werden Sie doch auch wohl in das Haus kommen«1 Die aufklärerisch-freimaurerische Geisteshaltung als weiterer Baustein zur Domvollendung in Köln Im Verlauf des 19. Jahrhunderts sollten eine von der Romantik inspirierte Begeisterung für die Baukunst des Mittelalters, ein durch die Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich erwachter Nationalismus und ein sich gegen die protestantisch dominierte preußische Herrschaft auflehnender politischer Katholizismus ab 1842 zum Weiterbau des Kölner Domes führen. Gewaltige wissenschaftliche, architektonische, logistische, handwerkliche und finanzielle Anstrengungen wirkten zusammen und erreichten 1880 schließlich die Domvollendung. So beteiligten sich teilweise gegensätzliche Kräfte mit unterschiedlichen Motivationen an diesem Werk. Persönlichkeiten wie Joseph Görres (1776–1848) deuteten die Vollendung des Doms als nationale Aufgabe und setzten sie mit der Vollendung der nationalen Einheit gleich. Andere, wie das preußische Herrscherhaus, griffen diese Ideen auf, um sie für ihre Zwecke zu nutzen und die nach dem Wiener Kongress in die preußische Rheinprovinz eingegliederten, mehrheitlich katholischen Rheinländer für sich zu gewinnen.2 Katrin Pilger griff einen Gedankengang Umberto Ecos auf und übertrug ihn auf die Bedeutungsgeschichte des Kölner Doms im 19. Jahrhundert,

wonach »im Falle des Kölner Doms, die Primärkodierung katholischer Kirche, wie sie der Nationalismus als Surrogat von Religion bereitstellte, in den Hintergrund gedrängt wurde zugunsten einer Zweitkodierung des Bauwerks im Sinne eines Symbols für den deutschen Nationalstaat. Im Prinzip gab es diese Tendenz wie gesehen schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, während der Befreiungskriege und während der Rheinkrise«.3 In den wissenschaftlichen Beiträgen über die impulsgebenden Motivationen zum Weiterbau des Doms geht indessen ein weiterer Baustein unter, der jedoch für das geistesgeschichtliche Denken des 18. und 19. Jahrhunderts von Bedeutung ist, nämlich der der Aufklärung. Insbesondere die Lesegesellschaften, die Salons und die Freimaurerlogen waren in dieser Zeit die Horte jener Geisteshaltung. Um diesen auf den ersten Blick widersprüchlich wirkenden Hintergrund nachvollziehen zu können, lohnt zunächst ein Blick zurück in das 18. Jahrhundert. Im Umfeld des Doms und des Domkapitels war im Jahre 1770 die Freimaurerloge Le secret des trois rois (Das Geheimnis der drei Könige) gegründet worden. Die Namensgebung der Geheimgesellschaft bezog sich somit auf

Kölner Dom, Ansicht der Westfassade mit dem Turmgerüst, 1870er Jahre.

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Martin Bredenbeck Von der Architekturkritik zur Kunstgeschichte ein Lehr-Gang zur Postmoderne

Auf den eigenen akademischen Werdegang zurückzublicken, ist eine Spurensuche, die mit einigen Selbsterkenntnissen überraschen kann. In der Rückschau werden Lehr- und Lernprozesse sichtbar, für die heute Dank angebracht ist, auch wenn die Lehr-Gänge, die dafür zu absolvieren waren, keine leichte Kost gewesen sind. Was den hier zu schildernden Fall angeht, lässt sich der Beginn des Prozesses mit ziemlicher Verlässlichkeit datieren: Mit »Architektur der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Nordrhein-Westfalen« war das erste Seminar überschrieben, das der Verfasser bei Prof. Dr. Hiltrud Kier am Kunsthistorischen Institut der Bonner Universität besucht hat ‒ es fand im Wintersemester 2002/2003 statt. Die in den Semesterunterlagen archivierte Ankündigung zeigt die Referatsvergabe für die Sprechstunden ab dem 26. August 2002 an. Der exakte Termin der besuchten Sprechstunde hat sich leider weder in den persönlichen Akten noch im eigenen Kalender niedergeschlagen.1 Er muss aber vor dem 21. Oktober 2002 gelegen haben, da an diesem Tag die Vorbesprechung stattfand. Der Verfasser hatte sich bereits für Münster/W. entschieden und hatte entsprechend am 13. Januar 2003 zu referieren.

Geistig gestärkt durch die Lektüre von Architekturgeschichten, vorbereitet durch die seminarbegleitende Vorlesung von Frau Kier sowie reichlich getränkt von Architekturkommentaren und -kritiken aus diversen Feuilletons machte sich der Verfasser ans Werk, den Vortrag vorzubereiten. Und er wollte es natürlich besonders flott, urteilssicher und gut machen. Die beiden im Dezember 2002 unternommenen Vorbesichtigungen in Münster erbrachten eine Fülle hervorragender Bauten und Anlagen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vieles lernte der Verfasser seinerzeit und begeisterte sich an dem Gefühl, das aus der Vorlesung Gelernte in der Realität gebaut wiederzufinden: Da waren die schmuckfreudigen Bauten des Historismus im Kreuzviertel, einem charakteristischen Stadterweiterungsquartier des 19. Jahrhunderts, das den Zweiten Weltkrieg mit wenigen Beschädigungen überstanden hat. Sodann die faszinierende Person des Architekten und zeitweisen Münsteraner Stadtbaumeisters Alfred Hensen (1869–1931): Seine Gestaltungen entspringen noch ganz dem 19. Jahrhundert und formen den historistischen Dekor (vor allem in den Bauten seit den 1910er Jahren) in entscheidenden Punkten um, woran der Übergang

Haus Raesfeldstr. 15: »postmoderne Beliebigkeitsarchitektur« oder einfach neubarock?

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Impressum Edition Kritische Ausgabe im Weidle Verlag. Band 3. © 2012 Weidle Verlag Beethovenplatz 4 53115 Bonn www.weidle-verlag.de Einbandgestaltung: Constanze Moneke, Foto: Jens Rohde Gestaltung und Satz: Constanze Moneke Lektorat: Martin Bredenbeck, Martin Neubacher, Stefanie Odenthal und Lena Weber Druck: Winddruck, Siegen ISBN: 978-3-938803-51-6 Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. Die Edition Kritische Ausgabe ist ein Projekt des Vereins der Freunde und Förderer der Zeitschrift Kritische Ausgabe e.V. und wird herausgegeben von Marcel Diel und Benedikt Viertelhaus. www.kritische-ausgabe.de

Besonderer Dank gilt denjenigen, die durch ihre Spenden die finanzielle Grundlage zur Verwirklichung dieses Bandes gelegt haben: Helga Becker, Martin Bredenbeck, Ute Fendel, Ulrich Gietzen, Christoph Heuter, Hans-Jörg Jechel, Birgit Kastner, Holger Kempkens, Tanja Kermis, Sonja Klee, Vera Klewitz, Denis Kretzschmar, Nicole Leyk, Walter von Lom, Stefanie Odenthal, Angelika Oelgeklaus, Heinrich Otten, Margit Ramus, Jens Rohde, Bertold Schmidt-Thomé, Daniel Schütz, Adelheid Teuber und Michaela Tünnemann. 160



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