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Interview Elsi Frautschi
«UNSERE VORFAHREN WAREN WEITSICHTIGE MENSCHEN»
Elsi Frautschi: «Jedesmal, wenn ich irgendwo an einer Brocante war, suchte ich gezielt alte Postkarten.»
Elsi Frautschi über ihre Postkartensammlung und das Leben im Saanenland
Seit 55 Jahren sammelt die ehemalige Sportartikel-Unternehmerin und Skilehrerin Elsi Frautschi aus Schönried im Saanenland alte Postkarten. Die ältesten Karten stammen aus den 1860er-Jahren. Was steckt hinter der Postkartensammlung?
Elsi Frautschi, wie ist Ihre Postkartensammlung eigentlich entstanden?
Mitte der 70er-Jahre wollte ich jemandem eine alte Postkarte vom Lauenensee zum Geburtstag schenken. Auf einem Markt in Bern wurde ich fündig. Ich kaufte allerdings nicht eine Karte, sondern mehrere. Ich entdeckte wunderschöne alte Postkarten aus der ganzen Schweiz. Das war ein besonderes Erlebnis. Bald merkte ich, dass ich mich aufs Saanenland beschränken musste, was ja auch Sinn machte, da es meine Heimat ist.
Woher kommen all die Postkarten? Haben Sie die Karten bewusst und systematisch gesammelt in all den Jahren?
Ich habe die Karten auf Märkten entdeckt und gekauft. Jedesmal, wenn ich irgendwo an einer Brocante war, suchte ich gezielt alte Postkarten. Viele Karten stammen von Sammlern, welche die Karten mit Motiven aus dem Saanenland verkaufen wollten. So kam ich
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zu wunderschönen und seltenen Postkarten. Über all die Jahre entstand so eine Sammlung.
Wie viele alte Postkarten umfasst denn die aktuelle Sammlung?
Etwa 3000 Karten, vielleicht sind es noch mehr. Ich habe sie nicht einzeln gezählt.
Wo liegt denn der inhaltliche Schwerpunkt der Sammlung? Sind es eher Naturmotive, Ortschaften, Tourismusszenen oder Menschen?
Es geht generell um unser schönes Saanenland. Landschaften, bäuerliche und touristische Sujets dominieren.
Wurden die Postkarten schon mal in einer Ausstellung oder in einer Publikation präsentiert?
Nein, eine Ausstellung gab es noch nie. Hingegen hat Gottfried von Siebenthal Karten aus meiner Sammlung für seine Gstaad-Bücher verwendet. Und in unserer «Galerie im Stöckli» in Schönried verkaufe ich vergrösserte Kartenmotive in Altholzrahmen.
Aus welchen Jahren stammen die meisten Kartenmotive?
Die ältesten Postkarten stammen aus den Jahren 1860 bis etwa 1960. Die 60er-Jahre sind stark vertreten.
Wer hatte eigentlich die Idee zu diesem Buch?
Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt, mit meiner Sammlung etwas zu machen. Ich habe mit Bruno Kernen darüber gesprochen. Er brachte mich dann auf die Idee, ein Buch zu machen. Das war, als sein Buch «Jagd, Geschichten und Rezepte» verwirklicht wurde. Das Buch erschien ebenfalls im Weber Verlag Thun.
Schönried und Saanenmöser stehen im Zentrum der Kartensammlung und des Buches. Wenn Sie die Karten anschauen, was hat sich in den letzten 50 oder 60 Jahren in der Region besonders verändert?
Es wurde sehr viel gebaut! Und wir hatten früher viel mehr Schnee im Saanenland. Auch die Verkehrssituation in Schönried und Saanenmöser hat sich in all den Jahren komplett verändert, denn früher parkten die Autos einfach auf der Strasse.
Wir haben mit zehn Zeitzeugen gesprochen. Es sind Menschen, welche die Region vor 50 oder 60 Jahren noch hautnah erlebt haben. Welche Erkenntnisse haben Sie durch diese Gespräche gewonnen?
Die eindrücklichen und ehrlichen Gespräche zeigen, dass diese Menschen mit ihrer Heimat noch eng verbunden sind. Sie mussten hart arbeiten und lebten zum Teil äusserst bescheiden, doch sie sind mit ihrem Leben zufrieden. Die meisten hatten einen Nebenverdienst im Tourismus, zum Beispiel bei den Bergbahnen, wo sie im Winter als «Bügelmänner» oder Handwerker arbeiteten. Einige waren Bergführer oder Skilehrer. Damit konnten sie als Bergbauern einigermassen gut leben. Der Tourismus war im Saanenland stets ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Alle haben davon profitiert.
Was zeichnet eigentlich den Saanenländer oder die Saanenländerin besonders aus?
Übrigens: Man spricht nicht von «Saanenländern», sondern von «Saanern». Man spürt, dass sie bis ins 16. Jahrhundert zur Grafschaft Greyerz gehörten. Die Saane, sozusagen unser Hausfluss, fliesst ins Welschland, die Verbindung der Montreux-Oberland-Bahn (MOB) führt an den Genfersee nach Montreux. Wir haben noch immer eine starke Beziehung zur Westschweiz, die Sprachgrenze ist ja nur wenige Kilometer von Saanen entfernt. Rougemont gehört zwar politisch zum Kanton Waadt, ist aber irgendwie auch Teil des Saanenlandes.
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Und wie würden Sie den Charakter der Saaner umschreiben?
Wir leben in einem offenen Tal, deshalb sind wir auch sehr offene Menschen. In unseren Adern fliesst auch ein wenig welsches Blut … l’esprit romand.
Wenn Sie heute auf Schönried und Saanenmöser blicken, was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Wir haben zum Glück noch einige Dorfläden, sodass wir fast alles hier kaufen können. Es gibt auch Hotels mit mehreren Sternen, die das ganze Jahr offen sind.
Warum ist das Saanenland eine der schönsten Gegenden der Schweiz?
Unsere Vorfahren waren weitsichtige Menschen und haben es verstanden, ein striktes Baureglement einzuführen. Schauen Sie sich die intakten Dorfbilder an! Wunderschöne authentische Chalets – keine so schrecklichen Betonbauten, wie man sie zum Beispiel in anderen Destinationen vorfindet. Für die wunderschöne Landschaft und die Bergwelt müssen wir dankbar sein. Die haben nicht wir erschaffen.
Stehen Schönried und Saanenmöser nicht etwas im Schatten des mondänen und weltberühmten Ortes Gstaad?
Nein, das sehe ich nicht so. Wir alle profitieren ja vom weltbekannten Aushängeschild Gstaad. Unsere wunderbaren Sonnenterrassen Schönried, Saanenmöser sind einzigartig!
Die Schönrieder gelten als eher eigensinnig und hatten früher das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne wie die Saaner oder Gstaader. Wie ist das heute?
Es wäre ja langweilig, wenn alle das Heu stets auf der gleichen Bühne hätten! Spass beiseite. Natürlich gibt es lokale Probleme und Herausforderungen, die man diskutieren muss. Zum Beispiel die aktuelle Verkehrs- und Parkplatzsituation.
Warum sind Schönried und Saanenmöser touristisch so attraktiv? Was bieten sie, was zum Beispiel die Gstaader nicht bieten (können)?
Unser grosses Skigebiet. Der Skifahrende profitiert von Pisten und Bahnen, die alle zusammenhängen. Aus rein geografischen Gründen ist das nicht überall möglich. Das Saanenland ist zu jeder Jahreszeit ein Paradies – für alle.
Interview: Hans Amrein
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